L 6 VH 3682/20

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6.
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 9 VH 3486/18
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 VH 3682/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 15. Oktober 2020 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt – im Wege des Überprüfungsverfahrens – die Gewährung einer Beschädigtengrundrente auf Grund einer – als Schädigung anerkannten – achtmonatigen Inhaftierung in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR).

Er ist 1948 in R in T (zwischenzeitlich Bezirk G) geboren und in der DDR aufgewachsen. Er wohnte später in B. Nach seinen späteren Angaben wurde sein Vater, der als selbstständiger Unternehmer tätig war, in den 1950-er Jahren enteignet und von den Behörden der DDR verfolgt. Der Kläger hat Ausbildungen zum Mechaniker und Werkzeugmacher und ein Studium zum Ingenieur, Fachrichtung wissenschaftlicher Gerätebau, absolviert. Aus seiner Berufstätigkeit als Ingenieur im VEB (Volkseigener Betrieb) Elektrogeräte B ist der Kläger – nach eigenen Angaben aus politischen Gründen – 1975 entlassen worden. Danach war er als Schlosser tätig. Zuletzt arbeitete er als Betriebsingenieur im VEB Transportgummi B. Er hat mit 21 Jahren geheiratet und hat zwei – 1970 und 1977 geborene – Töchter, die nicht mehr in seinem Haushalt leben. Zusammen mit seiner Ehefrau bewohnt er ein Eigenheim mit circa 400 qm Grundstück, welches von ihm unterhalten wird.

Nachdem er während eines Urlaubs in der (ehemaligen) T1 einem Westdeutschen Studenten von seinem abgelehnten Ausreiseantrag erzählt hatte und dieser einen Zeitungsartikel darüber veröffentlichte, wurde er am 16. November 1988 von den Behörden der DDR verhaftet. Er verbrachte zunächst zweieinhalb Monate in Untersuchungshaft in einem Gefängnis des Ministeriums für Staatssicherheit in G. Am 6. Februar 1989 verurteilte ihn das Kreisgericht (KrG) G. (Az.: S 23/89) wegen „ungesetzlicher Verbindungsaufnahme“ zu der Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zwei Monaten. Seine Ehefrau war ebenfalls verhaftet worden und wurde gleichermaßen verurteilt. Der Kläger und seine Ehefrau waren danach in der Justizvollzugsanstalt (JVA) B1 inhaftiert. Nach den späteren Angaben des Klägers beruhte die Verurteilung auf einem Ausreiseantrag der Familie und der Ankündigung, gegen die Ablehnung dieses Antrags demonstrieren zu wollen; vor allem darauf, dass in einer Zeitung in der damaligen Bundesrepublik ein Artikel über den Fall erschienen war.

Am 27. Juli 1989 wurden er und seine Ehefrau nach ihrem Freikauf durch die Bundesrepublik Deutschland (BRD) aus der Haft entlassen. Sie reisten noch am selben Tag in das Bundesgebiet ein und wurden in der Aufnahmestelle G1 untergebracht. Sie wurden dem Land B2 zugewiesen und nahmen im August 1989 Wohnung im R1Kreis.

Auf den Antrag des Klägers vom 23. August 1989 hin erteilte das Landratsamt (LRA) des R1Kreises am 13. September 1990 die Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 Häftlingshilfegesetz (HHG), wonach er Opfer einer rechtsstaatswidrigen Inhaftierung in der DDR war und Ausschlussgründe nach § 2 HHG nicht vorlagen.

Bereits am 12. September 1989 beantragte der Kläger erstmals Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) und machte „psychosomatische Beschwerden“ geltend. Er legte die Bescheinigung des S vom 29. August 1989 vor, wonach bei ihm Oberbauchbeschwerden, Völlegefühl und Schlafstörungen vorlägen. Ferner reichte er unter anderem seinen Ausweis für Arbeit und Sozialversicherung zur Akte, in dem auch die Heilbehandlungen seit 1965 verzeichnet waren.

Der Kläger war an seinem neuen Wohnort ab dem 1. Dezember 1989 als Instandhaltungs- bzw. Sicherheitsingenieur vollschichtig berufstätig.

Im Auftrag des Beklagten erstattete der G2 das Gutachten vom 2. Juli 1990. Dort berichtete der Kläger, in der JVA B1 hätten die „üblichen menschenunwürdigen Zustände“ geherrscht. Er sei in eine Zehn-Mann-Zelle mit Kriminellen eingesperrt worden. Z.T. habe er schlecht geschlafen, einmal habe er eine Schlaftablette genommen. Einmal sei in seinem rechten Auge eine Ader geplatzt, diese Verletzung sei behandelt worden, Folgen seien nicht zurückgeblieben. Die Arbeitsbelastung durch Instandhaltungsarbeiten an Bahnwaggons sei auszuhalten gewesen. Belastet hätten ihn im Wesentlichen die Verhöre; dort habe man versucht, seine Schuldgefühle auszunutzen und die Ehefrau gegen ihn auszuspielen. G2 führte aus, nach der Übersiedlung hätten leichtere psychovegetative Störungen bestanden, die sich inzwischen, auch nach der Arbeitsaufnahme, verloren hätten. Ärztliche Behandlungen oder Medikationen seien nicht notwendig. Der Kläger wirke nicht durch die Haft belastet, sondern eher durch Schuldgefühle auch gegenüber seiner Ehefrau, die sich darauf bezögen, dass nach dem Fall der Mauer die Gründe für die Flucht weggefallen seien. Die MdE (Minderung der Erwerbsfähigkeit – zwischenzeitlich als Grad der Schädigung [GdS] bezeichnet) betrage unter 25 v. H..

Der Beklagte erließ den Erstanerkennungsbescheid vom 5. März 1991. Darin führte er aus, als Folge der Inhaftierung sei „für die Zeit vom 27. Juli 1989 bis zum 2. Juli 1990 (...) ein psychovegetatives Syndrom“ hervorgerufen worden, eine MdE von 25 v. H. werde nicht erreicht, sodass eine Rente nicht begehrt werden könne, allerdings bestehe für den anerkannten Zeitraum Anspruch auf Heilbehandlung. Der Kläger erhob, beschränkt auf die Befristung insbesondere des Heilbehandlungsanspruchs, Widerspruch. Diesen wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 3. Juni 1991 zurück.

Bereits am 15. Juni 1990 hatte der Kläger – noch bei den Gerichten der DDR – Rehabilitierung beantragt. Mit Beschluss vom 13. Mai 1991 hob das Bezirksgericht (BezG) G. (Az.: 3 Reha 356/91) das Urteil des KrG G. vom 6. Februar 1989 auf, stellte fest, dass der Kläger im Umfang der Urteilsaufhebung rehabilitiert war und sprach ihm „dem Grunde nach Ansprüche nach Maßgabe des Rehabilitierungsgesetzes“ zu. Die rechtliche Grundlage dieser Rehabilitierungsentscheidung des BezG G. waren §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 1, Abs. 2 Nrn. 3 und 4 des Rehabilitierungsgesetzes der DDR (RehabG-DDR) vom 6. September 1990 (GBl. der DDR vom 18. September 1990, S. 1459). Dieses Gesetz war noch von der letzten, frei gewählten Volkskammer der DDR verabschiedet worden. Die Regelungen dieses Gesetzes über die strafrechtliche Rehabilitierung, darunter auch §§ 1 und 3, galten nach der Wiedervereinigung Deutschlands im Beitrittsgebiet fort. Diese Fortgeltung von Teilen des RehabG-DDR hatten die Regierungen beider deutscher Staaten gemäß Art. 9 Abs. 3 des Vertrags zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands (Einigungsvertrag – EV) vom 31. August 1990 (BGBl II S. 889) in Art. 3 Nr. 6 der Vereinbarung zur Durchführung und Auslegung des Einigungsvertrages (EinigVtrVbg) vom 18. September 1990 (BGBl. II 1990, 885, 1239) vereinbart. Ebenso galten die Regelungen in § 7 Abs. 1 und 2 RehabG-DDR fort, wonach die Rehabilitierung einen Anspruch auf soziale Ausgleichsleistungen begründete, der sich in Art und Umfang nach den Vorgaben des (bundesdeutschen) HHG richten sollte. Diese fortgeltenden Teile des RehabG-DDR wurden durch § 27 Nr. 2 des Gesetzes über die Rehabilitierung und Entschädigung von Opfern rechtsstaatswidriger Strafverfolgungsmaßnahmen im Beitrittsgebiet (Strafrechtliches Rehabilitierungsgesetz – StrRehG), verkündet als Art. 1 des Ersten Gesetzes zur Bereinigung von SED-Unrecht (1. SED-UnrechtsberG) vom 29. Oktober 1992 (BGBl I S. 1814), mit Wirkung ab dem 4. November 1992 aufgehoben. In § 26 Abs. 3 Satz 1 StrRehaG ist bestimmt, dass für die Folgeansprüche aus einem bis zum In-Kraft-Treten des StrRehaG abgeschlossenen Rehabilitierungsverfahrens die Vorschriften des StrRehaG gelten.

Mit Bescheid vom 10. Juli 2001 erkannte der Beklagte bei dem Kläger einen Grad der Behinderung (GdB) von 30 wegen degenerativer Veränderungen der Wirbelsäule, Schulter-Arm-Syndrom, Fingerpolyarthrose, Funktionsbehinderung des linken Kniegelenks, Leberschaden und Bluterkrankung an. Nachdem bei ihm Ende 2004 ein Rektum-Karzinom diagnostiziert worden war, das später operiert wurde, stellte der Beklagte mit Bescheid vom 7. April 2005 einen GdB von 60 fest, wobei er zusätzlich die Enddarmerkrankung in Heilungsbewährung berücksichtigte. Nachdem festgestellt worden war, welches Stadium der Tumor erreicht hatte, stellte der Beklagte mit Teil-Abhilfe-Bescheid vom 26. August 2005 den GdB mit 90 fest.

Am 21. November 2008 beantragte der Kläger – erneut – Beschädigtenversorgung wegen seiner Inhaftierung in der DDR. Er trug vor, das Schulter-Arm-Syndrom und der Bandscheibenschaden seien Folgen der Inhaftierung. Er leide ferner unter psychischen Beeinträchtigungen in Form von Wiedererleben der Verfolgung, Ein- und Durchschlafstörungen im Sinne einer Schlaf-Apnoe, innerer Unruhe, fehlender Belastbarkeit, übersteigertem Misstrauen und Konzentrationsschwierig­keiten. Er gab an, er habe in der JVA B1 unter unwürdigen Bedingungen im Drei-Schicht-System Kohlewaggons in Stand halten müssen. Die Ernährung sei unzureichend gewesen, die Matratzen durchgelegen. Zu der ungewohnten Arbeit seien die psychischen Belastungen wie die Ungewissheit über das Schicksal von Frau und Kindern, das Gefühl der unrechtmäßigen Inhaftierung, das Fehlen von Privatsphäre und die Unterbringung mit Schwerverbrechern auf engstem Raum gekommen.

Der Beklagte zog Befundberichte der behandelnden Ärzte bei. Der B3 berichtete über einen Zustand nach (Z. n.) Rektum-Karzinom im Jahre 2005 mit anhaltenden Durchfällen und Oberbauchbeschwerden und einer Minderverfettung der Leber, eine allgemeine Leistungsminderung mit Antriebslosigkeit und Nachtschweiß, knöcherne Beschwerden an der linken Schulter, an der LWS und im Nackenbereich im Sinne eines zervikalen Bandscheibenschadens sowie über ein Schlaf-Apnoe-Syndrom. Er legte weitere Berichte vor, darunter den Brief von dem E (benigner Lagerungsschwindel) und die Entlassungsberichte der Oklinik vom 15. März 2005 (Z. n. Rektumkarzinom, Anpassungsstörung und degeneratives Zervikalsyndrom) und des Rehabilitationszentrums B4 vom 11. Juli 2006 (Folgen des operierten Karzinoms). Der K berichtete, der Kläger leide gesichert an einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS), die Therapie werde alsbald beginnen, die Beeinträchtigungen beruhten mit allergrößter Wahrscheinlichkeit auf Traumatisierungen während der Haft in der DDR. Dieser Behandler legte den Entlassungsbericht der K1-Klinik B5 über eine stationäre Rehabilitation des Klägers im November 2000 vor (Impingementsyndrom beider Schultern, Cervicobrachialgie bds., Arthralgie Grundgelenk D V [Kleinfinger] links, Steatosis hepatis I-II bei Eisenspeicherkrankheit).

Der Beklagte holte das orthopädische Gutachten der S1 aufgrund ambulanter Untersuchung vom 4. Januar 2010 ein. Danach bestehe bei dem Kläger eine Bandscheibenschädigung im Bereich C6/7 mit Beteiligung der Nervenwurzel und folgendem Schulter-Arm-Syndrom. Diese Beschwerden habe die Mehrheit der Bevölkerung. Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule seien typisch auf Grund der einseitigen Belastung und der mangelnden sportlichen Betätigung. Bei dem Kläger gebe es keinen Anhaltspunkt für einen Zusammenhang mit der schweren Arbeit während der Inhaftierung.

