Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 26.01.2021 abgeändert und der Beklagte entsprechend seinem Teil-Anerkenntnis vom 26.07.2021 verurteilt, den Bescheid vom 15.03.2017 in der Gestalt des Teil-Abhilfebescheides vom 19.06.2017 und des Widerspruchsbescheides vom 04.08.2017 abzuändern, den GdB des Klägers mit 100 seit 17.01.2017 und die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs H seit 25.05.2020 festzustellen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt ein Viertel der außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB) und der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Nachteilsausgleiche „Hilflosigkeit“ (H) sowie „Rundfunkbeitragsermäßigung und Sozialtarif für Telefonanschlüsse“ (RF) streitig.
Der Beklagte hatte bei dem am 17.01.1952 geborenen Kläger unter Zugrundelegung unter anderem des Befundberichts des Orthopäden Dr. R, des vom Hals-Nasen-Ohren-Arzt Dr. E vorgelegten Ton- und Sprachaudiogramms und der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. K vom 23.12.2014, in der als Behinderungen ein Diabetes mellitus und ein metabolisches Syndrom mit einem Einzel-GdB von 50, eine Schwerhörigkeit mit Ohrgeräuschen mit einem Einzel-GdB von 40, ein Schlafapnoe-Syndrom, ein hyperreagibles Bronchialsystem und eine chronische Bronchitis mit einem Einzel-GdB von 30, eine Funktionsbehinderung des linken Kniegelenks mit einem Einzel-GdB von 20, ein Wirbelgleiten und eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit einem Einzel-GdB von 20 sowie eine Hauterkrankung mit einem Einzel-GdB von 10 berücksichtigt, der Gesamt-GdB mit 80 bewertet und die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen „Erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr“ (G) sowie „Berechtigung für eine ständige Begleitung“ (B) bejaht und für die Merkzeichen H sowie RF verneint worden waren, mit Bescheid vom 11.02.2015 den GdB mit 80 sowie die Merkzeichen G und B festgestellt.
Der Kläger beantragte beim Beklagten am 17.01.2017 die Erhöhung des GdB sowie die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Nachteilsausgleiche G, B, H und RF. Er legte Arztbriefe der Neurologin und Psychiaterin Dr. K1 und das den Pflegegrad 3 bestätigende Schreiben der Techniker Krankenkasse vom 19.12.2016 vor. Der Beklagte zog die Pflegegutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) Baden-Württemberg vom 12.07.2016 sowie 12.08.2016 bei und holte sodann die versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. L vom 10.03.2017 ein. Daraufhin stellte der Beklagte mit Bescheid vom 15.03.2017 den GdB mit „80“ (gemeint wohl 90) ab dem 17.01.2017 fest, führte aus, die Merkzeichen G und B blieben festgestellt, und lehnte die Feststellung der Merkzeichen H und RF ab.
Hiergegen legte der Kläger am 18.04.2017 Widerspruch ein. Dr. B berücksichtigte in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 01.06.2017 als Behinderungen einen Diabetes mellitus und ein metabolisches Syndrom mit einem Einzel-GdB von 50, eine Schwerhörigkeit mit Ohrgeräuschen mit einem Einzel-GdB von 40, ein demenzielles Syndrom mit einem Einzel-GdB von 30, ein Schlafapnoe-Syndrom, ein hyperreagibles Bronchialsystem und eine chronische Bronchitis mit einem Einzel-GdB von 30, eine Funktionsbehinderung des linken Kniegelenks mit einem Einzel-GdB von 20, ein Wirbelgleiten und eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit einem Einzel-GdB von 20 sowie eine Hauterkrankung mit einem Einzel-GdB von 10, bewertete den Gesamt-GdB mit 90, bejahte die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen G sowie B und verneinte die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen H sowie RF. Sodann stellte der Beklagte mit Teil-Abhilfebescheid vom 19.06.2017 den GdB mit 90 ab dem 17.01.2017 fest, führte aus, die Merkzeichen G und B blieben festgestellt, und lehnte die Feststellung der Merkzeichen H und RF ab. Den im Übrigen aufrecht erhaltenen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 04.08.2017 zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 06.09.2017 Klage zum Sozialgericht (SG) Stuttgart erhoben. Zur Begründung hat er vorgetragen, dass ihm auf jeden Fall ein GdB von 100 und die Merkzeichen H und RF zustünden, ergebe sich unter anderem daraus, dass bei ihm die „Pflegestufe III“ anerkannt worden sei. Sein Gesundheitszustand mit dem Herzen habe sich zudem weiter verschlechtert. Der Kläger hat einen Arztbrief des Internisten und Kardiologen Dr. N vorgelegt und ferner ausgeführt, bei der Fibromyalgie handele es sich um eine schwerwiegende Krankheit, welche bislang „unter den Teppich gekehrt“ worden sei. Außerdem hat der Kläger einen Arztbrief des Orthopäden Dr. H, in dem eine weitgehend unauffällige Bildgebung der Lendenwirbelsäule und des Beckens berichtet worden ist, vorgelegt und ferner darauf hingewiesen, dass er multimorbide und wegen Demenz massiv in seiner Alltagskompetenz eingeschränkt sei.
Das SG Stuttgart hat Beweis erhoben durch schriftliche Vernehmung der den Kläger behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen.
Der Internist Dr. B1 hat in seiner Auskunft vom 23.04.2018 unter Beifügung von Arztbriefen des Neurologen Dr. H1, der Endokrinologin und Diabetologin Dr. E1, des Internisten und Rheumatologen Prof. Dr. G, des Radiologen Dr. A, der Pneumologin Dr. E2, des Dr. H, der Augenärztin Dr. P-K, des Urologen Dr. K2, des Urologen Dr. L1 sowie der Dr. K3 und eines Entlassberichts des Prof. Dr. H2, medius Klinik O-R die Diagnosen Diabetes mellitus bei metabolischem Syndrom, Adipositas per magna, Gangstörung, Verdacht auf demenzielle Entwicklung, Prostatahypertrophie, koronare Herzkrankheit, Schlafapnoe sowie chronic obstructive pulmonary disease (COPD) aufgeführt und angegeben, er halte die diätisch und medikamentös behandelte Diabeteserkrankung des Klägers für schwer und teile die versorgungsärztliche Auffassung. Dem Kläger sei die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen mit Windeln möglich.
Dr. N hat in seiner Auskunft vom 25.04.2018 unter Beifügung eines eigenen Arztbriefs die Diagnosen koronare 1-Gefäßerkrankung, hypertensive Herzerkrankung, arterielle Hypertonie, gemischte Hyperlipoproteinämie, Diabetes mellitus, Adipositas per magna, Schlafapnoe, Hypothyreose und chronische obstruktive Ventilationsstörung aufgeführt und mitgeteilt, die kardialen Gesundheitsstörungen seien insgesamt alle als geringfügig bis leicht zu bezeichnen, da zwischenzeitlich eine Therapie erfolgt sei. Er teile die versorgungsärztliche Auffassung.
Prof. Dr. G hat in seiner Auskunft vom 26.04.2018 die Diagnosen Fibromyalgie, chronisches Wirbelsäulensyndrom, Schlafapnoe, Diabetes mellitus und Polyneuropathie aufgeführt. Diese seien als mittel- bis schwergradig einzustufen. Die versorgungsärztliche Auffassung teile er auf seinem Fachgebiet.
Dr. E2 hat mit Schreiben vom 07.05.2018 die Diagnosen chronische Bronchitis mit leichter Verlaufsform, Schlafapnoe-Syndrom mit erforderlicher Continuous Positive Airway Pressure-(CPAP)-Therapie, tracheo-bronchialer Kollaps, Urticaria sowie leichte Einschränkungen der Lungenfunktion in Form einer leichtgradigen peripheren Obstruktion aufgeführt und angegeben, mit der versorgungsärztlichen Einschätzung stimme sie überein. Die gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens RF bestünden nicht.
