L 14 U 107/20

Land
Niedersachsen-Bremen
Sozialgericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Sachgebiet
Unfallversicherung
1. Instanz
SG Aurich (NSB)
Aktenzeichen
S 3 U 35/18
Datum
2. Instanz
LSG Niedersachsen-Bremen
Aktenzeichen
L 14 U 107/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Aurich vom 1. April 2020 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob eine bei dem Kläger vorliegende Hörstörung eine Berufskrankheit (BK) im Sinne der Nr. 2301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) ist.

Mit einer am 13. Februar 2017 erstatteten „Ärztlichen Anzeige bei Verdacht auf eine BK“ teilte der den Kläger behandelnde HNO-Arzt Dr. I., J., der Beklagten mit, dass bei dem K. geborenen Kläger ein „extremer Tinnitus beidseits zunehmend bei in den ersten Monaten nicht ausreichendem Hörschutz“ festgestellt worden sei. Dieser sei am 19. Dezember 2016 erstmals aufgetreten. Als gefährdende Tätigkeit sei eine „Lärmarbeit: Starten der Helikopter“ zu bezeichnen, und zwar für einen „Heli-Service“. Ein Tonaudiogramm (Messdatum 13. Februar 2017/4. Januar 2017) war der Anzeige beigefügt.

In dem daraufhin eingeleiteten BK-Feststellungsverfahren befragte die Beklagte den Kläger zunächst zu dessen beruflichen Lebenslauf (1986 bis 1990 und 09/2010 bis 02/2016 – Kfz-Mechaniker bei verschiedenen Arbeitgebern; 02/1997 – Filmvorführer; 05/1997 bis 03/1998 – Bauarbeiter im L.; 07/1999 – 09/2010 – diverse Tätigkeiten u.a. Sortierarbeiten, Autofahren, Anbringen von Autoteilen, Folien anbringen/Rotorblätter befestigen bei verschiedenen Arbeitgebern; 06/2016 bis 12/2017 – Groundhandling bei der Firma M. International) sowie die hierdurch entstandenen Lärmbelastungen (ausführliche Arbeitsbeschreibung vom 12. Juni 2017 zur Tätigkeit bei der Firma N. Service International mit Verweis u.a. auf lärmintensive Hubschrauber 3 AW 139, 2 AW 169, 1 Sikorsky S76B, BK und 1 Bo 105 während der Überwachung des Start- und Landevorgangs mit Zurverfügungstellung eines falschen Gehörschutzes während der ersten Monate) und dessen Ohrgeräusche, die sich erstmals am 19. Dezember 2016 in Form eines ständigen hohen Tons bemerkbar gemacht hätten.

Ferner zog die Beklagte medizinische Unterlagen von dem den Kläger behandelnden Arzt Dr.  I. bei und holte eine Auskunft von der Firma N. Service GmbH zu den dortigen Hubschraubermodellen vom 13. September 2017 ein.

Des Weiteren holte die Beklagte eine Stellungnahme des Präventionsdienstes der Berufsgenossenschaft Handel und Warenlogistik vom 5. Dezember 2017 ein, der nach einer telefonischen Rücksprache mit dem Kläger am 27. November 2017 für dessen bei der Firma O. GmbH ausgeübte Tätigkeiten als PKW-Fahrer im Autoumschlag, Kfz-Mechaniker und Lascher keine lärmgefährdende Tätigkeiten annahm (u.a. Beurteilungspegel von 83 dB(A), 81 dB(A) und 78 dB(A)) und des eigenen Präventionsdienstes vom 12. September 2017 und 26. Januar 2018, der für die Tätigkeiten des Klägers für die Firma N. Service (06/2016 bis 07/2017) eine Lärmbelastung von ≥ 85 dB(A) und 90 bis 92 dB(A) sowie für dessen weitere Tätigkeiten ˂ 85 dB(A) errechnete.

Ferner wertete die Beklagte die eingeholten Tonaudiogramme selbst aus und stellte keinen lärmbedingten Hörverlust bei einer lediglich siebenmonatigen Lärmeinwirkung fest.

