Für das Ende des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 5 S. 1 SGB II nach erfolgreichem Abschluss eines abstrakt nach dem BAföG förderfähigen Hochschulstudiums kommt es weder auf die Exmatrikulation oder Aushändigung eines abschließenden Zeugnisses an, noch darauf, inwieweit die Ausbildung die Arbeitskraft des Studierenden zuletzt noch in Anspruch nimmt.
Maßgeblich ist gemäß § 15b Abs. 3 S. 3 BAföG vielmehr die - ggf. auch mündlich erfolgende - Bekanntgabe des Gesamtergebnisses des Studiums, mit der der Studierende Gewissheit über den Erfolg des Abschlussversuchs erlangt.
SOZIALGERICHT ALTENBURG
Im Namen des Volkes
URTEIL
In dem Rechtsstreit
……………,
……………
- Kläger -
Prozessbevollm.:
Rechtsanwälte ………..,
…………….
gegen
………….,
………….
…………..
- Beklagte -
hat die 30. Kammer des Sozialgerichts Altenburg auf die mündliche Verhandlung vom 19. November 2021 durch ihre Vorsitzende, die Richterin am Sozialgericht Ortloff-Victor sowie die ehrenamtlichen Richter Dietrich und Jürgens für Recht erkannt:
Die Beklagte wird unter Änderung des Bescheides vom 30.01.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.03.2020 verurteilt, dem Kläger für den Zeitraum 01.11.2019 bis 31.12.2019 Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu 2/3 zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ab wann der Kläger nach Abschluss seines Studiums Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II hatte.
Der 1992 geborene Kläger absolvierte an der F-Universität J (FSU) ein Masterstudium im Fach Werkstoffwissenschaft (Materialwissenschaft). Die Masterarbeit fertigte er in Zusammenarbeit mit der P L GmbH im Zeitraum von Januar bis September 2019 an, wobei er von Juli bis September 2019 auf Grundlage eines Praktikantenvertrags tätig war. Am 09.09.2019 gab er seine Masterarbeit bei der Universität ab. Zum 30.09.2019 exmatrikulierte er sich mit dem Grund „Beendigung des Studiums nach bestandener Prüfung“. Zuvor hatte die Physikalisch-Astronomische Fakultät am 26.08.2019 die Abmeldung bestätigt. Am 29.10.2019 fand die mündliche Verteidigung der Masterarbeit statt, die mit der Gesamtnote Gut bewertet wurde.
Mit Datum vom 04.11.2019 stellte das Studien- und Prüfungsamt der Physikalisch-Astronomischen Fakultät der FSU eine Bescheinigung aus, wonach der Kläger am 29.10.2019 im Masterstudium im Fach Werkstoffwissenschaft (Materialwissenschaft) alle für den Studienabschluss notwendigen Leistungen erbracht habe. Die Durchschnittsnote betrage Gut (2,0). Das Zeugnis werde derzeit ausgestellt.
Der Kläger bewohnte im Oktober und November 2019 zur Untermiete ein halbes Zimmer in der R.str. in J, wofür 160,50 Euro Gesamtmiete anfielen. Ab Dezember 2019 wohnte er in einer Wohngemeinschaft im M. Hierfür zahlte er monatlich 260 Euro Warmmiete.
Am 08.10.2019 beantragte er Leistungen nach dem SGB II bei der Beklagten und legte auf deren Anforderungen diverse Nachweise zu den Mietaufwendungen, bisherigen Einkommen und Kontoauszüge vor. Ausweislich des BaföG-Bescheides vom 29.03.2018 hatte der Kläger bis zur Förderungshöchstdauer im September 2018 BaföG bezogen. Aus den eingereichten Kontoauszügen ging der letzte Zufluss der Praktikumsvergütung Ende September hervor, zudem gab es u. a. in Oktober und November Überweisungen der Oma und der Eltern i. H. v. 50 bzw. 20 Euro. Hierzu erklärte der Kläger am 25.11.2019, dass es sich um Zuwendungen zur Sicherung seiner Existenz handele, da er kein Einkommen oder staatliche Unterstützung habe. Diese Zahlungen würden nicht fortgesetzt. Überweisungen seinerseits an verschiedene Banken seien offene Kreditkartenschulden gewesen, wobei die Kreditkarten seit Monaten gelöscht seien. Ein abschließendes Studienzeugnis liege noch nicht vor, dieses befinde sich noch im Anfechtungsverfahren wegen der Note. Es gelte das bereits vorgelegte vorläufige Zeugnis (die Bescheinigung vom 04.11.2019, vgl. Bl. 18 VA) als vollumfänglicher Ersatz.
