L 6 AS 86/22

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 6 AS 1980/21 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 6 AS 86/22 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

1. Mit der Erteilung eines Folgebescheids endet auch in Verfahren des einstweiigen Rechtsschutzes der Zeitraum, für den der vorangegangene ablehnende Bescheid Wirkung entfaltet (für Hauptsacheverfahren: BSG, Urteil vom 31.10.2007 - B 14/11 BAS 59/06 R; ebenso für Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes: LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 10.09.2012 - L 13 AS 2976/12 ER-B).

2. Zur vorläufigen Gewährung von Überbrückungsleistungen gemäß § 23 Abs. 3 Sätze 3, 5 und 6 SGB XII an gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von Grundsicherungsleistungen ausgeschlossene EU-Ausländer

 

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L 6 AS 86/22 B ER

S 6 AS 1980/21 ER Dresden

 

 

 

Sächsisches Landessozialgericht

Beschluss

In dem Beschwerdeverfahren

 A....

- Antragsteller und Beschwerdegegner -

Prozessbevollmächtigter:       Rechtsanwalt Z....
 

gegen

Jobcenter Sächsische Schweiz-Osterzgebirge, vertreten durch die Geschäftsführung,   Seminarstraße 9, 01796 Pirna

- Antragsgegner und Beschwerdeführer -

beigeladen:

Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge, vertreten durch den Landrat, Schloßhof 2/4, 01796 Pirna

 

hat der 6. Senat des Sächsischen Landessozialgerichts am 28. März 2022 in Chemnitz durch die Vorsitzende Richterin am Landessozialgericht Dr. Anders, den Richter am Landessozialgericht Wagner und die Richterin am Landessozialgericht Busse ohne mündliche Verhandlung beschlossen:

 

  1. Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Dresden vom 21. Januar 2022 abgeändert. Der Beigeladene wird vorläufig bis zur bestands- bzw. rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache verpflichtet, dem Antragsteller Leistungen gemäß § 23 Abs. 3 Sätze 3, 5 und 6 SGB XII für den Zeitraum vom 21.Januar 2022 bis 2. Februar 2022 zu gewähren. Im Übrigen wird der Antrag des Antragstellers abgelehnt. Die Beschwerde des Antragsgegners wird im Übrigen und die Beschwerde des Antragstellers in vollem Umfang zurückgewiesen.

 

  1. Der Beigeladene trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers für das Antrags- und das Beschwerdeverfahren zu einem Zehntel. Im Übrigen sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

 

Gründe:

 

I.

 

Die Beteiligten streiten im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes über die vorläufige Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum vom 01.01.2022 bis 31.03.2022.

 

Der 1990 geborene Antragsteller ist tschechischer Staatsbürger. Er hält sich nach seiner Einlassung seit 2013 in Deutschland auf. Vom 12.08.2013 bis 28.02.2014 ging er einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach. Vom 09.10.2014 bis 16.06.2016 bezog er mit Unterbrechungen Leistungen nach dem SGB II. Vom 17.06.2016 bis 22.07.2016 arbeitete er wiederum versicherungspflichtig und bezog ergänzend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, um danach vollständig von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu leben (23.07.2016 bis 30.09.2016). Vom 09.09.2016 bis 17.01.2017 übte er eine geringfügige Beschäftigung aus und bezog ergänzend Arbeitslosengeld II. Hiernach gewährte der Antragsgegner ihm volle Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Vom 05.05.2017 bis 24.05.2017 und 12.06.2017 bis 25.07.2017 ging er erneut Beschäftigungen nach. Vom 01.11.2017 bis zum 31.12.2017 bezog er Grundsicherungsleistungen. Vom 04.12.2017 bis 05.02.2018 arbeitete er versicherungspflichtig. Vom 01.03.2018 bis 04.07.2018 gewährte ihm der Antragsgegner erneut Arbeitslosengeld II. Vom 09.07.2018 bis 23.05.2019 übte er wiederum eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit aus. Vom 01.07.2019 bis 22.11.2019 und vom 03.12.2019 bis 31.12.2019 erhielt er Arbeitslosengeld II. Vom 17.12.2019 bis 21.01.2020 arbeitete er versicherungspflichtig, um danach Arbeitslosengeld II zu beziehen. Am 09.03.2020 übte er eine weitere sozialversicherungspflichtige Tätigkeit aus. Hiernach bezog er vom 31.03.2020 bis 26.04.2020 Arbeitslosengeld. Vom 31.03.2020 bis 26.04.2020 und vom 27.04.2020 bis 02.05.2020 ging er Beschäftigungen nach. Danach bezog er bis 31.07.2020 und vom 07.08.2020 bis 31.12.2020 Sozialleistungen.

 

Der Antragsteller zog zum 01.07.2020 nach A.... und mietete eine Wohnung in der A…. Straße an, für die eine Warmmiete in Höhe von 360,00 € monatlich zu zahlen war. Er beantragte Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts beim Antragsgegner. Dieser bewilligte ihm mit Bescheid vom 01.03.2021 für den Zeitraum vom 01.02.2021 bis 30.06.2021 Leistungen in Höhe von 806,00 € monatlich. Da der Antragsteller die Miete bzw. die Stromkosten nicht vollständig zahlen konnte, kündigte der Vermieter das Mietverhältnis mit Wirkung zum Ende des Monats April 2021. Daher nahm der Antragsgegner mit Bescheid vom 26.04.2021 für Juni 2021 lediglich die Bewilligung von Leistungen in Höhe des Regelbedarfs von 446,00 € vor.

 

Der Antragsteller lebt seit 23.03.2021 mit der 1994 geborenen tschechischen Staatsangehörigen R.P.... (R.P....) in einem Haushalt. Sie übte vom 01.04.2021 bis 16.04.2021 eine geringfügige Beschäftigung aus und erhält monatlich 500,00 € von ihrer Mutter. Aufgrund des Einzugs von R.P.... nahm der Antragsgegner mit Änderungsbescheid vom 03.06.2021 die Bewilligung von Arbeitslosengeld II einschließlich der hälftigen Kosten der Unterkunft und Heizung für Juni 2021 in Höhe von 626,00 € vor.

 

Den Weiterbewilligungsantrag des Antragstellers lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 15.07.2021 ab, weil dem Antragsteller ein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland allein zur Arbeitssuche zustehe. Hiergegen richtete sich der Widerspruch des Antragstellers vom 13.08.2021, den der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 04.10.2021 zurückwies. Der Antragsteller erlitt nach Aufnahme einer neuen Tätigkeit als Kraftfahrer zum 27.07.2021 einen Wegeunfall. Aufgrund der nachfolgenden Erkrankung kündigte ihm der Arbeitgeber mit Wirkung zum 19.08.2021. Bis Ende August 2021 bezog der Antragsteller Krankengeld. Er zog ausweislich der Meldebestätigung vom 04.11.2021 zum 01.09.2021 in die von R.P.... mit Wirkung zum 20.07.2021 angemietete Wohnung A-Straße in A...., für die monatliche Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 550,00 € zu zahlen sind.

 

Der Antragsteller hat gegen den Widerspruchsbescheid vom 04.10.2021 mit Schriftsatz vom 30.12.2021 Klage zum Sozialgericht Dresden (SG) erhoben und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt (S 3 AS 2051/21).

 

Am 14.01.2022 hat der Antragsteller - ebenso wie R.P.... - Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts beim Antragsgegner beantragt. Dieser hat den Antrag mit an beide gesondert gerichteten Bescheiden vom 03.02.2022 abgelehnt, weil ihnen ein Aufenthaltsrecht lediglich zur Arbeitssuche zustehe. Gegen den gegenüber dem Antragsteller erlassenen Bescheid hat dieser am 09.02.2022 Widerspruch eingelegt, den der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 14.02.2022 zurückgewiesen hat. Der Antragsteller hat Klage zum SG erhoben (S 3 AS 290/22).

