L 4 KR 983/19

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4.
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 5 KR 4243/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 983/19
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Die intravenöse Applikation von Immunglobulinen (hier: IVIG) stellt keine Behandlungsmethode i.S. des § 137c SGB V dar.
2. Versicherte können eine Versorgung mit einem verschreibungspflichtigen Fertigarzneimittel zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung grundsätzlich nur beanspruchen, wenn eine arzneimittelrechtliche Zulassung für das Indikationsgebiet besteht, in dem es angewendet werden soll.
3. Eine Versorgung mit IVIG im Rahmen eines Off-Label-Use kommt nur nach den Vorgaben des § 35c SGB V bzw. nach den allgemeinen, vom BSG entwickelten Grundsätzen für einen Off-Label-Use in Betracht.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 18. Januar 2019 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits auch im Berufungsverfahren.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird endgültig auf 6.540,03 € festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Zahlung von noch 6.450,03 € aufgrund einer stationären Krankenhausbehandlung.

Die Klägerin betreibt ein durch Aufnahme in den Krankenhausplan des Landes Baden-Württemberg nach § 108 Nr. 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) zur Versorgung gesetzlich Krankenversicherter zugelassenes Krankenhaus.

Wegen des Verdachts auf Motoneuronkrankheit und Amyotrophe Lateralsklerose wurde der bei der Beklagten krankenversicherte S(im Folgenden Versicherter) am 21. Februar 2012 vollstationär auf der neurologischen Station des von der Klägerin betriebenen Krankenhauses aufgenommen. Neben MRT-, Labor- und neurophysiologischen Untersuchungen erfolgte eine Muskelbiopsie, in deren Rahmen die Diagnose einer Einschlusskörperchenmyositis gestellt wurde. Daraufhin wurde der Versicherte mit 30 mg (0,4 mg/kg Körpergewicht) intravenösen Immunglobulinen (IVIG; Privigen®) täglich über fünf Tage behandelt. Die Entlassung erfolgte am 6. März 2012. Im Entlassungsbrief vom 7. März 2012 nannten L, L1 und G als Diagnosen eine Einschlusskörperchenmyositis, ein metabolisches Syndrom (kombinierte Hyperlipidämie, Diabetes mellitus Typ 2, Hyperurikämie), eine arterielle Hypertonie, einen Zustand nach Polypenresektion Januar 2012 sowie eine Monoklonale Gammopathie unklarer Signifikanz (MGUS) vom Typ IgG/Lambda. Der Versicherte gab während der stationären Aufnahme eine Verbesserung der Symptomatik an.

Die Klägerin stellte der Beklagten hierfür unter dem 12. März 2012 einen Betrag von insgesamt 10.198,62 € (ohne Zuzahlung) in Rechnung. Dem Rechnungsbetrag lagen die Diagnosis Related Group (DRG) B17C (Eingriffe an periph. Nerven, Hirnnerven u. and. Teilen d. Nervensyst. oh. äuß. schw. CC, oh. kompliz. Diagn. od. Eingr. bei zerebr. Lähmung, Muskeldystr. od. Neuropathie od. äuß. schw. od. schw. CC, Alt. >18 J., oh. kompl. Diagn., oh. mäßig kompl. Eingr.) sowie u.a. das Zusatzentgelt ZE93.14 in Höhe von 6.424,97 € zugrunde.

Die Beklagte beglich die Rechnung zunächst vollständig und beauftragte sodann den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) mit der Überprüfung der Rechnung. S1, MDK, bestätigte im Gutachten vom 8. Mai 2012 Notwendigkeit und Dauer der stationären Behandlung, die angesetzten DRG und Operationen- und Prozedurenschlüssel (OPS) sowie die Menge der verabreichten Immunglobuline. Zur Frage deren indikationsgerechten Verabreichung folge eine gesonderte Stellungnahme. Im sozialmedizinischen Gutachten vom 9. Juli 2012 kam H, MDK, zu der Einschätzung, die Gabe von Immunglobulinen habe im Falle des Versicherten einen Off-Label-Use dargestellt, da diese zur Behandlung der Einschlusskörperchenmyositis (inclusion body myositis <IBM>) nicht zugelassen seien. Die Voraussetzungen für eine Anwendung zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung hätten nicht vorgelegen. Zwar sei die IBM wenn auch keine lebensbedrohliche, so doch die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung, für die eine anerkannte medikamentöse Therapie nicht zur Verfügung stehe. Aussagen über einen möglichen Behandlungserfolg könnten aber nicht getroffen werden, da die bisher veröffentlichte Literatur widersprüchlich sei. Eine Phase III-Studie liege nicht vor. Weitere Studien seien erforderlich.

Hiergegen wandte die Klägerin ein, die Therapie mit Immunglobulinen habe der Leitlinie „Myositissyndrome“ der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN; AWMF-Registernummer 030/054; im Folgenden Myositis-Leitlinie) bei IBM entsprochen. In ihrem Gutachten vom 5. Februar 2013 bestätigte M, MDK, das Ergebnis des Vorgutachtens. Aus der Myositis-Leitlinie ergebe sich, dass die medikamentöse Therapie der sporadischen IBM kontrovers diskutiert werde.

Nach erfolgloser Aufforderung der Klägerin zur Rechnungskorrektur rechnete die Beklagte am 30. Juli 2013 in Höhe von 6.450,03 € mit einer unstreitigen Forderung der Klägerin aus anderen Behandlungsfällen auf.

Am 23. Dezember 2016 erhob die Klägerin Klage beim Sozialgericht Ulm (SG) mit dem Ziel der Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 6.540,03 € zzgl. Zinsen. In dieser Höhe habe die Beklagte zu Unrecht aufgerechnet. Sie, die Klägerin, habe Anspruch auf den in Rechnung gestellten Betrag, insbesondere auch auf das Zusatzentgelt ZE93.14. Bei der IVIG habe es sich um eine leitliniengerechte Behandlung gehandelt, nicht um einen Off-Label-Use oder eine neue Untersuchungs- oder Behandlungsmethode. Jedenfalls sei § 137c SGB V anwendbar. Des Weiteren sei der Versicherte auch wegen einer Polyneuropathie behandelt worden; insofern handle es sich nicht um einen Off-Label-Use. Der in der mündlichen Verhandlung vor dem SG für die Klägerin anwesende D gab an, beim Versicherten habe keine chronische inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie (CIDP) bestanden, sondern eine autoimmunbedingte. Wegen der Polyneuropathie seien die Immunglobuline nicht verabreicht worden. Diese stellten aber für die IBM die Standardtherapie dar. Die IBM trete zusammen mit zwei weiteren autoimmunbedingten Myositiden 1x je 100.000 Einwohner auf.

Die Beklagte trat der Klage unter Vorlage der MDK-Gutachten von B vom 2. Mai 2017 und 11. Juli 2018 entgegen und legte die Myositis-Leitlinie (Stand September 2012) vor; auf Bl. 81/89 der SG-Akte wird insoweit Bezug genommen. B führte aus, in Deutschland seien nach der AMIS-Datenbank des Deutschen Instituts für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) 2012 zahlreiche humane Immunglobulin-Präparate als rezeptpflichtige Arzneimittel für unterschiedliche Indikationen zugelassen, nicht aber für die Behandlung der Einschlusskörperchenmyositis. Dies gelte auch für das beim Versicherten eingesetzte Präparat Privigen®, so dass ein Off-Label-Use vorliege. Eine Empfehlung von IVIG bei IBM durch den Gemeinsamen Bundesausschuss liege nicht vor. Bei der Einschlusskörperchenmyositis handle sich nicht um eine Erkrankung, die aufgrund ihrer Seltenheit nicht systematisch erforscht werden könne. Sie stelle keine in der Regel tödlich verlaufende oder gleichzustellende, aber eine die Lebensqualität nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung dar. Es lägen zwar Indizien (ernsthafte Hinweise) dafür vor, dass bei einigen Patienten mit IBM deren Verlauf durch Einsatz von hochdosierten IVIG spürbar positiv beeinflusst werden könne. Die Erweiterung der Zulassung sei aber nicht beantragt. Eine einen klinisch relevanten Nutzen belegende Phase III-Studie liege nicht vor. In einschlägigen Fachkreisen bestehe kein Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen aufgrund zuverlässiger, wissenschaftlich nachprüfbarer Aussagen. Die Empfehlung zu IVIG bei IBM in der Myositis-Leitlinie als AWMF-S2k-Leitlinie drücke zwar einen Konsens einschlägiger Fachkreise aus. Dieser beruhe aber nicht auf Erkenntnissen, die zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zuließen.

Der vom SG zum Sachverständigen bestellte F, Medizinisches Gutachteninstitut Hamburg, kam in seinem nach Aktenlage erstatteten Gutachten vom 24. Mai 2018 zum Ergebnis, die Klägerin habe zu Recht das Zusatzentgelt ZE93.14 abgerechnet. Die Voraussetzungen eines Off-Label-Use zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung lägen vor. Einen höheren Konsens unter Wissenschaftlern werde man kaum voraussetzen können, als dass das nach einem Off-Label-Use zu verabreichende Verfahren Eingang in die Therapieempfehlung einer von der AWMF geführten Leitlinie gefunden hätte. Dass die dem Konsens zugrundeliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse einander nicht widersprechen dürften bzw. zu einem einheitlichen Ergebnis geführt haben müssten, sei in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht vorausgesetzt. Die Erkenntnisse aus den auch von Bangeführten Studien über die Sinnhaftigkeit der IVIG-Gabe bei IBM stellten eine tragfähige Grundlage für den Konsens dar.