Mit Bescheid vom 30.01.2020 lehnte die Beklagte den Antrag auf Leistungen für den Zeitraum 01.10.-31.12.2019 ab, da sich der Kläger in einer nach dem BAföG abstrakt förderungsfähigen Ausbildung befunden habe und daher der Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 5 SGB II gegeben sei. Gemäß § 15b Abs. 3 S. 3 BAföG habe die Hochschulausbildung des Klägers mit Ablauf des zweiten Monats nach dem Monat geendet, in dem der letzte Prüfungsteil abgelegt wurde, hier zum 31.12.2019.
Mit Bescheid vom 29.01.2020 bewilligte die Beklagte für den Zeitraum 01.01.- 31.03.2020 Leistungen i. H. v. monatlich 692 Euro, einschließlich Kosten der Unterkunft von 260 Euro. Im Februar 2020 nahm der Kläger eine Beschäftigung als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der FSU auf, so dass die Leistungsbewilligung ab diesen Monat wieder aufgehoben wurde.
Mit Widerspruch vom 27.02.2020 (Eingang) wandte sich der Kläger gegen den Ablehnungsbescheid vom 30.01.2020. Es entspreche nicht den Tatsachen, dass ein Gesamtergebnis des Studiums noch nicht vorgelegt worden sei, da er das äquivalente Zeugnis bereits eingereicht habe. Zudem sei die letzte Prüfungsleistung im Sinne des § 15b Abs. 3 S. 1 BAföG bereits vor November 2019 abgelegt worden.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 11.03.2020 zurück. Das Ende der Ausbildung sei gemäß § 15b Abs. 3 S. 3 BAföG auf den 31.12.2019, den Ablauf von zwei Monaten nach dem letzten Prüfungsteil, festzulegen, da ein formelles, vom Prüfungsausschuss unterzeichnetes Zeugnis bislang nicht vorliege. Die Bescheinigung vom 04.11.2019 genüge den Anforderungen für eine Bekanntgabe des Gesamtergebnisses nicht, zumal wegen des Anfechtungsverfahrens zu diesem Zeitpunkt das endgültige Ergebnis der Prüfungen noch nicht vorlag. Ein Leistungsanspruch bestehe daher erst ab Januar 2020.
Dagegen hat der Kläger unter dem 06.04.2020 Klage erhoben und geltend gemacht, dass bereits mit der Exmatrikulation zum 30.09.2019 keine Ausbildung mehr existiert habe, die dem Grunde nach gemäß § 2 BAföG forderungsfähig wäre. Die Exmatrikulation bereits vor der Verteidigung der Masterarbeit sei mit dem Prüfungsamt abgestimmt gewesen. Mit Streichung aus der Liste der Studierenden sei das Studium de facto beendet. Nach der Rechtsprechung des BSG komme es darauf an, ob der Studierende organisatorisch weiter der Universität angehöre und das Studium tatsächlich weiter betreibe. Beides sei hier ab Oktober 2019 nicht mehr der Fall gewesen. Nach Abgabe der Masterarbeit am 09.09.2019 habe der Kläger nur noch auf den Termin zur Verteidigung gewartet.
Im April 2021 hat der Kläger das Zeugnis über die Masterprüfung (datiert auf den 29.10.2019) zur Gerichtsakte gereicht, woraus die Gesamtnote gut (2,0) und die Ergebnisse der einzelnen Modulprüfungen hervorgehen.
