L 16 KR 265/19

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 31 KR 853/14
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 KR 265/19
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 23.01.2019 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 8.876,32 € festgesetzt.

 

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um Krankenhausvergütung in Höhe von 8.876,32 €.

In der Zeit vom 19.04.2010 bis zu seinem Tod durch Multiorganversagen am 03.06.2010 wurde der im Jahr 1937 geborene und bei der Beklagten versicherte J (Versicherter) stationär im klägerischen Krankenhaus behandelt. Vom 20.04.2010 bis zum 28.05.2010 erfolgte die Versorgung auf der Intensivstation.

Für die Behandlung des Versicherten forderte das klägerische Krankenhaus (Rechnung vom 06.09.2010) unter Zugrundelegung der DRG G36Z (Intensivmedizinische Komplexbehandlung > 1104 Aufwandspunkte oder hochaufwändiges Implantat bei Krankheiten und Störungen der Verdauungsorgane) Vergütung in Höhe von insgesamt 44.111,07 € und rechnete dabei u.a. den OPS (2010) 8-980.31 (Intensivmedizinische Komplexbehandlung - 1381 bis 1656 Aufwandspunkte) ab.

Die Beklagte teilte der Klägerin mit, dass sie einen Betrag in Höhe von 35.234,75 € zur Auszahlung bringen werde (Schreiben vom 05.10.2010). Die Rechnungskürzung  (8.876,32 €) resultiere aus einer in einem anderen Behandlungsfall (Versicherte D) getroffenen Feststellung, dass die strukturellen Voraussetzungen für die Abrechnung des OPS „Intensivmedizinische Komplexbehandlung“ nicht vorlägen.

Hinsichtlich dieses anderen, ebenfalls eine Behandlung auf der Intensivstation des klägerischen Krankenhauses im Jahr 2010 betreffenden Behandlungsfalles war der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) in seinem Gutachten vom 24.06.2010 zu dem Ergebnis gelangt, dass die für die Abrechnung des OPS 8-980 erforderlichen Merkmale „Kontinuierliche, 24-stündige Überwachung und akute Behandlungsbereitschaft durch ein Team von Pflegepersonal und Ärzten, die in der Intensivmedizin erfahren sind und die aktuellen Probleme ihrer Patienten kennen“ sowie “Eine ständige ärztliche Anwesenheit auf der Intensivstation muss gewährleistet sein“ im klägerischen Krankenhaus nicht erfüllt seien. Zur Begründung bezog sich der MDK auf die Antwort des Deutschen Institutes für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) (das seit dem 26.05.2020 zum Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte [BfArM] gehört) aus dem Jahr 2005 auf eine Kodierfrage zum OPS 8-980, wonach der Arzt „in das Team der Intensivstation eingebunden sein“ und „innerhalb kürzester Zeit (etwa 5 Minuten) direkt handlungsfähig am Patienten sein“ müsse. Er dürfte sich in einem Nebenraum ausruhen oder in einem anderen Bereich der Intensivstation beschäftigt sein. Nicht gemeint sei, dass er „neben dem Dienst auf der Intensivstation gleichzeitig an anderer Stelle des Krankenhauses weitere Aufgaben erfüllen muss“.

Auch nach Widerspruch des Chefarztes der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin Dr. O hielt der MDK an seiner Auffassung fest (Gutachten vom 05.10.2010).