Der Orthopäde Dr. B2 hat unter dem 26.06.2018 unter Beifügung von Arztbriefen des Dr. E2, Sportklinik S, und des Radiologen Dr. L2 ausgeführt, die Gesundheitsstörung in Form eines Innenmeniskusrisses rechts mit intraartikulärer Ergussbildung und Kapselverdickung sei als leicht bis mittel einzuschätzen. Ihm sei nicht bekannt, ob der Kläger wegen der vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen könne. Der Kläger sei nicht gehörlos beziehungsweise eine Verständigung mit ihm ohne ausreichende Hörhilfe sei nicht ausgeschlossen.
Dr. W hat in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 29.10.2018 als weitere Behinderung eine koronare Herzkrankheit mit Stentimplantation und eine hypertensive Herzkrankheit mit einem Einzel-GdB von 20 berücksichtigt. Auf den Gesamt-GdB wirke sich dies nicht aus. Die Voraussetzungen für die Merkzeichen H und RF ließen sich weiterhin nicht ableiten.
Das SG Stuttgart hat mit Gerichtsbescheid vom 26.01.2021 die Klage abgewiesen.
Die bei dem Kläger vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen seien mit einem Gesamt-GdB von 90 ab dem 17.01.2017 zutreffend bewertet. Es hat im Funktionssystem „Innere Sekretion und Stoffwechsel“ für den Diabetes mellitus Typ 2 den Einzel-GdB mit 40, im Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“ die Hirnschädigung mit einem Einzel-GdB von 30, im Funktionssystem „Rumpf“ die degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule inklusive Wirbelgleiten mit einem Einzel-GdB von 20, im Funktionssystem „Beine“ die Funktionsbehinderungen des linken Kniegelenks mit einem Einzel-GdB von 20, im Funktionssystem „Herz-Kreislauf“ die koronare Herzkrankheit mit Stentimplantation, die hypertensive Herzkrankheit und den Bluthochdruck mit einem Einzel-GdB von 20, im Funktionssystem „Atmung“ das Schlafapnoe-Syndrom und das Asthma bronchiale mit einem Einzel-GdB von 30, im Funktionssystem „Ohren“ die beidseitige Innenohrschwerhörigkeit mit einem Einzel-GdB von 40 sowie die Ohrgeräusche mit einem Einzel-GdB von allenfalls 10, im Funktionssystem „Haut“ die chronisch rezidivierende Urtikaria mit einem Einzel-GdB von 10 und die Harninkontinenz mit einem Einzel-GdB von 10 zu Grunde gelegt.
Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens H seien nicht gegeben, da nach dem aktenkundigen Pflegegutachten des MDK Baden-Württemberg der Zeitaufwand für erforderliche Betreuungsleistungen im Bereich der Grundpflege nur 47 Minuten täglich betrage.
Auch die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens RF seien nicht gegeben. Der Kläger sei weder blind oder gehörlos, noch sei ihm eine ausreichende Verständigung über das Gehör auch mit Hörhilfen nicht möglich. Er sei auch nicht ständig wegen seiner Leiden vom Besuch öffentlicher Veranstaltungen ausgeschlossen. Der Kläger könne trotz der bei ihm bestehenden Gesundheitsstörungen öffentliche Veranstaltungen aufsuchen und an ihnen teilnehmen. Der Kläger sei insoweit – folge man den Ausführungen des Dr. B1 – auf das Tragen von Windelhosen oder anderen Inkontinenzartikeln angewiesen und aber auch zu verweisen, die Harn und Stuhl unter Entgegenwirken von Geruchsbelästigung für andere Menschen aufnähmen. Das Tragen solcher Inkontinenzhilfsmittel sei dem Kläger auch zumutbar. Dies verstoße weder gegen die Würde des Menschen noch gegen den Sozialstaatsgrundsatz. Die Notwendigkeit, Windelhosen zu tragen, sei nur eine Auswirkung der Behinderung. Es handele sich dabei um ein übliches, behindertengerechtes Hilfsmittel, dessen funktionsgerechte Benutzung als solche keine Verletzung der Menschenwürde darstellen könne, weil sie den behinderten Menschen nicht zusätzlich herabmindere, sondern im Rahmen des Möglichen die Auswirkungen seiner Behinderung mildere. Das subjektive Empfinden des Behinderten, der dies als unangenehm empfinden möge, sei eine verständliche Begleiterscheinung seiner Erkrankung, habe aber nicht zur Folge, ihm deswegen überhaupt nicht mehr den Besuch öffentlicher Veranstaltungen zuzumuten. Allenfalls das Bekanntwerden oder die Auffälligkeit eines solchen Hilfsmittels könne seine Benutzung bei öffentlichen Veranstaltungen im Hinblick auf vielerorts anzutreffende Intoleranz als subjektiv unzumutbar erscheinen lassen. Hierfür bestünden indes keine Anhaltspunkte. Dass dem Kläger schließlich eine Versorgung mit Inkontinenzartikeln nicht möglich sei, lasse sich aus den zu den Akten gelangten medizinischen Unterlagen nicht entnehmen, weshalb nicht davon ausgegangen werden könne, dass der Kläger wegen einer Inkontinenz allgemein und umfassend vom Besuch öffentlicher Veranstaltungen ausgeschlossen sei. Eine ständige Hinderung an der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen ergebe sich schließlich auch nicht aus dem bestehenden Schlafapnoe-Syndrom oder dem beginnenden dementiellen Syndrom. Denn den Nachteilsausgleich RF könnten nur solche Behinderte beanspruchen, die physisch an öffentlichen Veranstaltungen nicht teilnehmen könnten. Dabei sei unter „Teilnahme“ die körperliche Anwesenheit ohne Rücksicht darauf zu verstehen, ob der Teilnehmer geistig in der Lage sei, dem Dargebotenen zu folgen. Einschränkungen der geistigen Aufnahmefähigkeit könnten gleichermaßen sowohl bei öffentlichen Veranstaltungen und auch vor den Rundfunk- und Fernsehgeräten in der eigenen Wohnung auftreten.
Gegen den Gerichtsbescheid des SG Stuttgart hat der Kläger am 22.02.2021 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Der Gerichtsbescheid sei „der größte Scheiß aller Zeiten“. Dieser „unterschlägt das abgegebene Gutachten von Dr. B1“ und „das Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit“. Er warne davor „nochmals so eine gespickte Scheiße zu produzieren“.
Der Kläger hat keinen Antrag gestellt.
Bereits am 03.11.2020 hatte der Kläger beim Beklagten erneut einen Antrag auf Feststellung eines höheren GdB und der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs H gestellt. Er hatte ein Attest des Dr. B1, ein Schreiben des Dr. R, das Pflegegutachten des MDK Baden-Württemberg vom 24.09.2020 und das den Pflegegrad 4 bestätigende Schreiben der Techniker Krankenkasse vom 25.09.2020 vorgelegt.
Daraufhin hat Dr. W in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 22.03.2021 ausgeführt, das Pflegegutachten des MDK Baden-Württemberg vom 24.09.2020 sei nur nach Aktenlage nach strukturiertem Telefoninterview erstellt worden. Ein solches nur aufgrund eines Telefoninterviews erstelltes Gutachten könne aber keine ausreichende Grundlage sein, um von der bisherigen Beurteilung abzuweichen. Entscheidend für die Beurteilung seien fassbare und konkrete ärztliche Befunde. Solche seien im Gerichtsbescheid des SG Stuttgart entsprechend berücksichtigt. Damit könne nach Lage der Akten weder im Hinblick auf den GdB noch die begehrten Merkzeichen H und RF ein Angebot begründet werden.
