L 37 SF 271/19 EK AS

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungsklage bei überlanger Verfahrensdauer
Abteilung
37
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 37 SF 271/19 EK AS
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

§§ 198 ff GVG i.d.F. des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (GRüGV). Für eine Untätigkeitsklage nach § 88 SGG steht dem Gericht eine Vorbereitungs- und Bedenkzeit von i.d.R. sechs Monaten zu.

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger zu 1 wegen überlanger Dauer des vor dem Sozialgericht Potsdam unter dem Aktenzeichen S 45 AS 1235/15 geführten Klageverfahrens eine Entschädigung in Höhe von 2.700,00 € zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 11. Dezember 2020 zu zahlen.

 

Es wird festgestellt, dass das vor dem Sozialgericht Potsdam unter dem Aktenzeichen S 45 AS 2098/15 geführte Klageverfahren eine unangemessene Dauer aufgewiesen hat.

 

Im Übrigen werden die Klagen abgewiesen.

 

Der Beklagte trägt ein Drittel, die Kläger tragen zwei Drittel der Kosten des Rechtsstreits.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

Tatbestand

 

Die Kläger begehren Entschädigungen wegen überlanger Dauer des vor dem Sozialgericht Potsdam (SG) unter dem Aktenzeichen S 45 AS 1235/15 geführten Verfahrens. Der Kläger zu 1 begehrt darüber hinaus eine Entschädigung wegen überlanger Dauer des vor dem SG unter dem Aktenzeichen S 45 AS 2098/15 geführten Verfahrens.

 

Den beendeten Ausgangsverfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde:

 

S 45 AS 1235/15

26.06.2015

Eingang der auf die Verurteilung des JobCenters Teltow-Fläming (JC), über den Widerspruch der Kläger M N und A-M N sowie der M N gegen die Leistungsbescheide vom 10.12.2014 (Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch <SGB II> nur für den Kläger zu 1 für Dezember 2014 sowie vorläufig für Januar bis Mai 2015) unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gericht zu entscheiden, gerichteten Klageschrift der Prozessbevollmächtigten (PV) vom selben Tag

02.07.2015

  • Gerichtliche Eingangsbestätigung an die PV der Kläger
  • Aufforderung des JC zur Klageerwiderung und Aktenübersendung binnen 4 Wochen
  • interne Wiedervorlage (WV) 6 Wochen

13.08.2015

Erinnerung an das JC mit einer Frist von 2 Wochen

28.08.2015

Eingang der Klageerwiderung des JC vom 26.08.2015 unter Beifügung eines Widerspruchsbescheides vom 24.03.2015:

Es liege keine Untätigkeit vor, denn mit Widerspruchsbescheid vom 24.03.2015 sei über den Widerspruch bereits entschieden worden. Da der Widerspruch sich nur gegen den Zeitraum ab Januar 2015 gerichtet habe, werde die Klage als Überprüfungsantrag betreffend den Monat Dezember 2014 gewertet.

16.09.2015

  • Weiterleitung an die PV der Kläger zur Stellungnahme binnen 4 Wochen
  • interne WV 6 Wochen

14.10.2015

  • Erinnerung an die PV der Kläger
  • interne WV 4 Wochen

21.10.2015

Eingang des Schriftsatzes der PV der Kläger vom 19.10.2015, mit welchem vorgetragen wird, sie hätten den Widerspruchsbescheid erstmals erhalten aufgrund der Übersendung durch das SG mit Posteingang bei den PV am 19.09.2015. Im Übrigen sei der Widerspruch nicht beschränkt gewesen.

10.11.2015

Weiterleitung an das JC zur Stellungnahme binnen 4 Wochen

18.12.2015

Eingang der Stellungnahme des JC vom 16.12.2015, mit der weiter die Auffassung vertreten wird, der Widerspruch sei beschränkt gewesen.

23.12.2015

Weiterleitung an die PV der Kläger zur Stellungnahme binnen 3 Wochen

21.01.2016

Eingang der Stellungnahme der PV der Kläger vom 20.01.2016, in welcher sich diese der Auffassung des JC weiterhin nicht anschließen können.

16.02.2016

  • Weiterleitung an das JC zur Stellungnahme binnen 4 Wochen
  • interne WV 6 Wochen

29.03.2016

  • Erinnerung an das JC mit Frist von 2 Wochen
  • interne WV 3 Wochen

19.04.2016

  • Erinnerung an das JC mit Frist von 2 Wochen
  • interne WV 3 Wochen

11.05.2016

Verfügung in das Sitzungs-Fach

15.07.2016

Eingang der Stellungnahme des JC vom 12.07.2016, in welcher Bezug genommen wird auf den beigefügten Überprüfungsbescheid betreffend den Monat Dezember 2014 vom 16.12.2015. Es bestünden ferner keine Einwände gegen eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid.

04.08.2016

  • Weiterleitung an die PV der Kläger zur Kenntnisnahme
  • Verfügung in das Sitzungs-Fach

20.09.2017

Eingang der Verzögerungsrüge vom 13.09.2017

10.10.2017

  • Erfassung der Verzögerungsrüge
  • Fortschreibung Sitzungs-Fach

29.11.2018

Eingang der Verzögerungsrüge vom Vortag

09.01.2019

  • Weiterleitung an das JC zur Kenntnisnahme
  • Fortschreibung Sitzungs-Fach

16.04.2019

Ladung zur mündlichen Verhandlung auf den 16.05.2019

16.05.2019

Durchführung der mündlichen Verhandlung: Abgabe eines Anerkenntnisses des JC betreffend den Kläger zu 1 und Leistungen für den Monat Dezember 2014, Annahme dieses Anerkenntnisses und Rücknahme der Klage für die Klägerinnen

 

S 45 AS 2098/15

19.10.2015

  • Eingang der Klageschrift der PV im Namen der Kläger sowie der M N vom selben Tag, mit welcher sich diese gegen den Bescheid des JC vom 10.12.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.03.2015 wenden und die Bewilligung höherer monatlicher Leistungen nach dem SGB II für die Zeit von Januar bis Mai 2015 für den Kläger zu 1 begehren
  • Antrag auf Akteneinsicht

16.11.2015

Eingang des PKH-Antrags vom 12.11.2015 mit Unterlagen sowie der Vollmacht

01.12.2015

(richterliche Verfügung vom 26.10.2015)

  • Eingangsbestätigung an die PV der Kläger und Anforderung der Klagebegründung binnen 4 Wochen nach Akteneinsicht
  • Anforderung der Prozessvollmacht im Original binnen 2 Wochen
  • Anforderung der Verwaltungsakten vom JC binnen 2 Wochen

22.12.2015

Eingang der aktualisierten Verwaltungsakte

13.01.2016

Übersendung der Verwaltungsakten zur Akteneinsicht an die PV der Kläger für 2 Wochen

15.01.2016

Eingang der Verwaltungsakten bei den PV

01.02.2016

Rücklauf der Verwaltungsakten und Ankündigung der Klagebegründung zum 26.02.2016

29.02.2016

Eingang des Schriftsatzes der PV der Kläger vom 26.02.2016 mit der Bitte um Fristverlängerung bis zum 18.03.2016

18.03.2016

Eingang des Schriftsatzes der PV der Kläger vom selben Tag mit Bitte um Fristverlängerung bis zum 08.04.2016

19.04.2016

Verfristung um 4 Wochen

01.06.2016

Erinnerung an die PV der Kläger

13.06.2016

Eingang der Klagebegründung vom 07.06.2016:

  • Antrag, den Bescheid vom 10.12.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.03.2015 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 12.05.2016 zu ändern und dem Kläger zu 1 für die Zeit vom 01.01. bis zum 31.05.2015 weitere Leistungen i.H.v. monatlich 98,29 € zu bewilligen
  • Rücknahme der Klage für die Klägerin zu 2 und M N

