1. Zulässig gegen einen Versagungsbescheid ist die reine Anfechtungsklage. Dabei ist die Rechtmäßigkeit eines auf § 66 SGB I gestützten Versagungsbescheides allein danach zu beurteilen, ob die in dieser Vorschrift geregelten Voraussetzungen bei seinem Erlass erfüllt waren; ein erst durch eine während des Rechtsmittelverfahrens nachgeholte Mitwirkung erbrachter Nachweis der Anspruchsvoraussetzungen des geltend gemachten Sozialleistungsanspruchs ist für die Entscheidung über ein Rechtsmittel gegen einen Versagungsbescheid nach § 66 SGB I unerheblich. 2. Wendet sich der Bürger gegen die Versagung einer Sozialleistung mangels Mitwirkung, so hat er über die Aufhebung des Versagungsbescheides hinaus regelmäßig kein schützenswertes Interesse an einer gerichtlichen Entscheidung. Eine Leistungsklage ist dann unzulässig. 3. Die Entscheidung über eine Versagung nach § 66 Abs. 1 SGB I steht im Ermessen des Leistungsträgers. Ein Ermessensfehler im Sinne eines Ermessensnichtgebrauchs kann darin bestehen, dass die Behörde Leistungen ganz versagt, ohne dies zu begründen oder eine teilweise Versagung in Betracht zu ziehen.
Auf die Berufung des Klägers werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 10. Mai 2019 und der Bescheid des Beklagten vom 18. August 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Dezember 2015 aufgehoben.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Der Beklagte hat dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten für den gesamten Rechtsstreit zur Hälfte zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Versagung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Der 1980 geborene Kläger beantragte am 30. April 2015 nach Bezug von Arbeitslosengeld I bis zum 22. April 2015 erstmals Arbeitslosengeld II (Alg II) bei dem Beklagten. Da der Antrag nicht vollständig ausgefüllt war, forderte der Beklagte den Kläger zu einer entsprechenden Ergänzung auf. Dieser ergänzte Antrag ging bei dem Beklagten am 26. Mai 2015 ein.
Mit Schreiben vom 26. Mai 2015 forderte der Beklagte den Kläger zur Mitwirkung bis zum 12. Juni 2015 auf. Folgende Unterlagen würden benötigt:
- Kopie des Personalausweises,
- Meldebescheinigung, da unterschiedliche Angaben zum Umzug – 20. März 2015 oder 1. Mai 2015 – vorlägen,
- Bewilligungs-/Aufhebungsbescheid über Arbeitslosengeld I,
- Anlage VM vollständig ausgefüllt, da es nicht sein könne, dass der Kläger Kontoauszüge vorlege, gleichzeitig aber angebe, kein Konto zu besitzen,
- Angaben zu einem PKW (Versicherungsschein und KfZ-Schein), da sich den Kontoauszügen Zahlungen an eine KfZ-Haftpflichtversicherung entnehmen ließen,
- Ergänzung der Kontoauszüge, da diese nicht vollständig seien; es fehlten die Auszüge 19 und 20, die Auszüge 16 und 17 seien nicht lesbar.
Am 2. Juni 2015 ging bei dem Beklagten neben der Mitteilung der Änderung der Bankverbindung ein Bescheid der Bundesagentur für Arbeit vom 23. April 2015 über die Anspruchserschöpfung von Arbeitslosengeld I sowie eine Meldebescheinigung (Meldedatum 15. März 2015) ein; einem Telefonvermerk war zu entnehmen, dass der Kläger erklärt habe, spätestens in zwei Monaten nach B zu ziehen.
Mit Schreiben vom 16. Juni 2015 erinnerte der Beklagte den Kläger an fehlende Unterlagen, namentlich die Anlage VM, Angaben zu einem PKW und die genannten Kontoauszüge mit Erledigungsfrist bis zum 3. Juli 2015. Der Beklagte wies den Kläger darauf hin, dass bei unterlassener oder unvollständiger Erledigung Leistungen bis zur Nachholung der Mitwirkungshandlungen versagt werden könnten.
In der Folge gingen die fehlenden Kontoauszüge ein. Mit Schreiben vom 29. Juni 2015 bat der Beklagte den Kläger abermals, die Anlage VM vollständig auszufüllen und Angaben über einen möglicherweise vorhandenen PKW zu machen.