Nachdem der Berichterstatter den Kläger um Mitteilung von Namen und Anschriften der Ärzte, bei denen er sich seit April 2018 in Behandlung befunden habe, gebeten hatte, hat der Kläger den Berichterstatter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und ausgeführt, dessen Schreiben sei „der größte Stuss aller Zeiten“ und „vergleichbar mit einem Furz auf der Gardinenstange“. Wenn der Berichterstatter möge, könne er „sein Schreiben zum Gebrauch auf die Personaltoilette hängen“. Ferner seien „M. R1, F-E-S 30, S, Leiter der Abteilung für Schwerbehindertenrecht beim Versorgungsamt in S, Landratsamt B3“ und Dr. B1 als Zeugen zur mündlichen Verhandlung zu laden. Des Weiteren sei der von Dr. B1 in seiner Zeugenauskunft dargelegte Befund zu berücksichtigen. Den Befund des Dr. H hätte Dr. B1 dem SG Stuttgart beifügen oder zumindest angeben müssen. Das SG Stuttgart habe das Pflegegutachten des MDK Baden-Württemberg vom 24.09.2020 unterschlagen. Dass dieses Pflegegutachten laut Dr. W keine ausreichende Grundlage darstelle, weil es nur aufgrund eines Telefoninterviews erstellt worden sei, sei eine Beleidigung auch gegen die erstellende Pflegekraft.
Der Senat hat das Befangenheitsgesuch mit dem unter dem Aktenzeichen L 3 SF 1653/21 AB ergangenen Beschluss vom 20.05.2021 abgelehnt.
Der Berichterstatter hat sodann die vom Kläger in seinem am 03.11.2020 gestellten Antrag genannten Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen gehört.
Dr. B1 hat in seiner Zeugenauskunft vom 07.07.2021 unter Beifügung diverser ärztlicher Unterlagen als Diagnosen eine Adipositas permagna, einen Diabetes mellitus Typ 2 mit entgleister Stoffwechsellage, diabetischem Spätsyndrom in Form von Angiopathie und Polyneuropathie, eine Hypertonie, eine koronare Herzkrankheit, ein Schlafapnoesyndrom, eine Urininkontinenz sowie eine Miktionsstörung aufgeführt sowie den Verdacht auf eine Spinalkanalstenose, ein hirnorganisches Psychosyndrom mit dementieller Entwicklung, Affektinkontinenz, Aggressivität und paranoiden Zügen geäußert. Der Kläger sei bei den Praxisbesuchen nur an Krücken mobil, die Gehstrecke mit Gehhilfen betrage wenige Meter, Treppen könnten kaum bewältigt werden. Die Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2 werde über Dr. E1 durchgeführt, dort allerdings auch nur selten, da der Kläger, so die Ärztin, ihr und ihrem Personal in der Praxis nicht öfter zuzumuten sei. Auch ein Besuch beim Neurologen/Psychiater zur weiteren Einschätzung sei abgebrochen worden, nachdem der Kläger dort ausfällig geworden und der Praxis verwiesen worden sei. Die Ehefrau des Klägers berichte ebenfalls über aggressives Verhalten des Ehemannes im häuslichen und nachbarlichen Umfeld. Es sei von einem psychiatrischen Problem auszugehen, das aber bisher noch nicht entsprechend fachärztlich eingeordnet worden sei. Für eine bessere Blutzuckereinstellung wäre eine deutliche Gewichtsreduktion von mindestens 30 kg erforderlich. Der Kläger bewege sich kaum und dürfte bei seiner Polyneuropathie auch kaum dazu in der Lage sein. Inwieweit die Compliance hinsichtlich Behandlung und natürlich auch Diät bei der psychiatrischen Konstellation leide beziehungsweise überhaupt nicht mehr vorhanden sei, bleibe Spekulation. Dr. B1 hat den Diabetes mellitus Typ 2, da die Diabeteseinstellung sehr schlecht sei und Spätschäden bereits vorhanden seien, als schwer sowie die Gangstörung aufgrund der Polyneuropathie, des massiven Übergewichts und der vermuteten Spinalkanalstenose als schwer eingeschätzt. Eine aktive Teilnahme am öffentlichen Leben scheine nicht mehr gegeben. Dies werde auch mit durch die Urininkontinenz bedingt. Der Kläger sei in seiner Bewegungsfähigkeit so eingeschränkt, dass bei Harndrang eine Toilette nicht mehr ausreichend rasch aufgesucht werden könne. Zur Schlafapnoe könne er keine Aussage machen. Eine psychiatrische Einschätzung durch einen Fachkollegen halte er für erforderlich.
Dr. R hat in seiner Zeugenauskunft vom 08.07.2021 unter Beifügung diverser ärztlicher Unterlagen als Diagnosen ein Lumbalsyndrom bei mäßiger Spondylarthrose, eine Spondylolysis vera L5/S1 beidseits, eine Lipomatose in Höhe S1 mit relativer Spinalkanalstenose, einen Bandscheibenvorfall, eine medialbetonte Gonarthrose beidseits und eine Lumboischialgie rechts aufgeführt. Er hat das Lumbalsyndrom bei mäßiger Spondylarthrose als schwer, die Spondylolysis vera L5/S1 beidseits als mittel bis schwer, die Lipomatose in Höhe S1 mit relativer Spinalkanalstenose als mittel, die medialbetonte Gonarthrose beidseits als mittel bis schwer sowie die Lumboischialgie rechts als mittel bis schwer eingeschätzt und ausgeführt, die Schwere des Bandscheibenvorfalls sei aus orthopädischer Sicht nicht beurteilbar. Es handele sich um Wirbelsäulenschäden mit erheblicher Bewegungseinschränkung (aber auch aufgrund der massiven Adipositas) und keiner sicheren Instabilität. Die Beschwerden seien anhaltend, betont im Bereich der Lendenwirbelsäule. Die Brustwirbelsäule und die Halswirbelsäule seien sicher mitbetroffen, aber hier in geringerem Ausmaß als lumbal. Eine schwere Skoliose beziehungsweise die Notwendigkeit eines Rumpfkorsetts bestehe nicht. Die letzten in der Akte vermerkten Bewegungsausmaße der Kniegelenke mit einer Extension/Flexion links von 0/5/115° und rechts freier Extension mehr endgradig eingeschränkter Flexion datierten aus den Jahren 2010 beziehungsweise 2011. Die radiologische Diagnostik im Jahr 2011 habe für das linke Knie eine mittelgradige medialbetonte Gonarthrose und keine sichere knöcherne Verletzung erbracht.