 

Am 16.12.2021 hat der Antragsteller den Erlass einer einstweiligen Anordnung beim Sozialgericht Dresden (SG) beantragt. Er sei ein erwerbsfähiger Leistungsberechtigter, der nicht gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II vom Leistungsbezug ausgeschlossen sei. Ihm stehe ein Anspruch aufgrund § 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II zu, da er sich seit mehr als fünf Jahren in Deutschland aufhalte. Einen Nachweis über ein Daueraufenthaltsrecht oder eine Unfreiwilligkeitsbescheinigung müsse er nicht vorlegen. Ihm stünden ab 01.01.2022 Leistungen in Höhe von 669,90 € monatlich zu. Es bestehe auch ein Anordnungsgrund. Ohne die beantragte Verpflichtung des Antragsgegners verbleibe der Antragsteller in einer wirtschaftlichen und existenziellen Notlage. Der Antragsteller könne seinen notwendigsten Verpflichtungen nicht nachkommen. Mangels Krankenversicherungsschutz könne er keine Corona-Impfung in Anspruch nehmen. Er habe seit 2013 seinen Wohnsitz in Deutschland. Auch im Jahre 2019 habe er keinen Wohnsitz in  Y.... gehabt. Das hat er eidesstattlich versichert. Eine Unfreiwilligkeitsbescheinigung der Bundesagentur für Arbeit könne er nicht vorlegen.

 

Der Antragsgegner hat entgegnet, der Antragsteller sei Staatsbürger der Tschechischen Republik und damit Unionsbürger der Europäischen Union. Ausgeschlossen von Leistungen nach dem SGB II seien alle Ausländer in den ersten drei Monaten des Aufenthalts in Deutschland und darüber hinaus, sofern sich der Aufenthalt aus dem Grunde der Arbeitssuche (Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 Freizügigkeitsgesetz/EU <FreizügG/EU>) ergebe. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) seien erst recht Personen ausgeschlossen, die kein Aufenthaltsrecht nach den FreizügG/EU nachweisen könnten. Ausgenommen davon seien Arbeitnehmer und Selbstständige (Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 2 Nrn. 1, 2 und 3 FreizügG/EU). Ebenfalls ausgenommen vom Leistungsausschluss seien Personen, denen die Arbeitnehmereigenschaft aufgrund der in § 2 Abs. 3 FreizügG/EU genannten Tatbestände erhalten bleibe. Nach einer weniger als zwölfmonatigen Beschäftigung bleibe der Arbeitnehmerstatus für maximal sechs Monate bestehen. Im Umkehrschluss bleibe bei einer Beschäftigung von zwölf Monaten und mehr der Arbeitnehmerstatus während der unfreiwilligen Arbeitslosigkeit ohne diese zeitliche Obergrenze erhalten. Die Fortgeltung der Arbeitnehmereigenschaft ende, wenn der Tatbestand des § 2 Abs. 3 FreizügG/EU nicht mehr vorliege, z. B. wenn die Arbeitslosigkeit nicht mehr unfreiwillig sei oder wenn erneut Arbeitnehmereigenschaft aufgrund einer Beschäftigung bestehe. So liege der Fall hier. Aufgrund der Arbeitnehmereigenschaft und deren unfreiwilligem Ende zum 02.07.2020 habe der Antragsteller ein Anrecht auf SGB-II-Leistungen für sechs Monate, hier vom 03.07.2020 bis 02.02.2021. Danach bestehe kein erneuter Leistungsanspruch. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass der Antragsteller zum 27.07.2021 eine Tätigkeit bei  X.... aufgenommen habe, denn diese sei zum 19.08.2021 gekündigt worden. Lohnabrechnungen seien nicht vorgelegt worden. Auf dem Konto von R.P.... sei am 16.08.2021 eine Zahlung in Höhe von 157,48 € von  X.... eingegangen. Dass es sich hierbei um den Lohn handele, sei unklar, weil der Antragsteller ein eigenes Konto bei der  W.... unterhalte. Zudem habe der Antragsteller für September 2021 keine lückenlosen Kontoauszüge vorgelegt. Hierzu sei er verpflichtet. Der Antragsteller sei trotz Aufforderung seiner Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen. Eine Berechnung des Leistungsanspruchs sei aufgrund der lückenhaften Unterlagen daher nicht möglich. Der Antragsteller habe eine Daueraufenthaltskarte, mit denen Ausländer nachweisen könnten, dass sie sich seit über fünf Jahren in Deutschland aufhielten, nicht vorgelegt. Ausweislich der Akte habe der Antragsteller im Jahr 2019 seinen Wohnort in Y...., mithin im Staatsgebiet der Tschechischen Republik, gehabt. Dem Antragsteller sei im Oktober 2019 ein Ausweis der Tschechischen Republik ausgestellt worden. Darin sei eine Adresse in  Y.... als Ort des ständigen Aufenthalts angegeben. Auch dies stehe einem Daueraufenthalt von fünf Jahren in Deutschland entgegen.

 

Das SG hat den Antragsgegner mit Beschluss vom 21.01.2022 verpflichtet, dem Antragsteller für den Zeitraum 01.01.2022 bis 31.03.2022 vorläufig bis zur bestands- bzw. rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache SGB-II-Leistungen ab 01.01.2022 i.H.v.     669,00 € monatlich zu zahlen. Den weitergehenden Antrag hat es abgelehnt. Vorliegend sei bei der Nichtgewährung von einstweiligem Rechtsschutz der Eintritt schwerer Beeinträchtigungen des Antragstellers, insbesondere von Verletzungen des menschenwürdigen Existenzminimums, möglich. Daher sei eine Güter- und Folgenabwägung durchzuführen. Diese falle zugunsten des Antragstellers aus. Was das Abwägungselement des prospektiven Hauptsacheerfolgs betreffe, lasse sich aufgrund der sich im Eilverfahren darstellenden Sachlage eine abschließende Prüfung nicht durchführen. Das SG könne nicht sicher ausschließen, dass dem Antragsteller der behauptete Hauptsacheanspruch zustehe. Der vorliegenden Eilanordnung stünden keine wichtigeren öffentlichen Interessen entgegen. Sie sei daher auch unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes angemessen. Gemäß § 7 Abs.1 SGB II erhielten Personen, die erwerbsfähig und hilfebedürftig sind, die das 15. Lebensjahr, aber noch nicht die Altersgrenze nach § 7a SGB II erreicht und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben, Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitssuchende. Diese Voraussetzungen lägen vor. Insbesondere für den gegenwärtigen Zeitraum sei glaubhaft gemacht, dass der Antragsteller seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik habe und mit seiner Freundin in einer Wohnung in der A-Straße in A.... lebe. Zwar werde die Arbeitnehmereigenschaft des Antragstellers, der tschechischer Staatsbürger sei, nicht perpetuiert. Auch sei die Rückausnahme gemäß § 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Vielmehr zeige die erweiterte Meldebescheinigung, dass der Antragsteller ein Standbein in  Y.... gehabt und sich dort immer wieder aufgehalten habe und für den Zeitraum vom 06.08.2018 bis 03.02.2020 überhaupt kein Nachweis eines Aufenthaltes in Deutschland vorhanden sei, so dass von einem gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland von mindestens fünf Jahren nicht ausgegangen werden könne. Hierfür sprächen im Übrigen auch die zum Teil sehr kurz andauernden Beschäftigungsverhältnisse des Antragstellers in Deutschland. Das Besondere sei jedoch, dass der Antragsteller abgesehen von der Begründung eines gemeinsamen Hausstandes mit seiner Partnerin in A.... am 04.01.2022 eine Eingliederungsvereinbarung unterschrieben habe, so dass bei dem 1990 geborenen Antragsteller davon ausgegangen werden könne, dass der erneute Status als Arbeitnehmer unmittelbar bevorstehe, zumal es derzeit verschiedene Branchen gebe, die Arbeiter bräuchten. Im Rahmen der Folgeabwägung dürfe in der konkreten Situation des Antragstellers nicht unberücksichtigt bleiben, dass die komplette Vorenthaltung von Leistungen die begonnenen Integrationsbemühungen komplett zunichtemachen würden. Allerdings sei umgekehrt der zeitliche Rahmen auf drei Monate zu begrenzen, die ausreichten, um die tatsächliche Eingliederung konkret festzustellen.

