1. § 18 Satz 1 SGB X enthält keine Befugnis der Behörde, über die Frage, ob ein Verwaltungsverfahren einzuleiten bzw. ein gestellter Antrag in der Sache zu prüfen ist, durch Verwaltungsakt zu entscheiden. 2. Ein Sozialversicherungsträger muss bei Vorliegen eines Antrages des Versicherten ein Verwaltungsverfahren einleiten und eine Sachprüfung vornehmen (§§ 18 Satz 2 Nr 1 SGB X, 19 Abs 1 SGB IV). Ob dies auch für "querulatorische" Anträge gilt, ist im vorliegenden Fall nicht entscheidungserheblich. 3. Zur Praxis der DRV Nordbayern die inhaltliche Prüfung eines Antrages auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung abzulehnen, nachdem kurz vor Antragstellung erst ein entsprechendes Klageverfahren rechtskräftig zuungunsten des Versicherten endete.
Der Bescheid der Beklagten vom 23. Januar 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Juli 2021 wird aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt, über den Rentenantrag der Klägerin vom 24. November 2020 unter der Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts in der Sache zu entscheiden.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Aufwendungen der Klägerin.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Zahlung einer Rente wegen Erwerbsminderung, wobei die beklagte Rentenversicherung es bereits abgelehnt hat, den Antrag in der Sache zu prüfen.
Die 1967 in der Türkei geborene Klägerin beantragte erstmals im Oktober 2017 die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Diesen Antrag lehnte die Beklagte ab, nachdem die beauftragte Gutachterin Dr. F. im August 2018 feststellte, dass trotz verschiedener Erkrankungen auf nephrologischen, urologischen und orthopädischen Fachgebiet, noch ein Leistungsvermögen von über sechs Stunden für körperlich leichte Tätigkeiten bestünde (Bescheid vom 8. Februar 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. September 2018). Die dagegen erhobene Klage hatte keinen Erfolg (Gerichtsbescheid des SG Braunschweig vom 16. September 2019 - S 13 R 432/18 -, Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 25. August 2020 - L 9 R 360/19 -). SG und LSG waren zu der Überzeugung gelangt, dass auch unter Berücksichtigung der im erstinstanzlichen Verfahren eingeholten Befundberichte die medizinischen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung nicht erfüllt seien. Die von der Klägerin selbst eingelegte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision durch das LSG wurde als unzulässig verworfen (Beschluss des BSG vom 10. November 2020 - B 5 R 258/20 B -).
Bereits am 24. November 2020 beantragte die Klägerin erneut die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Diesen Antrag lehnte die Beklagte ab. Einen gleichen Antrag habe die Klägerin bereits am 30. Oktober 2017 eingereicht, der mit bindendem Bescheid vom 10. November 2020 abgelehnt worden sei, weil die Voraussetzungen für die Rente nicht vorgelegen haben. Bei der Prüfung des erneuten Rentenantrages sei festzustellen, dass sich die tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse zwischenzeitlich nicht geändert hätten (Bescheid vom 23. Januar 2021).
Die Klägerin erhob am 5. Februar 2021 Widerspruch und führte aus, dass sich ihr gesundheitlicher Zustand verschlechtert habe. Sie befinde sich aktuell in psychologischer Behandlung. Die Beklagte setzte der Klägerin eine Frist zur (weiteren) Begründung des Widerspruchs und Vorlage von ärztlichen Attesten (Schreiben vom 12. Februar 2021). Die Klägerin führte aus, dass das ganze Ausmaß ihrer körperlichen und seelischen Erkrankungen nicht ausreichend gewürdigt worden sei und legte einen aktuellen Befundbericht ihrer Psychotherapeutin (Schreiben vom 25. Februar 2021) und im Verlauf weitere Atteste anderer Ärzte vor.
Die Beklagte wies den Widerspruch als unbegründet zurück (Widerspruchsbescheid vom 13. Juli 2021). Zur Begründung wurde ausgeführt:
„Nach § 18 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X - entscheidet die Behörde nach pflichtgemäßen Ermessen, ob und wann sie ein Verwaltungsverfahren durchführt. Die Erteilung eines neuen Sachbescheides ist dann nicht geboten, wenn in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen nach bindend gewordenen Abschluss eines vorausgegangenen Verfahrens eine Änderung nicht eingetreten ist. Zutreffend hat die Deutsche Rentenversicherung Nordbayern daher mit Verwaltungsakt vom 23.01.2021 (§ 31 SGB X) die Erteilung eines neuen Sachbescheides abgelehnt, weil die medizinischen und besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen weiterhin nicht erfüllt sind.“
Die Klägerin hat am 2. August 2021 Klage erhoben und verfolgt ihr Ziel, Bewilligung einer Erwerbsminderungsrente, weiter. Sie könne aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr arbeiten, was ihre Ärzte bestätigen können.