08.07.2016

  • Weiterleitung an das JC zur Stellungnahme binnen 4 Wochen
  • interne WV 6 Wochen

18.08.2016

Verfristung um 2 Wochen „(Stelln.?)“

31.08.2016

  • Erinnerung an das JC mit Frist von 3 Wochen
  • interne WV 4 Wochen

28.09.2016

  • erneute Erinnerung des JC
  • interne WV 4 Wochen

26.10.2016

PKH-Beschluss

10.11.2016

  • Erinnerung an das JC
  • Fertigung und Absendung des PKH-Beschlusses
  • Verfügung in das Sitzungs-Fach

13.02.2017

Eingang der Klageerwiderung des JC vom 09.02.2017: Es wird bestritten, dass die Heizung des Klägers Strom benötigt

17.02.2017

Weiterleitung an die PV der Kläger mit Bitte um Stellungnahme binnen 6 Wochen und Vorlage von Nachweisen für die behauptete Warmwasserbereitung über Boiler und den behaupteten Stromverbrauch für den Startvorgang der Heizanlage

21.03.2017

Eingang des Schreibens der PV vom 17.03.2017 mit Übersendung von Lichtbildern und Antrag auf Inaugenscheinnahme

29.03.2017

  • Weiterleitung an das JC zur Stellungnahme binnen 4 Wochen
  • interne WV 6 Wochen

11.05.2017

  • Erinnerung an das JC
  • interne WV 4 Wochen

08.06.2017

  • Erinnerung an das JC
  • interne WV 4 Wochen

22.06.2017

  • Eingang der Stellungnahme des JC vom 20.06.2017: Mehrbedarf für Warmwasseraufbereitung i.H.v. 8,28 € kann nunmehr berücksichtigt werden
  • Berücksichtigung der monatlichen Stromkosten für den Betrieb der Heizung nach wie vor ungeklärt
  • Der Mehrbedarf für das Merkzeichen „G“ bei der Ehefrau des Klägers M N (im Ausgangsverfahren ehemals Klägerin zu 2) i.H.v. 61,20 € monatlich kann berücksichtigt werden
  • Es errechnet sich ein Nachzahlungsbetrag i.H.v. monatlich 73,08 € für den Kläger zu 1 für den streitigen Zeitraum
  • Bereitschaft zur Übernahme der notwendigen außergerichtlichen Kosten zu 50 % für den Kläger zu 1
  • Bitte, gegebenenfalls richterlichen Hinweis zu erteilen

13.07.2017

Weiterleitung an die PV der Kläger zur Stellungnahme binnen 4 Wochen verbunden mit der Anfrage, ob eine prozessbeendende Erklärung abgegeben wird

17.08.2017

Eingang der Stellungnahme der PV der Klägers vom Vortag:

  • Wohngebäudeversicherung bisher unberücksichtigt
  • Nachzahlbetrag erschließt sich nicht, Kläger zu 1 ermittelt 84,96 €
  • Da kein Anerkenntnis erklärt worden ist, kann prozessbeendende Erklärung nicht abgegeben werden

23.08.2017

  • Weiterleitung an das JC zur Stellungnahme binnen 4 Wochen
  • interne WV 6 Wochen

18.10.2017

  • Erinnerung an das JC mit Frist von 3 Wochen
  • interne WV 4 Wochen

22.11.2017

  • Erinnerung an das JC
  • interne WV 4 Wochen

05.12.2017

Verfristung um 8 Wochen

30.01.2018

Verfügung in das Sitzungs-Fach

26.02.2018

Eingang des Schreibens des JC vom 22.02.2018: Eine weitere Stellungnahme wird als nicht zielführend angesehen.

27.02.2018

Verfügung in das Sitzungs-Fach

08.03.2018

Aktenvermerk: Ladung zum 19. April nicht möglich, da PV bereits in anderer Kammer geladen ist

12.04.2018

Gerichtliche Mitteilung an die PV der Kläger, dass das Verfahren zur Erörterung vorgemerkt ist, unter Beifügung des Schreibens des JC vom 22.02.2018 zur Kenntnisnahme, verbunden mit der Bitte um Mitteilung von näheren Daten zur Heizung

11.05.2018

Eingang des Schreibens der PV vom 04.05.2018 mit näheren Daten zur Heizung sowie beigefügten Fotos

23.05.2018

  • Weiterleitung an das JC zur Kenntnisnahme
  • „zF 1902/16“

06.06.2018

Verfügung in das Sitzungs-Fach

20.11.2018

Eingang der Verzögerungsrüge vom 19.11.2018

09.01.2019

  • Weiterleitung an das JC zur Kenntnisnahme
  • Erfassung der Verzögerungsrüge
  • Fortschreibung Sitzungs-Fach

16.04.2019

Ladung zur mündlichen Verhandlung am 16.05.2019

16.05.2019

  • Durchführung der mündlichen Verhandlung
  • Abgabe eines Anerkenntnisses seitens des JC für den Kläger zu 1 (weitere Leistungen für die Monate Januar bis Mai 2015)
  • Annahme des Anerkenntnisses und Erledigungserklärung seitens des Klägers zu 1

 

Nachdem der Beklagte es im Rahmen eines außergerichtlichen Verfahrens abgelehnt hatte, den Klägern ihren Anträgen vom 21. und 24. Mai 2019 entsprechend die von ihnen geforderte Entschädigung zu gewähren, haben die Kläger am 15. November 2019 Klage vor dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (LSG) erhoben und beantragt, die Überlänge der vor dem SG unter den Aktenzeichen S 45 AS 1235/15 und S 45 AS 2098/15 geführten Verfahren festzustellen, den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger zu 1 eine Entschädigung i.H.v. mind. 4.300,00 € für die Überlänge der genannten Verfahren zu zahlen, an die Klägerin zu 2 eine Entschädigung i.H.v. mindestens 3.400,00 € für die Überlänge des unter dem Aktenzeichen S 45 AS 1235/15 geführten Verfahrens zu zahlen sowie schließlich die Kläger von den Rechtsanwaltskosten für die außergerichtliche Geltendmachung der Entschädigungsansprüche freizustellen.

Das Verfahren S 45 AS 1235/15 sei im Zeitraum von Februar 2016 bis März 2019 mit Ausnahme des Monats März 2018 gerichtlich nicht betrieben worden. Die gerichtliche Inaktivität belaufe sich somit auf 37 Kalendermonate. Da die Untätigkeitsklage dem Charakter nach einem Eilverfahren ähnlich sei, sei dem Gericht eine Vorbereitungs- und Bedenkzeit lediglich im Umfang von 3 Kalendermonaten zuzugestehen, sodass letztlich 34 Kalendermonate zu entschädigen seien.

In dem Verfahren S 45 AS 2098/15 beliefen sich die in den staatlichen Verantwortungsbereich fallenden und zu entschädigenden Verzögerungen auf letztlich 9 Kalendermonate. Der Staat sei verpflichtet, alle notwendigen Maßnahmen zu treffen, damit Gerichtsverfahren innerhalb angemessener Frist beendet werden könnten. Insofern möge es noch sachgerecht sein, wenn das Gericht an eine Stellungnahme zur Klageerwiderung gegebenenfalls auch mehrfach erinnere. Wenn jedoch jegliche Stellungnahme des Beklagten nur nach wiederholten Erinnerungen des Gerichts abgegeben werde und sich alleine die hierdurch entstehenden Verzögerungen auf mindestens 13 Kalendermonate beliefen, sei dies nicht mehr angemessen. Daher werde hier ein Abschlag von 4 Kalendermonaten berücksichtigt. Soweit im November 2015 und Oktober 2016 im Rahmen der Bearbeitung des PKH-Antrags in dem Ausgangsverfahren Unterlagen eingegangen seien bzw. eine Entscheidung ergangen sei, ergebe sich hieraus keine Aktivität im Hauptsacheverfahren. Denn diesem sei dadurch kein Fortgang gegeben worden. Das Hauptsacheverfahren hätte vielmehr neben der Bearbeitung des PKH-Antrags weiter betrieben werden können und müssen. Dem Kläger zu 1 stehe damit eine Entschädigung i.H.v. insgesamt mindestens 4.300,00 € (3.400,00 € für das Verfahren S 45 AS 1235/15 sowie 900,00 € für das Verfahren S 45 AS 2098/15) und der Klägerin zu 2 i.H.v. mindestens 3.400,00 € zu. Daneben habe der Beklagte auch die entstandenen Kosten für die rechtsanwaltliche Vertretung im Rahmen der außergerichtlichen Geltendmachung der Entschädigung – hier 892,04 € für beide Kläger – zu tragen.

