S 20 SF 163/19 E

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
SG Altenburg (FST)
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
20
1. Instanz
-
Aktenzeichen
S 20 SF 163/19 E
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

SOZIALGERICHT ALTENBURG

 

Bild entfernt.

 

BESCHLUSS

In dem Rechtsstreit

           …………….,

           …………….

           ……………,

           ……………

- Erinnerungsführer -

gegen

           ……………….,

           …………….

- Erinnerungsgegner -

hat die 20. Kammer des Sozialgerichts Altenburg durch ihre Vorsitzende, Richterin am Sozialgericht Ortloff-Victor, ohne mündliche Verhandlung am 23. November 2020 beschlossen:

Die Vergütungsfestsetzung der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle vom 08.11.2018 im Verfahren S 20 AS 473/16 wird aufgehoben und der Vergütungsantrag wird abgelehnt.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Die Beschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.

In Frage steht vorliegend die Rechtmäßigkeit der Vergütungsfestsetzung gegenüber den Erinnerungsgegnern (im Folgenden: EG) für deren Tätigwerden im Klageverfahren S 20 AS 473/16.

Der in 1973 geborene Kläger zu 1) und seine minderjährigen Kinder, die Kläger zu 2)-5) begehrten in diesem Klageverfahren höhere Leistungen nach dem SGB II für den Monat 7/2014 unter Berücksichtigung weiterer Fahrtkosten zur Wahrnehmung des Umgangsrechts. Gegen den am 25.01.2016 ergangenen Widerspruchsbescheid haben die Kläger über ihren damaligen Bevollmächtigten, Rechtsanwalt D S (Kanzleianschrift: H straße , …. N) unter dem 26.02.2016 Klage erhoben und gleichzeitig die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung von Rechtsanwalt S beantragt.

Mit Beschluss vom 01.06.2016 hat die 20. Kammer den Klägern ab 16.03.2016 PKH ohne Ratenzahlungsbestimmung bewilligt und antragsgemäß Rechtsanwalt S in N beigeordnet. Dieser hat Akteneinsicht genommen und am 06.10.2016 die Klage kurz begründet.

Mit einem Schreiben vom 20.12.2016 haben die EG Folgendes zum Verfahren mitgeteilt: „In dem Rechtsstreit T u. a. ./. Jobcenter A - S 20 AS 473/16, S 20 AS 474/16 zeigen wir an, dass wir den Kläger nunmehr anwaltlich vertreten“. In diesem Schreiben werden zwei Standorte der Kanzlei benannt, das Büro K mit vier Rechtsanwälten und das Büro N, wo neben Rechtsanwalt M C der „Büroleiter Assessor jur. D S“ aufgeführt ist. Auf Verfügung des damaligen Vorsitzenden sind die Stammdaten im Klageverfahren dahingehend geändert worden, dass als Bevollmächtigte der Kläger nun die EG mit Zusatz „Büroleiter D S“ geführt wurden. Am 22.12.2016 ist Klageerwiderung erfolgt.

Mit Schriftsätzen vom 14.03.2017 und 26.06.2017 haben zwei Rechtsanwälte der EG zum Verfahren vorgetragen. Zu der mündlichen Verhandlung am 28.07.2017 ist Rechtsanwältin Sch mit dem Kläger zu 1) erschienen. Im Ergebnis hat diese die umfängliche Klagerücknahme erklärt.

Am 09.04.2018 hat Rechtsanwältin Sch für die EG die Festsetzung der Gebühren im Rahmen der PKH beantragt. Als „Leistungszeit“ wird „19.12.2016 bis 09.04.2018“ genannt. Beantragt wurden eine Verfahrensgebühr einschließlich Erhöhung nach Nr. 1008 VV RVG i. H. v. 660,00 Euro, Terminsgebühr von 200,00 Euro sowie Geschäftsreise-Gebühr und Abwesenheitsgeld, insgesamt ein Betrag von 1.060,68 Euro.

Am 08.11.2018 hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle die geltend gemachte Vergütung für „Sachlich und rechnerisch richtig“ befunden und einen Betrag von 1.060,68 Euro auf das Geschäftskonto der EG angewiesen.