Sie beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 23. Januar 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Juli 2021 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Rente wegen Erwerbsminderung ab Antragstellung zu zahlen,
hilfsweise den Bescheid vom 23. Januar 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Juli 2021 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts über den Antrag der Klägerin vom 24. November 2020 neu zu entscheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verteidigt ihre getroffenen Entscheidungen.
Nachdem der Vorsitzende mit Verfügung vom 5. Oktober 2021 darauf hingewiesen hatte, dass Zweifel bestehen, ob die Beklagte angesichts der im Widerspruchsbescheid getätigten Ausführungen überhaupt eine materiell-rechtliche Entscheidung getroffen habe, die Grundlage einer gerichtlichen Überprüfung des Rentenbegehrens der Klägerin sein kann, führte die Beklagte mit Schreiben vom 12. November 2021 aus, dass die gewählte Entscheidung nicht zu beanstanden sei. In Ergänzung sei auf die analog anzuwendenden Regelungen des § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) hinzuweisen, wonach eine erneute Überprüfung des Sachverhalts ausscheide, wenn keine neuen Tatsachen oder Beweismittel vorgebracht worden seien. Eine ständige wiederholte Antragstellung könne kein Mittel sein, um die Behörde immer wieder zu erneuten Sachentscheidungen zu zwingen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte, die Akten des gerichtlichen Verfahrens S 13 R 432/18 sowie die von dem Beklagten als Verwaltungsvorgänge vorgelegten Unterlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat hinsichtlich des Hauptantrages keinen Erfolg (dazu 1.). Der Hilfsantrag ist dagegen erfolgreich (dazu 2.).
1. Der Hauptantrag ist bereits unzulässig.
a) Streitgegenstand des Hauptantrages ist der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 23. Januar 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Juli 2021. Ausgehend vom Ihrem Begehren – Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsminderung nach § 43 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) – wendet sich die Klägerin gegen diese Entscheidung im Ausgangspunkt zu Recht mit der statthaften kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 1. Alt., Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
b) Voraussetzung für die Zulässigkeit einer solchen Anfechtungs- und Leistungsklage ist aber, dass mit dem angefochtenen Verwaltungsakt (§ 31 Satz 1 SGB X) überhaupt über den im Klageverfahren geltend gemachten (Leistungs-)Anspruch entschieden wurde. Ist dies nicht der Fall, fehlt es bereits an der nach § 54 Abs. 1 Satz 2 SGG erforderlichen Klagebefugnis (BSG vom 21. September 2010 - B 2 U 25/09 R - juris Rn. 12, 17; BSG vom 25. März 2021 - B 1 KR 22/20 R - juris Rn. 9; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 54 Rn. 39b).
Ob über den geltend gemachten Anspruch im angefochtenen Verwaltungsakt entschieden wurde, ist im Wege der Auslegung zu ermitteln. Dabei ist Maßstab der Auslegung der „Empfängerhorizont" eines verständigen Beteiligten, der die Zusammenhänge berücksichtigt, welche die Behörde nach ihrem wirklichen Willen (§ 133 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB -) erkennbar in ihre Entscheidung einbezogen hat (stRspr., z.B. BSG vom 16. Juni 2021 - B 5 RE 5/20 R - juris Rn. 20 mwN.).
c) Nach den vorstehend erläuterten Maßgaben fehlt es in diesem Fall an der Klagebefugnis, weil die Beklagte im Bescheid vom 23. Januar 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Juli 2021 (§ 95 SGG) keine inhaltliche Entscheidung über den Antrag der Klägerin, ihr eine Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren, getroffen hat.
aa) Offen bleiben kann, ob dem angefochtenen Ausgangsbescheid vom 23. Januar 2021 für sich genommen noch im Wege der Auslegung eine inhaltliche Entscheidung über den Antrag der Klägerin entnommen werden kann. Ausgangs- und Widerspruchsbescheid bilden nämlich eine prozessuale Einheit. Der Widerspruchsbescheid gibt dem angefochtenen Verwaltungsakt seinen endgültigen Inhalt. Letzterer ist in dessen Gestalt (§ 95 SGG) angefochten (B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 95 Rn. 2).
bb) Bei Zugrundelegung des Inhalts des Widerspruchsbescheides hat die Beklagte aber keine Sachentscheidung über den Antrag der Klägerin, ihr eine Rente wegen Erwerbsminderung zu zahlen, getroffen, sondern bereits unter Berufung auf § 18 SGB X es überhaupt abgelehnt, sich mit dem Antrag in der Sache zu befassen bzw. ein Verwaltungsverfahren (§ 8 SGB X) über die Prüfung eines Rentenanspruchs zu eröffnen.