 

Nachdem der Senat dem Kläger zu 1 mit Beschluss vom 24. Juni 2020 PKH für seine auf Verurteilung des Beklagten zur Zahlung einer Entschädigung wegen unangemessener Dauer der vor dem SG unter den Aktenzeichen S 45 AS 1235/15 sowie S 45 AS 2098/15 geführten Verfahren in Höhe von insgesamt 4.013,64 € (3.000,00 € für das Verfahren S 45 AS 1235/15, 600,00 € für das Verfahren S 45 AS 2098/15 sowie 413,64 € Rechtsanwaltskosten) gerichtete Klage gewährt hatte, hat der Kläger zu 1 seine Klage teilweise zurückgenommen.

 

Die Klage ist dem Beklagten am 11. Dezember 2020 zugestellt worden.

 

Die Kläger machen ergänzend geltend, eine Aktivität im PKH-Verfahren sei nicht als Aktivität in der Hauptsache zu werten. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei anders zu verstehen als dies der Senat tue. Das Bundessozialgericht habe auf einen im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren ergangenen Beschluss des Bundesgerichtshof vom 12. Juli 2016 verwiesen. Daraus ergebe sich, dass Verzögerungen im PKH-Verfahren nicht zu Verzögerungen im Hauptsacheverfahren führen dürfen. Im Übrigen hätte das Gericht nach Eingang des PKH-Antrages auch nichts prüfen können, da noch gar keine Klagebegründung vorlag. Eine Prüfung der wirtschaftlichen Voraussetzungen wäre wohl noch verfrüht gewesen. Schließlich stelle sich im vorliegenden Fall die Inanspruchnahme von Rechtsanwälten zur außergerichtlichen Geltendmachung des Entschädigungsanspruchs als notwendig dar. Die Kläger wären hierzu nicht in der Lage gewesen. Sie hätten nicht gewusst, an wen sie sich wenden müssten. Zu beachten sei, dass die Klage fristgebunden sei. Schließlich seien die Sachen rechtlich schwierig, sodass es anwaltlicher Beratung bedürfe.

 

Die Kläger beantragen noch,

 

den Beklagten zu verurteilen,

  1. dem Kläger zu 1 wegen überlanger Dauer der vor dem Sozialgericht Potsdam unter den Aktenzeichen S 45 AS 1235/15 und S 45 AS 2098/15 geführten Verfahren eine Entschädigung in Höhe von insgesamt mindestens 3.600,00 € zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen,
  2. der Klägerin zu 2 wegen überlanger Dauer des vor dem Sozialgericht Potsdam unter dem Aktenzeichen S 45 AS 1235/15 geführten Verfahrens eine Entschädigung in Höhe von mindestens 3.400,00 € zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen,
  3. den Klägern die ihnen durch die Beauftragung eines Rechtsanwaltes zur außergerichtlichen Geltendmachung des Entschädigungsanspruchs entstandenen Kosten in Höhe von 729,23 € zu zahlen sowie
  4. hilfsweise die überlange Dauer der vor dem Sozialgericht Potsdam unter den Aktenzeichen S 45 AS 1235/15 und S 45 AS 2098/15 geführten Verfahren festzustellen.

 

Der Beklagte beantragt,

 

die Klage abzuweisen.

 

Der Beklagte meint, die Kläger hätten keinen Entschädigungsanspruch. In dem Ausgangsverfahren S 45 AS 2098/15 sei das Gericht lediglich in den Monaten Januar und Februar 2018 sowie Juli 2018 bis März 2019, mithin in insgesamt 11 Kalendermonaten, inaktiv gewesen, sodass nach Abzug der vom Kläger zu 1 hinzunehmenden Vorbereitungs- und Bedenkzeit von 12 Kalendermonaten keine zu entschädigende Verzögerung verbleibe. Das Ausgangsverfahren S 45 AS 1235/15 sei zwar tatsächlich von September 2016 bis März 2019 nicht betrieben worden. Allerdings sei das Verfahren im Zusammenhang mit dem parallelen Klageverfahren S 45 AS 2098/15 zu sehen. Auch wenn es sich bei dem Ausgangsverfahren S 45 AS 1235/15 ursprünglich um eine Untätigkeitsklage gehandelt habe, habe der Kläger zu 1 inhaltlich in beiden Ausgangsverfahren materiell-rechtlich höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts begehrt und zwar gemäß der Ausgangsbescheidlage lediglich getrennt für den Zeitraum Dezember 2014 (S 45 AS 1235/15) sowie Januar bis Mai 2015 (S 45 AS 2098/15). Bei der abschließenden mündlichen Verhandlung hätten die Beteiligten dann ausdrücklich die Ergebnisse und Ausführungen aus dem parallelen Rechtsstreit berücksichtigen und aufgrund dessen auch das Ausgangsverfahren S 45 AS 1235/15 gütlich beilegen können. Dieses Zuwarten auf Ergebnisse oder Ermittlungen in einem parallelen Verfahren sei als Zeit der aktiven Bearbeitung anzusehen. Von einer Verzögerung könne mithin nicht ausgegangen werden, zumal auch das parallele Klageverfahren S 45 AS 2098/15 nicht verzögert gewesen sei.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und auf die Akten des Ausgangsverfahrens verwiesen, die dem Senat vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.

 

Entscheidungsgründe

 

Die Klage ist zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.

 

A. Die als allgemeine Leistungsklage statthafte, auf Gewährung von Entschädigungen wegen überlanger Dauer der vor dem Sozialgericht Potsdam unter den Aktenzeichen S 45 AS 1235/15 und S 45 AS 2098/15 geführten Verfahren gerichtete Klage ist zulässig. Insbesondere bestehen weder an der Wahrung der gemäß § 90 Sozialgerichtsgesetz (SGG) für die Klage vorgeschriebenen Schriftform noch an der Einhaltung der nach § 198 Abs. 5 Satz 2 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) zu wahrenden Klagefrist von sechs Monaten nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens Zweifel.

 

B. Die sich unter Berücksichtigung des § 200 Satz 1 GVG zu Recht gegen das hier passivlegitimierte Land Brandenburg richtende Entschädigungsklage ist auch in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Der Kläger zu 1 hat Anspruch auf eine Entschädigung wegen des erlittenen immateriellen Nachteils, nicht jedoch zum Ausgleich des ihm entstandenen Vermögensschadens. Die Klage der Klägerin zu 2 hat keinen Erfolg.

 

I. Die Kläger sind aktivlegitimiert, ohne dass es hier darauf ankäme, ob sie aktuell, zu irgendeinem Zeitpunkt während des Entschädigungsverfahrens oder während der Dauer des streitgegenständlichen Ausgangsverfahrens (noch) Leistungen nach dem SGB II bezogen haben. Denn zur Überzeugung des Senats gehen Ansprüche nach § 198 GVG jedenfalls während eines Entschädigungsklageverfahrens nicht gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB II auf den Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende über (vgl. ausführlich: Senatsurteil vom 25.01.2018 – L 37 SF 69/17 EK AS – juris Rn. 24 ff.; a.A. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 22.09.2016 – L 15 SF 21/15 EK AS – juris Rn. 18 ff.).