Mit Urteil vom 18. Januar 2019 wies das SG die Klage ab. Die Voraussetzungen für die Abrechnung des ZE93.14 seien nicht erfüllt, da die Immunglobuline nicht zu Recht verabreicht worden seien. Diese seien für die Erkrankung des Versicherten nicht zugelassen. Die Voraussetzungen des Off-Label-Use lägen nicht vor. Die hierzu vom BSG statuierten Grundlagen und Grenzen des Anspruchs auf Arzneimittelversorgung gälten nicht nur im vertragsärztlichen Bereich, sondern auch bei der stationären Versorgung. § 137c SGB V finde insoweit keine Anwendung, da es im Kern nicht um eine Behandlungsmethode, sondern um eine zulassungsüberschreitende Arzneimittelanwendung gehe. Für einen zulässigen Off-Label-Use fehle es an einer aufgrund der Datenlage begründeten Erfolgsaussicht. Die Qualität der wissenschaftlichen Erkenntnisse über den Behandlungserfolg entspreche derjenigen für die Zulassungsreife des Arzneimittels. Der in der Behandlungsempfehlung der Myositis-Leitlinie zum Ausdruck gekommene Konsens einschlägiger Fachkreise basiere nicht auf ausreichend zuverlässigen Erkenntnissen im genannten Sinne. Eine Phase III-Studie habe 2012 nicht vorgelegen. Nur in einigen Studien hätten für eine gewisse Wirksamkeit sprechende Effekte aufgezeigt werden können, in anderen hingegen nicht. Auch auf eine grundrechtsorientierende Auslegung und § 2 Abs. 1a SGB V könne die Klägerin ihren Anspruch nicht stützen. Die IBM sei wertungsmäßig nicht mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung vergleichbar, da die Lebensdauer der Patienten nicht beeinträchtigt sei. Ein sog. Seltenheitsfall liege nicht vor. Zwar sei die IBM nach den in der genannten Leitlinie angegebenen Inzidenz- und Prävalenzwerten eine selten auftretende Krankheit. Allein auf geringe Patientenzahlen könne aber nicht abgestellt werden. Die vorliegenden Studien und Fallberichte zeigten, dass die Seltenheit der IBM zwar deren systematische Erforschung erschwere, diese aber nicht unmöglich mache.

Gegen dieses ihr am 25. Februar 2019 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 19. März 2019 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Unter Wiederholung und Vertiefung ihres bisherigen Vorbringens hat sie ausgeführt, die Anwendung eines Off-Label-Use im Krankenhaus sei im SGB V nicht positiv geregelt. Eine solche Behandlung sei zur ausreichenden Versorgung von Patienten gerade im Bereich der Neurologie und bei seltenen Erkrankungen aber erforderlich. Für viele dieser Erkrankungen stünden schlicht keine zugelassenen Arzneimittel zur Verfügung. Daher spreche viel dafür, dass der Gesetzgeber auch die Anwendung eines Off-Label-Use unter § 137c SGB V habe fassen wollen. Für die abweichende Auffassung in der Rechtsprechung des BSG gebe es keinen Anknüpfungspunkt im Gesetz. Die Anwendung desselben Rechtsregimes wie im ambulanten Bereich sei unnötig, da im Falle von Nebenwirkungen im Krankenhaus sofort eine intensivmedizinische Behandlung eingesetzt werden könne. Das nach § 137c SGB V ausreichende Potential der Behandlung sei aber im vorliegenden Behandlungsfall ohne Weiteres zu bejahen. So habe der Sachverständige diese als übliche Standardbehandlung angesehen, die leitliniengerecht durchgeführt worden sei. Andere Behandlungsmethoden stünden nicht zur Verfügung. Dies werde auch durch den – vorgelegten – Artikel „Einschlusskörperchenmyositis inclusion body myositis“ (Pongratz, Management of neuromuscular diseases, Letter Nr. 30; Bl. 112/119 der Senatsakten) belegt. Jedenfalls habe ein zulässiger Off-Label-Use vorgelegen. Auch dies habe der Sachverständige bestätigt. Immerhin sei die zugrundeliegende Datenlage so gut gewesen, dass die einschlägige Leitlinie die Behandlung mit dem Arzneimittel vorgebe. Des Weiteren werde eine vergleichbare Erkrankung, die Polymyositis, in der Anlage VI zum Abschnitt K der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses nach § 91 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V (Richtlinie über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung – AM-RL) ausdrücklich erwähnt. Dies lasse Rückschlüsse auf die Einschlusskörperchenmyositis zu. Das SG habe ihren, der Klägerin, Hilfsantrag zur Einholung eines ergänzenden Sachverständigengutachtens zur Frage der Seltenheit der Erkrankung und der Evidenz der Gabe von IVIG übergangen. Außerdem sei vorliegend auch ein Anspruch aus § 2 Abs. 1a SGB V gegeben. Jedenfalls handle es sich um einen Seltenheitsfall. Die Prävalenz (Gesamtzahl an Fällen in einem Einwohnerkollektiv) liege laut AWMF-Leitlinie bei 4,5 bis 9,5/1.000.000. Die Zahl der Patienten liege danach in Deutschland unter 1.500. Bereits daher dürfte eine systematische Erforschung der Erkrankung im Rahmen einer Phase III-Studie ausscheiden. Dies gelte erst recht, wenn man berücksichtige, dass nicht alle dieser Patienten die möglichen Einschlusskriterien von Studien erfüllten. Auf Nachfrage hat die Klägerin zuletzt klargestellt, dass eine Aufrechnung nur in Höhe von 6.450,03 € vorgenommen worden sei.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 18. Januar 2019 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an sie 6.450,03 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31. Juli 2013 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Ergänzend zu ihrem bisherigen Vorbringen hat sie ausgeführt, bei der Gabe des rezeptpflichtigen Fertigarzneimittels handle es sich nicht um die Anwendung einer neuen Behandlungsmethode. § 137c SGB V finde daher keine Anwendung. Darüber hinaus sei aber auch unerheblich, ob die Arzneimittelversorgung als reine Pharmakotherapie oder als (Teil einer) Behandlungsmethode i.S. der §§ 135, 137c SGB V stattfinde. Auch im Rahmen einer Krankenhausbehandlung könne ein medizinisches Präparat nur zulassungskonform oder unter den Voraussetzungen eines zulässigen Off-Label-Use angewandt werden (Verweis auf LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 31. Januar 2018 – L 5 KR 2399/16). Bei der Arzneimittelversorgung durch reine Pharmakotherapie richte sich der Patientenschutz allein nach den Maßgaben des Arzneimittelrechts, bei der Arzneimittelversorgung durch ärztliche Behandlungsmethode zusätzlich nach den Maßgaben des Krankenversicherungsrechts. Der Patientenschutz des Krankenversicherungsrechts verdränge den des Arzneimittelrechts nicht, sondern trete zu diesem hinzu. Daher gelte dieser auch, wenn die Arzneimittelversorgung im Rahmen einer stationär erbrachten Behandlungsmethode i.S. des § 137c SGB V erfolge. Die Höhe des Aufrechnungsbetrages ergebe sich aus dem gestrichenen Zusatzentgelt sowie dem hieraus automatisch verminderten Zuschlag für Zentren und Schwerpunkte (§ 5 Abs. 3 KHEntgG; Zuschlag 47100007).

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakte, die Akte des SG, die von der Klägerin vorgelegte Patientenakte des Versicherten sowie die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

1. Die gemäß § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht erhobene und gemäß § 143 SGG statthafte Berufung der Klägerin ist auch im Übrigen zulässig. Die Berufung bedurfte insbesondere nicht der Zulassung, denn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei Berufungseinlegung betrug 6.540,03 € und damit mehr als 750,00 € (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG).

2. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist das Begehren der Klägerin auf Zahlung der Restvergütung für eine stationäre Krankenhausbehandlung in Höhe von nur noch 6.450,03 € zzgl. Zinsen hieraus ab dem 31. Juli 2013, dem Folgetag der Aufrechnung. Zuletzt hat die Klägerin klargestellt, dass eine Aufrechnung nur in Höhe von 6.450,03 € erfolgt sei und die Klageforderung sinngemäß auf diesen Betrag beschränkt. Die in der Antragsbeschränkung in der mündlichen Verhandlung liegende teilweise Rücknahme der Klage hat den Rechtsstreit in dieser Höhe (90,00 €) erledigt (§§ 153 Abs. 1, 102 Abs. 1 Satz 2 SGG). Eine Entscheidung des Senats hierüber hat nicht mehr zu ergehen.

