L 37 SF 123/20 EK AS

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungsklage bei überlanger Verfahrensdauer
Abteilung
37
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 37 SF 123/20 EK AS
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Ob in den Fällen, in denen es im streitgegenständlichen Ausgangsverfahren maßgeblich um auf den Rechtsanwalt übergegangene Kostenerstattungsansprüche aus dem Widerspruchsverfahren geht, eine Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs. 4 GVG im Wege der Feststellung der Unangemessenheit der Verfahrensdauer ausreicht, hängt vom Einzelfall ab. Die von einem sich selbst vertretenden Rechtsanwalt geltend gemachten Kosten für sein Tätigwerden im Rahmen der vorprozessualen Geltendmachung eines eigenen Entschädigungsanspruchs nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG stellen keinen materiellen Nachteil dar.

Die Klage wird abgewiesen.

 

Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

 

 

Tatbestand

 

Der Kläger begehrt eine Entschädigung wegen überlanger Dauer des vor dem Landessozialgericht (LSG) zuletzt unter dem Aktenzeichen L 5 AS 1637/17 geführten Verfahrens.

 

Dem beendeten Ausgangsverfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde:

 

04.11.2014

Eingang der gegen das Jobcenter Pankow (JC) gerichteten Klageschrift des Klägers vom 01.11.2014 bei dem Sozialgericht B (SG) mit dem Begehren, das JC unter Abänderung des Kostenfestsetzungsbescheides vom 02. September 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Oktober 2014 zu verpflichten, dem Kläger nach Forderungsübergang gemäß § 9 des Beratungshilfegesetzes (BerhG) weitere Kosten des Widerspruchsführers in den Verfahren gegen die Bescheide vom 27. Dezember 2013 i.H.v. 380,80 € zu erstatten

14.11.2014

  • Registrierung unter S 59 AS 25977/14
  • Betätigung des Klageeingangs an den Kläger
  • Weiterleitung der Klageschrift an das JC mit Anforderung der Klageerwiderung sowie der Verwaltungsakten binnen einer Frist von 1 Monat
  • Streitwertfestsetzung
  • Interne Wiedervorlage (WV) 6 Wochen

15.01.2015

Eingang der sechsseitigen Klageerwiderung vom 13.01.2015 nebst Akten

02.02.2015

Weiterleitung an den Kläger zur Stellungnahme binnen 1 Monats

09.02.2015

Eingang der Stellungnahme des Klägers vom 05.02.2015

20.02.2015

  • Weiterleitung an das JC zur Kenntnisnahme
  • Verfügung in das Erörterungstermins-Fach

30.10.2015

Ladung zum Erörterungstermin am 16. Dezember 2015

16.12.2015

Durchführung des Erörterungstermins: Einverständniserklärung der Beteiligten mit einer Entscheidung des Gerichts ohne mündliche Verhandlung durch Urteil

21.12.2015

Versendung des Protokolls an die Beteiligten

15.03.2017

Urteil: Klageabweisung

20.04.2017

Beschluss: Streitwertfestsetzung

24.04.2017

Zustellung an die Beteiligten

26.04.2017

Eingang der Beschwerdeschrift des Klägers vom Vortag beim LSG

28.04.2017

  • Registrierung unter L 20 AS 883/17 NZB
  • Eingangsbestätigung an den Kläger
  • Anforderung einer Stellungnahme des JC nebst Aktenübersendung binnen 1 Monats
  • Interne WV 5 Wochen

02.06.2017

  • Erinnerung an das JC
  • Gerichtlicher Hinweis an den Kläger zur Gerichtskostenpflicht
  • Interne WV 3 Wochen

06.06.2017

Eingang der Stellungnahme des JC vom selben Tag

09.06.2017

Eingang des klägerischen Schreibens vom 07.06.2017: Bezifferung des Streitwerts

12.06.2017

  • Weiterleitung der Stellungnahme des JC an den Kläger zur freigestellten Stellungnahme
  • Interne WV 6 Wochen

13.06.2017

Eingang der Stellungnahme des JC zum Streitwert vom 08.06.2017

16.06.2017

Weiterleitung des klägerischen Schreibens vom 07.06.2017 an das JC zur Kenntnisnahme

27.06.2017

Weiterleitung des Schriftsatzes des JC vom 08.06.2017 an den Kläger zur Kenntnisnahme

01.08.2017

Beschluss: Zulassung der Berufung

07.08.2017

Registrierung der Berufung unter L 20 AS 1637/17

Mitteilung des neuen Aktenzeichens an die Beteiligten

09.08.2017

Eingang des klägerischen Schreibens vom Vortag: Bezifferung des Streitwerts nebst kurzer Begründung der Berufung

22.08.2017

Weiterleitung der Berufungsbegründung an das JC zur Stellungnahme binnen 1 Monats

05.09.2017

Eingang der Berufungserwiderung vom 31.08.2017

12.09.2017

Weiterleitung an den Kläger zur Stellungnahme

22.09.2017

Eingang der Stellungnahme des Klägers vom Vortag sowie einer ergänzenden dreiseitigen Berufungsbegründung

29.09.2017

Weiterleitung an das JC zur Stellungnahme binnen 1 Monats

23.10.2017

Eingang der Stellungnahme des JC vom 18.10.2017 nebst anliegender Rechtsprechung

02.11.2017

Weiterleitung an den Kläger zur Kenntnis- und freigestellten Stellungnahme

17.11.2017

Gerichtliche Anfrage bei den Beteiligten, ob das Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt wird

22.11.2017

Eingang der Einverständniserklärung des Klägers vom Vortag

01.12.2017

Eingang der Einverständniserklärung des JC vom 27.11.2017

01.12.2017

Verfügung in das Entscheidungsfach „omV“

14.12.2017

Eingang der zweiseitigen Stellungnahme des Klägers vom Vortag zum Schriftsatz des JC vom 18.10.2017