Daraufhin lehnte sie mit Bescheid vom 7. März 2018 die Feststellung einer BK-Nr. 2301 wegen fehlender arbeitstechnischer und medizinischer Voraussetzungen ab.

Hiergegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 28. März 2018 Widerspruch, den er zusammenfassend dahingehend begründete, dass der bei ihm festgestellte Hörschaden auf seine berufliche Tätigkeit bei der Firma N. Service zurückzuführen sei, und zwar aufgrund seiner ständigen Präsenz an den Helikoptern, bei der es teilweise keine Ruhephasen gegeben habe, da sein Kollege für einige Monate krankgeschrieben gewesen sei. Er habe deshalb Urlaubssperre gehabt. Zudem habe er in den ersten Monaten einen falschen Gehörschutz zur Verfügung gestellt bekommen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 3. Mai 2018 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 18. Mai 2018 Klage beim Sozialgericht (SG) P. erhoben und zunächst noch einmal ausführlich seine Tätigkeit als Bodenabfertiger bei der Firma N. Service beschrieben und auf den untauglichen Gehörschutz (lediglich 3M Peltor-Optime 1; 3M Peltor-Optime II mit Kapselgehörschutz sei ihm nicht zur Verfügung gestellt worden) hingewiesen. Er sei einem höheren Lärmpegel ausgesetzt gewesen als der Präventionsdienst der Beklagten errechnet habe.

Die Beklagte hat ihre Entscheidung verteidigt und ergänzend ausgeführt, dass zwar eine Lärmbelastung festgestellt worden sei, allerdings lediglich von dreizehn Monaten, was nicht ausreichend für die Verursachung einer Lärmschwerhörigkeit sei. Ferner hat die Beklagte hierzu eine Stellungnahme des beratenden HNO-Arztes Dr. Q. vom 2. Mai 2019 zum Verfahren gereicht.

Nach Anhörung der Beteiligten vom 17. Mai 2019 hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 1. April 2020 abgewiesen und zur Begründung zusammenfassend ausgeführt, dass der Kläger keiner ausreichenden Lärmbelastung ausgesetzt gewesen sei. Ferner seien die medizinischen Voraussetzungen der BK-Nr. 2301 nicht erfüllt, denn es läge kein typisches Bild einer Lärmschwerhörigkeit bei dem Kläger vor, dementsprechend sei der Tinnitus auch nicht lärmbedingt.

Gegen den ihm am 2. April 2020 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 14. April 2020 Berufung eingelegt, mit der er sein Begehren auf Feststellung der BK-Nr. 2301 fortführt und ergänzend zu seinem erstinstanzlichen Vorbringen vorträgt, dass es in den letzten Tagen seiner Tätigkeit bei seinem alten Arbeitgeber zu einem Zwischenfall gekommen sei: er habe bei einem Helikopter wie üblich den Startvorgang überwacht und die Groundpower gelöst, der Pilot habe es möglicherweise sehr eilig gehabt. Dieser sei – als er, der Kläger, noch in unmittelbarer Nähe des Hubschraubers gewesen sei, - sehr eilig gestartet und habe den Hubschrauber auf der Stelle gedreht. Dadurch hätten die Getriebe noch mehr aufgeheult, während er – der Kläger – dem Lärm unmittelbar ausgesetzt gewesen sei. Üblicherweise hätten die Piloten mit diesen Manövern gewartet, bis er – der Kläger – sich etwas aus dem Bereich des Helikopters habe entfernen können. Die angenommenen Lärmbelastungen seien von der Beklagten nicht ausreichend ermittelt worden. Der Lärm eines startenden Helikopters ergebe sich aus der Leistung der Triebwerke und der Länge und der Art der Rotorblätter. Zudem sei die Belastung auch abhängig von der genauen Position des Betroffenen und den Manövern. Es gebe sehr unterschiedlich große Helikopter, so dass ein Standardwert nicht ermittelt werden könne. Ergänzend weist der Kläger darauf hin, dass nach den Königsteiner Empfehlungen als Voraussetzung für die Anerkennung einer Lärmschwerhörigkeit als BK erforderlich sei, dass „in der Regel“ eine mehrjährige Exposition bei einem Tageslärmexpositionspegel (Lex8h), der den Wert von 85 dB(A) erreicht oder überschritten werde, gegeben sei. Damit berücksichtige diese Tageslärmexposition auch die Häufigkeit, mit der ein Versicherter Lärm ausgesetzt sei, insbesondere auch, wie oft das Gehör Spitzenschalldruckpegel habe ertragen müssen. Entgegen den Ausführungen des Prof. Dr. R. sei er – der Kläger – einer bis zu fünfmal höheren tatsächlichen Lärmbelastung ausgesetzt gewesen. Er – der Kläger - sei damit länger als einem Jahr erheblichem Dauerlärm ausgesetzt gewesen; insoweit sei zumindest eine Mehrzahl von Jahren erfüllt. Hinzu komme, dass er erstmalig durch die berufliche Tätigkeit bei der Firma N. Services durch den Hörschaden betroffen worden sei und zuvor keinerlei Beschwerden gehabt habe.

