1. Die Feststellung, ein bestimmtes Ereignis sei ein zu entschädigendes Ereignis, kann im Sozialen Entschädigungsrecht nicht zulässig begehrt und daher auch nicht isoliert festgestellt werden. 2. Wer vor seinem Antrag auf Versorgung Jahrzehnte verstreichen lässt, hat die Folgen der durch Zeitablauf bedingten Beweisnot zu tragen. Beweiserleichterung gibt es nur für kriegs- oder im vorliegenden Zusammenhang unfallbedingte Beweisnot, also im weitesten Sinne eine Beweisnot, die ihre Ursache gerade in dem geltend gemachten Ereignis hat. § 15 Satz 1 KOVVfG ist im Fall der durch Zeitablauf bedingten Beweisnot nicht oder allenfalls nur eingeschränkt anzuwenden.
Auf die Berufung des Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 16. November 2020 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander für den gesamten Rechtsstreit nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt Versorgung aufgrund einer Wehrdienstbeschädigung (WDB).
Der 1950 geborene Kläger stand seit dem 1. Oktober 1970 bei dem Beklagten im Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit mit Dienstzeitende 30. September 1978. Eingesetzt war er im 4./Flugabwehrbataillon 5 in L/.
Mit Schreiben vom 15. Juni 2015 beantragte er bei dem Beklagten die Anerkennung einer WDB. Er behauptete, während einer Dienst-Heimreise einen schweren Autounfall in St. G gehabt zu haben, weswegen er mit dem Hubschrauber ins Bundeswehrkrankenhaus geflogen worden sei. In einem ihm von der Beklagten übermittelten Fragebogen erklärte er, er habe 1975 für ca. drei Monate im Bundeswehrkrankenhaus gelegen.
Die Beklagte forderte unter anderem bei dem Institut für Wehrmedizinalstatistik und Berichtswesen der Bundeswehr – Abteilung I – die noch vorhandenen medizinischen Unterlagen an. In diesen war unter anderem ein Bericht über eine Untersuchung des Klägers am 20. Juni 1975 enthalten, ausweislich dessen der Kläger einen Autounfall am 4. Juni 1975 erlitten hatte. In einem Aufnahmebefund wurde mitgeteilt, der Kläger sei nach einem schweren Autounfall in B mit einem Hubschrauber gegen 17:15 ins Bundeswehrkrankenhaus eingeliefert worden. In einem Bericht an den Truppenarzt in Lorch vom 1. August 1975 wurde eine stationäre Behandlung vom 4. Juni bis 29. Juli 1975 mitgeteilt bei folgenden Diagnosen:
- Traumatische Milzruptur.
- Commotio cerebri.
- Impressionsfraktur mit Keilwirbelbildung LWK 1.
- Diverse Prellungen und Schürfungen.
- Außenknöchelfraktur links.
- Stirnplatzwunde.
- Macrohaematurie unklarer Genese.
- Fraktur des 4. Mittelhandknochens links.
Abschließend heißt es in dem Bericht, die Frage der WDB sei nicht eindeutig geklärt, nach Angaben des Klägers solle es sich aber um eine Fahrt zum Dienst gehandelt haben. Im Krankenblatt war als „Angebliche Ursache: Auf der Fahrt vom Dienst“ vermerkt worden.
Auf Nachfrage erklärte der Kläger, er selbst verfüge über keine Unterlagen zum Unfall, ein WDB-Verfahren sei seines Wissens nicht durchgeführt worden. Die Polizei in St. G hat auf Nachfrage der Beklagten erklärt, Unterlagen lägen nicht mehr vor, da die Aufbewahrungsfrist abgelaufen sei. Entsprechendes gelte für die Polizei in L. Auch die angeschriebene Staatsanwaltschaft in K erklärte, dass ihr Unterlagen nicht mehr vorlägen.
