L 7 AS 1476/21 NZB

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 6 AS 1533/21
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 7 AS 1476/21 NZB
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Berufung in dem Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 22.09.2021 wird zurückgewiesen.       

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe:

I.

Die Klägerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung in einem Klageverfahren, das auf eine Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von Zinsen für eine zwischen den Beteiligten vergleichsweise ausgehandelte Nachzahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gerichtet ist.

Zwischen den Beteiligten war in diversen Klageverfahren vor dem Sozialgericht Duisburg (S 41 AS 650/18; S 41 AS 21/19; S 41 AS 1540/19; S 41 AS 1911/19; S 41 AS 2176/19; S 41 AS 2910/19; S 41 AS 4393/19) die Höhe der Leistungen der Klägerin für den Zeitraum von Juni 2016 bis März 2017 streitig. In einem für die Streitsachen anberaumten gemeinsamen Termin zur Erörterung des Sachverhalts am 20.12.2019 berechnete der Beklagte nach rechtlichem Hinweis des Gerichts für den Zeitraum einen Nachzahlungsbetrag iHv insgesamt 6.119,93 € (Juni 2016: 477,35 €; Juli und August 2016: jeweils 509,75 €; September 2016: 574,55 €; Oktober 2016: 824,98 €; November 2016: 852,65 €; Dezember 2016: 910,83 €; Januar, Februar 2017 und März 2017: jeweils 486,69 €). Auf Vorschlag des Gerichts rundeten die Beteiligten den Nachzahlungsbetrag auf insgesamt 6.500 € auf. In dem protokollierten Vergleichstext des Gerichts heißt es hierzu: „Der Beklagte zahlt an die Kläger zur Abgeltung aller noch offenen Ansprüche beider Kläger im Zeitraum bis einschließlich September 2017 über die bereits bewilligten Leistungen hinaus einen weiteren Betrag in Höhe von 6.500 € an die Klägerin R.“

Am 07.05.2020 erhob die Klägerin beim Sozialgericht Duisburg Klage und beantragte die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von „Verzugszinsen“ für den Nachzahlungsbetrag (S 6 AS 1677/20). Mit Urteil vom 29.03.2021 wies das Sozialgericht die Klage ab. Für Verzugszinsen gebe es im Sozialrecht keine Grundlage. Auch ein Anspruch auf der Grundlage von § 44 SGB I sei nicht gegeben, weil aus dem Vergleichstext hervorgehe, dass die Summe von 6.500 € abschließend sein solle und sämtliche möglichen Ansprüche der Klägerin für den genannten Zeitraum abgelten solle. Die Klägerin machte mit Schriftsatz vom 23.04.2021 zu dem vorgenannten Aktenzeichen erneut die Zahlung von „Verzugszinsen“ geltend und beantragte mit Schriftsatz vom 29.04.2021 eine Wiederaufnahme des Verfahrens. Das Sozialgericht wies die Klägerin mit Schreiben vom 07.05.2021 darauf hin, es lägen keine Wiederaufnahmegründe vor, so dass das Verfahren als erledigt zu betrachten sei.

Am 14.05.2021 hat die Klägerin beim Sozialgericht Duisburg Klage erhoben und erneut die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von Verzugszinsen für den am 20.12.2019 ausgehandelten Vergleichsbetrag beantragt. Auf Anfrage des Sozialgerichts haben die Beteiligten sich mit Schreiben vom 11.06.2021 und 05.07.2021 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung für einverstanden erklärt. Mit Urteil vom 22.09.2021 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Sie sei unzulässig, weil über das Klagebegehren in der Sache SG Duisburg – S 6 AS 1677/20 – rechtskräftig entschieden worden sei. Die Klage sei zudem mangels Vorverfahrens unzulässig. Inhaltlich werde darüber hinaus auf das Urteil in der Sache S 6 AS 677/20 Bezug genommen. Gemäß der Rechtsmittelbelehrung des Urteils ist eine Berufung nur bei nachträglicher Zulassung durch das Landessozialgericht statthaft.

