L 26 KR 46/20

Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
26.
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 182 KR 593/16
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 26 KR 46/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Bei einer Verdachtsdiagnose ist auch im Falle der Entlassung nach Hause nach stationärer Untersuchung lediglich das Symptom (hier abnorme Gewichtsabnahme) zu kodieren, wenn eine stationär durchgeführte Behandlung aufgrund eines mulitfaktoriellen Geschehens nicht spezifisch der Ver-dachtsdiagnose (hier Malnutrition) zugeordnet werden kann.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 19. November 2019 wird zurückgewiesen.

 

Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

 

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die beklagte Krankenkasse zu Recht gegen unstreitige Vergütungsansprüche des Klägers mit einem Rückzahlungsanspruch wegen bereits vergüteter Krankenhausbehandlung aufgerechnet hat. 

 

Der Kläger ist Träger eines freigemeinnützigen Akut- und akademischen Lehrkrankenhauses der U B in der Rechtsform eines eingetragenen Vereins, der durch seinen Vorstand vertreten wird. Das behandelnde Krankenhaus W ist im Krankenhausplan des Landes B 2010 als verbindliche Planungsgrundlage bis 2015 enthalten.

 

Vom 29. Juni 2015 bis zum 8. Juli 2015 wurde der 1940 geborene und bei der beklagten Krankenkasse versicherte  J (nachfolgend: Versicherter) stationär nach Einweisung durch seinen behandelnden Hausarzt, den Arzt für Allgemeinmedizin Dr. Z, im Krankenhaus des Klägers behandelt. Der Hausarzt hatte in der Verordnung von Krankenhausbehandlung (Notfall) vom 29. Juni 2015 bei dem damals 75jährigen Versicherten diagnostiziert: Allgemeinzustandsverschlechterung mit rezidivierenden Stürzen, Schwäche, Exsikkose sowie abnormer Gewichtsverlust (8 kg in zwei Wochen) und hinsichtlich der Fragestellung mitgeteilt: „Erbitten stationäre Diagnostik und Therapie“. Ausweislich des Auszugs aus den medizinischen Daten des Hausarztes hatte dieser in den Jahren zuvor bei dem Versicherten u.a. eine Myokardinsuffizienz (2011), Diabetes mellitus (2013) und eine diabetische Neuropathie (2014) diagnostiziert, sodann am 9. April 2015 eine kardiale Dekompensation und am 29. Mai 2015 Ödeme. Diuretika (Xipamid, Furosemid) wurden verordnet. Am 29. Juni 2015 erfolgte seitens des Hausarztes die Diagnose Exsikkose. Aus dem Medikamentenplan ergibt sich das Absetzen der Diuretikamedikamte Xipamid 10 mg am Morgen und Furosemid 40 mg zur Nacht; die Gabe von Furosemid 125 mg am Morgen wurde fortgeführt.

 

Bei der stationären Aufnahme im Krankenhaus des Klägers am 29. Juni 2015 in der Abteilung für Innere Medizin wurden bei dem Versicherten ausweislich des Anhangs zum Entlassungsbericht vom 8. Juli 2015 keine Ödeme sichtbar bei klinisch deutlicher Exsikkose und reduziertem Allgemeinzustand mit klarer Bewusstseinslage. Eine erste Messung des Körpergewichts des Versicherten erfolgte am 30. Juni 2015 mit dem Messergebnis 70,7 kg. Sein Körpergewicht betrug am 6. Juli 2015 71,7 kg und am 7. Juli 2015 71,9 kg. Die Körpergröße des stehfähigen Versicherten, die sein Hausarzt auf Nachfrage des Krankenhauses mit 181 cm bei einem Ursprungsgewicht von 87 kg angegeben hatte, wurde im Krankenhaus nicht gemessen.

 

Im Verlauf der Krankenhausbehandlung wurden zur Abklärung des Gewichtsverlusts bei dem Versicherten nach Anamnese und Untersuchung Laboruntersuchungen durchgeführt sowie eine Oberbauchsonografie (am 30. Juni 2015). Sodann erfolgte eine endoskopische Diagnostik (Endosonografie am 1. Juli 2015: Hauptgang-IPM;N im Korpus des Pankreas mit konsekutiv aufgestautem Gang und Koloskopie am 3. Juli 2015: bei deutlich eingeschränkter Beurteilbarkeit kein eindeutiger Nachweis einer malignen Neoplasie). Am 1. Juli und 6. Juli 2015 wurde ausweislich der Patientendokumentation „Elastase im Stuhl“ vermerkt. Die hochkalorische Trinknahrung Fortimel wurde dem Versicherten am 1. Juli 2015 morgens und mittags, ab dem 3. Juli 2015 3mal am Tag und ab 6. Juli 2015 bis zu 5mal über 24 Stunden verabreicht.

 

Ausweislich der Epikrise des Entlassungsberichts vom 8. Juli 2015 des Chefarztes der Inneren Abteilung PD Dr. B habe sich nach einer Endosonographie ein mit einem Hauptgang-IPMN  des Pankreaskorpus vereinbarer Befund gezeigt. Die Elastase im Stuhl sei erniedrigt gewesen, so dass auch von einer exokrinen Pankreasinsuffizienz ausgegangen werden müsse und eine Pankreatin-Therapie mit Kreon empfohlen wurde. Nach  ausführlichem Gespräch mit dem Versicherten sowie mit dessen Verwandten sei der Verdacht auf eine Malnutrition (Mangelernährung) bei Verdacht auf eine unzureichende Nahrungszufuhr aufgrund eines eingeschränkten Hungergefühls gestellt worden bei sanierungsbedürftigem Zahnstatus. Die Therapie mit hochkalorischer Trinknahrung sei begonnen worden und deren ambulante Fortsetzung wurde erbeten. Differentialdiagnostisch könne, so wurde weiter ausgeführt, als Ursache für die abnehmende Nahrungszufuhr auch eine psychische Komponente in Betracht kommen. Eine ambulante psychiatrische Vorstellung und Evaluation, ob eine behandlungsbedürftige Depression vorliege, sei empfehlenswert. Ein beim Kläger durchgeführtes Screening auf Mangelernährung trägt das Datum 8. Juli 2015. Ausweislich des hiermit wiedergegebenen Vorscreenings liege der Body-Mass-Index (BMI) des Versicherten nicht unter 20,5 kg/m²; eine schwere Erkrankung wurde verneint. Bejaht wurden die Fragen, ob der Patient in den vergangenen drei Monaten an Gewicht verloren habe und ob die Nahrungszufuhr in der vergangenen Woche vermindert gewesen sei. Die Entlassung des Versicherten erfolgte am 8. Juli 2015 u.a. mit den Diagnosen:

  • Malnutrition
  • Hauptgang-IPMN mit chronischer Pankreatitis
    • Exokrine Pankreasinsuffizienz: Elastase im Stuhl (87,8 -)
    • V.a. pankreopriven Diabetes mellitus
    • Diabetische Neuropathie

Zusätzlich zur Vormedikation wurde hochkalorische Trinknahrung 3mal täglich sowie Kreon, ein Medikament zur Behandlung von Funktionsstörungen der Bauchspeicheldrüse, verordnet.