Auf Anforderung der Bezirksrevisorin vom 26.03.2019 wurde dieser die Akte am 13.06.2019 übersandt.

Am 17.07.2019 hat die Bezirksrevisorin im Namen der Staatskasse (im Folgenden: EF) Erinnerung gegen die antragsgemäße Zahlung der Vergütung vom 08.11.2018 an die EG eingelegt. Die Vergütungsfestsetzung werde dem Grunde nach beanstandet, da die EG den Klägern nicht im Rahmen der bewilligten PKH beigeordnet worden seien. Eine Abtretung des Vergütungsanspruchs sei auch nicht ersichtlich. Die EG hätten keinen Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse, die überzahlte Vergütung sei zu erstatten.

Über das Vermögen des Rechtsanwalts D S habe das AG Chemnitz mit Beschluss vom 05.10.2016 (Az.: 14 IN 793/16) das Insolvenzverfahren eröffnet, was in der Regel den Widerruf der Anwaltszulassung zur Folge habe. Im Briefkopf der Kanzlei sei Herr S auch nur noch als Ass. jur geführt worden. Der Verlust der Anwaltszulassung habe zur Folge, dass der beigeordnete Rechtsanwalt nicht mehr zur anwaltlichen Vertretung der Kläger befugt sei. Ein Beiordnungswechsel werde erforderlich, sei hier jedoch erkennbar nicht erfolgt.

Die nunmehr vorgelegte Abtretung der Vergütungsansprüche vom 06.09.2019 sei unwirksam, da die Verfügungsbefugnis hierüber dem Insolvenzschuldner Herrn S entzogen sei. Zudem sei die Abtretung nach § 49b Abs. 4 BRAO nicht möglich gewesen. Auch von einer Abwicklerbestellung sei vorliegend nicht auszugehen. Allein der Insolvenzverwalter des ehemalig beigeordneten Herrn S sei unter Vorlage eines Vergütungsfestsetzungsantrags anspruchsberechtigt gewesen.

Der EF beantragt,

die Vergütungsfestsetzung vom 08.11.2018 aufzuheben und den Vergütungsantrag zurückzuweisen.

Die EG beantragen sinngemäß,

            die Erinnerung zurückzuweisen.

Sie haben eine Abtretungserklärung vom 06.09.2019 übersandt, wonach „Herr S seine Ansprüche gegenüber der Landeshauptkasse auf Erstattung von PKH aus dem Rechtsstreit vor dem Sozialgericht Altenburg A T ./. JC A, Az. S 20 AS 473/16 gemäß Beschluss des SG Altenburg vom 03.06.2016 an die Rechtsanwälte H, S & C abtrete“. Frau Rechtsanwältin Sch nahm die Abtretung für die EG an. 

Diese führt im Erinnerungsverfahren zudem aus, dass Herr S aufgrund des Insolvenzverfahrens ab dem Jahr 2016 in ihrer Kanzlei als Mitarbeiter angestellt gewesen sei. Aus der 2016 geführten Bezeichnung sei ersichtlich, dass die Anwaltszulassung widerrufen wurde. Die laufenden Mandate seien von der Kanzlei ab dem Jahr 2016 vollständig übernommen und entsprechend der Rechtsgebiete auf die jeweiligen Sachbearbeiter aufgeteilt worden. Bereits mit Schriftsatz vom 20.12.2016 sei gegenüber dem Sozialgericht die Übernahme der Prozessvertretung erklärt worden. Aus dem Briefkopf sei der Fortbestand des Büros in N ersichtlich gewesen. Eine anwaltliche Vertretung durch Herrn S sei seit Ende 2016 nicht mehr erfolgt.

Das Gericht habe auf einen Beiordnungswechsel nicht hingewiesen. Ohnehin sei fraglich, ob ein solcher überhaupt erforderlich gewesen sei, wenn man davon ausgehe, dass die Beiordnung auf die Kanzlei der EG übergegangen sei. Die Vertretungsanzeige habe konkludent den grundsätzlich formlosen Antrag auf Übernahme der Beiordnung enthalten. Es sei davon auszugehen, dass der der PKH-Auszahlung zugrundeliegende Vergütungsfestsetzungsbeschluss die Kanzlei der EG als Anspruchsinhaber ausweise.