Dr. E1 hat in ihrer Auskunft vom 13.07.2021 unter Beifügung diverser ärztlicher Unterlagen als dauerhaft bestehende Gesundheitsstörung einen mit täglich mindestens vier Insulininjektionen – in Abhängigkeit vom aktuellen Blutzucker und der folgenden Mahlzeit dosiert – behandelten, chronisch hyperglykämisch entgleisten Diabetes mellitus Typ 2 mit durch die Entgleisung symptomatisch gewordener allgemeiner Schwäche, Konzentrationsstörung und kognitiver Einschränkung, eine distal-symmetrische Polyneuropathie mit mittelschwerer bis schwerer Gangunsicherheit und eine – nach ihrer fachfremden Einschätzung – leichte demenzielle Entwicklung beschrieben. In Bezug auf den Diabetes mellitus Typ 2 hat sie ergänzend ausgeführt, hierdurch sei der Kläger in der Lebensführung beeinträchtigt und erleide auch eine Teilhabebeeinträchtigung. Die Stoffwechsellage sei außergewöhnlich schwer regulierbar, was sich daran zeige, dass trotz mehrerer antidiabetischer Medikamente inklusive einer hochdosierten intensivierten Insulintherapie keine befriedigende Einstellung vorliege. Sie hat die Frage, ob seit 2017 eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes eingetreten sei, bejaht. Anamnestisch hätten seither die bekannten und durch die Polyneuropathie erklärten Schmerzen in den Füßen und Beinen weiter zugenommen. Außerdem sei die ebenfalls durch die Polyneuropathie erklärbare Gangstörung progredient. Wahrscheinlich bestünden zusätzlich degenerative Veränderungen. Das Gangbild sei zunehmend breitbasiger, kleinschrittig und unsicher geworden. Meistens erscheine der Kläger in letzter Zeit mit zwei Gehstützen. Selbstständiges Gehen in der Praxis sei mit den Hilfsmitteln möglich gewesen. Treppensteigen erscheine ihr schon fraglich. Ferner sei seit 2017 eine demenzielle Entwicklung auffällig. Dies äußere sich hier zum Beispiel bei der Besprechung von Medikamenten oder Insulinplänen sowie weiterer anamnestischer Angaben. Die Arzttermine habe der Kläger alleine wahrnehmen können.
Dem daraufhin vom Berichterstatter unterbreiteten und auf Feststellung des GdB mit 100 seit 17.01.2017 und der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs H seit 25.05.2020 gerichteten Vergleichsvorschlag hat der Beklagte unter dem 22.07.2021 zugestimmt. Er hat die versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. G vom 22.07.2021 vorgelegt. Darin wird ausgeführt, für den Diabetes mellitus und das metabolische Syndrom werde weiterhin ein GdB von 50 als ausreichend bemessen angesehen. Allein durch die von Dr. E1 angegebene chronisch hyperglykämische Stoffwechseleinstellung sei eine außergewöhnlich schwer regulierbare Stoffwechsellage nicht ausreichend belegt. Es könne jedoch ein eigenständiger GdB von 30 für die Gangstörung und die Polyneuropathie vorgeschlagen werden. Unter Berücksichtigung der Angaben in dem Pflegegutachten des MDK Baden-Württemberg vom 24.09.2020 könne von einer beginnend mittelschweren Leistungsbeeinträchtigung in Verbindung mit dem demenziellen Syndrom ausgegangen werden, ein GdB von 50 für das Funktionssystem „Gehirn/Psyche“ sei als vertretbar anzusehen. Die Einschätzung des Pflegegrades mit 4 in dem Pflegegutachten des MDK Baden-Württemberg vom 24.09.2020 könne als ausreichend schlüssig in Bezug zu den dokumentierten Funktionsbeeinträchtigungen angesehen werden. Die Gewährung des Merkzeichens H ab 25.05.2020 könne ebenfalls als vertretbar angesehen werden. Aus alledem ergäben sich ein Gesamt-GdB von 100 seit 17.01.2017, die Merkzeichen G und B sowie das Merkzeichen H ab 25.05.2020.
In der mündlichen Verhandlung vom 26.07.2021, zu der der Kläger, nachdem er zuvor deren Verlegung beantragt hatte, nicht erschienen ist, hat der Beklagte folgendes Teil-Anerkenntnis abgegeben:
- Der Beklagte anerkennt, den Bescheid vom 15.03.2017 in der Gestalt des Teil-Abhilfebescheides vom 19.06.2017 und des Widerspruchsbescheides vom 04.08.2017 abzuändern, den GdB des Klägers mit 100 seit 17.01.2017 und die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs H seit 25.05.2020 festzustellen.
- Der Beklagte anerkennt, ein Viertel der außergerichtlichen Kosten des Klägers zu übernehmen.
Der Beklagte beantragt,
die über sein Teil-Anerkenntnis hinausgehende Berufung zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die gemäß §§ 143 und 144 SGG statthafte und nach § 151 SGG form- und fristgerechte und auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers ist teilweise begründet.
Der Senat konnte in Abwesenheit des Klägers verhandeln und entscheiden. Gemäß § 202 SGG in Verbindung mit § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO kann aus erheblichen Gründen ein Termin aufgehoben oder verlegt sowie eine Verhandlung vertagt werden. Gemäß § 202 SGG in Verbindung mit § 227 Abs. 2 ZPO sind die erheblichen Gründe auf Verlangen des Vorsitzenden, für eine Vertagung auf Verlangen des Gerichts glaubhaft zu machen. Zwar hat der Kläger nachdem er ausweislich der aktenkundigen Postzustellungsurkunde die Mitteilung über die Terminbestimmung des Senats am 01.07.2021 erhalten hat, mit Schreiben vom 15.07.2021 beantragt, den anberaumten Verhandlungstermin „zu verschieben, da es zu viele Ungereimtheiten und falsche Behauptungen gibt“ und ausgeführt, den Verhandlungstermin „Höchstwahrscheinlich ... aus gesundheitlichen Gründen nicht wahrnehmen“ zu können. Bei den vom Kläger aus seiner Sicht geschilderten Ungereimtheiten handelt es sich jedoch nicht um erhebliche Gründe im Sinne des § 202 SGG in Verbindung mit § 227 ZPO. Erhebliche Gründe in diesem Sinne sind insbesondere Verhandlungsunfähigkeit, Reiseunfähigkeit und/oder Urlaubsabwesenheit (B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage, § 110 Rn. 5), nicht aber die Unzufriedenheit eines Beteiligten mit den im Rahmen des Verfahrens abgegebenen Zeugenauskünften der ihn behandelnden Ärzte. Ferner hat der Kläger trotz des mit Gerichtsschreiben vom 21.07.2021 erfolgten Hinweises keine ärztlichen Bescheinigungen, aus denen sich in nachvollziehbarer Weise eine die Aufhebung des Verhandlungstermins rechtfertigende Reise- oder Verhandlungsunfähigkeit ergibt, vorgelegt. Wird aber eine Terminverlegung kurz vor der anberaumten mündlichen Verhandlung beantragt und mit einer Erkrankung begründet, so muss der Verhinderungsgrund so dargelegt und untermauert sein, dass das Gericht ohne weitere Nachforschungen selbst beurteilen kann, ob Verhandlungs- und/oder Reiseunfähigkeit besteht. Dies erfordert, dass das Gericht aus einer Bescheinigung Art, Schwere und voraussichtliche Dauer der Erkrankung entnehmen und so die Frage der Verhandlungsunfähigkeit und/oder Reiseunfähigkeit selbst beurteilen kann. Gerade bei kurzfristig gestellten Anträgen auf Terminverlegung bestehen hohe Anforderungen an die Glaubhaftmachung der Verhandlungsunfähigkeit und/oder Reiseunfähigkeit. Ist diesen Anforderungen nicht Genüge getan, so ist die Verhandlungsunfähigkeit und/oder Reiseunfähigkeit nicht dargetan (Bundessozialgericht [BSG], Beschluss vom 13.10.2010 – B 6 KA 2/10 B, juris; BSG, Beschluss vom 13.12.2018 – B 5 R 192/18 B, juris; BSG, Beschluss vom 03.04.2019 – B 6 KA 30/18 B, juris). Vorliegend hat der Kläger aber weder durch seine Ausführungen noch durch von ihm vorgelegte ärztliche Bescheinigungen eine Verhandlungs- und/oder Reiseunfähigkeit glaubhaft gemacht.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist neben der Aufhebung des Gerichtsbescheides des SG Stuttgart vom 26.01.2021 die Abänderung des Bescheides des Beklagten vom 15.03.2017 in der Gestalt des Teil-Abhilfebescheides vom 19.06.2017 und des Widerspruchsbescheides vom 04.08.2017 und die Verpflichtung des Beklagten, bei ihm den GdB mit 100 und die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Nachteilsausgleiche H und RF festzustellen. Diese prozessualen Ziele verfolgt der Kläger statthafterweise gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG mit der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage.