3. Die Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Das SG hat die zulässige Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung weiterer 6.450,03 € zzgl. Zinsen aufgrund der stationären Behandlung des Versicherten im Zeitraum vom 21. Februar bis 6. März 2012. Zu Recht hat die Beklagte mit einem diesbezüglichen Erstattungsanspruch in dieser Höhe gegen andere (unstreitige) Forderungen der Klägerin aufgerechnet. Denn das von dieser für die Behandlung des Versicherten der Beklagten in Rechnung gestellte ZE93.14 war nicht abrechnungsfähig.  

a) Die Klage ist zulässig. Die Klägerin hat mit der erhobenen (echten) Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG die richtige Klageart gewählt; denn es handelt sich bei der auf Zahlung der Behandlungskosten eines Versicherten gerichteten Klage eines Krankenhausträgers gegen eine Krankenkasse um einen sog. Parteienstreit im Gleichordnungsverhältnis, in dem eine Regelung durch Verwaltungsakt nicht in Betracht kommt (BSG, Urteil vom 17. Dezember 2019 - B 1 KR 19/19 R - juris, Rn. 8 m.w.N.). Ein Vorverfahren war mithin nicht durchzuführen, die Einhaltung einer Klagefrist nicht geboten (BSG, Urteil vom 13. November 2013 - B 3 KR 33/12 R - juris, Rn. 9). Die Klägerin hat den Zahlungsanspruch auch konkret beziffert. Dies gilt auch für den geltend gemachten Zinsanspruch. Insofern reicht die Bezugnahme auf den Basiszinssatz aus (vgl. Becker-Eberhard, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2020, § 253 Rn. 132).

b) Die Klage ist jedoch nicht begründet. Der Klägerin steht kein weiterer Vergütungsanspruch für die Krankenhausbehandlung des Versicherten im Zeitraum vom 21. Februar bis 6. März 2012 in dieser Höhe nebst Zinsen hieraus in Höhe von vier Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 31. Juli 2013 zu. Der anderweitige Vergütungsanspruch für Krankenhausbehandlung erlosch dadurch, dass die Beklagte mit einem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch wegen Überzahlung der Vergütung für die Krankenhausbehandlung des Versicherten analog § 387 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) wirksam die Aufrechnung erklärte (vgl. BSG, Urteil vom 27. Oktober 2020 – B 1 KR 8/20 R – juris, Rn. 8; Urteil vom 8. Oktober 2019 – B 1 KR 2/19 R – juris, Rn. 9; Urteil vom 23. Juni 2015 – B 1 KR 26/14 R –, juris, Rn. 33 m.w.N.). Die Beklagte hat am 30. Juli 2013 gegen zwischen den Beteiligten nicht streitige Vergütungsansprüche der Klägerin aus anderen Behandlungsfällen in Höhe von 6.450,03 € aufgerechnet. Dies entnimmt der Senat dem entsprechenden Vermerk auf der von der Klägerin vorgelegten Rechnung (Bl. 14 der SG-Akten). Diese Höhe des Aufrechnungsbetrages hat die Klägerin zuletzt bestätigt. Der verfolgte Vergütungsanspruch der Klägerin aus einer späteren Krankenhausbehandlung eines anderen Versicherten der Beklagten ist unstreitig. Darauf, welchen Vergütungsanspruch die Klägerin auf Grund welcher konkreten Krankenhausbehandlung geltend macht, kommt es nicht an (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 28. November 2013 – B 3 KR 33/12 R – juris, Rn. 10), so dass insoweit keine nähere Prüfung durch den Senat erforderlich ist (vgl. z.B. BSG, Urteile vom 14. Oktober 2014 – B 1 KR 34/13 R – juris, Rn. 8, 25. Oktober 2016 – B 1 KR 9/16 R – juris, Rn. 8 und 25. Oktober 2016 – B 1 KR 7/16 R – juris, Rn. 9).

Der Beklagten steht insoweit als Grundlage für ihre Gegenforderung ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch in Höhe von 6.450,03 € zu (zum öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch bei Überzahlung von Krankenhausentgelten: BSG, Urteil vom 16. Juli 2020 – B 1 KR 15/19 R – juris, Rn. 10; Urteil vom 1. Juli 2014 – B 1 KR 24/13 R – juris, Rn. 10), denn die ursprüngliche Zahlung der Beklagten erfolgte insoweit ohne Rechtsgrund. Die Klägerin hatte keinen weitergehenden Vergütungsanspruch in dieser Höhe gegen die Beklagte für die Behandlung des Versicherten vom 21. Februar bis 6. März 2012.

aa) Die Grundvoraussetzungen eines Anspruchs auf Krankenhausvergütung sind erfüllt.

(1) Nach § 109 Abs. 4 Satz 1 SGB V wird mit einem Versorgungsvertrag nach § 109 Abs. 1 SGB V das Krankenhaus für die Dauer des Vertrages zur Krankenhausbehandlung der Versicherten zugelassen. Das zugelassene Krankenhaus ist im Rahmen seines Versorgungsauftrags zur Krankenhausbehandlung (§ 39 SGB V) der Versicherten verpflichtet (Satz 2). Die Krankenkassen sind verpflichtet, unter Beachtung der Vorschriften des SGB V mit dem Krankenhausträger Pflegesatzverhandlungen nach Maßgabe des Krankenhausfinanzierungsgesetzes (KHG), des Krankenhausentgeltgesetzes (KHEntgG) und der Bundespflegesatzverordnung (BPflV) zu führen (Satz 3). Bei den Plankrankenhäusern – wie vorliegend – gilt die Aufnahme in den Krankenhausbedarfsplan nach § 8 Abs. 1 Satz 2 KHG als Abschluss des Versorgungsvertrages (§ 109 Abs. 1 Satz 2 SGB V). Der Vergütungsanspruch für die Krankenhausbehandlung eines gesetzlich Krankenversicherten und damit korrespondierend die Zahlungspflicht einer Krankenkasse entsteht – unabhängig von einer Kostenzusage – unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten kraft Gesetzes, wenn die Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus erfolgt und im Sinne von § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V erforderlich und wirtschaftlich ist (ständige Rechtsprechung, z.B. BSG, Urteil vom 17. Dezember 2019 - B 1 KR 19/19 R - juris, Rn. 10; Urteile vom 14. Oktober 2014 – B 1 KR 25/13 R – juris, Rn. 8 und – B 1 KR 26/13 R – juris, Rn. 8). Nach § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V haben Versicherte Anspruch auf vollstationäre Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus (§ 108 SGB V), wenn die Aufnahme nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann.

(2) Die Beklagte ist – wie sie auch nicht bestreitet – verpflichtet, die stationäre Krankenhausbehandlung des Versicherten im klägerischen Klinikum für den Zeitraum vom 21. Februar bis 6. März 2012 zu vergüten. Beim Versicherten lagen bei Aufnahme in das nach § 108 Nr. 2 SGB V zugelassene Krankenhaus die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Krankenhausbehandlung vor. Während des gesamten genannten Zeitraums war er krankenhausbehandlungsbedürftig. Dies entnimmt der Senat insbesondere dem Gutachten von S1 vom 8. Mai 2012, das der Senat - wie auch die übrigen Gutachten des MDK - im Wege des Urkundenbeweises verwerten konnte (vgl. etwa BSG, Urteil vom 1. Juli 2014 – B 1 KR 29/13 R – juris, Rn. 19; BSG, Beschluss vom 14. November 2013 – B 9 SB 10/13 B – juris, Rn. 6; BSG, Urteil vom 5. Februar 2008 – B 2 U 8/07 R – juris, Rn. 51; zur Heranziehbarkeit als gerichtliche Entscheidungsgrundlage: BSG, Urteil vom 12. Dezember 2000 – B 3 P 5/00 R – juris, Rn. 13). Es steht zwischen den Beteiligten zu Recht nicht in Streit.

bb) Der Klägerin stand jedoch kein Anspruch auf eine Vergütung in Höhe von weiteren 6.450,03 € zu.