Nunmehr ging bei dem Beklagten ein Schreiben der Vermieterin (Frau L) ein, dass die Mieter – neben dem Kläger eine Frau Melanie K(K) – seit Einzug am 15. März 2015 keine Miete bezahlen würden.
Mit Schreiben vom 12. Juli 2015 erklärte der Kläger unter anderem, seinen PKW nicht zu nutzen und die KfZ-Versicherung zum 30. April 2015 gekündigt zu haben (Nachweis insoweit lag bei); das Auto werde wahrscheinlich in den nächsten Tagen verkauft. Der Kläger legte die vollständig ausgefüllte Anlage VM vor (Kontostand: - 3.800,- Euro; Auto ein Opel Corsa mit Erstzulassung 2. April 1997 und Kilometerstand 190.000).
Am 21. Juli 2015 telefonierten der Kläger und eine Mitarbeiterin des Beklagten. Dabei ging es um die Frage eines Zusammenlebens des Klägers mit K, aber auch um den Umstand, dass zwei Mietverträge vorlagen. Einen vom 20. Januar 2015 hatten der Kläger und K mit Frau L und Herrn B geschlossen. Gegenstand war ein Bauernhaus bei einer monatlichen Warmmiete von 1.640,- Euro. In einem weiteren Mietvertrag vom 12. April 2015 war als Vermieterin eine Frau F, wohl die Mutter von K, angegeben; Mieter war hiernach nur der Kläger. Mietgegenstand hier war eine Wohnung im 3. Stock zu einer Warmmiete von 509,- Euro. Die Anschrift des Mietobjektes war in den Mietverträgen jeweils identisch.
Mit Schreiben vom 21. Juli 2015 forderte der Beklagte den Kläger bis zum 7. August 2015 zu näheren Angaben zu einem Zusammenleben mit K (Anlage VE nebst Fragebogen) und zu den konkreten Wohnverhältnissen auf. Auch dieses Schreiben enthielt Hinweise zu einer möglichen Leistungsversagung für den Fall einer unterlassenen oder unvollständigen Mitwirkung. Am 31. Juli 2015 informierte der Kläger den Beklagten über seinen Umzug nach Berlin. Weitere Erklärungen machte er nicht.
Mit Bescheid vom 18. August 2015 versagte der Beklagte Leistungen ab dem 1. April 2015 ganz unter Hinweis darauf, dass der Kläger die mit Schreiben vom 21. Juli 2015 genannten Mitwirkungshandlungen nicht erbracht habe. Gründe, die im Rahmen der Ermessensentscheidung zu seinen Gunsten berücksichtigt werden könnten, lägen nicht vor. Der Kläger legte hiergegen Widerspruch ein und erklärte, Kosten der Unterkunft würden nicht geltend gemacht, weil die Mietschulden vom Vermieter erlassen worden seien. Mit Schreiben vom 21. September 2015 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass der Widerspruch aller Voraussicht nach zurückgewiesen werde. Insoweit gehe es auch um Angaben zu einer möglichen eheähnlichen Gemeinschaft im Formular VE, die leistungserheblich seien. Der Kläger erklärte hierzu, es habe keine Bedarfs-, sondern nur eine Wohngemeinschaft vorgelegen. Hierzu legte er die Anlage VE ohne Fragebogen vor, in der er zu den Gründen, warum seines Erachtens keine Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft mit K vorgelegen habe, auf eine „Erklärung“ verwies, die indes nicht beigefügt war.
Mit Widerspruchsbescheid vom 14. Dezember 2015 wies der Beklagte den Widerspruch gegen den Versagungsbescheid mit der Maßgabe zurück, dass Leistungen bis zur Nachholung der Mitwirkung versagt würden. Die geforderten Angaben zu einem Zusammenleben des Klägers mit K seien erforderlich. In seinen Ermessenserwägungen berücksichtigte der Beklagte, dass es um existenzsichernde Leistungen gehe. Andererseits habe der Kläger von Anfang an vorsätzlich falsche Angaben gemacht, um sein Zusammenleben mit K und deren Kind zu verschleiern. Hierzu habe er sogar einen falschen Mietvertrag vorgelegt. Zudem erweise sich mit dem Verzicht auf Leistungen der Unterkunft die Versagung als weniger belastend.