Der Kläger hat aufgrund des vom Beklagten in der mündlichen Verhandlung wirksam abgegebenen Teil-Anerkenntnisses in Abänderung des Bescheides vom 15.03.2017 in der Gestalt des Teil-Abhilfebescheides vom 19.06.2017 und des Widerspruchsbescheides vom 04.08.2017 einen Anspruch auf die Feststellung des GdB mit 100 seit 17.01.2017 und der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs H seit 25.05.2020 (B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage, § 101 Rn. 20, 21). Entsprechend war der Beklagte unter Abänderung des Gerichtsbescheides des SG Stuttgart vom 26.01.2021 gemäß § 202 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 307 Satz 1 ZPO zu verurteilen.
Im Übrigen war die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Denn der Kläger hat weder einen Anspruch auf die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs H für die Zeit vor dem 25.05.2020 noch auf die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs RF.
Rechtsgrundlage für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen ist zunächst § 2 Abs. 1 und 2 SGB IX in Verbindung mit § 69 Abs. 4 und 5 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung beziehungsweise § 152 Abs. 4 und 5 Satz 1 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung. Im Hinblick auf die den vorliegend zu beurteilenden Zeitraum betreffenden unterschiedlichen Gesetzesfassungen sind diese – da Übergangsregelungen fehlen – nach dem Grundsatz anzuwenden, dass die Entstehung und der Fortbestand des sozialrechtlichen Anspruchs auf Leistungen nach dem Recht zu beurteilen ist, welches zur Zeit der anspruchsbegründenden Ereignisse oder Umstände jeweils gegolten hat (BSG, Urteil vom 04.09.2013 – B 10 EG 6/12 R, Rn. 36-40, juris; sinngemäß auch BSG, Urteil vom 16.12.2014 – B 9 SB 2/13, Rn. 10 und 13, juris; Stölting/Greiser in SGb 2015, 135-143).
Nach § 2 Abs. 1 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Nach § 2 Abs. 1 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung sind Menschen mit Behinderungen Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können, wobei eine Beeinträchtigung in diesem Sinne vorliegt, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht.
Nach § 2 Abs. 2 SGB IX sind Menschen im Sinne des Teils 2 des SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung beziehungsweise des Teils 3 des SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung schwerbehindert, wenn bei ihnen ein GdB von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 73 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung beziehungsweise § 156 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung rechtmäßig im Geltungsbereich des SGB IX haben.
Nach § 69 Abs. 4 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung beziehungsweise nach § 152 Abs. 4 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung treffen die zuständigen Behörden, wenn neben dem Vorliegen einer Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen sind, die erforderlichen Feststellungen.
Nach § 69 Abs. 5 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung beziehungsweise nach § 152 Abs. 5 Satz 1 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung stellen auf Antrag des behinderten Menschen die zuständigen Behörden auf Grund einer Feststellung der Behinderung einen Ausweis über die gesundheitlichen Merkmale aus.
Zu diesen Merkmalen gehören auch die Merkzeichen H und RF.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs H für die Zeit vor dem 25.05.2020.
Das Merkzeichen H ist gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 2 SchwbAwV in den Schwerbehindertenausweis einzutragen, wenn der schwerbehinderte Mensch hilflos im Sinne des § 33b EStG oder entsprechender Vorschriften ist. Gemäß § 33b Abs. 6 Satz 3 EStG ist eine Person hilflos, wenn sie für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung ihrer persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedarf. Diese Voraussetzungen sind nach § 33b Abs. 6 Satz 4 EStG auch erfüllt, wenn die Hilfe in Form einer Überwachung oder einer Anleitung zu den in dieser Vorschrift genannten Verrichtungen erforderlich ist oder wenn die Hilfe zwar nicht dauernd geleistet werden muss, jedoch eine ständige Bereitschaft zur Hilfeleistung erforderlich ist.
Nach den VG, Teil A, Nr. 4 b Satz 1 sind diejenigen hilflos, die infolge von Gesundheitsstörungen nicht nur vorübergehend für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung ihrer persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedürfen. Diese Voraussetzungen sind nach den VG, Teil A, Nr. 4 b Satz 2 auch erfüllt, wenn die Hilfe in Form einer Überwachung oder einer Anleitung zu den genannten Verrichtungen erforderlich ist oder wenn die Hilfe zwar nicht dauernd geleistet werden muss, jedoch eine ständige Bereitschaft zur Hilfeleistung erforderlich ist. Nach den VG, Teil A, Nr. 4 c Satz 1 sind häufig und regelmäßig wiederkehrende Verrichtungen zur Sicherung der persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages insbesondere An- und Auskleiden, Nahrungsaufnahme, Körperpflege, Verrichten der Notdurft. Außerdem sind nach den VG, Teil A, Nr. 4 c Satz 2 notwendige körperliche Bewegung, geistige Anregung und Möglichkeiten zur Kommunikation zu berücksichtigen. Hilflosigkeit liegt im oben genannten Sinne nach den VG, Teil A, Nr. 4 c Satz 3 auch dann vor, wenn ein psychisch oder geistig behinderter Mensch zwar bei zahlreichen Verrichtungen des täglichen Lebens der Hilfe nicht unmittelbar bedarf, er diese Verrichtungen aber infolge einer Antriebsschwäche ohne ständige Überwachung nicht vornähme. Nach den VG, Teil A, Nr. 4 c Satz 4 ist die ständige Bereitschaft zum Beispiel anzunehmen, wenn Hilfe häufig und plötzlich wegen akuter Lebensgefahr notwendig ist. Der Umfang der notwendigen Hilfe bei den häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen muss nach den VG, Teil A, Nr. 4 d Satz 1 erheblich sein. Dies ist Nach den VG, Teil A, Nr. 4 d Satz 2 der Fall, wenn die Hilfe dauernd für zahlreiche Verrichtungen, die häufig und regelmäßig wiederkehren, benötigt wird. Einzelne Verrichtungen, selbst wenn sie lebensnotwendig sind und im täglichen Lebensablauf wiederholt vorgenommen werden, genügen nach den VG, Teil A, Nr. 4 d Satz 3 nicht (zum Beispiel Hilfe beim Anziehen einzelner Bekleidungsstücke, notwendige Begleitung bei Reisen und Spaziergängen, Hilfe im Straßenverkehr, einfache Wund- oder Heilbehandlung, Hilfe bei Heimdialyse ohne Notwendigkeit weiterer Hilfeleistung). Nach den VG, Teil A, Nr. 4 d Satz 4 müssen Verrichtungen, die mit der Pflege der Person nicht unmittelbar zusammenhängen (zum Beispiel im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung) außer Betracht bleiben. Bei einer Reihe schwerer Behinderungen, die aufgrund ihrer Art und besonderen Auswirkungen regelhaft Hilfeleistungen in erheblichem Umfang erfordern, kann nach den VG, Teil A, Nr. 4 e Satz 1 im Allgemeinen ohne nähere Prüfung angenommen werden, dass die Voraussetzungen für das Vorliegen von Hilflosigkeit erfüllt sind. Dies gilt nach den VG, Teil A, Nr. 4 e Satz 2 stets aa) bei Blindheit und hochgradiger Sehbehinderung, bb) Querschnittslähmung und anderen Behinderungen, die auf Dauer und ständig – auch innerhalb des Wohnraums – die Benutzung eines Rollstuhls erfordern, nach den VG, Teil A, Nr. 4 f in der Regel auch aa) bei Hirnschäden, Anfallsleiden, geistiger Behinderung und Psychosen, wenn diese Behinderungen allein einen GdB von 100 bedingen, bb) Verlust von zwei oder mehr Gliedmaßen, ausgenommen Unterschenkel oder Fußamputation beiderseits, wobei als Verlust einer Gliedmaße der Verlust mindestens der ganzen Hand oder des ganzen Fußes gilt. Führt eine Behinderung zu dauerndem Krankenlager, so sind nach den VG, Teil A, Nr. 4 g Satz 1 stets auch die Voraussetzungen für die Annahme von Hilflosigkeit erfüllt. Dauerndes Krankenlager setzt Nach den VG, Teil A, Nr. 4 g Satz 2 nicht voraus, dass der behinderte Mensch das Bett überhaupt nicht verlassen kann. Stirbt ein behinderter Mensch innerhalb von sechs Monaten nach Eintritt einer Gesundheitsstörung, so ist nach den VG, Teil A, Nr. 4 h die Frage der Hilflosigkeit analog den VG, Teil A, Nr. 2 g zu beurteilen.
