Eine Verweisungstätigkeit als Sicherheitsmitarbeiter im Objektschutz- bzw. Separatwachdienst, die auf das konkrete Einsatzgebiet der Nebenpforte beschränkt ist, kann nicht mehr als arbeitsmarkgängig angenommen werden (Anschluss an LSG Sachsen-Anhalt, Urteil v. 26.07.2018 – L 3 R 428/15 – und LSG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 12.07.2018 – L 8 R 883/14).
Die Tätigkeit eines Pförtners ist regelmäßig eine solche im Wachschutz, die körperliche Belastbarkeit und Flexibilität voraussetzt.
SOZIALGERICHT ALTENBURG
Im Namen des Volkes
URTEIL
In dem Rechtsstreit
………….,
……………
- Kläger -
Prozessbevollm.:
…………..
…………….
……………..,
…………….
gegen
………………,
…………….
- Beklagte -
hat die 17. Kammer des Sozialgerichts Altenburg auf die mündliche Verhandlung vom 13. Dezember 2021 durch ihre Vorsitzende, die Richterin am Sozialgericht Ortloff-Victor sowie die ehrenamtlichen Richterinnen Reuther und Prause für Recht erkannt:
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 28.07.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.01.2021 verurteilt, dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 01.10.2021 zu gewähren.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.
Der 1961 geborene Kläger ist gelernter Maurer. Er arbeitete in diesem Beruf bis 1990 und seitdem durchgehend als Zimmermann. Zuletzt war er von 2000 bis 2018 als Zimmermann bzw. Produktionsmitarbeiter in einem Sägewerk beschäftigt. Am 20.04.2018 erlitt er beim Aufstapeln von Holzbalken einen Arbeitsunfall. Ein schweres Kantholz fiel auf seine linke Hand mit der Folge einer Mittelhandfraktur D4. Die Verletzung wurde konservativ behandelt, es schloss sich eine spezielle handtherapeutische Rehabilitation im BG Klinikum in H an. Ein Versuch einer Wiedereingliederung im Betrieb blieb erfolglos. Über die Berufsgenossenschaft Holz und Metall (BGHM) wurden zudem in 11/2018 und 1/2019 zwei Arbeitstherapeutische Leistungsanalysen durchgeführt. Festgehalten wurde im dortigen Abschlussbericht u. a., dass aufgrund der geäußerten Beschwerden in Verbindung mit dem gezeigten Bewegungsverhalten von einer tendenziell unbewussten Selbstlimitierung auszugehen sei. Im Ergebnis wurde eingeschätzt, dass dem Kläger leichte Tätigkeiten mit Einschränkungen hinsichtlich der motorischen Funktionen der linken Hand vollschichtig möglich seien. Eine Tätigkeit im Lager, bei der Be- und Entladetätigkeiten vorwiegend mit einem Gabelstapler durchgeführt werden, sei empfehlenswert. In 4/2019 stellte sich der Kläger in der Unfallbehandlungsstelle (UBS) Berlin vor, wo ein CRPS (komplexes regionales Schmerzsyndrom) als wahrscheinliche Diagnose gestellt wurde. Weitere Therapievorschläge neben einer Schmerztherapie konnten von dort aufgrund der bereits sachgerecht erfolgten Behandlung nicht benannt werden. Nachdem sich am Zustand der linken Hand keine Veränderungen mehr ergaben – sie wurde insgesamt geschont, es gab deutliche Bewegungseinschränkungen von Fingern und Handgelenk, erhebliche Kraftminderung – und der Kläger weitere Angebote für Physiotherapie bzw. Schmerztherapie ablehnte, schloss der behandelnde Chirurg L die Behandlung zum 10/2019 ab.
Der Kläger bezog bis 20.10.2019 Verletztengeld von der BGHM und im Anschluss bis August 2021 Arbeitslosengeld. Bei ihm ist seit Juni 2019 ein GdB von 30 anerkannt. Der Kläger konnte vor dem Unfall beidhändig hantieren.
Am 21.10.2019 beantragte der Kläger bei der Beklagten Rente wegen Erwerbsminderung und verwies darauf, dass seine linke Hand steif und nicht belastbar sei. Er könne nichts mehr heben, halten oder tragen, könne höchstens drei Stunden arbeiten, verbunden aber immer mit Schmerzen. Im Verwaltungsverfahren zog die Beklagte Arztbriefe und Entlassungsberichte zu den bisherigen Behandlungen bei und lehnte mit Bescheid vom 28.07.2020 den Rentenantrag ab. Der Kläger sei noch in der Lage, mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Hiergegen legte der Kläger am 24.08.2020 Widerspruch ein und machte geltend, dass er unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes keine Arbeiten mehr verrichten könne. Trotz der monatelangen Behandlung bestehe weiterhin eine starke Funktionseinschränkung der linken Hand und ein Dauerschmerz, der sich bei Belastung verstärke. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 28.01.2021 zurück. Der Gesundheitszustand sei nach eingehender Auswertung der Behandlungsberichte und des im Auftrag der A Versicherung AG erstellten Gutachtens des Unfallchirurgen L schlüssig eingeschätzt worden. Das Leistungsvermögen sei noch für leichte bis mittelschwere Arbeiten mit weiteren qualitativen Einschränkungen für mindestens sechs Stunden täglich erhalten. Eine Summierung oder schwere spezifische Leistungsbehinderung sei nicht gegeben.