(1) Die Höhe der Vergütung für vollstationäre Behandlung bemisst sich bei DRG-Krankenhäusern wie dem von der Klägerin betriebenen grundsätzlich nach vertraglichen Fallpauschalen auf gesetzlicher Grundlage. Nach § 1 Abs. 1 KHEntgG (hier anzuwenden i.d.F. durch Art. 2 Nr. 2 Buchst. a Gesetz zum ordnungspolitischen Rahmen der Krankenhausfinanzierung ab dem Jahr 2009 [Krankenhausfinanzierungsreformgesetz – KHRG] vom 17. März 2009, BGBl. I, S. 534) werden die vollstationären und teilstationären Leistungen der DRG-Krankenhäuser nach diesem Gesetz und dem KHG vergütet. Die Fallpauschalenvergütung für die Krankenhausbehandlung Versicherter in zugelassenen Einrichtungen ergibt sich aus § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V (i.d.F. durch Art 1 Nr. 3 Gesetz zur Einführung des diagnose-orientierten Fallpauschalensystems für Krankenhäuser [Fallpauschalengesetz – FPG] vom 23. April 2002, BGBl. I, S. 1412) i.V.m. § 7 KHEntgG (i.d.F. des Gesetzes zum ordnungspolitischen Rahmen der Krankenhausfinanzierung ab dem Jahr 2009 vom 17. März 2009, BGBl. I, S. 534 m.W.v. 25. März 2009) und § 17b KHG (i.d.F. des Gesetzes zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung [GKV-Versorgungsstrukturgesetz – GKV-VStG] vom 22. Dezember 2011, BGBl. I, S. 2983 m.W.v 1. Januar 2012). Der Anspruch wird auf Bundesebene durch Normsetzungsverträge (Normenverträge, Fallpauschalenvereinbarungen [FPV]) konkretisiert. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und der Verband der privaten Krankenversicherung gemeinsam vereinbaren nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 KHEntgG (i.d.F. durch Art. 2 Nr. 9 Buchst. a KHRG) mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft als „Vertragsparteien auf Bundesebene“ mit Wirkung für die Vertragsparteien nach § 11 KHEntgG (i.d.F. durch Art. 2 Nr. 11 KHRG) einen Fallpauschalen-Katalog einschließlich der Bewertungsrelationen sowie Regelungen zur Grenzverweildauer und der in Abhängigkeit von diesen zusätzlich zu zahlenden Entgelte oder vorzunehmenden Abschläge sowie einen Katalog ergänzender Zusatzentgelte einschließlich der Vergütungshöhe. Ferner vereinbaren sie insoweit Abrechnungsbestimmungen in der FPV auf der Grundlage des § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 KHEntgG (i.d.F. durch Art. 19 Nr. 3 Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung [GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz – GKV-WSG] vom 26. März 2007, BGBl. I, S. 378). Maßgebend sind vorliegend die FPV 2012 einschließlich der Anlagen 2 und 5, der vom Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI; nun Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte [BfArM]) im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit herausgegebene OPS (hier in der Version 2012), die von den Vertragspartnern auf Bundesebene getroffene Vereinbarung zu den Deutschen Kodierrichtlinien (DKR) für das Jahr 2012 (zum Ganzen BSG, Urteil vom 8. Oktober 2019 – B 1 KR 35/18 R – juris, Rn. 11 m.w.N.) sowie der Krankenhausbehandlungsvertrag nach § 112 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB V für das Land Baden-Württemberg, festgesetzt durch die Entscheidung der Landesschiedsstelle vom 21. September 2005, gültig ab 1. Januar 2006.

Vergütungsregelungen für die routinemäßige Abwicklung in zahlreichen Behandlungsfällen sind streng nach ihrem Wortlaut und den dazu vereinbarten Anwendungsregeln zu handhaben; dabei gibt es grundsätzlich keinen Raum für weitere Bewertungen und Abwägungen, wobei systematische Erwägungen unterstützend herangezogen werden können (z.B. BSG, Urteil vom 20. Januar 2021 – B 1 KR 31/20 R – juris, Rn. 21 m.w.N.; Urteil vom 17. Dezember 2020 – B 1 KR 13/20 R – juris, Rn. 11; Urteil vom 16. Juli 2020 – B 1 KR 22/19 R – juris, Rn. 14; Urteil vom 8. Oktober 2019 – B 1 KR 35/18 R – juris, Rn. 13; Urteil vom 9. April 2019 – B 1 KR 27/18 R – juris, Rn. 14; Urteil vom 14. Oktober 2014 – B 1 KR 25/13 R – juris, Rn. 13 m.w.N.). Auch die Entstehungsgeschichte hat außer Betracht zu bleiben (BSG, Urteil vom 16. Juli 2020 – B 1 KR 22/19 R – juris, Rn. 17). Ergeben sich bei der Abrechnung Wertungswidersprüche und sonstige Ungereimtheiten, haben es die zuständigen Stellen durch Änderung des FPV in der Hand, für die Zukunft Abhilfe zu schaffen. Eine systematische Interpretation der Vorschriften kann lediglich im Sinne einer Gesamtschau der im inneren Zusammenhang stehenden Bestimmungen des Regelungswerks erfolgen, um mit ihrer Hilfe den Wortlaut der Leistungslegende klarzustellen (BSG, Urteil vom 18. Juli 2013 – B 3 KR 7/12 R – juris, Rn. 13 m.w.N.; Urteil des Senats vom 24. April 2020 – L 4 KR 3159/18 – juris, Rn. 36). Dies gilt sowohl für die Auslegung der DKR als auch für die Auslegung des OPS. Bei zutage tretenden Unrichtigkeiten oder Fehlsteuerungen sind in erster Linie die Vertragsparteien berufen, diese im Rahmen der jährlichen Weiterentwicklung (vgl. § 17b Abs. 2 Satz 1 KHG) mit Wirkung für die Zukunft zu beseitigen („lernendes System“). Dieser Anpassungsmechanismus betrifft auch die Begriffsbestimmungen im OPS. Sie werden erst durch die jährlich abgeschlossene FPV für das Vergütungssystem verbindlich (BSG, Urteil vom 8. Oktober 2019 – B 1 KR 35/18 R – juris, Rn. 13 m.w.N. zur st. Rspr.).

(2) Die Behandlung des Versicherten im Zeitraum vom 21. Februar bis 6. März 2012 erfüllt nicht die Voraussetzungen für das im Streit stehende, von der Klägerin geltend gemachte ZE93.14.

Dieses ist nach dem „Zusatzentgelte-Katalog“ gemäß § 5 Abs. 1 FPV 2012 i.V.m. Anlage 2 der FPV 2012 für „Gabe von Human-Immunglobulin, polyvalent, parenteral“ bestimmt, was in Anlage 5 näher definiert wird, u.a. mit dem OPS-Kode 8-810.wd (Transfusion von Plasma und Plasmabestandteilen und gentechnisch hergestellten Plasmaproteinen: Human-Immunglobulin, polyvalent, 145 g bis unter 165 g). Hierfür beträgt das Zusatzentgelt 6.424,97 €.

Der Anspruch auf Zahlung eines in einer FPV vereinbarten Zusatzentgelts setzt aber nicht nur die Erfüllung des Zusatzentgelttatbestands voraus. Vielmehr muss die Krankenhausbehandlung, für deren Vergütung (u.a.) das Zusatzentgelt gezahlt werden soll, nach Maßgabe der hierfür geltenden Vorschriften und Rechtsgrundsätze erforderlich sein. Wie oben dargelegt, korrespondiert der Zahlungsanspruch des Krankenhauses mit dem Leistungsanspruch des Versicherten auf Krankenhausbehandlung nach § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V; dieser umfasst nur solche Behandlungsformen, die den in den §§ 2 Abs. 1, 12 Abs. 1 und 28 Abs. 1 SGB V festgelegten Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitskriterien genügen. Für die Untersuchungs- und Behandlungsmethoden im Krankenhaus sind außerdem die Maßgaben des § 137c SGB V, für die Arzneimittelversorgung im Krankenhaus sind die hierfür geltenden Maßgaben zu beachten (Hessisches LSG, Urteil vom 30. April 2020 – L 8 KR 339/17 – juris, Rn. 22 m.w.N.). Daran fehlt es vorliegend.

(a) Der mit einem Vergütungsanspruch der Klägerin korrespondierende Leistungsanspruch des Versicherten ergibt sich nicht aus § 137c SGB V (in der zum Behandlungszeitpunkt geltenden Fassung des GKV-VStG). Nach dessen Abs. 1 überprüft der Gemeinsame Bundesausschuss auf Antrag des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen, der Deutschen Krankenhausgesellschaft oder eines Bundesverbandes der Krankenhausträger Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, die zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen im Rahmen einer Krankenhausbehandlung angewandt werden oder angewandt werden sollen, daraufhin, ob sie für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse erforderlich sind (Satz 1). Ergibt die Überprüfung, dass der Nutzen einer Methode noch nicht hinreichend belegt ist, sie aber das Potenzial einer erforderlichen Behandlungsalternative bietet, beschließt der Gemeinsame Bundesausschuss eine Richtlinie zur Erprobung nach § 137e SGB V (Satz 3).

Die Vorschrift bezieht sich – in Parallele zu § 135 SGB V über die vertragsärztliche Versorgung – auf „Untersuchungs- und Behandlungsmethoden“ und unterwirft diese für stationäre Behandlungen einer gegenüber § 135 SGB V differierenden Regelung. Ob eine Therapie aber eine Behandlungsmethode in diesem Sinne darstellt und daher den Regelungsregimen der §§ 135, 137c SGB V unterfällt, ergibt sich nicht allein aus diesen Regelungen, sondern ist nach der Gesamtsystematik des SGB V zu bestimmen.