Der Kläger beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,

  1. den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts P. vom 1. April 2020 sowie den Bescheid der Beklagten vom 7. März 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Mai 2018 aufzuheben,
  2. festzustellen, dass die bei ihm bestehende Hörschädigung Folge einer Berufskrankheit nach der Nr. 2301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung ist.

 

Die Beklagte beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Ergänzend verweist sie auf die Ergebnisse der arbeitstechnischen Ermittlungen ihres Präventionsdienstes in Form einer am 14. April 2021 durchgeführten Lärmmessung am Arbeitsplatz des Klägers (Stellungnahmen vom 19. März 2021, 21. April 2021 und 4. Mai 2021), woraus sich ergebe, dass die tatsächlichen Lärmbelastungen beim Starten und Landen der maßgeblichen Hubschrauber Spitzenschalldruckpegel LpC von 131,5 und 127,0 dB(C) betragen hätten. Eine akute Gehörschädigung sei jedoch nach den Königsteiner Empfehlungen erst bei Schallereignissen mit einem LpC von mehr als 150 dB(C) anzunehmen.

Der Senat hat im vorbereitenden Verfahren am 30. November 2020 durch seinen Berichterstatter einen Erörterungstermin durchgeführt, in dem der vorher von Amts wegen mit einer Begutachtung des Klägers beauftragte Sachverständige Prof. Dr. R., HNO-Arzt, Köln, sein am 15. Oktober 2020 schriftlich erstelltes Sachverständigengutachten erläutert und den Beteiligten für Rückfragen zur Verfügung gestanden hat. Der Sachverständige ist zusammenfassend zum Ergebnis gelangt, dass bei dem Kläger eine geringfügige Hochtonsenke mit einem Hochtonohrgeräusch als Begleittinnitus bestehe. Es handele sich um eine beginnende Schwerhörigkeit beiderseits, insgesamt sei die MdE auf 10 v.H. ab dem 19. Dezember 2016 (erstmaliges Bemerken der Ohrgeräusche) einzuschätzen. Allerdings sei der angegebene Tages-Lärmexpositionspegel von 90 bis 92 dB(A) bei der Firma Heli Service GmbH missverständlich, weil er die durchschnittliche Lärmbelastung über den ganzen Arbeitstag bezeichne. Relevant sei die effektive Lärmbelastung in Form eines ortsbezogenen und personenbezogenen Lärmpegels im Nahbereich des Helikopters. Sofern es sich hier um Werte im Sinne eines akuten Lärmtraumas (exzessiv hohe Schallstärken über die Dauer einiger Minuten oder Stunden mit einem Schallpegel zwischen 130 und 160 dB(A)) oder eines „Mini“-Lärmtraumas (Schallpegel an der unteren Grenze bei etwa 130 dB(A) oder dB(C) bei einer Einwirkung über Sekunden oder Minuten) gehandelt habe, wäre ebenfalls eine BK-Nr. 2301 zu diskutieren. Allerdings seien hierzu ergänzende arbeitstechnische Ermittlungen in Bezug auf den personenbezogenen Lärmpegel, d.h. die Lautstärke in unmittelbarer Nähe der Triebwerke und zur Dauer der täglichen Lärmeinwirkung, erforderlich und entsprechende Messungen vom Präventionsdienst der Beklagten durchzuführen.