 

Gegen den dem Antragsgegner am 24.01.2022 zugestellten Beschluss hat er am 03.02.2022 Beschwerde beim Sächsischen Landessozialgericht eingelegt. Das SG stelle in seiner Entscheidung fest, dass der Antragsteller keinen Anordnungsanspruch habe, weil er als technischer Staatsbürger weder einen Arbeitnehmerstatus noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt für mindestens fünf Jahre in Deutschland habe. Einzig die mit dem Antragsgegner geschlossene Eingliederungsvereinbarung sehe das SG im Rahmen der Folgenabwägung als Indiz für einen baldigen Arbeitnehmerstatus des Antragstellers an. Hier verkenne das SG jedoch die Wirkung des Abschlusses einer Eingliederungsvereinbarung. Zum einen sei entscheidend, dass der Antragsteller zum Zeitpunkt der Beurteilung über keinen Arbeitnehmerstatus verfüge und sich daher lediglich zur Arbeitssuche in Deutschland aufhalte. Allein der Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung verheiße noch keine sofortige Vermittlung in eine versicherungspflichtige Tätigkeit. Der Antragsteller habe in der Vergangenheit bereits Leistungen nach dem SGB II bezogen und Eingliederungsvereinbarungen abgeschlossen. Dies habe jedoch nicht zu dauerhaften Arbeitsverhältnissen geführt.

 

Mit Beschluss vom 24.02.2022 hat der Senat den Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge gem. § 75 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beigeladen.

 

Der Antragsteller hat am 09.03.2022 Anschlussbeschwerde eingereicht. Er habe 2019 keinen Wohnsitz in  Y.... gehabt. Er habe bei der Beantragung eines neuen Ausweises bei den tschechischen Behörden seine deutsche Anschrift angegeben. Der Widerspruchsbescheid vom 04.10.2021 sei an seine alte Adresse in der B…. Straße in A.... gesandt worden. Erst durch Akteneinsicht seines Prozessbevollmächtigten am 22.12.2021 habe er vom Widerspruchsbescheid Kenntnis erlangt. Seine Mutter habe die Schlüssel für die alte Wohnung am 14.09.2021 in den Briefkasten der Hausverwaltung geworfen. Das hat die Mutter eidesstattlich versichert. Der Antragsteller hat eidesstattlich versichert, der Widerspruchsbescheid vom 04.10.2021 sei ihm nicht zugegangen.

 

Der Antragsgegner hat entgegnet, der Antragsteller habe in einer E-Mail vom 04.10.2021 sowie in den Schreiben seines Bevollmächtigten vom 27.10.2021 und 10.11.2021 stets die Adresse A…. Straß in A.... als Wohnanschrift angegeben. Die Meldebestätigung sei erst nachträglich gefertigt. Der Widerspruchsbescheid sei nicht als unzustellbar zurück zum Antragsgegner gelangt.

 

Der Antragsgegner beantragt,

 

            den Beschluss des SG vom 21.01.2022 aufzuheben und den Antrag abzulehnen

sowie die Beschwerde des Antragstellers zurückzuweisen.

 

Antragsteller beantragt,

 

den Beschluss des SG vom 21.01.2022 abzuändern und dem Antragsteller auch für den Zeitraum vom 01.04.2022 bis 30.06.2022 vorläufig bis zur bestands- bzw. rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von monatlich 669,00 € zu gewähren

und die Beschwerde der Antragsgegnerin zurückzuweisen.

 

Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

 

Er ist der Auffassung, dem Antragsteller stehe kein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II zu. Auf seinem 2019 ausgestellten tschechischen Personalausweis sei als Wohnanschrift eine Adresse in  Y.... angegeben. Ausweislich der Auskunft des Bürgeramts der Landeshauptstadt B.... seien im Melderegister folgende Anschriften des Antragstellers hinterlegt:

  • 20.07.2013 bis 30.08.2014  V.... Str., Zimmer 304, B....,
  • 30.08.2014 bis 09.10.2014 Tschechien,
  • 09.10.2014 bis 01.03.2015 2014  V.... Str., Zimmer 106, B....,
  • 01.03.2015 bis 20.01.2016  U....., Zimmer 106, B....,
  • 20.01.2016 bis 18.02.2016 Tschechien,
  • 18.02.2016 bis 01.06.2016  T....., B....,
  • 01.06.2016 bis 06.08.2018  S.... Str., B....,
  • 07.08.2018 bis 02.02.2020 keine,
  • 03.02.2020 bis 01.07.2020  R..... 27, B....,
  • Ab 01.07.2020 A…. Str., A.....

Der Antragsteller habe wohl in der Vergangenheit nie in der Bundesrepublik seinen Lebensmittelpunkt gehabt. Er habe zumeist in Deutschland nur in einzelnen Zimmern gewohnt. Bis zum 01.07.2021 habe er nie über eine eigene Wohnung verfügt. Wegen der kurzzeitigen Tätigkeit für X.... könne hieraus auch keine Absicht einer ernsthaften Beschäftigung des Antragstellers abgeleitet werden. Vorstellbar sei allerdings ein Anspruch des Antragstellers gegen den Beigeladenen auf Überbrückungsleistungen Nach § 23 Abs.3 Satz 3 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII). Dafür müsste der Antragsteller allerdings ausreisewillig sein.

 

Dem Senat liegen die Verfahrensakten beider Instanzen sowie die Verwaltungsakte des Antragsgegners vor.

 

II.

 

Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners ist insoweit begründet, als nicht er Leistungen nach dem SGB II, sondern der Beigeladene und auch dieser lediglich für den Zeitraum vom 21.01.2022 bis 02.02.2022 Leistungen nach § 23 Abs. 3 Sätze 3, 5 und 6 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) an den Antragsteller zu gewähren hat. Im Übrigen ist die Beschwerde ebenso wie die Anschlussbeschwerde des Antragstellers unbegründet.

 

Dem Antragsteller steht ein Anspruch auf Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den beantragten Zeitraum vom 01.01.2022 bis 30.06.2022 nach summarischer Prüfung nicht zu. Er kann allerdings vorläufig Leistungen gemäß § 23 Abs. 3 Sätze 3, 5 und 6 SGB XII für den Zeitraum vom 21.01.2022 bis 02.02.2022 vom Beigeladenen beanspruchen.

 

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG können die Gerichte auf Antrag, der gemäß § 86 b Abs. 3 SGG bereits vor Klageerhebung zulässig ist, zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dazu ist gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) sowohl der durch die Anordnung zu sichernde, im Hauptsacheverfahren geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) als auch der Grund, weshalb die Anordnung ergehen und dieser Anspruch vorläufig bis zur Entscheidung der Hauptsache gesichert werden soll (Anordnungsgrund), glaubhaft zu machen. Gem. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG ist § 929 ZPO entsprechend anzuwenden.

 

1.

Der Streitgegenstand des Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes ist auf den Zeitraum vom 01.01.2022 bis 02.02.2022 begrenzt. Der maßgebliche Beginn (01.01.2022) ergibt sich aus der vom SG mit Beschluss vom 21.01.2022 ausgesprochenen einstweiligen Anordnung, da auch im Wege der Anschlussbeschwerde keine früheren Leistungen begehrt wurden. Das Ende des maßgeblichen Zeitraums folgt aus der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), weil der Antragsgegner am 03.02.2022 den erneuten Antrag des Antragstellers auf Grundsicherungsleistungen für den Folgezeitraum abgelehnt hat. Mit der Erteilung des Bescheides vom 03.02.2022 endet der Zeitraum, für den die streitgegenständliche erste ablehnende Entscheidung im Bescheid vom 15.07.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.10.2021 Wirkung entfaltet. Das ergibt sich aus der Rechtsprechung des BSG, der der Senat folgt. Das BSG hat mit Urteil vom 31.10.2007 (B 14/11 BAS 59/06 R, RdNr. 13, juris) entschieden:

 

Die Prüfung des streitgegenständlichen Anspruchs ist auf den Zeitraum vom 1. Januar bis 7. Juni 2005 beschränkt. Zwar hat die Beklagte mit Bescheid vom 17. Dezember 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. April 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II insgesamt versagt. In solchen Fällen ist in der Regel über den geltend gemachten Anspruch bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem LSG zu entscheiden (vgl Bundessozialgericht <BSG> vom 16. Mai 2007 - B 11b AS 37/06 R - RdNr 15). Hier liegt der Fall jedoch anders. Auf einen Folgeantrag des Klägers vom 26. April 2005 hat die Beklagte mit weiterem Bescheid vom 8. Juni 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Januar 2006 erneut die Leistungsgewährung verneint. Mit der Erteilung des Bescheides vom 8. Juni 2005 endet der Zeitraum, für den die erste ablehnende Entscheidung Wirkung entfaltet. Das LSG hat die neuen Bescheide auch nicht in analoger Anwendung des § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) - unter dem Gesichtspunkt der Prozessökonomie - in das Verfahren einbezogen. Die Unterlassung der Einbeziehung ist im Revisionsverfahren nicht gerügt worden und kommt für Folgezeiträume des Alg II ohnehin regelmäßig nicht in Betracht (s dazu näher Urteile des BSG vom 7. November 2006 - B 7b AS 14/06 R; 23. November 2006 - B 11b AS 1/06 R, 25/06 R; 29. März 2007 - B 7b AS 4/06 R). Letzteres gilt auch dann, wenn durch den neuen Bescheid die alte - ablehnende - Rechtsauffassung lediglich bestätigt wird.