Die Anerkennung einer WDB sowie Ansprüche auf einen Wehrdienstausgleich und eine Versorgung lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 24. Februar 2016 ab, wogegen der Kläger Widerspruch einlegte mit der Begründung, er habe zum Unfallzeitpunkt seine Dienstuniform getragen und sei infolgedessen auch in das Bundeswehrkrankenhaus verbracht worden. Mit Widerspruchsbescheid vom 4. Oktober 2016 wies der Beklagte den Widerspruch zurück mit der Begründung, die Ermittlungen hätten einen Unfall auf einem versorgungsrechtlich geschützten Weg nicht bestätigen können. Die Beweiserleichterung des § 15 Satz 1 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) sei nicht einschlägig.
Hiergegen hat der in Österreich wohnhafte Kläger am 13. Oktober 2016 Klage zum Sozialgericht Düsseldorf erhoben, das mit Beschluss vom 2. Februar 2017 den Rechtsstreit an das Sozialgericht Berlin verwiesen hat.
Das Sozialgericht hat schriftliche Fragen an die Beteiligten gerichtet, deren Antworten sich im Wesentlichen wie folgt zusammenfassen lassen:
Er sei von seiner Dienststelle in L nach Hause – H in E- – gefahren, der gewählte sei der kürzeste Weg gewesen. Seine gewöhnlichen Dienstzeiten als Schirrmeister seien zwischen 7:00 und 17:00 Uhr gewesen, am Unfalltag habe die Dienstzeit um ca. 15:00 Uhr geendet. Er habe zusammen mit seiner Frau und seiner neugeborenen Tochter gelebt. Nach seinem schweren Unfall sei er nach einiger Zeit in eine Bundeswehr-Dienstwohnung nach L/ gezogen. Er sei – wie immer – alleine gefahren. Der von ihm gewählte Weg sei der kürzeste und schnellste gewesen. Andere Verkehrsteilnehmer seien am Unfall nicht beteiligt gewesen.
Die Beklagte hat eingeräumt, dass der Unfallort zumindest auf einer der möglichen Strecken vom Dienstort zum damaligen Wohnort des Klägers gelegen habe. Ob der Kläger zum Zeitpunkt des Unfalls beurlaubt oder suspendiert gewesen sei, sei nicht mehr festzustellen, da die Dienst- und Urlaubspläne nicht über einen solch langen Zeitraum aufbewahrt würden. Soweit der Kläger darauf hinweise, dass er nicht mit einem Hubschrauber ins Bundeswehrkrankenhaus gebracht und dort behandelt worden wäre, wenn er am Tag des Unfalls keine Uniform getragen und es sich um eine Privatfahrt gehandelt hätte, sei darauf hinzuweisen, dass das Tragen einer Uniform keine Relevanz für die Verbringung in ein Krankenhaus der Bundeswehr besitze. Der Standort der Rettungshubschrauberstation in K sei das dortige Bundeswehrkrankenhaus. Für die dringende Nothilfe seien auch Hubschrauber der Bundeswehr vorgesehen. Daher wäre auch eine Zivilperson in Zivilkleidung je nach Verfügbarkeit der jeweiligen Rettungshubschrauber mit einem Rettungshubschrauber der Bundeswehr nach K ins Bundeswehrkrankenhaus verbracht worden. Entscheidend in diesen Fällen sei mithin die Verfügbarkeit der Rettungshubschrauber, ob die verletzte Person mit einem zivilen Hubschrauber oder einem Hubschrauber der Bundeswehr abtransportiert werde. Soweit der Kläger darauf hinweise, Rettungshelfer des Roten Kreuzes hätten sich geweigert, ihn abzutransportieren, sei dies vermutlich darauf zurückzuführen, dass dem Kläger aufgrund der bereits am Unfallort vermuteten Milzruptur ein Transport mit einem Krankenwagen nicht zugemutet werden sollte. Auch nach Lage der Akten sei hier eher davon auszugehen, dass es sich bei dem in Rede stehenden Unfall nicht um einen Wegeunfall gehandelt habe. So sei in der Medizin-Akte als Ursache für die Behandlung am 4. Juni 1975 ein „Autounfall a. D.“ angegeben, also ein Autounfall außer Dienst. Auch sei darauf hinzuweisen, dass es angesichts der Schwere des Unfalls und der dabei entstandenen Schäden ungewöhnlich sei, wenn kein WDB-Verfahren durchgeführt werde, zumal ein solches bei der Beteiligung eines Bundeswehrangehörigen standardmäßig eingeleitet werde.