Weiter holte der Beklagte das psychiatrische Gutachten des L aufgrund ambulanter Untersuchung vom 19. März 2010 ein. Danach sei durch die Inhaftierung bei dem Kläger durchaus eine posttraumatische Symptomatik aufgetreten, die sich in der Folgezeit durch ein erhöhtes Misstrauen, ein gelegentliches Wiedererinnern, gelegentliche Albträume, leichtere Stimmungsschwankungen, gelegentliches Grübeln und eine leicht erhöhte affektive Durchlässigkeit ausgezeichnet habe. Diese Störung sei unterschiedlich stark ausgeprägt gewesen. Nachhaltige und schwerwiegende Beeinträchtigungen der Lebens- und Gestaltungsmöglichkeiten hätten sich nicht ausgeprägt. Dem Kläger sei im Westen eine sehr gute berufliche und soziale Integration gelungen. Er unterhalte zahlreiche soziale Kontakte. Ein ausgeprägtes Vermeidungsverhalten könne auch bei mehreren Besuchen an den Orten der Inhaftierung nicht festgestellt werden. Die Symptome des Klägers erfüllten nicht die Voraussetzungen einer PTBS nach F43.1 der ICD-10 GM. Vielmehr liege eine sonstige Reaktion auf schwere Belastung (F43.8 ICD-10 GM) vor. Diese bestehe seit 1989. Ob zumindest zwischenzeitlich (auch) andere, schädigungsunabhängige Ereignisse wie die Karzinom-Erkrankung auf die psychische Erkrankung eingewirkt hätten, könne nicht zweifelsfrei festgestellt werden. Der GdS, gemessen am Gesamtbild der psychischen Beeinträchtigungen, betrage 15 bis 20.

L1 schloss sich versorgungsärztlich zunächst dem von L vorgeschlagenen GdS von 20 an. Auf Nachfrage des Beklagten, führte sie aus, dass davon ausgegangen werden müsse, dass ein Teil der psychischen Beeinträchtigung auf schädigungsunabhängige Einflüsse wie die internistischen und orthopädischen Erkrankungen, die tiefe Enttäuschung und Kränkung in Bezug auf den Umgang mit DDR-Unrecht und den ausgeprägten Wunsch nach Wiedergutmachung zurückzuführen sei. Es sei darauf hinzuweisen, dass die Wiedererinnerungen an die Haft erst 2005 aufgetreten seien. Der GdS betrage daher nur 10.

Mit Bescheid vom 16. August 2010 erkannte der Beklagte „im Anschluss an den Bescheid vom 28. Februar 1991 (...) nunmehr (...) eine sonstige Reaktion auf Inhaftierung“ als Folgen einer Schädigung „nach § 21 StrRehaG“ an. Der GdS betrage 10. Ein Anspruch auf Grundrente bestehe nicht, allerdings könne Heilbehandlung begehrt werden. Die geltend gemachten Beeinträchtigungen auf körperlichem Gebiet seien nicht schädigungsbedingt. Eine besondere berufliche Betroffenheit komme nicht in Betracht. Hinsichtlich des früheren Bescheids führte der Beklagte aus, dem Antrag des Klägers auf Neufeststellung nach § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) sei ab dem 1. November 2008 stattzugeben.

Der Kläger erhob Widerspruch. Er könne dem Argument von L nicht folgen, die Karzinom-Erkrankung sei nicht Ursache der psychischen Beeinträchtigungen. Diese hätten schon vor 2005 vorgelegen. Vor der Inhaftierung habe er auch keine Beschwerden am Rücken oder im Schulter-Arm-Bereich gehabt.

Nach Einholung eines weiteren Befundscheins bei B3 und einer versorgungsärztlichen Stellungnahme bei S2 erließ der Beklagte den zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 8. März 2011.

Zwischenzeitlich hatte der Beklagte mit Bescheid vom 16. November 2011, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 10. Mai 2011, den GdB wegen Ablaufs der Heilungsbewährung auf 50 herabgesetzt.

Am 30. März 2011 erhob der Kläger erstmals Klage beim Sozialgericht (SG) Mannheim und beantragte, den Beklagten zur Anerkennung eines GdS von (genau) 25 und zu einer entsprechenden Entschädigung zu verurteilen. Er legte dort einen Zeitungsartikel („In Kopfhöhe ausgerichtet“, DER SPIEGEL 20/1999, S. 42) über die Bestrahlung von Häftlingen in der DDR mit Röntgenstrahlen, die später gehäuft zu Karzinom-Erkrankungen führten, vor. Er führte dazu aus, gegebenenfalls sei auch seine Krebserkrankung so verursacht worden.

Zur weiteren Sachaufklärung holte das SG die sachverständige Zeugenaussage des K ein. Dieser bekundete, der Kläger habe ihm gegenüber angeben, er habe ab 2004 nicht mehr ein- und durchschlafen können, nachdem er bei einem Besuch in den neuen Ländern seinen damaligen Richter, der nun als Anwalt arbeite, aufgesucht und mit der damaligen Verurteilung konfrontiert habe, und sich dieser an nichts mehr erinnert hätte, er sich durch das Rektum-Karzinom tödlich bedroht gefühlt habe und nachdem sein Antrag auf Rückübertragung des Unternehmens, das in den 1950-er Jahren seinem Vater entzogen worden sei, abgelehnt worden sei. Die Albträume seien immer schlimmer geworden. Der Kläger wache fast jede Nacht schreiend und schweißgebadet auf. Vor Beginn der Behandlung 2010 hätten Suizidgedanken bestanden. Es liege eine komplexe Traumafolgestörung im Sinne einer PTBS (F43.1 ICD-10 GM) vor. Die nachhaltig traumatisierenden Erlebnisse während der Inhaftierung seien ursächlich für diese Erkrankung. Sie sei durch die – anderen – genannten Erfahrungen reaktualisiert worden. Es finde eine langsame Bearbeitung in einer 4-wöchentlichen tiefenpsychologisch fundierten Therapie seit Juni 2009 statt, die noch für einen längeren Zeitraum notwendig sei.

Anschließend erhob das SG von Amts wegen das Gutachten des Chefarztes der Klinik für Allgemeinpsychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik im Klinikum W, S3, vom 25. Februar 2013. Dieser führte aus, die Kriterien einer PTBS nach F43.1 ICD-10 könnten nicht im Vollbild festgestellt werden. Dies gelte zunächst für das B-Kriterium. Es sei fraglich, ob die vom Kläger benannten Auslöser für Wiedererinnerungen (Klinkerbauten und geklinkerte Wände, Kläffen von Hunden, Gerüche öffentlicher WCs) psychopathologische Relevanz in Form besonderer Lebhaftigkeit oder gar Flash-back-Charakter hätten. In den ersten Jahren nach der Inhaftierung seien solche Symptome nur selten und nur unter besonderen Umständen aufgetreten. Ferner sei das D-Kriterium (Hypersensitivität) nicht mit hinreichender Sicherheit erfüllt. Es lägen allenfalls zwei Unterkriterien vor, wobei die vom Kläger angegebenen Konzentrationsdefizite bei der Begutachtung mit mehreren Testungen nicht nachweisbar gewesen seien und der Kläger seine Schlafstörungen wenig dramatisch schildere. Nervosität im Sinne von Reizbarkeit, Wutausbrüchen oder Schreckhaftigkeit sowie eine Hypervigilanz hätten nicht vorgelegen. Das E-Kriterium (Auftreten der anderen Symptome binnen sechs Monaten) sei ebenfalls nicht erfüllt. Insgesamt zeige sich daher keine PTBS, sondern eine sonstige Reaktion auf schwere Belastung (F43.8 ICD-10). Andere psychische Erkrankungen, etwa eine depressive Episode, lägen nicht vor. Zur Kausalität führte S3 aus, dass nach fachwissenschaftlichem Kenntnisstand auch eine „subsyndromale PTBS“, wie hier, auf einem multifaktoriellen Bedingungsgeflecht beruhe. Bei dem Kläger hätten sich keine Hinweise auf eine Vorerkrankung ergeben, allenfalls habe es eine Sensibilisierung wegen der Verfolgung des Vaters in den 1950-er Jahren gegeben. Vor diesem Hintergrund stelle die Inhaftierung den wesentlichen Grund für die psychischen Beeinträchtigungen dar. Dass die Symptome erst 2004/2005 bei anderen Belastungen zu Tage getreten seien, sei eine klinisch nicht selten anzutreffende Konstellation. Dies ändere nichts an der wesentlichen Bedeutung des Schädigungsereignisses. Die aus der Erkrankung des Klägers folgenden Funktionsbeeinträchtigungen seien vergleichsweise blande und beständen – nur – in durch bestimmte Trigger ausgelösten Erinnerungen, Schlafstörungen und einem gewissen Vermeidungsverhalten in Bezug auf spezifische Raumsituationen. Vor diesem Hintergrund sei der GdS ab Anfang 2005 auf 10, ab Anfang 2015 auf 15 zu schätzen. Sicher liege keine wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungfähigkeit vor.

Auf Antrag und Kostenrisiko des Klägers beauftragte das SG die E1 mit einer Begutachtung. Die Sachverständige führte in ihrem Sachverständigengutachten vom 15. Januar 2014 aus, dass das Vollbild einer PTBS vorliege, andere psychische Störungen könnten ausgeschlossen werden. Auch die Kriterien, die S3 verneint habe, seien erfüllt. Dies gelte zunächst für das B-Kriterium. Es lägen deutliche Intrusionen vor. Der Kläger reagiere mit Herzklopfen und Schweißausbrüchen z. B. auf tätowierte Menschen und auf Hundegebell. Er fühle sich dann zurückversetzt in ohnmächtige und hoffnungslose Lagen. Diese Symptome habe der Kläger glaubhaft geschildert. Dass sie in den Aktenunterlagen so nicht dokumentiert worden seien, beruhe darauf, dass die stationären Behandlungen des Klägers nicht auf psychische Erkrankungen ausgerichtet gewesen seien. Unabhängig hiervon sei die psychische Belastung durch die Haft während der stationären Behandlung in der Oklinik notiert worden. Das D-Kriterium sei bereits durch die zwei Unterkriterien Schlafstörungen und Albträume erfüllt, darüber hinaus berichte der Kläger glaubhaft über eine teils vermehrte Reizbarkeit bei den Themen „ungerechte Behandlung“, „Stasi“ und „autoritärer Umgangston“. Auch der zeitliche Abstand des Auftretens der Symptome zur Haft sei erklärlich, nach einer klinischen Studie aus Dresden trete bei immerhin 10 % aller Haftopfer das Vollbild einer PTBS noch nach Jahrzehnten auf. Es seien auch die massiven Schuldgefühle des Klägers unberücksichtigt geblieben. Der GdS für das Vollbild der PTBS sei auf 30 einzuschätzen, diese habe sich seit der Berentung des Klägers 2010 klinisch manifestiert. Seitdem sei der Kläger in seiner Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit deutlich eingeschränkt. Eine besondere berufliche Betroffenheit habe nicht vorgelegen, da der Kläger immer in der Lage gewesen sei, einer beruflichen Tätigkeit nachzugehen und durch seine Familie eine gute soziale Unterstützung erfahren habe.

S3 führte ergänzend gehört aus, dass die abweichenden Ergebnisse methodisch bedingt seien. Die E1 übernehme die Beschwerdeangaben des Klägers eins zu eins, wodurch Beschwerdeschilderung und Befund vermischt würden. Er habe die Beschwerdeangaben mit aktuellen Befunden und aktenkundigen Vorbefunden und Angaben abgeglichen. Dies sei für ein Sachverständigengutachten von zentraler Bedeutung. So sei der Kläger während der Begutachtung mit Klinkerwänden konfrontiert gewesen, habe aber keine pathologische Reaktion gezeigt. Auch kognitive Dysfunktionen seien nicht festzustellen gewesen. Dies spreche gegen aktuelle Wiedererinnerungen. Es sei unschlüssig, weshalb der GdS erst ab 2010 mit 30 zu bewerten sein solle, wenn die PTBS schon zuvor vorgelegen haben solle und nach Auffassung der Sachverständigen immer zu einem GdS von 30 führe.

Mit Urteil auf Grund mündlicher Verhandlung vom 7. Mai 2015 wies das SG die Klage ab. Ob eine PTBS oder eine andere psychische Erkrankung als Folge der Inhaftierung vorliege, könne offen bleiben. Der allein geltend gemachte Anspruch auf eine Beschädigtengrundrente nach einem GdS um 25 bestehe nicht, denn der GdS liege nicht über 20. Es sei der Einschätzung des S3 zu folgen. Eine wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit könne nicht gesehen werden. Der Kläger habe im Westen sofort Fuß gefasst und lange gearbeitet. Schon bei L habe er im Einzelnen eine gute soziale Integration beschrieben. Die Familie sei intakt, es bestünden enge Kontakte zu den Kindern. Der Kläger habe Freunde und Kontakte zu Nachbarn, sei im Schützenverein und verrichte gern handwerkliche Tätigkeiten. Zwar hätten sich – wie vom Kläger befürchtet – bei Beginn der Rente die Erinnerungen an die Haft verstärkt, aber weitergehende Einschränkungen bei der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft seien hieraus nicht entstanden. Der Kläger fülle den Vormittag mit Gartenarbeit, Einkaufen und Handwerken in der eigenen Werkstatt aus. Er helfe beim Kochen und im Haushalt. Nachmittags arbeite er ebenso, einen Teil des Tages sei er am Computer mit Fotos und Videos beschäftigt. Er unterhalte weiterhin soziale Kontakte in die neuen Länder. Soweit die E1 stärkere Einschränkungen in den sozialen Aktivitäten angenommen habe, entspreche dies nicht den früheren Angaben des Klägers wie z. B. bei S3. Unzutreffend sei auch ihre Annahme, eine PTBS führe immer zu einem „Mindest-GdS“ von 30. Ein solcher GdS setze eine wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit voraus, die die Sachverständige nicht nachvollziehbar begründet habe.

Gegen das Urteil legte der Kläger Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG – L 6 VH 2746/15) ein und machte geltend, dass er sich in sein neues Umfeld im Westen nicht richtig integriert habe. Nach der Haftzeit habe er wegen Misstrauens keine neuen Freunde gefunden. Er habe nur zu einem Nachbarn Kontakte entwickelt. Er nehme an Feierlichkeiten wie Tanzen oder Fasching nicht teil. Er könne sich nicht mehr freuen und keine positiven Gefühle mehr entwickeln. Die von der E1 ermittelten Hinweisreize, die Wiedererinnerungen auslösten, vermeide er konsequent. Soweit S3 darauf abstelle, dass er auf die Klinkerwände im Klinikum W nicht reagiert habe, sei darauf hinzuweisen, dass es auf die Art der Klinkergebäude ankomme. Er reagiere nur auf Architektur aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Einschätzung der E1, eine PTBS begründe einen Mindest-GdS von 30, treffe nach dem Beschluss des Ärztlichen Sachverständigenbeirats Versorgungsmedizin bei Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) vom 6./7. November 2008 zu. Auf die in erster Instanz in den Vordergrund gerückten Diagnosen komme es im Rahmen des Rentenbegehrens aber nicht an.

