Besetzung des Gerichts bei Anhörungsrüge gegen Befangenheitsbeschluss - Anforderungen an die dienstliche Äußerung nach § 44 Abs. 3 ZPO
Die Anhörungsrüge des Klägers gegen den Beschluss des Senats vom 3. September 2020 wird zurückgewiesen.
G r ü n d e :
Bei verständiger Würdigung (§ 123 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) erhebt der Kläger mit seinem Schreiben vom 25. September 2020 eine Anhörungsrüge nach § 178a SGG gegen den ihm am 11. September 2020 zugestellten Beschluss vom 3. September 2020. Mit dem Beschluss sind die Ablehnungsgesuche gegen drei Richter des Senats zurückgewiesen worden.
1. Der Senat beschließt in derselben Besetzung, in der er auch ein Ablehnungsgesuch entscheiden würde. Die abgelehnten Richter wirken nicht mit (a. A. Flint, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, Stand 18. Februar 2021, § 178a Rn. 116). Denn das Ablehnungsgesuch ist noch nicht im Sinne des § 60 Abs. 1 SGG i. V. m. § 47 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) erledigt. Solche Erledigung liegt erst dann vor, wenn seine Behandlung endgültig abgeschlossen ist. Solange eine Anhörungsrüge nicht beschieden ist, ist dies aber nicht der Fall; falls die Rüge sich als begründet erweist, würde das Verfahren gem. § 178a Abs. 5 Satz 1 SGG fortgeführt.
Auch wenn vorliegend die Berufung bereits gem. § 153 Abs. 5 SGG dem Berichterstatter übertragen worden war, entscheidet der ganze Spruchkörper. Denn über das Befangenheitsgesuch entscheidet ebenfalls stets der Spruchkörper, auch wenn ein Einzelrichter abgelehnt wird (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 14. November 2012 - 2 KSt 1.11 -, juris; Meissner/Schenk, in: Schoch/Schneider, VwGO, Stand 39. Ergänzungslieferung Juli 2020; § 54 Rn. 55). Dies setzt sich bei der Anhörungsrüge nach einem Beschluss über ein Befangenheitsgesuch fort. Es ist Sinn der Anhörungsrüge, den Richtern in der Besetzung, in der sie entschieden haben, die Möglichkeit der Selbstkorrektur einzuräumen (vgl. Bundessozialgericht, Beschluss vom 25. Februar 2010 - B 11 AL 22/09 C -, juris). Die Vertreter bestimmen sich nach der im Zeitpunkt der Beschlussfassung geltenden Vertretungsregelung. Diese Besetzung muss nicht personenidentisch mit derjenigen sein, die die mit der Rüge angegriffenen Entscheidung getroffen hat (vgl. Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss vom 18. Februar 2020 - 1 BvR 1750/19 -, juris).
2. Die Anhörungsrüge gegen die Entscheidung zu der Richterablehnung ist zulässig, insbesondere ist sie fristgerecht innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung erhoben. Sie ist auch statthaft. Wenn § 178a Abs. 1 S. 2 SGG bestimmt, dass gegen eine der Endentscheidung vorausgehende Entscheidung die (Anhörungs-)Rüge nicht stattfindet, ist diese Bestimmung dahingehend zu verstehen, dass sie nicht bei Zwischenentscheidungen angewandt wird, in denen, wie hier, abschließend und mit Bindungswirkung für das weitere Verfahren entschieden wird, später also im Rahmen einer Inzidentprüfung keine Korrektur mehr erfolgen kann (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 6. Mai 2010 - 1 BvR 96/10 -, juris).
3. Die Anhörungsrüge hat aber keinen Erfolg.
Der Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz gibt den Verfahrensbeteiligten das Recht, sich vor Erlass einer gerichtlichen Entscheidung zu den für diese erheblichen Sach- und Rechtsfragen zu äußern. Dem entspricht die Pflicht des Gerichts, diese Ausführungen auch zur Kenntnis zu nehmen und rechtzeitiges, möglicherweise erhebliches Vorbringen in Erwägung zu ziehen (vgl. BVerfGE 11, 218, 220; 96, 205, 216). Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Gericht das Vorbringen der Beteiligten auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Die Gerichte brauchen jedoch nicht jedes Vorbringen der Beteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich zu bescheiden (vgl. etwa BVerfGE 22, 267, 274; 96, 205, 216 f). Geht ein Gericht auf den wesentlichen Kern des Vortrags eines Verfahrensbeteiligten zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so lässt dies aber auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war (vgl. BVerfGE 47, 182, 189; 86, 133, 146).
Nach diesen Maßstäben ist vorliegend rechtliches Gehör nicht verletzt. Der Beschluss vom 3. September 2020 setzt sich mit den Ablehnungsgründen ausreichend auseinander.
Der Kläger stützt seine drei Ablehnungsgesuche vom 5. Mai 2020, vom 12. Juni 2020 und vom 27. Juli 2020 im Wesentlichen auf zwei Gründe: Der Beschluss vom 22. April 2020 zur Übertragung der Berufung auf den Berichterstatter sei unter Verletzung rechtlichen Gehörs ergangen, daraus lasse sich auf eine Befangenheit der Richter schließen (nachfolgend a.) und die dienstlichen Äußerungen, die die abgelehnten Richter nach ihrer Ablehnung abgegeben haben, setzten sich nicht mit seinen, des Klägers, umfangreichen und substantiierten Ablehnungsgründen auseinander, dies lasse sich nur aus der Befangenheit der Richter erklären (nachfolgend b.).