Die Klägerin hat am 16.12.2014 Klage zum Sozialgericht Duisburg erhoben, mit der sie den Ausgleich der noch offenen Forderung in Höhe von 8.876,32 Euro begehrt hat. Das klägerische Krankenhaus erfülle in vollem Umfang die im Urteil des BSG vom 18.07.2013 – B 3 KR 25/12 R – genannten Voraussetzungen. Der Intensivmediziner Dr. O leite die Intensivstation und stelle sicher, dass dort ständig ein Intensivmediziner anwesend sei. Im Jahr 2010 sei auf der Intensivstation des klägerischen Krankenhauses ständig ein Anästhesist als Intensivmediziner eingeteilt; ein weiterer Anästhesist sei für die Betreuung der übrigen, nicht auf der Intensivstation befindlichen Patienten zuständig gewesen. Die Ärzte der Intensivstation seien nur für diese zuständig, betreuten keine anderen Stationen und müssten für solche auch keine Bereitschaftsdienste leisten. Wenn ein Arzt zu einer Reanimation außerhalb der Intensivstation eilen müsse, sei dort immer noch ein Arzt anwesend. Es mache medizinisch keinen Unterschied, ob der Reanimationsfall in den Räumen der Intensivstation oder in benachbarten Räumen auftrete, denn auch bei einer Reanimation auf der Intensivstation könne bei einem weiteren, dort befindlichen Patienten ein medizinischer Notfall auftreten. Auch dann müsse der reanimierende Intensivmediziner dafür sorgen, dass er innerhalb kurzer Zeit auch an dem anderen Patienten handlungsfähig sei. Eine sehr enge und wörtliche Auslegung des OPS-Kodes sei vom Verordnungsgeber gar nicht beabsichtigt gewesen, was auch die – allerdings erst nach dem hier streitigen Zeitraum im Jahr 2011 erfolgte – Einfügung des Satzes „Der Arzt der Intensivstation kann zu einem kurzfristigen Notfalleinsatz innerhalb des Krankenhauses (zum Beispiel Reanimationsfall) hinzugezogen werden.“ belegt werde. Die Erläuterungen des DIMDI, dass der Arzt innerhalb kürzester Zeit (etwa fünf Minuten) direkt am Patienten handlungsfähig sein müsse, seien mehr als erfüllt. Die Intensivstation der Klägerin sei von jedem Punkt des Krankenhauses in weniger als 90 Sekunden erreichbar.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie für die Behandlung des Versicherten J im Zeitraum 19.04.2010 bis 03.06.2010 über das bereits gezahlte Entgelt hinaus 8.876,32 Euro nebst Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 20.09.2010 zu bezahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat sich auf die Gutachten des MDK berufen und sich durch die Entscheidung des BSG vom 18.07.2013 – B 3 KR 25/12 R – gestützt gesehen. Danach müssten die Strukturmerkmale des OPS kumulativ vorliegen. Dieser sei streng nach Wortlaut auszulegen. Eine „Gewährleistung“ der ständigen ärztlichen Anwesenheit sei daher nur gegeben, wenn ein speziell auf die Intensivstation bezogener Bereitschaftsdienst gegeben sei. Es reiche nicht aus, wenn ein Arzt nur im Notfall bzw. nach Bedarf auf der Intensivstation sei. Das Mindestmerkmal „ständige ärztliche Anwesenheit“ sei unabhängig von dem einzelnen Behandlungsfall zu beurteilen. Dass das Merkmal vorliegend nicht erfüllt sei, ergebe sich bereits aus den Auslegungsgrundsätzen des DIMDI zu dem streitigen Kode. Es sei nicht ersichtlich, dass bei Eintreten eines Notfalles innerhalb der vom DIMDI vorgegebenen Zeit eine ärztliche Überwachung der auf der Intensivstation befindlichen Patienten stattfinde. Der MDK müsse zur Klärung der Mindestmerkmale des OPS 8-980 nicht in jedem Einzelfall eingeschaltet werden.