Im Rahmen der mündlichen Verhandlung hat der Kläger angegeben, dass die Prüfer nach der Verteidigung der Masterarbeit am 29.10.2019 die Note der Masterarbeit und die Gesamtnote mündlich mitgeteilt hätten. Die Noten der bisherigen Studienleistungen hätten bereits zuvor festgestanden, was Voraussetzung für die Exmatrikulation gewesen sei. Bei der Exmatrikulation habe also nur noch die Note der Masterarbeit ausgestanden.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 30.01.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.03.2020 zu verurteilen, ihm für den Zeitraum 01.10.2019 bis 31.12.2019 Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie macht geltend, dass es allein auf die abstrakte Förderungsfähigkeit ankomme, nicht auf die Exmatrikulation, die letztlich ausschließlich individuelle Gründe gehabt habe. Gemäß § 15b Abs. 3 S. 3 BAföG müsse ein abschließendes Ergebnis des Studiums vorliegen. Nach Aktenlage sei dem Kläger ein Gesamtzeugnis erst nach dem 31.12.2019 ausgehändigt worden. Allenfalls in dem Schreiben vom 04.11.2019 könne ggf. ein Zeugnisäquivalent gesehen werden, nicht jedoch in der mündlichen Verkündung der Note nach Verteidigung der Masterarbeit.
Das Gericht hat eine schriftliche Auskunft bei der FSU, dem Studien- und Prüfungsamt der Physikalisch-Astronomischen Fakultät eingeholt. Von dort ist bestätigt worden, dass der Kläger vom 01.10.2016 bis 30.09.2019 im Masterstudiengang Werkstoffwissenschaften immatrikuliert gewesen ist. Laut Prüfungsordnung sei eine Immatrikulation notwendig bei Zulassung zur Abschlussarbeit (Modulprüfung), nicht jedoch bei Beendigung der Abschlussarbeit. Die letzte Prüfungsleistung sei am 29.10.2019 in Form der Verteidigung der Abschlussarbeit erbracht worden. Das Ergebnis der Masterarbeit sei vom Kläger angefochten worden. Der diesbezügliche Ablehnungsbescheid sei am 11.02.2020 ergangen und am 12.03.2021 zusammen mit der Urkunde und dem Zeugnis an den Kläger zugestellt worden.
Die FSU hat zudem das Verteidigungsprotokoll zur Masterarbeit des Klägers vom 29.10.2019 zur Gerichtsakte übersandt, woraus hervorgeht, dass die Masterarbeit mit dem Gesamtprädikat 2,0 bewertet worden ist.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist wie aus dem Tenor ersichtlich teilweise begründet. Der Kläger hat dem Grunde nach in der Zeit vom 01.11.2019 bis 31.12.2019 Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, nicht jedoch im Monat Oktober 2019.
Der Kläger verfolgt sein Begehren zulässigerweise im Wege der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 i. V. m. Abs. 4 SGG, § 56 SGG), gerichtet auf Erlass eines Grundurteils (§ 130 Abs. 1 SGG). Die für eine Verurteilung dem Grunde nach erforderliche Feststellung, dass ein Leistungsanspruch (mit hoher Wahrscheinlichkeit) besteht, (vgl. Giesbert in: jurisPK-SGG, 1. Aufl. 2017, § 130 Rn. 29), ist vorliegend für die Monate November und Dezember 2019 möglich. Im Oktober 2019 war der Kläger jedoch gemäß § 7 Abs. 5 SGG von Leistungen ausgeschlossen. Auch ein Anspruch auf Leistungen nach § 27 SGB II bestand nicht.
Nach § 7 Abs. 5 S. 1 SGB II haben Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des BAföG dem Grunde nach förderungsfähig ist, über die Leistungen nach § 27 SGB II hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Das SGB II schließt bestimmte Gruppen von Auszubildenden von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts grundsätzlich aus. Dies ist verfassungsgemäß (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 08.10.2014 – 1 BvR 886/11, Rn. 12ff). Auszubildende sind gehalten, ihre Bedarfe in den jeweiligen Systemen der Ausbildungsförderung sicherzustellen; durch den Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 5 SGB II wird bezweckt, eine (verdeckte) Ausbildungsförderung auf einer zweiten Ebene durch SGB II-Leistungen zu verhindern (vgl. BSG, Urt. v. 17.02.2016 – B 4 AS 2/15 R, Rn. 23). Zudem sollen die Fördervoraussetzungen nach den für Ausbildungsförderung vorgesehenen Gesetzen nicht umgangen werden können. Den vom Leistungsausschluss Betroffenen mutet das Gesetz zu, auf die Aufnahme bzw. Fortführung einer dem Grunde nach förderungsfähigen Ausbildung zu verzichten und sich stattdessen dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stellen (vgl. Leopold in: jurisPK-SGB II, 5. Aufl. 2021, Rn. 344).