Auf Anregung des Sachverständigen im Erörterungstermin hat der Senat anschließend das arbeitstechnische Gutachten des Dr. S., Abteilung 4: Arbeitsgestaltung, Physikalische Einwirkungen, Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IFA), vom 15. Januar 2021 eingeholt. Dieser ist zum Ergebnis gelangt, dass dort lediglich Messwerte zu kleineren Hubschraubern (Triebwerk mit ca. 250 PS) zur Verfügung stünden. Genauere Aussagen zur personenbezogenen Lärmbelastung des Hubschrauberpersonals an größeren Hubschraubern (Triebwerke mit 1100 PS und mehr), denen der Kläger während seiner Tätigkeit überwiegend ausgesetzt gewesen sei, seien zurzeit nicht möglich. Es könnten deshalb näherungsweise die Lärmbelastungen, die an kleineren Hubschraubern gewonnen worden seien, herangezogen werden. Es seien für den C-bewerteten Spitzenschalldruckpegel LpCpeak Werte im Bereich von 130 dB zu ermitteln. Ggf. seien für eine genauere Abschätzung der Lärmbelastung des Klägers personenbezogene Messungen mit den fraglichen Hubschraubertypen mit Hubschrauberbodenpersonal durchzuführen.

Der hierzu ergänzend gehörte Sachverständige Prof. Dr. R. hat in seiner Stellungnahme vom 8. Februar 2021 zunächst ausgeführt, dass nachvollziehbar sei, dass größere Hubschrauber nicht leiser seien, sondern eher einen höheren Lärm exponierten. Es sei deshalb begründbar, dass es sich bei der bei dem Kläger festgestellten Hochtonsenke mit Begleittinnitus um einen beruflichen Schaden im Sinne eines akuten Lärmtraumas handele und demgemäß eine BK-Nr. 2301 mit einer MdE um 10 v.H. vorliege.

Die Beklagte hat hierauf weitere Ermittlungen zu den arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK-Nr. 2301 durch ihren Präventionsdienst veranlasst, der am 14. April 2021 am ehemaligen Arbeitsplatz des Klägers Lärmmessungen durchführte. In den zum Verfahren gereichten Stellungnahmen vom 19. März 2021, 21. April 2021 und 4. Mai 2021 ist dieser zum Ergebnis gelangt, dass beim Starten und Landen der maßgeblichen Hubschrauber lediglich Spitzenschalldruckpegel LpCpeak von 131,5 und 127 dB(C) gemessen worden seien. Der nach den Königsteiner Empfehlungen erforderliche Wert von Schallereignissen von LpCpeak von mehr als 150 dB(C) sei nicht erreicht. Die gemessenen Werte lägen weit darunter und seien nicht geeignet, eine Lärmschwerhörigkeit zu verursachen.

Der Senat hat anschließend eine weitere Stellungnahme des Sachverständigen Prof. Dr. R. vom 29. Mai 2021 hierzu eingeholt, der nunmehr zum Ergebnis gelangt ist, dass eine berufliche Lärmschwerhörigkeit nach den nunmehr ermittelten Werten nicht angenommen werden könne. Es seien lediglich ein Tageslärmexpositionspegel von 92 bis 93 dB für 14 Monate Lärmbelastung sowie Schallpegel beim Starten und Landen von 105,2 dB(A) bzw. 102,5 db(A) ermittelt worden. Damit liege weder eine dauerhafte Lärmbelastung über einige Jahre oder Jahrzehnte von 85 dB(A) vor, noch ein hoher Spitzenschalldruckpegel von 150 bis 160 dB(C) bzw. Schalldruckpegel von 130 dB.

Der Kläger hat hiergegen Einwände erhoben und u.a. geltend gemacht, dass möglicherweise lediglich „ideale“ Start- und Landevorgänge gemessen worden seien, auch zu Lärmspitzen, die bei einem sehr raschen Start entstanden seien, seien keine Werte ermittelt worden. Ferner sei zu hinterfragen, an welcher Position auf dem Flugplatz die Messungen durchgeführt worden seien und wie die Versuchsanordnung aufgebaut gewesen sei. Es sei übersehen worden, dass ein Hallentor den Schall in hohem Maße reflektiert habe. Auch sei das von ihm geschilderte Startereignis vom 22. Mai 2017 nicht berücksichtigt worden.