Weiter legte er eine Stellungnahme von K2, Beratungsstelle für politisch Traumatisierte der SED-Diktatur, vom 25. September 2015 vor. Darin wurde ausgeführt, dass S3 die Ergebnisse eines selbst durchgeführten Tests, die auf eine PTBS hindeuteten, nicht gewürdigt habe. Sein Vorwurf gegenüber der E1 nur die Angaben des Klägers zu Grunde gelegt zu haben, treffe nicht zu, vielmehr habe die Sachverständige mit dem SCID-PTSD eines der bestvalidierten diagnostischen Interviews mit Screening-Fragen zu allen Symptomkomplexen der PTBS durchgeführt. Soweit S3 auf die fehlende Reaktion des Klägers auf Klinkerwände hingewiesen habe, sei darauf hinzuweisen, dass klinisch hohe psychische Erregungszustände bekannt seien, bei denen die Betroffenen äußerlich ungerührt wirkten und dass emotionslose Schilderungen traumatypische Abspaltungen sein könnten. Hierauf deute auch das hohe soziale Anpassungsniveau des Klägers hin, das beide Sachverständige festgestellt hätten. Ferner legte der Kläger den genannten Beschluss des Sachverständigenbeirats beim BMAS vor.

Zu diesen Angaben und Unterlagen nahm S3 am 7. April 2016 ergänzend Stellung und führte aus, dass auch nach dem Beiratsbeschluss kein GdS von 30 vorschlagen werden könne, da er nicht das Vollbild einer PTBS diagnostiziert habe. Die Ergebnisse des genannten Tests (PTSS-10, IES-R) habe er gewürdigt, solche Symptomfragebögen seien als Screeninginstrument hilfreich, um Verdachtsdiagnosen zu generieren, eine abschließende Diagnose könne jedoch erst nach einer gezielten und kritischen (klinischen) Prüfung der notwendigen Symptome gestellt werden. Dies gelte im Übrigen auch für den von der E1 verwandten PTSS-10, den K2 als „Goldstandard“ bezeichnet habe. An der Einschätzung, dass zwei der vier notwendigen Kriterien einer PTBS nicht nachweisbar erfüllt seien, müsse festgehalten werden. Soweit K2 dies auf ein hohes soziales Anpassungsniveau des Klägers zurückführe, beruhe dies auf bloßen Mutmaßungen. Im Weiteren beantwortete S3 noch eine Nachfrage zur Differenzierung zwischen Beschwerdeschilderungen und Befunderhebungen vor der Stellung einer psychiatrischen Diagnose.

Die Berufung wies der Senat mit Urteil vom 12. Januar 2017 zurück. Es könne offenbleiben, welche genaue Diagnose vorliege, da die Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VG) bei der Feststellung des GdS von Funktionseinbußen ausgingen, die aus einer Erkrankung folgten. Nach den VG, Teil B, Nr. 3.7 werde auf das Ausmaß der Einschränkungen in der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit oder der sozialen Anpassungsschwierigkeiten des Betroffenen abgestellt. Aus dem Beschluss des Sachverständigenbeirats folge nicht, dass sich die GdS-Bewertung nach der medizinischen Diagnose richte. Die bei dem Kläger aus der psychischen Erkrankung resultierenden funktionellen Einbußen begründeten keinen GdS von wenigstens 25, sodass kein Anspruch auf Rente bestehe.

Die beim Bundessozialgericht (BSG) eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde wurde mit Beschluss vom 10. Juli 2017 (B 9 V 12/17 B) als unzulässig verworfen.

Bereits am 18. Dezember 2017 beantragte der Kläger zum dritten Mal – streitgegenständlich - die Überprüfung der Bescheide vom 13. September 1990, 5. März 1991 und 16. August 2010 und die Gewährung einer Beschädigtengrundrente nach einem GdS von mindestens 30 ab dem 1. Januar 2013. Er machte geltend, dass er auf dem Boden einer erhöhten Kränkbarkeit und eines starken Gerechtigkeitsgefühls aufgrund von Ereignissen in den DDR aus den 50er und 70er Jahren eine politische Verfolgung sowie Inhaftierung erlitten habe. Er sei in der berüchtigten Strafanstalt in B1 inhaftiert gewesen, in der politische Gefangene zusammen mit Schwerstkriminellen untergebracht gewesen seien. In einer neueren zusammenfassenden Veröffentlichung aus 2013 werde ausgeführt, dass die komplexe Traumafolgestörung eine Prozessstörung sei und kein statisches Störungsbild, es sich also im Verlauf ändern könne. Die persönliche Einstellung zur eigenen Person und die zur Welt würden häufig nachhaltig und in umfassender Weise durch das Trauma verändert. Es komme in diesem Zusammenhang oft zu zusätzlichen anderen Symptombildungen und es fänden sich Überschneidungen mit anderen psychischen Krankheitsbildern. Eine eindeutige Zuordnung in die möglichen Traumafolgestörungen nach ICD-10 und DSM-V sei dann häufig nicht möglich. Insoweit werde auf die Darlegungen der zentralen Gutachterin für das Bundesland T E1 Bezug genommen. Es bestünden konkurrierende Ursachen, die keine manifesten Erkrankungen seien, sondern im Gegenteil allenfalls die Vulnerabilität, eine PTBS wegen politischer Verfolgung zu erleiden, erhöht hätten. Dieser Kausalzusammenhang sei aber vom Schutzzweck des Gesetzes umfasst. Nach dem Beiratsbeschluss des ärztlichen Sachverständigenbeirats sei bei einem Vollbild einer PBTS ein GdS von wenigstens 30 zwangsläufig angemessen. Dieses erfülle er insbesondere nach seiner vorzeitigen Berentung im Alter von 63 Jahren mit verstärkten Schlafstörungen und einschlägigen Albträumen. Seine Ehefrau könne die angegebene Symptomatik und die hierdurch eingetretene Belastung in der Ehe bestätigen. Die Beurteilungen seien auf Sachverständigengutachten gestützt worden, die nicht den Anforderungen des Gesetzgebers an Gutachten auf diesem besonders sensiblen Fachgebiet entsprächen. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollten auf diesem Fachgebiet nur geschulte und besonders sachkundige Gutachter beauftragt werden, die nach Möglichkeit „zentral“ eingesetzt würden und bestehende Beweiserleichterungsmöglichkeiten konsequent und korrekt ausschöpften (Rundschreiben vom 5. September 1997). Auch der 9. Senat des BSG habe mehrfach von den Sachverständigen eine Kenntnis der einschlägigen medizinischen Fachliteratur gefordert (B 9 VH 3/09 B und B 9 V 17/11 B). Als einzige in diesem Sinne zentral eingesetzte Sachverständige habe hier E1 ein Gutachten erstattet und sich angemessen mit den (nicht ausreichend sachkundigen) Vorgutachten auseinandergesetzt. Das Land B1 wende seit April 2017 Kriterien für die besondere Sachkunde von Gutachtern an, die weder L noch S3 erfüllten, wohl aber die zentrale Sachverständige für das Land T E1. Ergänzend hat er eine Zeugenerklärung seiner Ehefrau vorgelegt (vgl. Blatt 262 VerwAkte).

S4 führte versorgungsärztlich aus, dass sich aus der Aussage der Ehefrau des Klägers keine neuen Gesichtspunkte ergäben. Die beschriebene Symptomatik sei bereits im Sachverständigengutachten des S3 ausführlich erörtert worden und es seien keine Gründe ersichtlich, weshalb man diesem nicht folgen solle. Ein GdS von wenigstens 25 könne nicht festgestellt werden.

Mit Bescheid vom 10. April 2018 lehnte das LRA den Antrag ab. Unter Berücksichtigung der vorgelegten Zeugenerklärung ergäben sich keine neuen Gesichtspunkte. Die beschriebene Symptomatik sei bereits von S3 ausführlich erörtert worden.

Gegen den Bescheid erhob der Kläger Widerspruch und machte geltend, dass sich die wissenschaftlichen Erkenntnisse erweitert hätten.

Den Widerspruch wies das Regierungspräsidium Stuttgart – Landesversorgungsamt – mit Widerspruchsbescheid vom 23. Oktober 2018 zurück. Die Bescheide seien rechtsverbindlich geworden, eine Rücknahme komme nicht in Betracht, da sich auch unter Berücksichtigung der Zeugenerklärung der Ehefrau keine neuen Gesichtspunkte oder sonstigen rechtserheblichen Tatsachen ergäben, die die früheren Entscheidungen widerlegen könnten.

Am 22. November 2018 hat der Kläger erneut Klage beim SG erhoben und geltend gemacht, dass eine besondere berufliche Betroffenheit vorliege und er frühzeitig (Altersteilzeit) aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sei.

Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat darauf verwiesen, dass der Erstanerkennungsbescheid vom 28. Februar 1991 datiere und lediglich am 5. März 1991 abgesandt worden sei. Soweit das Vorliegen einer PTBS geltend gemacht werden, sei auf die aktenkundigen Ausführungen der Leitenden Ärztin des Versorgungsamts H hinzuweisen. Eine besondere berufliche Betroffenheit sei erstmals im jetzt anhängigen Klageverfahren geltend gemacht worden. Eine berufliche Beeinträchtigung bis zur Berentung 2011 sei diesen Ausführungen nicht zu entnehmen. Demgegenüber gehe aus dem Schreiben ausdrücklich hervor, dass der Kläger sich nochmals verstärkt in seinem Wesen verändert habe, seit er 2011 in den Ruhestand getreten sei. Ergänzend werde auf die eigenen Angaben des Klägers gegenüber dem Gutachter L verwiesen.

In der nichtöffentlichen Sitzung vom 30. September 2019 hat das SG den Kläger persönlich gehört (vgl. Protokoll vom gleichen Tag). Dieser hat im Wesentlichen angegeben, dass er vor dem Gefängnis ein lebensfreudiger, zugänglicher Mensch gewesen sei. Er sei zunächst etwa drei Monate in Untersuchungshaft gewesen, die Verhältnisse dort seien äußerst eng gewesen, es habe nicht einmal Fenster gegeben. Bei der Haftanstalt in G habe es sich um einen roten Klinkerbau gehandelt, wenn er heute ein vergleichbares Gebäude sehe, mache er einen großen Bogen darum. Jetzt könne es nicht mehr wie früher auf Leute zugehen und sei misstrauisch. Sein gesamtes Lebensgefühl habe sich geändert. Hinzu komme Bluthochdruck, den er früher nicht gehabt hätte. Wenn er vorher gewusst hätte, dass 1989 die Mauer falle, hätte er das Jahr sicher noch in der DDR aushalten können. Allerdings sei er damals davon ausgegangen, dass dies „noch ewig“ ginge. Später bei der Arbeit im Westen sei es so gewesen, dass er häufiger an sich gezweifelt habe und unsicher gewesen sei, ob er das schaffe. Im Übrigen habe er Schlafstörungen, müsse nachts viel grübeln und könne schlecht einschlafen. Er habe später im „Spiegel“ gelesen, dass es im Gefängnis in G einen Stuhl gegeben habe, der dazu benutzt worden sei, die Häftlinge unbemerkt mit radioaktiver Strahlung zu bestrahlen. Er selbst habe nur zweimal auf dem Stuhl gesessen und sei später an Krebs erkrankt. Er frage sich nun, ob die Erkrankung Schicksal gewesen sei oder auf einer Bestrahlung beruhe. In der Ehe sei er die treibende Kraft gewesen, die DDR zu verlassen. Seine Frau sei zurückhaltender gewesen, habe die DDR zwar auch verlassen wollen, aber befürchtet, im Westen als Lehrerin keine Stelle mehr zu finden. Nachdem seine Frau die nötigen Abschlüsse nachgemacht habe, sei sie als Lehrerin tätig gewesen.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG hat das SG das Sachverständigengutachten des P aufgrund ambulanter Untersuchung vom 25. Februar 2020 erhoben, der eine PTBS im Vollbild gesehen und den GdS auf 30 eingeschätzt hat. Diesem gegenüber hat der Kläger angegeben, dass das Aufwachsen im Elternhaus durch das Unrecht, das sein Vater durch das System der DDR erlitten habe, geprägt gewesen sei. Die Familie sei im Besitz eines der größten Busunternehmen in T gewesen, welches 1952 enteignet und sein Vater zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt worden sei. Nachdem Anfang der 1980er Jahre zwei Besuchsanträge zu runden Geburtstagen von Verwandten in Westberlin abgelehnt worden seien, habe er schließlich einen Ausreiseantrag gestellt, der abgelehnt worden sei. Hierüber habe er 1989 einem westdeutschen Studenten berichtet, der einen Zeitungsartikel mit Namen und Fotos veröffentlicht habe. Kurz darauf habe man ihn verhaftet und er sei in die Untersuchungshaftanstalt gekommen. Man habe ihn zu zwei Jahren Strafhaft verurteilt und mit dem Zug 24 Stunden in völlig überfüllten Abteilen quer durch die DDR gefahren. In der Strafhaft hätten sie als kleine Gruppe politisch Gefangener mit einer weit größeren Gruppe von brutal tätowierten Schwerstkriminellen und Mördern zusammenleben müssen. Von diesen sei ständig Gewalt ausgegangen, er habe permanent Angst gehabt, die Aggressionen auf sich zu ziehen. Er habe körperliche Schwerstarbeit in einem Waggonausbesserungswerk der Reichsbahn verrichten müssen, wobei die hygienischen Verhältnisse besonders belastend gewesen seien. Auf den Toiletten habe es unerträglich nach Urin gestunken.