 

Der Kläger rechnete unter Angabe der Hauptdiagnose ICD E46 („Nicht näher bezeichnete Energie- und Eiweißmangelernährung; u.a. inkl. Mangelernährung o.n.A.“) am 22. Juli 2015 die Diagnosis Related Group (DRG) K60B („Diabetes mellitus mit äußerst schweren CC [complication or comorbidity] oder schwere Ernährungsstörungen, ohne multimodale Komplexbehandlung bei Diabetes mellitus“) gegenüber der Beklagten und insofern Kosten in Höhe von 5.027,72 € ab. Die Rechnung wurde von der Beklagten vollständig beglichen.

 

Die Beklagte teile dem Kläger am 6. August 2015 mit, nach Prüfung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg (MDK; sozialmedizinische Fallberatung vom 3. August 2015) könne sich eine andere Hauptdiagnose ergeben mit der Folge einer Vollprüfung der Rechnung. Nach Einzelfallbegutachtung und DRG-Kodierprüfung durch den MDK mit Gutachten vom 23. Oktober 2015 teilte die Beklagte dem Kläger mit, sie folge dem Ergebnis des MDK (Schreiben vom 3. November 2015). Danach sei die Abrechnungs-DRG K60B medizinisch nicht sachgerecht. Als Hauptdiagnose sei statt des ICD-Kodes E46 richtigerweise R63.4 (abnormer Gewichtsverlust) zu kodieren, da eine Energie- und Eiweißmangelernährung durch keinen Befund des Krankenhauses belegt sei. Das Gesamteiweiß sei nicht erniedrigt und ein Body-Mass-Index (BMI) bei fehlender Köpergrößenmessung nicht errechenbar. Die Nebendiagnose ICD E11.20 (Diabetes mellitus, Typ 2 mit Nierenkomplikationen) werde geändert in ICD E11.90 (wie vor, ohne Komplikationen), ferner der ICD K86.1 (sonstige chronische Pankreatitis) in K86.8 (Exokrine Pankreas-Insuffizienz). Nicht belegt sei ICD E41 (alimentärer Marasmus) und ohne Behandlungsrelevanz I42.9 (Kardiomyopathie). Daraus ergebe sich die DRG K62B (verschiedene Stoffwechselerkrankungen außer bei Para-/Tetraplegie, ohne komplizierende Diagnose, ohne endoskopische Einlage eines Magenballons, ohne äußerst schwere CC) mit einem Relativgewicht von 0,618 (Schreiben der Beklagten vom 3. November 2015). Die Beklagte erbat gegenüber dem Kläger zugleich, bis zum 15. November 2015 korrigierte Datensätze zu ermitteln, andernfalls werde eine Verrechnung erfolgen; das Prüfverfahren sei beendet.

 

In Ermangelung einer Reaktion verrechnete die Beklagte im März 2016 den ihrer Auffassung zufolge überzahlten Betrag in Höhe von 3.074,81 € mit einer anderweitigen und zwischen den Beteiligten nicht streitigen Forderung des Klägers.

 

Mit der am 4. April 2016 vor dem Sozialgericht Berlin erhobenen Klage hat der Kläger die Zahlung von 3.074,81 € begehrt und geltend gemacht, seine Abrechnung sei auch im Hinblick auf die Kodierung zutreffend. Der ICD R63.4 sei ein Symptom der Mangelernährung. Als Ursache verbleibe E46 (Mangelernährung) und ergänzend das Symptom. Zu Beginn der Krankenhausaufnahme sei eine Einstufung nach der Basis-Einteilung des Nutrional Risk Screenings erfolgt und sodann sei regelmäßig das Gewicht des Versicherten kontrolliert worden. Der Versicherte habe forciert enterale Zusatzernährung mittels Fortimel erhalten. Zur weiteren Abklärung habe eine endoskopische Untersuchung und eine Sonographie stattgefunden. Da die pathogenetische Zuordnung zu einer Grunderkrankung nicht möglich gewesen sei, sei die Hauptdiagnose gemäß den Deutschen Kodierrichtlinien (DKR) mit dem ICD-Kode E46 zu verschlüsseln gewesen, wenngleich ein Proteinmangel im Serumeiweiß nicht nachgewiesen worden sei. Im Streit stehe ausschließlich die Kodierung der Hauptdiagnose.

 

Das Sozialgericht hat nach Vorlage des MDK-Gutachtens vom 7. November 2016 und Beiziehung des Pflegegutachtens des MDK vom 10. Juli 2015 die Klage mit Urteil vom 19. November 2019 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch auf die geltend gemachte Zahlung. Die Beklagte habe zu Recht den streitgegenständlichen Betrag mit einer Gegenforderung aus öffentlich-rechtlicher Erstattung aufgerechnet. Dem Kläger habe kein weitergehender Vergütungsanspruch wegen der stationären Behandlung des Versicherten zugestanden. Streitgegenständlich sei nur noch, ob der Kode ICD E46 als Hauptdiagnose, welcher in die höher vergütete DRG K60B führe, oder mit der Beklagten der Kode ICD R63.4 als Hauptdiagnose in Ansatz zu bringen sei, der in die DRG K62B führe und um den streitgegenständlichen Betrag geringer vergütet werde. Letzteres sei der Fall. Bei objektiver, retrospektiver Betrachtung sei eine Energie- und Eiweißmangelernährung als Ursache für die stationäre Aufnahme nicht erwiesen, weil für den starken Gewichtsverlust bei dem Versicherten auch andere Umstände in Betracht gekommen seien, wie die ausgeprägte Exsikkose und die diagnostizierte Pankreasinsuffizienz. Schließlich fehle es für die gesicherte Annahme einer Energie- und Eiweißmangelernährung an ausreichender Diagnostik und Dokumentation seitens des Krankenhauses. Unter Zugrundelegung der vom Hausarzt gemessenen Körpergröße von 181 cm habe sich ein Body-Mass-Index (BMI) im Normbereich ergeben.