Die Voraussetzungen des § 7 Abs. 5 S. 1 SGB II lagen noch bis zum 31.10.2019 vor. Das vom Kläger absolvierte Masterstudium ist unstreitig eine Ausbildung, die im Rahmen des BAföG dem Grunde nach förderungsfähig ist. Entgegen der Auffassung des Klägers war dieses Studium trotz Exmatrikulation zum 30.09.2019 nicht zu Ende September 2019 beendet, sondern auch noch im Oktober 2019 abstrakt förderungsfähig.
Allein die Förderungsfähigkeit der Ausbildung dem Grunde nach zieht die Rechtsfolge des § 7 Abs. 5 SGB II nach sich. Individuelle Versagensgründe (z. B. die Überschreitung der Förderhöchstdauer, Fachrichtungs- oder Ausbildungswechsel), die im Verhältnis zum Träger der Ausbildungsförderung eingetreten sind, bleiben demgegenüber außer Betracht (ständige Rechtspr. des BSG, z. B. Urt. v. 27.09.2011 – B 4 AS 145/10 R; Urt. v .19.08.2010 – B 14 AS 14/09 R u. a.).
Die Prüfung, ob eine Ausbildung dem Grunde nach förderfähig ist, richtet sich abschließend nach § 2 BAföG, so dass hierüber allein aufgrund abstrakter Kriterien, losgelöst von der Person des Auszubildenden zu befinden ist (vgl. z. B. Becker in: Eicher/Luik/Harich, SGB II, 5. Aufl. 2021, § 7 Rn. 191ff).
In der von der Klägerseite zitierten Entscheidung vom 22.03.2012 (Az.: B 4 AS 102/11 R) hatte das BSG zu beurteilen, ob während eines genehmigten Urlaubssemesters ein „Besuch“ der Hochschule im Sinne des § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 6 BAföG vorliege, wobei nach § 2 Abs. 5 S. 1 BAföG auch relevant ist, dass die Ausbildung die Arbeitskraft des Auszubildenden im Allgemeinen voll in Anspruch nimmt. Nach dem BSG kommt es insoweit auf die organisationsrechtliche Zugehörigkeit des Studierenden zu der Ausbildungsstätte an, die regelmäßig durch die Immatrikulation begründet wird, und zudem auf ein tatsächliches Betreiben des Studiums.
Im vorliegend zu beurteilenden Fall liegt jedoch ein anderer Sachverhalt vor, nämlich der einer Beendigung eines Studiums nach erfolgreichem Abschluss. Für diese Konstellation finden sich im BAföG spezielle Regelungen, auf die bei Beurteilung der Förderfähigkeit dem Grunde nach abzustellen ist. Inwieweit der Studierende in dieser Phase noch von der Ausbildung in Anspruch genommen wird bzw. wie sich die Zugehörigkeit zur Universität ausdrückt, kann letztlich dahingestellt bleiben.
Gemäß § 2 Abs. 5 S. 2, 3 BAföG ist ein Ausbildungsabschnitt im Sinne dieses Gesetzes die Zeit, die an Ausbildungsstätten einer Ausbildungsstättenart einschließlich der im Zusammenhang hiermit geforderten Praktika bis zu einem Abschluss oder Abbruch verbracht wird. Ein Masterstudiengang nach § 7 Abs. 1a BAföG gilt im Verhältnis zu dem Studiengang, auf den er aufbaut, in jedem Fall als eigener Ausbildungsabschnitt.