28.12.2017

  • Weiterleitung an das JC zur Kenntnis- und freigestellten Stellungnahme
  • Weiterhin Entscheidungsfach „omV“

01.09.2019

Wechsel in die Zuständigkeit des 5. Senats: L 5 AS 1637/17

06.09.2019

  • Mitteilung des neuen Aktenzeichens an die Beteiligten
  • Fortschreibung Entscheidungsfach „omV“

09.09.2019

Eingang der Verzögerungsrüge des Klägers vom selben Tag

19.12.2019

Urteil: Zurückweisung der Berufung

08.01.2020

Zustellung an den Kläger

10.01.2020

Zustellung an das JC

 

Am 24. April 2020 hat der Kläger die – dem Beklagten am 02. September 2020 zugestellte - zunächst auf Gewährung einer Entschädigung in Höhe von 1.100,00 € wegen überlanger Dauer des Berufungsverfahrens L 5 AS 1637/17 gerichtete Klage erhoben. Das Berufungsgericht sei – nachdem bereits das erstinstanzliche Verfahren 28 Monate angedauert habe – von Februar 2018 bis zur Bekanntgabe der abschließenden Entscheidung im Januar 2020, mithin 23 Monate lang, untätig gewesen. Nach Abzug der dem Gericht zuzubilligenden Vorbereitungs- und Bedenkzeit von 12 Monaten verbleibe eine entschädigungsrelevante Untätigkeit von 11 Monaten.

 

Nachdem der Beklagte auf den außergerichtlichen Entschädigungsantrag des Klägers vom 10. März 2020 den Anspruch mit außergerichtlichem Schreiben vom 17. Juni 2020 i.H.v. 900,00 € anerkannt und die entsprechende Summe auch an den Kläger gezahlt hat (Gutschrift am 07. Juli 2020), begehrt der Kläger nunmehr mit am 06. August 2020 eingegangenem Schriftsatz die Zahlung einer weiteren Entschädigung i.H.v. 200,00 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit sowie außergerichtliche Rechtsanwaltskosten i.H.v. 201,71 €.

 

Der Kläger ist der Auffassung, seine anwaltliche Tätigkeit in eigener Sache sei dem privaten und nicht dem beruflichen Bereich zuzuordnen, weshalb ihm ein Anspruch auf Zahlung der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten zustehe.

 

Der Kläger beantragt,

 

ihm wegen überlanger Dauer des vor dem Landessozialgericht  zuletzt unter dem Aktenzeichen L 5 AS 1637/17 geführten Verfahrens eine weitere Entschädigung i.H.v. 200,00 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 02. September 2020 sowie außergerichtliche Rechtsanwaltskosten i.H.v. 201,71 € zu zahlen, hilfsweise die unangemessene Dauer des Verfahrens festzustellen.

 

Der Beklagte beantragt,

 

die Klage abzuweisen.

 

Er ist der Auffassung, die entschädigungsrelevante Inaktivität habe von Februar 2018 bis Oktober 2019, mithin über 21 Kalendermonate, angedauert. In Anlehnung an die Rechtsprechung des Entschädigungssenates im Falle einer mündlichen Verhandlung sei bei Verfahren, die ohne mündliche Verhandlung entschieden würden, neben dem Entscheidungsmonat (hier Dezember 2019) für die Vorbereitung ein weiterer Monat als Aktivitätsmonat (hier November 2019) zu werten. Von den verbleibenden 21 Inaktivitätsmonaten seien nach Abzug der Vorbereitungs- und Bedenkzeit von 12 Kalendermonaten – wie bereits geschehen - 9 Monate zu entschädigen. Ein Anspruch auf Rechtshängigkeitszinsen bestehe aufgrund der Erfüllung vor Rechtshängigkeit nicht. Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten. Vorliegend habe der Kläger als Rechtsanwalt keiner Hinzuziehung eines Bevollmächtigten bedurft. Insofern dürfe nicht aus dem Blick verloren werden, dass nach § 198 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) eine „angemessene“ Entschädigung zu leisten sei. Der Gesetzgeber orientiere sich dabei an der im Bereich der Enteignungsentschädigung verwendeten Terminologie. Danach sei die Vermögenseinbuße auszugleichen, die der Ausgleichsberechtigte durch Überschreiten der Zumutbarkeitsgrenze erleide. Hingegen sei die Entschädigung nicht darauf ausgelegt, dem Anspruchsteller einen Gewinn zu bescheren. Dass die bloße Geltendmachung des Entschädigungsanspruchs für den Kläger als Rechtsanwalt eine Zumutbarkeitsschwelle überschritten haben sollte, sei zweifelhaft. Dann diene die Geltendmachung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren aber bloß der Vereinnahmung eines Gewinns aus dem Verfahren. Lediglich vorsorglich sei darauf hinzuweisen, dass der Anspruch auch der Höhe nach nicht begründet wäre. Zum einen wäre die Gebührenforderung allenfalls auf der Grundlage des begründeten Anspruchsteils zu berechnen. Zum anderen sei Umsatzsteuer nicht zu erstatten. Denn der Ausgangsrechtsstreit habe eine Forderung des Klägers auf Erstattung weiterer Verfahrenskosten in einem Widerspruchsverfahren eines Dritten, den der Kläger dort vertreten habe, betroffen. Es habe sich mithin schon im Ausgangsrechtsstreit um eine berufliche Angelegenheit des Klägers gehandelt, sodass es sich bei der Verfolgung des Anspruchs um keine umsatzsteuerbare Tätigkeit gehandelt habe. Danach ergebe sich allenfalls eine Gebührenforderung i.H.v. 124,00 €.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und auf die Akten des Ausgangsverfahrens verwiesen, die dem Senat vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.