Hiergegen hat der Kläger am 18. Januar 2016 Klage erhoben. Hierzu hat er die Erklärung vom 3. November 2015 vorgelegt, die im Widerspruchsverfahren versehentlich nicht vorgelegt worden war, und in der er mitteilte, er und K (und ihr Kind) hätten in einer Wohngemeinschaft gelebt mit jeweils getrennten Räumen mit Ausnahme der gemeinsam genutzten Küche. Gemeinsame Konten habe man nicht gehabt, Einkäufe seien separat abgerechnet worden.
Der Beklagte hat im Klageverfahren Zweifel daran geäußert, dass der Kläger und K ohne Einkommen gewesen seien. Derzeit gehe er davon aus, dass der Kläger ab dem 1. Februar 2015 ein Gewerbe als Fotograf angemeldet habe. Das Gewerbe sei nicht abgemeldet worden, die Firmenadresse sei die Anschrift der Mutter von K. Im Fall der Aufhebung des Versagungsbescheides wären daher weitere Ermittlungen erforderlich.
Nach Anhörung der Beteiligten hat das Sozialgericht die auf Gewährung von Regelbedarfen im Zeitraum vom 1. April 2015 bis zum 14. Juli 2015 gerichtete Klage durch Gerichtsbescheid vom 10. Mai 2019 abgewiesen. Sinngemäß hat es ausgeführt, dass die Leistungsklage unzulässig sei. Denn bei einer Klage gegen einen Versagungsbescheid gehe es nicht um den materiellen Anspruch, sondern um die Auseinandersetzung über Rechte und Pflichten der Beteiligten im Verwaltungsverfahren. Eine Leistungsklage komme daher nur in Betracht, wenn sich bei der bloßen Aufhebung der Versagungsentscheidung das Verwaltungsverfahren lediglich wiederholen würde oder die anderweitige Klärung der Leistungsvoraussetzungen zwischen den Beteiligten unstreitig sei. Soweit es die Anfechtungsklage betreffe, sei diese unbegründet. Der Kläger sei seinen Mitwirkungspflichten auch im Widerspruchsverfahren nur unzureichend nachgekommen. Soweit er die Anlage VE eingereicht habe, habe die handschriftliche Erklärung vom 3. November 2015 gefehlt. Soweit diese nunmehr vorgelegt worden sei, könne dies bei der Beurteilung der Anfechtungsklage nicht berücksichtigt werden, weil insoweit die Verhältnisse zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung entscheidend seien. Schließlich lägen die Voraussetzungen einer Ermessensreduzierung auf Null hinsichtlich der vollständigen Leistungsversagung vor, weil dem Beklagten anderweitige Ermittlungsmöglichkeiten in Bezug auf eine mögliche Einstehens- und Verantwortungsgemeinschaft nicht zur Seite gestanden hätten.
Gegen den ihm am 13. Mai 2019 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 13. Juni 2019 Berufung eingelegt. Er habe die Anlage VE im Widerspruchsverfahren vorgelegt und nur versehentlich seine handschriftliche Erklärung vom 3. November 2015 nicht beigefügt. Nachgefragt habe der Beklagte insoweit nicht. Der Bescheid sei ermessensfehlerhaft, weil allenfalls Erwägungen zum „Ob“, nicht aber zum Umfang der Versagung vorlägen. Fakten für die formelhafte Abwägung würden nicht genannt. Die Mitwirkungspflichten seien im Widerspruchsverfahren nachgeholt oder hinfällig geworden, allenfalls sei die Mitwirkung unvollständig gewesen. Es sei auch nur noch um den Regelbedarf gegangen und insoweit auch nur um 10 Prozent. K habe Regelleistungen erhalten. Dass wegen der Angaben des Klägers auch zu den Unterkunftskosten eine sehr genaue Prüfung erforderlich und daher eine Versagung erfolgt sei, sei willkürlich. Insoweit werde offenbar ein Vorverhalten sanktioniert und nicht eine fehlende Mitwirkung. Zu berücksichtigen sei auch, dass mit dem fehlenden Bezug von Alg II auch ein fehlender Krankenversicherungsschutz einhergehe. Eine Leistungsklage sei hier zulässig, weil der Anspruch auf den Regelbedarf – jedenfalls im Umfang von 90 Prozent – zwischen den Beteiligten unstreitig gewesen sei.