Bei den gemäß § 33 Abs. 6 EStG zu berücksichtigenden Verrichtungen handelt es sich um solche, die im Ablauf eines jeden Tages unmittelbar zur Wartung, Pflege und Befriedigung wesentlicher Bedürfnisse des Betroffenen gehören sowie häufig und regelmäßig wiederkehren. Dazu zählen zunächst auch die in § 14 Abs. 4 SGB XI in der Fassung bis zum 31.12.2016 von der Pflegeversicherung erfassten Bereiche der Körperpflege (Waschen, Duschen, Baden, Zahnpflege, Kämmen, Rasieren, Darm- und Blasenentleerung), Ernährung (mundgerechtes Zubereiten und Aufnahme der Nahrung) und Mobilität (Aufstehen, Zubettgehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen, Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung). Diese Bereiche wurden in § 15 Abs. 3 SGB XI in der Fassung bis zum 31.12.2016 (nunmehr aber in § 15 Abs. 2 bis 7 SGB XI in der Fassung ab dem 01.01.2017) unter dem Begriff der sogenannten Grundpflege zusammengefasst. Hinzu kommen Maßnahmen zur psychischen Erholung, geistigen Anregung und Kommunikation (Sehen, Hören, Sprechen und Fähigkeit zu Interaktionen). Nicht vom Begriff der Hilflosigkeit umschlossen ist der Hilfebedarf bei hauswirtschaftlichen Verrichtungen (BSG, Urteil vom 12.02.2003 – B 9 SB 1/02 R, juris Rn. 11 ff.).
Der Umfang der wegen der Behinderung notwendigen zusätzlichen Hilfeleistungen muss erheblich sein. Dabei ist in der Regel auf die Zahl der Verrichtungen, den wirtschaftlichen Wert der Hilfe und den zeitlichen Aufwand abzustellen. Bislang war mit Blick auf die ehemals geltenden gesetzlichen Vorgaben in der sozialen Pflegeversicherung in § 15 SGB XI in der Fassung bis zum 31.12.2016 die Erheblichkeit des Hilfebedarfs in erster Linie nach dem täglichen Zeitaufwand für erforderliche Betreuungsleistungen zu beurteilen. Gemessen an diesem Maßstab ist nicht hilflos, wer nur in relativ geringem Umfange, täglich etwa eine Stunde, auf fremde Hilfe angewiesen ist. Indes sind nicht zwingend schon bei einem Überschreiten dieser Mindestgrenze in jedem Fall die Voraussetzungen der Hilflosigkeit gegeben. Vielmehr war der tägliche Zeitaufwand für die Hilfeleistung erst dann für sich allein genommen hinreichend erheblich, wenn dieser mindestens zwei Stunden erreicht. Bei einem Hilfebedarf zwischen einer Stunde und zwei Stunden war bei der Frage der Erheblichkeit auf weitere Umstände, insbesondere den wirtschaftlichen Wert abzustellen. Dieser Wert wird wesentlich durch die Zahl und die zeitliche Verteilung der Verrichtungen bestimmt. Insbesondere für den Fall einer hohen Anzahl von Verrichtungen beziehungsweise deren ungünstiger zeitlicher Verteilung war auch bei einem Hilfebedarf von zwischen einer Stunde und zwei Stunden von dessen Erheblichkeit auszugehen (BSG, Urteil vom 24.11.2005 – B 9a SB 1/05 R, juris Rn. 16, 17). Die notwendige Bereitschaftszeit einer Hilfsperson war hierbei dann berücksichtigungsfähig, wenn die Hilfsperson dadurch zeitlich und örtlich ebenso beansprucht wird, wie bei körperlicher Hilfeleistung (BSG, Urteil vom 12.02.2003 – B 9 SB 1/02 R, juris). An diesen Rechtsgrundsätzen ändert sich auch nichts durch die durch das Zweite Gesetz zur Stärkung der pflegerischen Versorgung und zur Änderung weitere Vorschriften vom 21.12.2015 (BGBl. 2015, S. 2424 ff.) zum 01.01.2017 erfolgte Einführung des neuen Pflegebegriffs in §§ 14, 15 SGB XI in der Fassung ab dem 01.01.2017. Auch hier kommt es weiter auf den objektivierten Zeitaufwand an. Erst ab Pflegegrad 4 kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass generell eine Hilfebedürftigkeit besteht (BSG, Beschluss vom 27.12.2018 – B 9 SB 5/18 BH, juris Rn. 5; vergleiche zum Ganzen Sächsisches LSG, Urteil vom 10.10.2019 – L 9 SB 143/16, juris Rn. 54; LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 11.10.2019 – L 13 SB 289/18, juris Rn. 38, 39).
Zur Überzeugung des Senates waren beim Kläger diese Voraussetzungen jedenfalls in der Zeit vor dem 25.05.2020 nicht erfüllt.
Das SG Stuttgart hat in seinem Gerichtsbescheid vom 26.01.2021 zutreffend dargelegt, dass und warum die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs H nicht gegeben waren, da nach dem damals aktenkundigen Pflegegutachten des MDK Baden-Württemberg der Zeitaufwand für erforderliche Betreuungsleistungen im Bereich der Grundpflege nur 47 Minuten täglich betragen hat. Der Senat schließt sich insoweit den Ausführungen im Gerichtsbescheid des SG Stuttgart vom 26.01.2021 an, weist die Berufung insoweit aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück und sieht gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.
Ein anderes Bild ergibt sich erst aus dem Pflegegutachten des MDK Baden-Württemberg vom 24.09.2020 für die Zeit ab 25.05.2020, dem Datum des Antrags auf höhere Leistungen wegen Pflegebedürftigkeit. Denn in diesem Gutachten, das sich nicht nur auf ein strukturiertes Telefoninterview, sondern auch auf die Aktenlage und das vorangegangene Pflegegutachten des MDK Baden-Württemberg vom 17.06.2020 gestützt hat, ist – auch unter Berücksichtigung der Angaben der Pflegeperson, es bestehe ein Pflegeaufwand von 28 Stunden wöchentlich – damit also 4 Stunden täglich – ein Pflegegrad 4 rückwirkend seit Antragstellung am 25.05.2020 vorgeschlagen worden. Dies hat auch die Techniker Krankenkasse im Bescheid vom 25.09.2020 so umgesetzt. Dem Pflegegutachten des MDK Baden-Württemberg vom 24.09.2020 hat dann auch der Beklagte zu Recht mit seinem Teil-Anerkenntnis Rechnung getragen.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs RF.