Das Sozialgericht hat den Beteiligten eine in dem Parallelverfahren S 50 KR 854/14 eingeholte Stellungnahme des Dr. O übersandt. Darin bestätigt dieser, dass es im Jahr 2010 zu Zeiten, als nur ein Arzt auf der Intensivstation anwesend gewesen sei, zu 87 Reanimationsfällen gekommen sei, deren Dauer bis zu 1 Stunde 38 Minuten betragen habe. Es habe außerhalb der Regelarbeitszeiten (Mo.-Fr. 7:15 bis 16:30 Uhr), der Zeiten der Dienstübergabe (7:15 bis 8:15,19:15 bis 20:15 Uhr) und der Visitenzeiten am Wochenende und an Feiertagen (8:00 bis 11:00 Uhr) im Falle des Ausrückens des Reanimationsteams Zeiten gegeben, in denen zunächst kein zweiter Arzt auf der Intensivstation anwesend gewesen sei. Die Intensivstationspflege habe erforderlichenfalls den Anästhesie-Nachtdienst angefordert. Außerdem habe insbesondere für nicht intensivmedizinische Fragestellungen der Bereitschaftsarzt der das Grundleiden behandelnden Abteilung hinzugezogen werden können.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 23.01.2019 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin habe den OPS 8-980 im Jahr 2010 nicht im Rahmen ihrer Behandlungsabrechnung in Ansatz bringen dürfen, denn (auch) nach ihren Angaben sei eine ständige ärztliche Anwesenheit auf  der Intensivstation im Sinne des OPS nicht gewährleistet gewesen. Eine unmittelbare Einsatzfähigkeit am Patienten binnen weniger Minuten sei von der Klägerin angesichts der mitgeteilten Reanimationseinsätze erkennbar nicht sichergestellt gewesen. Es sei nicht davon auszugehen, dass der zuständige Intensivmediziner innerhalb von 5 Minuten behandlungsbereit in die Intensivstation habe zurückkehren können. Soweit die Klägerin auf die Möglichkeit der Hinzuziehung weiterer Ärzte aus dem Haus verweise, erfülle dies nicht das Mindestmerkmal „akute Behandlungsbereitschaft durch ein Team von Pflegepersonal und Ärzte, die in der Intensivmedizin erfahren sind und die aktuellen Probleme ihrer Patienten kennen“ des streitigen OPS.

Gegen das ihr am 01.03.2019 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin vom 29.03.2019. Auch wenn der Arzt die Intensivstation verlassen müsse, sei sichergestellt, dass ein Intensivmediziner von jeder Stelle des Krankenhauses aus binnen weniger als 90 Sekunden auf der Intensivstation zurück sein könne. Das Sozialgericht verkenne, dass die Reanimation Teil der Intensivstation sei und der Arzt Intensivmedizin betreibe, auch wenn er zu einem anderen Ort der Klinik zur Reanimation ausrücken müsse. Ein Transport der zu reanimierenden Person auf die Intensivstation dauere zu lange und führe möglicherweise zum Tode. Die Zeitdauer der Reanimation sei dabei völlig unerheblich. Die von der Beklagten und dem Gericht angeführten Gerichtsentscheidungen (LSG NRW, Urteile vom 08.12.2016 – L 5 KR 11/15 – und vom 10.07.2019 – L 10 KR 538/15 –) beträfen andere Sachverhalte, da dort eine personelle Minderbesetzung in den Nacht- und Wochenenddiensten mit dem auf der Intensivstation tätigen Anästhesisten ausgeglichen werden sollte, bzw. die Intensivmediziner der Intensivstation auf anderen Stationen Bereitschaftsdienst hatten.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 23.01.2019 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr für die Behandlung des Versicherten, J, im Zeitraum 19.04.2010 bis 03.06.2010 weitere 8.876,32 € nebst Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 20.09.2010 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend. Sie sieht sich durch die Rechtsprechung insbesondere des BSG (Urteil vom 18.07.2013 – B 3 KR 25/12 R) und des LSG NRW (Urteil vom 08.12.2016 – L 5 KR 11/15) bestätigt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, der beigezogenen Gerichtsakten S 27 KR 1552/17 WA und S 50 KR 854/14, der Patientenakte des Versicherten sowie der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

 

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die als echte Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 SGG) statthafte Klage abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung (weiterer) Krankenhausvergütung in Höhe von 8.876,32 €.