 

Entscheidungsgründe

 

Der nach § 201 Abs. 1 GVG sowie § 202 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), jeweils in der Fassung des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (GRüGV) vom 24. November 2011 (BGBl. I, S. 2302) und des Gesetzes über die Besetzung der großen Straf- und Jugendkammern in der Hauptverhandlung und zur Änderung weiterer gerichtsverfassungsrechtlicher Vorschriften sowie des Bundesdisziplinargesetzes vom 06. Dezember 2011 (BGBl. I, S. 2554) für die Entscheidung über die Entschädigungsklage zuständige Senat konnte über diese nach § 201 Abs. 2 Satz 1 GVG i.V.m. §§ 202 Satz 2, 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem die Beteiligten hierzu unter dem 24. September 2020 bzw. 13. Januar 2021 ihr Einverständnis erteilt hatten.

 

A. Die als allgemeine Leistungsklage statthafte, auf Gewährung einer Entschädigung wegen überlanger Dauer des vor dem LSG zunächst unter dem Aktenzeichen L 20 AS 1637/17 und zuletzt unter dem Aktenzeichen L 5 AS 1637/17 geführten Verfahrens gerichtete Klage ist zulässig. Insbesondere bestehen weder an der Wahrung der gemäß § 90 SGG für die Klage vorgeschriebenen Schriftform noch an der Einhaltung der nach § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG zu wahrenden Klagefrist von sechs Monaten nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens Zweifel. Denn nachdem das streitgegenständliche Ausgangsverfahren nach Zustellung des für den Kläger am 10. Februar 2020 rechtskräftig gewordenen Urteils vom 19. Dezember 2019 beendet worden ist, hat der Kläger durch Einreichung der Klageschrift beim LSG bereits am 14. April 2020 Entschädigungsklage erhoben i.S.v. § 201 Abs. 2 Satz 1 GVG i.V.m. §§ 202 Satz 2, 90 SGG. Auf die Voraussetzungen des § 167 Zivilprozessordnung (ZPO) kommt es für die Fristwahrung nicht an (vgl. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. A. 2020, Rn. 30 zu § 202). Soweit der Kläger am 06. August 2020 (und mithin noch binnen der Frist von 6 Monaten nach Eintritt der Rechtskraft am 10. Februar 2020) die Klage um die Zinsforderung erweitert hat, ist dies nach § 201 Abs. 2 Satz 1 GVG i.V.m. §§ 202 Satz 2, 99 Abs. 3 Nr. 2 SGG unschädlich. Soweit er mit demselben Schriftsatz – und somit ebenfalls fristgemäß - auch eine Entschädigung für einen Vermögensschaden begehrt, kann dahinstehen, ob es sich um eine Klageänderung oder eine unschädliche Klageerweiterung handelt, da auch die Klageänderung fristgemäß wäre und der Beklagte sich im Übrigen eingelassen hat (§ 201 Abs. 2 Satz 1 GVG i.V.m. §§ 202 Satz 2, 99 Abs. 1 SGG). Auch die Wartefrist des § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG ist ohne Zweifel gewahrt.

 

B. Die sich unter Berücksichtigung des § 200 Satz 1 GVG zu Recht gegen das hier passivlegitimierte Land Berlin richtende Entschädigungsklage ist jedoch unbegründet. Der Kläger hat weder Anspruch auf die Zahlung einer weiteren Entschädigung wegen des erlittenen immateriellen Nachteils (hierzu unter I.) noch auf Feststellung der unangemessenen Dauer des Ausgangsverfahrens (hierzu unter II.) oder auf Zahlung einer Summe zum Ausgleich eines ihm entstandenen Vermögensschadens (hierzu unter III.).

 

I. Nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet. Für einen Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalls Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs. 4 GVG ausreichend ist (§ 198 Abs. 2 Satz 2 GVG). Eine Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur dann, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (§ 198 Abs. 3 Satz 1 GVG).

 

Der Kläger hat die Dauer des Ausgangsverfahrens ordnungsgemäß gerügt (Verzögerungsrüge vom 09. September 2019).

 

Ausgangspunkt der Angemessenheitsprüfung bildet die - in § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG definierte - Gesamtdauer des Gerichtsverfahrens von seiner Einleitung bis zu seinem rechtskräftigen Abschluss, auch wenn der Kläger seine Klage auf einen Teil des Verfahrens beschränkt hat. Nicht von Bedeutung für das Entschädigungsverfahren ist hingegen die Dauer eines Widerspruchsverfahrens (BSG, Urteil vom 03.09.2014, B 10 ÜG 12/13 R, juris Rn. 25, 27). Zu überprüfen ist damit vorliegend das mit Klageerhebung am 04. November 2014 begonnene und sich bis zur Rechtskraft des Urteils des LSG vom 19. Dezember 2019 am 10. Februar 2020 über fünf Jahre und rund drei Monate hinziehende Verfahren. Hiervon entfallen 2 Jahre und rund sechs Monate auf das zum Streitgegenstand erklärte Berufungsverfahren (Zulassung der Berufung Anfang August 2017 bis zum Eintritt der Rechtskraft Anfang Februar 2020).

 

Gemäß § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG kommt es für die Beurteilung der Verfahrensdauer auf die Umstände des Einzelfalls, insbesondere das Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritten sowie die Schwierigkeit, Komplexität und Bedeutung des Verfahrens an, wobei nicht nur die Bedeutung für den auf Entschädigung klagenden Verfahrensbeteiligten aus der Sicht eines verständigen Betroffenen von Belang ist, sondern auch die Bedeutung für die Allgemeinheit.