Er sei dann von der BRD freigekauft worden und habe ausreisen dürfen. Über die Empfehlung eines westdeutschen Onkels habe er Kontakt mit einem Unternehmer aufgenommen, der ihm und seiner Familie eine kostengünstige Wohnung zur Verfügung gestellt habe, sodass seine beiden damals 18 und 13 Jahren alten Töchter ebenfalls hätten ausreisen können. Dann habe er sich um eine Stelle als Ingenieur beworben, eine solche gefunden und sei nochmal in eine bessere Anstellung gewechselt. Er habe berufsbegleitend eine Weiterbildung zum Sicherheitsingenieur gemacht und sei von 1990 bis zu seiner Berentung 2010 in dieser Firma geblieben.

Während der Haft habe er nachts nicht schlafen können. Am schlimmsten sei die Ungewissheit und Ohnmacht gewesen, das Gefühl, hilflos ausgeliefert zu sein. Er schrecke nachts immer wieder aus seinen Albträumen auf. Er habe immer den gleichen Traum, wie er in B1 am Bahnhof angekommen sei, die Leute mit Maschinengewehren im Anschlag und mit den bellenden Hunden an der Leine um ihn herumgestanden hätten und dann das riesengroße rote Backsteingebäude. Seit der Gefängniszeit könne er nicht mehr so richtig unter Leute gehen, er habe das Vertrauen in andere Menschen verloren. Wenn ihm jemand etwas Gutes antun wolle, zweifle er an dessen Absicht und stelle sich voller Misstrauen die Frage, warum der das mache und welche Hintergedanken dies habe.

Erinnerungen kämen in Situationen hoch, die Ähnlichkeit mit der Haftzeit hätten. Wenn er ein altes Gebäude aus rotem Backstein sehe, habe er sofort die Erinnerungen an seinen Nervenzusammenbruch bei der Ankunft im Gefängnis in B1. Er versuche, die Begegnung mit solchen Gebäuden zu vermeiden, die ihn an die Haftanstalt erinnerten, er meide es, in solche Gebäude hinein zu gehen. Er habe es jahrelang unterlassen, an seinem Arbeitsplatz oder mit Freunden über seine Hafterlebnisse zu sprechen. Er versuche öffentliche Toiletten zu vermeiden, wo es so nach Urin rieche, wie damals in denen des Reichsbahnausbesserungswerks. Er vermeide die Begegnung mit Menschen, die übermäßig und mit brutalen Motiven tätowiert seien, wie die kriminellen Mitgefangenen von damals. Er habe Konzentrationsschwierigkeiten und schweife beim Lesen teilweise schon nach wenigen Seiten ab. Er sei vermehrt reizbar, insbesondere, wenn er mit Ostdeutschen spreche, die nostalgisch von der DDR berichteten. Seine Frau bemängele seine Reizbarkeit des Öfteren. Er sei vermehrt misstrauisch und habe in bestimmten Situationen das Gefühl, dass die Stasi immer noch existiere, obwohl der Verstand ihm sage, dass das nicht so sei. Er könne sich nicht mehr so freuen wie früher, dies betreffe alles Mögliche, ob es Geschenke seien oder Besuche anderer Menschen. Immer wieder überlagere das Misstrauen die Situation. Die Beschwerden seien die ganzen Jahre seit der Haft beständig da gewesen, er habe trotzdem funktioniert und seine berufliche Tätigkeit habe ihm geholfen sich abzulenken. Alles sei deutlich schlimmer geworden, als er die Ablenkung nicht mehr gehabt habe, nachdem er 2010 in den Ruhestand getreten sei.

Richtige Angst vor den Folgen der Darmkrebserkrankung 2004 habe er nicht gehabt, da die Operation ja rechtzeitig durchgeführt worden sei. Ihn beschäftige nur der Gedanke, ob der Krebs nicht mit der Haft zusammenhänge.

Er stehe morgens gegen 7 Uhr auf, nach der Morgenhygiene und dem Anziehen frühstücke er gemeinsam mit seiner Frau. Vormittags gehe er oft zu seiner Tochter, die in der Nachbarschaft wohne und helfe ihr im Haushalt oder beschäftige sich mit den beiden Enkelkindern. Das Mittagessen nehme er gemeinsam mit seiner Frau ein. Nachmittags gehe er einmal die Woche mit einer Gruppe wandern oder fahre Fahrrad. Nach dem gemeinsamen Abendessen mit seiner Frau sehe er fern oder beschäftige sich am Computer. Gegen 23 Uhr gehe er zu Bett. Der Bekanntenkreis hier im Westen bestehe fast ausschließlich aus ehemaligen DDR-Bürgern, die ein ähnliches Schicksal hätten wie er, oder aus Verwandten. Seine Ehefrau werfe ihm bis heute vor, dass er an der Gefängnisstrafe schuld sei, weil er seine Geschichte dem westdeutschen Studenten vorgetragen habe. Früher sei er ein Jahr lang Mitglied im Schützenverein gewesen, dann aber wieder ausgetreten, da er nicht hingegangen sei. Er nehme nur gelegentlich eine Schlaftablette, von 2009 bis 2012 habe er eine ambulante Psychotherapie gemacht, die aber keine Besserung gebracht habe. Psychiatrische Behandlung nehme er keine in Anspruch.

Psychopathologisch sei der Kläger in der Untersuchungssituation offen und freundlich gewesen. Die Fragen seien bereitwillig beantwortet worden, an mehreren Stellen des Berichts über besonders belastende Hafterlebnisse sei er emotional bewegt und aufgewühlt gewesen und habe nur mit Mühe die Tränen unterdrücken können. Er sei bewusstseinsklar, in allen Qualitäten voll orientiert gewesen. Objektivierbare Wahrnehmungsstörungen sowie Störungen von Auffassung und Gedächtnis bestünden nicht. Bei ausgeglichener Stimmung zeige sich keine Einengung der affektiven Schwingungsbreite. Bei gutem Spontanantrieb fände sich kein Hinweis auf eine Antriebshemmung oder psychomotorische Verlangsamung. Es bestehe ein deutlich subjektives Leiden unter sich situativ aufdrängenden angstbesetzen Hafterinnerungen und Albträumen mit erkennbarem Vermeidungsverhalten in Bezug auf Auslösesituationen. Daneben lägen vermehrte Reizbarkeit, Schreckhaftigkeit, Konzentrationsschwäche, Ein- und Durchschlafstörungen, Einschränkung der Freud- und Genussfähigkeit sowie anhaltendes Misstrauen gegenüber anderen Menschen vor.

Für die Diagnose einer PTBS orientiere sich der Ärztliche Sachverständigenbeirat Versorgungsmedizin an den anerkanntermaßen strikten Diagnosekriterien des DSM-IV. Dieses sei zwar zwischenzeitlich durch das DSM-V abgelöst worden, hierzu liege aber noch keine neuere Stellungnahme vor. Davon ausgehend sei beim Kläger das Traumakriterium (A-Kriterium) erfüllt, da es eine anerkannte Tatsache darstelle, dass die Bedingungen politischer Haft in der DDR grundsätzlich geeignet seien, sich in Form psychischer Gesundheitsstörungen auszuwirken, wenngleich die PTBS die schwerste, aber keineswegs einzige Traumafolgestörung darstelle. Die berichteten objektiven Haftkonstellationen und das subjektive Hafterleben stünden in völliger Übereinstimmung mit den früheren Begutachtungen. Ein Wiedererleben (B-Kriterium) liege vor, da der Kläger anschaulich, einfühlbar und nachvollziehbar über belastende Rückerinnerungen berichte. S3 stelle sich auf den Standpunkt, dass der psychopathologische Charakter der behaupteten Traumatisierung nur dann nachweisbar sei, wenn ihr Bericht in der Untersuchungssituation von beobachtbaren emotionalen und/oder physiologischen Reaktionen begleitet werde. Dem könne nicht gefolgt werden, da die direkte Beobachtbarkeit emotionaler Betroffenheit zwar die Glaubhaftigkeit des Leidensdrucks erhöhe und ohne Zweifel ein Maß für den aktuellen Schweregrad des behaupteten Leidensdrucks sei, ihr Fehlen in der Untersuchungssituation aber nicht das Leiden unter den Erinnerungen an sich widerlege. Insbesondere verblieben keine vernünftigen Zweifel, wenn der Betroffene nicht nur in der jetzigen Untersuchungssituation, sondern konsistent in mehreren früheren Einlassungen in einfühlbarer und nachvollziehbarer erlebnisorientierter Art und Weise von derartigen Begleitreaktionen berichte, wie es beim Kläger der Fall sei. Die Vorgutachten G2, L und Fachärztin E1 dokumentierten durchaus eine beobachtbare emotionale Beteiligung. Das Wiedererlebenskriterium sei erfüllt, das Flash-Back Kriterium hingegen nicht, da nicht davon ausgegangen werden könne, dass sich der Kläger bei diesen Wiedererinnerungssituationen tatsächlich wieder in der Haftsituation glaube. Das Vermeidungskriterium (C-Kriterium) sei erfüllt, da der Kläger berichte, sich jahrelang mit niemandem im Betrieb und keinem Fremden über seine Hafterlebnisse unterhalten zu haben. Hinsichtlich des Ein- und Durchschlafkriteriums verneine S3 dieses zwar, gehe aber nicht darauf ein, warum er den von ihm selbst explorierten Schlafstörungen die notwendige Prägnanz abspreche. Auf die Frage einer vermehrten Reizbarkeit gehe er ebenfalls nicht ein. Die Kriterien E und F seien ebenfalls erfüllt.

Zwar trete die Symptomatik der PTBS typischerweise unmittelbar oder innerhalb von sechs Monaten nach dem Trauma auf, gleichwohl sei es eine anerkannte Tatsache, dass die Symptomatik mit zum Teil mehrjähriger Verzögerung nach dem traumatischen Geschehen auftreten könne. Das Retraumatisierungen auch noch viele Jahre nach dem ursprünglichen Trauma zu einer Verschlechterung führen könnten, sei aus Studien bekannt. Die Rechtsprechung fordere in diesen Fällen allerdings, dass bei mehrjähriger Latenz zwischen schädigendem Ereignis und Vollausprägung der PBTS Brückensymptome während der Latenzzeit nachweisbar sein müssten. Solche lägen hier in Form von Schlafstörungen, Albträumen und belastenden Rückerinnerungen vor, wobei die Schlafstörungen schon während der Haftzeit aufgetreten seien. Im Laufe der Jahre sei es zu einer stufenweisen Verschlechterung der Symptomatik gekommen, in den ersten Jahren habe der Kläger noch relativ gut funktionieren können. Die Annahme einer Teilverschlechterung ab 2004 werde durch den Umstand erhärtet, dass 2006 eine ambulante Psychotherapie empfohlen worden sei, die ab 2009 stattgefunden habe. Eine kritische Zunahme der Beschwerden habe sich erst ab 2010 eingestellt, als der Kläger pensioniert worden sei. Ab diesem Zeitpunkt würden die Vollkriterien einer PTBS erreicht. Ausgelöst worden sei die kritische Zunahme der PTBS im Jahr 2010 nicht durch eine Retraumatisierung, sondern durch den Wegfall der bis dahin im Wesentlichen über den Beruf funktionierenden Kompensationsmechanismus. Klinisch-global sei der gegenwärtige Schweregrad als mittelgradig einzuschätzen. Dieser globale Eindruck lasse auch anhand der Einzelbeurteilung der für die PTBS-Diagnose maßgeblichen Kriterien untermauern: A-Kriterium (Trauma): mittelgradig, B-Kriterium (Erinnerung): mittelgradig, C-Kriterium (Vermeidung): leicht bis mittelgradig und D-Kriterium (Übererregbarkeit): leicht bis mittelgradig. Hieraus folge, dass der gegenwärtige und seit 2010 bestehende Gesamtschweregrad der PTBS eindeutig näher an mittelgradig als an leichtgradig einzuordnen ist. Zweifellos liege eine stärker behindernde Störung vor. Diese Einschätzung teile, ohne Begründung, die E1. S3 schätze den Schweregrad als leichtgradig ein und begründe dies mit fehlender Alltagsrelevanz. Dem könne so nicht zugestimmt werden, gleichzeitig verweise S3 darauf, dass der Kläger unter der jahrelangen Psychotherapie lediglich prägnanter beschreibe und deute damit indirekt an, dass es sich nicht um eine Zunahme des Schweregrades der Symptomatik, sondern eine Zunahme der Beschwerdeschilderung handele. Dem könne nur insoweit gefolgt werden, als ein von einer PTBS-Betroffener nach vielen Jahren des Schweigens über seine traumatischen Hafterlebnisse in einer traumaorientierten Psychotherapie selbstverständlich lerne, zunehmend offener über diese Erlebnisse und damit über die Folgebeschwerden zu berichten. Dieser Umstand widerlege aber nicht die Schweregradzunahme der in den ersten Jahrzehnten lediglich leichtgradigen subsyndromalen PTBS-Symptomatik ab 2004 und insbesondere ab 2010. An der Verursachung durch die Haftbedingungen bestehe kein Zweifel.

Die vom Kläger für sich reklamierte anhaltende Persönlichkeitsstörung nach Extrembelastung bestehe nicht. Zwar gehe die PTBS auch häufig mit Depressionen einher, eine solche liege ebenfalls nicht vor. Das Rektum-Karzinom könne weder ihrer Natur nach noch von ihrem zeitlichen Auftreten her kausal auf die Haftbedingungen zurückgeführt werden, entsprechendes gelte für die orthopädischen Beschwerden.