Hiergegen hat der Kläger unter dem 16.02.2021 Klage zum Sozialgericht Altenburg erhoben und nochmals auf die deutliche Bewegungs- und Funktionseinschränkung der linken Hand verweisen. Auch leichte Arbeiten seien ihm nicht möglich. Er nehme regelmäßig Schmerzmittel ein. Bei Berührung der Fingerspitzen gebe es einen stechenden Schmerz in der Hand. Den linken Arm könne er allenfalls so einsetzen, dass er etwas unter dem Ellenbogen einklemme.
Die von der Beklagten benannte Verweisungstätigkeit eines Sicherheitsmitarbeiters im Objektschutz- bzw. Separatwachdienst (Pförtner an Nebenpforte) sei für ihn ausgeschlossen. Zum einen könne er einer solchen Tätigkeit gesundheitlich nicht gerecht werden, zum anderen handele es sich, was durch Rechtsprechung mehrerer LSG bestätigt sei, nicht mehr um eine arbeitsmarktübliche Tätigkeit.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 28.07.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.01.2021 zu verurteilen, ihm Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ab 01.11.2019 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
In der Gesamtschau der vorliegenden Befunde und Gutachten bezweifelt sie bereits, dass von einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung auszugehen sei. Der Kläger könne die linke Hand noch als Beihand unterstützend einsetzen. Jedenfalls komme jedoch eine Verweisungstätigkeit als Mitarbeiter im Objektschutz und Separatwachdienst (Pförtner an der Nebenpforte) in Betracht. Diese Tätigkeit sei dem Kläger sozialmedizinisch zumutbar, sie stelle keine besonderen Anforderungen an die Funktionsfähigkeit der Arme und Beine, sei auch für Einarmige möglich. Auch sei sie weiterhin arbeitsmarktgängig. Die Beklagte verweist hierzu auf mehrere Urteile des Thüringer LSG (z. B. Urteil v. 08.05.2014 – L 2 R 308/13; Urteil v. 11.07.2018 - L 3 R 304/16; Urteil v. 30.01.2019 - L 12 R 1246/17).
Das Gericht hat einen Befundbericht des behandelnden Allgemeinmediziners eingeholt, eine gutachterliche Stellungnahme des ärztlichen Dienstes der Arbeitsagentur vom 09.12.2019 und weitere Unterlagen der BGHM beigezogen. Hierunter befanden sich u. a. ein Zusammenhangsgutachten von O vom 17.03.2020 und ein neurologisches Gutachten von W vom 08.10.2020. Im Ergebnis der BG-Gutachten war festgehalten worden, dass die objektivierbaren Befunde nicht geeignet seien, die angegebenen Beschwerden und Funktionsstörungen der linken Hand zu erklären. Der Unfall könne nicht als wesentliche Ursache für die Gesundheitsschäden festgestellt werden, es ergebe sich eine MdE von unter 10%.
Das Gericht hat sodann Beweis erhoben durch Einholung eines orthopädisch-unfallchirurgischen Gutachtens von N. Dieser hat den Kläger am 14.09.2021 untersucht und folgende Diagnosen gestellt:
- Funktionseinschränkung und Belastungsminderung der linken Hand im Finger- und Handgelenksbereich (nicht endgültig zu klärender Genese) bei gesicherter
- Verschleißerkrankung der Fingerend- und -mittelgelenke (Heberden- und Bouchard-Arthrosen)
- Schrumpfung der bindegewebigen Hohlhandplatte (Morbus Dupuytren)
- Funktionsbeeinträchtigung der rechten Hand bei Heberden- und Bochard- Arthrose und Morbus Dupuytren
- moderate Arthrose beider Kniegelenke mit leichten Bewegungsdefizit rechts.
Der Sachverständige führte u. a. aus, dass sich die Befunde beider Hände im Vergleich zu dem Zusammenhangsgutachten in 2/2020 verschlechtert hätten. Über die Genese des Zustands der linken Hand sei nur zu spekulieren, wahrscheinlich sei eine absolute Schonhaltung im Sinne einer „gelernten Hilflosigkeit im Alltag“. Ein CRPS sei nicht vollständig auszuschließen. Die Funktion der rechten Hand sei im Rahmen der Alltagsmotorik ausreichend. Eine quantitative Einschränkung des Leistungsvermögens sei nicht gegeben. Auszugehen sei jedoch von einer wesentlichen funktionellen Einhändigkeit rechts, wobei sich auch an der rechten Hand bereits degenerative Veränderungen zeigten. Daher müsse die Arbeitsschwere auf leichte Tätigkeiten beschränkt werden. Ausgeschlossen seien auch Überkopftätigkeiten, Arbeiten mit Absturzgefahr und feinmotorische, knieende und hockende Tätigkeiten. Der Kläger könne nur noch Tätigkeiten ausführen, die das Vorhandensein einer linken Hand nicht voraussetzen. Das Führen eines Kfz sei möglich, würde jedoch Umbauten notwendig machen. Das festgestellte Leistungsvermögen bestehe bereits seit der Rentenantragstellung, wobei auf die letzte Untersuchung durch L am 16.10.2019 verwiesen werden könne. Es sei unwahrscheinlich, dass sich der Gesundheitszustand bessere, da dies unter präventiven Gesichtspunkten durch die jetzt verfestigte Bewegungseinschränkung der linken Hand begrenzt bleibe. Auch an der rechten Hand sei nicht mit einer Besserung der degenerativen Veränderungen zu rechnen.