Die Urkundsbeamtin hat der Erinnerung mit Verfügung vom 06.08.2019 nicht abgeholfen.

II.

Die gemäß § 56 Abs. 1 S. 1 RVG zulässige Erinnerung ist begründet. Die Vergütungsfestsetzung ist rechtswidrig erfolgt und war daher aufzuheben. Den EG steht unter keinem Gesichtspunkt ein Anspruch auf Vergütung aus der Staatskasse für ihre anwaltlichen Tätigkeiten im Verfahren S 20 AS 473/16 zu.

Gegenstand der Erinnerung ist der Vergütungsfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin vom 08.11.2018, welcher in der Bescheinigung der sachlichen und rechnerischen Richtigkeit mit Unterschrift der Urkundsbeamtin auf dem Vergütungsantrag in Verbindung mit der Auszahlungsanordnung zu sehen ist (vgl. Thüringer LSG, Beschluss v. 29.01.2019 – L 1 SF 1082/18 B, Rn. 6).

1. Die Erinnerung des EF ist insbesondere nicht deshalb unzulässig, weil sie verfristet oder verwirkt wäre.

Die Erinnerung ist nach der gesetzgeberischen Wertung des § 56 Abs. 2 S. 1 RVG, der für die Erinnerung gerade nicht auf die Fristbestimmung des § 33 Abs. 3 RVG verweist, unbefristet. Nach den Gesetzesmotiven zur Änderung des § 56 RVG im Jahr 2005 soll durch die Gesetzesänderung klargestellt werden, dass die Erinnerung gegen die Festsetzung der Vergütung gerade nicht befristet ist (vgl. BT-Drucks. 15/4952, Seite 51).

Auch auf eine Verwirkung können sich die EG hier nicht berufen. Sie setzt als Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung wegen widersprüchlichen Verhaltens (vgl. Grüneberg in Palandt, BGB, 75. Auflage 2016, § 242 Rn. 87) voraus, dass der Berechtigte die Ausübung seines Rechts während eines längeren Zeitraums unterlassen hat und weitere besondere Umstände hinzutreten, die nach den Besonderheiten des Einzelfalls und des in Betracht kommenden Rechtsgebietes die verspätete Geltendmachung des Rechts dem Verpflichteten gegenüber nach Treu und Glauben als illoyal erscheinen lassen. Solche, die Verwirkung auslösenden „besonderen Umstände" liegen vor, wenn der Verpflichtete in Folge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten (Verwirkungsverhalten) darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage) und der Verpflichtete tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt wird (Vertrauenstatbestand), und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat (Vertrauensverhalten), dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (vgl. m. w. N.: Thüringer LSG, Beschluss v. 23.07.2018 – L 1 SF 497/16 B, Rn. 17ff; Beschluss v. 08.10.2018 – L 1 SF 1394/17 B, Rn. 19ff).  

Vorliegend kann schon das Zeitmoment nicht bejaht werden, da der EF bereits acht Monate nach der Festsetzung Erinnerung erhoben hat. Zudem hat der EF den EG gegenüber zu keinem Zeitpunkt erkennen lassen, dass er die Vergütungsfestsetzung vom 08.11.2018 für korrekt hält.

Die EG verkennen insoweit möglicherweise, dass die Bezirksrevisorin als Vertreterin der Staatskasse am Kostenfestsetzungsverfahren nicht beteiligt ist. Sie hat vielmehr die Verfahrensakte erst nach eigener Anforderung am 13.06.2019 übersandt bekommen und damit Kenntnis von der Vergütungsfestsetzung erhalten. Der nächste Schriftsatz in der Angelegenheit datiert sodann vom 17.07.2017, womit direkt Erinnerung nach § 56 RVG eingelegt wurde. Daher sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass sich die EG aufgrund des Verhaltens des EF darauf einrichten konnten, dass dieser sein Erinnerungsrecht nicht geltend machen werde (vgl. Thüringer LSG, Beschluss v. 24.07.2019 – L 1 SF 389/18 B, Rn. 4ff).