Unter welchen gesetzlichen Voraussetzungen ein Anspruch auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs RF besteht, ist in § 3 Abs. 1 Nr. 5 SchwbAwV landesrechtlich und war daher in Baden-Württemberg für die Zeit bis zum 31.12.2012 in § 6 Abs. 1 Nrn. 7 und 8 Rundfunkgebührenstaatsvertrag (RGebStV) vom 15.10.2004 geregelt, der ab dem 01.04.2005 in der Fassung des Gesetzes vom 17.03.2005 (GBl. S. 189) und ab dem 01.01.2009 in der Fassung des Zwölften Staatsvertrages zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge vom 18.12.2008 (GBl. 2009, S. 131) galt. Für die Zeit ab dem 01.01.2013 regelt dies nunmehr der Rundfunkbeitragsstaatsvertrag (RBStV) vom 15. bis 21.12.2010, der in Baden-Württemberg durch das Gesetz zum Fünfzehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrag und zur Änderung medienrechtlicher Vorschriften vom 18.10.2011 (GBl. S. 477 ff.) zum 01.01.2013 in Kraft gesetzt worden ist. Nach § 4 Abs. 2 RBStV wird bei gesundheitlichen Einschränkungen keine Befreiung mehr gewährt, sondern es werden lediglich die Rundfunkbeiträge auf ein Drittel ermäßigt. Die medizinischen Voraussetzungen haben sich im Vergleich zu den nach § 6 Abs. 1 Nrn. 7 und 8 RGebStV geltenden Voraussetzungen jedoch nicht geändert. So besteht nach § 4 Abs. 2 Nr. 1 RBStV (früher § 6 Abs. 1 Nr. 7 a RGebStV) ein Anspruch auf die Feststellung des Merkzeichens RF für blinde oder nicht nur vorübergehend wesentlich sehbehinderte Menschen mit einem GdB von (wenigstens) 60 allein wegen der Sehbehinderung, nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 RBStV (früher § 6 Abs. 1 Nr. 7 b RGebStV) für hörgeschädigte Menschen, die gehörlos sind oder denen eine ausreichende Verständigung über das Gehör auch mit Hörhilfen nicht möglich ist und nach § 4 Abs. 2 Nr. 3 RBStV (früher § 6 Abs. 1 Nr. 8 RGebStV) für behinderte Menschen, deren GdB nicht nur vorübergehend wenigstens 80 beträgt und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können.
Generell gilt, dass Betroffene wegen ihrer Leiden allgemein und umfassend von der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen ausgeschlossen sein müssen, welche in diesem Sinne Zusammenkünfte politischer, künstlerischer, wirtschaftlicher, sportlicher, kirchlicher, unterhaltender oder wirtschaftlicher Art sein können (BSG, Urteil vom 11.09.1991 – 9 a/9 RVS 15/98, juris). Insoweit ist zu beachten, dass es nicht genügt, dass der schwerbehinderten Person der Zugang zu einer einzigen Art oder von einigen oder mehreren oder den meisten Arten von Veranstaltungen verschlossen ist, sondern erforderlich ist, dass die Möglichkeit der Beteiligung schlechthin an allen öffentlichen Versammlungen ausgeschlossen ist (BSG, Urteil vom 17.03.1982 – 9a/9 RVs 6/81, juris). Eine Teilnahme an solchen Veranstaltungen ist dann unmöglich, wenn die schwerbehinderte Person wegen ihres Leidens ständig, das heißt allgemein und umfassend vom Besuch ausgeschlossen ist, also allenfalls an einem nicht nennenswerten Teil der Gesamtheit solcher öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen kann. Die schwerbehinderte Person muss praktisch an das Haus gebunden sein. Im Übrigen kommt eine Unzumutbarkeit aus dem Blickwinkel der anderen Teilnehmer an einer Veranstaltung allenfalls in Betracht, wenn eine starke motorische Unruhe oder ekelerregende oder ansteckende Krankheiten der schwerbehinderten Person auf die Umgebung abstoßend oder störend wirken (BSG, Urteil vom 10.08.1993 – 9/9a RVs 7/91, juris).
Ferner wird darauf hingewiesen, dass die Gesellschaft Menschen mit allen Arten von Behinderungen eine weitestmögliche Einbeziehung in ihr Leben schuldig ist. Im Sinne der Zielsetzung des SGB IX, das der Eingliederung der Behinderten in Arbeit, Beruf und Gesellschaft dient, gebietet die Menschenwürde nicht die Zuerkennung des Merkzeichens RF mit der Begründung, dass Behinderte für die Öffentlichkeit nicht tragbar und daher abzusondern seien, sondern die Förderung aktiver Teilnahme der Behinderten am gesellschaftlichen Leben. Der Zweck des Merkzeichens RF würde in sein Gegenteil verkehrt, wenn es schon zuerkannt würde, um besonderen Empfindlichkeiten der Öffentlichkeit Rechnung zu tragen. Der Öffentlichkeit würde dann die Ausgrenzung der Behinderten erlaubt. Im Übrigen ist aber nur ein Teil öffentlicher Veranstaltungen so geartet, dass bestimmte Behinderungen objektiv störend sind. Dies gilt für störende akustische Nebengeräusche bei musikalischen Darbietungen oder für Geruchsbelästigungen in engen geschlossenen Räumen, zum Beispiel Restaurants. Bei den meisten öffentlichen Veranstaltungen wie in Kirchen und in der Politik herrscht entweder Toleranz oder sie spielen sich ohnedies im Rahmen von Sport, Volksfesten, Messen und Märkten in einem lebhaften geräuschvollen Rahmen ab, so dass Störungen durch Behinderte nicht ins Gewicht fallen (BSG, Urteil vom 10.08.1993 – 9/9a RVs 7/91, juris).
Zur Überzeugung des Senats sind beim Kläger diese Voraussetzungen nicht erfüllt.
Das SG Stuttgart hat in seinem Gerichtsbescheid vom 26.01.2021 zutreffend dargelegt, dass und warum die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs RF nicht gegeben sind, da der Kläger nicht blind und nicht gehörlos ist und ihm eine ausreichende Verständigung über das Gehör auch mit Hörhilfen möglich ist und der Kläger nicht ständig wegen seiner Leiden vom Besuch öffentlicher Veranstaltungen ausgeschlossen ist, weil er trotz der bei ihm bestehenden Gesundheitsstörungen öffentliche Veranstaltungen aufsuchen und an ihnen teilnehmen kann, zumal er auf das Tragen von Windelhosen oder anderen Inkontinenzartikeln verwiesen werden kann und sich eine ständige Hinderung an der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen auch nicht aus dem Schlafapnoe-Syndrom und dem beginnenden dementiellen Syndrom ergibt, weil den Nachteilsausgleich RF nur solche Behinderte beanspruchen können, die physisch an öffentlichen Veranstaltungen nicht teilnehmen können. Der Senat schließt sich insoweit den Ausführungen im Gerichtsbescheid des SG Stuttgart vom 26.01.2021 an, weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück und sieht gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.
Aus den im Berufungsverfahren eingeholten Zeugenauskünften ergibt sich nichts Anderes.