Es liege ein mittelgradiger Schweregrad der PTBS vor, somit also eine stärker behindernde Störung, jedoch keine schwere, aber eben auch keine leichte. Die anschauliche, einfühlbar und nachvollziehbare Schilderung der eingeschränkten Freud- und Genussfähigkeit erfülle die Kriterien einer wesentlichen Einschränkung der Erlebnisfähigkeit. Das gleiche gelte für die Gestaltungsfähigkeit im sozialen Bereich, die durch das anhaltende Misstrauen und den haftbedingten Verlust des Urvertrauens zu fremden Menschen wesentlich beeinträchtigt sei. Der GdS sei mit 30 einzuschätzen, was den Empfehlungen des wissenschaftlichen Beirats entspräche. Eine besondere berufliche Betroffenheit bestehe aus den von der E1 aufgezeigten Gründen nicht. Der Kläger habe vor der Inhaftierung die Qualifikation als Betriebsingenieur erworben. 1990 habe er in der BRD erneut eine Stelle als Ingenieur angetreten, die er bis zur Pensionierung 2010 ausgeübt habe. Er sei in den ganzen Jahren überall in der Lage gewesen, auf dem erlernten Qualifikationsniveau weiter zu arbeiten und sich sogar weiter zu qualifizieren.

Der Beklagte ist dem Sachverständigengutachten versorgungsärztlich entgegengetreten. G3 hat ausgeführt, dass ein GdS von 30 nicht hinreichend belegt sei. Eine kontinuierliche psychotherapeutische Behandlung oder psychiatrische Behandlung finde nicht statt. Bei den erfragten Aktivitäten des täglichen Lebens werde ein ausreichend strukturierter Tagesablauf ersichtlich. Das aus den aktuellen Angaben und Befunden ableitbare psychosoziale Funktionsniveau entspreche im Wesentlichen dem Funktionsniveau, wie es in dem psychiatrischen Sachverständigengutachten von S3 dargestellt worden sei.

P hat nach § 109 SGG ergänzend gehört ausgeführt, dass die Argumentation fehlender Psychotherapie nur dann überzeugen könnte, wenn diese 2012 erfolgreich beendet worden wäre, was nicht der Fall sei. Angesichts der Natur der Symptomatik einer PTBS sei nicht der durch die Verhaltensbeobachtung erhobene objektive psychopathologische Befund maßgeblich, sondern vielmehr der durch die gezielte Exploration erhobene subjektive psychopathologische Befund, der sich beeinträchtigt gezeigt habe. Er habe die festgestellte wesentliche Beeinträchtigung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit nicht aus den objektiven Angaben des in der Tat strukturierten Tagesablaufs hergeleitet, sondern aus der nur aus der psychiatrischen Exploration erkennbaren Veränderung des subjektiven Befindens und Erlebens. Er habe auch darauf hingewiesen, dass die E1 zu identischen Beurteilungen gekommen sei.

Mit Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung vom 15. Oktober 2020 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Kammer könne die PTBS nicht bestätigen, da es am D-Kriterium (Übererregbarkeit) fehle. S3 beschreibe in seinem Gutachten ausdrücklich einen altersentsprechenden psychovegetativen Befund. Das decke sich mit der Befundbeschreibung durch P. Dieser verkenne in seiner ergänzenden Stellungnahme, dass es im Rahmen der freien richterlichen Überzeugungsbildung sehr wohl auf den objektivierbaren psychopathologischen Befund ankomme. Alleine die Veränderungen des subjektiven Befindens und Erlebens, auf die er abstelle, könnten die Diagnose nicht tragen. Daneben könnten die Zeitkriterien nicht festgestellt werden, da die Symptomatik nach eigenem Bekunden des Klägers erst mit einer Latenz von 20 Jahren, nach Eintritt in den Ruhestand aufgetreten sei. Klarer Feststellungen zum Zeitmoment bedürfe es aber insbesondere dann, wenn konkurrierende Risikofaktoren vorhanden seien, wie die Krebserkrankung des Klägers 2004. Zudem sei das Familienschicksal zu berücksichtigen, wobei vergleichbare Umstände für eine Vielzahl von DDR-Bürgern Bedeutung hätten und daher den Versorgungsanspruch wegen einer PTBS nicht begründen könne. Denn hierfür sei stets ein besonders schwerwiegendes individuelles Trauma erforderlich. Insbesondere könne der Eintritt in den Ruhestand, entgegen der Auffassung des P, in keiner Weise als späteres „traumaassoziiertes Erlebnis“ aufgefasst werden, welches als Reaktualisierung einer PTBS gewertet werden könnten. Ein GdS von 30 lasse sich nicht begründen und eine besondere berufliche Betroffenheit liege nicht vor. Die spätere berufliche Tätigkeit im Westen sei der vorangegangenen durchaus vergleichbar gewesen bzw. habe einen gewissen beruflichen Aufstieg beinhaltet.

Am 16. November 2020 hat der Kläger erneut Berufung beim LSG eingelegt. Der Sachverständige P, der regelmäßig vom LSG Berlin-Brandenburg beauftragt werde, habe erstmals die Schädigungsfolgen nachvollziehbar und überzeugend dargelegt. Trotzdem sei das SG S3 gefolgt, obwohl dieser Sachverständige über keine Spezialkenntnisse auf dem Gebiet der psychischen Traumafolgestörungen nach politischer Verfolgung in der DDR verfüge. Insbesondere komme es nach der einschlägigen Fachliteratur für diesen Problemkreis nicht auf die Erfüllung einer Brückensymptomatik an. Es sei fachlich verfehlt, wenn das SG annehme, klare Feststellungen zum Zeitmoment seien erforderlich, wenn nicht schädigungsbedingte konkurrierende Risikofaktoren vorhanden seien. Richtig sei vielmehr, dass dies gerade nicht zur typischen Entwicklung einer Traumafolgestörung gehöre.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 15. Oktober 2020 sowie den Bescheid vom 10. April 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Oktober 2018 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm unter Rücknahme des Bescheides vom 16. August 2010 Beschädigtengrundrente nach einem Grad der Schädigung von mindestens 30 seit dem 1. Januar 2013 zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Er verweist auf die angefochtene Entscheidung und die versorgungsärztliche Stellungnahme des G3.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungs- und Gerichtsakten, auch der Vorverfahren, Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegte Berufung, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs. 2 SGG), ist statthaft (§§ 143, 144 SGG) und auch im Übrigen zulässig, aber unbegründet.

Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist das Urteil des SG vom 15. Oktober 2020, mit dem die kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG) auf Gewährung von Beschädigtengrundrente nach einem GdS von mindestens 30 ab dem 1. Januar 2013 unter Aufhebung des Bescheides vom 10. April 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides (§ 95 SGG) vom 23. Oktober 2018 sowie unter Rücknahme des Bescheides vom 16. August 2010 abgewiesen worden ist. Soweit der Kläger ursprünglich noch die Überprüfung der Bescheide vom 13. September 1990 und 5. März 1991 beantragt hatte, hat er einen diesbezüglichen Antrag beim SG nicht mehr gestellt. Eine Überprüfung dieser Bescheide würde im Hinblick auf die begehrte Beschädigtengrundrente ab 1. Januar 2013 nicht weiterführen, nachdem dazu keine Regelungen in den Bescheiden getroffen worden sind. Für die Frage, ob ein Verwaltungsakt wegen anfänglicher Rechtswidrigkeit zurückzunehmen ist, kommt es nicht auf den Stand der Erkenntnis bei Erlass des Verwaltungsakts, sondern im Zeitpunkt seiner Überprüfung an, sodass eine rückschauende Betrachtungsweise im Lichte einer eventuell geläuterten Rechtsauffassung zu der bei Erlass des zu überprüfenden Verwaltungsakts geltenden Sach- und Rechtslage zugrunde zu legen ist (vgl. BSG, Urteil vom 30. Januar 2020 – B 2 U 2/18 R –, juris, Rz. 42; BSG, Urteil vom 4. Juni 2014 – B 14 AS 30/13 R –, juris, Rz. 14).

Die Unbegründetheit der Berufung folgt aus der Unbegründetheit der Klage. Der Bescheid vom 10. April 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Oktober 2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 1 Satz 2 SGG). Er kann die Rücknahme des Bescheides vom 16. August 2010 und die Gewährung einer Beschädigtengrundrente nach einem GdS von mindestens 30 nicht beanspruchen, sodass das SG die Klage zu Recht abgewiesen hat.

Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides ist § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Danach ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (§ 44 Abs. 1 Satz 2 SGB X). Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile des SGB längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht (§ 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X). Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird (§ 44 Abs. 4 Satz 2 SGB X). Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag (§ 44 Abs. 4 Satz 3 SGB X). Dieser zeitlichen Beschränkung hat der Kläger dadurch Rechnung getragen, dass er einen Anspruch auf Beschädigtengrundrente erst ab dem 1. Januar 2013 und nicht ab dem ursprünglichen Antragszeitpunkt begehrt. Für Zeiträume, in denen Leistungen nicht mehr beansprucht werden können, besteht nämlich ein Anspruch auf Rücknahme selbst dann nicht, wenn es sich um einen rechtswidrigen Verwaltungsakt handelt (vgl. Senatsurteil vom 12. Januar 2017 – L 6 VS 5036/15 –, juris –, Rz. 54).

Ziel des § 44 SGB X ist es, die Konfliktsituation zwischen der Bindungswirkung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts und der materiellen Gerechtigkeit zugunsten letzterer aufzulösen (vgl. BSG, Urteil vom 4. Februar 1998 – B 9 V 16/96 R –, SozR 3-1300 § 44 Nr. 24). Ist ein Verwaltungsakt rechtswidrig, haben Betroffene einen einklagbaren Anspruch auf Rücknahme des Verwaltungsaktes unabhängig davon, ob dieser – wie hier – durch ein rechtskräftiges Urteil bestätigt wurde (vgl. BSG, Urteil vom 28. Januar 1981 – 9 RV 29/80 –, BSGE 51, 139 <141>).

Die Voraussetzungen für eine Rücknahme liegen indessen nicht vor. Die Bescheide des Beklagten leiden nicht an verfahrensrechtlichen Mängeln. Zwar hat der Beklagte zur Begründung jeweils auf das StrRehaG verwiesen und nicht auf das HHG, aber dies führt nicht zum – vollständigen – Fehlen einer Begründung im Sinne von § 35 Abs. 1 SGB X. Ferner hat der Beklagte in den angegriffenen Bescheiden sogar den nach dem HHG ergangenen Bescheid vom 28. Februar 1991 in Bezug genommen (vgl. hierzu bereits Entscheidung des Senats vom 12. Januar 2017 – L 6 VH 2746/15 –, juris, Rz. 48), jedoch sind dadurch keine Sozialleistungen zu Unrecht nicht gewährt worden.

Der Anspruch des Klägers richtet sich nicht nach dem StrRehaG, sondern nach dem HHG. Zwar können nach § 25 Abs. 2 Nr. 1 StrRehaG auch Personen, die – wie der Kläger – eine Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG bereits vor dem Inkrafttreten des StrRehaG am 4. November 1992 beantragt und erhalten haben, Ansprüche nach dem StrRehaG geltend machen, da ihnen die Durchführung eines weiteren Verfahrens nach dem StrRehaG nicht mehr zugemutet werden soll (BT-Drucks. 12/1608, S. 24). Dies beschränkt sich jedoch auf die Ansprüche nach den §§ 17 bis 19 StrRehaG unter Anrechnung der Leistungen nach dem HHG. Den Inhabern einer Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG stehen dagegen keine Ansprüche auf Versorgung nach den §§ 21 bis 24 StrRehaG zu. Treffen nämlich wie im Falle des Klägers wegen ein und desselben Ereignisses gleichartige Ansprüche – auf Beschädigtenversorgung – aus § 21 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG und aus § 4 Abs. 1 HHG zusammen, so sind nach § 21 Abs. 1 Satz 2 StrRehaG Leistungen nach § 21 StrRehaG nachrangig (vgl. Rademacher, in: Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 2012, vor § 21 StrRehaG Rz. 11, § 21 StrRehaG, Rz. 13). Zwar ist diese Norm – vordergründig – eng formuliert, wenn sie nach ihrem Wortlaut den Weg in das StrRehaG nur versperrt, wenn auf Grund des anderen Gesetzes „bereits Versorgung bezogen wird“. Es kommt aber gleichwohl nicht darauf an, ob schon Leistungen bewilligt sind und gewährt werden. Der Gesetzgeber hat in seiner Gesetzesbegründung deutlich gemacht, dass er einen Vorrang des anderen Gesetzes schon dann begründen wollte, wenn „wegen desselben schädigenden Ereignisses ein Anspruch auf Versorgung unmittelbar aufgrund des BVG oder aufgrund von Gesetzen, die das BVG für anwendbar erklären, besteht“ (BT-Drs., a.a.O., S. 27). An diesem Nachrang des StrRehaG ändert § 23 Abs. 1 StrRehaG nichts. Zwar wird nach dieser Vorschrift allein nach dem StrRehaG entschädigt, wenn Ansprüche nach § 21 StrRehaG mit anderen Ansprüchen nach dem BVG oder Gesetzen, die auf das BVG verweisen, bestehen. Diese Norm erfasst jedoch nur Schädigungen auf Grund mehrerer, verschiedener schädigender Ereignisse (vgl. Knickrehm, a.a.O., § 23 StrRehaG, Rz. 2), während § 21 Abs. 1 Satz 2 StrRehaG konkurrierende Ansprüche erfasst, die – wie im Falle des Klägers – auf dieselbe Schädigung zurückzuführen sind.

Dennoch kann der Kläger eine Rücknahme des Bescheides vom 16. August 2010 nicht beanspruchen, da ihm ein Versorgungsanspruch nach den Vorschriften des HHG nicht zusteht.