Davon abgesehen erscheint es bereits fraglich, ob die EG bei einer Konstellation wie der vorliegenden, in der nicht die Kanzlei selbst, sondern ein zwischenzeitlich insolventer Rechtsanwalt beigeordnet worden war, überhaupt darauf vertrauen durfte, dass die von ihnen geforderte Vergütung seitens der Landeskasse nicht beanstandet werde. Sie selbst hatten im Kostenfestsetzungsantrag keinen Hinweis auf die aktuelle, konkrete Position des Herrn S in der Kanzlei bzw. die Gesamtzusammenhänge gegeben. Auch im Schreiben vom 20.12.2016 war weder von einer Insolvenzeröffnung noch von einem Widerruf der Zulassung des Herrn S die Rede. Ausweislich der „Informationen der Rechtsanwaltskammer Sachsen, Ausgabe 03/2016 vom 01.12.2016 war zu diesem Zeitpunkt Herr S bereits als Rechtsanwalt gelöscht (einsehbar unter: https://www.rak-sachsen.de/documents/2016/12/kammeraktuell-032016.pdf/). Schließlich haben die EG anwaltliche Leistungen auch nur für den Zeitraum 19.12.2016-09.04.2018, also die eigene Befassung abgerechnet. Dies ist angesichts ihrer jetzigen Argumentation, dass eine Änderung der Beiordnung nicht notwendig gewesen sei, zumindest widersprüchlich. Soweit die EG also auf das Rechtsinstitut von Treu und Glauben nach § 242 BGB im Verhältnis Freistaat zu Anwalt explizit hinweisen, wäre daraus eher eine umfängliche Mitteilungspflicht über die kanzleiinternen Verhältnisse herzuleiten als eine Hinweispflicht des Gerichts. Bei entsprechender Unsicherheit und konkreter Anfrage der EG wäre ein entsprechender Hinweis des Gerichts auf die notwendige Änderung der Beiordnung mit Sicherheit erfolgt. Abgesehen davon hatte die Urkundsbeamtin im Parallelverfahren S 20 AS 909/14, in der die Konstellation dieselbe war, bereits auf Bedenken hinsichtlich der Beiordnung hingewiesen (Schreiben vom 13. und 18.04.2018). Hierauf haben die EG nur im Verfahren S 20 AS 909/14 mit einem Antrag vom 27.04.2018 auf Beiordnung der Rechtsanwältin Sch reagiert, der jedoch nie beschieden wurde. Am 01.06.2018 haben die EG lediglich nochmals auf die offenen Kostenerstattungsanträge hingewiesen. In der Gesamtschau der Ereignisse muss ihnen durchaus bewusst gewesen sein, dass die Sach- und Rechtslage hinsichtlich der Vergütungsfestsetzung nicht unproblematisch ist.

Auch der Hinweis der EG auf § 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO verfängt nicht, da der Ausschluss der Geltendmachung von Vergütungsansprüchen gegen die vertretenen Personen gerade nur für „beigeordnete Rechtsanwälte“ besteht, soweit und solange PKH bewilligt ist. Gerade dies trifft auf die EG jedoch nicht zu (siehe hierzu unter 2.).

Insgesamt ist daher weder die Erinnerung verwirkt noch eine Aufhebung der Vergütungsfestsetzung aufgrund von Vertrauensschutzgesichtspunkten ausgeschlossen.

2. Die Vergütungsfestsetzung vom 08.11.2018 ist rechtswidrig erfolgt, da den EG kein Vergütungsanspruch zusteht.

Der Vergütungsanspruch des beigeordneten Rechtsanwalts ergibt sich aus § 45 Abs. 1 RVG. Danach erhält der im Wege der PKH beigeordnete Rechtsanwalt in Verfahren vor Gerichten eines Landes die gesetzliche Vergütung aus der Landeskasse. Die Höhe der Gebühren regelt § 49 RVG.

a) Die EG waren den Klägern im vorliegenden Klageverfahren nicht beigeordnet i. S. d. § 73a SGG i. V. m. § 121 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 48 Abs. 1 Nr. 1 BRAO. Gemäß § 121 ZPO wird, sofern eine Vertretung durch Anwälte nicht vorgeschrieben ist, der Partei auf ihren Antrag ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt ihrer Wahl beigeordnet, wenn die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint oder der Gegner durch einen Rechtsanwalt vertreten ist. Es muss sich dabei um einen zugelassenen Rechtsanwalt handeln. Die Beiordnung eines Prozessbevollmächtigten, der nicht als Rechtsanwalt zugelassen ist, kommt nicht in Betracht (Wache in MüKo, ZPO, 6. Aufl. 2020, § 121  Rn. 13).