§ 15b Abs. 3 BAföG wiederum regelt den Zeitpunkt der erfolgreichen Beendigung der Ausbildung (vgl. Nolte in: Ehmann/Karmanski/Kuhn-Zuber, GesKomm SRB, 2. Aufl. 2018, BAföG § 15b, Rn. 6), also des Abschlusses. Nach § 15b Abs. 3 S. 3 BAföG in der seit dem 01.08.2016 gültigen Fassung ist eine Hochschulausbildung abweichend von den Sätzen 1 und 2 mit Ablauf des Monats beendet, in dem das Gesamtergebnis des erfolgreich abgeschlossenen Ausbildungsabschnitts bekannt gegeben wird, spätestens jedoch mit Ablauf des zweiten Monats nach dem Monat, in dem der letzte Prüfungsteil abgelegt wurde. Auch für die Hochschulausbildung gilt seit 01.08.2016 nicht mehr der letzte Prüfungstermin, sondern die Bekanntgabe des Ergebnisses als der relevante Zeitpunkt und die taggenaue Berechnung ist durch das Monatsprinzip ersetzt worden (vgl. Nolte, a. a. O.)
Da der Kläger eine Hochschulausbildung absolviert hat, ist für die Bestimmung des Ausbildungsendes allein dieser § 15b Abs. 3 S. 3 BAföG maßgeblich. Die Motivation des Gesetzgebers für die seit dem 01.08.2016 geltende Neuregelung lässt sich aus der Begründung des Gesetzentwurfes (BT-Drs. 18/2663, S. 41f) nachvollziehbar entnehmen. Dort heißt es u. a.:
„Von einer Einbeziehung der Wartezeiten bis zum Abschluss der oft zeitaufwändigen Bewertung und Ermittlung des Gesamtergebnisses des erfolgreichen Studienabschlusses in die Förderungshöchstdauer wurde bislang abgesehen, da die Studierenden in dieser Zeit typischerweise nicht mehr ihre (volle) Arbeitskraft für die Ausbildung einsetzen müssen. Daher sind die nach dem BAföG geförderten Studierenden nach geltender Rechtslage gehalten, in der Zeit bis zur Mitteilung des Prüfungsergebnisses ggf. durch eigene Erwerbstätigkeit selbst für ihren Unterhalt zu sorgen. (…)
Mit der Neuregelung für Hochschulausbildungen soll den Studierenden grundsätzlich nicht länger diese Phase der Ungewissheit über den Ausgang des Abschlussversuchs ab dem Zeitpunkt des letzten Prüfungsteils bis zur Bekanntgabe des Ergebnisses des Studienabschlusses komplett als eigenes Risiko angelastet bleiben. Vielmehr wird ihnen künftig durchgängig Förderung grundsätzlich bis zum Monatsende der Bekanntgabe des Gesamtergebnisses gewährt (die z. B. bereits mündlich unmittelbar im Anschluss an den letzten Prüfungsteil erfolgen kann oder aber auch ggf. erst durch Erhalt des Abschlusszeugnisses selbst), und zwar ohne Rückforderungsvorbehalt auch im Falle des erfolgreichen Abschlusses. (…)
Um jedoch auch nach der Neuregelung für Studierende eine unangemessen lange Förderungsdauer während faktisch ausbildungsloser Zeiten zu vermeiden, wird die maximale Förderungsdauer im neuen Satz 3 auf den Zeitpunkt bis zum Ablauf von zwei Monaten nach dem Monat begrenzt, in dem der letzte Prüfungsteil abgelegt wurde. Die Hochschulen stehen hier weiterhin in der Verantwortung, die erforderlichen Korrekturarbeiten sowie die Ermittlung und Feststellung des Gesamtergebnisses so zügig durchzuführen, dass die Studierenden möglichst schnell Gewissheit über das Gesamtergebnis haben.“
Bei einer - wie hier - ordnungsgemäß abgeschlossenen Hochschulausbildung kommt es daher für die Beendigung weder auf die Exmatrikulation noch auf den Zeitpunkt der letzten Prüfung an. Entscheidend ist nach § 15b Abs. 3 S. 3 BAföG der Ablauf des Monats, in dem das Gesamtergebnis bekannt gegeben wurde, spätestens jedoch der Ablauf des zweiten Monats nach dem Monat, in dem der letzte Prüfungsteil abgelegt wurde (so auch bereits SG Altenburg, Urt. v. 12.04.2021 – S 49 AS 906/19).