 

1. Das streitgegenständliche Ausgangsverfahren war zur Überzeugung des Senats von allenfalls durchschnittlicher Schwierigkeit, Bedeutung und Komplexität.

 

Die Bedeutung des Verfahrens ergibt sich dabei zum einen aus der allgemeinen Tragweite der Entscheidung für die materiellen und ideellen Interessen der Beteiligten. Zum anderen trägt zur Bedeutung der Sache im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG im Kontext des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz maßgeblich das Interesse des Betroffenen gerade an einer raschen Entscheidung bei. Entscheidend ist deshalb auch, ob und wie sich der Zeitablauf nachteilig auf die Verfahrensposition des Klägers bzw. der Klägerin und das geltend gemachte materielle Recht sowie möglicherweise auf seine/ihre weiteren geschützten Interessen auswirkt (BSG, Urteile vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/13 - Rn. 29, - B 10 ÜG 9/13 R - Rn. 31, - B 10 ÜG 12/13 R - Rn. 35, - B 10 ÜG 2/14 R - Rn. 38, jeweils zitiert nach juris).

 

Streitgegenständlich war im Ausgangsverfahren die Festsetzung höherer Kosten i.H.v. 380,80 € für die Vertretung in zwei Widerspruchsverfahren gegen zwei Bescheide des Jobcenter Pankow von Berlin, nachdem dieses bereits Kosten i.H.v. 380,80 € übernommen hatte. Der Anspruch des Widerspruchsführers auf Erstattung der Kosten des Widerspruchsverfahrens nach § 63 Abs. 1 Satz 1 des Zehnten Sozialgesetzbuchs (SGB X) war nach § 9 Abs. 2 BerhG auf den Kläger übergegangen. Der Sache kam damit aus der Sicht des insoweit maßgeblichen verständigen Betroffenen keine besondere Bedeutung zu, die es hätte rechtfertigen können, das Verfahren einer bevorzugten – und damit zu Lasten aller anderen Kläger gehenden – Erledigung zuzuführen. Eine weiterreichende Bedeutung des Ausgangsverfahrens für die Allgemeinheit ist nicht ersichtlich.

 

Die für die Verfahrensdauer weiter bedeutsame Schwierigkeit des Verfahrens ist als (allenfalls) durchschnittlich einzustufen. Eine Notwendigkeit tatsächlicher Ermittlungen bestand nicht, insbesondere wurden keine Zeugen befragt oder Sachverständigengutachten eingeholt. Eine gesteigerte Komplexität kam dem Ausgangsverfahren zur Überzeugung des Gerichts ebenso wenig zu.

 

2. Für die Entscheidung, ob eine überlange Verfahrensdauer vorliegt, sind aktive und inaktive Zeiten der Bearbeitung gegenüberzustellen. Dabei sind dem Ausgangsgericht gewisse Vorbereitungs- und Bedenkzeiten, die regelmäßig je Instanz zwölf Monate betragen, als angemessen zuzugestehen, selbst wenn sie nicht durch konkrete Verfahrensförderungsschritte als begründet und gerechtfertigt angesehen werden können. Für Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren beläuft sich die Vorbereitungs- und Bedenkzeit nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats auf sechs Monate (vgl. Urteile vom 25. Februar 2016 – L 37 SF 128/14 EK AL – juris Rn. 59 sowie vom 26. April 2018 – L 37 SF 38/17 EK AS – juris Rn. 70). Angemessen bleibt die Gesamtverfahrensdauer in Hauptsacheverfahren regelmäßig zudem dann, wenn sie den genannten Zeitraum überschreitet, aber insoweit auf vertretbarer aktiver Verfahrensgestaltung des Gerichts beruht oder durch Verhalten des Klägers oder Dritter verursacht wird, die das Gericht nicht zu vertreten hat (BSG, Urteil vom 03.09.2014 – B 10 ÜG 12/13 R – juris, Rn. 33, 54 f.). Bedeutsam ist dabei zudem, dass dann keine inaktive Zeit der Verfahrensführung vorliegt, wenn ein Kläger während Phasen (vermeintlicher) Inaktivität des Gerichts selbst durch das Einreichen von Schriftsätzen eine Bearbeitung des Vorganges durch das Gericht bewirkt. Denn eingereichte Schrift-sätze, die einen gewissen Umfang haben und sich inhaltlich mit Fragen des Verfahrens befassen, bewirken generell eine Überlegungs- und Bearbeitungszeit beim Gericht, die mit einem Monat zu Buche schlägt (BSG, Urteil vom 03.09.2014, B 10 ÜG 12/13 R, juris, Rn. 57). Weiter ist zu beachten, dass die Übersendung eines Schriftsatzes, z.B. eines Gutachtens, einer gutachtlichen Stellungnahme oder auch der Berufungserwiderung an die Beteiligten zur Kenntnis stets die Möglichkeit zur Stellungnahme beinhaltet sowie die Entscheidung des Gerichts, im Hinblick auf eine mögliche Stellungnahme zunächst nicht weitere Maßnahmen zur Verfahrensförderung zu ergreifen, grundsätzlich noch seiner Entscheidungsprärogative unterliegt und - mit Ausnahme unvertretbarer oder schlechthin unverständlicher Wartezeiten - durch das Entschädigungsgericht nicht als Verfahrensverzögerung zu bewerten ist (BSG, Urteil vom 07.09.2017 - B 10 ÜG 1/16 R - juris, Rn. 43). Schließlich ist kleinste relevante Zeiteinheit im Geltungsbereich des GRüGV stets der Kalendermonat (BSG, Urteil vom 12.02.2015 – B 10 ÜG 11/13 R – 2. Leitsatz und Rn. 34, vgl. auch Urteile vom 03.09.2014 – B 10 ÜG 12/13 R –, Rn. 29, - B 10 ÜG 9/13 R – Rn. 25, - B 10 ÜG 2/13 – Rn. 24, jeweils zitiert nach juris).