Nach § 4 Abs. 1 HHG erhält ein nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 HHG Berechtigter, der infolge des Gewahrsams eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen dieser Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG. Voraussetzung für einen Versorgungsanspruch des Klägers nach § 4 Abs. 1 HHG ist das Vorliegen einer gesundheitlichen Schädigung, die durch einen schädigenden Vorgang infolge des Gewahrsams herbeigeführt worden ist. Ein solcher schädigender Vorgang bzw. schädigendes Ereignis infolge des Gewahrsams muss eine Gesundheitsschädigung (im Sinne eines Primär- oder Erstschadens) verursacht haben. Sie muss wiederum die geltend gemachten gesundheitlichen Schädigungsfolgen – also die verbliebenen Gesundheitsstörungen – wesentlich bedingt haben. Dabei müssen sich die drei Glieder der Kausalkette (schädigender Vorgang infolge des Gewahrsams, Schädigung und Schädigungsfolgen) im Vollbeweis mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststellen lassen, während für den ursächlichen Zusammenhang zwischen ihnen eine hinreichende Wahrscheinlichkeit ausreicht (vgl. BSG, Urteil vom 27. September 2018 – B 9 V 2/17 R –, juris, Rz. 33).

Eine Gesundheitsschädigung kann nur dann einen Entschädigungsanspruch nach § 4 Abs. 1 HHG begründen, wenn sie durch Umstände des Gewahrsams im Sinne der auch in der Kriegsopferversorgung geltenden Theorie der wesentlichen Bedingung verursacht worden ist (vgl. BSG, Urteil vom 8. Mai 1981 – 9 RV 24/80 –, juris, Rz. 22). Nicht alle Umstände des Gewahrsams kommen als geeignete Ursachen im Rechtssinne infrage, sondern nur solche, die als gewahrsamseigentümlich in den Schutzbereich des § 4 Abs. 1 HHG fallen. Dies sind nur diejenigen Umstände, die dem Gewahrsam seiner Art nach als spezifische Gefahren eigentümlich zuzurechnen sind und vor deren Folgen das Gesetz die Gewahrsamsunterworfenen deshalb schützen soll (vgl. BSG, Urteil vom 12. September 2019 – B 9 V 2/18 R –, juris, Rz. 20).

Beschädigtengrundrente kann nach Maßgabe von § 4 Abs. 1 HHG i. V. m. §§ 30 Abs. 1, 31 Abs. 1 BVG beansprucht werden. Danach erhalten eine monatliche Grundrente in Höhe von 156 € Beschädigte bei einem GdS von 30 (§ 31 Abs. 1 BVG). Nach § 30 Abs. 1 Satz 1 BVG ist der GdS nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen, seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen. § 30 Abs. 16 BVG in der seit 1. Juli 2011 geltenden Fassung (BGBl. I, 1114 – zuvor § 30 Abs. 17 BVG [eingefügt m. W. v. 21. Dezember 2007 – BGBl. I 2904]) ermächtigt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Verteidigung und mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des Absatzes 1 maßgebend sind.

Bei der Beurteilung des Grades des GdS waren für die Zeit bis zum 31. Dezember 2008 die „Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)“ (AHP) in ihrer jeweils geltenden Fassung zu beachten, die für die Zeit ab dem 1. Januar 2009 durch die Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) in ihrer jeweils geltenden Fassung abgelöst worden sind. Die auf den Erfahrungen der medizinischen Wissenschaft fußenden AHP haben normähnlichen Charakter und sind nach ständiger Rechtsprechung wie untergesetzliche Normen heranzuziehen, um eine möglichst gleichmäßige Handhabung der in ihnen niedergelegten Maßstäbe im gesamten Bundesgebiet zu gewährleisten (vgl. BSG, Urteil vom 12. Juni 2003 – B 9 VG 1/02 R – juris, Rz. 21). Ab dem 1. Januar 2009 sind die Regelungen über die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des GdS in der nach § 30 Abs. 16 BVG vom BMAS erlassenen Rechtsverordnung, der Versorgungsmedizinverordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl I S. 2412), enthalten. Die Anlage zu § 2 VersMedV, die „Versorgungsmedizinischen Grundsätze“ (VG), sind seit dem 1. Januar 2009 an die Stelle der bis zum 31. Dezember 2008 im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten (vgl. BSG, Urteil vom 23. Juni 1993 – 9/9a RVs 1/91BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 9. April 1997 – 9 RVs 4/95SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18. September 2003 – B 9 SB 3/02 R – BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29. August 1990 – 9a/9 RVs 7/89 – BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1) angewandten AHP getreten (vgl. Senatsurteil vom 27. August 2015 – L 6 VG 2141/13 –, juris, Rz. 48). Nachdem vorliegend, wegen § 44 Abs. 4 SGB X (vgl. oben), in erster Linie Ansprüche ab dem 1. Januar 2013 streitig sind, kommen die Regelungen der VG zur Anwendung, wobei ergänzend darauf hinzuweisen ist, dass sich nach den AHP für die hier entscheidenden Fragen keine anderen Voraussetzungen ergeben.

Teil-GdS sind entsprechend den Vorgaben der VG in Zehnergraden jeweils für Funktionsbeeinträchtigungen anzugeben (vgl. VG, Teil A, Nr. 2 b). Für die Bildung des Gesamt-GdS bei Vorliegen mehrerer Funktionsbeeinträchtigungen, wobei die in den VG, Teil A, Nr. 2 d genannten Funktionssysteme im Allgemeinen zusammenfassend beurteilt werden sollen, sind die Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander zu ermitteln. Dabei verbietet sich die Anwendung jeglicher Rechenmethode (vgl. VG, Teil A, Nr. 3). Vielmehr ist zu prüfen, ob und inwieweit die Auswirkungen der einzelnen Behinderungen voneinander unabhängig sind und ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen oder ob und inwieweit sich die Auswirkungen der Behinderungen überschneiden oder gegenseitig verstärken. Dabei ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Teil-GdS bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten Grad 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden, wobei die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden dürfen. Leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen Teil-GdS von 10 bedingen, führen grundsätzlich nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung; auch bei leichten Funktionsstörungen mit einem Teil-GdS von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (vgl. VG, Teil A, Nr. 3 d ee).

Die bei dem Kläger bestehenden und auf die Haft zurückzuführenden Gesundheitsstörungen sind im Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“ zu bewerten und nach den VG, Teil B, Nr. 3.7 zu beurteilen. Hiervon sind – unabhängig von ihren diagnostischen Einordnungen – die Sachverständigen S3 und P ebenfalls ausgegangen und haben keine Gesichtspunkte dafür aufgezeigt, dass die vom Beklagten durch die Bescheide vom 5. März 1991 und 16. August 2010 bindend (§ 77 SGG) anerkannten Schädigungsfolgen nicht hierunter zu fassen sind. Solche sind für den Senat auch sonst nicht ersichtlich.

Nach den VG, Teil B, Nr. 3.7 begründen Neurosen, Persönlichkeitsstörungen, Folgen psychischer Traumen in Form leichterer psychovegetativer oder psychischer Störungen einen GdS von 0 bis 20, stärkere Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z. B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) einen GdS von 30 bis 40, schwere Störungen (z. B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten einen GdS von 50 bis 70 und mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten einen GdS von 80 bis 100. Die funktionellen Auswirkungen einer psychischen Erkrankung, insbesondere wenn es sich um eine affektive oder neurotische Störung nach F30.- oder F40.- ICD-10 GM handelt, manifestieren sich dabei im psychisch-emotionalen, körperlich-funktionellen und sozial-kommunikativen Bereich (vgl. Philipp, Vorschlag zur diagnoseunabhängigen Ermittlung der MdE bei unfallbedingten psychischen bzw. psychosomatischen Störungen, MedSach 6/2015, S. 255 ff.). Diese drei Leidensebenen hat auch das Bundessozialgericht in seiner Rechtsprechung angesprochen (vgl. BSG, Beschluss vom 10. Juli 2017 – B 9 V 12/17 B –, juris, Rz. 2). Dabei ist für die GdS-Bewertung, da diese die Einbußen in der Teilhabe am Leben in der (allgemeinen) Gesellschaft abbilden soll, vor allem die sozial-kommunikative Ebene maßgeblich (vgl. Senatsurteil vom 12. Januar 2017 – L 6 VH 2746/15 –, juris, Rz. 61). Bei dieser Beurteilung ist auch der Leidensdruck zu würdigen, dem sich der behinderte Mensch ausgesetzt sieht, denn eine „wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit“ meint schon begrifflich eher Einschränkungen in der inneren Gefühlswelt, während Störungen im Umgang mit anderen Menschen eher unter den Begriff der „sozialen Anpassungsschwierigkeiten“ fallen, der ebenfalls in den VG genannt ist. Die Stärke des empfundenen Leidensdrucks äußert sich nach ständiger Rechtsprechung des Senats auch und maßgeblich in der Behandlung, die der Betroffene in Anspruch nimmt, um das Leiden zu heilen oder seine Auswirkungen zu lindern. Hiernach kann bei fehlender ärztlicher Behandlung in der Regel nicht davon ausgegangen werden, dass ein diagnostiziertes seelisches Leiden über eine leichtere psychische Störung hinausgeht und bereits eine stärker behindernde Störung im Sinne der GdS-Bewertungsgrundsätze darstellt (vgl. Senatsurteil vom 22. Februar 2018 – L 6 SB 4718/16 –, juris, Rz. 42; vgl. auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 17. Dezember – L 8 SB 1549/10 –, juris, Rz. 31).

Die VG gehen somit – wie zuvor schon die AHP – bei der Feststellung des GdS von den Funktionseinbußen aus, die aus einer Erkrankung (Behinderung) folgen. Sie knüpfen nicht an die genaue medizinische Diagnose an und unterscheiden nicht nach der Art der Erkrankung. Vielmehr wird allein auf das Ausmaß der Einschränkungen in der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit oder der sozialen Anpassungsschwierigkeiten des Betroffenen abgestellt (vgl. das vorangegangene Senatsurteil vom 12. Januar 2017). S3 hat in medizinischer Hinsicht dazu ausgeführt, dass die Beurteilung nach den funktionellen Auswirkungen sachgerecht ist, um das mögliche Spektrum grundsätzlich möglicher funktioneller Beeinträchtigungen abbilden zu können.

Eine Feststellungsklage (§ 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG) auf Feststellung von Schädigungsfolgen hat der Kläger nicht erhoben. Es kommt daher nicht darauf an, dass es für eine solche Feststellung der Bezeichnung der fraglichen Erkrankung oder Behinderung aufgrund eines der allgemein üblichen Diagnosesysteme und unter Verwendung der dortigen Schlüssel bedarf, um sie nachvollziehbar zu machen (vgl. zum Unfallversicherungsrecht: BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R –, juris, Rz. 22).

Nach diesen Maßstäben liegt bei dem Kläger nach Überzeugung des Senats schädigungsbedingt keine stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit vor, wie der Sachverständige S3 in seinem aufgrund ambulanter Untersuchung vom 25. Februar 2013 – und damit zu Beginn des hier streitigen Zeitraums – herausgearbeitet hat.

Dessen Sachverständigengutachten ist uneingeschränkt verwertbar und der Beweiswürdigung des Senats zu Grunde zu legen. Es entspricht den formalen und inhaltlichen Anforderungen, die an ein solches zu stellen sind. Es wurde vom beauftragten Sachverständigen erstellt und die Begutachtung nicht unberechtigt auf einen Dritten übertragen (vgl. auch § 407a Abs. 3 Zivilprozessordnung [ZPO]). Die für die Begutachtung maßgeblichen Einzelkriterien sind in einem sorgfältigen Verfahren erhoben worden, dass die Auswertung des Aktenmaterials, die eingehende Untersuchung und die schriftliche Aufzeichnung des Gesprächsinhalts sowie des psychischen Befundes umfasst hat und dessen Ergebnisse in einen Gesamtzusammenhang eingestellt worden sind (vgl. zu diesen Kriterien: Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Kammerbeschluss vom 14. Janaur 2015 – 2 BvR 983/04 –, juris, Rz. 15). S3 hat seinen Ausführungen eine ausführliche Sichtung der Aktenlage vorangestellt, eine umfangreiche Anamnese erhoben und hiervon deutlich getrennt seine Erhebungen bei der Untersuchung dargestellt. Diesen hat er dann seine diagnostischen Überlegungen angeschlossen und eine abschließende Bewertung vorgenommen, die ausnahmslos in sein medizinisches Fachgebiet gefallen ist. Dem Sachverständigengutachten haften somit, entgegen der nachhaltig vertretenen Auffassung des Klägers, keine schwerwiegenden Mängel an. Vielmehr hat der Sachverständige die Begutachtung leitliniengerecht durchgeführt und bei seinen diagnostischen Überlegungen – unabhängig davon, wie entscheidungsrelevant diese sind (vgl. oben) – die einschlägigen Diagnosesysteme beachtet. Der Sachverständige P ist ebenso wie S3 vom AMDP-System ausgegangen und hat in diagnostischer Hinsicht dieselben Prüfungsschritte vollzogen. Dies wird daran deutlich, dass er seine Schlussfolgerungen zu den einzelnen Punkten jeweils mit denen von S3 verglichen hat. Diagnostische Mängel einzig des Sachverständigengutachtens von S3 sind daher nicht plausibel. Allein der Umstand, dass die Sachverständigen zu anderen Ergebnissen kommen, begründet solche ebenfalls nicht.

Dass S3 nicht den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu Grunde gelegt hat, konnte der Senat nicht feststellen. Hierfür hat P keine Anhaltspunkte aufzeigen können. Der Umstand, dass S3 in Würdigung der Aktenlage und seiner Befunde zu einem abweichenden Ergebnis gelangt, ist das einzelfallbezogene Ergebnis seiner Begutachtung und stellt weder eine relevante Abweichung vom wissenschaftlichen Erkenntnisstand dar, noch widerspricht es ihm.