Gegen dieses Urteil richtet sich die am 29.09.2021 eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin. Aus dem Urteil des BSG vom 03.07.2020 – B 8 SO 15/19 R – ergebe sich, dass sie einen Anspruch auf eine Verzinsung des Nachzahlungsbetrages habe. Der Beklagte hat auf Anfrage des Senats mit Schriftsatz vom 29.12.2021 eine Berechnung vorgelegt, gemäß der der Klägerin bei einem Erfolg ihres Begehrens Zinsen auf der Grundlage von § 44 SGB I iHv insgesamt 660,83 € nachzuzahlen seien. Wegen der Einzelheiten der Berechnung wird auf den Schriftsatz des Beklagten vom 29.12.2021 Bezug genommen. Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 22.02.2022 erklärt, mit der Berechnung einverstanden zu sein.

 

II.

Die Nichtzulassungsbeschwerde (§ 145 SGG) ist statthaft und zulässig. Die Berufung ist zulassungsbedürftig. Der Wert des Beschwerdegegenstands übersteigt nicht 750 € iSv § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG, denn streitgegenständlich sind Zinsen iHv insgesamt 660,83 €. Der Senat verweist auf die überzeugende Berechnung des Beklagten im Schriftsatz vom 29.12.2021, der die Klägerin nicht entgegengetreten ist. Es sind auch keine wiederkehrenden oder laufenden Leistungen für mehr als ein Jahr iSv § 144 Abs.1 Satz 2 SGG betroffen.

Die Beschwerde ist unbegründet.

Nach § 144 Abs. 2 SGG ist eine Berufung zuzulassen, wenn 1. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, 2. das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder 3. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Dies macht die Klägerin auch nicht geltend. Vielmehr beruft sie sich darauf, dass nach höchstrichterlicher Rechtsprechung (BGS Urteil vom 03.07.2020 – B 8 SO 15/19 R) ein Anspruch auf Verzinsung von Nachzahlungsbeträgen bestehe. Im Kern macht sie (lediglich) die inhaltliche Unrichtigkeit der sozialgerichtlichen Entscheidung geltend. Grundsätzlich ist diese im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde nicht zu prüfen (vgl. zur allgemeinen Auffassung etwa auch  BSG Beschluss vom 28.10.2020 – B 10 EG 1/20 BH,  Rn. 7, 11 m.w.N.).

Grundsätzliche Bedeutung iSv § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG hat eine Rechtssache überdies nur, wenn sie eine bisher ungeklärte Rechtsfrage aufwirft (Klärungsfähigkeit), deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern (Klärungsbedürftigkeit). Ein Individualinteresse genügt nicht. Die Rechtsfrage darf sich nicht unmittelbar und ohne weiteres aus dem Gesetz beantworten lassen oder bereits von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entschieden sein. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben. Zunächst ist höchstrichterlich – worauf die Klägerin zutreffend hinweist - geklärt, dass und unter welchen Voraussetzungen Nachzahlungsbeträge zu verzinsen sind (BSG Urteil vom 03.07.2020 a.a.O.; vgl. auch BSG Urteil vom 27.06.2017 – B 2 U 14/15 R, juris; BSG Urteil vom 27.08.1998 – B 9 V 26/97 R, juris).

Soweit das Sozialgericht einen Anspruch der Klägerin mit dem Argument verneint hat, die Klage sei bereits unzulässig, weil hinsichtlich des Zinsanspruchs kein Vorverfahren durchgeführt sei (gemeint wohl: das Fehlen eines Verwaltungsverfahrens), stellen sich ebenfalls keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung. Es ist höchstrichterlich geklärt, dass Haupt- und Zinsentscheidung grundsätzlich in zwei selbstständigen (materiellen) Verwaltungsakten zu verlautbaren sind, die zeitgleich im selben Bescheid, aber auch zeitversetzt in verschiedenen Bescheiden erlassen werden können (BSG Urteil vom 03.07.2020 a.a.O. Rn. 16; vgl. zum Erfordernis eines abgeschlossenen Verwaltungsverfahrens hinsichtlich des Anspruchs auf Verzinsung nach § 44 SGB I auch LSG NRW Urteil vom 12.01.2012 – L 19 AS 1473/11 sowie LSG Bayern Urteil vom 12.07.2018 – L 18 SO 29/18).