 

Übereinstimmend und insoweit zu Recht gehen die Beteiligten davon aus, dass es jedenfalls von Februar 2018 bis Oktober 2019 und damit in 21 Kalendermonaten zu Phasen der gerichtlichen Inaktivität gekommen ist.

 

Darüber hinaus ist zur Überzeugung des Senats – und insoweit entgegen der Ansicht des Beklagten – auch der Monat November 2019 (Monat vor dem Urteil vom 19. Dezember 2019) als Verzögerungsmonat zu werten. Anders als im Falle einer mündlichen Verhandlung fehlt es vorliegend an dem nach außen wirkenden Akt der Ladung und der Notwendigkeit der Einräumung eines – von der Ladungsfrist unabhängigen – zeitlichen Vorlaufs zur Berücksichtigung der Postlaufzeiten bzw. besseren Planung und Vorbereitung auch für die Beteiligten (vgl. hierzu das Senatsurteil vom 25. Februar 2016 – L 37 SF 128/14 EK AL – juris Rn. 52). Ebenso als Monat der Verzögerung zu werten ist der Monat Januar 2018. Zwar war zuvor am 14. Dezember 2017 eine zweiseitige Stellungnahme des Klägers eingegangen, die dem damaligen Beklagten 14 Tage später zur Kenntnis- und freigestellten Stellungnahme zugeleitet wurde. Mit der gleichzeitigen Fortschreibung der Verfügung „Entscheidungsfach“ hat das Ausgangsgericht jedoch deutlich gemacht, dass es seine eigenen Überlegungen zu der Rechtssache abgeschlossen hat und eine weitere Stellungnahme des damaligen Beklagten weder erwartet noch für die Entscheidung als notwendig erachtet.

 

Insgesamt ist es damit in 23 Kalendermonaten zu gerichtlicher Inaktivität gekommen.

 

3. Dies bedeutet indes nicht, dass dem Kläger eine Entschädigung für 23 Monate zustehen würde. Denn erst die wertende Gesamtbetrachtung und Abwägung aller Einzelfallumstände ergibt, ob die Verfahrensdauer die äußerste Grenze des Angemessenen deutlich überschritten und deshalb das Recht auf Rechtsschutz in angemessener Zeit verletzt hat (BSG, Urteil vom 07.09.2017 - B 10 ÜG 1/16 R - juris, Rn. 33). Dabei sind - wie bereits ausgeführt - dem Ausgangsgericht Vorbereitungs- und Bedenkzeiten von in der Regel zwölf Monaten je Instanz als angemessen zuzugestehen, falls sich nicht aus dem Vortrag eines Klägers oder aus den Akten besondere Umstände ergeben, die vor allem mit Blick auf die Kriterien des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG im Einzelfall zu einer anderen Bewertung führen (BSG, Urteile vom 03.09.2014 – B 10 ÜG 2/13 R – Rn. 48, – B 10 ÜG 2/14 R – Rn. 49 und - B 10 ÜG 12/13 R - Rn. 56, jeweils zitiert nach juris).

 

Anlass, von der Vorbereitungs- und Bedenkzeit von zwölf Monaten jeweils für das Klage- und Berufungsverfahren abzuweichen, besteht zur Überzeugung des Senats weder nach Aktenlage noch nach dem Vortrag der Beteiligten.

 

Ein Ausgleich der Verzögerungen im Berufungsverfahren durch eine etwaige nicht verbrauchte Vorbereitungs- und Bedenkzeit der ersten Instanz scheidet selbst unter weiterer Berücksichtigung einer Vorbereitungs- und Bedenkzeit für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren von sechs Monaten bereits deshalb aus, weil es im erstinstanzlichen Verfahren jedenfalls in der Zeit von März 2015 bis September 2015 (sieben Kalendermonate: Monat nach der Verfügung in das Erörterungstermins-Fach bis einschließlich des Monats vor der Ladung zum Erörterungstermin) sowie von Januar 2016 bis Februar 2017 (14 Kalendermonate: Monat nach der Durchführung des Erörterungstermins bis zum Monat vor dem die Instanz abschließenden Urteil), mithin also im Umfang von 21 Kalendermonaten zu Inaktivitätszeiten gekommen ist.

 

Es verbleibt daher bei einer entschädigungsrelevanten Überlänge des streitgegenständlichen Ausgangsverfahrens von elf Kalendermonaten.

 

4. Dies heißt jedoch nicht, dass dem Kläger eine finanzielle Entschädigung für elf Kalendermonate zusteht. Denn zwar nimmt der Senat nicht an, dass die „starke“ gesetzliche Vermutung des Eintritts eines Nachteils (vgl. § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG) widerlegt ist. Wohl aber geht er mit Blick auf die geltend gemachte Entschädigung für den erlittenen immateriellen Nachteil davon aus, dass im vorliegenden Einzelfall eine Entschädigung insoweit nicht erforderlich ist, vielmehr eine Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs. 4, Abs. 2 Satz 2 GVG ausreichend ist.