Nach Anhörung der Beteiligten hat der Senat die Berufung durch Beschluss vom 9. Oktober 2019 gemäß § 153 Abs. 5 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) dem Berichterstatter übertragen.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 10. Mai 2019 und den Bescheid des Beklagten vom 18. August 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Dezember 2015 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger Regelleistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch in gesetzlicher Höhe für den Zeitraum vom 1. April 2015 bis zum 14. Juli 2015 zu gewähren,
hilfsweise,
die Leistungsakten des Beklagten für Frau M K für den streitigen Zeitraum hinsichtlich der dortigen Leistungsgewährung und der dortigen Angaben zum Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft beizuziehen.
Der Beklagte beantragt schriftlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte trotz des – angekündigten - Ausbleibens eines Vertreters des Beklagten gemäß § 124 Abs. 1, § 126 SGG verhandeln und aufgrund mündlicher Verhandlung entscheiden, denn die Beteiligten sind mit der ihnen ordnungsgemäß zugestellten Terminsmitteilung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden.
Die zulässige Berufung ist teilweise begründet. Der angefochtene Gerichtsbescheid ist nur zum Teil zutreffend. Die Klage ist teilweise unzulässig, im Übrigen aber zulässig und begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 18. August 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Dezember 2015 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.
Zulässig ist die reine Anfechtungsklage gegen den angefochtenen Versagungsbescheid. Sie ist auch begründet. Dabei ist die Rechtmäßigkeit eines auf § 66 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I) gestützten Versagungsbescheides allein danach zu beurteilen, ob die in dieser Vorschrift geregelten Voraussetzungen bei seinem Erlass erfüllt waren; ein erst durch eine während des Rechtsmittelverfahrens nachgeholte Mitwirkung erbrachter Nachweis der Anspruchsvoraussetzungen des geltend gemachten Sozialleistungsanspruchs ist für die Entscheidung über ein Rechtsmittel gegen einen Versagungsbescheid nach § 66 SGB I unerheblich (vgl. nur Bundesverwaltungsgericht <BVerwG>, Urteil vom 17. Januar 1985 - 5 C 133/81 – juris).
Gemäß § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I kann der Leistungsträger ohne weitere Ermittlungen die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen, wenn derjenige, der eine Sozialleistung beantragt oder erhält, seinen Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 62, 65 SGB I nicht nachkommt, hierdurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert wird und die Voraussetzungen der Leistung nicht nachgewiesen sind. Soweit die Leistungsvoraussetzungen teilweise nachgewiesen sind, ist nur eine teilweise Versagung möglich. Nach § 66 Abs. 3 SGB I dürfen Sozialleistungen wegen fehlender Mitwirkung nur versagt oder entzogen werden, nachdem der Leistungsberechtigte auf diese Folge schriftlich hingewiesen worden ist und seiner Mitwirkungspflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten angemessenen Frist nachgekommen ist. Die fragliche Mitwirkungspflicht darf nicht unzumutbar sein im Sinn von § 65 SGB I.