Veranlassung, die fachliche Qualifikation des S3 in Frage zu stellen, besteht im Übrigen aus anderen Gründen nicht. Er hat auf die unsubstantiierten Mutmaßung der K2, dass er die beim Kläger bestehende klinische Symptomatik unterschätzt habe, in seiner ergänzenden Stellungnahme im vorangegangenen Berufungsverfahren ausführlich Stellung bezogen. Er hat aufgezeigt, dass er langjähriger Leiter einer differenzierten Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik ist, die über einen stationären Bereich, ein tagesklinisches Traumatherapieprogramm und eine Opferambulanz verfügt, sodass er mit der Diagnostik traumatisierter Patienten vertraut ist. Seine Alltagsarbeit umfasst die Erfassung und diagnostische Einordnung von Folgestörungen, wobei sich seine Erfahrungen sowohl auf kurzfristig wirksame und auch langfristig einwirkende Traumatisierungen erstrecken, wie aus seinen äußerst differenzierten Ausführungen im Sachverständigengutachten deutlich wird.

S3 hat zum psychischen Befund ausgeführt, dass der Kläger im Kontaktverhalten freundlich-zugewandt und aufgeschlossen war, daneben wach, bewusstseinsklar sowie zu Person, Ort und Zeit uneingeschränkt orientiert. Es zeigten sich keine manifesten formalen Denkstörungen, keine Hemmung oder Verlangsamung des Denkens und keine ideenflüchtigen Ideen. Das Auffassungs- und Konzentrationsvermögen war altersentsprechend durchschnittlich gut, klinisch relevante mnestische Funktionsdefizite in Bezug auf das Kurz- und Langzeitgedächtnis bestanden nicht. Verstärkt ausgeprägte kognitive Ermüdungszeichen wurden verneint. Die Stimmungslage war insgesamt ausgeglichen bei nicht eingeengter emotionaler Schwingungsfähigkeit, affektiv zeigte sich der Kläger themenspezifisch ernst und dann auch verbittert. Der Antrieb war situationsadäquat, das Ausdrucksverhalten affektkongruent und durchaus lebhaft. Zusammenfassend stellt er – für den Senat überzeugend – schädigungsbedingt gewissen affektive, kognitive und psychovegetative Auffälligkeiten fest, die sich in belastungsassoziierten Erinnerungen, einem spezifischen Vermeidungsverhalten und Schlafstörungen äußern. Diese sieht er, unter Berücksichtigung des möglichen Spektrums möglicher funktioneller Beeinträchtigungen, als vergleichsweise blande an und ordnet sie daher einer leichteren Störung zu.

Diese – medizinische – Einordnung ist aufgrund der von S3 erhobenen – tatsächlichen – (Lebens-) Umstände des Klägers schlüssig. Dieser verfügt über einen geregelten Tagesablauf, den er aktiv gestalten kann. Nach seinen Angaben frühstückt er morgens gemeinsam mit der Ehefrau, liest die Zeitung und verbringt den Vormittag mit Gartenarbeit, Einkaufen und Werkeln in der eigenen Werkstatt. Mittags hilft er beim Kochen und geht nachmittags ähnlichen Tätigkeiten wie vormittags nach. Neben dem regelmäßigen Zeitungslesen sieht er täglich bis zu vier Stunden fern und verbringt bis zu zwei Stunden am Computer, an dem er vorwiegend Fotos und Videos bearbeitet. Er verfügt über guten Kontakt zu seinen beiden Töchtern und den noch lebenden Geschwistern, daneben beschreibt er gute Bekanntschaften zu Leuten mit einem ähnlichen Haftschicksal. Neben einer umfangreichen Mediennutzung ist damit ein erhaltenes Interessenspektrum belegt, dass – wie die Bearbeitung von Fotos und Videos zeigt – über die Bewältigung der notwendigen Alltagsaufgaben deutlich hinausgeht. Dies wird dadurch untermauert, dass von einer Kreuzfahrt mit der Ehefrau im Oktober/November 2012 berichtet wurde, der Kläger also zu Reisen in der Lage gewesen ist.

Diese tatsächlichen Umstände, die das Leistungsvermögen im Alltag untermauern, sind unverändert geblieben, worauf G3 versorgungsärztlich zu Recht hingewiesen hat. Dem Sachverständigengutachten des P ist nämlich zu entnehmen, dass der Tagesablauf des Klägers weiterhin keine Einschränkungen zeigt. Weitergehend gegenüber den Angaben bei S3 hat der Kläger beschrieben, dass er vormittags oft zu der in der Nachbarschaft wohnenden Tochter geht, dieser im Haushalt hilft oder sich mit den beiden Enkelkindern beschäftigt. Nach dem gemeinsamen Mittagessen mit der Ehefrau wird noch dargelegt, dass er einmal die Woche mit einer Gruppe zum Wandern geht oder mit dem Fahrrad fährt, woraus ein sozialer Rückzug gerade nicht herzuleiten ist. Als Hobbys werden weiterhin das Wandern, Fahrradfahren, sich mit den Enkeln beschäftigen, der Tochter im Haushalt helfen, Gartenarbeiten, Reparaturen im Haus oder an Elektrogeräten beschrieben, sodass das erhaltende Interessenspektrum und die Fähigkeit zur aktiven Freizeitgestaltung immer noch erhalten ist. Dass der Tagesablauf des Klägers strukturiert ist, hat P auf die entsprechenden Einwände des G3 in seiner ergänzenden Stellungnahme selbst bestätigt.

In den objektiven medizinischen Befunden ergeben sich – worauf G3 schlüssig hinweist – ebenfalls keine wesentlichen Abweichungen. P beschreibt den Kläger in der Untersuchungssituation als offen und freundlich im Kontakt. Er war auch zu dessen Untersuchungszeitpunkt bewusstseinsklar, in allen Qualitäten orientiert, Wahrnehmungsstörungen zeigten sich ebenso wenig wie Störungen von Auffassung und Gedächtnis. Die Stimmung war ausgeglichen ohne Einengung der affektiven Schwingungsbreite bei gutem Spontanantrieb. Hinweise auf eine Antriebshemmung oder psychomotorische Verlangsamung bestanden nicht. Die von der Ehefrau des Klägers in ihrer schriftlichen „Zeugenaussage“ gemachten Angaben zu den Einschränkungen des Klägers entsprechen dessen Angaben gegenüber dem Sachverständigen S3 und sind von diesem damit bereits vollständig gewürdigt worden, wie S4 versorgungsärztlich aus medizinischer Sicht deutlich herausgestellt hat. Weiterhin haben sie Einfluss in das Sachverständigengutachten des P gefunden und sind daher berücksichtigt.

Dem Sachverständigengutachten E1 folgt der Senat nicht, da dieses unter schwerwiegenden methodischen Mängeln leidet, wie sie der Sachverständige S3 für den Senat überzeugend herausgearbeitet hat. Die Sachverständige hat nur die subjektive Beschwerdeschilderung übernommen und vermischt Befund und Beschwerdeschilderung, was S3 schlüssig als klassischen Begutachtungsfehler einordnet. Denn gerade bei der Diagnostik von Gesundheitsstörungen, die wesentlich auf einer Einschätzung des inneren Erlebens basieren, ist die sorgfältige Differenzierung zwischen beobachteten Befund und subjektiven Beschwerdeangaben notwendig. Daneben beachtet die Sachverständige nicht, so S3 weiter, dass es aus fachlicher Sicht essentiell ist, bei der Begutachtung psychischer Gesundheitsstörungen die Beschwerdeangaben kritisch zu hinterfragen. Es überzeugt daher nicht, wenn der Sachverständige P sich mehrfach zur Stützung seiner Ausführungen auf das Sachverständigengutachten E1 bezieht, ohne sich mit den aufgezeigten Mängeln auseinanderzusetzen. Hierzu hätte schon nach seinen eigenen Darlegungen Veranlassung bestanden, da er im Rahmen seiner Prüfung der Einzelkriterien der PTBS mehrfach darauf verweist, dass die E1 einzelne Merkmale pauschal bejaht, ohne eine tragfähige Begründung hierfür angegeben zu können, und er ihrer Beurteilung auch nicht ausnahmslos folgt.

Nachdem eine stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit nicht vorliegt, kommt eine höhere Einschätzung des GdS mit mehr als maximal 20 nicht in Betracht. Dies geht sowohl der versorgungsärztlichen Einschätzung hervor wie aus der des Sachverständigen S3. Für die Richtigkeit spricht auch, dass der Kläger seit Jahren keine fachärztliche oder medikamentöse Behandlung in Anspruch nimmt. Dieser Bewertung steht nicht entgegen, dass der Sachverständige P darauf verweist, dass die Psychotherapie mangels Erfolges abgebrochen worden sei, nachdem S3 aufgezeigt hat, dass insbesondere hinsichtlich der geklagten Schlafstörungen durchaus eine medikamentöse Behandlung in Betracht kommen könnte und der behandelnde Therapeut fraglos Befundverbesserungen gesehen hat, was nur der Kläger anders beurteilt.

Die abweichende Einschätzung des GdS durch den Sachverständigen P überzeugt schon deshalb nicht, da diese von seinen oben aufgezeigten unveränderten Befunden, die den Vorbefunden entsprechen, nicht gestützt wird. Dies hat er in seiner ergänzenden Stellungnahme auf die – berechtigten Einwände – gegen sein Sachverständigengutachten durch den Versorgungsarzt G3 letztlich selbst eingeräumt. Soweit er an seiner Einschätzung nur deshalb festhält, weil er meint, dass die subjektiven Einschränkungen zu bewerten seien, folgt der Senat dem nicht. P verkennt hier die Grenzen zwischen medizinischer Feststellung und rechtlicher Wertung. Dies kommt schon in seinem Sachverständigengutachten zum Ausdruck, wenn er betont, die objektiven Merkmale würden in der Regel über- und die subjektiven Befindlichkeiten unterbewertet. Indem er letztlich allein die subjektiven Beschwerdeangaben für bewertungsrelevant erklärt und meint, diese nur auf Konsistenz prüfen zu müssen, versucht er hierdurch einerseits letztlich nichts anderes, als den Beweismaßstab für die Gesundheitsstörung bzw. deren Ausmaß abzusenken und faktisch eine Glaubhaftmachung ausreichen zu lassen, was mit den rechtlichen Vorgaben nicht in Einklang steht. Andererseits wird deutlich, dass er allein über die Diagnose auf die Höhe des GdS schließen will. Selbst wenn davon ausgegangen wird, dass sich allein darüber eine „stärker behindernde Störung“ klassifizieren lässt, änderte dies nichts daran, dass es Feststellungen zur „wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit“ bedarf, die wenigstens auch an objektive Umstände anknüpfen müssen, um den geltenden Beweismaßstäben gerecht zu werden. Wenn P stattdessen versucht, die einzelnen Diagnosekriterien der PBTS mit einem Schweregrad zu bewerten und daraus einen Gesamt-Schweregrad ableitet, den er dann zur Grundlage der GdS-Ermittlung nimmt, kann diese Vorgehensweise nicht überzeugen. Dass sie unzutreffend sein muss, wird schon daraus ersichtlich, dass er nicht nur das Erinnerungs-, Vermeidungs- und Übererregbarkeitskriterium bewertet, sondern auch das Traumakriterium. Dessen Wertung ist indessen schon dadurch vorgezeichnet, dass das Trauma eine gewisse Schwere erreichen muss, um das A-Kriterium auszufüllen.

P übersieht weiter, dass es für die Erfassung der subjektiven Beschwerdeangaben des Klägers und des Abgleichs mit der bisherigen Aktenlage faktisch nicht der sachverständigen Expertise bedarf, sondern es sich um die Feststellung tatsächlicher Anknüpfungstatsachen handelt, die das Tatsachengericht im Vorfeld der Beweiswürdigung zu treffen hat. Der Heranziehung des medizinischen Sachverständigen bedarf es indessen dafür, den objektiven psychischen Befund zu erheben, den P für nicht relevant erklärt, sowie um die Beschwerdeangaben aus fachlicher Sicht kritisch zu hinterfragen und dabei sorgfältig zwischen beobachtbaren Befunden und subjektiven Beschwerdeangaben zu differenzieren, wie S3 schlüssig und den rechtlichen Vorgaben entsprechend aufgezeigt hat.

Unabhängig davon, dass es auf die diagnostische Einordnung vorliegend nicht entscheidungserheblich ankommt (vgl. oben), ergibt sich aus Vorstehendem gleichzeitig, dass die Einwände des P gegen die Ausführungen des S3 nicht überzeugen. Dieser hat das B-Kriterium der PTBS deshalb verneint, weil sich bei dem Kläger keine Flash-Backs im Sinne von halluzinatorischem Wiedererleben zeigen, welche P auch nicht gesehen hat.

Daneben stützt sich S3 auf seine Verhaltensbeobachtung während der Untersuchung und gleicht diese mit den subjektiven Beschwerdeangaben ab, womit er seiner zentralen Aufgabe als Sachverständiger gerecht wird, da es gerade für diese Feststellungen der entsprechenden Fachkenntnis bedarf, über die S3 verfügt (vgl. oben). Überzeugend hat dieser Sachverständige dargelegt, dass der Kläger ihm gegenüber, ausdrücklich „auf konkrete Nachfrage“, angegeben hat, dass bereits die Konfrontation mit bloßen Klinker-Wänden Erinnerungen auslösen soll. Jedoch konnte der Kläger in der Untersuchungssituation, in der dieser durch den Blick aus dem Untersuchungsraum heraus auf eine Klinker-Wand einer entsprechenden Exposition ausgesetzt war, das Gespräch unproblematisch auch mit thematischen Wechseln fortführen. Es wird somit deutlich, dass der Sachverständige die Plausibilität der Angaben nicht nur durch Testverfahren überprüft hat, sondern anhand naheliegender Gegebenheiten der Außenwelt, wodurch zum einen die Gründlichkeit seiner Anamneseerhebung zum Ausdruck kommt und sich zum anderen eindrucksvoll bestätigt, dass er zu Recht eine langjährige diagnostische Erfahrung für sich in Anspruch nimmt. Diese Feststellungen lassen sich auch nicht dadurch entkräften, dass der Kläger seinen Vortrag dahingehend anzupassen versucht, dass nur verklinkerter Gebäude eines bestimmten Baustils die Erinnerungen auslösten.