Letztlich wären die vorstehenden Rechtsfragen aber auch deshalb nicht entscheidungserheblich und damit nicht klärungsfähig, weil das Sozialgericht die von ihm angenommene Unzulässigkeit der Klage – kumulativ – auch mit der materiellen Rechtskraft des im Verfahren S 6 AS 1677/20 des Sozialgerichts Duisburg ergangenen Urteils begründet hat. Die Frage der Reichweite der materiellen Rechtskraft von Urteilen iSv § 141 Abs. 1 SGG ist indes geklärt (vgl. hierzu nur BSG Beschluss vom 25.08.2014 – B 11 AL 138/13 B).

Darüber hinaus hat das Sozialgericht zur Begründung der Klageabweisung auf die Begründung des Urteils des im Verfahren S 6 AS 1677/20 des Sozialgerichts Duisburg Bezug genommen und sich auf die Auslegung des im Termin zur Erörterung des Sachverhalts am 20.12.2019 geschlossenen Vergleichs gestützt, die erkennbar einzelfallgeprägt ist. Es ist höchstrichterlich geklärt, dass es sich bei der Frage, welche Erklärungen die Beteiligten im Rahmen eines Vergleichs abgegeben haben, um eine Tatfrage handelt (BSG Urteil vom 27.06.2017 – B 2 U 14/15 R, juris, Rn. 9). Nur ergänzend weist der Senat darauf hin, dass hier alles dafür spricht, dass die Beteiligten eine – die Frage der Verzinsung einschließende – abschließende Regelung der Nachzahlungspflicht (die Gegenstand von 7 Klageverfahren war) haben treffen wollen, so dass die Klägerin materiell-rechtlich gegenüber der Beklagten keine weitergehenden Ansprüche aufgrund dieses Sachverhalts durchsetzen kann (vgl. auch BSG Beschluss vom 07.07.2021 – B 5 R 12/21 BH, juris).

Auch der Berufungszulassungsgrund des § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG (Divergenz) ist nicht gegeben. Eine Divergenz liegt nur vor, wenn ein Sozialgericht in der angefochtenen Entscheidung einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem abstrakten Rechtssatz des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts aufgestellt hat. Eine Abweichung ist nicht schon dann anzunehmen, wenn die Entscheidung des Sozialgerichts nicht den Kriterien entspricht, die diese Gerichte aufgestellt haben, sondern erst dann, wenn es diesen Kriterien widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Eine evtl. Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall begründet keine Divergenz (vgl. BSG Beschluss vom 05.10.2010 – B 8 SO 61/10 B mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen zum insoweit gleichlautenden § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG; ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. nur Beschluss vom 11.07.2019 – L 7 AS 689/19 NZB). Bei der Frage, ob eine Abweichung von einer Entscheidung des Landessozialgerichts zu bejahen ist, beschränkt sich die Prüfung auf das zuständige Berufungsgericht (Breitkreuz/Schreiber in: Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Aufl., § 144 Rn. 35). Das Sozialgericht hat keinen abweichenden Rechtssatz in diesem Sinne aufgestellt, insbesondere hat es in der angefochtenen Entscheidung keinen vom Urteil des Bundessozialgerichts vom 03.07.2020 (a.a.O.) abweichenden Rechtssatz aufgestellt. Dies schon deshalb nicht, weil es die Klage aus mehreren Gründen als unzulässig angesehen hat.

Ebenso wenig liegt der Zulassungsgrund des § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG vor. Die Klägerin hat keinen Verfahrensmangel geltend gemacht, auf dem das Urteil beruhen könnte. Ein solcher ist auch nicht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).

 

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Aus
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