§ 121 ist verfassungskonform dahin auszulegen, dass nicht nur eine natürliche Person beigeordnet werden kann, sondern auch eine Rechtsanwaltsgesellschaft i. S. v. § 59l BRAO, Partnerschaftsgesellschaft i. S. v. § 7 Abs. 4 PartGG, oder in Gesellschaft bürgerlichen Rechts betriebene Anwaltssozietät (vgl. z. B. Reichling in: BeckOK ZPO, 38. Ed. 01.09.2020, § 121  Rn. 5).

Vorliegend ist im PKH-Bewilligungsbeschluss vom 01.06.2016 auf ausdrücklichen Antrag ausschließlich Rechtsanwalt S als Einzelanwalt beigeordnet worden. Dieser Beschluss ist wirksam und wurde auch in der Folgezeit nicht nach § 124 ZPO aufgehoben. Für das Kostenverfahren ist er daher bindend. Demgegenüber ist eine Beiordnung weder von Rechtsanwältin Sch noch von der Kanzlei der EG jemals ausdrücklich erfolgt. Insofern kann dahinstehen, ob die Anwälte der Kanzlei überhaupt in einer Gesellschaftsform organisiert sind, die eine Beiordnung zulassen würden.

Nach § 48 RVG bestimmt sich der Vergütungsanspruch des Rechtsanwalts nach den Beschlüssen, durch die die Prozesskostenhilfe bewilligt und der Rechtsanwalt beigeordnet oder bestellt worden ist. Der Urkundsbeamte und die im Festsetzungsverfahren zur Entscheidung berufenen Gerichte sind an die Bewilligung der PKH und die Beiordnung gebunden. Sie dürfen diese nicht auf ihre Richtigkeit überprüfen. Sie haben sie vielmehr ungeprüft zur Grundlage der Festsetzung zu machen. Für eine etwaige Zurechnung der anwaltlichen Tätigkeit eines Anwalts auf einen anderen fehlt es an einer Rechtsgrundlage (vgl. Thüringer LSG, Beschluss vom 18.04.2019 – L 1 SF 753/18 B, Rn. 11; vgl. auch Toussaint in Hartmann/ders., Kostenrecht, 50. Aufl. 2020, § 48 RVG Rn. 5, 16).

Die Beiordnung des Herrn S ist auch nicht in irgendeiner Form auf die EG „übergegangen“. Auch wenn Herr S durch Widerruf seiner Zulassung nicht mehr berechtigt war, die Kläger weiter zu vertreten (vgl. zur Rückgabe der Zulassung: Thüringer LSG, Beschluss v. 18.04.2019 – L 1 SF 753/18 B, Rn. 11), so bedeutet dies nicht, dass die an seine Person gebundene Verfahrensstellung automatisch auf den ihn dann beschäftigenden Arbeitgeber übergeht.

Mit der Beiordnung wird zwischen dem Hoheitsträger, der die Beiordnung vorgenommen hat, und dem beigeordneten Rechtsanwalt ein öffentlich-rechtliches Schuldverhältnis begründet. Die Landeskasse tritt als Vergütungsschuldner an die Stelle der bedürftigen vertretenen Partei (vgl. OLG Braunschweig, Beschluss v. 07.08.2017 – 2 W 92/17, Rn. 23). Sowohl die Beiordnung selbst als auch deren Aufhebung hat in einem förmlichen Verfahren zu erfolgen und ist an gesetzliche Voraussetzungen gebunden. Gemäß § 48 Abs. 2 BRAO kann der Rechtsanwalt in allen Fällen der Beiordnung nach Abs. 1 beantragen, diese aufzuheben, wenn dafür wichtige Gründe vorliegen. Die Beiordnung kann nicht einfach durch Kündigung des Mandats beendet werden. Vielmehr muss der Anwalt die Aufhebung der Beiordnung beantragen (Abs. 2). Hierfür bedarf es eines wichtigen Grundes, an dessen Vorliegen strenge Anforderungen zu stellen sind. Der Anwalt muss in jedem Fall den Aufhebungsantrag unter Darlegung von Gründen beim Prozessgericht stellen und die Entscheidung abwarten. Unabhängig davon kann die PKH und damit auch die Beiordnung aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen des § 124 ZPO vorliegen. Wichtige Gründe i. S. d. § 48 Abs. 2 BRAO sind immer auch das Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 45–47, schwere Krankheit des Anwalts und unbehebbare Störung des Vertrauensverhältnisses (vgl. Weyland/Nöker, BRAO, 10. Aufl. 2020, § 48  Rn. 19ff). Ohne Aufhebung der Beiordnung endet diese erst mit Abschluss der jeweiligen Instanz (vgl. Poller/Härtl/Köpf, Gesamtes Kostenhilferecht, BRAO, § 48  Rn. 15).