 

Diese Rechtsprechung ist auch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes anzuwenden. Zutreffend hat das LSG Baden-Württemberg mit Beschluss vom 10.09.2012(L 13 AS 2976/12 ER-B, RdNr. 3, juris) diesbezüglich ausgeführt:

Nicht zulässigerweise Streitgegenstand des Beschwerdeverfahrens ist der Bewilligungszeitraum ab 1. Juli 2012 (s. hierzu Ablehnungsbescheid des Antragsgegners vom 30. Juli 2012). Der Streitgegenstand eines Eilverfahrens in Vornahmesachen bezieht sich auf das zu sichernde Recht, also die Sicherung des Hauptsacheanspruchs (vgl. § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG) und kann deshalb auch nicht über diesen in einer Klage geltend zu machenden Anspruch hinausgehen. Damit ist der Streitgegenstand eines Eilverfahrens zeitlich begrenzt auf den Gegenstand eines entsprechenden Hauptsacheverfahrens, das dem Eilverfahren zugrundeliegt bzw. zugrundeliegen könnte (so auch Bayerisches Landessozialgericht; Beschluss vom 16. Juli 2012, L 11 AS 323/12 B ER, vgl. auch Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 23. Oktober 2008, L 8 B 301/08; Thüringer Landessozialgericht, Beschluss vom 7. Mai 2009, L 9 AS 763/08 ER; alle veröffentlicht in Juris; Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 3. Auflage, Rdnr. 315 f m.w.N.). Da nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. Urteil vom 7. November 2006, B 7b AS 14/06 R, 23. November 2006, B 11b AS 9/06 R, 5. September 2007, B 11b AS 15/06 R, alle veröffentlicht in Juris) in einem Klageverfahren ein Bescheid über einen nachfolgenden Zeitraum nicht gem. § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens wird, ist stets für jeden neuen Bewilligungszeitraum ein weiteres Klageverfahren und damit auch ein neues Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zu erheben (Bayerisches Landessozialgericht a.a.O.)." (ebenso LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 21.02.2011 – L 6 AS 2151/10 B ER, RdNr. 15, juris)

 

2.

Ein Antrag des Antragstellers auf einstweilige Anordnung ist nicht bereits deshalb unbegründet, weil ein möglicher Anspruch nicht vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache gesichert werden könnte. Denn der Antragsteller hat es nach summarischer Prüfung nicht versäumt, rechtzeitig ein Hauptsacheverfahren anhängig zu machen.

 

Ein Antrag auf einstweilige Anordnung setzt voraus, dass gegen den belastenden Verwaltungsakt Widerspruch eingelegt und im Falle eines abgelehnten Widerspruchsbescheides fristgerecht innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts gemäß § 87 Abs. 1 SGG Klage erhoben worden ist (Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl., § 86 b, RdNr. 7). Der Antragsteller hat nach summarischer Prüfung glaubhaft bestritten, dass ihm der an die Adresse A….Straße in A.... adressierten Widerspruchsbescheid vom 04.10.2021 zugegangen ist. Das ist angesichts seines ausweislich der Meldebestätigung zum 01.09.2021 erfolgten Umzugs in die A-Straße in A.... und der Abgabe der Schlüssel zum 14.09.2021, wie seine Mutter eidesstattlich versichert hat, nach summarischer Prüfung glaubhaft. Der Antragsgegner trägt nach § 37 Abs. 2 Satz 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) die Beweislast für den Zugang des Bescheides.

 

3.

Der Antragsteller hat einen Anordnungsgrund lediglich für den Zeitraum ab Erlass des Beschlusses des SG vom 21.01.2022 glaubhaft gemacht. Ein solcher besteht, wenn der Betroffene bei Abwarten bis zur Entscheidung der Hauptsache Gefahr laufen würde, seine Rechte nicht mehr realisieren zu können oder gegenwärtige schwere, unzumutbare, irreparable rechtliche oder wirtschaftliche Nachteile erlitte. Die individuelle Interessenlage des Betroffenen, unter Umständen auch unter Berücksichtigung der Interessen des Antragsgegners, der Allgemeinheit oder unmittelbar betroffener Dritter muss es unzumutbar erscheinen lassen, den bzw. die Betroffene(n) zur Durchsetzung seines Anspruchs auf das Hauptsacheverfahren zu verweisen (Sächsisches Landessozialgericht <SächsLSG>, Beschluss vom 14.04.2014 – L 7 AS 239/14 B ER, RdNr. 60; Beschluss vom 31.01.2013 –   L 7 AS 964/12 B ER, RdNr. 63, beide juris).

 

In einem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beurteilt sich das Vorliegen eines solchen Anordnungsgrundes nach dem Zeitpunkt, in dem das Gericht über den Antrag entscheidet. Im Beschwerdeverfahren ist dies grundsätzlich der Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung (Berlit, info also 2005, S. 3, 10; SächsLSG, Beschluss vom 14.04.2014, a.a.O., RdNr. 61).

 

Von diesem Grundsatz ist dann eine Ausnahme zu machen, wenn sich die Behörde wegen der in Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG) verankerten Bindung der Verwaltung an Gesetz und Recht verhält und gem. § 199 Abs. 1 Nr. 2 SGG die einstweilige Anordnung des SG unmittelbar nach ihrem Erlass umsetzt und vorläufig Leistungen gewährt. Es würde in einem solchen Falle gegen Treu und Glauben verstoßen (§ 242 Bürgerliches Gesetzbuch <BGB> analog), keine Ausnahme von dem o.g. Grundsatz zuzulassen. Vielmehr ist in einem derartigen Falle lediglich die Rechtmäßigkeit der Bejahung eines Anordnungsgrundes durch das SG zu prüfen. Im erstinstanzlichen Verfahren beurteilt sich in einem auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gerichteten Verfahren das Vorliegen eines Anordnungsgrundes nach dem Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung (SächsLSG, Beschluss vom 30.06.2008 – L 2 B 331/08 AS-ER).

 

Der Antragsgegner hat ausweislich seines Schreibens vom 02.02.2022 seit Erlass des Beschlusses des SG vorläufig Leistungen an den Antragsteller gewährt. Daher ist vorliegend auf den Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung (hier: 21.01.2022) abzustellen.

 

Soweit Leistungen für einen zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgelaufenen Zeitraum beansprucht werden, ist ein Anordnungsgrund in der Regel - so auch hier - gegeben (SächsLSG, Beschluss vom 14.04.2014, a.a.O., RdNr. 62; Beschluss vom 31.01.2013, a.a.O., RdNr. 64). Sofern Leistungen für einen zu diesem Zeitpunkt in der Vergangenheit liegenden Zeitraum geltend gemacht werden, ist ein Anordnungsgrund dann zu bejahen, wenn noch ein gegenwärtiger schwerer unzumutbarer Nachteil besteht, der glaubhaft gemacht wird (SächsLSG, Beschluss vom 14.04.2014, a.a.o., RdNr. 63; Beschluss vom 31.01.2013, a.a.O., RdNr. 65). Grundsätzlich besteht ein Anordnungsgrund nicht für Leistungszeiträume vor Stellung des Antrags auf einstweilige Anordnung beim SG (SächsLSG, Beschluss vom 14.04.2014, a.a.o., RdNr. 63; Beschluss vom 31.01.2013, a.a.O., RdNr. 65).