 

Mit seiner Berufung vom 16. Januar 2020 gegen das ihm am 30. Dezember 2019 zugestellte Urteil verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er trägt ergänzend vor, es sei vom Krankenhaus bei dem Versicherten gezielt ein Screening auf Mangelernährung durchgeführt worden, das angesichts eines Index von 5 Punkten deutlich auf das Vorliegen einer Mangelernährung hingewiesen habe. Daher seien gezielt kalorien- und eiweißangereicherte Präparate verabreicht worden. Eine Mangelernährung sei zwar im Rahmen des gegenständlichen Krankenhausaufenthalts nicht abschließend ausdiagnostiziert worden. Hierfür sei aber die medizinische Notwendigkeit eines stationären Krankenhausaufenthalts nicht gegeben gewesen. Die besonderen Mittel des Krankenhauses seien erforderlich gewesen, um eine Ursache für die Schwäche und den gravierenden Gewichtsverlust bei dem Versicherten zu eruieren und – angesichts des myelodysplastischen Syndroms – eine schwere Tumorerkrankung, insbesondere eine Leukämie, auszuschließen. Ein Gewichtsverlust von 8 kg sei nicht durch die Ausschwemmung von peripheren Ödemen erklärbar. Die Ärzte des Klägers hätten sich nach den Ergebnissen der Anamnese von Patient und Angehörigen sowie dem sodann durchgeführten Screening auf Mangelernährung (Nutritional Risk Screening der Europäischen Gesellschaft für Klinische Ernährung und Stoffwechsel) eindeutig dahingehend positioniert, dass sie von einer Mangelernährung (Malnutrition) ausgingen, die zu dem Symptom Gewichtsverlust geführt habe. Der Versicherte sei mit hochkalorischer medizinischer Zusatznahrung in Form von Fortimel behandelt worden und eine entsprechende Empfehlung sei dem niedergelassenen Arzt für die Zeit nach der Entlassung gegeben worden. Die behandelnden Ärzte im Krankenhaus hätten unmissverständlich das Symptom „abnorme Gewichtsabnahme R63.4“ auf die Diagnose „Mangelernährung E46“ zurückgeführt. Nach den Kodierrichtlinien D002 sei die zugrundeliegende Krankheit als Hauptdiagnose zu kodieren, wenn sich ein Patient mit einem Symptom vorstelle und die zugrundeliegende Krankheit während des Krankenhausaufenthaltes diagnostiziert werde. Eine Mangelernährung könne auch bei einem völlig normalen BMI vorliegen, wenn ein ungewollter Gewichtsverlust von 10 % innerhalb von 3 bis 6 Monaten vorläge. Selbst wenn dem entgegengehalten würde, dass im Entlassungsbericht nur von einem Verdacht einer Malnutrition gesprochen würde, wäre ICD E46 zur Hauptdiagnose zu erheben. Für Verdachtsdiagnosen, die bis zum Ende des stationären Aufenthalts weder sicher bestätigt noch sicher ausgeschlossen wurden, solle der ICD-Schlüssel für die betreffende Verdachtsdiagnose kodiert werden, wenn eine Behandlung der Erkrankung eingeleitet wurde. Dies sei hier geschehen, weil die Mangelernährung behandelt worden sei, so dass diese nach DKR D008b als Hauptdiagnose zu kodieren sei. Eine Kodierung des Symptoms R63.4 (ICD aus dem Kapitel „Symptome…“) sei aufgrund der DKR D002f zudem ausgeschlossen, da die zugrunde liegende Krankheit E46 als Hauptdiagnose gegenüber dem Symptom R63.4 Vorrang habe. Wegen weiterer, aus Sicht der Beklagten in Betracht gekommener Verdachtsdiagnosen sei keine Behandlung durchgeführt worden, sondern allein wegen der Mangelernährung.

 

Der Kläger beantragt,

 

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 19. November 2019 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an ihn 3.074,81 € zuzüglich Zinsen in Höhe von zwei Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz ab dem 15. März 2016 zu zahlen.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie trägt ergänzend vor, ein Vorrang der Krankheit E46 bestehe nicht, da diese gerade nicht diagnostiziert worden sei. Das Screening sei nicht am Aufnahmetag, sondern bei Entlassung durchgeführt worden und darüber hinaus nicht vollständig dokumentiert. Dass die Gewichtsabnahme im Zusammenhang mit einer Mangelernährung gestanden habe, sei nicht belegt. Bei normwertigen BMI ergebe sich kein Hinweis auf eine Mangelernährung als Ursache für die Gewichtsabnahme. Aus dem zwei Tage nach Entlassung gefertigten Pflegegutachten folge nichts Abweichendes. Die Aufnahme sei zur Abklärung des Symptoms erfolgt. Die Darstellung des Klägers, hier sei eindeutig die nicht näher bezeichnete (Energie- und Eiweiß-)Mangelernährung E46 für die Gewichtsabnahme verantwortlich, sei nicht haltbar, da es sich tatsächlich um ein multifaktorielles Geschehen gehandelt habe, also eine Kombination aus allen genannten Diagnosen, so dass eine eindeutige Zuordnung überhaupt nicht möglich sei. Nach den Vorgaben der Kodierrichtlinien komme hier als Hauptdiagnose mithin ausschließlich das Symptom in Betracht.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte, die Verwaltungsakte der Beklagten und die Patientenakte des Klägers Bezug genommen, die vorgelegen haben und, soweit erforderlich, Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

 

Entscheidungsgründe

 

 

Die zulässige Berufung des Klägers (vgl. §§ 143 ff. Sozialgerichtsgesetz [SGG]) ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage, eine statthafte (echte) Leistungsklage (vgl. § 54 Abs. 5 SGG), zu Recht und mit zutreffenden Gründen abgewiesen.