In der Begründung des Widerspruchsbescheides differenziert die Beklagte deutlich zwischen einer inhaltlichen Sachentscheidung und der Frage, ob diese Sachprüfung im Einzelfall überhaupt geboten ist. Insoweit postuliert sie bestimmte Voraussetzungen, bei denen die Behörde erst verpflichtet sei, einen Sachbescheid zu erteilen („Die Erteilung eines neuen Sachbescheides ist dann nicht geboten ...“). Im Übrigen führt sie unmissverständlich aus, dass die Voraussetzungen nicht vorliegen, wie im Verwaltungsakt vom 23. Januar 2021 entschieden worden sei („Zutreffend hat die Deutsche Rentenversicherung Nordbayern (...) die Erteilung eines neuen Sachbescheides abgelehnt ...“). Zwar wird zur Begründung anknüpfend an den Ausgangsbescheid auf das weiterhin fehlende Vorliegen der medizinischen und versicherungsrechtlichen und damit die materiellen Voraussetzungen des § 43 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) abgestellt. Dies ist aber nur die Folge der Subsumtion unter den eigenen zuvor selbst gebildeten Obersatz hinsichtlich der Voraussetzungen für die Eröffnung eines Verwaltungsverfahrens nach § 18 SGB X. Aufgrund dieser eindeutigen Formulierung sieht die Kammer trotz des Gebotes einer für den Versicherten möglichst rechtsschutzfreundlichen Auslegung keine Möglichkeit dem angefochtenen Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheides eine inhaltliche Prüfung des Anspruchs der Klägerin auf Erwerbsminderungsrente durch die Beklagte zu entnehmen. Dies gilt auch deshalb, weil die Beklagte im Klageverfahren selbst erklärt hat, dass diese Vorgehensweise gängige Praxis sei und sogar ergänzend Argumente benannt hat, die diese stützen sollen.
d) Mithin kann die Kammer nicht in der Sache darüber entscheiden, ob die Klägerin einen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung hat, wobei das Bestehen eines solchen Anspruchs äußerst zweifelhaft ist. Dies ergibt sich vor dem Hintergrund der detaillierten Erwägungen des SG und des LSG im vorherigen Verfahren zu den medizinischen Voraussetzungen bis August 2020 schon aus dem Umstand, dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen im Sinne des § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI nur von März bis Mai 2018 vorgelegen haben, wie der Klägerin durch den Vorsitzenden in der mündlichen Verhandlung ausführlich dargelegt wurde.
2. Der Hilfsantrag hat Erfolg.
a) Mit ihrem Hilfsantrag begehrt die Klägerin sinngemäß zum einen die Aufhebung des Bescheides vom 23. Januar 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Juli 2021, weil diese objektiv keine inhaltliche Entscheidung über den Leistungsantrag (Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung) getroffen habe (s.o. bei 1.b-c), gleichwohl die Beklagte sich aber darauf beruft, eine rechtlich bindende abschließende Entscheidung über den Rentenantrag der Klägerin getroffen zu haben (dazu b.). Damit verbunden (objektive Klagehäufung, § 56 SGG) ist der weitere Antrag, die Beklagte zu einer inhaltlichen Entscheidung über den Rentenantrag zu verpflichten (dazu c.).
b) Der Antrag, den Bescheid vom 23. Januar 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Juli 2021 aufzuheben, ist zulässig und begründet.
aa) Statthaft ist die Klage als reine Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 1 Alt. SGG). Ein Verwaltungsakt (§ 31 Satz 1 SGB X) als tauglicher Gegenstand der Anfechtungsklage liegt vor, da die Behörde unzweifelhaft diese Rechtsform zur „Entscheidung“ über den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 23. Januar 2021 und Widerspruchsbescheid vom 13. Juli 2021 gewählt hat, unabhängig davon, inwieweit eine Befugnis zum Erlass eines Verwaltungsaktes bestand. Ob sie dazu befugt war, ist eine Frage der Begründetheit der Klage (siehe zum Umgang mit sog. formellen Verwaltungsakten allgemein: Keller, aaO. Rn 8, Anh. nach § 54 Rn. 4 jeweils mwN.). Aus Sicht des Bescheidadressaten besteht ein rechtliches Interesse den Rechtsschein, den ein solcher Verwaltungsakt erzeugt, zu beseitigen. Denn auch ein solcher Verwaltungsakt kann bei Eintreten der Bestandskraft bindend werden (§ 77 SGG).
bb) Die Klägerin ist durch die angefochtene Entscheidung beschwert (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG), weil diese rechtswidrig ist.