Nach Anhörung der Beteiligten hat das Sozialgericht die Beklagte durch Gerichtsbescheid vom 16. November 2020 unter Aufhebung des Bescheides vom 24. Februar 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Oktober 2016 verpflichtet, den vom Kläger am 4. Juni 1975 erlittenen Autounfall als versorgungsrechtlich geschützten Wegeunfall nach dem Soldatenversorgungsgesetz anzuerkennen und auf Grundlage dessen den Antrag des Klägers auf Beschädigtenversorgung wegen der aus diesem Autounfall resultierenden Gesundheitsstörungen neu zu bescheiden. Zwar sei vorliegend weder durch Unterlagen noch verfügbare Zeugenaussagen eindeutig zu belegen, dass es sich bei dem in Rede stehenden Verkehrsunfall um einen Wehrdienstunfall handele. Jedoch komme dem Kläger die Beweiserleichterung des § 15 Satz 1 KOVVfG zugute. Insoweit sei die gute Möglichkeit ausreichend, es genüge also, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten sei.
Soweit die Beklagte darauf hinweise, dass hier eine Anwendung der Beweiserleichterung ausscheide, weil Unterlagen, die den Vortrag des Klägers stützen können, von vornherein nicht angelegt worden seien, was etwas anderes sei, als wenn Unterlagen, die ursprünglich vorhanden gewesen seien, in der Folge ohne Verschulden des Klägers verloren gegangen seien, folge das Sozialgericht dem nicht. Der Wortlaut des § 15 Satz 1 KOVVfG spreche nicht für eine solche einengende Betrachtungsweise. Dass hier ein Wehrdienstunfall glaubhaft sei, ergebe sich bereits daraus, dass sich der Unfallort auf der schnellsten wie auch kürzesten Route zwischen dem Dienst- und dem Wohnort des Klägers befunden habe. Auch habe der Kläger widerspruchsfrei erklärt, bei seiner Einheit als Schirrmeister regelmäßig Dienst von 7:00 bis 15:00 Uhr gehabt habe. Gehe man nun davon aus, dass der Kläger für die Fahrt von der Kaserne zum rund 40 km entfernten Unfallort etwa 40 Minuten gebraucht habe, sei es unter Berücksichtigung eines zwischenzeitlich eingelegten Tankstopps wahrscheinlich, dass sich der Unfall gegen 15:50/16:00 Uhr ereignet habe. Dazu passe es, dass der Kläger dann gegen 17:15 Uhr im ca. 30 km entfernten Bundeswehrkrankenhaus eingeliefert worden sei. Die Beklagte habe es nicht vermocht, die Angaben des Klägers, dass er sich an diesem Tag überhaupt im Dienst und er sich zum Unfallzeitpunkt auf dem Heimweg befunden habe, hinreichend zu erschüttern. Offenbleiben könne, ob der Hinweis des Klägers zutreffe, dass er nicht mit einem Bundeswehrhubschrauber in das Bundeswehrkrankenhaus verbracht worden wäre, wenn er keine Uniform getragen hätte. Insoweit könne der Vortrag der Beklagten, auch ein Zivilist wäre entsprechend transportiert worden, als zutreffend unterstellt werden. Aus der Aktenlage ergäben sich keine anderweitigen Rückschlüsse. So scheine derjenige, der das Krankenblatt Teil B ausgefüllt habe, davon ausgegangen zu sein, dass eine WDB habe vorliegen können. Soweit sich die Beklagte darauf berufe, dass in der Personalakte des Klägers unter Ursache ein „Autounfall a. D.“ notiert worden sei, sei nicht erkennbar, worauf sich dieser Eintrag stütze, und es sei auch nicht auszuschließen, dass hier ein Schreibfehler vorliege.