Die Beiordnung eines weiteren Anwalts ist zwar möglich, aber nur, wenn die Beiordnung des bisherigen Anwalts aufgehoben wurde. Ein Anspruch auf Beiordnung eines neuen Anwalts besteht nur dann, wenn entweder der Staatskasse dadurch keine höheren Ausgaben entstehen oder der zunächst beigeordnete Anwalt die Partei ohne deren Zutun aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht mehr vertreten kann oder er der Partei Veranlassung gegeben hat, das Mandatsverhältnis aus einem Grund zu beenden, der auch eine vermögende Partei veranlasst hätte, sich von dem Wahlanwalt zu trennen (vgl. Weyland/Nöker, a. a. O. Rn. 21).

Vorliegend wurde weder jemals die Aufhebung der Beiordnung des Herrn S beantragt, diese somit auch nie aufgehoben, noch wurde Antrag auf Beiordnung eines neuen Anwalts gestellt. Bei Kenntnis des Widerrufs der Anwaltszulassung nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO (Vermögensverfall) wäre das Gericht einem Antrag auf Aufhebung der Beiordnung in jedem Fall nachgekommen. Auch wäre – vorbehaltlich einer eingehenden Prüfung und ggf. mit Einschränkungen - sicherlich die neue Beiordnung etwa von Rechtsanwältin Sch in Betracht gekommen. Dies ist jedoch nie erfolgt.

Somit trägt auch die Argumentation der EG dahingehend nicht, dass in der Vertretungsanzeige konkludent der formlose Antrag auf Übernahme der Beiordnung zu sehen sei.

Zwar kommt grundsätzlich in Betracht, dass ein Antrag auf PKH-Bewilligung konkludent gestellt wird, etwa wenn sich aus dem sonstigen Vorbringen der Partei im PKH-Verfahren ergibt, dass sie nicht in der Lage ist, den Rechtsstreit ohne rechtskundige Beratung und Vertretung allein zu führen. Sofern ein Anwalt Bewilligung von PKH für einen Mandanten beantragt, so kann dies auch als Antrag der Partei auf Beiordnung dieses Rechtsanwalts für den Fall der Gewährung von PKH ausgelegt werden (vgl. Wache in MüKo, ZPO, 6. Aufl. 2020, § 121 Rn. 37). Derartige Umstände waren hier aber nicht gegeben.

Zum einen finden sich im Schreiben vom 20.12.2016 keinerlei Anknüpfungspunkte für eine gewünschte Änderung der Beiordnung. Ausdrücklich wurde eben nur die anwaltliche Vertretung angezeigt und keinerlei Bezug auf die PKH-Gewährung bzw. den Umgang mit den bereits verdienten Gebühren des bisherigen Anwalts genommen.