 

Diese ist gemäß § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Ob eine solche Feststellung ausreichend im Sinne von § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG ist, beurteilt sich auf der Grundlage einer umfassenden Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalls. In diese ist regelmäßig einzustellen, ob das Ausgangsverfahren für den Verfahrensbeteiligten eine besondere Bedeutung hatte, ob dieser durch sein Verhalten erheblich zur Verzögerung beigetragen hat, ob er weitergehende immaterielle Schäden erlitten hat oder ob die Überlänge den einzigen Nachteil darstellt (BT-Drucks. 17/3802 S. 20; BSG, Urteile vom 05.05.2015 - B 10 ÜG 8/14 R – juris Rn. 30 und vom 12.02.2015 - B 10 ÜG 11/13 R - juris Rn. 36; BSG, Beschluss vom 08.01.2018 - B 10 ÜG 14/17 B - juris Rn. 8; ebenso Bundesgerichtshof <BGH> Urteil vom 23.01.2014 - III ZR 37/13 - juris Rn. 62). Darüber hinaus kann es darauf ankommen, wie lange das Verfahren sich verzögert hat, ob das Ausgangsverfahren für den Verfahrensbeteiligten eine besondere Dringlichkeit aufwies oder ob diese zwischenzeitlich entfallen war (Bundesverwaltungsgericht <BVerwG> Urteil vom 11.07.2013 - 5 C 23/12 D - juris Rn. 57). Bedeutung erlangen können auch durch die überlange Verfahrensdauer erlangte Vorteile, die das Gewicht der erlittenen Nachteile aufwiegen (BVerwG, Urteil vom 12.07.2018 - 2 WA 1/17 D - juris Rn. 36).

 

Zwar ist es im Ausgangsverfahren zu einer nicht unerheblichen Überlänge von elf Kalendermonaten gekommen. Allerdings ist dem Ausgangsverfahren, in dem es, auch wenn formal der auf den Kläger übergegangene Kostenerstattungsanspruch des Mandanten im Streit stand, letztlich ausschließlich um weitere Vergütungsansprüche des Klägers i.H.v. rund 380 € ging, weder eine besondere ideelle noch eine besondere wirtschaftliche Bedeutung für den Kläger beizumessen. Zwar ist das Interesse von Rechtsanwälten an einer möglichst zügigen Durchsetzung ihrer Honoraransprüche für geleistete Tätigkeit legitim. Auch kann der Senat einen gewissen Ärger nachvollziehen, wenn sie aufgrund verzögerter Bearbeitung seitens der Gerichte lange auf ihre Vergütung warten müssen. Dennoch vermag er nicht zu erkennen, dass hier – jedenfalls typischerweise – Fallkonstellationen vorlägen, für die der Gesetzgeber die Gewährung einer finanziellen Entschädigung im Auge hatte. Mit den Regelungen der §§ 198 ff. GVG strebt dieser eine Kompensation von Verstößen gegen Grund-/Menschenrechte an, und nach seinen Vorstellungen gehört zu den zu kompensierenden immateriellen Nachteilen eines überlangen Verfahrens insbesondere die durch die Unangemessenheit der Verfahrensdauer verursachte seelische Unbill auf Seiten des Klägers (Gesetzesentwurf BT-Drucks 17/3802, S. 19). Dass Rechtsanwälte als Organe der Rechtspflege, deren beruflicher Alltag gerade vom Führen von Prozessen geprägt ist und die wissen, wie ein Verfahren vor Gericht typischerweise abläuft, durch die Dauer eines einem Kostenfestsetzungsverfahren bei einer Behörde nachfolgenden Klage-/Berufungsverfahren in auch nur annähernd vergleichbarem Maße wie juristische Laien seelisch belastet werden, dürfte in aller Regel nicht anzunehmen sein. Jedenfalls geht der Senat im vorliegenden Fall nicht davon aus, dass der Kläger vergleichbaren Belastungen ausgesetzt war. In diesem Zusammenhang ist darüber hinaus zu berücksichtigen, dass der dem letztlich geltend gemachten Vergütungsanspruch zugrunde liegenden Ausübung des Gebührenbestimmungsrechtes im Rahmen des § 14 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) in jedem Fall ein gewisser Unsicherheitsfaktor immanent ist. Ein Rechtsanwalt muss bei der Gebührenbestimmung im Rahmen des § 14 RVG wegen des ihm eingeräumten Ermessens immer damit rechnen, dass Ermessenserwägungen oder die Auslegung kostenrechtlicher Bestimmungen bei der Festsetzung durch die gegnerische Behörde oder nachfolgend im Klage-/Berufungsverfahren durch das Gericht nicht geteilt werden. Nach § 14 Abs. 1 RVG bestimmt der Rechtsanwalt bei Rahmengebühren die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers, nach billigem Ermessen. Dabei kann nach Abs. 1 Satz 2 ein besonderes Haftungsrisiko des Rechtsanwalts bei der Bemessung herangezogen werden. Ist die Gebühr – wie hier – von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (§ 14 Abs. 1 Satz 4 RVG). Der Rechtsanwalt weiß wegen der Unbestimmtheit der zu beachtenden Bemessungskriterien also von vornherein, dass die korrekte Gebührenbestimmung mit einem gewissen Unsicherheitsfaktor belastet ist und trägt von Berufs wegen das Risiko einer billigen Ermessensbetätigung. Dem Senat erschließt sich daher nicht, wie vor diesem Hintergrund eine besondere psychische Belastung bei einem Rechtsanwalt wegen der Dauer eines der Durchsetzung von Vergütungsansprüchen dienenden Verfahrens eintreten soll.