Schließlich hat der Kläger ein weiteres im Auftrag der A Versicherung AG erstelltes unfallchirurgisches Gutachten von U vom 07.07.2021 zur Akte übersandt.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 28.07.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.01.2021 ist insoweit rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, als ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung damit vollständig abgelehnt wird.
Dem Kläger steht ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 01.10.2021 gemäß § 43 Abs. 1 SGB VI in Verbindung mit dem von der Rechtsprechung entwickelten Institut der schweren spezifischen Leistungsbehinderung zu.
Nach § 43 Abs. 1 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie teilweise erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Nach Abs. 2 dieser Vorschrift haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn die oben genannten Voraussetzungen vorliegen und sie außerdem voll erwerbsgemindert sind. Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).
Die Kammer ist zu der Überzeugung gelangt, dass zwar das Leistungsvermögen des Klägers nicht unter sechs Stunden täglich herabgesunken ist, jedoch bei ihm – jedenfalls ab dem 14.09.2021 – eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt und eine zumutbare Verweisungstätigkeit nicht benannt werden kann.
1. Ein aufgehobenes oder unter sechs Stunden täglich abgesunkenes Leistungsvermögen konnte nicht festgestellt werden. Der Kläger ist auch unter Beachtung der unstreitig bestehenden, krankheitsbedingten Beschwerden und Einschränkungen noch in der Lage, zumindest körperlich leichte Arbeiten unter Berücksichtigung weiterer qualitativer Leistungseinschränkungen, insbesondere unter Vermeidung von Überkopfarbeiten, Absturzgefahr und feinmotorischen Arbeiten, sechs Stunden und mehr täglich auszuüben. Diese Überzeugung stützt die Kammer auf das im Gerichtsverfahren eingeholte Gutachten des Sachverständigen N, berücksichtigt aber auch die beigezogenen im Auftrag der BGHM bzw. der A Versicherung AG eingeholten Zusammenhangsgutachten sowie die sonstigen medizinischen Unterlagen, aus denen der Krankheitsverlauf und Gesundheitszustand des Klägers erkennbar werden.
Das vorliegende Gerichtsgutachten ist umfassend und in sich schlüssig sowie in fachgerechter Weise von einem dem Gericht als erfahrenen Gutachter bekannten Facharzt erstellt worden. Der Sachverständige hat die vorhandenen Unterlagen ausgewertet, den Kläger selbst eingehend untersucht, eine eigenständige Anamnese erhoben und nachvollziehbar die vorliegenden Gesundheitsstörungen und hieraus resultierenden qualitativen Beeinträchtigungen des Klägers festgestellt. Die Kammer folgt nach eigener kritischer Überprüfung den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen sowohl hinsichtlich der erhobenen und dokumentierten Befunde als auch der daraus abgeleiteten Schlussfolgerungen für die Leistungsfähigkeit des Klägers.
Der Kläger hatte Gelegenheit, seine Beschwerden gegenüber N nochmals zu schildern. Insbesondere könne er die linke Hand nicht bewegen, habe immer Schmerzen, mit dem Daumen könne er höchstens grob etwas festhalten. Bei einem Stoß auf die Fingerspitzen ziehe es bis in die Schulter. Wegen der Überlastung tue ihm nun auch der rechte Arm weh, außerdem habe er Schmerzen im linken Knie. Er beschrieb auch die sich im Alltag ergebenden Einschränkungen, das An- und Ausziehen sei beschwerlich, anfallende Arbeiten etwa im Haushalt oder Garten erledige es so gut es geht mit der rechten Hand.
Der Sachverständige beschreibt im Gutachten seine Feststellungen anlässlich der Untersuchung ausführlich und genau. Das Gangbild war nicht gestört, das rechte Kniegelenk hatte ein leichtes Bewegungsdefizit. Die linke Hand wurde permanent mit gebeugtem Ellenbogen vor dem Körper gehalten. Die Binnenmuskulatur der linken Hand war verschmächtigt, die Temperatur vermindert. Sämtliche Mittel- und Endgelenke beider Hände waren knöchern verdickt, in den Handtellern fand sich eine Strangbildung. Beim An- und Auskleiden wurde der linke Daumen minimal zum Gegenhalten eingesetzt. Beim Schließen der Schuhe der war eine vollständige Anspreizung des Daumens ersichtlich. Die Langfinger wurden aber nicht gebeugt, ein regelrechtes feinmotorisches Verhalten der linken Hand war nicht in Ansätzen festzustellen. Bei der Bewegungsprüfung der Hand kam es zu Schmerzangaben und muskulären Gegenspannen, die Finger ließen sich auch passiv nicht einbeugen. In der neurologischen Untersuchung fanden sich in oberen und unteren Extremitäten keine Lähmungserscheinungen oder Gefühlsstörungen. Der Sachverständige wertete aktuelle Röntgenbilder der Hände und Knie aus. In der Zusammenfassung (S. 16 des Gutachtens) führt der Sachverstände aus, dass sich die Befunde im Handbereich beider Seiten im Vergleich zum letzten Zusammenhangsgutachten der Berufsgenossenschaft von 2/2020 verschlechtert hätten.