 

II. Die Voraussetzungen für die Gewährung einer Entschädigung liegen jedoch nur vor, soweit es den Kläger zu 1 betrifft.

 

Nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet. Für einen Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalls Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs. 4 GVG ausreichend ist (§ 198 Abs. 2 S. 2 GVG). Eine Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur dann, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (§ 198 Abs. 3 Satz 1 GVG).

 

Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die Kläger haben am 20. September 2017 und 29. November 2018 in dem Ausgangsverfahren S 45 AS 1235/15 sowie am 20. November 2018 in dem Ausgangsverfahren S 45 AS 2098/15 nach damals jeweils rund dreijähriger Verfahrensdauer Verzögerungsrüge erhoben.

 

Auch weisen das sich ab Klageerhebung am 26. Juni 2015 bis zur Erledigung durch angenommenes Anerkenntnis bzw. Klagerücknahme am 16. Mai 2019 über drei Jahre und knapp 11 Monate hinziehende Ausgangsverfahren S 45 AS 1235/15 sowie das sich ab Klageerhebung am 19. Oktober 2015 bis zur Erledigung durch angenommenes Anerkenntnis am 16. Mai 2019 über drei Jahre und knapp sieben Monate hinziehende Ausgangsverfahren S 45 AS 2098/15 jeweils eine unangemessene Dauer auf.

 

Gemäß § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG kommt es für die Beurteilung der Verfahrensdauer auf die Umstände des Einzelfalls, insbesondere das Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritten sowie die Schwierigkeit, Komplexität und Bedeutung des Verfahrens an, wobei nicht nur die Bedeutung für den auf Entschädigung klagenden Verfahrensbeteiligten aus der Sicht eines verständigen Betroffenen von Belang ist, sondern auch die Bedeutung für die Allgemeinheit.

 

1. a) Bei dem Ausgangsverfahren S 45 AS 1235/15 – einer Untätigkeitsklage gemäß § 88 Abs. 2 SGG - handelte es sich mangels Notwendigkeit tatsächlicher Ermittlungen um ein Verfahren von unterdurchschnittlicher Schwierigkeit und Komplexität.

 

Die Bedeutung des Verfahrens ergibt sich zum einen aus der allgemeinen Tragweite der Entscheidung für die materiellen und ideellen Interessen der Beteiligten. Zum anderen trägt zur Bedeutung der Sache im Sinne des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG im Kontext des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz maßgeblich das Interesse des Betroffenen gerade an einer raschen Entscheidung bei. Entscheidend ist deshalb auch, ob und wie sich der Zeitablauf nachteilig auf die Verfahrensposition eines Klägers und das geltend gemachte materielle Recht sowie möglicherweise auf die weiteren geschützten Interessen auswirkt (BSG, Urteile vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/13 -, Rn. 29, - B 10 ÜG 9/13 R -, Rn. 31, - B 10 ÜG 12/13 R -, Rn. 35, - B 10 ÜG 2/14 R -, Rn. 38, vom 12.02.2015 - B 10 ÜG 7/14 R -, Rn. 30 und vom 07.09.2017 – B 10 ÜG 1/16 R -, Rn. 34, jeweils zitiert nach juris).

Die wirtschaftliche Bedeutung der Sache für den Kläger zu 1, die in letzter Konsequenz aus dessen Sicht auf höhere Leistungen nach dem SGB II für die Monate Dezember 2014 bis Mai 2015 gerichtet war, wird als für einen Bezieher von Grundsicherungsleistungen jedenfalls durchschnittlich einzustufen sein. Für die Allgemeinheit hatte der Rechtsstreit keine Bedeutung. Für die Klägerin zu 2 hatte das Verfahren keinerlei Bedeutung, da sie – wie sich aus dem in den Akten des Ausgangsverfahren enthaltenen Leistungsbescheid des JC vom 10. Dezember 2014 und dem Widerspruchsschreiben des Klägers zu 1 vom 16. Dezember 2014 ergibt – weder Leistungsempfängerin noch Führerin des – nach Auffassung der Kläger im Ausgangsverfahren nicht beschiedenen - Widerspruchs war. Auch begehrte sie im streitigen Widerspruchsverfahren keine Leistungen nach dem SGB II für sich. Mithin konnte sie zulässigerweise im Ausgangsverfahren keine Ansprüche verfolgen, weshalb konsequenterweise in der mündlichen Verhandlung vom 16. Mai 2019 die Klage ihrerseits zurückgenommen wurde.

 

b) Bei dem Ausgangsverfahren S 45 AS 2098/15 handelte es sich hingegen aufgrund der Erforderlichkeit von Ermittlungen zum Stromverbrauch der Heizung um ein Verfahren von durchschnittlicher Schwierigkeit und angesichts der Mehrheit von Klägern und der Abgrenzung zum Ausgangsverfahren S 45 AS 1235/15 von leicht gesteigerter Komplexität. Die wirtschaftliche Bedeutung der Sache, in der die Höhe der dem Kläger zu 1 zustehenden Leistungen nach dem SGB II für die Zeit von Januar bis Mai 2015 (laut Klageantrag 5 Monate x 98,29 € = 491,45 €) streitig war, wird als für einen Bezieher von Grundsicherungsleistungen mindestens durchschnittlich einzustufen sein. Für die Allgemeinheit hatte diese Rechtsstreitigkeit ebenfalls keine Bedeutung.

 

2. Für die Entscheidung, ob eine überlange Verfahrensdauer vorliegt, sind aktive und inaktive Zeiten der Bearbeitung gegenüberzustellen, wobei kleinste relevante Zeiteinheit im Geltungsbereich des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (GRüGV) vom 24. November 2011 (BGBl. I, S. 2302) stets der Monat im Sinne des Kalendermonats ist (BSG, Urteile vom 07.09.2017 – B 10 ÜG 3/16 R – Rn. 24 sowie vom 12.02.2015 - B 10 ÜG 11/13 R - 2. Leitsatz und Rn. 34, zitiert jeweils nach juris).

 

Bei der Gegenüberstellung der aktiven und inaktiven Zeiten der Bearbeitung ist zum einen zu beachten, dass dann keine inaktive Zeit der Verfahrensführung vorliegt, wenn ein Kläger während Phasen (vermeintlicher) Inaktivität des Gerichts selbst durch das Einreichen von Schriftsätzen eine Bearbeitung des Vorganges durch das Gericht auslöst. Denn eingereichte Schriftsätze, die einen gewissen Umfang haben und sich inhaltlich mit Fragen des Verfahrens befassen, bewirken generell eine Überlegungs- und Bearbeitungszeit beim Gericht, die mit einem Monat zu Buche schlägt (BSG, Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 12/13 R - juris Rn. 57).

 

Zum anderen ist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, dass das Entschädigungsverfahren keine weitere Instanz eröffnet, um das Handeln des Ausgangsgerichts einer rechtlichen Vollkontrolle zu unterziehen. Bei der Beurteilung der Prozessleitung des Ausgangsgerichts hat das Entschädigungsgericht vielmehr die materiell-rechtlichen Annahmen, die das Ausgangsgericht seiner Verfahrensleitung und –gestaltung zugrunde legt, nicht infrage zu stellen, soweit sie nicht geradezu willkürlich erscheinen. Zudem räumt die Prozessordnung dem Ausgangsgericht ein weites Ermessen bei seiner Entscheidung darüber ein, wie es das Verfahren gestaltet und leitet. Die richtige Ausübung dieses Ermessens ist vom Entschädigungsgericht allein unter dem Gesichtspunkt zu prüfen, ob das Ausgangsgericht bei seiner Prozessleitung Bedeutung und Tragweite des Menschenrechts aus Art. 6 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) bzw. des Grundrechts aus Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) in der konkreten prozessualen Situation hinreichend beachtet und fehlerfrei gegen das Ziel einer möglichst richtigen Entscheidung abgewogen hat (BSG, Urteile vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - Rn. 36, - B 10 ÜG 9/13 R - Rn. 39, - B 10 ÜG 12/13 R - Rn. 43, - B 10 ÜG 2/14 R - Rn. 42, jeweils zitiert nach juris). Denn ungeachtet richterlicher Unabhängigkeit besteht eine richterliche Grundpflicht zur stringenten und beschleunigten Verfahrensgestaltung (BSG, Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 12/13 R - juris Rn. 49).