Gegen den ihr am 23. November 2020 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Beklagte am 22. Dezember 2020 Berufung eingelegt. Der Tenor in den angefochtenen Gerichtsbescheid sei bereits in formaler Hinsicht fehlerhaft, weil sich das Sozialgericht auf die Verpflichtung zur Anerkennung eines einzigen Tatbestandsmerkmals beschränkt habe. Ein solcher Tenor sei für die Beklagte nicht ausführbar, da nach § 81 des Soldatenversorgungsgesetzes (SVG) nicht das Unfallereignis selbst, sondern Schädigungsfolgen anzuerkennen seien. Die Beklagte meint weiterhin, dass die Beweiserleichterung des § 15 Satz 1 KOVVfG vorliegend nicht anwendbar sei, weil Unterlagen vorhanden, diese aber nicht im Sinne des klägerischen Begehrens ergiebig seien. Mit der Vorschrift habe der Gesetzgeber Fällen einer extremen Beweisnot begegnen wollen. Ein solcher Fall liege hier aber nicht vor. An einem etwaigen Beweisnotstand würde den Kläger wenigstens ein Mitverschulden treffen, da er seine Ansprüche nicht zeitnah verfolgt habe.
Der Senat hat nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss vom 17. März 2021 den Rechtsstreit gemäß § 153 Abs. 5 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) auf den Berichterstatter übertragen.
Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 16. November 2020 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt schriftlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Er habe ein verlängertes Wochenende gehabt und sei auf der Fahrt von der Kaserne nach Hause verunfallt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den Inhalt der den Kläger betreffenden Verwaltungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte verhandeln und entscheiden, obwohl der Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat weder selbst erschienen noch vertreten gewesen ist. Denn er ist mit der ihm ordnungsgemäß zugestellten Terminsmitteilung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden.
Die zulässige Berufung ist begründet. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts ist unzutreffend und zwar schon deshalb, weil die Feststellung, ein bestimmtes Ereignis sei ein zu entschädigendes Ereignis, im Sozialen Entschädigungsrecht nicht zulässig begehrt und daher auch nicht isoliert festgestellt werden kann (so für das Opferentschädigungsgesetz Bundessozialgericht <BSG>, BeckRS 2014, 23359, Rn. 12 ff.; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, 13. Auflage 2020, § 55, Rn. 13b; anders im Recht der Gesetzlichen Unfallversicherung, nach dem die Klage auf Feststellung einer Berufskrankheit oder eines Arbeitsunfalls zulässig ist, auch wenn damit keine aktuellen Leistungsansprüche verbunden sind, vgl. BSG, NZS 2007, 437, Rn. 5).
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 24. Februar 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Oktober 2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung einer WDB und daraus folgenden Ausgleich oder Versorgung.
Nach § 80 SVG erhält ein Soldat, der eine WDB erlitten hat, auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG. Eine WDB ist eine gesundheitliche Schädigung, die durch eine Wehrdienstverrichtung, durch einen während der Ausübung des Wehrdienstes erlittenen Unfall oder durch die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse herbeigeführt worden ist (§ 81 Abs. 1 SVG). Als Wehrdienst gilt auch das Zurücklegen des mit dem Wehrdienst zusammenhängenden Weges nach und von der Dienststelle (§ 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 SVG). Vorliegend geht es darum, ob der eingetretene Schaden (Gesundheitsstörung) dem Soldaten persönlich – also dessen privater Sphäre – oder seinem Dienstherrn – also der dienstlichen Sphäre – zuzurechnen ist. Versorgungsschutz besteht, wenn zwischen dem Zurücklegen des Weges und dem Wehrdienst ein innerer Zusammenhang besteht. Ob dies der Fall ist, ist wertend unter Berücksichtigung aller Gesamtumstände zu entscheiden. Dieser innere Zusammenhang setzt danach voraus, dass der Weg wesentlich dazu dient, den Ort der Tätigkeit oder nach Beendigung der Tätigkeit die eigene Wohnung oder einen anderen Endpunkt des Weges zu erreichen. Maßgebend ist dabei die subjektive Handlungstendenz des Soldaten, so wie sie insbesondere durch die objektiven Umstände des Einzelfalls bestätigt wird. Fehlt es an einem solchen inneren Zusammenhang, scheidet ein Versorgungsschutz selbst dann aus, wenn sich der Unfall auf derselben Strecke ereignet, die der Soldat auf dem Weg nach oder von dem Ort der Tätigkeit gewöhnlich benutzt (vgl. Lilienfeld in Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 1. Auflage 2012, § 81 SVG, Rn. 90 f.). Es lässt sich nicht feststellen, dass sich der Kläger auf einem solchen versorgungsrechtlich geschützten Weg zum Unfallzeitpunkt befunden hat.
