S 1 AS 98/21 ER

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Kassel (HES)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 1 AS 98/21 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 AS 585/21 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Der Antragsgegner wird verpflichtet, den Antragstellern für den Zeitraum vom 29.10.2021 bis zum 30.04.2022 unter Berücksichtigung der für diesen Zeitraum bereits erbrachten Leistungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung insgesamt 5/6 der tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung der Antragsteller vorläufig zu gewähren.

Im Übrigen wird der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abgelehnt.

Der Antragsgegner die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragsteller zu tragen.

Den Antragsstellern wird Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt F., B-Stadt, gewährt. Die Beiordnung erfolgt zu den Bedingungen eines im Bezirk des Prozessgerichts niedergelassenen Rechtsanwalts.
 

Gründe

I.

Die Antragsteller begehren im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Übernahme der Kosten der Unterkunft in tatsächlicher Höhe.

Die Antragstellerin zu 1. wohnt mit ihrem Ehemann, der im SGB XII-Bezug steht und einen Pflegegrad 2 hat, und den gemeinsamen Kindern, den Antragstellern 2.-5. in einem Haushalt. Der Antragsteller zu 5., geboren 2016, hat ebenfalls den Pflegegrad 2 und benötigt einen Rollstuhl. Die Bedarfsgemeinschaft steht im SGB II-Bezug bei dem Antragsgegner. Sie wohnten zunächst in einer Wohnung im 4. OG ohne Fahrstuhl, für die der Antragsgegner die Kosten der Unterkunft in voller Höhe übernommen hatte. Seit geraumer Zeit sucht die 6-köpfige Familie eine andere Wohnung, die auch den Bedürfnissen des Antragstellers zu 5. genügt. Im März 2021 teilten die Antragsteller ihren Umzugswunsch in die A-Straße dem Antragsgegner mit. Ursprünglich sollte die Miete inkl. Nebenkosten und Heizkosten 1400 € betragen. Mit Schreiben vom 16.04.2021 lehnte der Antragsgegner eine Zustimmung zum Umzug ab. Die Antragsteller zeigten daraufhin an, dass nach einem mit dem Vermieter ausgehandelten Nachlass die Miete inkl. Nebenkosten monatlich 1.265 € und die Heizkosten 85 € betragen sollten. Die Antragsteller zogen zum 01.07.2021 in die neue Wohnung. Mit Änderungsbescheid vom 16.06.2021 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 05.07.2021 bewilligte der Antragsgegner eine monatliche KdU von 842,30 € für den Zeitraum Juli 2021 bis April 2022 und Heizkosten in Höhe von 70,85 €. Er ging dabei von einem grundsätzlich notwendigen Umzug aus, der jedoch ohne Zustimmung erfolgt war. Aufgrund der Erkrankung des Antragstellers zu 5. und dem Ehemann berechnete er den Grenzwert der Mietkosten mit sieben statt mit sechs Personen, d.h. 1.010,73 €, davon 5/6: 842,30 €, und 85 € Heizkosten davon 5/6: 70,85 €.

Der Ehemann bzw. Vater der Antragsteller erhob gegen den Bescheid vom 16.06.2021 Widerspruch, der mit Widerspruchsbescheid vom 27.10.2021 zurückgewiesen wurde. Hiergegen haben die Antragsteller am 29.10.2021 Klage vor dem Sozialgericht Kassel erhoben (Az. S 1 AS 398/21) und gleichzeitig das Gericht um einstweiligen Rechtsschutz ersucht.

Die Antragsteller sind der Ansicht, bei der Berechnung des Grenzwertes sei aufgrund der Pflegestufe 2 des Ehemannes/Vaters von einem 8-Personenhaushalt auszugehen. Zudem sei die Regelung des § 67 Abs. 3 SGB II anzuwenden.

Die Antragsteller beantragen, 
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihnen vorläufig und unter dem Vorbehalt der Rückforderung bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über die Klage der Antragsteller gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 16.06.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.10.2021 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts die beantrage Leistung zu gewähren.

Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.

Der Antragsgegner ist der Ansicht, bereits der Anordnungsgrund sei nicht glaubhaft gemacht, da die Antragsteller im Sommer bereit gewesen seien, die Differenz zwischen den bewilligten KdU und den tatsächlichen Mietkosten selbst aufzubringen. Auch fehle es dreieinhalb Monate nach der Anmietung und Nichtbegründung des Widerspruchs an einem Rechtsschutzbedürfnis für ein Eilverfahren. § 67 Abs. 3 SGB II gelte zudem nur für Neuanträge.
 

II.

Der zulässige Antrag ist überwiegend begründet, da ein Anordnungsanspruch und -grund bis zum Ablauf des Bewilligungszeitraums glaubhaft gemacht sind. Im Übrigen wird der Antrag abgewiesen.

1. Der Eilantrag ist zulässig, insbesondere liegt noch kein bindender Verwaltungsakt vor, da gegen den Bewilligungsbescheid vom 16.06.2021 in der Fassung vom 01.07.2021 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 27.10.2021 zeitgleich mit dem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz Klage erhoben wurde. Das Rechtschutzbedürfnis ergibt sich nicht zu Letzt aus dem grundsichernden Charakter der Leistung.

2. Der Antrag ist überwiegend begründet.
a. Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist damit, dass der Antragsteller einen materiell-rechtlichen Leistungsanspruch in der Hauptsache hat (Anordnungsanspruch) und es ihm nicht zuzumuten ist, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten (Anordnungsgrund). Die tatsächlichen Voraussetzungen von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO). Könnten ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr beseitigt werden können, sind die Gerichte (nach Art. 19 Abs. 4 GG) verpflichtet, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch zu prüfen, sondern abschließend, wenn sie sich an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren wollen; ist eine abschließende Prüfung nicht möglich, ist eine Folgenabwägung durchzuführen (BVerfG(K), Beschluss vom 27. Juli 2016 - 1 BvR 1241/16 -, juris, Rn. 11).
Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund müssen glaubhaft gemacht sein (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO -). Eine Glaubhaftmachung liegt vor, wenn das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrundes überwiegend wahrscheinlich sind. Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. Je größer die Erfolgsaussichten in der Hauptsache sind, umso geringer sind die Anforderungen an den Anordnungsgrund und umgekehrt. Ist die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist (Hessisches LSG, Beschluss vom 5.2.2007 – L 9 AS 254/06 ER – juris Rn. 4). Ist die Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund. Auch dann kann aber nicht gänzlich auf einen Anordnungsgrund verzichtet werden (Hessisches LSG, Beschluss vom 5.2.2007 aaO).
b. Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe sind die Voraussetzungen für die einstweilige Anordnung überwiegend glaubhaft gemacht.

aa. Der Anordnungsanspruch besteht für den Zeitraum des Antragseingangs bei Gericht bis zum Ende des Bewilligungszeitraums Ende April 2022. Der Anspruch ergibt sich aus § 22 Abs. 1 S. 1 und 3 i.V.m. § 67 Abs. 3 SGB II
Nach § 22 Abs. 1 SGB II werden Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind (Satz 1). Erhöhen sich nach einem nicht erforderlichen Umzug die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, wird nur der bisherige Bedarf anerkannt (Satz 2). Soweit die Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, sind sie als Bedarf so lange anzuerkennen, wie es der oder dem alleinstehenden Leistungsberechtigten oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate (Satz 3). 
Nach § 67 SGB II (Vereinfachtes Verfahren für den Zugang zu sozialer Sicherung aus Anlass der COVID-19-Pandemie) in den Fassungen vom 10.03.2021 und 22.11.2021 (gültig ab 01.04.2021 und 24.11.2021) werden die Leistungen nach dem SGB II für die Bewilligungszeiträume, die in der Zeit vom 01.03.2020 bis 31.03.2022 beginnen, nach Maßgabe der Absätze 2 bis 4 der Vorschrift erbracht. Nach Absatz 3 der Vorschrift ist § 22 Abs. 1 SGB II mit der Maßgabe anzuwenden, dass die tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung für die Dauer von sechs Monaten als angemessen gelten. Nach Ablauf des Zeitraums nach Satz 1 ist § 22 Absatz 1 Satz 3 SGB II mit der Maßgabe anzuwenden, dass der Zeitraum nach Satz 1 nicht auf die in § 22 Absatz 1 Satz 3 SGB II genannte Frist anzurechnen ist. Satz 1 gilt nicht in den Fällen, in denen im vorangegangenen Bewilligungszeitraum die angemessenen und nicht die tatsächlichen Aufwendungen als Bedarf anerkannt wurden.