 

Die (echte) Leistungsklage ist in dem hier zwischen den Beteiligten bestehenden Gleichordnungsverhältnis zulässig; eine Regelung durch Verwaltungsakt kam vorliegend nicht in Betracht, ein Vorverfahren war nicht durchzuführen und eine Klagefrist nicht zu beachten (stRspr., vgl. BSG, Urteil vom 27. Oktober 2020 – B 1 KR 12/20 R – juris Rn. 9 unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 30. Juni 2009 – B 1 KR 24/08 R – juris Rn. 12 m.w.N.). Der Zahlungsanspruch und der geltend gemachte Zinsanspruch sind vom Kläger konkret beziffert. Für letzteren reicht die Bezugnahme auf den Basiszinssatz (vgl. Becker-Eberhard in: Münchner Kommentar zur ZPO, 6. Auflage 2020, § 253 Rn. 132).

 

Die Klage ist aber, wie vom Sozialgericht zu Recht und mit zutreffenden Gründen entschieden worden ist, unbegründet. Der zwischen den Beteiligten nicht streitige Vergütungsanspruch des Klägers aus einem anderen Behandlungsfall, gegen den die Beklagte entsprechend § 387 Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB; vgl. auch § 69 Abs. 1 Satz 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung – [SGB V]) die Aufrechnung mit einem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch in der gegenständlichen Höhe erklärt hat, ist in dieser Höhe erloschen (vgl. BSG, Urteil vom 23. Juni 2015 – B 1 KR 26/14 R – juris Rn. 33 m.w.N.; zum öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch bei Überzahlung von Krankenhausentgelten: BSG, Urteil vom 1. Juli 2014 – B 1 KR 24/13 R – juris Rn. 10). Die Beklagte hatte nach Rechnungslegung des Klägers am 22. Juli 2015 ohne rechtlichen Grund in Höhe der später erklärten Aufrechnung den hier gegenständlichen Behandlungsfall in der beanspruchten Höhe vergütet.

 

Rechtsgrundlage des vom Kläger wegen der stationären Behandlung des Versicherten geltend gemachten Vergütungsanspruchs ist § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V i.V.m. § 7 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) und § 17b Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG; vgl. BSG, Urteile vom 26. Mai 2020 – B 1 KR 26/18 R – juris Rn. 9 m.w.N. und vom  19. März 2020 – B 1 KR 20/19 R – juris Rn. 11). Das Gesetz regelt in diesen Vorschriften die Höhe der Vergütung der zugelassenen Krankenhäuser bei stationärer Behandlung gesetzlich Krankenversicherter und setzt das Bestehen des Vergütungsanspruchs als Gegenleistung für die Erfüllung der Pflicht, erforderliche Krankenhausbehandlung nach § 39 SGB V zu gewähren (§ 109 Abs. 4 Satz 2 SGB V), dem Grunde nach als Selbstverständlichkeit voraus (vgl. BSG, Urteil vom 27. Oktober 2020 – B 1 KR 12/20 R – juris Rn. 10 m.w.N.).

 

Der Vergütungsanspruch des Klägers ist dem Grunde nach entstanden; dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig. Die Zahlungsverpflichtung der Krankenkasse entsteht, wie ausgeführt, unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten kraft Gesetzes, wenn die Versorgung – wie hier – in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und im Sinne von § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V erforderlich und wirtschaftlich ist (BSG, Urteil vom 27. Oktober 2020 – B 1 KR 12/20 R – juris Rn. 11 m.w.N.). Danach haben Versicherte Anspruch auf vollstationäre Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus (§ 108 SGB V), wenn die Aufnahme nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann. Sämtliche dieser Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Das Krankenhaus des Klägers war und ist zur Behandlung gesetzlich Krankenversicherter zugelassen (vgl. §§ 108 Nr. 2, 109 Abs. 1 Satz 2, Abs. 4 SGB V). Bei dem Versicherten lagen die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Krankenhausleistungen vor. Die Krankenhausbehandlung war dem Umfang und Inhalt nach notwendig. Die Durchführung und die medizinische Notwendigkeit der stationären Behandlung wird auch von der Beklagten nicht in Abrede gestellt.

 

Dem Kläger stand der Vergütungsanspruch jedoch nicht in der geltend gemachten Höhe zu. Die Beklagte hat dem Kläger Krankenhausvergütung in Höhe von 3.074,81 € ohne Rechtsgrund gezahlt, weil dieser die zugunsten des Versicherten erbrachten Leistungen in dieser Höhe nicht abrechnen durfte. Die konkrete Anspruchshöhe ergibt sich aus der niedriger vergüteten DRG K62B unter Zugrundelegung des ICD R63.4 als Hauptdiagnose und nicht aus der vom Kläger angesetzten und von der Beklagten tatsächlich vergüteten DRG K60B unter Kodierung des ICD E46 als Hauptdiagnose. Über weitere vom Kläger abgerechnete und von der Beklagten bezahlte Vergütungsbestandteile streiten die Beteiligten im Berufungsverfahren nicht.

 

Die Vergütung für Krankenhausbehandlung von Versicherten bemisst sich bei „DRG-Krankenhäusern“ wie jenem des Klägers nach vertraglichen Fallpauschalen auf gesetzlicher Grundlage. Die Fallpauschalenvergütung für die Krankenhausbehandlung Versicherter in zugelassenen Einrichtungen ergibt sich aus § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V i.V.m. § 7 KHEntgG und § 17b KHG. Danach sind die Krankenhäuser verpflichtet, unter Beachtung der Vorschriften dieses Gesetzbuchs mit dem Krankenhausträger Pflegesatzverhandlungen nach Maßgabe des Krankenhausfinanzierungsgesetzes, des Krankenhausentgeltgesetzes und der Bundespflegesatzverordnung zu führen (§ 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V). Die allgemeinen Krankenhausleistungen werden gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KHEntgG gegenüber den Patienten oder ihren Kostenträgern vorliegend relevant folgenden Entgelten abgerechnet: Fallpauschalen nach dem auf Bundesebene vereinbarten Entgeltkatalog (§ 9). Insofern wird die sich aus dem bundeseinheitlichen Entgeltkatalog ergebende Bewertungsrelation einschließlich der Regelungen zur Grenzverweildauer und zu Verlegungen (effektive Bewertungsrelation) mit dem Landesbasisfallwert multipliziert. § 17b KHG regelt die Einführung eines pauschalierenden Entgeltsystems für DRG-Krankenhäuser und eine entsprechende Verordnungsermächtigung. Der Anspruch auf Krankenhausvergütung wird auf Bundesebene durch Normsetzungsverträge (Normenverträge, Verlegungs-Fallpauschalen [FPV]) konkretisiert. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und der Verband der privaten Krankenversicherung gemeinsam vereinbaren nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KHEntgG mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft als „Vertragsparteien auf Bundesebene“ mit Wirkung für die Vertragsparteien nach § 11 KHEntgG einen Fallpauschalen-Katalog einschließlich der Bewertungsrelationen sowie Regelungen zur Grenzverweildauer und der in Abhängigkeit von diesen zusätzlich zu zahlenden Entgelte oder vorzunehmenden Abschläge. Ferner vereinbaren sie insoweit Abrechnungsbestimmungen in den FPV auf der Grundlage des § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 KHEntgG (BSG, Urteil vom 27. Oktober 2020 – B 1 KR 12/20 R – a.a.O. Rn. 13).