Die Beklagte hat die weitere Stellungnahme ihres Präventionsdienstes vom 10. September 2021 zum Verfahren gereicht, der die genauen Abläufe der Überwachung des Starts und der Landung beschrieb.

Der Senat hat anschließend den arbeitstechnischen Sachverständigen Dr. S. mit der Erstellung einer ergänzenden Stellungnahme bzw. Überprüfung der von dem Präventionsdienst der Beklagten durchgeführten Messungen beauftragt. Nach Einholung des Messberichts des Präventionsdienstes vom 19. April 2021 ist der Sachverständige unter dessen Auswertung in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 10. November 2021 zum Ergebnis gelangt, dass die vom Präventionsdienst der Beklagten durchgeführten Messungen fehlerfrei erfolgt seien und weder ein Verbesserungsbedarf noch die Notwendigkeit für ergänzende Messungen bestünden.

Die Beklagte (Schriftsatz vom 23. November 2021) sowie der Kläger (Schriftsatz vom 19. Januar 2022) haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erteilt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.

 

Entscheidungsgründe

Der Senat konnte gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (vgl. § 124 Abs. 2 SGG) entscheiden, weil die Beteiligten übereinstimmend dieser Vorgehensweise zugestimmt haben.

Die Berufung des Klägers ist zulässig, aber unbegründet.

Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage gemäß § 54 Abs. 1 i. V. m. § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG zwar zulässig, sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Das SG P. hat zu Recht in dem von dem Kläger angefochtenen Gerichtsbescheid vom 1. April 2020 die Klage abgewiesen, denn der Bescheid der Beklagten vom 7. März 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Mai 2018 ist rechtmäßig und beschwert den Kläger nicht (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung einer BK nach der Nr. 2301 der Anlage 1 zur BKV.

Nach § 7 des Sozialgesetzbuchs Siebtes Buch - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) sind Versicherungsfälle Arbeitsunfälle und BKen. BKen sind die Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden (§ 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als BKen zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind (§ 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII).

Gemäß § 1 BKV sind BKen die in der Anlage bezeichneten Krankheiten; nach Nr. 2301 dieser Anlage gehört hierzu auch die Lärmschwerhörigkeit. Sie wurde mit der Umschreibung "durch Lärm verursachte Taubheit oder an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit" bereits durch die Zweite Verordnung über die Ausdehnung der Unfallversicherung auf Berufskrankheiten vom 11. Februar 1929 (RGBl I 1929, 27) unter der Nr. 18 der Spalte II der Anlage eingeführt und zwar beschränkt auf Tätigkeiten in Betrieben der Metallverarbeitung und Metallbearbeitung. Ihre heute noch geltende Fassung hat die BK durch die Verordnung zur Änderung der Siebten BKV vom 8. Dezember 1976 (BGBl I 3329) erhalten (BSG, Urteil vom 12. April 2005 – Az.: B 2 U 6/04 R – Rn. 13 – zitiert nach juris). Das vom Ärztlichen Sachverständigenbeirat des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung zuletzt neu gefasste und am 1. Juli 2008 veröffentlichte (GMBl. Nr. 39 vom 5. August 2008, Seite 798 bis 800) Merkblatt zur BK-Nr. 2301 und der aktuellen unfallversicherungsrechtlichen Literatur (u.a. in Form der Empfehlung für die Begutachtung der Lärmschwerhörigkeit (BK-Nr. 2301) – Königsteiner Empfehlung – Update 2020 sowie Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Auflage 2017, Seite 338 bis 377; Feldmann/Brusis, Das Gutachten des Hals-Nasen-Ohrenarztes, 8. Auflage 2019, Seite 242 bis 336) sind nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) bei der Beurteilung einer BK-Nr. 2301 durch die Gerichte zu berücksichtigen (BSG, Urteil vom 12. April 2005 – Az.: B 2 U 6/04 R – Rn. 15, 16, 17 – zitiert nach juris). Voraussetzung für die Anerkennung einer Lärmschwerhörigkeit ist danach eine lang- bzw. mehrjährige Lärmeinwirkung mit einem Tages-Lärmexpositionspegel von 85 db(A) (Merkblatt zu I. Gefahrquellen sowie Feldmann/Brusis a.a.O., Seite 257, 261; Schönberger/Mehrtens/Valentin a.a.O., Seite 347) oder eine Einwirkung von Einzel-Spitzen-Schalldruckpegel Lpc.peak von mehr als 150 bis 165 dB(C) (Feldmann/Brusis a.a.O., Seite 265, 266; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit a.a.O., Seite 343, 345 bis 347). Eine ein- bis zweijährige Lärmarbeit verursacht im Allgemeinen keine – nicht rückbildungsfähige - Innenohrschwerhörigkeit (Schönberger/Mehrtens/Valentin a.a.O., Seite 347).

Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben ist auch der Senat nach umfangreicher Sachverhaltsaufklärung auf arbeitstechnischem und medizinischem Gebiet im Berufungsverfahren in Übereinstimmung mit dem SG zu dem Ergebnis gelangt, dass bei dem Kläger das Vorliegen einer berufsbedingten Lärmschwerhörigkeit im Sinne der BK-Nr. 2301 nicht feststellbar ist. Dies geht zur Überzeugung des Senats aus den sachverständigen Einschätzungen des Prof. Dr. R. hervor, und zwar insbesondere aus dessen am 15. Oktober 2020 erstatteten Sachverständigengutachten sowie der hierzu am 29. Mai 2021 erstellten ergänzenden Stellungnahme sowie des arbeitstechnischen Sachverständigengutachtens des Dr. S. vom 15. Januar 2021 und dessen ergänzender Stellungnahme vom 10. November 2021. Der Sachverständige Prof. Dr. R. hat in Übereinstimmung mit der oben bereits aufgeführten unfallmedizinischen Lehrmeinung und damit für den Senat plausibel und nachvollziehbar dargelegt, dass der Kläger keiner mehrjährigen dauerhaften Lärmeinwirkung von 85 db(A) ausgesetzt gewesen ist, die mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu der bei ihm medizinisch festgestellten und grundsätzlich unter die BK-Nr. 2301 fallende Hochtonsenke mit beiderseitigem Begleittinnitus führen könnte. Denn der Kläger ist ausweislich der Ermittlungsergebnisse des Präventionsdienstes der Beklagten vom 26. Januar 2018 bei der Firma N. Service lediglich in einem Zeitraum vom 1. Juni 2016 bis 31. Juli 2017, also einem Zeitraum von rund 14 Monaten, tätig und dabei einem Tages-Lärmexpositionspegel von 90 bis 92 dB(A) ausgesetzt gewesen. Dieser Tages-Lärmexpositionspegel ist zudem durch den Präventionsdienst der Beklagten im Rahmen einer am 14. April 2021 durchgeführten Lärmmessung am Arbeitsplatz des Klägers (Stellungnahme vom 21. April 2021) als auch durch die ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen Dr. S. vom 10. November 2021 nochmals bestätigt worden. Ein derart kurzer Zeitraum reicht jedoch für die Anerkennung einer BK-Nr. 2301 nicht aus, denn vorausgesetzt wird gerade eine Dauerlärmexposition von 85 db(A) über einen Zeitraum von mehreren Jahren; eine Lärmschwerhörigkeit entwickelt sich nämlich nur bei einer ausreichend hohen und ausreichend langen Lärmbelastung (Feldmann/Brusis a.a.O., Seite 264, 256; Schönberger/Mehrtens/Valentin a.a.O., Seite 345). Insofern können auch die ergänzenden Einwände des Klägers, wonach im Zeitraum 2016 bis 2017 täglich 6-8 Starts und Landungen von 3-6 Helikoptern ausgeführt worden seien und damit von einer höheren Lärmbelastung auszugehen sei, ihm zu keinem günstigeren Ergebnis verhelfen. Selbst zu Gunsten des Klägers dies unterstellt, hat der Sachverständige Prof. Dr. R. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 29. Februar 2021 nach Auswertung des Sachverständigengutachtens des Dr. S. vom 15. Januar 2021 ausgeführt, dass selbst bei einer Lärmbelastung mit einem Tageslärmexpositionspegel von 86 bis 93 dB(A), den der Präventionsdienst der Beklagten ermittelt hat und der über dem Grenzwert der Königsteiner Empfehlung liegt, für den Tätigkeitszeitraum des Klägers vom 1. Juni 2016 bis 31. Juli 2017 - also einem Zeitraum von 14 Monaten – diese Belastung nicht zu einer chronischen Lärmschwerhörigkeit im Sinne der BK-Nr. 2301 führen kann. In seiner ergänzenden Stellungnahme hat der Sachverständige Prof. Dr. R. für den Senat plausibel und nachvollziehbar ausdrücklich nochmals dargelegt, dass für die Entstehung einer berufsbedingten Lärmschwerhörigkeit eine jahrelange bzw. jahrzehntelange Lärmexposition oberhalb von 85 dB(A) benötigt wird, der der Kläger jedoch nicht ausgesetzt gewesen ist. Zudem hat der Kläger während des Zeitraums Gehörschutz in Form von Kapseln getragen. Im Rahmen seiner weiteren beruflichen Tätigkeiten (u.a. bei den Firmen Automobil-Logistik T.; Ihnen; U. bmH) ist der Kläger ausweislich der Stellungnahmen des Präventionsdienstes der Beklagten vom 26. Januar 2018 und der des Präventionsdienstes der BGHW vom 5. Dezember 2017 zudem lediglich Lärmbelastungen von ˂ 85 db(A) ausgesetzt gewesen, welche für die Anerkennung einer Lärmschwerhörigkeit nicht ausreichen (Feldmann/Brusis a.a.O., Seite 244; Schönberger/Mehrtens/Valentin a.a.O., Seite 348).