Nachvollziehbar leitet N aus den festgestellten Befunden verschiedene qualitative Einschränkungen für eine Arbeitsausübung ab. Neben der Reduzierung der Arbeitsschwere auf leichte Tätigkeiten werden Überkopfarbeiten, feinmotorische Arbeiten bzw. Arbeiten mit Absturzgefahr wegen den fehlenden Fingerfertigkeit bzw. Unmöglichkeit eines raschen, situativen Zugreifens ausgeschlossen.
Er formuliert, dass funktionelle Einhändigkeit rechts gegeben sei, so dass nur Arbeiten ausgeführt werden können, die das Vorhandensein einer linken Hand nicht voraussetzen. Darüber hinaus verbleibe jedoch ein positives, quantitativ nicht eingeschränktes Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.
Auch aus den weiteren vorliegenden medizinischen Unterlagen ergibt sich kein Anhaltspunkt für eine abweichende Leistungsbeurteilung. In der gutachterlichen Stellungnahme der Arbeitsagentur wird von einem vollschichtigen Leistungsvermögen ausgegangen. In der Arbeitstherapeutischen Leistungsanalyse von 1/2019 findet sich die entsprechende Einschätzung. Hier wurde nach der ausführlichen Beobachtung des Klägers sehr detailliert aufgelistet, welche einzelnen Verrichtungen bzw. funktionellen Belastungen in welchem Maß noch möglich waren. Eine zeitliche Einschränkung der Leistungsfähigkeit wird an keiner Stelle ersichtlich.
Damit kann nicht von einem unter sechs Stunden herabgesunkenen Leistungsvermögen ausgegangen werden.
2. Nach der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung, der sich die Kammer anschließt, kann jedoch eine volle Erwerbsminderung trotz eines Leistungsvermögens von sechs Stunden täglich vorliegen, wenn bei einem Versicherten eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt und eine konkrete Verweisungstätigkeit nicht benannt werden kann, die dem verbliebenen Leistungsvermögen des Versicherten entspricht. Dies ergibt sich aus dem Grundsatz, dass das Leistungsvermögen und dessen Umsetzungsfähigkeit grundsätzlich an den individuellen Verhältnissen des Versicherten und den konkreten Bedingungen des Arbeitsmarktes zu messen sind (sog. konkrete Betrachtungsweise, vgl. BSG, Urteil v. 05.10.2005 - B 5 RJ 6/05 R). Danach bedarf es im Rahmen der Beurteilung der vollen Erwerbsminderung wegen der Verweisbarkeit auf alle ungelernten Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes zwar grundsätzlich keiner konkreten Prüfung und Benennung einzelner Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes. Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn es sich um einen überdurchschnittlich stark leistungsgeminderten Versicherten handelt und deshalb ernste Zweifel daran aufkommen, dass der Versicherte mit dem ihm verbliebenen Leistungsvermögen in einem Betrieb einsetzbar ist bzw. dass es auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine ausreichende Anzahl von Arbeitsplätzen gibt, in deren Rahmen die Leistungseinschränkungen berücksichtigt werden können (vgl. BSG, Großer Senat, Beschluss v. 19.12.1996 - GS 2/95).
Ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt, ist immer eine Frage des Einzelfalls und obliegt der Würdigung des Tatsachengerichts. Die Wertung erfordert – je nach Einzelfall – eine unterschiedlich intensive Auseinandersetzung mit dem Leistungsvermögen des Versicherten und den Bedingungen des Arbeitsmarktes. Einer geringeren Prüfungsintensität bedarf es in den Fällen, bei denen das verbliebene positive Leistungsvermögen die relativ „schnelle“ Zuordnung von Arbeitsfeldern erlaubt und damit Zweifel an der Einsetzbarkeit von Versicherten beseitigt werden. Insoweit ist zunächst darauf abzustellen, ob das Restleistungsvermögen dem Versicherten typische Verrichtungen wie z. B. Bedienen von Maschinen oder das Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen, einfache Büro- oder Montagetätigkeiten oder z. B. auch Verrichtungen wie das Messen, Prüfen, Überwachen und die (Qualitäts-)Kontrolle von Produktionsvorgängen ermöglicht. Dieser Kern an typischen körperlichen Verrichtungen ist nicht überholt (vgl. BSG, Urteil v. 11.12.2019 – B 13 R 7/18 R, Rn. 30, 32). Je weniger solche geeigneten Arbeitsfelder und Verrichtungen für den Versicherten in Betracht kommen, desto eingehender ist das Vorliegen eines Ausnahmefalls zu prüfen und das Ergebnis zu begründen.
In diesem Sinne ist die schwere spezifische Leistungsbehinderung eine schwerwiegende Behinderung, die bereits allein ein weites Feld an Einsatzmöglichkeiten versperrt (vgl. BSG, Urteil v. 09.05.2012 - B 5 R 68/11 R).