Die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Leistungsversagung lagen hier zwar grundsätzlich vor. Wer Sozialleistungen beantragt, hat alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind (§ 60 Abs. 1 Nr. 1 SGB I). Notwendig sind bei einem Antrag auf Alg II auch Angaben zu einem Zusammenleben mit anderen Personen, die die Beurteilung ermöglichen, ob eine Bedarfsgemeinschaft oder (nur) eine Wohngemeinschaft vorliegt. Dabei gehören zu einer Bedarfsgemeinschaft auch Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 Nr. 3, Abs. 3a SGB II. Dies ist für die Höhe des Regelbedarfes entscheidend, weil Partner einer Bedarfsgemeinschaft nach § 20 Abs. 4 SGB II nur 90 Prozent des Alleinstehendenregelbedarfs nach § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II erhalten. Zudem sind gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, auch das Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen. Außer Betracht können vorliegend dagegen bei nicht mehr geltend gemachten Leistungen für Unterkunft und Heizung die leistungsrechtlichen Auswirkungen auf selbige bleiben. Der Kläger hat seiner Mitwirkungsobliegenheit nicht genügt, weil er auf dem entsprechenden Formular VE lediglich Angaben gemacht hat, die dem Beklagten bereits bekannt gewesen sind, nämlich seinen Namen, sein Geburtsdatum und seine BG-Nummer. Hinsichtlich möglicher Gründe, die gegen eine Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft sprechen, hat er auf eine „Erklärung“ verwiesen, die dem Formular indes nicht beigefügt gewesen ist. Ungeachtet dessen, ob man für entsprechende Angaben Formulare des Beklagten nutzen muss (vgl. § 60 Abs. 2 SGB I), fehlt es damit jedenfalls insgesamt an Angaben des Klägers, die die Beurteilung ermöglichten, ob eine Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft mit K und deren Kind bestand oder nicht. Die fernmündlichen Erklärungen des Klägers in einem Telefonat vom 21. Juli 2015 reichten jedenfalls zur Klärung nicht aus, zumal ausweislich des aktenkundigen Gesprächsvermerks zahlreiche Fragen offen geblieben sind. Ungeachtet der rechtlichen Bedeutung dieses Einwandes vermag der Senat auch nicht zu erkennen, dass der Kläger – wie von seinem Prozessbevollmächtigten im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat nochmals hervorgehoben – durch Einreichung des Formulars VE im Widerspruchsverfahren mitgewirkt hat und insoweit der Widerspruchsbescheid eine neue Entscheidung enthält, wonach diese Mitwirkung nicht ausreicht. Denn das eingereichte Formular enthält – wie bereits skizziert – überhaupt keine Angaben zu der hier aufgeworfenen Frage einer Bedarfsgemeinschaft des Klägers mit K und deren Kind.
Der Beklagte musste den Kläger auch nicht nochmals um Vervollständigung seiner Angaben bitten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Kläger bereits auf das Mitwirkungsschreiben vom 21. Juli 2015 nicht reagiert hatte. Seine Ausführungen im Widerspruchsverfahren etwa mit Schriftsatz vom 17. September 2015 konnten durchaus so verstanden werden, dass er seine Angaben generell nicht für ergänzungsbedürftig hielt. Sein Hinweis mit Schriftsatz vom 15. Oktober 2015, der Vortrag werde noch ergänzt, bezog sich allein auf Vorbringen zu Ermessensfehlern des Beklagten. Auch vor diesem Hintergrund konnte der Hinweis des Klägers im Formular VE auf eine „Erklärung“ auch so verstanden werden, dass er den Vortrag seines Prozessbevollmächtigten im Schriftsatz vom 13. November 2015 in Bezug nahm, es habe weder eine Lebens- noch eine Wirtschaftsgemeinschaft bestanden. Der Kläger ist in dem Aufforderungsschreiben zur Mitwirkung vom 21. Juli 2015 auch hinreichend über die möglichen Rechtsfolgen einer weiterhin unzureichenden Mitwirkung belehrt worden.
Die Einreichung der „Erklärung“ im Klageverfahren spielt für die Beurteilung des Versagungsbescheides vorliegend keine Rolle. Dies liegt zum einen daran, dass – wie bereits dargelegt – für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines Versagungsbescheides die Verhältnisse der letzten behördlichen Entscheidung – hier des Widerspruchsbescheides – maßgeblich sind. Der in § 66 Abs. 1 SGB I auch enthaltenen zeitlichen Begrenzung für die Versagung der beantragten Sozialleistung, nämlich bis zur Nachholung der - zuvor pflichtwidrig unterlassenen - Mitwirkung, kommt im vorliegenden Fall ebenfalls keine Bedeutung zu (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Januar 1985 - 5 C 133/81 – juris). Denn die Wirkung des Versagungsbescheides erstreckt sich ohnehin nur auf einen vor der möglichen Nachholung der Mitwirkung endenden Zeitraum, weil Alg II nur bis zum 14. Juli 2015 begehrt wird, die Mitwirkung aber allenfalls mit der Übersendung der Erklärung des Klägers am 17. März 2016, also nach Ablauf des Bewilligungszeitraumes nachgeholt worden sein könnte.