Zum anderen hätte es für die Änderung der Beiordnung nicht nur der Beantragung, sondern auch eines gerichtlichen Beschlusses bedurft. Insofern erscheint es wiederum widersprüchlich, wenn die EG im Erinnerungsverfahren mit einem konkludenten Antrag auf Beiordnungswechsel argumentieren, im Klageverfahren jedoch nie auf eine gerichtliche Entscheidung hierzu gedrungen hatten. Sie sind vielmehr ohne eindeutige Klärung der PKH-Bewilligung für die Kläger in der Sache tätig geworden. Dieses Versäumnis müssen sich die EG selbst zurechnen lassen. Allein durch Verweis auf einen unterbliebenen – im Übrigen nicht veranlassten – Hinweis des Gerichts kann eine wirksame Beiordnung bzw. ein Vergütungsanspruch nicht hergeleitet werden.

b) Die EG können einen Anspruch auf Vergütung nach § 45 RVG auch nicht aus abgetretenem Recht herleiten. Die vorgelegte Abtretungserklärung vom 06.09.2019 ist zum einen gemäß § 81 Abs. 1 InsO unwirksam, zum anderen geht sie bereits deshalb ins Leere, weil die EG mit dem Vergütungsfestsetzungsantrag vom 09.04.2018 gerade nicht die Ansprüche des Herrn S, sondern eigene Ansprüche für ihr Tätigwerden ab Übernahme des Mandats („Leistungszeit: 19.12.2016 bis 09.04.2018“) abgerechnet haben.

Die EG tragen selbst vor, eine anwaltliche Vertretung der Kläger sei durch Herrn S ab Ende 2016 nicht mehr erfolgt. Die im Antrag vom 09.04.2018 geltend gemachten Gebühren – Verfahrensgebühr, Terminsgebühr etc. – sind durch die Tätigkeiten der EG angefallen, wobei die Verfahrensgebühr insofern erneut angefallen ist, als diese bereits durch das Tätigwerden von Herrn S bis Oktober 2016 entstanden war. Die Pauschgebühren entstehen nach der Systematik des RVG durch jede weitere Erfüllung des Gebührentatbestandes erneut, wobei der Anwalt nach § 15 Abs. 2 RVG die Vergütung im gerichtlichen Verfahren in jedem Rechtszug nur einmal fordern kann (vgl. z. B. Thüringer LSG, Beschluss v. 19.11.2019 – L 1 SF 1122/18 B, Rn. 21).

Sofern es die bei Herrn S durch seine anwaltliche Tätigkeit bis Oktober 2016 entstandenen Vergütungsansprüche betrifft, handelt es sich um sogenannte Masseansprüche. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist mit Beschluss vom 05.10.2016 erfolgt. Bereits zuvor sind zumindest die Verfahrens-, Erhöhungsgebühr und Auslagenpauschale im Rahmen der noch wirksamen Prozessvertretung durch den beigeordneten Herrn S angefallen. Der Anspruch des Herrn S auf deren Erstattung aus der Staatskasse bleibt auch nach Wegfall der Zulassung unberührt (zum Fall der Aufhebung der Beiordnung: Wache in MüKo ZPO, § 121 Rn. 26).

Gemäß § 35 Abs. 1 InsO erfasst das Insolvenzverfahren das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt (Insolvenzmasse). Zur Insolvenzmasse gehören auch Forderungsrechte des Schuldners, soweit sie pfändbar sind (Ries in: Kayser/Thole, Heidelberger Kommentar zur InsO, 10. Aufl. 2020, § 35 Rn. 19).

Gemäß § 80 Abs. 1 InsO geht durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter über. Als Verfügungen in diesem Sinne fallen hierunter neben der Übereignung beweglicher und unbeweglicher Sachen auch die Forderungsabtretung, der Forderungserlass, die Übertragung von Lizenzen sowie immateriellen Rechten, die Bestellung von Pfandrechten und Dienstbarkeiten sowie der Verzicht hierauf und auch die Gestaltungsrecht (Kayser in: Kayser/Thole, a. a. O., § 81 Rn. 5). Nach § 81 Abs. 1 InsO ist eine Verfügung unwirksam, die der Schuldner nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über einen Gegenstand der Insolvenzmasse getätigt hat. Insoweit handelt es sich um eine absolute Unwirksamkeit, d. h. sie gilt nicht nur den Insolvenzgläubigern gegenüber (vgl. Kayser, a. a. O. Rn. 26).