 

In diesem Zusammenhang beinhaltet die Übersendung eines Schriftsatzes, z.B. eines Gutachtens, einer gutachtlichen Stellungnahme oder auch der Berufungserwiderung an die Beteiligten zur Kenntnis stets die Möglichkeit zur Stellungnahme. Die Entscheidung des Gerichts, im Hinblick auf eine mögliche Stellungnahme zunächst nicht weitere Maßnahmen zur Verfahrensförderung zu ergreifen, unterliegt grundsätzlich noch seiner Entscheidungsprärogative und ist - mit Ausnahme unvertretbarer oder schlechthin unverständlicher Wartezeiten - durch das Entschädigungsgericht nicht als Verfahrensverzögerung zu bewerten (BSG, Urteil vom 07.09.2017 - B 10 ÜG 1/16 R - juris, Rn. 43).

 

a) Nach diesen Maßgaben wurde das Ausgangsverfahren S 45 AS 1235/15 ab Klageeingang zunächst zügig betrieben. Soweit der damalige Beklagte – das JC – gleich zu Anfang im August 2015 an die Abgabe der Klageerwiderung erinnert werden musste, fällt diese Verzögerung, auf welche das SG umgehend und sachgerecht reagiert hat, in den Verantwortungsbereich des beteiligten JC und nicht des hiesigen Beklagten. Auch soweit das JC im März und April 2016 an die Abgabe der vom SG unter dem 16. Februar 2016 angeforderten Stellungnahme erinnert werden musste, fällt dies in die Sphäre des damals beklagten Jobcenters und nicht des hier beklagten Landes. Nachdem die unter dem 16. Februar 2016 angeforderte Stellungnahme binnen der gerichtlich gesetzten Frist von 4 Wochen – Ablauf im März 2016 – nicht eingegangen war, hat das SG mit einer Erinnerung noch im März 2016 unter Setzung einer nunmehr verkürzten Frist von 2 Wochen – Ablauf im April 2016 - sachgerecht reagiert. Auch soweit das SG das JC am 19. April 2016 ein zweites Mal unter Setzung einer 2-Wochenfrist, welche Anfang Mai 2016 ablief, an die Abgabe der Stellungnahme erinnert hat, bewegte sich dies angesichts der gesetzten kurzen Frist noch im Rahmen des dem SG einzuräumenden prozessualen Gestaltungsermessens, zumal der Rechtsstreit damals erst knapp 10 Monate anhängig war und die – umstrittene - Untätigkeit im Wesentlichen (d.h. hinsichtlich der Monate Januar bis Mai 2015) bereits beseitigt war.

 

Keine gerichtliche Aktivität war jedoch im Juni 2016, in dem der Rechtsstreit sich im so genannten „Sitzungs-Fach“ befand, zu verzeichnen (1 Kalendermonat). Gleiches gilt für die Zeit nach Eingang der sehr kurzen – und daher für die Auslösung einer einmonatigen Überlegungs- und Bearbeitungszeit nicht geeigneten - Stellungnahme des JC am 15. Juli 2016 ab August 2016 bis einschließlich März 2019 (Monat vor Absendung der Ladung zur mündlichen Verhandlung: 32 Kalendermonate). Soweit der Beklagte meint, hier habe das SG zulässigerweise die Ermittlungen im Parallelverfahren abwarten dürfen, ist dem nicht zu folgen.

 

Zulässiger Streitgegenstand der Untätigkeitsklage war lediglich das auf die Bescheidung des Widerspruchs des Klägers zu 1 vom 16. Dezember 2014 gerichtete Begehren des Klägers zu 1 und zuletzt inhaltlich die Frage, ob dieser Widerspruch inzwischen mit Widerspruchsbescheid des JC vom 24. März 2015 vollumfänglich beschieden bzw. der Überprüfungsbescheid vom 16. Dezember 2015 (betreffend den Monat Dezember 2014) Gegenstand des Rechtsstreits geworden ist, nicht hingegen die Erlangung von Leistungen. Eine förmliche Umstellung der Untätigkeitsklage in eine Anfechtungs- und Verpflichtungsklage hat zu keinem Zeitpunkt stattgefunden, im Gegenteil haben die Kläger gesondert Klage erhoben (das hier ebenfalls streitgegenständliche Ausgangsverfahren S 45 AS 2098/15). Dies entspricht auch der damaligen Rechtsauffassung des SG im Ausgangsverfahren, wie dem Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 16. Mai 2019 zu entnehmen ist. Vor diesem Hintergrund bestand keine Notwendigkeit, den weiteren Verlauf bzw. die Ermittlungen in dem Verfahren S 45 AS 2098/15 abzuwarten. Abgesehen hiervon ist tatsächlich weder ein formelles Ruhen angeordnet noch ein expliziter gerichtlicher Hinweis auf ein Abwarten erfolgt. Auch den in den Akten enthaltenen richterlichen Verfügungen/Vermerken lässt sich nicht entnehmen, dass eine richterliche Entscheidung bzgl. eines Abwartens stattgefunden hatte. Die Annahme des Beklagten, das SG habe den Ausgang des Klageverfahrens S 45 AS 2098/15 abgewartet, bewegt sich vor diesem Hintergrund im Bereich der reinen Spekulation, sowohl was mögliche Intentionen der Kammervorsitzenden des SG betrifft als auch des Klägers zu 1. 

 

Mithin ist es im Ausgangsverfahren S 45 AS 1235/15 zu Zeiten einer gerichtlichen Inaktivität im Umfang von letztlich 33 Kalendermonaten gekommen.

 

b) Das Ausgangsverfahren S 45 AS 2098/15 wurde ab Klageeingang zunächst zügig betrieben. Soweit der Kläger zu 1 die Auffassung vertritt, der Monat November 2015 sei als Monat der gerichtlichen Untätigkeit zu werten, ist dem nicht zu folgen. Denn am 16. November 2015 ist neben der Vollmacht auch der von den Bevollmächtigten gefertigte Antrag der Kläger auf Bewilligung von PKH unter Beifügung der notwendigen Erklärungen und Nachweise (insgesamt 21 Blatt) bei Gericht eingegangen und hat eine einmonatige Überlegungs- und Bearbeitungszeit des SG ausgelöst. Da das gleichzeitig neben dem Hauptsacheverfahren geführte PKH-Verfahren kein eigenständiges Gerichtsverfahren im Sinne des § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG darstellt, sondern einen Bestandteil des Hauptsacheverfahrens bildet (vgl. BSG, Urteil vom 07. September 2017 – B 10 ÜG 3/16 R – Rn. 29f.) und letztlich dem – bedürftigen – Kläger die Führung des Hauptsacheverfahrens erst ermöglicht, sind im Rahmen des PKH-Verfahrens eingehende Schriftsätze bzw. Unterlagen von einigem Umfang und Gewicht (wie vorliegend) ebenso wie im Hauptsacheverfahren eingehende Schriftsätze / Unterlagen geeignet, eine Überlegungs- und Bearbeitungszeit des Gerichts auszulösen. Im Gegenzug hierfür wären im Rahmen der PKH-Bewilligung eingetretene Bearbeitungslücken gegebenenfalls als Verzögerungen im – mit dem PKH-Verfahren eine Einheit bildenden – Hauptsacheverfahren zu berücksichtigen. Wenn auch die Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung zum Zeitpunkt des Eingangs der Unterlagen Mitte November 2015 angesichts des Fehlens der Akten des damaligen Beklagten kaum prüfbar gewesen sein dürften, konnte unmittelbar die Vollständigkeit der Unterlagen sowie die Richtigkeit der Eintragungen in den Formularen geprüft werden. Auch eine erste Prüfung des Vorliegens der wirtschaftlichen Voraussetzungen ist im Hinblick auf möglicherweise noch nachzufordernde Unterlagen regelmäßig angezeigt.