 

Welche DRG-Position abzurechnen ist, ergibt sich nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung (vgl. etwa BSG, Urteil vom 26. Mai 2020 – B 1 KR 26/18 – a.a.O. Rn. 14), die auch der Senat seiner Entscheidung zugrunde legt, rechtsverbindlich aus der Eingabe und Verarbeitung von Daten in einem automatischen Datenverarbeitungssystem, das auf einem zertifizierten Programm basiert (vgl. § 1 Abs. 6 Satz 1 FPV 2015; zur rechtlichen Einordnung des Groupierungsvorgangs vgl. BSG vom 8. November 2011 – B 1 KR 8/11 R – juris Rn. 19 ff.). Das den Algorithmus enthaltende und ausführende Programm (Grouper) greift dabei auch auf Dateien zurück, die entweder als integrale Bestandteile des Programms mit vereinbart sind (z.B. die Zuordnung von ICD-10-Diagnosen und Prozeduren zu bestimmten Untergruppen im zu durchlaufenden Entscheidungsbaum) oder an anderer Stelle vereinbarte Regelungen wiedergeben. Zu letzteren gehören die Fallpauschalen selbst, aber auch die internationale Klassifikation der Krankheiten (ICD-10) in der jeweiligen vom Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI; seit 2020 Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte [BfArM]) im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) herausgegebenen deutschen Fassung (hier: ICD-10-GM Version 2015), die Klassifikation des vom DIMDI im Auftrag des BMG herausgegebenen Operationen- und Prozedurenschlüssels (OPS, zur Grundlage der Rechtsbindung vgl. BSG, Urteil vom 8. November 2011 – B 1 KR 8/11 R – a.a.O. Rn. 24) sowie die von den Vertragspartnern auf Bundesebene getroffene Vereinbarung zu den DKR (hier Version 2015 das G-DRG-System‎ gemäß § 17b KHG (zu deren normativer Wirkung vgl. BSG Urteil vom 8. November 2011 – B 1 KR 8/11 R – a.a.O. Rn. 18).

 

Ebenfalls entspricht es ständiger höchstrichterlicher und vom Senat auch dieser Entscheidung zugrunde gelegter Rechtsprechung, dass die Anwendung der normenvertraglichen Abrechnungsbestimmungen grundsätzlich den allgemeinen Auslegungsmethoden der Rechtswissenschaft unterliegt. Die für die routinemäßige Abwicklung von zahlreichen Behandlungsfällen vorgesehenen Abrechnungsbestimmungen sind gleichwohl wegen ihrer Funktion im Gefüge der Ermittlung des Vergütungstatbestandes innerhalb eines vorgegebenen Vergütungssystems stets eng nach ihrem Wortlaut und allenfalls ergänzend nach ihrem systematischen Zusammenhang auszulegen; Bewertungen und Bewertungsrelationen haben außer Betracht zu bleiben (vgl. BSG, Urteile vom 26. Mai 2020 – B 1 KR 26/18 – a.a.O. Rn. 15 m.w.N. und vom 17. Dezember 2019 – B 1 KR 19/19 R – juris Rn. 13 m.w.N.).

 

Die Beteiligten sind sich zu Recht darüber einig, dass die vom Kläger abgerechnete DRG K60B nur angesteuert wird, wenn, was zwischen den Beteiligten noch allein im Streit steht, der ICD-Kode E46 als Hauptdiagnose zu kodieren gewesen wäre. Dies war aber nicht der Fall. Als Hauptdiagnose zu kodieren war stattdessen der ICD R63.4, der, wie von der Beklagten zu Recht geltend gemacht wird, die DRG K62B ansteuert.

 

Die Hauptdiagnose wird nach der DKR D002f definiert als die Diagnose, die nach Analyse als diejenige festgestellt wurde, die hauptsächlich für die Veranlassung des stationären Krankenhausaufenthaltes des Patienten verantwortlich ist (vgl. dazu auch BSG, Urteil vom 21. April 2015 – B 1 KR 9/15 R – juris Rn. 16 ff.).

 

Die Hauptdiagnose – als Singular formuliert – impliziert, dass es überhaupt nur eine, nicht aber zugleich mehrere „Hauptdiagnosen“ geben kann (vgl. BSG, Urteil vom 21. April 2015 – B 1 KR 9/15 R – juris Rn. 17). Dies steht in Einklang mit der Eingabemaske der zertifizierten, in das Normanwendungsprogramm mit normativer Wirkung einbezogenen Grouper. Hiernach ist die ersteinzutragende Diagnose immer die Hauptdiagnose (vgl. BSG, Urteil vom 8. November 2011 – B 1 KR 8/11 R – a.a.O. Rn. 42). Erfüllen zwei oder mehrere Diagnosen gleichermaßen die Kriterien für die Hauptdiagnose, muss nach DKR (2015) D002f (vgl. auch DKR 2005 D002d) vom behandelnden Arzt – vorbehaltlich spezieller Verschlüsselungsanweisungen – entschieden werden, welche Diagnose am besten der Hauptdiagnose-Definition entspricht. Nur in diesem Fall ist vom behandelnden Arzt diejenige auszuwählen, die für Untersuchung und/oder Behandlung die meisten Ressourcen verbraucht hat. Hierbei ist es unerheblich, ob die Krankheiten verwandt sind oder nicht.