Der Senat vermochte aber auch im Vollbeweis nicht festzustellen, dass der Kläger Einwirkungen von Einzel-Spitzen-Schalldruckpegel Lpc.peak von mehr als 150 bis 165 dB(C) ausgesetzt gewesen ist, die grundsätzlich ebenfalls zu einer Lärmschädigung im Sinne der BK-Nr. 2301 führen können. Der hierzu gehörte Sachverständige Dr. S. hat in einer ersten gutachterlichen Einschätzung vom 15. Januar 2021 zunächst ausgeführt, dass Messergebnisse für die von dem Kläger abgefertigten Hubschrauber AW 139, AW 169, Sikorsky S76B, BK und Bo 105 nicht vorliegen, sondern lediglich Untersuchungsergebnisse in Form eines Projektes BIA-4058 – „Lärmbelastung von Hubschrauberpiloten und Hubschrauberbodenpersonal“ (abgeschlossen 01/2001), die weder von der Größe noch der Leistung der Triebwerke den im vorliegenden Verfahren abgefertigten Hubschraubern entsprechen. Der Sachverständige Dr.  S. hat für eine genauere Abschätzung der Lärmbelastung des Klägers demgemäß die Erstellung personenbezogener Messungen der in diesem Verfahren fraglichen Hubschraubertypen für erforderlich gehalten. Die Durchführung entsprechender Messungen hat die Beklagte durch ihren Präventionsdienst veranlasst, der am 14. April 2021 am ehemaligen Arbeitsplatz des Klägers personenbezogene Schallpegelmessungen durchgeführt hat. Ausweislich der hierzu am 19. März 2021, 21. April 2021 und 4. Mai 2021 erstellten Vermerke hat der Präventionsdienst einen Mitarbeiter des Bodenpersonals der Firma N. Service International mit einem Schallpegelmesser begleitet, während dieser einen Startvorgang und einen Landevorgang eines Hubschraubers vom Typ AW 139 überwacht hat. Über die gesamte Messdauer von 191 Sekunden hat der Präventionsdienst einen C-bewerteten Spitzenschalldruckpegel Lpc.peak von lediglich 131,5 dB während des Startvorgangs sowie von 127,0 dB während des Landevorgangs gemessen. Der Senat hält das Ergebnis der vom Präventionsdienst der Beklagten am Arbeitsplatz des Klägers durchgeführten Lärmmessungen auch für plausibel und nachvollziehbar, denn sowohl die Messergebnisse als auch der Ablauf der Messungen sind von dem Sachverständigen Dr. S. nach Auswertung der vom Gericht beigezogenen Messprotokolle nochmals kontrolliert und bestätigt worden. Der Sachverständige Dr. S. hat hierzu in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 10. November 2021 für den Senat nachvollziehbar bestätigt, dass nach kritischer Durchsicht der Stellungnahmen des Präventionsdienstes und des Messberichtes keine Fehler in der Durchführung der Messungen festgestellt werden konnten. Dabei konnte durch die Anwesenheit der Sicherheitsfachkraft der Firma N. Service, Herrn V., bei der Durchführung der Messungen sichergestellt werden, dass es sich um typische Start- und Landevorgänge gehandelt hat. Anhand der