Die Versagung ist hier aber ermessensfehlerhaft verfügt worden. Die Entscheidung über eine Versagung nach § 66 Abs. 1 SGB I steht im Ermessen des Leistungsträgers. Gemäß § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG dürfen die Gerichte nur prüfen, ob die Verwaltung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat, ob sie also die ihr durch das Verwaltungsverfahrensrecht (vgl. § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB I) auferlegte Verhaltenspflicht beachtet haben, ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Fehler in der Ermessensausübung sind Ermessensnichtgebrauch, Ermessensüberschreitung, Ermessensunterschreitung/Ermessensmangel und schließlich Ermessensfehlgebrauch/Ermessensmissbrauch (vgl. Landessozialgericht <LSG> Bayern, Urteil vom 6. Mai 2021 - L 16 AS 652/20 – juris). Ermessensnichtgebrauch liegt vor, wenn überhaupt keine Ermessenserwägungen angestellt werden und so gehandelt wird, als ob eine gebundene Entscheidung zu treffen ist. Bei einer Ermessensüberschreitung wird eine Rechtsfolge gesetzt, die in der gesetzlichen Regelung nicht vorgesehen ist. Ermessensmissbrauch liegt vor, wenn ein unsachliches Motiv oder ein sachfremder Zweck verfolgt wird. Ermessensfehlgebrauch liegt als Abwägungsdefizit vor, wenn nicht alle Ermessensgesichtspunkte, die nach Lage des Falles zu berücksichtigen sind, in die Entscheidungsfindung einfließen. Der Fehlgebrauch kann auch als Abwägungsdisproportionalität vorliegen, wenn die Behörde die abzuwägenden Gesichtspunkte rechtlich fehlerhaft gewichtet hat. Des Weiteren kann ein Fehlgebrauch erfolgt sein, wenn die Behörde ihrer Ermessensbetätigung einen unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt zugrunde gelegt hat. Schließlich liegt eine Ermessensunterschreitung oder ein Ermessensmangel vor, wenn zwar Ermessenserwägungen angeführt werden, diese aber unzureichend sind, weil sie zum Beispiel nur aus formelhaften Wendungen bestehen (vgl. Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 9. November 2010 - B 2 U 10/10 R - juris).
Ermessensnichtgebrauch liegt hier zum Umfang der Versagung vor (vgl. LSG Hamburg, Urteil vom 17. Januar 2020 - L 4 AS 269/18 – juris). Der Beklagte hat Leistungen ganz versagt, ohne dies zu begründen oder eine teilweise Versagung in Betracht zu ziehen. Ermessenserwägungen zum Umfang der Versagung werden nicht angeführt. Dabei hätte dies hier in besonderer Weise nahe gelegen. Denn nach Lage der Akten spricht nichts dafür, dass der Beklagte annehmen durfte oder angenommen hat, K oder ihr Kind hätten über Einkommen oder Vermögen verfügt, dass einem Leistungsanspruch des Klägers entgegen stand. Einem aktenkundigen Auftragsprotokoll vom 24. Juli 2015 ist in Bezug auf K und ihr Kind eine BG-Nummer zu entnehmen, was den Vortrag des Klägers stützt, K und ihr Kind hätten Leistungen bezogen. Insoweit war es vielleicht nicht zwingend, hätte aber nahe gelegen, dem Kläger Leistungen ausgehend vom „Partner-Regelbedarf“ gemäß § 20 Abs. 4 SGB II zu gewähren. Jedenfalls hätte diese Möglichkeit in die Ermessenserwägungen eingestellt werden müssen. Eine nur teilweise Aufhebung des Versagungsbescheides im Sinne einer Art geltungserhaltenden Reduktion des Verfügungssatzes dergestalt, als eine Versagung der Regelleistung jedenfalls im Umfang von 10 Prozent erhalten bleibt, war dem Senat nicht möglich. Denn es ist dem Senat verwehrt, anstelle des Beklagten eine eigene Ermessensentscheidung über das „Ob“ und den Umfang der Versagung zu treffen. Das Gericht darf also bei der Ermessensüberprüfung nicht sein eigenes Ermessen an die Stelle des Verwaltungsermessens setzen (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, 13. Auflage 2020, § 54, Rn. 28).
