L 7 AS 1066/21 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 87 AS 4817/18
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 7 AS 1066/21 B
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Auf die Beschwerde der Beteiligten wird der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 10.06.2021 aufgehoben. Der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist zulässig.

Kosten des Beschwerdeverfahrens haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Die Beschwerde wird nicht zugelassen.

      

Gründe:

I.

Die Beteiligten wenden sich mit ihren Beschwerden gegen einen Beschluss des Sozialgerichts Dortmund, das das Klageverfahren an das Amtsgericht Dortmund verwiesen hat.

Der 1962 geborene Kläger bezog im Jahr 2018 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II vom Jobcenter E. Zur Feststellung der Erwerbsfähigkeit des Klägers erstellte der Beklagte, Facharzt für Arbeits- und Allgemeinmedizin, im Auftrag des Jobcenters eine sozialmedizinische Stellungnahme vom 10.08.2018 und kam darin zur Einschätzung, dass der Kläger nicht über sechs Monate erwerbsunfähig sei.

Am 24.09.2018 hat der Kläger bei dem Sozialgericht Dortmund gegen das „Jobcenter E, Berufsförderungswerk“ mit dem „Ziel Aufhebung des Bescheids sog Beurteilung vom 10.8.18 und Neubescheidung der sog AU: unbefristet“ Klage erhoben. Vom Sozialgericht darauf hingewiesen, dass die sozialmedizinische Stellungnahme kein anfechtbarer Verwaltungsakt sei, hat der Kläger an seiner Klage festgehalten. Mit Beschluss vom 14.01.2019 hat das Sozialgericht Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren abgelehnt. Die sozialmedizinische Stellungnahme des Beklagten sei kein Verwaltungsakt, für eine Feststellungsklage fehle es an einem Feststellungsinteresse. Der Kläger sei nicht schutzlos. Er könne sich gegen Verwaltungsakte wenden, die auf der Grundlage der sozialmedizinischen Stellungnahme erlassen würden.

Nach einem Wechsel im Kammervorsitz hat sich der Kläger zu seinem Begehren in einem Erörterungstermin vom 25.08.2020 nach der hierüber gefertigten Sitzungsniederschrift wie folgt geäußert: „Klagen möchte ich gegen Herrn K vom Berufsförderungswerk E. Dieser hat eine Beurteilung vom 10.08.2018 an mir vorgenommen. Konkret gegen diese Beurteilung möchte ich vorgehen. Sollte dieses Vorgehen zur Folge haben, dass nun der Beklagte ausgetauscht werden muss, so bin ich damit einverstanden. Sollte dieses Vorgehen zur Folge haben, dass eine andere Kammer im Rahmen des Sozialgerichts zuständig ist für die Beurteilung dieser Klage, so bin ich auch mit diesem Vorgehen einverstanden“. Im Nachgang zu dem Erörterungstermin hat das Sozialgericht den Kläger gebeten, einen Klageantrag gegen den Beklagten auszuformulieren. Zugleich hat es um Bezifferung eines ihm gegebenenfalls entstandenen Schadens gebeten.

Der Kläger hat daraufhin mitgeteilt, es gehe ihm um Feststellung, dass zum Zeitpunkt der Begutachtung durch den Beklagten eine unbefristete Arbeitsunfähigkeit vorgelegen habe. Hierzu seien Sachbearbeiterinnen des Jobcenters zu hören. Er hat sich auf ein Gutachten von Herrn A nach Aktenlage berufen, wonach unbefristete Arbeitsunfähigkeit bestehe. Es könne keinem Zweifel unterliegen, dass es sich bei den Feststellungen des Beklagten um einen Verwaltungsakt handele, denn das Gutachten sei für ein von ihm geführtes Rentenverfahren bindend.

Das Sozialgericht hat dargelegt, die sozialmedizinische Stellungnahme des Beklagten habe sich durch die nachfolgende Feststellung unbefristeter Arbeitsunfähigkeit im Rechtssinne „erledigt“. Der Kläger möge konkret darlegen, warum er gleichwohl eine Feststellung beantrage.