Die Antragsteller sind nach § 7 SGB II dem Grunde jedenfalls bis zum Ablauf des laufenden Bewilligungszeitraums nach leistungsberechtigt. Es stehen alleine die Kosten der Unterkunft und Heizung im Streit. 

Die Kosten der Unterkunft für die ab dem 01.07.2021 angemietete Wohnung in der A-Straße beträgt 1.265 € (inkl. Nebenkosten) und die Heizkosten 85 €. 

Die tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung gelten gemäß § 67 Abs. 3 S. 1 SGB II als angemessen. 

Die Vorschrift des § 67 Abs. 3 Satz 1 SGB II findet Anwendung, obwohl weder die Hilfebedürftigkeit der Antragsteller noch ihr Umzug direkt auf die Corona-Pandemie zurückzuführen sind. § 67 SGB II ist nicht auf diejenigen Leistungsbezieher beschränkt, die direkt von der Corona-Pandemie betroffen sind. Eine Ursächlichkeit zwischen dem Eintritt der Hilfebedürftigkeit und der epidemischen Lage ist nicht erforderlich. Der Anwendungsbereich des § 67 Abs. 3 Satz 1 SGB II ist auch nicht auf Erst- oder Neuanträge begrenzt, sondern erfasst auch die in der Zeit nach dem 01.03.2020 beginnenden Weiterbewilligungszeiträume. Dies ergibt sich bereits aus § 67 Abs. 3 S. 3 SGB II, der eine Sonderreglung nach bereits erfolgtem Kostensenkungsverfahren und damit für eine Fallkonstellation enthält, die nur bei einer Weiterbewilligung von SGB II-Leistungen auftreten kann. Bei § 67 Abs. 3 S. 1 SGB II handelt es sich um eine unwiderlegbare Fiktion. Dementsprechend wird diese Vorschrift in der Kommentarliteratur sogar bei sehr hohen Unterkunftskosten bzw. "Luxusmieten" für anwendbar gehalten (Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 28. Juli 2021 – L 16 AS 311/21 B ER –, juris Rn. 36 mit Verweis auf LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 29.09.2020, L 11 AS 508/20 B ER, juris Rn. 28 ff; Bayerisches LSG, Beschluss vom 21.04.2021, L 16 AS 129/21 B ER; Burkiczak: "Hartz IV" in Zeiten von Corona, NJW 2020, 1180, 1181).

Gegen die vorläufige Anerkennung der tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung der Antragsteller spricht auch nicht, dass sie erst zum Juli 2021 umgezogen sind. 

Eine Begrenzung der Bedarfe nach § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II findet nicht statt. Die gesetzliche Fiktionswirkung des § 67 Abs. 3 S. 1 SGB II gilt nach dem Wortlaut für § 22 Abs. 1 SGB II, ohne dass hinsichtlich der einzelnen Sätze des § 22 Abs. 1 SGB II unterschieden wird. Weder lässt sich dem Gesetzeswortlaut des § 67 Abs. 3 SGB II noch den Gesetzesmaterialien entnehmen, dass diese Sonderregelung nur für bereits seit längerem bewohnte Wohnungen gelten soll. Gesetzeszweck des § 67 Abs. 3 SGB II ist, dass sich SGB II-Leistungsbezieher in der Zeit der Pandemie "nicht auch noch um ihren Wohnraum sorgen müssen" (vgl. Gesetzesbegründung, BT-Drs 19/18107, S 25; zu dem Ganzen Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 28. Juli 2021 – L 16 AS 311/21 B ER –, juris Rn. 37 f.).