 

Dass das Verfahren für den Kläger eine erhebliche wirtschaftliche Bedeutung gehabt hätte, vermag der Senat nicht zu erkennen. Der Kläger hat als Rechtsanwalt im streitgegenständlichen Berufungsverfahren eine weitergehende Vergütung in Höhe von rund 380 € verfolgt. Davon, dass es sich hierbei um einen für ihn erheblichen, gar seine Berufsausübungsfreiheit tangierenden Betrag handeln könnte, vermag sich der Senat nicht zu überzeugen. Zwar bleibt unbestritten, dass dem Kläger wie einem Unternehmer laufende Kosten für den Betrieb (etwa in Gestalt von Personal- oder Raumkosten) anfallen, welche er durch seine Einnahmen zu decken erstrebt. Der Umstand schwankender Einnahmen sowie die Schwierigkeit, Honoraransprüche – sei es gegen Behörden, Prozessgegner oder die Mandanten – durchzusetzen, sind jedoch zunächst schlicht Teil seines unternehmerischen Risikos. Auch eine wesentliche Dringlichkeit – über das allgemeine Interesse an einer zügigen Durchsetzung von Ansprüchen hinaus – kann dem Ausgangsverfahren nach Akteninhalt nicht beigemessen werden. Darüber hinaus ist jedenfalls im hiesigen Verfahren auch zu beachten, dass der Kläger im Berufungsverfahren gerade keinen Erfolg hatte, sodass dessen Dauer auf seine wirtschaftliche Situation keinerlei Auswirkungen hatte.

 

II. Hieraus folgt jedoch kein Anspruch des Klägers auf gerichtliche Feststellung der Unangemessenheit der Verfahrensdauer. Denn zur Überzeugung des Senats ist dieser so genannte kleine Entschädigungsanspruch (vgl. BSG, Urteile vom 03.09.2014 – B 10 ÜG 2/13 R – Rn. 57 und vom 15.12.2015 – B 10 ÜG 1/15 R – Rn. 15 f., zitiert jeweils nach juris) vorliegend bereits erfüllt. 

 

Nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 198 Abs. 2 Satz 2, Abs. 4 GVG ist in den Fällen, in denen nach den Umständen des Einzelfalles die Gewährung einer Entschädigung nicht erforderlich ist, Wiedergutmachung auf andere Weise, insbesondere durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war, möglich. Die gerichtliche Feststellung stellt mithin nur eine Form der Wiedergutmachung auf andere Weise dar. Sie kann in der Praxis hingegen auf vielfältige Art erfolgen. Denkbar sind dabei verschiedene Arten einer nichtfinanziellen Genugtuung, beispielsweise der Verweis auf bereits erfolgte dienstaufsichtsrechtliche Maßnahmen, eine Aussprache beim Gerichtspräsidenten mit einer Erläuterung der Belastungssituation des Gerichts oder auch eine Entschuldigung von Seiten des Beklagten (Ott in Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, § 198 GVG Rn. 159 f. m.w.N.).

 

Vorliegend hat der Beklagte dem Kläger bereits eine Entschädigung wegen überlanger Dauer des Ausgangsverfahrens gewährt, wenn auch nicht in der vom Kläger erstrebten Höhe. Vor dem Hintergrund, dass im Rahmen der gerichtlichen Feststellung der Überlänge nicht zu konkretisieren ist, in welchem Umfang das Verfahren eine unangemessene Dauer aufweist (BSG, Urteil vom 03.09.2014 – B 10 ÜG 2/13 R – juris Rn. 56), ist mit der Anerkennung sowie Befriedigung des Anspruchs auf finanzielle Entschädigung der „kleine Entschädigungsanspruch“ mit erfüllt. Der Senat vermag keinen Grund zu erkennen, der es erfordern könnte, darüber hinaus nunmehr auch noch gerichtlich festzustellen, dass das Verfahren eine unangemessene Dauer aufwies. Dass dies für den Kläger einen im hiesigen Verfahren beachtenswerten Mehrwert haben sollte, ist für den Senat nicht erkennbar.

 

III. Der Kläger hat darüber hinaus auch keinen Anspruch aus § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG auf Zahlung von Rechtsanwaltskosten für die vorgerichtliche Geltendmachung des Entschädigungsanspruchs gegenüber dem Beklagten. Zwar können die für die vorprozessuale Verfolgung des Entschädigungsanspruchs angefallenen Anwaltskosten grundsätzlich eine Vermögenseinbuße und damit einen materiellen Nachteil im Sinne des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG darstellen. Dies allerdings nur, soweit sie notwendig waren (vgl. insoweit BVerwG, Urteil vom 27.02.2014 - 5 C 1/13 D - juris, Rn. 40, unter Bezugnahme auf BT-Drs. 17/3802, S. 19; BGH, Urteil vom 23.01.2014 – III ZR 37/13 - juris Rn. 48, 50: zur Wahrnehmung der Rechte erforderlich und zweckmäßig; siehe auch Röhl in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. A. 2017, § 198 GVG, Rn. 108). Anspruchsgrundlage für den Erstattungsanspruch eines Klägers, der Mandant eines Rechtsanwaltes ist, ist gegenüber dem beklagten Land unmittelbar § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG (vgl. auch Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG, 24. A. 2019, Rn. 244 zu § 1), während der Rechtsanwalt einen Vergütungsanspruch gegen seinen Mandanten – den Kläger – aus Vertrag hat. Maßgeblich ist für die Feststellung der Notwendigkeit die ex ante-Sicht einer vernünftigen, wirtschaftlich denkenden Person (vgl. BGH, Urteil vom 17. September 2015 – IX ZR 280/14 – juris Rn. 8; BGH, Beschluss vom 31. Januar 2012 - VIII ZR 277/11 -, NZM 2012, 607 Rn. 4). Hierbei geht der BGH davon aus, dass etwa eine erste Leistungsaufforderung gegenüber einer Versicherung in einem einfach gelagerten Schadensfall grundsätzlich vom Geschädigten ohne Einschaltung eines Anwalts zu erfolgen hat (BGH, Urteil vom 11. Juli 2017 – VI ZR 90/17 – juris 12; Müller-Rabe a.a.O. Rn. 263, 270). Verfügt der Geschädigte über eigene Fachkenntnisse und Erfahrungen, muss er diese in zweifelsfreien Fällen bei der erstmaligen Geltendmachung eines Schadens einsetzen (BGH, Urteil vom 12. Dezember 2006 – VI ZR 175/05 – juris Rn. 11).