 

Soweit die DKR (2015) D002f hierbei darauf verweist, dass „der behandelnde Arzt“ die Hauptdiagnose auszuwählen hat, ist dies nur in einem tatsächlichen Sinn zu verstehen. Die Beurteilung, ob eine Diagnose als Hauptdiagnose zu kodieren ist, bemisst sich vielmehr nach objektiven Maßstäben. Sie erfordert kein an eine bestimmte Person gebundenes höchstpersönliches Fachurteil, sondern unterliegt im Streitfall – wie hier – der vollen richterlichen Nachprüfung (vgl. zu den Grundsätzen auch BSG, Beschluss vom 25. September 2007 – GS 1/06 – juris Rn. 29 f.). Ein anderes Verständnis widerspräche höherrangigem Recht (vgl. BSG, Beschluss vom 25. September 2007 – GS 1/06 – a.a.O. Rn. 29). Nichts anderes gilt, wenn der Vergütungsanspruch nicht dem Grunde, sondern der Höhe nach streitig ist. Aus den Vorschriften, welche die Stellung und die Funktion der Krankenhäuser innerhalb des Versorgungssystems der gesetzlichen Krankenversicherung regeln, lässt sich nichts Abweichendes herleiten. Die zugelassenen Krankenhäuser erbringen, wie ausgeführt, kraft gesetzlicher Aufgabenzuweisung die den Versicherten von den Krankenkassen als Naturalleistung geschuldete Krankenhausbehandlung; sie sind gemäß § 109 Abs. 4 Satz 2 SGB V im Rahmen ihres Versorgungsauftrags zur Behandlung der Versicherten nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften verpflichtet. Vereinbarungen in Normsetzungsverträgen können nicht bewirken, dass die Vergütungshöhe entgegen dem Gesetz nicht nach objektiven Maßstäben festgelegt wird, sondern nach der subjektiven Einschätzung des Krankenhausarztes (vgl. BSG, Urteil vom 21. April 2015 – B 1 KR 9/15 R – a.a.O. Rn. 17f.).

 

Gemäß der aufgezeigten Auslegung des Begriffs der Hauptdiagnose nach DKR (2015) D002f war vorliegend als Hauptdiagnose ICD-10-GM <2015> R63.4 (abnorme Gewichtsabnahme) zu kodieren. Die dagegen erhobenen Einwendungen des Klägers greifen nicht durch. Die stattdessen bei Rechnungslegung als Hauptdiagnose kodierte, nicht näher bezeichnete (Energie- und Eiweiß-)Mangelernährung (ICD E46) war, wie der Kläger hilfsweise selbst einräumt, nur eine Verdachtsdiagnose nach Ausschluss möglicher anderer Diagnosen. Verdachtsdiagnosen sind nach DKR (2015) D008b Diagnosen, die am Ende eines stationären Aufenthaltes weder sicher bestätigt noch sicher ausgeschlossen werden können.

 

Der Senat nimmt auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug (vgl. § 153 Abs. 2 SGG) und merkt ergänzend an:

 

Die für die Auslegung von Abrechnungsbestimmungen des Krankenhausvergütungsrechts einschließlich der Regelungen der DKR geltenden Auslegungsgrundsätze unter Zugrundelegung einer eng auf den Wortlaut bezogenen Auslegung (vgl. BSG, Urteil vom 21. April 2015 – B 1 KR 8/15 R – a.a.O. Rn. 18) steht, anders als der Kläger meint, hier einer Kodierung des Symptoms ICD R63.4 nicht entgegen.

 

Der ICD-10-GM Version 2015-Katalog enthält mit den R-Diagnosen des Kapitels XVIII Symptome und abnorme klinische und Laborbefunde, die andernorts nicht klassifiziert sind (R00-R99). Nach D002f (Hauptdiagnose) ist nur dann, wenn sich ein Patient mit einem Symptom vorstellt und die zugrundeliegende Krankheit zum Zeitpunkt der Aufnahme bekannt ist und behandelt wird bzw. während des Krankenhausaufenthalts diagnostiziert wird, die zugrunde liegende Krankheit als Hauptdiagnose zu kodieren. Dies war hier nicht der Fall. Der Versicherte war mit dem Symptom abnormer Gewichtsverlust (8 kg in zwei Wochen) bei Allgemeinzustandsverschlechterung und Exsikkose ins Krankenhaus des Klägers eingeliefert worden. Bei der vom Kläger kodierten Mangelernährung, die  ICD 10-GM Version 2015 den Kodes E40-E46 zuzuordnen ist, handelte es sich um eine solche Verdachtsdiagnose. Hierfür spricht bereits die Epikrise zum Entlassungsbericht. Eine hinreichende Abklärung des nach Laboruntersuchungen, endoskopischer Diagnostik und computertomografischer Utersuchung „gestellten Verdachts auf eine Malnutrition“ ist nicht erfolgt. Aus der Epikrise zum Entlassungsbericht vom 8. Juli 2015 folgt insofern, dass nach Abklärung des Gewichtsverlusts und ausführlichem Gespräch mit dem Patienten sowie mit dessen Verwandten der Verdacht auf eine Malnutrition gestellt worden sei. Der Kläger selbst hat mit seiner Berufungsschrift vom 14. Januar 2020 eingeräumt, dass eine Mangelernährung mit all ihren Abstufungen im Rahmen des streitgegenständlichen Krankenhausaufenthaltes nicht abschließend ausdiagnostiziert worden sei. In der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht hat der beim Kläger als Leiter des Medizincontrollings beschäftigte Dr. H erklärt, es sei eine Ausschlussdiagnose gestellt worden, nachdem keine Untersuchung den Gewichtsverlust habe hinreichend erklären können.

 