Die Exmatrikulation des Klägers zum 30.09.20219, wie auch das bloße Warten auf den Verteidigungstermin ab dem 09.09.2019 sind damit individuelle Umstände, denen im Rahmen der Feststellung einer abstrakten Förderfähigkeit gerade keine Bedeutung beigemessenen werden kann (vgl. hierzu insb. auch Thüringer LSG, Urt. v. 26.07.2017 – L 7 AS 1170/15). Vielmehr kommt es entscheidend auf die Feststellung an, wann dem Kläger das Gesamtergebnis des Studiums mitgeteilt wurde.
Vorliegend ist davon auszugehen, dass dem Kläger das Gesamtergebnis des Masterstudiums am 29.10.2019 bekannt gegeben wurde. Zu dieser Überzeugung ist die Kammer nach Beurteilung der Gesamtumstände des Falles unter Einbeziehung der vorliegenden Unterlagen und Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung gelangt. In Ansehung des Gesetzeszweckes kann es nicht zwingend darauf ankommen, wann dem Studierenden ein formelles Gesamtzeugnis tatsächlich ausgehändigt wurde. Maßgeblich ist, wann dieser über den Ausgang des Studiums nicht mehr im Ungewissen war in dem Sinne, dass er entweder von einem erfolgreichen Abschluss oder der Notwendigkeit einer Fortsetzung und ggf. Wiederholungsprüfung ausgehen konnte. Dieses Ergebnis kann dem Studierenden nach der expliziten Gesetzesbegründung auch in mündlicher Form im Anschluss an den letzten Prüfungsteil mitgeteilt werden. Vorliegend lag nach Überzeugung der Kammer die Bekanntgabe des Studienergebnisses, mit dem der Kläger eben diese Gewissheit über den erfolgreichen Abschluss haben konnte, in der Mitteilung der Prüfungsnote durch die Prüfer nach der mündlichen Verteidigung der Masterarbeit.
Gemäß § 16 Abs. 1 der Prüfungsordnung für den Verbundstudiengang Werkstoffwissenschaft der Physikalisch-Astronomischen und der Chemisch-Geowissenschaftlichen Fakultät der F-Universität J mit dem Abschluss Master of Science vom 30.01.2014 (PrüfO) wird zur Masterarbeit nur zugelassen, wer an der FSU J für den Master-Studiengang Werkstoffwissenschaft mindestens im zweiten Studienjahr eingeschrieben ist und den erfolgreichen Erwerb von 70 Leistungspunkten aus den Pflicht- und Wahlpflichtfächern des werkstoffwissenschaftlichen Studium nachweist. Gemäß § 17 Abs. 1 PrüfO soll die Bekanntgabe der Ergebnisse einer Modulprüfung innerhalb von vier Wochen nach der letzten Prüfungsleistung des Moduls erfolgen. Insofern ist nachvollziehbar, dass der Kläger bereits bei Anmeldung der Masterarbeit im Januar 2019 (vgl. Antragsformular, Bl. 31 GA) Kenntnis über die Ergebnisse der bisherigen Studienleistungen (Pflicht- und Wahlpflichtmodule) hatte. Diese bewegten sich, wie aus dem Abschlusszeugnis ersichtlich ist, im Notenbereich zwischen 1,3 und 3,0 bei einer Gesamtzahl von 90 Leistungspunkten (ECTS).