(aa) Das Krankenversicherungsrecht verzichtet bei der Versorgung mit zulassungspflichtigen Arzneimitteln weitgehend auf eigene Vorschriften zur Qualitätssicherung. Denn bei dem für die Zulassung geforderten Nachweis der Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des Medikaments (§ 21 ff. Arzneimittelgesetz [AMG]) geht es im Kern um dieselben Kriterien, an denen auch die Leistungen der Krankenversicherung gemessen werden müssen. Der Gesetzgeber wollte nicht alle neuen Medikamente neben einer arzneimittelrechtlichen einer zusätzlichen krankenversicherungsrechtlichen Qualitätsprüfung nach denselben Maßstäben unterwerfen (st. Rspr., vgl. BSG, Urteile vom 4. April 2006 – B 1 KR 12/04 R – juris, Rn. 22 ff., vom 19. Oktober 2004 – B 1 KR 27/02 R – juris, Rn. 20 und vom 13. Dezember 2016 – B 1 KR 1/16 R - juris, Rn. 11). Fertigarzneimittel sind daher mangels Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit (§ 2 Abs. 1 Satz 3, § 12 Abs. 1 SGB V) nicht von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung umfasst, wenn ihnen die erforderliche (§ 21 Abs. 1 AMG) arzneimittelrechtliche Zulassung fehlt. Dieser generelle Verzicht auf eine eigene Regelung zur Qualitätssicherung bei der Arzneimittelversorgung im SGB V beschränkt sich daher gerade nicht auf die (ambulante) vertragsärztliche Versorgung, sondern gilt auch für den Arzneimitteleinsatz bei stationären Behandlungen. Die nach den Leistungsbereichen differenzierenden Regelungen der §§ 135, 137c SGB V betreffen hingegen allein Behandlungsmethoden. Daher vermag die Auffassung der Klägerin, die gesetzliche Regelung zum Off-Label-Use (§ 35c SGB V) beschränke sich auf die vertragsärztliche Versorgung, während der Gesetzgeber den Off-Label-Use in stationärer Behandlung unter § 137c SGB V habe fassen wollen, nicht zu überzeugen. Es findet sich kein Hinweis, dass der Begriff der Behandlungsmethode in den §§ 135, 137c SGB V nach der gesetzgeberischen Vorstellung unterschiedlich verstanden werden sollte. Auch die von der Klägerin aufgezeigten Unterschiede zwischen ambulanter und stationärer Behandlung legen dies nicht nahe. Zwar mag ein Krankenhaus bei stationärer Behandlung schneller auf Nebenwirkungen des Arzneimittels reagieren, z.B. eine intensivmedizinische Behandlung einleiten können. Die stationäre Behandlung bietet insoweit jedoch keinen – bei der Arzneimittelversorgung relevanten – Schutz vor schädlichen Langzeitfolgen. Die Patienten in stationärer Behandlung sind nicht weniger schutzbedürftig als jene in vertragsärztlicher Versorgung. Der Schutz Versicherter durch das materielle Arzneimittelzulassungsrecht macht nicht vor dem Krankenhaus Halt. Für die Arzneimittelversorgung gelten im Krankenhaus daher grundsätzlich keine von der vertragsärztlichen Versorgung abweichenden Maßstäbe (BSG, Urteile vom 13. Dezember 2016 – B 1 KR 1/16 R – juris, Rn. 26 und vom 19. März 2020 – B 1 KR 22/18 R - juris, Rn. 18 m.w.N.).

(bb) Die vorliegende Behandlung der IBM mittels IVIG stellt keine Behandlungsmethode i.S. des § 137c SGB V dar.

Ärztliche „Behandlungsmethoden“ im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung sind medizinische Vorgehensweisen, denen ein eigenes theoretisch-wissenschaftliches Konzept zugrunde liegt, das sie von anderen Therapieverfahren unterscheidet und das ihre systematische Anwendung in der Behandlung bestimmter Krankheiten rechtfertigen soll. Erschöpft sich dagegen eine Behandlungsmethode in der Anwendung eines für die betreffende Indikation arzneimittelrechtlich zugelassenen neuartigen Fertigarzneimittels, bedarf sie keiner Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses, weil sie kraft der arzneimittelrechtlichen Zulassung als Leistungsbestandteil der gesetzlichen Krankenversicherung gilt. Dies gilt auch für Innovationen, die sich bei gleicher Applikationsform auf die Gabe neu zugelassener Fertigarzneimittel im Indikationsbereich beschränken (BSG, Urteil vom 13. Dezember 2016 – B 1 KR 1/16 R – juris, Rn. 23). Erst wenn der Handhabung durch den Arzt für den Therapieerfolg ein mindestens ebenso großes Gewicht zukommt wie dem Wirkprinzip des in den Körper eingebrachten Stoffes liegt eine über die schlichte Verabreichung eines Arzneimittels hinausreichende neue Behandlungsmethode vor, z.B. bei Aktivierung des Wirkstoffs mittels sog. kalter Laserbehandlung bei der PDT (BSG, Urteil vom 19. Oktober 2004 – B 1 KR 27/02 R – juris, Rn. 23).

Vorliegend wurden dem Versicherten die Immunglobuline in Form des Präparats Privigen® intravenös verabreicht. Hierbei handelt es sich um ein Fertigarzneimittel, was der Senat dem Gutachten von B1 vom 2. Mai 2017 entnimmt. Dies steht zwischen den Beteiligten zu Recht auch nicht in Streit. Eine über das Einbringen dieses Stoffes in den Körper des Versicherten für den Therapieerfolg erforderliche besondere Handlung oder Handhabung des Arztes ist vorliegend weder dem Entlassungsbrief vom 7. März 2012 noch der Patientenakte zu entnehmen. Der Sachverständige hat eine solche nicht beschrieben, die Klägerin nicht behauptet. Die intravenöse Applikation von Arzneimitteln durch Injektionen in den menschlichen Körper ist als wissenschaftliches Konzept schon lange bekannt. Gleiches gilt für die Kombination einer Infusion mit einer vorangegangenen Blutabnahme, einer ärztlichen Beratung und der an die Infusion anschließenden Überwachung. Die intravenöse Applikation der Immunglobuline stellt daher keine Behandlungsmethode i.S. des § 137c SGB V dar (BSG, Urteil vom 13. Dezember 2016 – B 1 KR 1/16 R – juris, Rn. 24 zur IVIG).

(cc) Aus der neuen Rechtsprechung des BSG zum Leistungsanspruch auf Potenzialleistungen nach § 137c SGB V ergibt sich nicht Anderes. Danach schränkt § 137c Abs. 3 SGB V (i.d.F. des Art. 1 Nr. 64 Buchst b des Gesetzes zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung [GKV-Versorgungsstärkungsgesetz - GKV-VSG] vom 16. Juli 2015, BGBl. I, S. 121, m.W.v. 23. Juli 2015) zwar das allgemeine Qualitätsgebot des § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V ein, allerdings nur partiell (BSG, Urteil vom 25. März 2021 – B 1 KR 25/20 R – juris, Rn. 19, 26). Eine Ausdehnung dieser Einschränkung über den Anwendungsbereich des § 137c SGB V (Behandlungsmethoden) auch auf die von dieser Regelung gerade nicht erfasste Qualitätssicherung bei der Arzneimittelversorgung ist dem nicht zu entnehmen. Vielmehr wird ausdrücklich auf die gesetzlichen Reglungen zur Erprobung „neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden“ und den in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers Bezug genommen, dass bei der Anwendung „solcher Methoden“ die Teilhabe an medizinischen Innovationen und der Patientenschutz in einen angemessenen Ausgleich gebracht werden sollen (BSG, a.a.O.). Jedenfalls bezieht sich diese neue Rechtsprechung allein auf die Auslegung des § 137c SGB V in der ab dem 23. Juli 2015 geltenden Fassung durch das GKV-VSG. Erst durch den mit dieser Änderung eingeführten Abs. 3 des § 137c SGB V hat der Gesetzgeber hinreichend deutlich gemacht, dass es sich bei dieser Vorschrift um eine partielle Einschränkung des allgemeinen Qualitätsgebots für den Bereich der Krankenhausbehandlung handelt, der ein Rechtsanspruch der Versicherten auf solche Leistungen korrespondiert (BSG, Urteil vom 25. März 2021 – B 1 KR 25/20 R – juris, Rn. 26 f.). Dagegen war der – vorliegend noch anzuwendenden – vom 1. Januar 2012 bis 22. Juli 2015 geltenden Fassung des § 137c SGB durch das GK-VStG außerhalb der Teilnahme an Erprobungsrichtlinien eine Einschränkung des Qualitätsgebots nicht mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen (BSG, Urteile vom 21. März 2013 – B 3 KR 2/12 R – juris, Rn. 22, vom 17. Dezember 2013 – B 1 KR 70/12 R – juris, Rn. 19, vom 19. Dezember 2017 – B 1 KR 17/17 R – juris, Rn. 21 ff. und vom 8. Oktober 2019 – B 1 KR 4/19 R – juris, Rn. 15).