Den Vollbeweis, dass sich der in Rede stehende Unfall auf dem Weg vom Dienst ereignet hat, hat der Kläger nicht geführt, wovon auch das Sozialgericht ausgegangen ist. Letztlich kann der Senat offen lassen, ob § 15 Satz 1 KOVVfG überhaupt anwendbar ist. Allerdings spricht hier gegen dessen Anwendbarkeit, dass der Kläger seinen Versorgungsantrag erst rund 40 Jahre nach dem geltend gemachten Ereignis gestellt hat, ohne dass dafür ein triftiger Grund vorliegt. Wer aber vor seinem Antrag auf Versorgung Jahrzehnte verstreichen lässt, hat die Folgen der durch Zeitablauf bedingten Beweisnot zu tragen. Beweiserleichterung gibt es nur für kriegs- oder im vorliegenden Zusammenhang unfallbedingte Beweisnot, also im weitesten Sinne eine Beweisnot, die ihre Ursache gerade in dem geltend gemachten Ereignis hat (vgl. Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 13. Dezember 1994 - 9/9a RV 9/92 – juris). § 15 Satz 1 KOVVfG ist im Fall der durch Zeitablauf bedingten Beweisnot nicht (so Landessozialgericht Hamburg, Beschluss vom 15. April 2020 - L 3 VE 5/19 -; Landessozialgericht Bayern, Urteil vom 3. Juli 2018 - L 15 VG 26/16 – beide bei juris) oder allenfalls nur eingeschränkt anzuwenden. Die Stellungnahme des Klägers, er habe in dem Jahr (2015) seine Rente beantragt, und der Bundeswehrverband habe ihm dazu (zum Antrag bei der Beklagten) geraten, kann die späte Antragstellung nicht erklären. Das gilt hier umso mehr, als der Kläger nach dem Unfall noch gut drei Jahre im Dienstverhältnis zur Beklagten stand. Dass er insbesondere auch in diesem Zeitraum nicht auf die Idee gekommen ist, einen entsprechenden Anspruch geltend zu machen, ist schlicht unverständlich und letztlich nur damit zu erklären, dass eben doch kein Dienstunfall vorgelegen hat. Dass die späte Antragstellung ihre Ursache im Unfall selbst haben könnte, ist nicht ersichtlich. Letztlich ist es auch zu einer durch Zeitablauf bedingten Beweisnot gekommen. Denn hätte der Kläger seinen Versorgungsantrag zeitnah gestellt, hätte sich eindeutig klären lassen, ob und gegebenenfalls wann der Kläger am Unfalltag Dienst gehabt hat.
Allerdings stehen dem Kläger auch bei Anwendung des § 15 Satz 1 KOVVfG die geltend gemachten Ansprüche nicht zu. Hierzu hat das Sozialgericht zutreffend ausgeführt, dass die gute Möglichkeit ausreicht, es also genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist (vgl. auch BSG, Urteil vom 15. Dezember 2016 - B 9 V 3/15 R – juris). Der Senat teilt aber die Wertung des Sozialgerichts, dass das hier der Fall ist, nicht.