Ein Fall der Ermessensreduzierung auf Null liegt hier entgegen der Einschätzung des Sozialgerichts nicht vor. Selbst wenn es zuträfe, in Bezug auf eine mögliche Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft des Klägers und K habe es keine anderen Ermittlungsmöglichkeiten als die geforderten Mitwirkungsmaßnahmen gegeben (was ist mit einer Befragung der K?), könnte sich dieser Gesichtspunkt nicht auf die Frage auswirken, ob anstelle einer vollständigen eine teilweise Versagung von Leistungen in Betracht kommt.
Die Leistungsklage ist bereits unzulässig, die zulässige Berufung insoweit unbegründet. Wendet sich der Bürger gegen die Versagung einer Sozialleistung mangels Mitwirkung, so hat er über die Aufhebung des Versagungsbescheides hinaus regelmäßig kein schützenswertes Interesse an einer gerichtlichen Entscheidung (vgl. BSG, Urteil vom 1. Juli 2009 – B 4 AS 78/08 R – juris). Streitgegenstand eines solchen Rechtsstreits ist nicht der materielle Anspruch, sondern die Auseinandersetzung über Rechte und Pflichten der Beteiligten im Verwaltungsverfahren. Die Verpflichtung der Behörde zur nochmaligen Entscheidung ergibt sich bei der Aufhebung des Versagungsbescheides von selbst. Die von der Rechtsprechung entwickelten Voraussetzungen für eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass lediglich die isolierte Anfechtung des Versagungsbescheides statthaft ist, liegen nicht vor. Für diese Rechtsprechung werden Gründe der Prozessökonomie und des effektiven Rechtsschutzes angeführt. Eine zusätzliche Klage auf Leistungsgewährung ist danach zulässig, wenn die anderweitige Klärung der Leistungsvoraussetzungen zwischen den Beteiligten unstreitig ist oder vom Kläger behauptet wird. Eine derartige Situation liegt hier schon deshalb nicht vor, weil der Beklagte mittlerweile die Erzielung von Einkommen aus selbständiger Tätigkeit durch den Kläger in den Raum gestellt hat, das dem Anspruch auf Alg II im streitigen Zeitraum möglicherweise ganz oder teilweise entgegen steht. Der Umstand, dass dieser Gesichtspunkt bis zum Abschluss des hier vorliegenden Verwaltungsverfahrens keine Rolle spielte, spricht nicht gegen dessen Berücksichtigung im Rahmen der Beurteilung der Zulässigkeit der Leistungsklage, weil maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage für die Leistungsklage der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung der Tatsacheninstanz ist (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, 13. Auflage 2020, § 54, Rn. 34). Soweit der Kläger behauptet, der Anspruch auf 90 Prozent des Regelbedarfs sei unstreitig, folgt daraus nicht die Zulässigkeit der Klage, weil damit nicht die Behauptung verbunden ist, der Nichtbezug von Einkommen sei anderweitig geklärt. Dass der Kläger behauptet, er habe im streitigen Zeitraum kein Einkommen erzielt, ist damit nicht zu verwechseln (vgl. LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 6. November 2008 - L 5 AS 112/07 – juris). Auch der Fall, dass sich bei einer Aufhebung der Entscheidung über die Versagung wegen fehlender Mitwirkung nach § 66 SGB I das bisherige Verwaltungsverfahren lediglich wiederholen würde und im Ergebnis der Beklagte die Leistung in der Sache voraussichtlich mit der gleichen Begründung ablehnen würde, liegt aus dem genannten Grund nicht vor, weil der Beklagte ausgehend von seinem Rechtsstandpunkt Ermittlungen zu Einkommen des Klägers anstellen würde.
Dem hilfsweise gestellten Beweisantrag des Klägers war nicht nachzukommen. Denn in Bezug auf die reine Anfechtungsklage hat er obsiegt und in Bezug auf die Leistungsklage kann sich deren Zulässigkeit aus den Leistungsakten der K nicht ergeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil ein Grund hierfür gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG nicht vorliegt.