Pegelschriebe des Start- und Landevorgangs konnte zudem sichergestellt werden, dass die Messungen weder zu spät begonnen noch zu früh beendet wurden. Die Parkposition des Helikopters lag ca. 15 m vor einer Halle, wobei die von der Halle ausgehende Reflexion des Schalls mit einem Anteil von maximal 0,2 dB so klein ist, dass dieser Schallanteil vernachlässigt werden kann. Ohnehin ist dieser Schallanteil entgegen der Auffassung des Klägers bei der Messung berücksichtigt worden, was auch für die Spitzenschalldruckpegel und deren Echo gilt. Nach der für den Senat einleuchtenden Einschätzung des Sachverständigen Dr. S. hat die Position des Hubschraubers in 15 m Abstand vor einer Halle als „örtliche Besonderheit“ keinen signifikanten Einfluss auf die Lärmexposition des Hubschrauberbodenpersonals. Die von dem Präventionsdienst der Beklagten durchgeführten Messungen mit dem leistungsstärksten Hubschraubertyp AW 139 (D-HHMH – 2 Triebwerke mit je 1703 PS), die von dem Kläger angegeben worden sind, haben damit die gesamte relevante Lärmexposition erfasst und das gesamte Leistungsspektrum der Hubschrauber abgedeckt, deren Lärm der Kläger im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit bei der Firma Heli Service ausgesetzt gewesen ist. Die von der Beklagten dabei gemessenen C-bewerteten Spitzenschalldruckpegel von Lpc.peak von 131,5 dB während des Startvorgangs sowie von 127,0 dB während des Landevorgangs mit dem leistungsstärksten Hubschrauber liegen damit im Bereich von 130 dB, die der Sachverständige Dr. S. bereits in seinem Gutachten vom 15. Januar 2021 ermittelt hatte. Nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. Liedtke, die der Senat für überzeugend hält, weil sie mit der bereits aufgeführten unfallmedizinischen Lehrmeinung übereinstimmen, kann mit akuten Gehörschäden jedoch erst bei Schallereignissen mit Überschreiten eines Spitzenschalldruckpegels von Lpc.peak 150 bis 160 dB gerechnet werden (siehe auch Königsteiner Empfehlung, Seite 13, 14 mit Verweis auf Liedtke – „Akute Gehörschäden durch extrem hohe Schalldruckpegel“ in HNO 58 (2010), Nr. 2, Seite 106 bis 109). Die vom Präventionsdienst der Beklagten ermittelten Werte am Arbeitsplatz des Klägers erreichen diesen Wert jedoch nicht.

Im Ergebnis liegt auch nach der Einschätzung des Sachverständigen Prof. Dr. R. in dessen Stellungnahme 29. Mai 2021, der sich der Senat anschließt, weil sie mit der herrschenden unfallmedizinischen Meinung übereinstimmt und ihr die schlüssigen Ergebnisse des arbeitstechnischen Sachverständigengutachtens des Dr. S. zugrunde liegen, eine BK-Nr. 2301 weder aus arbeitstechnischer noch aus medizinischer Sicht vor.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Es hat kein Anlass bestanden, die Revision zuzulassen.

Rechtskraft
Aus
Saved