Allerdings wurde bereits mit dem Entlassungsbericht – entsprechend der an zweiter Stelle aufgeführten Diagnose – ein Hauptgang-IPMN des Pankreaskorpus mit chronischer Pankreatitis befundet bei erniedrigter Elastase im Stuhl (87,8 -); von einer exokrinen Pankreasinsuffizienz wurde ausgegangen, der Verdacht auf pankreopriven Diabetes mellitus gestellt, weshalb die Pankreatin-Therapie mit Kreon empfohlen wurde. Der auch zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat erschienene Arzt des MDK (jetzt: Medizinischer Dienst Berlin-Brandenburg – MD) Dr. W hat bereits in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht auch für den Senat nachvollziehbar ausgeführt, dass sowohl eine exokrine Pankreasinsuffizienz als auch eine IPMN zu einem Gewichtsverlust führen könnten und in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ergänzt, dass bei Aufnahme des Versicherten im Krankenhaus eine konsumierende Erkrankung zu befürchten gewesen sei, auf die dieser konsequent untersucht worden sei. Dass diese hochqualitative auch mit apparativen Mitteln im Krankenhaus durchgeführte Ursachensuche für den erheblichen Gewichtsverlust des Versicherten sich letztlich nicht in den abzurechnenden Leistungen wiederspiegle, könne nicht durch die Kodierung einer nicht belegten Diagnose ausgeglichen werden. Eine Mangelernährung habe weder bei der Einweisung des Patienten noch im Zuge des Krankenhausaufenthalts im Fokus gestanden, obgleich die Feststellung einer solchen auch mit den Mitteln des Krankenhauses ohne großen Aufwand möglich gewesen wäre. Im Hinblick auf die bei Einlieferung bestehende Exsikkose und dem unverzüglich begonnenen Zuführen von Flüssigkeit (Jono Infusionslösung; insgesamt ca. 6 l), könne der Gewichtsverlust jedenfalls anteilig auch auf den Flüssigkeitsverlust zurückzuführen sein; bei dieser Sachlage sei auch die für eine Mangelernährung bei normalem BMI erforderliche Voraussetzung eines Gewichtsverlustes von 10 v.H. in 3-6 Monaten nicht gegeben. Das mit dem Datum 8. Juli 2015 dokumentierte Screening habe keine weiteren Folgen gehabt. Weder eine Diätassistentin bzw. ein Diätassistent noch eine Ökotrophologin bzw. ein Ökotrophologe seien mit dem Ernährungszustand befasst worden. Dass der Patient zu wenig esse, sei genauso wenig festgestellt worden wie sein konkreter Bedarf an Kalorien, Eiweiß und Vitaminen, ein Ernährungsplan sei nicht aufgestellt worden, eine Anamnese zur Mangelernährung habe nicht stattgefunden.

 

Zwar hat der ebenfalls in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erschienene Chefarzt der Inneren Abteilung des Klägers, Herr Prof. Dr. B, der nach Angabe des Klägers auch Ernährungsmediziner sei, ausgeführt, die Tools und Marker zur alleinigen Diagnose der Mangelernährung seien zu unspezifisch. Die Epikrise im Entlassbrief entspreche hinsichtlich des Untersuchungsablaufs der laufenden ärztlichen Dokumentation. Indes kann der Senat  aus den zum Verfahren gereichten Unterlagen des Klägers, insbesondere der den Versicherten betreffenden Patientenakte, keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer nicht näher bezeichneten Energie- und Eiweißmangelernährung einschließlich einer Mangelernährung o.n.A. (E46) feststellen, die diese Diagnose zweifelsfrei bestätigen könnten. Aus dem mit dem Datum des Entlassungstages versehenen, vom Krankenhaus beim Versicherten noch durchgeführten Vorscreening ergibt sich allein, dass eine Mangelernährung bei angenommenem BMI des Versicherten von 21,4 kg, welches nach WHA-Klassifikation einem Normalgewicht entspricht, vorliegen könnte. Wann das Screening tatsächlich durchgeführt wurde und wann das in der Epikrise zum Entlassungsbericht darüber hinaus durchgeführte ausführliche Gespräch mit dem Patienten und Verwandten zum Ernährungsstatus geführt worden sei, wurde auf Nachfrage in der mündlichen  Verhandlung vor dem Senat nicht beantwortet. Nach den Hinweisen des DIMDi zu ICD-10-GM Version 2015 Mangelernährung (E40-46) soll der Grad der Unterernährung gewöhnlich mittels des Gewichtes ermittelt und in Standardabweichungen vom Mittelwert der entsprechenden Bezugspopulation dargestellt werden. Liegt nur eine Messung vor, so stützt sich die Diagnose auf Annahmen und ist ohne weitere klinische Befunde oder Laborergebnisse nicht endgültig. Liegen eine oder mehrere vorausgegangene Messungen vor, so ist eine Gewichtsabnahme bei Kindern oder Erwachsenen in der Regel ein Anzeichen für eine Mangelernährung. Dies – ein Anzeichen für eine Mangelernährung – ist nach dem Ergebnis des Screenings zwar auch hier der Fall. Beim Kläger erfolgten am 30. Juni sowie nachfolgend am 6. und 7. Juli 2015 Gewichtsmessungen, die indes eine Gewichtszunahme ergaben (70,7 kg, 71,7 kg und 71,9 kg). Bei Aufnahme in der Klinik stand der Verdacht auf eine Mangelernährung nicht erkennbar im Raum, vielmehr war der Versicherte bei Allgemeinzustandsverschlechterung exsikkiert nach ambulanter medikamentöser diuretischer Therapie. Angesichts des myelodysplastischen Syndroms erfolgte sodann weitere umfangreiche Diagnostik zur Feststellung eines malignen Geschehens. Anhaltspunkte für ernährungsspezifische Defizite hinsichtlich der Zufuhr bestimmter Nährstoffe vor oder während des stationären Krankenhausaufenthalts bestehen dagegen nicht. Vielmehr wurde in der Pflegedokumentation des Klägers unter dem Datum 4. Juli zum Punkt „Ernährung“ die Ziffer „4“ angegeben. Dies steht nach der entsprechenden tabellarischen Erläuterung für „Gute Ernährung; Isst immer die angebotenen Mahlzeiten auf. Nimmt 4 oder mehr Eiweißportionen zu sich. Isst auch manchmal zwischen den Mahlzeiten. Braucht keine Ergänzungskost. Hiernach ist zur Überzeugung des Senats eine – auch vor dem stattgehabten stationären Aufenthalt gegebene Mangelernährung – nicht nachgewiesen. Eine solche wurde bei dem Versicherten weder durch eine qualitative/quantitative Ernährungsanamnese oder ein Ernährungsprotokoll und/oder durch ein gängiges Screeningverfahren/Scores konkret erfasst; ein Proteinmangel wurde laborchemisch nicht nachgewiesen, da eine entsprechende Laboruntersuchung nicht erfolgte. Selbst wenn, wie vom Kläger sowie dem in der mündlichen Verhandlung anwesenden Chefarzt der behandelnden Abteilung nachvollziehbar geltend gemacht wird, zugestanden wird, dass der Nachweis der Mangelernährung aus Sicht des Krankenhauses nur schwer möglich sei, weil die Tools und Marker zur alleinigen Diagnose zu unspezifisch seien, und, um den klinischen Aspekt nicht der subjektiven Einschätzung zu überlassen, es nach dem Fachausschuss für ordnungsgemäße Kodierung und Abrechnung (FoKA Kodierempfehlungen) ausreichen soll, dass eine Gewichtsmessung erfolgt sowie die entsprechende Erfassung eines evaluierten Scores, ist die Diagnose der Mangelernährung nicht als gesichert anzusehen. Denn aus dem Screening auf Mangelernährung vom Entlassungstag – insofern hat der anwesende Leiter des Medizincontrollings des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat angegeben, dass das hiermit zusammenhängende technische Problem mittlerweile behoben sei – folgt allein, dass ein Ernährungsrisiko bei dem Versicherten bestanden habe. Erforderlich wäre aber zumindest eine genauere Bewertung des Ernährungszustandes des Versicherten gewesen, weil sich aus dem Score insbesondere nicht ergab, ob ein Gewichtsverlust überhaupt erheblich zu Lasten der Fett- oder Muskelmasse stattgefunden hatte, auch wenn, wie Prof. Dr. B in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, ein Gewichtsverlust in einer Größenordnung von 8 kg nicht auf die Gabe der Diuretika zurückgeführt werden könne.