(b) Ein mit einem Vergütungsanspruch der Klägerin korrespondierender Leistungsanspruch des Versicherten ergibt sich nicht aus §§ 27 Abs. 1 Satz 2, 39 SGB V. Wie bereits dargelegt ((2) (a) (aa)) können Versicherte Versorgung mit einem verschreibungspflichtigen Fertigarzneimittel zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung grundsätzlich nur beanspruchen, wenn eine arzneimittelrechtliche Zulassung für das Indikationsgebiet besteht, in dem es angewendet werden soll (BSG, Urteil vom 13. Dezember 2016 – B 1 KR 1/16 R – juris, Rn. 11, 26). Daran fehlte es im vorliegenden Behandlungszeitraum. Weder in Deutschland noch EU-weit lag eine Arzneimittelzulassung für eine IVIG bei IBM vor. Zwar waren in diesem Zeitraum in Deutschland zahlreiche Immunglobulin-Präparate als rezeptpflichtige Arzneimittel zur intravenösen und/oder subkutanen Anwendung für verschiedene Anwendungsgebiete verkehrsfähig. Keines dieser Anwendungsgebiete erfasste jedoch die IBM oder ein übergeordnetes Indikationsgebiet, das die IBM mit umfasste. Dies gilt auch für das beim Versicherten eingesetzte Arzneimittel Privigen®, was der Senat dem Gutachten von Bvom 2. Mai 2017 entnimmt, der dies anhand der jeweils in der AMIS-Datenbank des DIMDI ausgewiesenen Indikationsgebiete schlüssig dargelegt hat. Zwischen den Beteiligten ist es auch nicht streitig. Abweichendes wurde auch vom gerichtlichen Sachverständigen nicht festgestellt. Dieser hat vielmehr bestätigt, dass es sich hinsichtlich der IBM um einen zulassungsüberschreitenden Gebrauch gehandelt habe. Soweit dieser ausführt, die beim Versicherten auch vorliegende Polyneuropathie lasse „um ein Weiteres die Anwendung von IVIG als berechtigt annehmen“, ist dies schon nach den weiteren Darlegungen nicht nachvollziehbar. So bestätigt er die Angabe von B, dass das eingesetzte Arzneimittel Privigen® für die Behandlung einer chronisch inflammatorischen demyelinisierenden Polyneuropathie zugelassen ist, eine solche beim Versicherten aber gerade nicht vorlag. Im Übrigen ergibt sich sowohl nach den Angaben im Entlassungsbrief vom 7. März 2012 wie auch den Angaben von D in der mündlichen Verhandlung vor dem SG, dass die Gabe von IVIG beim Versicherten zur Behandlung der IBM erfolgt war.

(c) Eine Versorgung des Versicherten mit IVIG im Rahmen eines Off-Label-Use konnte auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung weder nach § 35c SGB V (dazu aa) noch nach allgemeinen Grundsätzen der Rechtsprechung beanspruchen (dazu bb).

(aa) Wegen des einheitlichen Maßstabes der Arzneimittelversorgung bei ambulanter und stationärer Behandlung (vgl. (2) (a) (aa)) kann sich ein Anspruch auf Arzneimittelversorgung im Off-Label-Use aus § 35c Abs. 1 SGB V i.V.m. der AM-RL des Gemeinsamen Bundesausschusses (hier i.d.F. 15. Dezember 2011 m.W.v. 4. Februar 2012) ergeben. Die dort geregelten Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt.

Abschnitt K und Anlage VI der AM-RL enthalten Einzelheiten über die „Verordnungsfähigkeit von zugelassenen Arzneimitteln in nicht zugelassenen Anwendungsgebieten“ und führen Wirkstoffe als verordnungsfähig (Anlage VI zum Abschnitt K Teil A) bzw. als nicht verordnungsfähig (Anlage VI Teil B) auf. Die AM-RL (Anlage VI Teil A in den ab 12. Januar und 29. Februar 2012 geltenden Fassungen) nennt hierbei intravenös zu applizierende Immunglobuline bei IBM nicht. Erst in der Version vom 10. Juli 2013 wurde IVIG bei Polymyositis und Dermatomyositis im Erwachsenenalter in Teil A der Anlage VI aufgenommen. Dies betrifft jedoch weder den hier maßgeblichen Behandlungszeitraum noch die hier vorliegende Erkrankung. Es fehlte damit an der erforderlichen expliziten Regelung der Verordnungsfähigkeit für die von der Zulassung nicht abgedeckte Indikation.

Da IVIG im vorliegenden Behandlungsfall nicht innerhalb einer klinischen Studie stattfand, scheidet auch ein Anspruch nach § 35c Abs. 2 SGB V aus.

(bb) Entsprechend der Anmerkung zu Abschnitt K AM-RL bleiben die allgemeinen, vom BSG entwickelten Grundsätze für einen Off-Label-Use zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung unberührt, wenn - wie hier - ein nicht in der AM-RL geregelter Off-Label-Use betroffen ist.

Die nach diesen Grundsätzen erforderlichen Voraussetzungen sind ebenfalls nicht erfüllt. Ein Off-Label-Use kommt danach nur in Betracht, wenn es

  1. um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht,
  2. keine andere Therapie verfügbar ist und
  3. aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann; abzustellen ist dabei auf die im jeweiligen Zeitpunkt der Behandlung vorliegenden Erkenntnisse (BSG, Urteil vom 13. Dezember 2016 – B 1 KR 1/16 R – juris, Rn. 15 m.w.N.).

Dass die beiden ersten Voraussetzungen beim Versicherten im Behandlungszeitraum erfüllt waren, steht zwischen den Beteiligten zu Recht nicht im Streit. Der Senat entnimmt den schlüssigen und übereinstimmenden Darlegungen von H und B, dass die IBM zumindest eine die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung darstellt, für die eine anerkannte medikamentöse Therapie nicht zur Verfügung stand. Bei der IBM handelt es sich danach um eine entzündliche Erkrankung des Muskels, bei der Muskelschwächen oft asymmetrisch angeordnet auftreten. Bei Aufnahme bestand beim Versicherten ausweislich des Entlassungsbriefs vom 7. März 2012 eine seit mehreren Jahren zunehmende Gehschwäche, mit einer Gehstrecke von zu diesem Zeitpunkt 500 m, zusätzlich eine geringe bis mäßige Schwäche der oberen Extremität und Rumpfmuskulatur sowie Dysphagie und Belastungsintoleranz. Als nicht medikamentöse Therapie verwies die Myositis-Leitlinie (Stand September 2012) lediglich darauf, dass Untersuchungen an bislang kleinen Patientengruppen darauf hindeuteten, dass Myositis-Patienten von (gemäßigtem) körperlichen Training profitieren könnten. Anderes ist auch dem Gutachten des Sachverständigen F nicht zu entnehmen.

Vorliegend war jedoch die dritte der genannten Voraussetzungen nicht erfüllt. Von hinreichenden Erfolgsaussichten ist nach der Rechtsprechung des BSG zum Off-Label-Use nur dann auszugehen, wenn Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das (konkrete) Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden kann. Dies kann angenommen werden, wenn entweder (1.) die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt ist und die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht sind und eine klinisch relevante Wirksamkeit respektive einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder (2.) außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse von gleicher Qualität veröffentlicht sind (BSG, Urteile vom 20. März 2018 – B 1 KR 4/17 R – juris, Rn. 16 m.w.N., vom 13. Dezember 2016 – B 1 KR 1/16 R – juris, Rn. 16, vom 8. November 2011 – B 1 KR 19/10 R – juris, Rn. 17 und vom 30. Juni 2009 – B 1 KR 5/09 R – juris, Rn. 33 f.). Zu beachten ist dabei, dass die Qualität der wissenschaftlichen Erkenntnisse über den Behandlungserfolg, die für eine zulassungsüberschreitende Pharmakotherapie auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung nachgewiesen sein muss, derjenigen für die Zulassungsreife des Arzneimittels im betroffenen Indikationsbereich entspricht. Sie ist während und außerhalb eines arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahrens regelmäßig gleich. Der Schutzbedarf der Patienten, der dem gesamten Arzneimittelrecht zugrunde liegt und - wie dargelegt - in das Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung einstrahlt, unterscheidet sich in beiden Situationen nicht (BSG, Urteil vom 30. Juni 2009 – B 1 KR 5/09 R – juris, Rn. 34). Soweit aus der früheren Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 19. März 2002 – B 1 KR 37/00 R – juris, Rn. 27: „außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und aufgrund derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht“) ein unterschiedliches Schutzniveau vor und während laufender Zulassungsverfahren abgeleitet werden konnte, hat das BSG diese Rechtsprechung klarstellend aufgegeben. Der während und außerhalb eines Zulassungsverfahrens zu erbringende wissenschaftliche Nachweis muss durch Studien erbracht werden, die die an eine Phase III-Studie zu stellenden qualitativen Anforderungen erfüllen (BSG, Urteil vom 8. November 2011 – B 1 KR 19/10 R – juris, Rn. 17).