(1) Soweit die Beklagte entschieden hat, dass aufgrund des Rentenantrages der Klägerin vom 24. November 2020 kein neues Verwaltungsverfahren zu eröffnen gewesen sei, weil die Voraussetzungen für die Einleitung eines solchen nicht vorliegen würden, war sie nicht befugt durch Verwaltungsakt zu entscheiden.
Die von der Beklagten hierfür herangezogene Regelung des § 18 Satz 1 SGB X über den Beginn des Verwaltungsverfahrens bietet keine solche Befugnis. Das Verwaltungsverfahren im Sinne des Sozialgesetzbuchs ist die nach außen wirkende Tätigkeit der Behörden, die auf die Prüfung der Voraussetzungen, die Vorbereitung und den Erlass eines Verwaltungsaktes oder auf den Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrages gerichtet ist; es schließt den Erlass des Verwaltungsaktes oder den Abschluss des öffentlich-rechtlichen Vertrages ein (§ 8 SGB X). Ob und wann die Behörde eine Verwaltungsverfahren durchführt, entscheidet sie nach pflichtgemäßen Ermessen (§ 18 Satz 1 SGB X). Dies gilt nicht, wenn die Behörde aufgrund von Rechtsvorschriften von Amts wegen oder auf Antrag tätig werden muss (§ 18 Satz 2 Nr. 1 SGB X), oder nur auf Antrag tätig werden darf und ein Antrag nicht vorliegt (§ 18 Satz 2 Nr. 2 SGB X).
Nach der gesetzgeberischen Konzeption ist das Verwaltungsverfahren in seinem Grundfall auf den Erlass eines Verwaltungsaktes gerichtet (siehe näher Roller in Schütze, SGB X, 9. Aufl. 2020, § 8 Rn. 7 ff.). Soweit nach § 18 SGB X die Behörde unter bestimmten Voraussetzungen berechtigt ist, von der Einleitung bzw. Durchführung eines Verwaltungsverfahrens abzusehen. ist dies wie die umgekehrte Entscheidung, ein solches Verfahren einzuleiten, nicht auf Grundlage eines Verwaltungsaktes möglich (vgl. Roller, aaO., § 18 Rn. 7). Das Bestehen einer solchen Befugnis ist schon denklogisch ausgeschlossen. Es ist nicht ersichtlich, wieso die Behörde über die Frage, ob sie ein auf den Erlass eines Verwaltungsaktes gerichtetes Verfahren einleitet, durch Verwaltungsakt entscheiden soll oder darf. Ist der Betroffene der Meinung, dass ein solches Verfahren zu führen bzw. durch Verwaltungsakt abzuschließen wäre, kann er sein Bescheidungsinteresse mit der Untätigkeitsklage (§ 88 SGG) gerichtlich geltend machen.
(2) Darüber hinaus liegen die Voraussetzungen für die Ablehnung der Einleitung eines Verwaltungsverfahrens nicht vor.
§ 18 Satz 1 SGB X ist im hiesigen Fall für die Frage, ob ein Verfahren einzuleiten ist, schon nicht die zutreffende Rechtsgrundlage. Vielmehr ist § 18 Satz 2 Nr. 1 SGB X einschlägig, weil die Beklagte im vorliegenden Fall ein Verwaltungsverfahren einleiten musste (in diesem Sinne etwa Hissnauer in jurisPK-SGB X, 2. Aufl. 2017, § 18 Rn. 19), nachdem die Klägerin einen Antrag auf Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsminderung gestellt hatte. Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung werden grundsätzlich auf Antrag erbracht (§ 19 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch - SGB IV -). Das Verfahren zur Prüfung des geltend gemachten Anspruchs (=Verwaltungsverfahren) beginn mit dem Antrag (§ 115 Abs. 1 Satz 1 SGB VI). Die Ablehnung eines Antrages wegen angeblich fehlendem Entscheidungsinteresse kennt das Verwaltungsrecht nicht (Zieglmeier in Kasseler Kommentar zum SGB IV, Stand der Bearbeitung September 2018, § 19 Rn. 10). Die Beklagte war mithin verpflichtet, ein Verwaltungsverfahren zu beginnen (siehe auch LSG Baden-Württemberg vom 18. Juni 2020 - L 9 R 1686/20 ER-B - juris).