Das Jobcenter E, zu diesem Zeitpunkt vom Sozialgericht als Beklagter geführt, hat die Rechtsauffassung vertreten, eine Zuständigkeit des Sozialgerichts sei nicht erkennbar. Vielmehr habe der Kläger im Erörterungstermin vom 25.08.2020 ausgeführt, er wolle gegen den Beklagten vorgehen.

Das Sozialgericht hat den Kläger sodann darauf hingewiesen, dass die Klage nach derzeitiger Prüfung der Sach- und Rechtslage unzulässig sein dürfte, denn für eine reine Feststellungsklage sei das erforderliche Fortsetzungsfeststellungsinteresse nicht ersichtlich. Das Gericht erwarte nunmehr eine konkrete Beschreibung des Fortsetzungsfeststellungsinteresses oder aber eine Klagerücknahme. Ansonsten werde das Verfahren an das zuständige Zivilgericht verwiesen. Zugleich hat das Sozialgericht eine Änderung des Rubrums verfügt und den jetzigen Beklagten anstelle des Jobcenters E als Beklagten aufgenommen.

Der Beklagte hat die Auffassung vertreten, die Klage sei unzulässig. Seine Aufgabe als Gutachter des Berufsförderungswerks erfolge nebenberuflich und unabhängig. Auftraggeber des Gutachtens sei das Jobcenter E gewesen. Er habe keinen Bescheid erlassen.

Mit Beschluss vom 10.06.2021 hat das Sozialgericht den Rechtsstreit nach Anhörung der Beteiligten an das Amtsgericht Dortmund verwiesen. Der beschrittene Rechtsweg zu den Sozialgerichten sei unzulässig. Es handele sich um keine öffentlich-rechtliche Streitigkeit iSv § 51 Abs. 1 SGG, da der Beklagte keine hoheitlich handelnde Person sei. Die Zuständigkeit des Amtsgerichts Dortmund ergebe sich aus § 23 ZPO, da die behauptete unerlaubte Handlung des in Dortmund ansässigen Beklagten im örtlichen Zuständigkeitsbereich des dortigen Amtsgerichts zu behandeln sei.

Hiergegen haben sowohl der Kläger (am 12.07.2021) als auch der Beklagte (am 22.06.2021) Beschwerde eingelegt. Der Kläger trägt vor, dass der Beklagte vorliegend als Amtsträger gehandelt habe, sodass von einer öffentlich-rechtlichen Streitigkeit auszugehen sei. Es sei zu klären, ob das Gutachten des Beklagten ein Verwaltungsakt gewesen ist. Hierfür spreche, dass Gutachten zur Feststellung der Erwerbsfähigkeit nach § 44a Abs. 1a SGB II Bindungswirkung, jedenfalls aber „administrative Relevanz“ hätten. Genau genommen sei es so, dass es der Arzt und nicht der Sachbearbeiter sei, der einen Verwaltungsakt setze. Die Verweisung eines Rechtsstreits an ein anderes Gericht entgegen dem ausdrücklichen Willen des Klägers sei rechtswidrig. Er habe dem Beklagten nie vorgeworfen, kriminell gehandelt zu haben. Der Beklagte habe allerdings seine Kompetenzen überschritten und in der Schlussfolgerung entgegen der eigenen Prognose geurteilt.

Der Beklagte hält den Sozialgerichtsweg für eröffnet, weil der Kläger eine rentenrelevante Änderung seines Gutachtens zur Erwerbsfähigkeit begehre. Das Amtsgericht habe keine Möglichkeit, die begehrte Änderung des Gutachtens vom 10.08.2018 herbeizuführen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten Bezug genommen.

 

II.