 

Einen fortbestehenden schweren unzumutbaren Nachteil aus der Nichtgewährung der Leistungen für den zum Zeitpunkt der Entscheidung des SG in der Vergangenheit liegenden Zeitraum hat der Antragsteller vorliegend nicht glaubhaft gemacht. Ein solcher ist gegeben, wenn ein besonderer Nachholbedarf besteht, d.h. wenn die Nichtgewährung der begehrten Leistungen in der Vergangenheit auch in Zukunft fortwirkt und eine weiterhin gegenwärtige, die einstweilige Anordnung rechtfertigende Notlage begründet (SächsLSG, Beschluss vom 14.04.2014, a.a.O., RdNr. 64; Beschluss vom 31.01.2013, a.a.o., RdNr. 66; Phillip, NVWZ 1984, S. 489; Knorr, DÖV 1981, S. 79; Sächsisches OVG <SächsOVG>, Beschluss vom 19.08.1993 – 2 S 183/93, SächsVBl. 1994, S. 114, 115; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 06.05.1980 – 8 B 1376/79, DÖV 1981, S. 302). Dies kann gegeben sein, wenn der Antragsteller zur Begleichung der Kosten Verbindlichkeiten eingegangen ist, deren Tilgung unmittelbar bevorsteht (SächsLSG, Beschluss vom 14.04.2014, a.a.O., RdNr. 64; Beschluss vom 31.01.2013, a.a.O., RdNr. 66; SächsOVG, a.a.O.; OVG Nordrhein-Westfalen, a.a.O.; Phillip, a.a.O.; Knorr, a.a.O.). Es ist ferner denkbar, dass vorangegangene Leistungsverweigerungen nachwirken (OVG Nordrhein-Westfalen, a.a.O.; SächsOVG, a.a.O.), beispielsweise wenn die Verweigerung der (darlehnsweisen) Bewilligung von Schülerbeförderung für einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum zum gegenwärtigen Ausschluss des betroffenen Kindes von der Schülerbeförderung führt (SächsLSG, Beschluss vom 14.04.2014, a.a.o., RdNr. 64; Beschluss vom 31.01.2013, a.a.O., RdNr. 66). Einen derartigen Nachteil hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht.

 

4.

Dem Antragsteller steht ein Anordnungsanspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den Zeitraum vom 21.01.2022 (Zeitpunkt des Erlasses des Beschlusses des SG) bis 02.02.2022 (Zeitpunkt vor Erlass des weiteren Bescheids des Antragsgegners vom 03.02.2022) gegen den Antragsgegner nach summarischer Prüfung nicht zu. Hingegen sind ihm für diesen Zeitraum Leistungen gemäß § 23 Abs. 3 Sätze 3, 5 und 6 SGB XII vorläufig vom Beigeladenen zu gewähren.

 

Ein Anordnungsanspruch ist gegeben, wenn die einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes bezüglich eines streitigen Rechtsverhältnisses nötig erscheint. Bei der Prüfung des Anordnungsanspruchs sind die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Soweit das Hauptsacheverfahren nach überschlägiger Prüfung voraussichtlich Aussicht auf Erfolg haben wird, wovon jedenfalls dann auszugehen ist, wenn die Erfolgsaussichten des Antragstellers in der Hauptsache deutlich überwiegen, liegt ein Anordnungsanspruch vor.

 

a)

Der Antragsteller hat nach summarischer Prüfung keinen Anordnungsanspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den Zeitraum vom 21.01.2022 bis 02.02.2022 gegen den Antragsgegner glaubhaft gemacht. Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II in der seit 01.01.2021 geltenden Fassung erhalten Leistungen nach dem SGB II Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht haben (Nr. 1), erwerbsfähig (Nr. 2) und hilfebedürftig sind (Nr. 3) und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (Nr. 4). Ausgenommen sind gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts (Nr. 1), Ausländerinnen und Ausländer, die kein Aufenthaltsrecht haben oder deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen (Nr. 2) sowie Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes (Nr. 3). Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 3 SGB II gilt § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Nach § 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II erhalten abweichend von § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach diesem Buch, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 FreizügG/EU festgestellt wurde. Die Frist nach § 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde (§ 7 Abs. 1 Satz 5 SGB II). Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts nicht angerechnet (§ 7 Abs. 1 Satz 6 SGB II).

 

Die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II liegen zwar nach summarischer Prüfung beim Antragsteller vor. Der Antragsteller ist jedoch nach vorläufiger Prüfung gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von Grundsicherungsleistungen ausgeschlossen. Er ist Ausländer und sein Aufenthaltsrecht ergibt sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche (Nr. 2). Der Senat ist nach summarischer Prüfung nicht davon überzeugt, dass der Antragsteller mindestens fünf Jahre seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hatte. Auf die Ausführungen des SG's sowie des Beigeladenen wird insoweit verwiesen.

 

Der Antragsteller ist nach vorläufiger Prüfung gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II von Grundsicherungsleistungen ausgeschlossen, weil er nicht aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU (FreizügG/EU) freizügigkeitsberechtigt ist. Freizügigkeits-berechtigte Unionsbürger und ihre Familienangehörigen haben nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU das Recht auf Einreise und Aufenthalt nach Maßgabe dieses Gesetzes. Nach § 2 Abs. 3 Satz 1 FreizügG/EU bleibt das Recht nach Absatz 1 für Arbeitnehmer und selbständig Erwerbstätige unberührt bei vorübergehender Erwerbsminderung infolge Krankheit oder Unfall (Nr. 1), unfreiwilliger durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigter Arbeitslosigkeit oder Einstellung einer selbständigen Tätigkeit infolge von Umständen, auf die der Selbständige keinen Einfluss hatte, nach mehr als einem Jahr Tätigkeit (Nr. 2). Nach § 2 Abs. 3 Satz 2 FreizügG/EU bleibt das Recht nach Abs. 1 bei unfreiwilliger durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigter Arbeitslosigkeit nach weniger als einem Jahr Beschäftigung während der Dauer von sechs Monaten unberührt.

 

Die Voraussetzungen des § 2 Abs. 3 Satz 2 FreizügG/EU liegen nach summarischer Prüfung nicht vor. Zwar stand der Antragsteller vom 27.07.2021 bis zum 19.08.2021 in einem Beschäftigungsverhältnis als Kraftfahrer bei X..... Es kann dahinstehen, ob diese sehr kurzfristige Beschäftigung ausreicht, um die Voraussetzungen des § 2 Abs. 3 Satz 2 FreizügG/EU zu erfüllen (vgl. BSG, Urteil vom 13.07.2017 – B 4 AS 17/16 R, RdNr. 19 m.w.N., juris). Nach der Rechtsprechung des BSG muss das Tatbestandsmerkmal der unfreiwilligen Arbeitslosigkeit durch die Bundesagentur für Arbeit bestätigt werden (BSG, a.a.O., RdNr. 34). Eine solche Bescheinigung kann der Antragsteller nach eigener Einlassung nicht vorlegen.

 

Das BSG hat u.a. im Urteil vom 30.08.2017 (B 14 AS 31/16 R, RdNrn. 16 ff., juris) den grundsätzlichen Leistungsausschluss von EU-Ausländern - bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch vom 22.12.2016 (BGBl. I S. 3155) - mit EU-Recht und dem Grundgesetz vereinbar angesehen. Dem schließt sich der Senat an.

 

b)

Dem Antragsteller steht jedoch ein Anspruch auf vorläufige Gewährung von Überbrückungsleistungen gemäß § 23 Abs. 3 Sätze 3, 5 und 6 SGB XII in verfassungskonformer Auslegung der Norm bis zur bestands- bzw. rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache gegenüber dem Beigeladenen zu.

 

Das BSG hat im Urteil vom 30.08.2017 (a.a.O.) bezüglich einer von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossenen EU-Ausländerin entschieden:

"12. Der Anwendbarkeit des SGB XII auf die Klägerin steht § 21 Satz 1 SGB XII nicht entgegen.