Der Hinweis der Beklagten auf ggf. bestehende eingeschränkte Überprüfungsverpflichtungen bei (wiederholten) Anträgen nach § 44 SGB X führt zu keinem anderen Ergebnis. Unabhängig von den im Einzelnen weiterhin nicht geklärten Anforderungen in diesem Zusammenhang (zusammenfassend: Schütze in Schütze, SGB X, 9. Aufl. 2020, § 44 Rn. 40 ff. mwN.) betrifft diese Diskussion die Frage, ob und inwieweit (wiederholte) Anträge nach § 44 SGB X eine inhaltliche Prüfung des jeweils betroffenen materiellen Rechts durch die Behörde trotz Bestandskraft eines zu diesem Lebenssachverhalt bereits erlassenen Verwaltungsakt erfordern. Maßstab für diese Prüfung sind allein die Tatbestandsvoraussetzungen des § 44 SGB X (siehe beispielhaft die in diesem Zusammenhang häufig zitierte Entscheidung des BSG vom 13. Februar 2014 - B 4 AS 22/13 R -). Davon zu trennen ist allerdings die hier entscheidende Frage, ob die Behörde aufgrund des Antrages überhaupt ein Verwaltungsverfahren einleiten muss und einen dieses abschließenden (ablehnenden) Verwaltungsakt erlassen muss (wohl aA. ohne eine solche Differenzierung: Mutschler in Kasseler Kommentar zum SGB X, Stand der Bearbeitung Dezember 2018, § 18 Rn. 8). Dies ist nach den gesetzlichen Vorgaben der Fall (§ 18 Satz 2 Nr. 1 SGB X).
Ob im Einzelfall die Behörde berechtigt sein kann, bei wiederholten Anträgen auf Erlass eines Verwaltungsaktes im Sinne von „querulatorischen“ Anträgen von einem Tätigwerden abzusehen (hierzu Hissnauer, aaO. Rn. 14 a.E.; vgl. zur Frage der Unzulässigkeit einer entsprechenden Untätigkeitsklage bei missbräuchlicher Rechtsverfolgung: B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 13. Aufl. 2020, § 88 Rn. 4a), ist nicht entscheidungserheblich. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.
Es handelt sich um den zweiten Antrag der Klägerin auf Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsminderung, den diese jedenfalls im Widerspruchsverfahren sogar mit neuen (!) medizinischen Tatsachen begründet hat. Ob diese Argumente aus Rechtsgründen nicht zum Erfolg führen (s.o. bei 1.d), ist eine inhaltliche Frage, die von der Behörde zu bescheiden ist.
b) Die Untätigkeitsklage, gerichtet auf die Verpflichtung der Beklagten zu Erlass einer inhaltlichen Entscheidung über den Rentenantrag der Klägerin vom 24. November 2020 ist zulässig und begründet.
Soweit die Behörde über einen Antrag eines Betroffenen auf Erlass eines Verwaltungsaktes nicht entschieden hat, ist die Untätigkeitsklage mit dem Ziel der Verpflichtung der Behörde zu einer Entscheidung statthaft (§ 88 Abs. 1 SGG). Dies gilt auch dann, wenn die Behörde zwar eine Entscheidung in Form eines Verwaltungsaktes getroffen hat, diese sich aber mit dem geltend gemachten Anspruch inhaltlich nicht befasst (BSG vom 21. September 2010 - B 2 U 25/09 R - juris Rn. 12; Keller, aaO. § 54 Rn. 39b). So verhält es sich hier.
Die Beklagte hat – wie bereits dargelegt (s.o. bei 1.b-c) – mit dem Bescheid vom 23. Januar 2021 und Widerspruchsbescheid vom 13. Juli 2021 keine inhaltliche Entscheidung getroffen. Mithin ist zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, die der Beklagten zustehende Bearbeitungsfrist von sechs Monaten (§ 88 Abs. 1 Satz 1 SGG) nach Antragstellung abgelaufen.
Ein zureichender Grund im Sinne des § 88 Abs. 1 Satz 2 SGG für die Nichtbearbeitung besteht nicht. Die bisherige „Bescheidung“ des Antrages durch die angefochtenen Bescheide kann schon keinen solchen darstellen, weil diese und die diesen vorangegangene Bearbeitungsweise durch die Beklagte rechtswidrig war.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG. Obgleich die Klage nur teilweise Erfolg hatte, hat die Kammer in Ausübung des ihr zustehenden Ermessens es für geboten erachtet, die Beklagte aufgrund der von ihr gewählten rechtlich nicht zulässigen Verfahrensgestaltung mit der Pflicht zur vollständigen Tragung der Kosten zu belasten.