Liegt eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vor, hat der Rentenversicherungsträger eine geeignete Verweisungstätigkeit konkret zu benennen. Es ist dann das körperliche, geistige und kognitive Leistungsvermögen mit dem beruflichen Anforderungsprofil zu vergleichen. Hierbei ist auch zu fragen, ob die/der Versicherte die fachlichen Qualifikationen hat bzw. ob sie/er sie in drei Monaten erlernen kann. Kann der Versicherte die Verweisungstätigkeit nicht ausüben, ist er auch dann (voll) erwerbsgemindert, wenn sein zeitliches Leistungsvermögen uneingeschränkt ist (vgl. BSG, Urteil v. 11.12.2019 – B 13 R 7/18 R, Rn. 40).
a) Unter diesen Prämissen und Berücksichtigung des vom Sachverständigen N festgestellten Leistungsvermögens des Klägers liegt nach Auffassung der Kammer hier eine schwere spezifische Leistungsbehinderung im Sinne der Rechtsprechung des BSG durchaus vor (was im Übrigen auch der Prüfarzt der Beklagten in seiner Stellungnahme vom 14.10.2021 so angenommen hat, vgl. Bl. 127 GA). Nach dieser Rechtsprechung ist anerkannt, dass insbesondere Einschränkungen der Arm- und Handbeweglichkeit im Erwerbsleben eine schwere spezifische Leistungsbehinderung darstellen und Zweifel an einer normalen betrieblichen Einsatzfähigkeit, auch für leichte Tätigkeiten, gerechtfertigt erscheinen lassen (vgl. BSG, Urteil v. 28.08.1991 - 13/5 RJ 47/90; BSG GrS, Beschluss v. 19.12.1996 - GS 2/95).
Bei dem Kläger liegt eine fast vollständige Gebrauchsunfähigkeit der linken Hand vor. Sie kann allenfalls zum kurzen Gegenhalten eingesetzt werden. Die Kammer kann sich – entgegen der zuletzt im Termin geäußerten Auffassung der Beklagten – nicht davon überzeugen, dass der Kläger die linke Hand noch in wesentlichem Umfang im Sinne einer Beihand nutzen kann. Derartige Feststellungen hat weder der gerichtlich bestellte Sachverständige niedergeschrieben noch gehen sie aus den Untersuchungsbefunden hervor. Es ist nicht ersichtlich, dass die Nutzung der linken Hand über ein Abstreifen der Kleidung mit dem linken Daumen oder ein Anspreizen des Daumens hinausgehen würde. Die Kammer verkennt nicht, dass auch im neurologischen Gutachten vom 08.10.2020 Beobachtungen des Gutachters W dahingehend beschrieben sind, dass der Kläger z. B. Unterlagen aktiv in beiden Händen gehalten habe, die linke Hand assistierend beim Ausziehen genutzt habe und die angegebene Berührungsempfindlichkeit nicht konsistent nachweisbar gewesen sei. Die Elektroneurographie hatte keine pathologischen Befunde ergeben. Der Gutachter ging von einer eher demonstrierten Schonhaltung, einer Diskrepanz zwischen demonstrierter Funktionslosigkeit und unwillkürlichem Einsatz aus.
Diesbezüglich hat aber auch N die Befundsituation eingehend beleuchtet. Er machte deutlich, dass letztlich über die Genese des Zustandes nur spekuliert werden könne, zum einen ein Voranschreiten der degenerativen Veränderungen im Fingerbereich in Betracht komme, wahrscheinlicher aber eine absolute Schonhaltung der linken Hand im Alltag der Grund sei. Auch ein CRPS sei nicht auszuschließen. Dies kann aber aus Sicht der Kammer letztlich dahinstehen, wenn der Zustand, wie er sich aktuell darstellt, nach der objektiven Einschätzung des Sachverständigen keine wesentliche Gebrauchsfähigkeit der linken Hand mehr zulässt. Der Sachverständige spricht hier sehr klar von einer funktionellen Einhändigkeit bzw. von nur noch möglichen Arbeiten, die das Vorhandensein der linken Hand nicht voraussetzen. Die Kammer hat insoweit keinen Grund, an der Einschätzung von N hinsichtlich der Einsetzbarkeit der Hand zu zweifeln. Zumal dieser die Vorbefunde und Ausführungen der BG-Gutachter ebenfalls gesehen und in die Beurteilung mit einbezogen hat. Insbesondere hat er erkannt, dass sich die Befunde hinsichtlich der Hände seit dem letzten Zusammenhangsgutachten nochmals verschlechtert haben. Dies ist bei chronologischer Betrachtung der Behandlungs- und Entlassungsberichte auch nachvollziehbar. Denn daraus ergibt sich eine kontinuierliche Verschlechterung der Funktions- und Einsatzfähigkeit insbesondere der linken Hand auch für den medizinischen Laien. Wenn am Anfang der handspezifischen Rehabilitation bzw. Arbeitstherapie noch zuversichtlich von einer sehr umfassenden Einsatzfähigkeit auch der linken Hand ausgegangen wurde, sogar von der Möglichkeit von Arbeiten mit Werkzeug und Maschinen mit Haltevorrichtungen bzw. einer Tätigkeit im Lager mit Be- und Entladetätigkeiten (vgl. Arbeitstherapeutische Leistungsanalyse, Bericht vom 23.01.2019, Bl. 47ff VAmT), so zeigte sich v. a. in den Berichten des behandelnden Chirurgen L sodann doch eine deutliche Abnahme bzw. Stagnation der Beweglichkeit bzw. Funktionsfähigkeit der Hand. Auch eine Vorstellung in der Spezialklinik für derartige Krankheitsbilder, der Unfallbehandlungsstelle (UBS) in B erbrachte keine Erkenntnisse zu weiteren erfolgversprechenden Therapieansätzen (vgl. Bl. 61 VAmT). L spricht in seinem Gutachten vom 14.10.2019 für die A Versicherung AG ebenfalls von einer nahezu vollständigen Funktionsunfähigkeit der linken Hand und chronischem Schmerzzustand mit nachweisbarer Kraftminderung; die Griffarten wie Spitz-, Schlüssel-, Fein-, Grob- und Hakengriff waren nicht demonstrierbar (vgl. Bl. 69ff VAmT). Schließlich hat auch der weitere unfallchirurgische Gutachter U in seinem für die A erstellten Gutachten vom 07.07.2021 verbleibende hochgradige funktionelle Defizite im Sinne einer Einsteifung der Hand- und Fingergelenke festgestellt (vgl. Bl. 146ff GA).