Die Beschwerden der Beteiligten sind statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie sind insbesondere nicht nach § 98 Satz 2 SGG ausgeschlossen. Nach § 98 Satz 1 SGG gelten für die sachliche und örtliche Zuständigkeit die §§ 17, 17a und 17b Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 GVG entsprechend. Nach § 98 Satz 2 SGG sind Beschlüsse entsprechend
§ 17a Abs. 2 und 3 GVG unanfechtbar. § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG bestimmt, dass, sofern der beschrittene Rechtsweg unzulässig ist, das Gericht dies nach Anhörung der Parteien von Amts wegen ausspricht und den Rechtsstreit zugleich an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtsweges verweist. Eine solche Verweisung hat das Sozialgericht vorliegend durch seinen Beschluss vom 10.06.2021 vorgenommen. Die Beschwerde ist gleichwohl nicht nach § 98 Satz 2 SGG ausgeschlossen, weil die Vorschrift nur für Verweisungen wegen (sachlicher) Unzuständigkeit innerhalb der Sozialgerichtsbarkeit, nicht aber bei Rechtswegverweisungen nach § 17a GVG anwendbar ist (vgl. dazu Schmidt in: Meyer-Ladewig, SGG, 13. Aufl., § 98 Rn. 3;
LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 25.07.2019 –
L 20 SO 60/19 B; LSG Sachsen Beschluss vom 10.07.2012 – L 7 SO 41/12 B). Die Beschwerden sind daher entsprechend § 202 SGG iVm § 17a Abs. 4 Satz 3 GVG statthaft (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl., § 51 Rn. 55). Die Beschwerden sind von den Beteiligten auch fristgemäß innerhalb der nach § 173 Satz 1 SGG maßgeblichen Monatsfrist (vgl. BSG Beschluss vom 29.09.2014 – 3 BS 2/93 mwN; Keller a.a.O. Rn. 56) erhoben worden.

Die Beschwerden der Beteiligten sind auch begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht den Rechtsweg zu den Zivilgerichten als eröffnet angesehen und den Rechtsstreit an das Amtsgericht Dortmund verwiesen. Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit entscheiden gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 4a SGG über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten in Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit liegt vor, wenn im Vordergrund für die Beurteilung der Rechtsbeziehungen die Anwendung öffentlich-rechtlicher Rechtsvorschriften steht und nicht vorrangig Vorschriften des bürgerlichen Rechts heranzuziehen sind (Keller a.a.O. Rn 4a). Maßgebender Anknüpfungspunkt für die Beurteilung der Zulässigkeit des Rechtswegs ist jedoch der Streitgegenstand, wie er sich auf der Grundlage des Klagebegehrens, also des geltend gemachten prozessualen Anspruchs, und des Klagegrunds, also des zu seiner Begründung vorgetragenen Sachverhalts, ergibt. Die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs hängt dabei grundsätzlich nicht vom Ergebnis einer materiell-rechtlichen Prüfung der Begründetheit des Klagebegehrens ab (BSG Beschluss vom 25.03.2021 – B 1 SF 1/20 R, Rn. 10, juris).

Der Kläger wendet sich mit seiner Klage (zwar) gegen das Ergebnis der Begutachtung seiner Erwerbsfähigkeit durch den Beklagten, der (aber) Beschäftigter des Berufsförderungswerks ist, das wiederum vom Jobcenter E mit der Begutachtung der Erwerbsfähigkeit beauftragt wurde. Die Begutachtung der Erwerbsfähigkeit erfolgt insoweit nach Maßgabe des § 44a SGB II. Daher hat der Kläger die Klage in nicht zu beanstandender Weise gegen das Jobcenter E gerichtet. Er hat eingehend dargelegt, warum die Feststellung der Erwerbsfähigkeit und das durch den Beklagten gefertigte Gutachten im sozialgerichtlichen Kontext des SGB II und des SGB VI für ihn von Relevanz sind. Hingegen begehrt der Kläger entgegen den Ausführungen des Sozialgerichts ersichtlich nicht die Durchsetzung deliktischer Ansprüche gegen den Beklagten.

In diesem Zusammenhang ist irrelevant, dass der Kläger die sozialmedizinische Stellungnahme vom 10.08.2020 als einen (noch dazu vom Beklagten) erlassenen Verwaltungsakt qualifiziert. Entscheidend ist, dass die Klage nach der Vorstellung des Klägers auf Beseitigung eines hoheitlichen Aktes gerichtet ist. In eine materiell-rechtliche Prüfung ist insoweit nicht einzutreten.