Rechtsgrundlagen der von der Klägerin geltend gemachten Krankenhausvergütung sind § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V i.V.m. § 7 Satz 1 KHEntgG und § 17b KHG, die Vereinbarung zum Fallpauschalensystem für Krankenhäuser für das Jahr 2010 und die von den Vertragsparteien auf Bundesebene getroffene Vereinbarung zu den DKR für das Jahr 2010. Die von der Krankenkasse zu zahlende Vergütung errechnet sich im Wesentlichen nach der mithilfe einer zertifizierten Software (Grouper) ermittelten DRG. Für die Zuordnung eines Behandlungsfalles zu einer DRG sind maßgebliche Kriterien die Hauptdiagnose, die Nebendiagnosen, eventuell den Behandlungsverlauf wesentlich beeinflussende Komplikationen, die im Krankenhaus durchgeführten Prozeduren sowie weitere Faktoren (Alter, Geschlecht etc.). Die Diagnosen werden mit einem Code gemäß dem vom DIMDI, im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit herausgegebenen ICD-10 verschlüsselt. Die Prozeduren werden nach dem ebenfalls vom DIMDI, bzw. BfArM herausgegebenen OPS kodiert. Aus diesen Codes wird dann zusammen mit den weiteren für den Behandlungsfall maßgeblichen Faktoren unter Verwendung eines Groupers die entsprechende DRG ermittelt (sog. Groupierung), anhand derer die von der Krankenkasse zu zahlende Vergütung errechnet wird (ausführlich dazu BSG, Urteil vom 08.11.2011 – B 1 KR 8/11 R –, BSGE 109, 236).

Abrechnungsbestimmungen sind wegen ihrer Funktion im Gefüge der Ermittlung des Vergütungstatbestandes innerhalb eines vorgegebenen Vergütungssystems eng am Wortlaut orientiert und allenfalls unterstützt durch systematische Erwägungen auszulegen; Bewertungen und Bewertungsrelationen bleiben außer Betracht (ständige Rechtsprechung vgl. etwa BSG, Urteil vom 16.08.2021 – B 1 KR 11/21 R –, Rn. 7, juris m.w.N.). Der OPS kann Begriffe entweder ausdrücklich definieren oder deren spezifische Bedeutung kann sich ergänzend aus der Systematik der Regelung ergeben (vgl. zu Letzterem BSG, Urteil vom 27.10.2020 – B 1 KR 25/19 R –, Rn. 18, juris, zur multimodalen Schmerztherapie). Ferner kann der Wortlaut ausdrücklich oder implizit ein an anderer Stelle normativ determiniertes Begriffsverständnis in Bezug nehmen. Fehlt es an solchen normativen definitorischen Vorgaben, gilt der Grundsatz, dass medizinische Begriffe im Sinne eines faktisch bestehenden, einheitlichen wissenschaftlich-medizinischen Sprachgebrauchs zu verstehen sind (vgl. BSG, Beschluss vom 19.07.2012 – B 1 KR 65/11 B – Rn. 18, SozR 4-1500 § 160a Nr. 32; BSG, Urteil vom 23.6.2015 – B 1 KR 21/14 R – Rn. 18, SozR 4-2500 § 109 Nr. 46). Ergeben sich danach keine eindeutigen Ergebnisse, ist der allgemeinsprachliche Begriffskern maßgeblich (vgl. BSG, Urteil vom 17.12.2020 – B 1 KR 21/20 R – Rn. 26, SozR 4-2500 § 109 Nr. 83).

Nach diesen Grundsätzen steht der Klägerin kein Anspruch auf Zahlung der streitigen Summe zu. Die Kodierung der von ihr abgerechneten DRG G36Z setzt die zulässige Kodierung des OPS 8-980 voraus, an der es vorliegend fehlt.