 

Soweit das SG die Bevollmächtigten der Kläger, nachdem diese mit Schriftsatz vom 18. März 2016 um Fristverlängerung zur Abgabe der für die Zeit nach erfolgter Akteneinsicht angekündigten Klagebegründung bis zum 08. April 2016 gebeten hatten, nach Fristablauf und Verfristung um 4 Wochen erst unter dem 01. Juni 2016 an die Abgabe der Klagebegründung erinnert hat, ist der Monat Mai 2016 nicht als Zeit der gerichtlichen Inaktivität zu werten. Vielmehr fällt diese Inaktivität letztlich in die Sphäre der Kläger. Denn aus dem die Klage begründenden Schriftsatz der Bevollmächtigten vom 07. Juni 2016 wird ersichtlich, dass die Verspätung in einer erst kurz zuvor möglichen Rücksprache mit den Klägern begründet war. Somit hat die zögerliche Erinnerungspraxis des SG keinen eigenen Ursachenbeitrag zur Verzögerung geleistet.

 

Nachfolgend ist dem Verfahren vom SG bis einschließlich September 2016 Fortgang gegeben worden. Soweit das beklagte JC auf die Aufforderung zur Stellungnahme durch das Gericht vom 08. Juli 2016 binnen der gesetzten Frist von 4 Wochen nicht reagiert hat, ist es noch im August 2016 vom SG unter Setzung einer Frist von 3 Wochen und nach Ablauf dieser Frist umgehend erneut am 28. September 2016 erinnert worden. Das SG durfte in diesem recht frühen Verfahrensstadium kurz nach Eingang der Klagebegründung jedenfalls bis in den Oktober hinein abwarten, ob nunmehr die angeforderte Stellungnahme des JC eintreffen würde. Im November 2016 ist der PKH-Beschluss vom 26. Oktober 2016 an die Beteiligten abgesendet worden und hat damit erst Außenwirkung erlangt. Gleichzeitig ist das JC nochmals erinnert worden. Nach der Fertigung sowie Versendung des PKH-Beschlusses ist der Rechtsstreit noch im November 2016 in das Sitzungs-Fach verfügt worden. Ab Dezember 2016 bis einschließlich Januar 2017 (2 Kalendermonate) ist dem Verfahren kein Fortgang gegeben worden. Eine weitere Phase der gerichtlichen Untätigkeit ist im Mai 2017 (1 Kalendermonat) eingetreten. Ende März 2017 hatte das SG dem JC den Schriftsatz der Bevollmächtigten der Kläger vom 17. März 2017 zur Stellungnahme binnen 4 Wochen zugeleitet. Erneut war das beklagte JC jedoch zögerlich mit seiner Reaktion, die erst im Juni 2017 vorlag. Hier ist es grundsätzlich nicht zu beanstanden, dass das SG nach Ablauf der Frist den Beklagten zunächst einmal erinnerte. Vorliegend ist dies jedoch erst im Mai 2017 und nicht nach Fristablauf im April 2017 geschehen. Dazuhin ist dem JC – anders als zuvor im Juli und August 2016 - keinerlei Frist gesetzt worden. Dies ist vor dem Hintergrund, dass der Rechtsstreit damals inzwischen rund 1,5 Jahre anhängig war und die Mitwirkung des beklagten JC insgesamt ungenügend schien, nicht mehr vom Gestaltungsermessen des SG gedeckt gewesen. Nach dem Eingang der Stellungnahme des JC am 22. Juni 2017 und der Reaktion der Kläger im August 2017 (Schriftsatz vom 17. August 2017) reagierte das JC wiederum nur zögerlich. Seine Stellungnahme lag dem SG erst am 26. Februar 2018 vor. Angesichts der schon erwähnten generell zögerlichen Mitarbeit des JC erweist es sich in diesem Verfahrensstadium nicht mehr als sachgerecht, dass das SG dieses erneut lediglich schriftlich und nur bei der ersten Mahnung unter Setzung einer Frist von 3 Wochen erinnerte, anstatt sich beispielsweise mit dem Vermerk „Dringend“ und / oder per Fax oder auch persönlich telefonisch an den zuständigen Sachbearbeiter / die zuständige Sachbearbeiterin zu wenden. Daher sind die Monate Oktober und November 2017 ebenso wie die folgenden Monate Dezember 2017 und Januar 2018 als Monate der gerichtlichen Inaktivität zu werten (4 Kalendermonate). Im März 2018 war das SG hingegen aktiv, indem es sich telefonisch um eine Terminabsprache mit den Bevollmächtigten bemühte. Im April 2018 richtete das SG noch eine Anfrage an die Bevollmächtigten der Kläger, welche diese im Folgemonat beantworteten. Ab Juni 2018 (Verfügung in das Sitzungs-Fach) bis einschließlich März 2019 (Monat vor der Ladung) trat erneut ein dem hiesigen Beklagten zuzurechnender Verfahrensstillstand ein (10 Kalendermonate).

 

Mithin ist es im Ausgangsverfahren S 45 AS 2098/15 zu Zeiten einer gerichtlichen Inaktivität im Umfang von 17 Kalendermonaten gekommen.

 

3. Dies heißt jedoch nicht, dass von einer Unangemessenheit der Verfahrensdauer im Umfang von 33 Kalendermonaten (S 45 AS 1235/15) bzw. 17 Kalendermonaten (S 45 AS 2098/15) auszugehen wäre. Denn erst die wertende Gesamtbetrachtung und Abwägung aller Einzelfallumstände ergibt, ob die Verfahrensdauer die äußerste Grenze des Angemessenen deutlich überschritten und deshalb das Recht auf Rechtsschutz in angemessener Zeit verletzt hat (BSG, Urteil vom 07.09.2017 – B 10 ÜG 1/16 R - juris, Rn. 33). Dabei ist zu beachten, dass den Gerichten – über die Phasen der aktiven Verfahrensförderung hinaus - Vorbereitungs- und Bedenkzeiten von in der Regel 12 Monaten je Instanz als angemessen zuzugestehen sind, falls sich nicht aus dem Vortrag des Klägers oder aus den Akten besondere Umstände ergeben, die vor allem mit Blick auf die Kriterien des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG im Einzelfall zu einer anderen Bewertung führen (BSG, Urteile vom 03.09.2014 – B 10 ÜG 2/13 R – Rn. 48, – B 10 ÜG 2/14 R – Rn. 49 und - B 10 ÜG 12/13 R - Rn. 56, jeweils zitiert nach juris).

 

a) Bezogen auf das Ausgangsverfahren S 45 AS 1235/15, das eine Untätigkeitsklage nach § 88 SGG zum Gegenstand hatte, liegen zur Überzeugung des Senats Kriterien vor, die eine Verkürzung der nach der ständigen Rechtsprechung des BSG im Regelfall anzusetzenden Vorbereitungs- und Bedenkzeit von zwölf Monaten auf sechs Monate rechtfertigen.