 

Wie der Kläger ergänzend geltend macht, handelte es sich bei der angegebenen Malnutrition (E46) um eine Verdachtsdiagnose. Soweit er „hilfsweise“ meint, diese sei vorliegend zu kodieren, teilt der Senat diese Auffassung nicht. Eine nicht gegebene Kodierbarkeit von R63.4 (abnorme Gewichtsabnahme) folgt auch nicht aus einem den DKR immanenten Grundsatz der möglichst spezifischen Verschlüsselung (vgl. auch die Anleitung zur Verschlüsselung zu ICD-10-GM Version 2015, wonach so spezifisch wie möglich zu verschlüsseln ist, also derjenige Kode zu wählen ist, der für die dokumentierte Diagnose als der spezifischste Kode angesehen wird). Die Resteklasse R63.- (Symptome, die die Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme betreffen, wobei u.a. Mangelernährung [E40-E46] exkludiert ist) ist auch, bzw. nur dann nach ICD-10-GM Version 2015, Anleitung zu 2., zu verwenden, wenn die dokumentierte Diagnose keine hinreichende Spezifität für eine Zuordnung zu einer der spezifischeren Schlüsselnummern der übergeordneten Kategorie aufweist. So liegt es nach vorstehenden Ausführungen hier in Bezug auf die Verdachtsdiagnose Malnutrition bei dem unstreitig im Zeitpunkt der Aufnahme gegebenen Symptom der abnormen Gewichtsabnahme.

 

Verdachtsdiagnosen werden unterschiedlich kodiert, nämlich abhängig davon, ob der Patient nach Hause entlassen oder in ein anderes Krankenhaus verlegt wurde (vgl. die Hinweise zu D008b). Wurde der Patient, wie hier der Versicherte, nach Hause entlassen, sind dann, wenn zwar Untersuchungen vorgenommen, aber keine Behandlung in Bezug auf die Verdachtsdiagnose eingeleitet wurde, die/das Symptom/e zu kodieren. So liegt es hier. Nur dann, wenn eine Behandlung eingeleitet wurde und die Untersuchungsergebnisse nicht eindeutig waren, ist die Verdachtsdiagnose zu kodieren. Letzteres ist vorliegend, anders als der Kläger geltend macht, nicht der Fall. Der Kläger hat zur Überzeugung des Senats nicht nachgewiesen, dass eine Behandlung konkret in Bezug auf diese Verdachtsdiagnose eingeleitet wurde. Solches folgt auch nicht aus der Gabe der hochkalorischen Trinknahrung Fortimel.

 

Soweit ausweislich der ärztlichen Dokumentation dem Versicherten ergänzend die enterale Trinknahrung Fortimel am 1. Juli (morgens und mittags), ab dem 3. Juli 2015 3mal am Tag und seit dem 6. Juli 2015 bis zu maximal 5x über den Tag gegeben wurde bei erniedrigter Elastase im Stuhl und durchgeführter endoskopischer Diagnostik zur Abklärung des Gewichtsverlusts, kommt nach den Angaben des Herstellers Nutricia auf dessen Homepage die Gabe von Fortimel u.a. sowohl bei Mangelernährung im Alter sowie bei einer Störung der Nährstoffverwertung (Malassimilation) in Betracht, insbesondere bei einer Pankreatitis. Die Diagnose einer solchen ergibt sich indes ebenfalls aus dem Entlassungsbericht, wonach ärztlicherseits von einer – bestätigten – exokrinen Pankreasinsuffizienz ausgegangen werde, so dass dem behandelnden Hausarzt eine Pankreatin-Therapie mit Kreon empfohlen wurde. Anhaltspunkte für einen auf den Versicherten abgestimmten Ernährungsplan – weder allgemein noch in Bezug auf die Gabe Fortimel (von der Anzahl der Portionen abgesehen) – bestehen nicht. Das Screening auf Mangelernährung trägt, wie ausgeführt, das Datum des Entlassungstages. Soweit dies auf einem technischen Verarbeitungsfehler beruhte, konnte der genaue Tag für die Durchführung des Sreenings ebenso wenig in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat benannt werden wie dasjenige der durchgeführten Ernährungsanamnese einschließlich der Befragung der Angehörigen. Bei dieser Sachlage kann die ergänzende Gabe von Fortimel, die bereits seit dem 1. Juli 2015 erfolgte, als „Behandlung“ indes, wie auch in der mündlichen Verhandlung erörtert, nicht eindeutig und spezifisch der – später getroffenen – Verdachtsdiagnose Malnutrition zugeordnet werden, wie es vom Kläger indes geltend gemacht wird. Der Senat ist vielmehr, ohne dass er sich im Ermessenswege zu weiteren Ermittlungen von Amts wegen gedrängt gesehen hätte (vgl. § 103 SGG) davon überzeugt, dass die Verordnung der hochkalorischen Trinknahrung angesichts der gesamten Befundlage bei reduziertem Allgemeinzustand des Versicherten aufgrund eines multifaktoriellen Geschehens ärztlicherseits veranlasst worden ist.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung, da weder der Kläger noch die Beklagte zu den in § 183 SGG genannten Personen gehören.

 

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (vgl. § 160 Abs. 2 SGG).

 

 

Rechtskraft
Aus
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