Selbst wenn man nicht von einer vollständigen Einhändigkeit ausgehen wollte, so führt doch der unstreitig bestehende Zustand der Hände jedenfalls zu einer deutlichen Einengung der Einsatzmöglichkeiten im Bereich körperlich leichter Erwerbstätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes. Die vom BSG benannten typischen Verrichtungen wie z. B. Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Sortieren, Verpacken, auch einfache Büro- oder Prüftätigkeiten bzw. (Qualitäts-)Kontrolle setzen üblicherweise den zumindest nicht wesentlich eingeschränkten Gebrauch beider Hände voraus. Hiervon kann vorliegend nicht ausgegangen werden, zumal auch die Funktionsfähigkeit der rechten Hand bereits eingeschränkt ist. Feinmotorische Tätigkeiten sind auch hiermit nicht mehr ausführbar.
b) Zur Überzeugung des Gerichts kann der Kläger nicht auf die von der Beklagten benannte Tätigkeit eines Sicherheitsmitarbeiters im Objektschutz- bzw. Separatwachdienst (Pförtner an der Nebenpforte) verwiesen werden. Nach Auffassung der Kammer ist diese Tätigkeit in der Form, wie sie in der Vergangenheit von der Beklagten und den Gerichten beschrieben wurde, am Arbeitsmarkt nicht mehr in der hinreichenden Anzahl von freien und besetzten Stellen vorhanden. In einer Pförtnertätigkeit, wie sie unter den jetzigen Bedingungen des Arbeitsmarktes existent ist, kann der Kläger mit seinen konkreten gesundheitlichen Einschränkungen jedoch nicht zumutbar eingesetzt werden.
Auch die Kammer ist, insbesondere auf Grundlage von Auskünften des Bundesverbandes der Sicherheitswirtschaft BDSW (z. B. noch vom 06.06.2016 oder vom 29.08.2013), in der Vergangenheit davon ausgegangen, dass es eine ausreichende Anzahl an Arbeitsplätzen für (einfache) Pförtner (an der Nebenpforte) durchaus gab, bei denen keine besonderen Anforderungen an die körperliche Verfassung gestellt wurden. Die Arbeit wurde als leichte Tätigkeit in der Pförtnerloge überwiegend im Sitzen mit Möglichkeit zum Haltungswechsel charakterisiert, bei der Personen- und Fahrzeugverkehr, Werksausweise kontrolliert und überwacht, Passierscheine ausgestellt werden. Eine solche Arbeit war auch für Personen geeignet, die in der Gebrauchsfähigkeit der Hände eingeschränkt waren, so dass etwa auch eine funktionale Einarmigkeit grundsätzlich nicht entgegen stand (vgl. so auch z. B. Thüringer LSG, Urteil v. 30.10.2012 - L 6 R 732/09; Urteil v. 28.01.2014 – L 6 R 698/11, Rn. 23; LSG Sachsen- Anhalt, Urteil v. 08.05.2008 – L 3 R 478/06 Rn. 38; LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 26.03.2010 – L 4 R 3765/08; auch noch Thüringer LSG, Urteil v. 09.10.2019 – L 12 R 439/17).
Die Kammer sieht jedoch auf Grundlage der überzeugenden Ausführungen in aktuellen Urteilen des LSG Berlin-Brandenburg und des LSG Sachsen-Anhalt eine Arbeitsmarktgängigkeit einer solchen, auf das konkrete Einsatzgebiet der Nebenpforte beschränkten Tätigkeit nicht mehr als gegeben an.