Dass der Affekt bei der detaillierten Schilderung der belastenden Erinnerungen durchweg ernst geblieben ist, wird von S3 ebenfalls vermerkt, dennoch zeigten sich keine psychopathologischen Entgleisungen. Hinsichtlich der geklagten Albträume, die seit der Haftzeit durchgehend bestehen sollen, weist S3 im Rahmen seiner Konsistenzprüfung darauf hin, dass es 2007 zur Notwendigkeit einer CPAP-Therapie gekommen ist, wobei nach Einstellung eine gute Schlafeffizienz sowie eine normale Schlafarchitektur beschrieben wird, woraus S3 schlüssig Zweifel an den Angaben des Klägers ableitet. Das belegt überdies, dass er die Aktenlage gründlich in seine Überlegungen mit einbezieht. Korrespondierend hierzu wird eine andernfalls zu erwartende Tagesmüdigkeit an keiner Stelle beschrieben, Anhaltspunkte hierfür wurden nicht befundet und der Kläger hat selbst angegeben, tagsüber nicht zu schlafen.

Dass D-Kriterium hat S3, anders als P meint, nicht ohne hinreichende Begründung oder unter Übergehung der von ihm erhobenen Befunde verneint, sondern deshalb, weil er – überzeugend – keine hinreichende Prägnanz der Symptomatik objektivieren konnte. Dass der Kläger über den Diagnosekriterien entsprechende Merkmale geklagt hat, ist von S3 vermerkt und bei seiner Bewertung ausdrücklich berücksichtigt worden, indessen konnte er auf Befundebene keine Hinweise auf Nervosität, Reizbarkeit, Wutausbrüche oder erhöhte Schreckhaftigkeit feststellen. Schlüssig legt er dar, dass sich insbesondere die behaupteten Konzentrationsdefizite nicht nachweisen ließen, nachdem der Kläger während der beiden jeweils mehrstündigen Untersuchungssitzungen ein altersentsprechend gut ausgeprägtes Aufmerksamkeits- und Konzentrationsvermögen zeigte.

Dass das E-Kriterium (Zeitkriterium) aus bestimmten Gründen auch bei einem späteren Beginn der Symptomatik erfüllt sein kann, hat S3 abstrakt nicht in Frage gestellt und sich damit mit dem diesbezüglichen wissenschaftlichen Erkenntnisstand, auf den P hinweist, weder in Widerspruch gesetzt, noch ist er von diesem abgewichen. Vielmehr ist er unter Abwägung seiner Untersuchungsbefunde zu der Schlussfolgerung gelangt, dass es sich bei dem Kläger nicht um die seltene Konstellation eines verzögerten Beginns einer traumaassoziierten Symptomatik mit Verstärkung der Symptomatik nach kritischen Lebensereignissen bzw. Rollenwechsel in der Biographie (Berentung) handelt. Im Ergebnis hat er diesen Punkt aber – konsequent – nicht weiter vertieft, nachdem er bereits zwei weitere Kriterien verneint hat.

Letztlich hat S3 in seiner ergänzenden Stellungnahme auf den Umstand, dass jedem Kliniker Verläufe bestens bekannt sind, in denen es unter psychotraumatologischer Behandlung im Laufe der Therapiejahre zu immer prägnanteren Beschwerdebeschreibungen im Zusammenhang damit verwiesen, dass es fachlich und methodisch zwingend ist, sorgfältig zwischen beobachtbaren Befunden und subjektiven Beschwerdeangaben zu unterscheiden. Aus dieser Erkenntnis hat er aber keine über seine Feststellungen im Sachverständigengutachten hinausgehende (für den Kläger negative) Schlussfolgerungen gezogen, wie P zu meinen scheint.

Auf die abweichenden Einschätzungen der E1 (zu den schon methodischen Mängeln ihres Sachverständigengutachtens vgl. oben) und des Sachverständigen P kommt es aber schon deshalb nicht an, da es sich bei der Einschätzung des GdS nicht um eine medizinische Frage, sondern um eine rechtliche Bewertung handelt, die dem Senat obliegt.

Lediglich ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die E1 dem von ihr zitierten Beschluss des Sachverständigenbeirats beim BMAS vom 6./7. November 2008 zu Unrecht Rechtsnormqualität beimisst und deshalb – rechtsirrig – glaubt, lediglich eine PTBS feststellen zu müssen um damit die Rechtsfolge verbinden zu können, dass ein GdS von mindestens 30 anzusetzen sei. Dem Beirat kommt aber nach § 3 Abs. 1 VersMedV nur die Aufgabe zu, das BMAS zu beraten und die „Fortentwicklung der Anlage“, also der VG „vorzubereiten“. Trotz seit 2008 mehrfacher Änderungen der VG ist das BMAS dem Vorschlag des Beirates bislang nicht gefolgt und hat keine entsprechende Änderung vorgenommen, sodass sich keine Änderungen in der Rechtslage ergeben haben, die zu berücksichtigen wäre. Es verbleibt somit (vgl. oben) dabei, dass die VG allein für die gestellte Diagnose einer PTBS keinen (Mindest-)GdS vorsehen, der nicht zu unterschreiten ist.

Ohnehin überzeugt den Senat, wie in der vorangegangenen Entscheidung schon dargelegt, der Ansatz des Beirates, eine PTBS immer mit einem GdS von wenigstens 30 zu bewerten, nicht. Diesem kann daher auch nicht in der Weise gefolgt werden, dass im Rahmen einer Auslegung und Anwendung der VG bei einer PTBS immer ein GdS von 30 anzuerkennen ist. Der Beirat weist selbst darauf hin, dass eine PTBS nur diagnostiziert werden kann, wenn die dafür medizinisch notwendigen Kriterien (der Beirat spricht gar von sechs Kriterien [A bis F]) in der gebotenen Schwere erfüllt sind. Gerade eine Erkrankung wie die PTBS kann vielfältige und auch unterschiedlich starke Auswirkungen auf die Teilhabe des Betroffenen am Leben in der Gemeinschaft haben, worauf S3 ebenfalls hinweist. Für die Erfassung dieser Beeinträchtigungen ist, wie ausgeführt, nicht eine Diagnose geeignet, sondern sind die Vorgaben der VG heranzuziehen. Für diese Verfahrensweise spricht ein Vergleich mit anderen Bereichen des Sozialrechts. Auch dort werden die Auswirkungen einer PTBS nicht schematisch bewertet. So gehen die medizinischen Erfahrungswerte aus dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung davon aus, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE), die aus einer PTBS folgt, bei einer im Vollbild ausgeprägten Erkrankung lediglich „bis zu 30“ (also in der Regel unter 30) beträgt und nur besonders schwere Formen höher bewertet werden können (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, S. 170). Zwar folgt die Bewertung der MdE anderen Kriterien, nämlich den Einbußen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, als der GdS, der die Teilhabe am gesamten sozialen Leben ins Blickfeld nimmt. Aber gerade vor diesem Hintergrund ist es kaum vorstellbar, dass eine psychische Erkrankung im allgemeinen Leben eine höhere Bewertung erfährt als allein in Bezug auf das Erwerbsleben, zumindest, wenn sie nicht zu einer schweren spezifischen Leistungsbeeinträchtigung in einem besonderen Segment des Arbeitsmarktes führt.

Weitere schädigungsbedingte Gesundheitsstörungen in anderen Funktionssystemen, die mit einem GdS zu bewerten wären, liegen nicht vor. Der Senat hält an seinen Ausführungen aus dem Vorverfahren fest, dass weder das geklagte Schulter-Arm-Syndrom, noch eventuelle Bandscheibenschäden auf die Haftzeit zurückzuführen sind. Die Gutachterin S1, deren Gutachten der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwertet (§ 118 Abs. 1 SGG i. V. m. §§ 415 ff. Zivilprozessordnung [ZPO]), konnte ein Schulter-Arm-Syndrom nicht befunden, sondern hat vielmehr die Schultergelenke als frei beweglich mit einer Abspreizfähigkeit von 180° beschrieben. Die Bandscheibenschädigung im Wirbelsäulensegment C6/7 mit Beteiligung der Nervenwurzel – so die Gutachterin überzeugend weiter – ist erst Jahrzehnte nach der Haft aufgetreten und degenerativ, nicht aber traumatisch, bedingt. Für die Mutmaßung des Klägers, seine Karzinomerkrankung könne auf eine Bestrahlung während der Haft zurückgehen, fehlt es sowohl an einer nachgewiesenen Exposition wie an medizinischen Anhaltspunkten für einen solchen Zusammenhang. Über diesen spekuliert der Kläger lediglich aufgrund eines Zeitschriftenartikels und der Sachverständige P hat zuletzt einen solchen Zusammenhang ebenfalls ausdrücklich verneint. Ebenso hat er die weiteren Gesundheitsstörungen, entsprechend den Vorgutachten, ebenfalls als mit der Haftzeit in keinem Zusammenhang stehend gesehen.

Der Teil-GdS im Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“ mit maximal 20 entspricht daher dem Gesamt-GdS und ist nicht rentenberechtigend. Eine Erhöhung aufgrund besonderer beruflicher Betroffenheit kann der Kläger nicht beanspruchen, was die beiden auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG gehörten Sachverständigen ebenso gesehen haben.

Der GdS ist unter anderem höher zu bewerten, wenn Beschädigte durch die Art der Schädigungsfolgen im vor der Schädigung ausgeübten oder begonnenen Beruf, im nachweisbar angestrebten oder in dem Beruf besonders betroffen sind, der nach Eintritt der Schädigung ausgeübt wurde oder noch ausgeübt wird (§ 30 Abs. 2 Satz 1 BVG). Das ist insbesondere der Fall, wenn auf Grund der Schädigung weder der bisher ausgeübte, begonnene oder nachweisbar angestrebte noch ein sozial gleichwertiger Beruf ausgeübt werden kann (§ 30 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 BVG), zwar der vor der Schädigung ausgeübte oder begonnene Beruf weiter ausgeübt wird oder der nachweisbar angestrebte Beruf erreicht wurde, Beschädigte jedoch in diesem Beruf durch die Art der Schädigungsfolgen in einem wesentlich höheren Ausmaß als im allgemeinen Erwerbsleben erwerbsgemindert sind (§ 30 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BVG), oder die Schädigung nachweisbar den weiteren Aufstieg im Beruf gehindert hat (§ 30 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 BVG).

Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, nachdem der Kläger aufgrund seiner in der DDR erworbenen Qualifikation zeitnah nach der Einreise in die BRD eine Anstellung gefunden, auf einen besser bezahlten Arbeitsplatz gewechselt und sich berufsbegleitend weitergebildet hat. Dementsprechend war er über einen langen Zeitraum bei demselben Arbeitgeber bis zum Abschluss des Altersteilzeitvertrages und dem Übergang in die Altersrente beschäftigt. Eine besondere berufliche Betroffenheit liegt daher ebenso wenig vor, wie ein vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben aufgrund von Schädigungsfolgen. Tatsache ist nämlich, dass selbst die E1 festgestellt hat, dass die von ihr angenommene Verschlechterung der Symptomatik erst mit der Berentung und damit nach bzw. durch die Aufgabe der beruflichen Tätigkeit eingetreten ist, nicht aber deren Ursache war.

Es kann deshalb dahinstehen, dass sich aus dem Begriff der besonderen beruflichen Betroffenheit ergibt, dass eine Höherbewertung grundsätzlich nur für die Zeit beruflicher Tätigkeit, also während des Erwerbslebens in Betracht kommt (vgl. hierzu und zum Folgenden BSG SozR 3-3100 § 30 Nr. 15). Der GdS ist deshalb noch nicht höher zu bewerten, solange noch kein Beruf ausgeübt wird oder auch ohne Schädigungsfolgen noch nicht hätte ausgeübt werden können; er ist nicht mehr höher zu bewerten, nachdem die Berufsausübung mit dem Ende der Erwerbstätigkeit geendet hat. Das Ende der beruflichen Tätigkeit kommt als Grund für die erstmalige Zuerkennung einer beruflichen Betroffenheit dann in Betracht, wenn es durch die Schädigungsfolgen erzwungen worden ist. Beruflich besonders betroffen ist in diesem Fall nur, wessen Berufs- und Erwerbsleben durch die Art der Schädigungsfolgen verkürzt wird. Zwar ist für die erstmalige Zuerkennung einer besonderen beruflichen Betroffenheit nach Ausscheiden aus dem Berufsleben der Beweis erschwert, denn ein schädigungsbedingtes Ende beruflicher Tätigkeit lässt sich nach Erreichen des 60. Lebensjahres regelmäßig nicht mehr nachweisen (vgl. Senatsurteil vom 28. Oktober 2014 – L 6 VS 5037/13 –, juris, Rz. 60).

Weiterer Ermittlungsbedarf hat nicht bestanden. Dass die Sachverständigen zu einer unterschiedlichen Einschätzung des GdS gelangt sind, begründet einen solchen schon deshalb nicht, da es sich hierbei um keine medizinische, sondern eine rechtliche Frage handelt. Aber auch die inhaltlichen Differenzen haben keinen weiteren Ermittlungsbedarf begründet. Denn eine Verpflichtung zur Einholung eines weiteren Gutachtens besteht auch bei einander widersprechender Gutachtensergebnisse im Allgemeinen nicht. Vielmehr hat sich das Gericht im Rahmen der Beweiswürdigung mit den einander entgegenstehenden Ergebnissen auseinanderzusetzen. Hält es eines von mehreren Gutachten für überzeugend, wie hier das des S3, darf es sich diesem anschließen, ohne ein weiteres einzuholen. Bei einer derartigen Fallgestaltung ist für eine Beweiserhebung regelmäßig kein Raum (vgl. BSG, Beschluss vom 12. Mai 2015 – B 9 SB 93/14 B –, juris, Rz. 6; Senatsurteil vom 17. März 2016 – L 6 U 1518/14 –, juris, Rz. 61).

Die Berufung konnte daher keinen Erfolg haben und war zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht gegeben, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

Rechtskraft
Aus
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