Ausweislich des vorliegenden Verteidigungsprotokolls (Bl. 30 GA) hat die Verteidigung am 29.10.2019 zwischen 10 und 11 Uhr stattgefunden. Anwesend waren zwei Prüfer. Die vom Erst- und Zweitgutachter jeweils vergebenen Noten für die Masterarbeit bzw. Verteidigung sowie das Gesamtprädikat 2,0 sind niedergeschrieben. Für die Kammer bestehen keine Zweifel daran, dass die Prüfer tatsächlich unmittelbar nach ihrer geheimen Beratung dem Kläger die Prüfungsnote bekannt gegeben haben. Unabhängig davon, ob sie zugleich auch die Gesamtnote des Studiums (einschließlich der früheren Module) ausdrücklich benannt haben, konnte der Kläger, da ihm die bisherigen Studienleistungen bekannt waren, nun mit der Kenntnis der Bewertung der Masterarbeit die abschließende Gewissheit haben, das Masterstudium insgesamt – mit gutem Ergebnis – bestanden zu haben. Dies ist im Sinne des § 15b Abs. 3 S. 3 BAföG ausreichend, um zu Ende Oktober vom Ende der förderfähigen Ausbildung nach dem BAföG ausgehen zu können.
Weder kommt es nach Auffassung der Kammer auf eine schriftliche Bestätigung (hier also nicht auf das Schreiben vom 04.11.2019), noch auf die Kenntnis der endgültigen Note mit konkreter Nachkommastelle (also ggf. des Erfolgs einer Anfechtung) an. Dem Kläger war zum 29.10.2019 hinlänglich klar, dass er seine Hochschulausbildung erfolgreich beendet hatte. Zudem bedurfte es offenkundig des finalen Zeugnisses gerade nicht für die Bewerbung um eine Arbeitsstelle, die der Kläger bereits im Februar 2020 angetreten hat. Ihm war die Masterurkunde und das Zeugnis erst viel später, im Frühjahr 2021 zugestellt worden. Dass das Zeugnis auf den 29.10.2019 datiert ist, geht auf § 23 Abs. 1 S. 4 PrüfO zurück, wonach das Zeugnis das Datum des Tages trägt, an dem die letzte Prüfungsleistung erfolgreich erbracht worden ist.
Vor Ende Oktober 2019 kann jedoch nicht – wie von Klägerseite geltend gemacht – von einem Ende der abstrakt förderfähigen Ausbildung ausgegangen werden. Ein erfolgreicher Abschluss i. S. d. § 15b Abs. 3 S. 3 BAföG stand erst mit der Bewertung der Masterarbeit fest. Das Masterstudium beinhaltet neben den studienbegleitenden Prüfungsleistungen eben auch die Masterarbeit (§ 4 Abs. 2 PrüfO). Wird eine Masterprüfung nicht bestanden, hat sich der Studierende gemäß § 17 Abs. 3 PrüfO innerhalb von acht Wochen zur Wiederholung der Master-Arbeit zu melden.
Der Kläger war folglich bis Ende Oktober 2019 von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes ausgeschlossen. Dass er tatsächlich keine Ausbildungsförderung erhalten hat, da die Förderungshöchstdauer zum September 2018 abgelaufen war, steht der abstrakten Förderungsfähigkeit der Ausbildung und damit dem Ausschluss nach § 7 Abs. 5 S. 1 SGB II nicht entgegen.
Der Kläger hat im Oktober 2019 auch keinen Anspruch auf Leistungen nach § 27 SGB II. Er macht keinen Mehrbedarf nach den §§ 21 Abs. 2, 3, 5 und 6 oder Leistungen nach § 24 Abs. 3 Nr. 2 SGB II geltend, weswegen Leistungen nach § 27 Abs. 2 SGB II ausscheiden. Darlehensweise Leistungen nach § 27 Abs. 3 S. 1 SGB II werden von ihm ebenfalls nicht begehrt. Eine zuschussweise Gewährung nach § 27 Abs. 3 S. 2 SGB II scheidet aus, da sein Anspruch auf Leistungen nach dem BAföG nicht wegen § 10 Abs. 3 BAföG ausgeschlossen ist. Er hatte das 30. Lebensjahr bei Ausbildungsabschluss noch nicht beendet.
Die Höhe der dem Kläger in den Monaten November und Dezember 2019 zustehenden SGB II-Leistungen wird die Beklagte nach weiteren Ermittlungen zum Umfang der Hilfebedürftigkeit, insbesondere zum Vorliegen etwaiger Einkommenszuflüsse, festzustellen und zu bescheiden haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG und folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.