Nach dem Kode OPS (2010) 8-980 setzt eine „Intensivmedizinische Komplexbehandlung (Basisprozedur)“ voraus, dass u.a. die folgenden Mindestmerkmale kumulativ vorliegen (vgl. BSG, Urteil vom 18.07.2013 – B 3 KR 25/12 R –, Rn. 17, juris):

  • Kontinuierliche, 24-stündige Überwachung und akute Behandlungsbereitschaft durch ein Team von Pflegepersonal und Ärzten, die in der Intensivmedizin erfahren sind und die aktuellen Probleme ihrer Patienten kennen
  • Eine ständige ärztliche Anwesenheit auf der Intensivstation muss gewährleistet sein“

Insbesondere das letztgenannte Merkmal war hinsichtlich des streitgegenständlichen Behandlungsfalles nicht erfüllt, denn eine ständige ärztliche Anwesenheit auf der Intensivstation war dort im Jahr 2010 nicht gewährleistet.

 

Bei der wortgetreuen Anwendung des Kodes 8-980 kann von einer ständigen ärztlichen Anwesenheit gemäß dem Mindestmerkmal nicht gesprochen werden, wenn ein Arzt auf der Intensivstation nicht durchgehend anwesend ist (vgl. LSG, NRW, Urteil vom 10.07.2019 – L 10 KR 538/15 –, Rn. 32, juris). Soweit nach den Auslegungshinweisen des DIMDI für den OPS in den Jahren 2005 bis 2010 der Arzt der Intensivstation sich während des Dienstes auf der Station in einem Nebenraum kurz ausruhen oder in einem anderen Bereich der Intensivstation beschäftigt sein kann, soweit er innerhalb kürzester Zeit (etwa 5 Minuten) direkt handlungsfähig am Patienten ist, ergibt sich hieraus zugleich, dass eine ständige Anwesenheit dann nicht anzunehmen ist, wenn der Arzt neben dem Dienst auf der Intensivstation gleichzeitig an anderer Stelle weitere Aufgaben übernehmen muss, wie etwa, eine Normalstation zu betreuen. Dieser Auslegungshinweis ist zwar für die gerichtliche Auslegung von Begriffen im OPS an sich nicht einzubeziehen (vgl. BSG, Urteil vom 16.08.2021 – B 1 KR 11/21 R –, Rn. 16, juris), er entspricht aber dem Wortlaut des OPS-Kodes, der auf die Gewährleistung der ständigen Anwesenheit und damit nicht auf die tatsächlichen Umstände im Einzelnen, sondern auf eine Planungs- und Strukturkomponente abstellt (vgl. hierzu Urteil des BSG vom 18.07.2013 B 3 KR 25/12 R, Rn. 18, juris).

Die Beteiligten sind sich zwar darüber einig, dass im vorliegenden Fall – anders als etwa in dem der Entscheidung des BSG vom 18.07.2013 (B 3 KR 25/12 R) – zugrundeliegenden, die auf der Intensivstation tätigen Ärzte nach der Dienststruktur an sich nicht auch die Patienten anderer Stationen betreuen und die dort anfallenden ärztlichen Aufgaben übernehmen mussten. Allerdings bestand bei Reanimationsfällen – das hat die Klägerin eingeräumt – stets die Zuständigkeit der Ärzte der Intensivstation, die innerhalb des gesamten Krankenhauses zum Einsatz kamen und somit die Intensivstation verlassen haben.  Da nach der in das Verfahren eingeführten schriftlichen Auskunft des Dr. O – der Senat hat keinen Grund, an dessen Glaubwürdigkeit zu zweifeln und die Beteiligten haben keine substantiierten Zweifel an seinen Ausführungen geäußert – im Jahr 2010 in Zeiträumen, in denen nur ein Arzt auf der Intensivstation tätig war, dieser Arzt in insgesamt 87 Fällen die Intensivstation zwecks außerhalb dieser Station vorzunehmender Reanimationen verließ, war eine durchgehende ärztliche Anwesenheit auf der Intensivstation nicht gewährleistet. Dies betraf laut Dr. O „Randzeiten“, also Zeiten außerhalb der Regelarbeitszeiten (Mo.-Fr. 7:15 bis 16:30 Uhr), der Zeiten der Dienstübergabe (7:15 bis 8:15,19:15 bis 20:15 Uhr) und der Visitenzeiten am Wochenende und feiertags (8:00 bis 11:00 Uhr). In diesen Zeiträumen hat es im Falle des Ausrückens des Reanimationsteams Zeiten gegeben, in denen zunächst kein zweiter Arzt auf der Intensivstation anwesend war. Jedenfalls 1/3 der genannten 87 Reanimationsfälle – und damit die Abwesenheit des Arztes von der Intensivstation – dauerte (z.T. deutlich) länger als 30 Minuten.