Zusammenfassend bedeutet dies, dass Herr S eigene Ansprüche nach § 45 RVG am 06.09.2019 nicht wirksam an die EG abtreten konnte. Die in die Insolvenzmasse fallenden Vergütungsansprüche hätten durch den Insolvenzverwalter zur Festsetzung beantragt werden können. Dies ist jedoch nicht erfolgt und ist auch nicht Gegenstand des vorliegenden Erinnerungsverfahrens, an dem lediglich die EG als Antragsteller beteiligt sind.

Auch eine Abtretung gemäß § 49b Abs. 4 BRAO war nicht möglich, da Herr S am 06.09.2019 kein zugelassener Rechtsanwalt mehr war (vgl. Weyland/Brüggemann, 10. Aufl. 2020, BRAO § 49b Rn. 30).

c) Schließlich sind die EG auch nicht aus einer Position als Abwickler heraus berechtigt, Kostenforderungen des früheren Rechtsanwalts S im eigenen Namen und für Rechnung des früheren Rechtsanwalts geltend zu machen.

Gemäß § 55 Abs. 5 BRAO kann für die Kanzlei eines früheren Rechtsanwalts, dessen Zulassung zur Rechtsanwaltschaft gemäß § 13 BRAO erloschen oder nach § 14 BRAO widerrufen worden ist, durch die Rechtsanwaltskammer ein Abwickler bestellt werden (vgl. Dahns in: Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 3. Aufl. 2020, § 55 BRAO, Rn. 4). § 55 Abs. 2 BRAO beschreibt die grundlegenden Aufgaben des Abwicklers. Es ist seine Verpflichtung, die Kanzlei ordnungsgemäß und zweckentsprechend abzuwickeln. Dabei tritt er bezüglich der anwaltlichen Rechte und Pflichten innerhalb der bestehenden Mandate an die Stelle des ausgeschiedenen Rechtsanwalts. Er übernimmt dessen anwaltliche Pflichten, Aufgaben und Befugnisse gegenüber dem Mandanten und den Gerichten, bei denen dieser Verfahren führt (vgl. Dahns, a. a. O., Rn. 23). Der Abwickler kann somit wirksam alle Prozesshandlungen in dem Verfahren wahrnehmen, in das er für den ausgeschiedenen Rechtsanwalt eintritt. Dabei hat er immer zu verdeutlichen, dass er als Abwickler und nicht als Inhaber seiner eigenen Kanzlei handelt. Dies geschieht regelmäßig durch den Zusatz „als Abwickler“ in seinen Schreiben und Schriftsätzen. Eine einmalige Anzeige gegenüber dem Gericht ist aber auch ausreichend, um klarzustellen, dass der Abwickler nicht als originärer Mandatsträger, sondern eben als Abwickler künftig im Verfahren tätig ist. Eine Änderung dieser Tatsache hat er dem Gericht und Prozessbeteiligten bekannt zu geben (Dahns, a. a. O., Rn. 27).

Vorliegend ist weder solch eine Anzeige erfolgt, noch in sonstiger Weise eine Abwicklerbestellung ersichtlich.

Insgesamt ist somit festzustellen, dass die Vergütungsfestsetzung vom 08.11.2018 zu Unrecht erfolgt ist. Sie war daher aufzuheben (vgl. Thüringer LSG, Beschluss v. 12.05.2015  – L 6 SF 115/15 B; Beschluss v. 05.07.2019 – L 1 SF 230/18 B, Rn. 7). Da ein Vergütungsanspruch der EG gegen die Staatskasse nicht in Betracht kommt, war der Antrag auf Festsetzung auch in der Sache abzulehnen.

Die EG haben die ausgezahlte Vergütung insgesamt zu erstatten. Auf Entreicherung können sie sich nicht berufen, weil auf den öffentlich-rechtlichen Rückzahlungsanspruch der Staatskasse § 818 Abs. 3 BGB nicht anwendbar ist (vgl. Thüringer LSG, Beschluss v. 12.03.2019 – L 1 SF 243/17 B, Rn. 22).

Die Erinnerung ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 S. 2 und S. 3 RVG).

Die Beschwerde war, über die von Gesetzes wegen bestehende Zulässigkeit hinaus, zuzulassen, da von einer grundsätzlichen Bedeutung im Sinne des § 33 Abs. 3 S. 2 RVG auszugehen ist.

 

 

Rechtskraft
Aus
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