Insbesondere das LSG Berlin-Brandenburg (vgl. Urteil v. 12.07.2018 – L 8 R 883/14) hat nach sehr umfangreichen und ausführlichen berufskundlichen Ermittlungen, Einholung von Gutachten und Auskünften zahlreicher Sicherheitsunternehmen ein Bild von der Lage am Arbeitsmarkt in Bezug auf Pförtnertätigkeiten zeichnen können, das sich für die Kammer schlüssig und nachvollziehbar darstellt.
Im Ergebnis der Ermittlungen ist festzustellen, dass es sich bei den entsprechenden Arbeitsplätzen als Pförtner an der Nebenpforte allenfalls um Nischen- oder Phantasiearbeitsplätze handelt. Die Tätigkeit des Pförtners an der Nebenpforte, die früher unstreitig vorhanden war, werde im Rahmen einer veränderten Arbeitswelt isoliert nicht mehr angeboten. Firmen, die noch über eine Nebenpforte verfügen, würden die Besetzung dieser Pforte an Sicherheitsfirmen vergeben, die dann dort ihre Mitarbeiter einsetzen würden. Diese können dann auch an anderer Stelle als Sicherheitsmitarbeiter eingesetzt werden und müssten dort erheblich andere Anforderungen erfüllen, wie Kontrollgänge ausführen, Erste Hilfe leisten, in 12-Stunden-Schichten arbeiten (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, a. a. O., Rn. 106). Flexible Einsätze seien unerlässlich, die Beschäftigten seien in der Regel körperlich voll belastbar (Rn. 44). Das reine Absitzen eines Dienstes an der Pforte würde sich im aktuellen Marktumfeld kein Arbeitgeber mehr leisten. Die Tätigkeit eines Pförtners oder Sicherheitsmitarbeiters beinhalte regelmäßig, dass man Verantwortung für Leib und Leben anderer übernimmt, was jedoch nur möglich sei, wenn man über körperliche Belastbarkeit verfügt.
Die vom BDSW benannten und vom LSG Berlin-Brandenburg befragten Sicherheitsunternehmen gaben unter anderem an (vgl. Rn. 64ff): Durch die Begrifflichkeit „Pförtner an der Nebenpforte“ wird letztlich nur eine der zum Berufsbild des Sicherheitsmitarbeiters gehörende Tätigkeit erfasst. Die Mitarbeiter müssten flexibel sein, eine Einstellung erfolge als Sicherheitsmitarbeiter, so dass vertraglich keine Beschränkung auf eine Tätigkeit ausschließlich als Pförtner bestehe. Die Aufgaben eines Pförtners hätten sich stark gewandelt. Vor einigen Jahren habe es noch einfache Tätigkeiten auszuführen gegeben. Im Zuge der letzten Jahre seien die Pforten oft technologisch aufgerüstet worden und der Kunde wünsche flexibles Servicepersonal, das entsprechend umfangreich eingesetzt werden kann. Es fielen regelmäßig Tätigkeiten im Freien an, z. B. durch Kontrollgänge. Das gezielte eigenständige Ausführen von Haltungen (Stehen, Gehen, Sitzen) sei nur selten möglich. Fast alle Kunden würden vom Sicherheitspersonal eine Ausbildung in Erster Hilfe erwarten, üblicherweise werde in Schichten gearbeitet. Das Anforderungsprofil sei umfangreicher geworden. Alle Arbeitsplätze seien von Aufgaben wie Streifengängen, Besucherverkehr und Zutrittsmanagement gekennzeichnet, Hilfeleistung jeder Art für den Auftraggeber gehöre schlicht zum Berufsbild.
Auch das LSG Sachsen-Anhalt hat auf Grundlage aktueller berufskundlicher Ermittlungen seine Bewertung hinsichtlich der Arbeitsmarktgängigkeit der Tätigkeit eines Pförtners an der Nebenpforte geändert (vgl. Urteil v. 26.07.2018 – L 3 R 428/15 Rn. 61f). Es geht zwar davon aus, dass weiterhin Arbeitnehmer an der Nebenpforte arbeiten, dass diese aber arbeitsvertraglich keine insoweit eingegrenzten Arbeitsverträge erhalten, d. h. sich im Rahmen des Direktionsrechts des Arbeitgebers auch anderweitig einsetzen lassen müssen. Das ergebe sich aus der Zuordnung der Arbeitsverhältnisse im Wesentlichen nicht mehr zu den Unternehmen und Behörden selbst, sondern zu Dienstleistungsanbietern. Diese seien zur Auslastung der – häufig im Rahmen der Zeitarbeit beschäftigten – Mitarbeiter darauf angewiesen, die Beschäftigten flexibel einsetzen zu können und beschränken ihre Direktionsbefugnis im Arbeitsvertrag nicht in der Weise, dass andere Wachschutztätigkeiten von dem Arbeitnehmer von vornherein nicht geschuldet sind. Damit ergebe sich indes ein anderes Tätigkeitsprofil, das sich nicht mehr auf die leichten körperlichen Arbeiten im Sitzen mit der Möglichkeit zum Haltungswechsel ohne besondere Anforderungen an die geistigen, psychischen und mnestischen Fähigkeiten eingrenzen lässt (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, a. a. O., Rn. 62).