Die Frage, die hier allein im Raum steht, ist, ob sich der Unfall vom 4. Juni 1975 auf der Fahrt vom Dienst ereignet hat (eine Fahrt zum Dienst, die im Arztbrief an den Truppenarzt vom 1. August 1975 mitgeteilt worden ist, dürfte nicht zur Diskussion stehen). Dafür spricht, dass sich der Unfall an einem Ort ereignete, der sich auf einer plausiblen Wegstrecke zwischen Dienst- und Wohnort befand, was indes allein nicht ausreicht. Insoweit ist eine Fahrt vom Dienst möglich. Sie ist aber nicht im Sinne des § 15 Satz 1 KOVVfG gut möglich, weil es sich genauso gut um eine Privatfahrt gehandelt haben kann. Insoweit ist ein Unfall auf einem dienstlich veranlassten Weg nicht am relativ wahrscheinlichsten, sondern allenfalls genauso wahrscheinlich wie eine Privatfahrt. Zu diesem Schluss gelangt der Senat zum einen bei Auswertung der Angaben des Klägers in seiner schriftlichen Stellungnahme für das Sozialgericht vom 19. Dezember 2017. Daraus ergibt sich, dass nicht plausibel ist, warum sich der Unfall zu einer Uhrzeit ereignet haben muss, zu der der Kläger normalerweise noch Dienst gehabt hätte. Denn anders als das Sozialgericht angenommen hat, hat der Kläger als regelmäßige Dienstzeit 7:00 bis 17:00 Uhr und damit als Dienstende gerade nicht 15:00 Uhr angegeben. Die Berechnungen des Sozialgerichts, die es ausgehend von einem Dienstschluss von 15:00 Uhr als stimmig erscheinen lassen, dass der Kläger gegen 17:15 Uhr ins Bundeswehrkrankenhaus verbracht worden ist, können daher nicht erklären, warum der Kläger gerade am Unfalltag seinen Dienst schon zwei Stunden früher beendet hat. Dass der Kläger die Uhrzeit 17:00 Uhr mit dem Zusatz „abends“ versehen hat, lässt es im Übrigen als ausgeschlossen erscheinen, dass er sich bei der Zeitangabe verschrieben haben könnte. Der Hinweis des Klägers im Berufungsverfahren, er habe ein verlängertes Wochenende gehabt, erklärt den skizzierten Widerspruch nur bedingt, zudem hätte ein entsprechender Vortrag schon in der Stellungnahme vom 19. Dezember 2017 nahe gelegen.
Die Aktenlage, die – wie bereits dargelegt – aufgrund der sehr späten Antragstellung des Klägers ohnehin spärlich ist, lässt ebenfalls einen Dienstunfall nicht als gut möglich erscheinen. Hier ist bereits auf die recht eindeutige Erklärung im Krankenblatt des Klägers hinzuweisen, wo als Unfallursache „a. D.“ eingetragen worden ist. Der vom Sozialgericht aufgeworfene Schreibfehler erscheint dem Senat wenig wahrscheinlich. Die übrige Aktenlage ist unergiebig. In dem bereits benannten Arztbrief vom 1. August 1975 ist nur mitgeteilt worden, es solle sich nach Angabe des Klägers um eine Fahrt „zum“ (vgl. oben) Dienst gehandelt haben. Ein WDB-Vorgang ist aber offenbar nicht angelegt worden, was, worauf die Beklagte richtig hinweist, auch in Ansehung der Schwere des Unfalls mindestens als unüblich angesehen werden muss, sollten zum damaligen Zeitpunkt Hinweise auf einen Dienstunfall vorgelegen haben.
Der Hinweis des Klägers, dass er von einem Bundeswehrhubschrauber in ein Bundeswehrkrankenhaus verbracht worden ist, ist von der Beklagten überzeugend dahingehend erklärt worden, als auch ein unzweifelhafter Zivilist je nach Verfügbarkeit eines Bundeswehrhubschraubers genauso behandelt worden wäre. Dass der Kläger seine Uniform getragen haben will, lässt sich der Aktenlage nicht entnehmen. Soweit er insoweit behauptet, das Rote Kreuz habe sich geweigert, ihn abzutransportieren, dürfte dies, worauf die Beklagte ebenfalls zutreffend hinweist, eher auf die Schwere der Verletzungen zurückzuführen sein und nicht auf den behaupteten Umstand, der Kläger habe eine Uniform getragen.
Nur erwähnt sei, dass der Kläger bereits 1972 einen Verkehrsunfall erlitten hatte, der sich ausweislich eines Telefonvermerks in den Akten vom 28. September 2015 nach Angaben des Klägers auf dem Weg zum Dienst ereignet haben solle. Auch dieser Unfall ist im Krankenblatt eindeutig als Autounfall außer Dienst vermerkt worden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil ein Grund hierfür gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG nicht vorliegt.