 

Soweit die Kläger meinen, die Vorbereitungs- und Bedenkzeit sei auf drei Monate zu verkürzen, da das Verfahren der Untätigkeitsklage ähnlich wie ein Eilverfahren anzusehen sei, überzeugt dies nicht. Denn auch neben einer Untätigkeitsklage steht einem Kläger grundsätzlich noch die Inanspruchnahme von Eilrechtsschutz offen. Schon deswegen besteht keine Notwendigkeit einer dem Eilrechtsschutz vergleichbaren bevorzugten Erledigung durch das Ausgangsgericht. Allerdings ist das Verfahren der Untätigkeitsklage tatsächlich nur darauf gerichtet, eine Verwaltungsentscheidung zu erlangen, weshalb gerichtliche Ermittlungen oder materiell-rechtliche Erwägungen im Regelfall nicht notwendig sind. Der für die Zulässigkeit einer Untätigkeitsklage erforderliche vorherige Zeitablauf – sechs Monate seit dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsaktes bzw. drei Monte seit Einlegung des Widerspruchs – macht darüber hinaus deutlich, dass das Verfahren auf die Beschleunigung des Verwaltungsverfahrens abzielt und deswegen ein gewisses Dringlichkeitselement enthält, wenn auch nicht in einem mit dem Eilrechtsschutz vergleichbaren Maße. Angesichts dessen hält der Senat bei Untätigkeitsklagen – ähnlich wie im Falle des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens (vgl. die Senatsurteile vom 25. Februar 2016 – L 37 SF 128/14 EK AL – juris Rn. 59 sowie vom 26. April 2018 – L 37 SF 38/17 EK AS – juris Rn. 70) – eine Vorbereitungs- und Bedenkzeit von sechs Monaten für angemessen.

 

Dies bedeutet vorliegend, dass von den im Ausgangsverfahren S 45 AS 1235/15 aufgetretenen 33 Kalendermonaten der gerichtlichen Inaktivität letztlich 27 Kalendermonate als entschädigungsrelevant anzusehen sind.

 

b) Hingegen bietet das Ausgangsverfahren S 45 AS 2098/15 keine Ansatzpunkte, die eine Abweichung von der regelhaften Vorbereitungs- und Bedenkzeit von zwölf Monaten gebieten würden, weshalb es hier ausgehend von 17 Kalendermonaten gerichtlicher Inaktivität zu letztlich 5 entschädigungsrelevanten Verzögerungsmonaten kommt.

 

4. a) Durch die überlange Verfahrensdauer der beiden Ausgangsverfahren hat der Kläger zu 1 einen Nachteil nicht vermögenswerter Art erlitten. Dies folgt bereits aus § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG, wonach ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, vermutet wird, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Umstände, die diese gesetzliche Vermutung zu widerlegen geeignet wären, sind nicht erkennbar und auch von dem Beklagten nicht vorgebracht worden.

 

b) Demgegenüber ist im Falle der Klägerin zu 2 die gesetzliche Vermutung eines auf der Verfahrensdauer beruhenden Nichtvermögensnachteils gemäß § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG widerlegt, denn die überlange Verfahrensdauer des – von der Klägerin zu 2 alleine benannten – Ausgangsverfahrens S 45 AS 1235/15 hat zur Überzeugung des Senats nicht zum Eintritt eines Nachteils bei ihr geführt.

 

Die Vermutung eines auf der Verfahrensdauer beruhenden immateriellen Nachteils ist widerlegt, wenn das Entschädigungsgericht - unter Berücksichtigung der vom Kläger gegebenenfalls geltend gemachten Beeinträchtigungen - nach einer Gesamtbewertung der Folgen, die die Verfahrensdauer für ihn mit sich gebracht hat, die Überzeugung gewinnt, dass die (unangemessene) Verfahrensdauer nicht zu einem Nachteil beim Kläger geführt hat (BVerwG, Urteil vom 05.06.2020 - 5 C 3/19 D - juris Rn. 13; BGH, Urteile vom 13.04.2017 - III ZR 277/16 - juris Rn. 21 und vom 12.02.2015 - III ZR 141/14 - juris Rn. 41). Dies ist etwa der Fall, wenn eine Gesamtbewertung den Schluss rechtfertigt, dass die unangemessene Verfahrensdauer entweder als solche nicht nachteilig (oder sogar vorteilhaft) gewesen ist oder es an einem Kausalzusammenhang zwischen Verfahrensdauer und Nachteil fehlt (vgl. BVerwG a.a.O.; BFH, Urteil vom 20.11.2013 - X K 2/12 - juris Rn. 26, BSG, Urteil vom 17.12.2020 – B 10 ÜG 1/19 R – juris Rn. 54).

 

Zu den von der Klägerin zu 2 geltend gemachten immateriellen Folgen eines überlangen Verfahrens gehört nach den Vorstellungen des Gesetzgebers insbesondere die seelische Unbill durch die lange Verfahrensdauer (Gesetzesentwurf BT-Drucks 17/3802, S. 19). Dass die Verfahrensdauer in irgendeiner Form zur seelischen Unbill der Klägerin zu 2 beigetragen haben könnte, ist jedoch ausgeschlossen. Zwar ist die hiesige Klägerin zu 2 von den auch im Ausgangsverfahren für die Kläger agierenden Bevollmächtigten in der Klageschrift als Klägerin zu 3 benannt worden, jedoch war sie weder Führerin des als nicht beschieden gerügten Widerspruchs, noch stand sie überhaupt im Leistungsbezug bei dem im Ausgangsverfahren beklagten JC oder begehrte für sich Leistungen von dem JC. Ausdrücklich hatte der Kläger zu 1 in dem fraglichen Widerspruchsschreiben vom 16. Dezember 2014 geschrieben: „… meine Tochter und meine Frau haben hier im Jobcenter in den Unterlagen überhaupt nichts zu verlieren. ich allein bin Hartz4 Empfänger und nicht der Rest der Familie.“ Erkennbar ging es ausweislich aller Schriftsätze der Bevollmächtigten und des JC im Ausgangsverfahren ausschließlich um Ansprüche des Klägers zu 1, sodass die Durchsetzung von Rechtsansprüchen der Klägerin zu 2 im Ausgangsverfahren zu keinem Zeitpunkt gefährdet oder verzögert werden konnte. Die Klage der hiesigen Klägerin zu 2 war vielmehr ersichtlich von vornherein unzulässig. Unabhängig davon, ob dies für die Klägerin zu 2 ohne Weiteres erkennbar war, war sie rechtsanwaltlich vertreten. Ihre Bevollmächtigten – insbesondere der die Schriftsätze zeichnende Rechtsanwalt K als Rechtsanwalt für Sozialrecht – jedoch verfügten über die notwendigen Rechtskenntnisse.

 

5. Der Kläger zu 1 hat Anspruch auf eine Entschädigung in Geld bezogen auf das Ausgangsverfahren S 45 AS 1235/15. Daneben besteht jedoch bezogen auf das Ausgangsverfahren S 45 AS 2098/15 kein weiterer Anspruch auf Entschädigung in Geld. Vielmehr ist zur Überzeugung des Senats eine Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs. 2 Satz 2, Abs. 4 GVG durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war, ausreichend.

 

Ob eine solche Feststellung ausreichend im Sinne von § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG ist, beurteilt sich auf der Grundlage einer umfassenden Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalls. In diese ist regelmäßig einzustellen, ob das Ausgangsverfahren für den Verfahrensbeteiligten eine besondere Bedeutung hatte, ob dieser durch sein Verhalten erheblich zur Verzögerung beigetragen hat, ob er weitergehende immaterielle Schäden erlitten hat oder ob die Überlänge den einzigen Nachteil darstellt (BT-Drucks 17/3802 S. 20; BSG, Urteile vom 12.12.2019 – B 10 ÜG 3/19 R – juris Rn. 400, vom 05.05.2015 - B 10 ÜG 8/14 R – juris Rn. 30 und vom 12.02.2015 - B 10 ÜG 11/13 R – juris Rn. 36; BSG, Beschluss vom 08.01.2018 - B 10 ÜG 14/17 B - juris Rn. 8; BGH, Urteil vom 23.01.2014 - III ZR 37/13 – juris Rn. 62). Darüber hinaus kann es darauf ankommen, wie lange das Verfahren sich verzögert hat, ob das Ausgangsverfahren für den Verfahrensbeteiligten eine besondere Dringlichkeit aufwies oder ob diese zwischenzeitlich entfallen war (BVerwG, Urteil vom 11.07.2013 - 5 C 23/12 D - juris Rn. 57). Bedeutung erlangen können auch durch die überlange Verfahrensdauer erlangte Vorteile, die das Gewicht der erlittenen Nachteile aufwiegen (BVerwG, Urteil vom 12.07.2018 - 2 WA 1/17 D - juris Rn. 36).