Der Übernahme der tatsächlichen Kosten steht auch nicht entgegen, dass der Antragsgegner die Zusicherung nach § 22 Abs. 4 SGB II ausdrücklich nicht erteilt hat. Es ergibt sich aus § 67 Abs. 3 S. 1 SGB II, dass für einen Zeitraum von sechs Monaten die tatsächlichen KdUH als angemessen iSd § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II anzusehen sind. Diese vorübergehend, nämlich für die ersten sechs Monate eines zwischen dem 01.03.2020 und 31.03.2022 beginnenden Bewilligungszeitraums als angemessen anzusehenden KdUH dürften im zeitlichen Anwendungsbereich des § 67 Abs. 3 SGB II auch der Entscheidung nach § 22 Abs. 4 SGB II zugrunde zu legen sein. Ansonsten würde im Rahmen des § 22 Abs. 4 SGB II der Wille des Gesetzgebers konterkariert, die Deckelung der KdUH auf die Angemessenheitsgrenze vorübergehend auszusetzen (Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 28. Juli 2021 – L 16 AS 311/21 B ER –, juris Rn. 39). Dies verwirklicht die Absicht des Gesetzgebers in Konstellationen, in denen die Hilfsbedürftigkeit innerhalb dieser sechs Monate wieder beendet wird. Bei fortbestehender Hilfsbedürftigkeit gilt gleichwohl, dass § 67 Abs. 3 SGB II den § 22 Abs. 4 SGB II nicht außer Kraft setzt mit all seinen Konsequenzen.

Es handelt sich hierbei auch um tatsächliche Aufwendungen für die Unterkunft, auf die § 67 Abs. 3 SGB II beschränkt ist (LSG Niedersachsen-Bremen v. 22.09.2020 - L 11 AS 415/20 B ER -juris Rn. 16 ff). 

Die Rückausnahme nach § 67 Abs. 2 S. 3 SGB II ist nicht einschlägig. Weder für die neue Wohnung wurde ein Kostensenkungsverfahren durchgeführt noch ist ein solches für die alte Wohnung erkennbar – dort wurden die tatsächlichen KdU in voller Höhe übernommen. 

Die auf die Antragsteller entfallenden tatsächlichen Kosten sind ab dem 29.10.2021 bis zum Ablauf des Bewilligungszeitraums am 30.04.2022 zu übernehmen. 

§ 67 Abs. 3 S. 1 SGB II stellt für die ersten sechs Monate eine Angemessenheitsfiktion dar, mithin Ende Dezember 2021. Hiervon sind die Leistungen ab dem 29.10.2021 zu übernehmen, da im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes Leistungen für die Vergangenheit, d.h. vor Antragseingang, grundsätzlich nicht geltend gemacht werden können (statt vieler Hess. LSG 22.06.2011, L 7 AS 700/10 B).