Die erwerbsfähige Klägerin war nicht von Leistungen nach dem SGB XII ausgeschlossen, weil die 'Systemabgrenzung' zwischen SGB II und SGB XII zwar grundsätzlich an das Kriterium der Erwerbsfähigkeit anknüpft, jedoch hierauf nicht reduziert werden kann, sondern differenzierter ist (BSG vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - BSGE 120, 149 = SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 40 ff; BSG vom 20.1.2016 - B 14 AS 35/15 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 47 RdNr 34 ff). Im Sinne der Abgrenzungsregelung des § 21 Satz 1 SGB XII, die nicht isoliert betrachtet werden darf, sondern mit § 5 Abs 2 Satz 1 SGB II korrespondiert, sind nach dem SGB II 'als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt' grundsätzlich die Personen nicht, die auch bei Erfüllung der Leistungsvoraussetzungen von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen sind. Diese Personen können Leistungen nach dem SGB XII erhalten, wenn sie nicht auch durch das SGB XII von Leistungen ausgeschlossen sind (wie zB durch § 22 SGB XII, der § 7 Abs 5 und 6 SGB II entspricht, oder durch § 23 Abs 2 SGB XII, der § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB II entspricht).

§ 21 Satz 1 SGB XII und § 5 Abs 2 Satz 1 SGB II sollen (ergänzende) Leistungen für den Lebensunterhalt nach dem SGB XII für Leistungsberechtigte nach dem SGB II ausschließen. Existenzsichernde Leistungen können nur nach dem einen oder dem anderen der beiden Leistungssysteme beansprucht werden (zum Ausschließlichkeitsverhältnis vgl bereits BSG vom 12.12.2013 - B 14 AS 90/12 R - SozR 4-4200 § 12 Nr 22 RdNr 50 f). Von den leistungsberechtigten Personen iS des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II aF sind die in § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II aF genannten Personen indes 'ausgenommen'. Sie sind keine Leistungsberechtigten nach dem SGB II iS des § 21 Satz 1 SGB XII und nicht nach dem SGB II dem Grunde nach leistungsberechtigt. Ihren Zugang zu Leistungen für den Lebensunterhalt nach dem SGB XII sperrt deshalb nicht die Regelung des § 21 Satz 1 SGB XII, ohne dass es hierfür darauf ankommt, ob die betreffenden Personen erwerbsfähig nach § 8 SGB II sind.

            …

Eine Bestätigung des hier dargelegten Verständnisses des § 21 Satz 1 SGB XII ist zuletzt den Neuregelungen durch das Gesetz vom 22.12.2016 (BGBl I 3155) zu entnehmen, denn durch dieses sind weder § 5 Abs 2 Satz 1 SGB II noch § 21 Satz 1 SGB XII geändert, indes im SGB XII Leistungsansprüche für die grundsätzlich von existenzsichernden Leistungen nach dem SGB II und SGB XII ausgeschlossenen Personen geregelt worden (vgl § 23 Abs 3 Satz 3 ff, Abs 3a SGB XII und BT-Drucks 18/10211 S 2 und 11). Damit ist vom Gesetzgeber anerkannt, was Ergebnis der Systemabgrenzung nach dem Verständnis des BSG ist: Eine Personengruppe, die sich tatsächlich in Deutschland aufhält, kann bei Hilfebedürftigkeit aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht schlechterdings vom Zugang zu gesetzlichen existenzsichernden Leistungen ausgeschlossen werden - ungeachtet deren Ausgestaltung im Einzelnen.

13. Die Klägerin unterlag im SGB XII dem Leistungsausschluss nach § 23 Abs 3 Satz 1 SGB XII aF.

Danach haben Ausländer, die eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen, oder deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, sowie ihre Familienangehörigen keinen Anspruch auf Sozialhilfe. …

a) Zwar ist die Klägerin nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des SG nicht eingereist, um iS des § 23 Abs 3 Satz 1 Alt 1 SGB XII aF Sozialhilfe zu erlangen. Hierfür wäre Voraussetzung, dass der Zweck, Sozialhilfe zu erlangen, den Einreiseentschluss geprägt hat (BSG vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - BSGE 120, 149 = SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 45). Ein solcher finaler Zusammenhang ist hier nicht gegeben, zumal die Klägerin kurz nach ihrer Einreise eine Erwerbstätigkeit aufgenommen hat. Doch sind ebenso wie nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II aF nach § 23 Abs 3 Satz 1 Alt 2 SGB XII aF EU-Ausländer, die weder über eine materielle Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU, die nicht von diesem Leistungsausschluss umfasst ist, noch ein Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG verfügen, vom Anspruch auf Sozialhilfe ausgeschlossen (BSG, aaO, RdNr 48 ff).

b) Auch dieser Ausschluss vom Anspruch auf Sozialhilfe ist mit dem EU-Recht vereinbar; hier gilt nichts anderes wie zum Leistungsausschluss im SGB II. …

14. Der Leistungsausschluss nach § 23 Abs 3 Satz 1 SGB XII aF führt indes nicht zum Ausschluss auch von Ermessensleistungen nach § 23 Abs 1 Satz 3 SGB XII.

§ 23 Abs 3 Satz 1 SGB XII aF beinhaltet, wie schon dem Wortlaut entnommen werden kann, nur einen Ausschluss von einem Anspruch auf Sozialhilfe iS des § 23 Abs 1 Satz 1 SGB XII, nicht aber von im Wege des Ermessens zu leistender Sozialhilfe, wie sie § 23 Abs 1 Satz 3 SGB XII vorsieht. Aufgrund dieser Ermessensregelung in § 23 Abs 1 Satz 3 SGB XII kommen für vom Leistungsausschluss nach § 23 Abs 3 Satz 1 SGB XII aF erfasste Personen auch die Leistungen nach dem SGB XII in Betracht, auf die für nicht vom Leistungsausschluss erfasste Personen ein Anspruch nach § 23 Abs 1 Satz 1 SGB XII besteht (BSG vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - BSGE 120, 149 = SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 51 f; BSG vom 20.1.2016 - B 14 AS 35/15 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 47 RdNr 41).

Hieran ist in Kenntnis der an dieser Rechtsprechung geäußerten Kritik festzuhalten (vgl Bernsdorff, NVwZ 2016, 633, 635; Thym, NZS 2016, 441, 444, in seiner Besprechung - nur - von BSG vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - BSGE 120, 149 = SozR 4-4200 § 7 Nr 43). Hierfür spricht bereits der unterschiedliche Sprachgebrauch innerhalb des § 23 SGB XII. Während nach § 23 Abs 2 SGB XII Leistungsberechtigte nach § 1 AsylbLG keine Leistungen der Sozialhilfe erhalten, haben die von § 23 Abs 3 Satz 1 SGB XII aF erfassten Ausländer keinen Anspruch auf Sozialhilfe. Anhaltspunkte dafür, diesen Wortlautunterschied nicht beim Wort zu nehmen, lassen sich § 23 SGB XII in der hier anzuwendenden Fassung nicht entnehmen. Die von § 23 Abs 3 Satz 1 SGB XII aF erfassten Ausländer sind danach nicht schlechterdings vom Erhalt von Leistungen der Sozialhilfe ausgeschlossen, sondern nur vom Anspruch auf Sozialhilfe. § 23 Abs 1 Satz 3 SGB XII regelt indes keinen Anspruch auf Sozialhilfe, sondern im Wege des Ermessens zu leistende Sozialhilfe.

Diesen unterschiedlichen Sprachgebrauch des § 23 SGB XII, den § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II aF nicht kennt und der für den Zugang zu existenzsichernden Leistungen nach dem SGB XII die normative Grundlage bildet, hat der Gesetzgeber erst durch das Gesetz vom 22.12.2016 aufgegeben, denn nach § 23 Abs 3 Satz 1 SGB XII erhalten seither die von dieser Ausschlussregelung erfassten Ausländer keine Leistungen nach § 23 Abs 1 SGB XII oder nach dem Vierten Kapitel des SGB XII. Erst hierdurch sind die Wortlaute der Ausschlussregelungen in § 23 Abs 2 und 3 SGB XII angeglichen worden."