 

Hier ist zu berücksichtigen, dass zwischen dem Verfahren der Untätigkeitsklage S 45 AS 1235/15 und dem später – auf die Bekanntgabe des begehrten Widerspruchsbescheides hin - anhängig gemachten Klageverfahren S 45 AS 2098/15 ein enger sachlicher Zusammenhang bestand. Während mit der Untätigkeitsklage das Ziel verfolgt wurde, dass das JC über den Widerspruch des Klägers hinsichtlich der Höhe der Leistungen für die Zeit von Dezember 2014 bis Mai 2015 entscheidet, begehrte der Kläger in dem Verfahren S 45 AS 2098/15 höhere Leistungen für den Zeitraum Januar bis Mai 2015. Auch wenn es sich bei der Erhebung der weiteren Klage nach Erlass und Bekanntgabe des in dem Verfahren S 45 AS 1235/15 erstrebten Widerspruchsbescheides um zulässiges Prozessverhalten des Klägers zu 1 handelte, so war diese gesonderte Klageerhebung prozessual keineswegs notwendig. Vielmehr hätte die Untätigkeitsklage ebenso (teilweise) in eine Anfechtungs- und Leistungsklage umgestellt werden können mit der Folge, dass nur ein – hier letztlich überlanges - Klageverfahren anhängig gewesen wäre. Materiell-rechtliche Vorteile waren für den Kläger zu 1 mit der Erhebung der weiteren Klage nicht verbunden. Vor diesem Hintergrund ist die Feststellung der Überlänge des Verfahrens S 45 AS 2098/15 ausreichend. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass andernfalls ein Anreiz geschaffen würde, nur deshalb (weitere) prozessual und materiell-rechtlich nicht erforderliche Klagen zu erheben, um auf diese Weise unter Umständen einen finanziellen Vorteil – nämlich eine Geldentschädigung nach § 198 GVG – zu erlangen.

 

6. Ausgehend von der entschädigungspflichtigen Überlänge von 27 Kalendermonaten in dem Ausgangsverfahren S 45 AS 1235/15 sowie dem in § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG vorgegebenen Richtwert von 1.200,00 € für jedes Jahr der Verzögerung beläuft sich die dem Kläger zu 1 zustehende angemessene Entschädigung wegen unangemessener Dauer des Ausgangsverfahrens S 45 AS 1235/15 auf 2.700,00 €.

 

III. Der Kläger zu 1 hat darüber hinaus mangels Notwendigkeit keinen Anspruch aus § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG auf Zahlung der von ihm geltend gemachten Rechtsanwaltskosten für die vorgerichtliche Geltendmachung des Entschädigungsanspruchs gegenüber dem Beklagten.

 

Zwar können die für die vorprozessuale Verfolgung des Entschädigungsanspruchs angefallenen Anwaltskosten grundsätzlich eine Vermögenseinbuße und damit einen materiellen Nachteil im Sinne des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG darstellen. Dies allerdings nur, soweit sie notwendig waren (vgl. insoweit BVerwG, Urteil vom 27.02.2014 - 5 C 1/13 D - juris, Rn. 40, unter Bezugnahme auf BT-Drs. 17/3802, S. 19; BGH, Urteil vom 23.01.2014 – III ZR 37/13 - juris Rn. 48, 50: zur Wahrnehmung der Rechte erforderlich und zweckmäßig; siehe auch Röhl in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. A. 2017, § 198 GVG, Rn. 108). Maßgeblich ist für die Feststellung der Notwendigkeit die ex ante-Sicht einer vernünftigen, wirtschaftlich denkenden Person (vgl. Bundesgerichtshof <BGH>, Urteil vom 17. September 2015 – IX ZR 280/14 – juris Rn. 8; BGH, Beschluss vom 31. Januar 2012 - VIII ZR 277/11 -, NZM 2012, 607 Rn. 4). Hierbei geht der BGH davon aus, dass etwa eine erste Leistungsaufforderung gegenüber einer Versicherung in einem einfach gelagerten Schadensfall grundsätzlich vom Geschädigten ohne Einschaltung eines Anwalts zu erfolgen hat (BGH, Urteil vom 11. Juli 2017 – VI ZR 90/17 – juris 12; Müller-Rabe a.a.O. Rn. 263, 270).

 

Bei dem vorliegenden Fall – erste außergerichtliche Geltendmachung eines Entschädigungsanspruchs für ein objektiv langes und tatsächlich auch überlanges Gerichtsverfahren bei einem überschaubaren Sachverhalt und weitgehend geklärter obergerichtlicher Rechtsprechung zu den Voraussetzungen eines Entschädigungsanspruchs – war für einen vernünftigen Laien die Heranziehung eines Rechtsanwaltes jedoch nicht erforderlich. Vielmehr wäre einem vernünftigen Laien zuzumuten gewesen – wie bei einer ersten Geltendmachung eines Anspruchs gegenüber seiner Versicherung -, sich ohne anwaltliche Hilfe direkt an das beklagte Land, ggf. über das Ausgangsgericht, zu wenden. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass die vorgerichtliche Geltendmachung zwar zur Reduktion des Kostenrisikos in einem eventuell nachfolgenden Prozess sinnvoll sein mag (BVerwG, Urteil vom 17. August 2017 – 5 A 2/17 D – juris Rn 43), jedoch das Durchlaufen eines solchen vorprozessualen Verfahrens im Gegensatz zu dem im SGG oder in der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) vorgeschriebenen Widerspruchsverfahren gerade keine Bedingung für die Zulässigkeit einer Entschädigungsklage ist. Zur Minimierung des Kostenrisikos wiederum ist es ausreichend, den Anspruch unter Hinweis auf die aus Sicht des Anspruchstellers vorhandene Überlänge zu benennen, weitergehender juristischer Ausführungen etwa zu den genauen Monaten der Überlänge bedarf es hierfür gerade nicht. Entscheidend für die Reduzierung des Kostenrisikos in einem späteren Klageverfahren ist nämlich allein, dass das (später beklagte) Land sich zu dem geltend gemachten Entschädigungsanspruch äußern kann. Da es sich nicht um ein förmliches Verfahren handelt, ist auch nicht die Kenntnis notwendig, welches die richtige Stelle zur Bearbeitung des Antrags ist. Das Begehren kann mit der Bitte um Weiterleitung an die zuständige Stelle formlos an das Ausgangsgericht gerichtet werden. Dass die Klage fristgebunden ist, erfordert nicht die Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts für die „Anmeldung“ der Ansprüche. Allenfalls kann dies eine allgemeine Beratung durch einen Rechtsanwalt erforderlich machen.

 

IV. Der Anspruch des Klägers zu 1 auf Zahlung von Prozesszinsen ergibt sich aus einer entsprechenden Anwendung der §§ 288 Abs. 1, 291 Satz 1 BGB. Diese Vorschriften sind im Rahmen von Entschädigungsklagen (auch) in den öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeiten anwendbar, weil Spezialregelungen, die den allgemeinen Anspruch auf Prozesszinsen verdrängen könnten, nicht bestehen (BSG, Urteile vom 03.09.2014 – B 10 ÜG 9/13 R – Rn. 52, – B 10 ÜG 12/13 R – Rn. 61, – B 10 ÜG 2/14 R – Rn. 54, jeweils zitiert nach juris). Die Zinsen sind ab Rechtshängigkeit, d.h. nach § 94 Satz 2 SGG ab Zustellung der Klage, hier ab dem 11. Dezember 2020, zu zahlen.

 

V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 155 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und § 201 Abs. 4 GVG.

 

VI. Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

 

 

Rechtskraft
Aus
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