Eine "Gewährleistung" der ständigen ärztlichen Anwesenheit ist indes nur bei einer dies unter allen – vorhersehbaren – Umständen sicherstellenden, speziell auf die Intensivstation bezogenen Bereitschaftsdienstplanung des Krankenhauses gegeben (BSG, Urteil vom 18.07.2013 - B 3 KR 25/12 R -, Rn. 18, juris). Eine derartige Bereitschaftsdienstplanung hat es im klägerischen Krankenhaus offensichtlich nicht gegeben, denn nach den schriftlichen Ausführungen des Dr. O hat die Intensivstationspflege (nur) erforderlichenfalls den Anästhesie-Nachtdienst angefordert oder den Bereitschaftsarzt anderer Stationen hinzugezogen. Dies offenbart, dass gerade nicht immer und – um eine „ständige“ Anwesenheit sicherzustellen – nicht binnen kurzer Zeit  ein Arzt hinzugezogen wurde und damit auf der Intensivstation anwesend war, bis der eigentliche Intensivmediziner zurückgekehrt war. Selbst wenn dies erfolgt wäre, scheiterte die Abrechnung des streitigen OPS an dessen erstem Mindestmerkmal, das voraussetzt, dass die hinzugezogenen Ärzte in das Team der Intensivstation eingebunden sind und die aktuellen Probleme der Intensivpatienten kennen. Die Kenntnis vom aktuellen Gesundheitszustand aller Patienten der Intensivstation muss bei sämtlichen Mitgliedern des Teams einzeln und gleichzeitig vorliegen (vgl. LSG NRW, Urteil vom 08.03.2018 – L 5 KR 174/15, Rn. 59, juris und Urteil vom 10.07.2019 – L 10 KR 538/15 –, Rn. 32, juris).

Auch die Auffassung der Klägerin, dass der Intensivmediziner „bildlich gesprochen“ die Intensivstation beim Ausrücken zu einem Reanimationsfall innerhalb des Krankenhauses gar nicht verlasse, vermag nicht zu überzeugen. Verlässt ein Arzt die Intensivstation und befindet sich dort kein weiterer Arzt, ist eine ständige ärztliche Anwesenheit  nicht gewährleistet und kann der Kode für eine höher vergütete „Intensivmedizinische Komplexbehandlung“ nicht abgerechnet werden.

Aufgrund der nach der Rechtsprechung des BSG eng am Wortlaut zu orientierenden Auslegung von Abrechnungsbestimmungen führt entgegen der klägerischen Auffassung auch der Umstand der – erst nach dem vorliegend streitigen Zeitraum – erfolgten Ergänzung des OPS-Mindestmerkmals nicht zu einer anderen Beurteilung. Im Übrigen wäre es danach nur unschädlich, wenn der Arzt der Intensivstation kurzfristig zu einem Notfalleinsatz innerhalb des Krankenhauses (z.B. Reanimation) hinzugezogen wird. Ausweislich der Stellungnahme des Dr. O wurde der auf der Intensivstation in Randzeiten allein tätige Arzt jedoch nicht nur kurzfristig zu Reanimationen hinzugezogen.

Das von der Klägerin im Jahr 2010 gewählte Modell gewährleistete damit keine „ständige ärztliche Anwesenheit auf der Intensivstation“ im Sinne des OPS (2010) 8-980.

Mangels Zahlungsanspruchs scheidet auch der geltend gemachte Zinsanspruch aus.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG i.V.m. §§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 1 und 3, 47 Abs. 1 GKG.

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.

 

 

Rechtskraft
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