 

Das BSG hat im zitierten Urteil (RdNr. 48) die bis 31.12.2016 geltenden Normen unter Berücksichtigung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art 1 Abs 1 GG iVm Art 20 Abs 1 GG verfassungskonform ausgelegt und zur Rechtslage nach Wirksamwerden des Gesetzes vom 22.12.2016, mithin dem im vorliegenden Verfahren anzuwendenden Recht, im Wege eines Obiter dictums folgende Ausführungen gemacht:

„Dieser Auslegung des § 23 Abs 3 Satz 1 SGB XII aF steht trotz entsprechender Kritik an ihr Rechtsprechung des BVerwG noch zu § 120 BSHG nicht entgegen (zur Bezugnahme auf diese Rspr vgl BSG vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - BSGE 120, 149 = SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 51 f; auf diese Bezugnahme des 4. Senats indes nur noch hinweisend, ohne sie aufzugreifen, BSG vom 20.1.2016 - B 14 AS 35/15 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 47 RdNr 41). Denn diese Auslegung folgt nicht, was die Kritik übersieht (Bernsdorff, NVwZ 2016, 633, 635), aus Rechtsprechung des BVerwG zu § 120 BSHG in einer bestimmten normativen Struktur dieser Regelung zu einem bestimmten Zeitpunkt. Das aufgezeigte Verständnis des systematischen Verhältnisses von § 23 Abs 3 Satz 1 SGB XII aF zu § 23 Abs 1 Satz 1 und 3 SGB XII, das den Zugang zu den Leistungen nach dem SGB XII, insbesondere der Hilfe zum Lebensunterhalt, eröffnet, wird getragen und ist angezeigt vielmehr in einer verfassungsrechtlichen Perspektive durch das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art 1 Abs 1 GG iVm Art 20 Abs 1 GG bei einem tatsächlichen Aufenthalt eines Ausländers in Deutschland, gegen den ausländerbehördliche Maßnahmen nicht ergriffen werden, sondern dessen Aufenthalt faktisch geduldet wird (so BSG vom 20.1.2016 - B 14 AS 35/15 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 47 RdNr 41 mit Hinweisen auf die Rspr des BVerfG). Mit diesem Grundrecht wäre ein durch den Wortlaut des § 23 SGB XII in der hier anzuwendenden Fassung nicht vorgegebener vollständiger Ausschluss vom Zugang zu jeglichen existenzsichernden Leistungen für die von § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II aF erfassten Personen sowohl im SGB II als auch im SGB XII nicht zu vereinbaren (vgl zu dieser verfassungsrechtlichen Perspektive auch bereits F.... Kirchhof, NZS 2015, 1, 4). Einen solchen Ausschluss sieht - ungeachtet der Ausgestaltung der Ansprüche im Detail, über die hier nicht zu entscheiden ist - auch nicht das auf die Rechtsprechung des BSG reagierende Gesetz vom 22.12.2016 vor."

 

Gemäß § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII ist der Antragsteller nach summarischer Prüfung zwar von Leistungen nach § 23 Abs. 1 SGB XII, d.h. Hilfe zum Lebensunterhalt, Hilfe bei Krankheit, Hilfe bei Schwangerschaft und Mutterschaft sowie Hilfe zur Pflege, ausgeschlossen, weil sich sein Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt. Nach     § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII erhalten Ausländer und ihre Familienangehörigen keine Leistungen nach § 23 Abs. 1 SGB XII oder nach dem Vierten Kapitel, wenn sie weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmer oder Selbständige noch auf Grund des § 2 Absatz 3 des FreizügigG/EU freizügigkeitsberechtigt sind, für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts (Nr. 1), sie kein Aufenthaltsrecht haben oder sich ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt (Nr. 2) oder sie eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen (Nr. 3).

 

Dem Antragsteller steht jedoch ein Anspruch auf vorläufige Gewährung von Überbrückungsleistungen gemäß § 23 Abs. 3 Sätze 3, 5 und 6 SGB XII in verfassungskonformer Auslegung der Normen zu. Gemäß 23 Abs. 3 Satz 3 SGB XII werden hilfebedürftigen Ausländern, die nach § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII unterfallen, bis zur Ausreise, längstens jedoch für einen Zeitraum von einem Monat, einmalig innerhalb von zwei Jahren nur eingeschränkte Hilfen gewährt, um den Zeitraum bis zur Ausreise zu überbrücken (Überbrückungsleistungen); die Zweijahresfrist beginnt mit dem Erhalt der Überbrückungsleistungen nach § 23 Abs. 3 Satz 3 SGB XII. Die Überbrückungsleistungen umfassen nach § 23 Abs. 3 Satz 5 SGB XII Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Ernährung sowie Körper- und Gesundheitspflege (Nr. 1), Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung in angemessener Höhe, einschließlich der Bedarfe nach § 35 Absatz 4 und § 30 Absatz 7 SGB XII (Nr. 2), die zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände erforderliche ärztliche und zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln sowie sonstiger zur Genesung, zur Besserung oder zur Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen Leistungen (Nr. 3) und Leistungen nach § 50 Nrn. 1 bis 3 SGB XII (Nr. 4). Gemäß § 23 Abs. 3 Satz 6 SGB XII werden, soweit dies im Einzelfall besondere Umstände erfordern, Leistungsberechtigten nach § 23 Abs. 3 Satz 3 SGB XII zur Überwindung einer besonderen Härte andere Leistungen im Sinne von § 23 Abs. 1 SGB XII gewährt; ebenso sind die Leistungen über einen Zeitraum von einem Monat hinaus zu erbringen, soweit dies im Einzelfall auf Grund besonderer Umstände zur Überwindung einer besonderen Härte und zur Deckung einer zeitlich befristeten Bedarfslage geboten ist.

 

Eine Entscheidung des BSG zur Rechtslage nach der Neuregelung durch das Gesetz vom 22.12.2016 liegt bisher nicht vor. Die Rechtsprechung der Landessozialgerichte und Sozialgerichte ist insoweit uneinheitlich (vgl. statt vieler LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11.07.2019 – L 15 SO 181/18; SG Darmstadt, Vorlagebeschluss zum Bundesverfassungsgericht <BVerfG> vom 14.01.2020 – S 17 SO 191/19 ER; Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschluss vom 08.07.2021 – L 6 AS 92/21 B ER, RdNr. 26). Das LSG Berlin-Brandenburg (a.a.O., RdNrn. 51 ff.) hat ausgeführt:

„Durchzuführen war … nicht das in Art. 100 Abs. 1 Grundgesetz (GG) vorgesehene Verfahren einer Vorlage an das BVerfG zur Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit eines entscheidungserheblichen Gesetzes. Die erforderliche Überzeugung einer Unvereinbarkeit des § 23 Abs. 3 Nr. 2 SGB XII mit Normen des GG konnte sich der Senat nicht bilden.

Die gesetzliche Regelung unterliegt aus seiner Sicht jedoch verfassungsrechtlichen Bedenken. Indem sie typisierend die unwiderlegliche Möglichkeit der Selbsthilfe durch die Möglichkeit der Rückkehr in das Heimatland aufstellt, schließt sie Personen von den regulären Leistungen der Sozialhilfe gänzlich aus, die sich auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland tatsächlich und ohne den Willen, es freiwillig zu verlassen, aufhalten und gegen die die - an sich hierfür zuständige - Ausländerbehörde keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen eingeleitet hat. Sie konkretisiert damit den Nachrang der Sozialhilfe für die von ihr erfassten Fälle … in einer Weise, welche das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V. mit Art. 20 Abs. 1 GG berührt. Dieses wird im Besonderen durch die Leistungen zur Sicherung des laufenden Lebensunterhalts nach dem SGB II und XII einfachgesetzlich umgesetzt und stellt ein Menschenrecht dar. Die Möglichkeit einer Heimkehr in das Herkunftsland ist hierbei 'im Hinblick auf die Ausgestaltung des genannten Grundrechts als Menschenrecht schon verfassungsrechtlich jedenfalls solange unbeachtlich, wie der tatsächliche Aufenthalt in Deutschland von den zuständigen Behörden faktisch geduldet wird' (BSG a.a.O. Rn 31f. mit Hinweis auf BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2012 - 1 BvR 10/10 u.a. -,BVerfGE 132, 134 [Rn 63 und 92ff]).

Die dargestellten Bedenken verdichten sich deshalb nicht zur Überzeugung der Verfassungswidrigkeit, weil die Klägerin Anspruch auf Überbrückungsleistungen gemäß § 23 Abs. 3 Sätze 3, 5 und 6 SGB XII n.F. in verfassungskonformer Auslegung hat.