Über Dezember 2021 hinaus ergibt sich die Verpflichtung der Übernahme der tatsächlichen KdUH aus § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II, da ein erneuter Umzug oder eine Kostensenkung innerhalb des übrigen Bewilligungszeitraums den Antragstellern jedenfalls nicht zuzumuten ist. Gemäß § 67 Abs. 3 SGB II ist der Zeitraum nach § 67 Abs. 3 S. 1 SGB II nicht auf § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II anzurechnen. Nach Satz 3 sind die Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung soweit sie den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, als Bedarf so lange anzuerkennen, wie es der oder dem alleinstehenden Leistungsberechtigten oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate.
§ 22 Abs. 1 S. 2 SGB II greift nicht, da der Antragsgegner den Umzug selbst als grundsätzlich notwendig angesehen hat. Es liegt auf der Hand, dass es den Antragstellern nicht länger zuzumuten war, den Antragsteller zu 5. in den vierten Stock zu tragen, da dieser einen Rollstuhl braucht und ein Fahrstuhl nicht vorhanden war. Der Antragsteller zu 5. ist inzwischen fast 6 Jahre alt. Ein Umzug oder eine Kostensenkung ist den Antragstellern derzeit nicht zuzumuten. Aus den Akten geht hervor, dass die Antragsteller bereits seit längerem nach einer bedarfsgerechten Wohnung suchen und schon in der Vergangenheit ein Angebot vorgelegt hatten, das jedoch wegen Unangemessenheit abgelehnt wurde. Sie hatten sich auch Unterstützung bei der Wohnungssuche bei dem Verein H., Unterstütztes Wohnen, gesucht. Ein geeigneteres Mietangebot wurde gleichwohl nicht für die 6-köpfige Familie gefunden. Auch eine Internetrecherche des Gerichts (immowelt am 07.12.2021 Such nach min. 3,5 Zimmern in A-Stadt) hat keine Angebote ergeben, die hinsichtlich der KdUH angemessen und gleichzeitig behindertengerecht (Kriterium: Fahrstuhl oder Erdgeschosswohnung) erfüllt. Ein kurzfristiger Umzug in eine angemessene und bedarfsgerechte Wohnung erscheint dem Gericht vor diesem Hintergrund unrealistisch. Auch wurde mit dem Vermieter bereits ein Mietnachlass ausgehandelt.

Die Anspruchshöhe beschränkt sich auf 5/6 der tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung mithin insgesamt 1.125 € monatlich, da der Ehemann bzw. Vater der Antragsteller nicht nach dem SGB II leistungsberechtigt ist. 

bb. Es liegt auch ein Anordnungsgrund vor. Aus den vorgelegten Kontoauszügen ergibt sich, dass die Bedarfsgemeinschaft regelmäßig den Dispokredit des Kontos ausnutzt, obwohl sie laufende Leistungen erhält. Das Pflegegeld, das die Bedarfsgemeinschaft erhält, rechnet das Gericht nicht als Einkommen an, da es davon ausgeht, dass der Vater und der Antragsteller durch die übrigen Bedarfsgemeinschaftsmitglieder, die zum privilegierten Kreis des § 33 Abs. 2 EStG i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 4 Alg II-VO gehören, gepflegt werden. Ausgaben für einen Pflegedienst sind nicht zu erkennen und auch der Antragsgegner hat in seinen bisherigen Leistungsberechnungen das Pflegegeld nicht berücksichtigt. Das monatliche Einkommen der Bedarfsgemeinschaft abzüglich der tatsächliche Kosten für die angemietete Wohnung sowie den Bedarf des täglichen Lebens führt zu einer Unterdeckung, die dazu führt, dass die Antragsteller entweder auf die Gefahr einer Kündigung hin Mietschulden anhäufen oder die Deckung des Regelbedarfs deutlich einschränken müssten.
Auf einmalige Zuflüsse in der Vergangenheit kommt es bei der Bewertung nicht an, da diese offensichtlich aufgebraucht sind.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG. Die Antragsabweisung über den Bewilligungszeitraum hinaus bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache wird hierbei nicht berücksichtig, da dieser Zeitraum ungewiss ist.

IV. Die Beschwerde ist statthaft gemäß § 172 Abs. 1, 3 i.V.m §§ 143, 144 SGG, da die begehrten Leistungen den Wert von 750 € übersteigen.

V. Prozesskostenhilfe war gemäß § 73a Abs. 1 SGG i.Vm. §§ 114 ff.  ZPO zu bewilligen, da die Antragsteller nach den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung auch nicht ratenweise aufbringen können und dem Begehren eine hinreichende Erfolgsaussicht beizumessen war.

Rechtskraft
Aus
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