 

Vertritt ein Rechtsanwalt sich selbst, ist bereits fraglich, ob überhaupt eine Vermögenseinbuße bzw. Schaden des Klägers/Rechtsanwaltes vorliegt. Denn im Gegensatz zu der Konstellation Rechtsanwalt – Kläger/Mandant – Beklagter fehlt es an einer vom Kläger gegenüber dem Rechtsanwalt vertraglich geschuldeten Vergütung. Der Kläger/Rechtsanwalt schuldet nicht sich selbst eine Vergütung. Allenfalls könnte ein Vermögensnachteil in dem Fall in Frage kommen, dass aufgrund der Tätigkeit in eigener Sache ein anderes Mandat hätte abgelehnt werden müssen. Hierfür ist vorliegend allerdings nichts ersichtlich. Darüber hinaus fehlt es aber – einen Vermögensnachteil grundsätzlich unterstellt – an der Notwendigkeit der Rechtsanwaltskosten im oben genannten Sinne. Zwar ist umstritten, ob in dem Fall, in dem sich der Rechtsanwalt - wie hier – außergerichtlich selbst vertritt, auf dessen eigene Sachkunde abzustellen ist (vgl. etwa BGH, Urteil vom 06. Mai 2004 – I ZR 2/03 – juris Rn. 10ff; Bundesarbeitsgericht <BAG>, Beschluss vom 27. Juli 1994 – 7 ABR 10/93 – juris Rn. 38; zum Streitstand auch: Pankatz in Riedel/Sußbauer, RVG, 10. A. 2015, Rn 178 zu § 1). Die Regelung des § 91 Abs. 2 Satz 3 ZPO kann für die außergerichtliche Tätigkeit des Anwalts in eigener Sache jedenfalls nicht herangezogen werden (BGH, Urteil vom 06. Mai 2004 a.a.O. Rn. 14). Letztlich kann hier aber dahin stehen, ob im vorliegenden Fall auf die konkrete Sachkunde des Klägers als Rechtsanwalt oder eine vernünftige, wirtschaftlich denkende Person abzustellen ist. Denn bei dem vorliegenden Fall – erste außergerichtliche Geltendmachung eines Entschädigungsanspruchs für ein objektiv langes und tatsächlich auch überlanges Gerichtsverfahren bei einem überschaubaren Sachverhalt und weitgehend geklärter obergerichtlicher Rechtsprechung zu den Voraussetzungen eines Entschädigungsanspruchs – war auch für einen vernünftigen Laien die Heranziehung eines Rechtsanwaltes nicht erforderlich. Vielmehr wäre einem vernünftigen Laien zuzumuten gewesen – wie bei einer ersten Geltendmachung eines Anspruchs gegenüber seiner Versicherung -, sich ohne anwaltliche Hilfe direkt an das beklagte Land, ggf. über das Ausgangsgericht, zu wenden. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass die vorgerichtliche Geltendmachung zwar zur Reduktion des Kostenrisikos in einem eventuell nachfolgenden Prozess sinnvoll sein mag (BVerwG, Urteil vom 17. August 2017 – 5 A 2/17 D – juris Rn 43), jedoch das Durchlaufen eines solchen vorprozessualen Verfahrens im Gegensatz zu dem im SGG oder in der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) vorgeschriebenen Widerspruchsverfahren gerade keine Bedingung für die Zulässigkeit einer Entschädigungsklage ist. Zur Minimierung des Kostenrisikos wiederum ist es ausreichend, den Anspruch unter Hinweis auf die aus Sicht des Anspruchstellers vorhandene Überlänge zu benennen, weitergehender juristischer Ausführungen bedarf es hierfür nicht. Entscheidend für die Reduzierung des Kostenrisikos in einem späteren Klageverfahren ist nämlich allein, dass das (später beklagte) Land sich zu dem geltend gemachten Entschädigungsanspruch äußert. Etwas anderes ergibt sich auch nicht bei Heranziehung des Rechtsgedankens des § 1835 Abs. 3 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB] (siehe etwa § 1 Abs. 2 Satz 3 RVG). Danach kann ein Vormund Ersatz seiner Aufwendungen verlangen; als solche gelten auch Dienste, die zu seinem Gewerbe oder Beruf gehören. § 1835 Abs. 3 BGB ist zu entnehmen, dass ein Dritter nicht davon profitieren soll, dass der Rechtsanwalt eine Tätigkeit selbst vornimmt, für die ein juristischer Laie in gleicher Lage sich vernünftigerweise eines Rechtsanwaltes bedienen würde (vgl. Müller-Rabe a.a.O. Rn. 278; Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Beschluss vom 21. Oktober 2020 – 5 W 14/20 – juris Rn. 6). Ein juristischer Laie in gleicher Lage hätte sich wiederum – wie bereits dargelegt - angesichts der geringen Anforderungen an eine solche mit einer Geltendmachung eines Schadens bei einer Versicherung vergleichbaren Anmeldung eines Entschädigungsanspruchs bei dem beklagten Land - auch zur Minimierung seiner Kosten – weder eines Rechtsanwaltes bedienen müssen noch bedient.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung.

 

Anlass, die Revision nach §§ 160 Abs. 2, 202 Satz 2 SGG, 201 Abs. 2 Satz 3 GVG zuzulassen, bestand nicht.

Rechtskraft
Aus
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