Daran fehlte es vorliegend. Weder war die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt noch waren Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht. Dies entnimmt der Senat den Gutachten von H und B. Abweichendes wird weder von der Klägerin behauptet noch vom Sachverständigen angegeben. Es fehlte des Weiteren an der Veröffentlichung außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnener Erkenntnisse von gleicher Qualität. Dies entnimmt der Senat insbesondere den Gutachten von B. Nach der von ihm durchgeführten PubMed-Recherche, die auch der Sachverständige als ausgewogen und sehr sorgfältig bewertete, mit den Suchbegriffen „immunglobulin (inclusion body (myopath* ORmyositi*))“ fanden sich 273 Veröffentlichungen, hierunter keine Phase III-Studie, aber acht Studien, die als randomisiert und kontrolliert (RCT) eingestuft waren. Zwei RCTs zeigten Effekte, die auf eine zumindest gewisse Wirksamkeit von IVIG bei IBM schließen lassen: Walter MC et al. 2000 (22 Patienten, IVIG versus Placebo) ergab eine geringe, aber signifikante Verbesserung der klinischen Symptomatik (11 %), bei anderen Parametern einen als nicht signifikant gewerteten Trend zur Verbesserung. Dalakas et al. 1997 (19 Patienten, IVIG versus Placebo) beschrieben bei sechs Patienten eine funktionell bedeutsame Verbesserung, die nach Umsetzen auf Placebo rückläufig war, bei ansonsten im Wesentlichen nicht signifikanten Unterschieden. Die Autoren folgerten u.a., dass unklar sei, ob die mäßige Verbesserung bestimmter Muskelgruppen die hohen Kosten eines Therapieversuchs rechtfertigten. Hingegen zeigten zwei RCTs keine Vorteile einer IVIG-Therapie bei IBM: Dalakas MC 2005 (19 Patienten, IVIG versus Placebo) fand keine signifikante Veränderung der Muskel-Scores. Bei Dalakas MC et al. (36 Patienten, hochdosiertes Steroid über drei Monate, danach Weiterbehandlung randomisiert IVIG oder Placebo über weitere drei Monate) fanden sich keine signifikanten Änderungen der Muskelstärke. Dem Gutachten von H kann entnommen werden, dass in einem Review 2004 (Dalakas MC. Intravenous immunglobulin in autoimmune neuromuscular deseases, JAMA 19. Mai 2004) die uneinheitlichen Ergebnisse nach Auswertung der bis dahin veröffentlichten Daten bestätigt wurden. Zu Recht folgerten Bund H hieraus, dass diese Studienlage keine ausreichende Evidenz i.S. des oben beschriebenen Maßstabes bot. Dem steht der in der Myositis-Leitlinie (Stand September 2012) formulierte „weitgehende Konsensus der Autoren ebenso wie der deutschen Muskelzentren“ (hinsichtlich eines zunächst sechsmonatigen Therapieversuchs mit ca. vier- bis sechswöchentlichen IVIG-Infusionen) nicht entgegen. Denn ausdrücklich wird hierbei hervorgehoben, dass „die Datenlage insgesamt nicht überzeugend ist“ (Seite 2) und es für die IVIG bei IBM „widersprüchliche Berichte“ gebe (Seite 10). Angeführt wurden die auch von B berücksichtigten Studien Dalakas et al. 1997, Walter et al. 2000, Dalakas et al. 2001. Bei allen diesen Studien bestehe das Problem einer zu kurzen Therapiedauer von z.B. lediglich drei Monaten. Hierdurch sei „die Aussagefähigkeit dieser Studien klar begrenzt.“ Zutreffend wies B daher darauf hin, dass die Empfehlung zu IVIG bei IBM in der Myositis-Leitlinie zwar einen Konsens einschlägiger Fachkreise ausdrückt, dieser aber nicht auf Erkenntnissen beruht, die zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zuließen. Entgegen der Bewertung des Sachverständigen F waren daher die oben dargestellten Evidenzanforderungen nicht erfüllt. Dieser hat keine zusätzlichen Erkenntnisse und insbesondere Studien benannt oder berücksichtigt, sondern lediglich die schon von Bangeführten Daten und die Aussagen der Myositis-Leitlinie abweichend – rechtlich, nicht fachlich – bewertet. So hat er zur Begründung seiner Einschätzung ausdrücklich ausgeführt, einen höheren Konsens unter Wissenschaftlern werde man kaum voraussetzen können, als dass das nach einem Off-Label-Use zu verabreichende Verfahren Eingang in die Therapieempfehlung einer von der AWMF geführten Leitlinie gefunden hätte. Dass die dem Konsens zugrundeliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse einander nicht widersprechen dürften bzw. zu einem einheitlichen Ergebnis geführt haben müssten, sei im Urteil des BSG vom 19. März 2002 nicht vorausgesetzt. Er wendet mithin den – rechtlichen – Maßstab an, der der Entscheidung des BSG (Urteil vom 19. März 2002 – B 1 KR 37/00 R – juris, Rn. 27: „außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und aufgrund derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht“) abgeleitet werden konnte. Diesen hatte das BSG, wie oben dargestellt, bereits vor Beginn des hier maßgeblichen Behandlungszeitraums aufgegeben (BSG, Urteil vom 8. November 2011 – B 1 KR 19/10 R – juris, Rn. 17; inhaltlich bereits zuvor BSG, Urteil vom 30. Juni 2009 – B 1 KR 5/09 R – juris, Rn. 34). Eine gegenüber B fachlich abweichende Bewertung nahm der Sachverständige hingegen nicht vor. Vielmehr bestätigte er das Vorliegen widersprüchlicher Ergebnisse.

Zu weiteren Ermittlungen sah sich der Senat diesbezüglich nicht veranlasst. Die Klägerin macht selbst nicht geltend, dass oder welche Daten bislang nicht berücksichtigt worden seien. Der Sachverständige hat keine weiteren Erkenntnisse aufgezeigt, die nicht schon von B berücksichtigt worden waren. Die in der Myositis-Leitlinie herangezogenen Erkenntnisse wurden berücksichtigt. Ob diese zur Rechtfertigung eines Off-Label-Use ausreichen, also den rechtlichen Voraussetzungen genügen, ist eine rechtliche Frage und vom Gericht zu beurteilen.

(d) Zutreffend ist das SG davon ausgegangen, dass die Klägerin sich nicht auf einen sog. „Seltenheitsfall“ stützen kann. Denn dessen Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt.

Hierzu darf das festgestellte Krankheitsbild aufgrund seiner Singularität medizinisch nicht erforschbar sein. Es ist aber ausgeschlossen, hierfür allein auf die Häufigkeit einer Erkrankung abzustellen. Allein geringe Patientenzahlen stehen einer wissenschaftlichen Erforschung nicht entgegen, wenn etwa die Ähnlichkeit zu weit verbreiteten Erkrankungen eine wissenschaftliche Erforschung ermöglicht. Das gilt erst recht, wenn - trotz der Seltenheit der Erkrankung - die Krankheitsursache oder Wirkmechanismen der bei ihr auftretenden Symptomatik wissenschaftlich klärungsfähig sind, deren Kenntnis der Verwirklichung eines der in § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V genannten Ziele der Krankenbehandlung dienen kann (BSG, Urteile vom 13. Dezember 2016 – B 1 KR 1/16 R – juris, Rn. 22 m.w.N. und vom 3. Juli 2012 – B 1 KR 25/11 R – juris, Rn. 20 ff.).

Die IBM ist eine Erkrankung, die nur sehr selten auftritt. Die Myositis-Leitlinie weist sowohl in der Fassung September 2012 als auch in der zuletzt überarbeiteten Version September 2014 (www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/030-054l_S2k_Myositissyndrome_2015
-08-abgelaufen.pdf; Gültigkeit zuletzt verlängert bis 31. August 2019) eine Inzidenz von Poly-, Dermato- und Einschlusskörperchenmyositis zusammen bei 1/100.000 Einwohner pro Jahr aus. Hiervon ging auch D in der mündlichen Verhandlung vor dem SG aus. Der Fassung September 2014 ist des Weiteren zu entnehmen, dass die Prävalenz der IBM auf 4,5 bis 9,5/1.000.000 Einwohner geschätzt wird und bei über 50-Jährigen auf 35/1.000.000 Einwohner steigt. B gibt darüber hinaus eine retrospektive Studie aus 2016 wieder, die für Norwegen eine Punktprävalenz der IBM von 3,3/100.000 Einwohnern berechnete. Allerdings zeigen das Ergebnis der von B durchgeführten PubMed-Recherche sowie die in der Myositis-Leitlinie (auch Stand September 2012) aufgeführten Erkenntnisgrundlagen, dass die Seltenheit der Erkrankung eine systematische medizinische Erforschung der IBM nicht unmöglich macht. Allein zur Therapie mit IVIG liegen die oben genannten vier Studien vor, die zwar relativ kleine Patientengruppen erfassten, was aber ein randomisiertes und placebo-kontrolliertes Design nicht hinderte. Darüber hinaus erfolgte die Aktualisierung der Myositis-Leitlinie 2012 gegenüber 2008 ausdrücklich (Seite 2), weil es in den vergangenen Jahren Therapiestudien gegeben habe, die die Behandlung der Myositissyndrome verbessern könnten. Ausdrücklich genannt wurde u.a. eine kontrollierte Studie zum monoklonalen Antikörper Anti-CD52 bei sporadischer IBM (Dalakas et. al. 2009). Zwei weitere Studien wurden zur Diagnostik aufgeführt, vier Studien zur Abnahme der Muskelkraft bei IBM (Studien aus 2001, 2003, 2009 und 2011). Auch wenn die Ätiopathogenese der IBM ausweislich der Myositis-Leitlinie (Seite 5) bislang unbekannt ist, zeigt die dortige Darstellung der Entwicklung der Erklärungsansätze ebenso eine anhaltende Erforschung der IBM wie die aufgeführten laufenden Studien (Seite 11). Bhat daher die Voraussetzungen eines Seltenheitsfalles im Sinne der Rechtsprechung zutreffend verneint.