Wann genau der in § 23 Abs. 3 Satz 3 SGB XII n.F. genannte Monatszeitraum im Fall der bereits 2015 eingereisten Klägerin liegt … kann dahingestellt bleiben. Denn auch die Voraussetzungen des § 23 Abs. 3 Satz 6 Halbs. 2 SGB XII n.F. liegen vor. Zwar soll die Vorschrift keine Dauerleistungen ermöglichen (BT-Dr. 10/10211, 17f.). Sie enthält aber auch keine feste zeitliche Grenze. Die Voraussetzungen des Vorliegens 'besonderer Umstände zur Überwindung einer besonderen Härte und zur Deckung einer zeitlich befristeten Bedarfslage' sieht der Senat als gegeben an. Diese Begriffe werden nicht näher definiert. Nach den Gesetzesmaterialien soll es sich um Situationen handeln, in denen 'im Einzelfall eine Ausreise binnen eines Monats nicht möglich oder nicht zumutbar' sei (BT-Dr. 10/20211, 16). Ausgehend hiervon sieht der Senat die Situation der Klägerin, die als Unionsbürgerin die Vermutung eines Freizügigkeitsrechts für sich in Anspruch nehmen kann und gegen die die Ausländerbehörde aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht ergriffen hat, deren Aufenthalt also faktisch geduldet wird, als besonderen, mit einer besonderen Härte verbundenen Umstand an, der eine Ausreise unzumutbar macht.

Der Gesetzgeber hat durch § 23 Abs. 3 Satz 7 SGB XII n.F. selbst vorgesehen, dass die von § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 oder 3 SGB XII erfassten Personen, die sich seit mindestens fünf Jahren ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhalten, (wieder) Zugang zu den regulären Leistungen der Sozialhilfe nach § 23 Abs. 1 Sätze 1 und 2 SGB XII erhalten; dies gilt - nur dann - nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 Freizügigkeitsgesetz/EU festgestellt wurde. … Dem entnimmt der Senat, dass der Gesetzgeber die oben dargestellte, ausländerrechtlich privilegierte Stellung von Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern berücksichtigen will. Der Senat entnimmt dem weiter, dass sich der Gesetzgeber auch der Möglichkeit eines über viele Jahre andauernden Vollzugsdefizits von Ausländerbehörden bewusst ist (zu diesem Aspekt als Element für die Annahme eines verfestigten Aufenthalts BSG a.a.O. SozR 4-4300 § 7 Nr. 43 Rn 56).

Unabhängig davon, ob der Gesetzgeber unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BVerfG zu den Anforderungen an die Gewährleistung des Existenzminimums bei verfestigtem Aufenthalt (a.a.O. BVerfGE 132, 134 Rn 92ff) verfassungsgemäß bestimmen konnte, dass erst nach Ablauf von fünf Jahren im Wesentlichen ununterbrochenen Aufenthalts dessen 'Verfestigung' eingetreten ist, die den Zugang zu 'regulären' Leistungen des SGB XII eröffnet, geht der Senat aber nicht davon aus, dass der Gesetzgeber sehenden Auges einen vollständig leistungslosen Zustand über mehrere Jahre Dauer hinnehmen wollte. Ihm kann ohne hinreichend deutliche Anhaltspunkte nicht unterstellt werden, dass er auf diese Weise den Schutz ihrer Menschenwürde als höchstrangiges Verfassungsgut (Art. 1 Abs. 1 GG) gefährden oder sogar billigend in Kauf nehmen und die oben dargestellte ausländerrechtliche Privilegierung von Unionsbürgern zum mindesten relativieren wollte. Ebenso wenig kann ihm unterstellt werden, dass er den Zugang zu regulären Leistungen nach § 23 Abs. 3 Satz 7 SGB XII letztlich davon abhängig machen wollte, dass Unionsbürger ein von ihm gerade nicht gewünschtes Verhalten zeigen (indem sie sich nicht der vom Gesetzgeber leistungsausschließend unterstellten Selbsthilfemöglichkeit der Rückkehr in das Heimatland bedienen) und dass die Verletzung eines Verfassungsgutes nicht eingetreten ist (indem Unionsbürger wenigstens ihre physische Existenz ohne staatliche Hilfen sichern konnten).

Nach alldem stellt es sich für Unionsbürger - typisierend - als Bedarfslage im 'Einzelfall auf Grund besonderer Umstände zur Überwindung einer besonderen Härte' im Sinne des § 23 Abs. 3 Satz 6 Halbs. 2 SGB XII n.F. dar, dass sie einen privilegierten aufenthaltsrechtlichen Status genießen, während die Behörde, die diesen Status beenden könnte, die hierzu erforderlichen Maßnahmen nicht ergreift. Bei dieser Auslegung bleibt auch der Charakter der Leistung als zeitlich befristete erhalten. Denn die Leistungen begründende Bedarfslage nach § 23 Abs. 3 Satz 6 Halbs. 2 SGB XII n.F. endet, sobald die Ausländerbehörde tätig geworden ist und eine Unionsbürgerin oder ein Unionsbürger vollziehbar zur Ausreise verpflichtet ist.

Die der Klägerin zustehenden Leistungen im Umfang des § 23 Abs. 3 Satz 5 SGB XII n.F. sieht der Senat als verfassungsrechtlich mit Blick auf die Sicherung des Existenzminimums noch ausreichend an. Sie orientieren sich zwar an den 'abgesenkten' Leistungen für Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG, deren Ausreise unmittelbar bevorsteht (§ 1a Abs. 2 AsylbLG; s. BT-Dr. 18/10211, 16). Die Deckung zusätzlicher Bedarfe kommt aber gegebenenfalls über die Härtefallregelung gemäß § 23 Abs. 3 Satz 6 Halbs. 1 SGB XII n.F. in Betracht, so dass insgesamt nicht davon ausgegangen wird, dass das Leistungsniveau die verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen unterschreitet."

 

Da eine abschließende Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Neuregelung durch das Gesetz vom 22.12.2016 im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht möglich ist und eine abschließende Klärung des Inhalts und der Auslegung des Anspruchs gem. § 23 Abs. 3 Sätze 3,5 und 6 SGB XII durch das BSG bzw. BVerfG aussteht, ist im Rahmen der Folgenabwägung zu entscheiden. Das BVerfG hat mit Beschluss vom 12.05.2005 (1 BvR 569/05, juris, RdNr. 25) entschieden, dass die Gerichte in Fällen, in denen ohne die Gewährung vorläufigen Rechtschutzes schwere unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend prüfen. Das gilt insbesondere, wenn das einstweilige Rechtschutzverfahren vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens übernimmt und eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung eines Beteiligten droht. Ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand der Folgenabwägung zu entscheiden. Auch in diesem Fall sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen; dabei müssen sich die Gerichte schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen. Dies gilt ganz besonders, wenn es um die Wahrung der Würde des Menschen geht. Eine Verletzung dieser grundgesetzlichen Gewährleistung, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert, haben die Gerichte zu verhindern. Diese besonderen Anforderungen an Eilverfahren schließen andererseits nicht aus, dass die Gerichte den Grundsatz der unzulässigen Vorwegnahme der Hauptsache vermeiden, in dem sie z. B. Leistungen nur mit einem Abschlag zusprechen (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005, a.a.O., RdNr. 26).

 

Die Folgen einer Nichtbewilligung von Leistungen nach § 23 Abs. 3 Sätze 3, 5 und 6 SGB XII wären für den Antragsteller erheblich schwerer als die Folgen für den Beigeladenen, eventuell zu Unrecht vorläufig für einen kurzen Zeitraum - wie vorliegend - in Anspruch genommen zu werden. Die begehrten Leistungen dienen nämlich der Sicherung des absoluten Existenzminimums des Antragstellers. Angesichts dessen sind dem Antragsteller im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig bis zur bestands- bzw. rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache Leistungen nach § 23 Abs. 3 Sätze 3,5 und 6 SGB XII vom Beigeladenen zu gewähren.

 

Nach alledem ist der Beschluss des SG entsprechend abzuändern.

 

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 SGG und orientiert sich am Ausgang des Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes.

Rechtskraft
Aus
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