Für die Frage der Eröffnung des Sozialrechtswegs ist mithin nicht maßgeblich, dass weder die nach § 44a Abs. 1 SGB II erfolgende Feststellung der Erwerbsfähigkeit noch die in diesem Zusammenhang eingeholte gutachterliche Stellungnahme Verwaltungsakte iSd § 31 SGB X sind. Im Verhältnis zum Arbeitsuchenden handelt es sich um ein reines Verwaltungsinternum zur Klärung einer Vorfrage (Erwerbsfähigkeit nach § 8 SGB II) für die Entscheidung über Leistungen nach dem SGB II. Die Feststellung muss daher nicht gesondert tenoriert werden, sondern kann etwa auch in der Begründung eines Bescheides über die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II enthalten sein. Erst gegen diese abschließende Entscheidung über ihren Leistungsantrag können Leistungsberechtigte grundsätzlich Rechtsbehelfe einlegen (vgl. Brems in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl.,
§ 44a <Stand: 08.07.2021>, Rn. 51).

Auch im Hinblick auf § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG ist bei der Zulässigkeitsprüfung die Bestimmung des Rechtswegs durch den Klägervortrag hinzunehmen. Entscheidend für die Zulässigkeit des vom Kläger beschrittenen Rechtswegs ist, dass sich nicht nach jeder rechtlichen Betrachtungsweise ausschließen lässt, dass das Klagebegehren auf eine Anspruchsgrundlage gestützt werden kann, für die dieser Rechtsweg eröffnet ist. Nur Anspruchsgrundlagen, die offensichtlich nicht gegeben sind bzw. erkennbar vom Rechtsuchenden nur mit dem Ziel geltend gemacht werden, einen bestimmten Rechtsweg beschreiten zu können, haben bei der Prüfung des Rechtswegs deshalb außer Betracht zu bleiben (BSG Beschluss vom 25.03.2021 – B 1 SF 1/20 R, Rn. 10, juris). Für einen solchen Sachverhalt fehlt jeglicher Anhaltspunkt. Vielmehr spricht alles dafür, dass der Kläger sich – wie vom Sozialgericht zunächst zutreffend auch noch im Rahmen der Entscheidung über dessen Prozesskostenhilfegesuch angenommen – gegen das Jobcenter Dortmund und die Annahme seiner Erwerbsfähigkeit (wenn auch durch den Beklagten) wehren wollte. Darin ändert auch seine Einlassung im Erörterungstermin vom 25.08.2021 bei verständiger Würdigung seines Begehrens nichts. Die Änderung des Rubrums und der Austausch des Beklagten entsprechen bei verständiger Würdigung des Klägervortrags nicht dem Begehren des Klägers. Die prozessuale Einschätzung des Sozialgerichts ist insoweit schon vor dem Hintergrund seiner Aufforderung zur Mitteilung eines (konkreten) Feststellungsbegehrens für die seiner Auffassung nach „erledigte“ sozialmedizinische Einschätzung vom 10.08.2021 nicht nachvollziehbar. Insoweit werden Fragen der Zulässigkeit des Sozialrechtswegs in unzulässiger Weise mit allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen verquickt. Daher spricht derzeit alles dafür, dass das Sozialgericht nach Anhörung (sämtlicher) Beteiligter einschließlich des Jobcenters dessen (erneute) Aufnahme als Beklagter (anstelle des jetzigen Beklagten) in das Rubrum vorzunehmen haben wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG (vgl. zur Erforderlichkeit einer Kostenentscheidung im Verfahren über eine Rechtswegbeschwerde zuletzt BSG Beschluss vom 25.03.2021 a.a.O. Rn. 21; vgl. auch Keller a.a.O. Rn. 74a m.w.N. zur entsprechenden einhelligen Auffassung der Bundesgerichte; a.A. noch Beschluss des Senats vom 20.02.2019 – L 7 AS 2024/18 B, juris, Rn. 13).

Die Beschwerde war nicht gemäß § 202 SGG iVm § 17a Abs. 4 Satz 4, 5 GVG zuzulassen, weil Zulassungsgründe nicht ersichtlich sind.

 

Rechtskraft
Aus
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