Zu weiteren Ermittlungen sah sich der Senat diesbezüglich nicht veranlasst. Auch die Klägerin hat einen weiteren Aufklärungsbedarf nicht substantiiert dargelegt. Die berücksichtigten Fallzahlen sind der Myositis-Leitlinie entnommen und wurden so auch von D in der mündlichen Verhandlung vor dem SG für die Klägerin angegeben. Auch zur Unmöglichkeit der systematischen Erforschung der Erkrankung angesichts der dargestellten Erkenntnisse fehlt es an einem substantiierten Vorbringen der Klägerin.

(e) Die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1a SGB V (i.d.F. des GKV-VStG m.W.v. 1. Januar 2012) lagen im Fall des Versicherten ebenfalls nicht vor.

Danach können Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, auch eine von § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Diese Regelung setzt die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschluss vom 6. Dezember 2005 – 1 BvR 347/98 – juris, Rn. 47 ff.) und die diese Rechtsprechung konkretisierenden Entscheidungen des BSG (z.B. BSG, Urteile vom 4. April 2006 – B 1 KR 12/04 R und B 1 KR 7/05 R – und Urteil vom 16. Dezember 2008 – B 1 KR 11/08 R – alle juris) zur Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung für neue Behandlungsmethoden, die Untersuchungsmethoden einschließen würden, in Fällen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung um (Senatsurteil vom 9. November 2018 – L 4 KR 1540/17 – juris, Rn. 40).

(aa) Eine Erkrankung ist lebensbedrohlich, wenn sie in überschaubarer Zeit das Leben beenden kann, und dies eine notstandsähnliche Situation herbeiführt, in der Versicherte nach allen verfügbaren medizinischen Hilfen greifen müssen. Es genügt hierfür nicht, dass die Erkrankung unbehandelt zum Tode führt. Dies trifft auf nahezu jede schwere Erkrankung ohne therapeutische Einwirkung zu. Die notstandsähnliche Situation muss sich nach den konkreten Umständen des einzelnen Falles ergeben. Ein nur allgemeines mit einer Erkrankung verbundenes Risiko eines lebensgefährlichen Verlaufs genügt hierfür nicht. Die notstandsähnliche Situation muss im Sinne einer in einem gewissen Zeitdruck zum Ausdruck kommenden Problematik vorliegen, wie sie für einen zur Lebenserhaltung bestehenden akuten Behandlungsbedarf typisch ist. Das bedeutet, dass nach den konkreten Umständen des Falles bereits drohen muss, dass sich der voraussichtlich tödliche Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird. Diese Rechtsprechung mit seinen Formulierungen hat das BVerfG aufgegriffen und am Maßstab des Verfassungsrechts nicht in Zweifel gezogen (z.B. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 11. April 2017 – 1 BvR 452/17 – juris, Rn. 25 m.w.N.). Erforderlich ist die Gefahr, dass die betroffene Krankheit in überschaubarer Zeit mit hoher Wahrscheinlichkeit das Leben beenden kann, so dass die Versicherten nach allen verfügbaren medizinischen Hilfen greifen müssen (zum Ganzen BSG, Urteil vom 20. März 2018 – B 1 KR 4/17 R – juris, Rn. 21 m.w.N.).

Die IBM stellt keine lebensbedrohliche Erkrankung nach diesen Maßstäben dar. Dies entnimmt der Senat insbesondere den Gutachten von H und B. In Übereinstimmung hiermit wird in der Myositis-Leitlinie (Stand September 2012, S. 11) ausdrücklich festgehalten, dass die Lebenserwartung bei IBM nicht wesentlich verkürzt ist. Die Erkenntnisse hierzu haben sich seither nicht geändert. Vielmehr findet sich diese Feststellung auch noch in der zuletzt überarbeiteten Fassung der Myositis-Leitlinie (Stand September 2014, S. 30). Abweichendes ergibt sich weder aus dem Gutachten des Sachverständigen F noch der Patientenakte der Klägerin, insbesondere dem Entlassbrief vom 7. März 2012.

(bb) Die wertungsmäßige Vergleichbarkeit einer Erkrankung mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung erfordert eine notstandsähnliche Extremsituation, wie sie auch für eine nahe Lebensgefahr typisch ist. Kennzeichnend dafür ist neben der Schwere der Erkrankung ein erheblicher Zeitdruck für einen bestehenden akuten Behandlungsbedarf. § 2 Abs 1a SGB V erfasst daher nur Behandlungen, die sich auf ein akutes Krankheitsgeschehen beziehen, das von seiner Schwere und seinem Ausmaß mit lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankungen vergleichbar ist und bei dem eine unmittelbare und kurzfristige Interventionsnotwendigkeit besteht, um den Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion oder eine unmittelbar bevorstehende wesentliche Verschlechterung des akuten Krankheitszustands zu verhindern. Erst in einer solchen notstandsähnlichen Extremsituation, für die - wie bei der Lebenserhaltung - ein erheblicher Zeitdruck typisch ist, ist es gerechtfertigt, eine Erkrankung einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung wertungsmäßig gleichzustellen. Denn der zentrale Anknüpfungspunkt des Anspruchs ist das Vorliegen einer durch nahe Lebensgefahr gekennzeichneten individuellen Notlage (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 11. April 2017 – 1 BvR 452/17 – juris, Rn. 22). Mit dem Kriterium der wertungsmäßigen Vergleichbarkeit ist also eine strengere Voraussetzung umschrieben, als mit der für einen Off-Label-Use erforderlichen „schwerwiegenden“ Erkrankung (BSG, Urteil vom 16. August 2021 – B 1 KR 29/20 R – juris, Rn. 14).

Jedenfalls im vorliegenden Behandlungszeitraum erfüllte die IBM beim Versicherten diese Voraussetzungen nicht. Die Myositis-Leitlinie (Stand 2012 und 2014) weist darauf hin, dass die Lebensqualität durch die IBM im fortgeschrittenen Krankheitsstadium durch Ateminsuffizienz, Schluckstörungen, Aspiration und Kachexie schwer beeinträchtigt sein kann. Ein solches Stadium hatte die IBM beim Versicherten vorliegend jedenfalls nicht erreicht. Überzeugend hat Bin Auswertung insbesondere des Entlassungsbriefes vom 7. März 2012 dargelegt, dass nach dem dort wiedergegebenen Verlauf und Befund eine tödlich verlaufende oder gleichzustellende Erkrankung nicht vorlag. Bei Aufnahme bestand beim Versicherten eine seit mehreren Jahren zunehmende Gehschwäche, mit einer Gehstrecke von zu diesem Zeitpunkt 500 m, zusätzlich eine geringe bis mäßige Schwäche der oberen Extremität und Rumpfmuskulatur sowie Dysphagie und Belastungsintoleranz. Dieser hatte angegeben, sich hin und wieder beim Essen zu verschlucken, aber keine Krämpfe und Atembeschwerden zu haben. Erhoben wurde eine guter Allgemein- und Ernährungszustand. Dies entnimmt der Senat dem Entlassungsbrief vom 7. März 2012. Die in der Myositis-Leitlinie für ein fortgeschriebenes Stadium beschriebenen Ateminsuffizienz, Schluckstörungen, Aspiration und Kachexie lagen mithin nicht vor. Weder im Sachverständigengutachten von F noch in der Patientenakte finden sich abweichend hiervon Anhaltspunkte für eine notfallähnliche Situation. Allein aufgrund des unsubstantiierten Vorbringens der Klägerin, vorliegend sei auch ein Anspruch aus § 2 Abs. 1a SGB V gegeben, bestand für den Senat kein Anlass zu weiteren Ermittlungen.

(3) Da der von der Klägerin in Rechnung gestellte Vergütungsbetrag um das Zusatzentgelt zu verringern war, minderte sich in der Folge auch der prozentual zu bestimmende Zuschlag nach § 17b Abs. 1a Nr. 2 KHG i. V. m. § 2 Abs. 2 und § 5 Abs. 3 KHEntgG, vorliegend um 25,06 €. Die Höhe des berücksichtigten Prozentsatzes wurde von der Klägerin nicht in Abrede gestellt.

(4) In Ermangelung eines Hauptanspruchs geht auch der geltend gemachte Antrag auf Verzinsung ins Leere.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

5. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.

6. Die endgültige Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 63 Abs. 2 Satz 1, § 52 Abs. 3 Satz 1, § 47 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG). Dabei war der Verzinsungsantrag nicht streitwerterhöhend zu berücksichtigen, da es sich insofern um eine Nebenforderung im Sinne von § 43 Abs. 1 GKG handelt. Die teilweise Rücknahme der Berufung wirkt sich auf die Streitwertberechnung nicht aus, da allein der Zeitpunkt der den Rechtszug einleitenden Antragstellung maßgebend ist (§ 40 GKG). Eine zeitlich gestaffelte Streitwertfestsetzung hat deshalb nicht zu erfolgen (Senatsurteil vom 10. Dezember 2021 – L 4 R 2067/19 – juris, Rn. 57; Oberlandesgericht München, Beschluss vom 13. Dezember 2016 – 15 U 2407/16 – juris, Rn. 16).

Rechtskraft
Aus
Saved