Im Ergebnis ist zu konstatieren, dass im heutigen Arbeitsleben auch die Tätigkeit eines Pförtners bzw. Sicherheitsmitarbeiters im Objektschutz körperliche Belastbarkeit und Flexibilität voraussetzt (so auch LSG Niedersachsen- Bremen, Urteil v. 18.12.2019 – L 2 R 147/19, Rn. 55; „physische und psychische Belastbarkeit als Voraussetzung für den Pförtner“ bereits: BSG, Urteil v. 23.08.2001 – B 13 RJ 13/01 R). Die von Sicherheitsmitarbeitern in der aktuellen Arbeitswelt abgeforderten Tätigkeiten setzen einen zuverlässigen Einsatz beider Hände voraus, etwa bei Erste Hilfe-Leistungen, der Bedienung eines Feuerlöschers, Verhindern des Eindringens Unbefugter, Taschen- und Personenkontrollen, Entgegennehmen und Weiterleiten von Postsendungen, Ausstellung von Passierscheinen etc. (vgl. z. B. auch SG Duisburg, Urteil v. 20.03.2014 – S 10 R 77/11, Rn. 31). Dies kann vom Kläger wegen der Einschränkungen in der Gebrauchsfähigkeit der Hände gerade nicht geleistet werden.
Die Beklagte hat auch keine andere Tätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarktes benannt, welche der Kläger unter Berücksichtigung seiner Leistungseinschränkungen wettbewerbsfähig ausführen kann. Solche sind auch der Kammer nicht ersichtlich. Damit steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass beim Kläger volle Erwerbsminderung vorliegt.
Dr. Neumann hat in seinem Gutachten ausgeführt, dass das festgestellte Leistungsvermögen seit Rentenantragstellung im Oktober 2019 anzunehmen sei und auf die Befunde bei L am 16.10.2019 verwiesen. Diese Aussage ist unter Würdigung der Gesamtumstände des Falles jedoch nicht geeignet, die volle Überzeugung des Gerichts in Bezug auf einen Leistungsfall bereits in Oktober 2019 zu begründen. Wie bereits ausgeführt ist aus den medizinischen Unterlagen ersichtlich, dass sich die Funktionsfähigkeit der linken Hand seit dem Unfall in 2018 immer weiter verringert hat. Dies hat auch der Kläger persönlich auf Nachfrage des Gerichts so bestätigt. Auch N stellte eine Verschlechterung der Befunde an beiden Händen seit der Begutachtung für die BGHM in 2/2020 fest. Unter diesen Umständen kann nicht mit der für den Vollbeweis erforderlichen, an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass die jetzt festgestellte aufgehobene Gebrauchsfähigkeit der linken Hand bereits zu einem früheren Zeitpunkt als dem der Begutachtung durch N gegeben war. Da der Ausschluss der Verweisungstätigkeit maßgeblich gerade auf die funktionelle Einhändigkeit zurückzuführen ist, eine solche explizite Feststellung jedoch erstmals in der Untersuchung durch N dokumentiert und damit nachgewiesen ist, sieht die Kammer den Leistungsfall der vollen Erwerbsminderung erst zum Untersuchungstag, dem 14.09.2021 als gegeben an.
Der Kläger hat einen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer. Nach § 102 Abs. 2 S. 1 SGB VI sind Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit grundsätzlich auf Zeit zu leisten. Vorliegend greift jedoch die in § 102 Abs. 1 S. 4 SGB VI geregelte Ausnahme ein, wonach Renten, auf die ein Anspruch unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage besteht, unbefristet geleistet werden, wenn unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung kann eine Unwahrscheinlichkeit der Behebung einer Leistungsminderung im Sinne des § 102 Abs. 1 S. 4 SGB VI erst dann angenommen werden, wenn alle therapeutischen Maßnahmen ausgeschöpft bzw. nicht erfolgversprechend sind. Dies hat der Sachverständige N hier bejaht. Die Bewegungseinschränkung der linken Hand hat er als verfestigt beschrieben, etwaige verbleibende Therapiemöglichkeiten hat er nicht benannt. Dies erachtet die Kammer unter Berücksichtigung insbesondere auch der Ausführungen im Entlassungsbericht der UBS Berlin vom 04.04.2019 bzw. des Berichts von L vom 06.11.2019 (Bl. 61f VAmT) als nachvollziehbar.
Der Beginn der Erwerbsminderungsrente ergibt sich aus § 99 Abs. 1 SGB VI, wonach eine Rente aus eigener Versicherung von dem Kalendermonat an geleistet wird, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen für die Rente erfüllt sind, wenn die Rente bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats beantragt wird, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. Bei einem Leistungsfall am 14.09.2021 liegen zu Beginn des Monats Oktober 2021 alle Anspruchsvoraussetzungen für die Rente nach § 43 Abs. 2 SGB VI vor.
Der Klage war daher zum überwiegenden Teil stattzugeben. Da der Kläger auch zuletzt noch eine Rentengewährung bereits ab 01.11.2019 beantragte, konnte er mit seiner Klage nicht vollumfänglich durchdringen, die Klage war im Übrigen abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG. Vorliegend erachtet die Kammer eine Übernahme der Kosten durch die Beklagte nicht für billig, da der von der Kammer festgestellte Leistungsfall erst während des laufenden Klageverfahrens eingetreten ist.