Zwar leidet der Kläger ausweislich den von Dr. B1, Dr. R und Dr. E1 aufgeführten Diagnosen Adipositas permagna, Diabetes mellitus Typ 2 mit entgleister Stoffwechsellage, diabetischem Spätsyndrom in Form von Angiopathie und distal-symmetrischer Polyneuropathie mit mittelschwerer bis schwerer Gangunsicherheit sowie Konzentrationsstörung und kognitiver Einschränkung, Hypertonie, koronare Herzkrankheit, Schlafapnoesyndrom, Urininkontinenz, Miktionsstörung, Lumbalsyndrom bei mäßiger Spondylarthrose, Spondylolysis vera L5/S1 beidseits, Lipomatose in Höhe S1 mit relativer Spinalkanalstenose, Bandscheibenvorfall, medialbetonte Gonarthrose beidseits sowie Lumboischialgie rechts und den zuvor bereits aktenkundigen Erkrankungen Prostatahyperplasie, COPD beziehungsweise chronisch obstruktive Ventilationsstörung, Hypothyreose, Fibromyalgie, tracheo-bronchialer Kollaps, Urticaria, Innenmeniskusriss rechts, Innenohrschwerhörigkeit sowie Ohrgeräusche unter vielfältigen und teilweise erheblich beeinträchtigenden Erkrankungen. Die sich hieraus ergebenden Funktionsbeeinträchtigungen, die inzwischen mit einem Gesamt-GdB von 100 bewertet sind und zur Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Merkzeichen G, B und H ab 25.05.2020 geführt haben, rechtfertigen allerdings weiterhin nicht die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens RF.
Dabei hat der Senat insbesondere berücksichtigt, dass zwar Dr. B1 die aufgrund der Polyneuropathie, des massiven Übergewichts und der vermuteten Spinalkanalstenose bestehende Gangstörung als schwer eingeschätzt hat, aber der Kläger nach den Angaben des Dr. B1 im Rahmen der dortigen Praxisbesuche an Krücken mobil und in der Lage gewesen ist, eine – wenn auch wenige Meter betragende – Gehstrecke zurückzulegen. Die Einschätzung des Dr. B1, eine aktive Teilnahme am öffentlichen Leben scheine nicht mehr gegeben, teilt der Senat daher nicht. Die Einschätzung des Dr. B1, dies werde auch mit durch die Urininkontinenz bedingt und der Kläger sei in seiner Bewegungsfähigkeit so eingeschränkt, dass bei Harndrang eine Toilette nicht mehr ausreichend rasch aufgesucht werden könne, führt zu keiner anderen Einschätzung. Dass das Leiden eines unkontrollierten Harnabgangs nicht die Zuerkennung des Merkzeichens RF rechtfertigt, ergibt sich – worauf bereits das SG Stuttgart zutreffend hingewiesen hat – daraus, dass der Kläger objektiv in der Lage ist, durch Benutzung von Einmalwindeln, die den Harn ohne Geruchsbelästigung für die Umwelt auffangen, den meisten öffentlichen Veranstaltungen ungestört bis zu ihrer Beendigung beizuwohnen, und die Verweisung auf das Benutzen von Windelhosen weder gegen die Würde des Menschen noch gegen den Sozialstaatsgrundsatz verstößt. Der Kläger wird dadurch nicht zum Objekt des Staates gemacht oder einer Behandlung ausgesetzt, die seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt. Der Kläger wird vielmehr mit seiner schweren Behinderung anerkannt, die schicksalhafter Teil des menschlichen Lebens ist und als solche ebensowenig gegen die Menschenwürde verstößt wie das Leben unter anderen beschwerlichen Umständen. Die Notwendigkeit, Windelhosen zu tragen, ist nur eine Auswirkung dieser Behinderung. Es handelt sich dabei um ein übliches, behindertengerechtes Hilfsmittel, dessen funktionsgerechte Benutzung als solche keine Verletzung der Menschenwürde darstellen kann, weil sie den behinderten Menschen nicht zusätzlich herabmindert, sondern im Rahmen des Möglichen die Auswirkungen seiner Behinderung mildert. Das subjektive Empfinden des Behinderten, der dies als unangenehm empfinden mag, ist eine verständliche Begleiterscheinung seiner Erkrankung, hat aber nicht zur Folge, ihm deswegen überhaupt nicht mehr den Besuch öffentlicher Veranstaltungen zuzumuten. Allenfalls das Bekanntwerden oder die Auffälligkeit eines solchen Hilfsmittels könnte seine Benutzung bei öffentlichen Veranstaltungen im Hinblick auf vielerorts anzutreffende Intoleranz als subjektiv unzumutbar erscheinen lassen. Dafür, dass solches zu befürchten ist, bestehen aber keine Anhaltspunkte (zum Ganzen BSG, Urteil vom 09.08.1995 – 9 RVs 3/95, juris Rn. 11, 12).
Aus den von Dr. R beschriebenen Wirbelsäulenschäden mit erheblicher Bewegungseinschränkung samt der mittelgradigen medialbetonten Gonarthrose ergibt sich keine andere Beurteilung. Diese Gesundheitsstörungen machen es dem Kläger nicht unmöglich, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen. Der Kläger ist hierdurch nicht praktisch an das Haus gebunden.
Schließlich rechtfertigt der von Dr. E1 beschriebene Diabetes mellitus Typ 2 mit einhergehender außergewöhnlich schwer regulierbarer Stoffwechsellage und Polyneuropathie mit Gangstörung keine andere Beurteilung, zumal nach ihrer Einschätzung das Gangbild zwar zunehmend breitbasiger, kleinschrittig und unsicher geworden ist, aber der Kläger in der Lage gewesen ist, meistens mit zwei Gehstützen bei ihr zu erscheinen, und selbstständiges Gehen in der Praxis mit den Hilfsmitteln möglich gewesen ist.
Ferner rechtfertigt das sich insbesondere aus den Angaben in dem Pflegegutachten des MDK Baden-Württemberg vom 24.09.2020 ergebende demenzielle Syndrom mit beginnend mittelschwerer Leistungsbeeinträchtigung, das inzwischen in der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. G vom 22.07.2021 mit einem Einzel-GdB von 50 beurteilt worden ist, ebenfalls nicht die Vergabe des Merkzeichens RF.
Nach alledem ist der Kläger wegen seiner Leiden nicht ständig gehindert, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen.
Weitere Ermittlungen waren nicht erforderlich. Insbesondere waren entgegen den Ausführungen des Klägers weder „M. R1, F-E-S 30, in S, Leiter der Abteilung für Schwerbehindertenrecht beim Versorgungsamt in S, Landratsamt B3“ noch Dr. B1 im Rahmen der mündlichen Verhandlung als Zeugen zu hören. Denn der Beklagte hat sich zuletzt mit seiner Stellungnahme vom 22.07.2021 samt beigefügter versorgungsärztlicher Stellungnahme vom 22.07.2021 sowie im Rahmen der mündlichen Verhandlung umfassend geäußert, so dass ein weiterer Erkenntnisgewinn aus einer Vernehmung eines Mitarbeiters des Beklagten nicht zu erwarten war. Eine Einvernahme des Dr. B1 als Zeuge war, nachdem seine unter dem 07.07.2021 erfolgte schriftliche Auskunft im Zusammenhang mit den weiteren im Berufungsverfahren eingeholten Auskünften von Dr. R und Dr. E1 sowie dem Pflegegutachten des MDK Baden-Württemberg vom 24.09.2020 keine den gesundheitlichen Zustand des Klägers betreffende streitgegenständliche Fragen mehr offen ließ, nicht erforderlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Der Senat hat dabei berücksichtigt, dass der Kläger zwar mit seinem auf die Erhöhung des GdB von 90 auf 100 gerichteten Begehren erfolgreich gewesen ist, allerdings die vom Beklagten anerkannte Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs H auf einer Gesundheitsverschlechterung im Rahmen des Klageverfahrens beruht und der Kläger mit seinem auf die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs RF nicht durchgedrungen ist.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.