a. Auf S. 2 des Beschlussabdrucks über das Befangenheitsgesuch ist ausdrücklich darauf eingegangen, dass der Beschluss zur Übertragung der Berufung auf den Berichterstatter vom 22. April 2020 weder rechtliches Gehör verletze, noch als willkürlich zu qualifizieren sei, der Richter müsse im vorbereitenden Verfahren nicht in einen Dialog mit dem Kläger eintreten, selbst wenn dieses Verlangen in Form von Anträgen gekleidet sei. Wenn der Übertragungsbeschluss prozessual jedoch nicht zu beanstanden ist, entfällt zugleich der Grund für die vom Kläger angenommene Befangenheit. Wenn er, der Kläger, meint, die Begründung des Senats sei formelhaft oder rudimentär, so räumt er damit, auch wenn der Vorwurf in der Sache nicht zutrifft, gleichzeitig doch ein, dass der Beschluss überhaupt auf seine Argumente eingeht. Einen „Mindestbegründungsumfang“ ist von der Garantie rechtlichen Gehörs jedoch nicht gewährleistet.
Auch der Einwand des Klägers, in der Entscheidung vom 3. September 2020 seien „offenbar explizit erkennbar keine notwendigen Rechtsnormen genannt“, auf denen die Entscheidung beruhe, geht schon deshalb ins Leere, weil er schlicht nicht zutrifft. Das Gericht hat ausdrücklich seine Entscheidung auf § 60 SGG i. V. m. § 42 Abs. 1 und 2 ZPO gestützt, hat zudem darauf hingewiesen, dass es rechtliches Gehör am Maßstab des Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz misst. Gleiches trifft auf die Rüge zu, die Entscheidung sei „offensichtlich ohne Gründe und ohne eine nachvollziehbare, plausible und schlüssige Begründung“.
b. Auch zu der Frage, ob aus den dienstlichen Äußerungen der abgelehnten Richter, zu denen der Kläger sich äußern konnte, eine Befangenheit folgt, verhält sich der Beschluss. Das Gericht setzt sich mit dem Vortrag des Klägers ersichtlich ausreichend auseinander (vgl. S. 3 des Beschlussabdrucks).
Schon der Ansatz des Klägers, in einer dienstlichen Äußerung müsse eine Auseinandersetzung mit den Gründen des Ablehnungsgesuches erfolgen, dies vermisse er hier, ist zweifelhaft. Jedenfalls wird in dem Beschluss vom 3. September 2020 diese Auffassung zugrunde gelegt, indes ausgeführt, eine solche Auseinandersetzung mit den Gründen durch den Berichterstatter sei hier in ausreichendem Maße erfolgt, die weiteren Berichterstatter hätten ohne Rechtsverstoß auf diese dienstliche Stellungnahme verweisen dürfen. Übersehen worden ist der Vortrag des Klägers nicht.
Richtig ist, dass die dienstlichen Äußerungen sogar umfangreicher als gesetzlich geboten sind. Denn die Pflicht zur dienstlichen Äußerung bezieht sich lediglich auf die dem Ablehnungsgesuch zugrunde liegenden Tatsachen, das Verfahren nach einer Richterablehnung ist nicht ein „Prozess im Prozess“, anders als der Kläger offenbar meint. Die Stellungnahme des abgelehnten Richters dient dazu, den Sachverhalt weiter aufzuklären (vgl. Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21. Februar 2011 - II ZB 2/10 -, juris). Dies ist dann erforderlich, wenn sich die Ablehnungsgründe auf nichtaktenkundige Vorgänge beziehen, etwa auf Telefonate, mündliche Äußerungen im Termin oder dergleichen mehr. Wenn sich jedoch die zu beurteilenden Tatsachen zweifelsfrei aus den Akten ergeben, gibt es nichts weiter aufzuklären. In einem solchen Fall darf sich die dienstliche Äußerung darauf beschränken, auf diese Tatsache hinzuweisen, auch um auszuschließen, dass es keine im Ablehnungsgesuch nicht genannten, entscheidungserheblichen Umstände gibt, die mit den angegebenen Ablehnungsgründen zusammenhängen. Mehr verlangt das Gesetz in § 60 SGG i. V. m. § 44 Abs. 3 ZPO nicht (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, § 60 Rn. 11e; Göertz, in: Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle, Zivilprozessordnung, 78. Aufl. 2020, § 44 Rn. 6 m. w. N.). Folgerichtig kann ein Ablehnungsgesuch von vornherein nicht mit Erfolg darauf gestützt werden, dass sich der Richter in seiner dienstlichen Erklärung nicht hinreichend mit der von der ablehnenden Partei geäußerten Kritik an seinen Entscheidungen oder der von ihr vertretenen Rechtsauffassung auseinandergesetzt habe (vgl. etwa Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 24. September 2019 – 6 W 302/19 –, juris).
Im Übrigen folgt aus der Tatsache, dass die Richter sich hier überhaupt mehrfach dienstlich geäußert haben, dass für sie ein Fall der querulatorischen oder offensichtlich unzulässigen Richterablehnung gerade nicht vorliegt. In einem solchen Fall muss nämlich eine dienstliche Äußerung gar nicht erfolgen.
Auch das dritte Ablehnungsgesuch des Klägers vom 27. Juli 2020 bescheidet der Befangenheitsbeschluss, obwohl der Kläger in der Sache keinerlei neue Umstände vorgetragen hat.
Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass das Gebot rechtlichen Gehörs von vornherein nicht garantiert, dass das Vorbringen eines Beteiligten das Gericht auch überzeugt, dass ihm also in der Sache gefolgt wird. Genau das verlangt aber der Kläger, wenn er meint, das Gericht habe zu einer anderen Entscheidung finden müssen, wenn es seinen Vortrag „wirklich“ zur Kenntnis genommen und „ersichtlich erwogen“ hätte.
4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.