1. Hat das Sozialgericht gestützt auf § 131 Abs. 5 SGG zu Unrecht den angefochtenen Bescheid aufgehoben und die Sache an die Verwaltung zurückverwiesen, ohne eine eigentliche Sachprüfung vorzunehmen, ist Rechtsgrundlage für eine Zurückverweisung § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGG. 2. An die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Zurückverweisung gemäß § 131 Abs. 5 SGG an die Verwaltung sind strenge Anforderungen zu stellen. 3. Das Einholen eines medizinischen Sachverständigengutachtens für das Gericht ist regelmäßig nicht mit einem erheblichen Aufwand verbunden. Denn eine solche Ermittlungstätigkeit ist für die alltägliche Arbeit der Sozialgerichte geradezu typisch, weshalb sie auch in § 106 Abs. 3 Nr. 5 SGG beispielhaft aufgezählt ist. 4. Soweit das Sozialgericht von der Notwendigkeit der Einholung von (mindestens) zwei Sachverständigengutachten ausgeht, ist der Aufwand ebenfalls in der Regel nicht erheblich. Denn der Ermittlungsaufwand ist nicht wesentlich höher als wenn nur ein Gutachten eingeholt wird, zumal die Beweisfragen regelmäßig dieselben sind. Zudem gehört auch die Einholung von mehr als einem Gutachten gleichsam zum „Tagesgeschäft“ im sozialgerichtlichen Verfahren, zumal bestimmte Krankheitskombinationen – etwa orthopädische Leiden und daneben bestehende psychische Leiden in Form einer Schmerzerkrankung – durchaus geläufig sind. 5. Sachdienlichkeit einer Zurückverweisung ist anzunehmen, wenn die Behörde nach ihrer personellen und sachlichen Ausstattung die erforderlichen Ermittlungen inhaltlich besser und schneller durchführen kann als das Gericht und es auch unter übergeordneten Gesichtspunkten sachgerechter ist, die Behörde tätig werden zu lassen. 6. Allerdings bedarf die Berücksichtigung der Belange der Beteiligten, die sich nach den Umständen des Einzelfalls richtet, bei Verpflichtungsklagen und kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklagen besonderer Prüfung, weil in diesem Fall das Bedürfnis des Klägers an einer baldigen abschließenden gerichtlichen Entscheidung stärker ist als bei einer reinen Anfechtungsklage. Übergeordnete Gesichtspunkte, die es rechtfertigen, dass der jeweilige Kläger bei Verpflichtungsklagen oder kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklagen mit der Verzögerung des Rechtsstreits belastet wird, setzen daher in der Regel ein gravierendes Ermittlungsdefizit voraus, das im Interesse der Allgemeinheit an einer funktionierenden Verwaltung nicht mehr hinnehmbar ist.
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 26. August 2021 aufgehoben und die Sache an das Sozialgericht Neuruppin zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Entscheidung des Sozialgerichts vorbehalten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
In der Sache streiten die Beteiligten um die Höhe des Grades der Behinderung (GdB). Konkret geht es vorliegend darum, ob das Sozialgericht zu Recht die Sache zur erneuten Entscheidung an den Beklagten zurückverwiesen hat.
Die 1959 geborene Klägerin beantragte im Oktober 2020 unter Bezugnahme auf einen nicht aktenkundigen Antrag von November 2019 erstmals die Feststellung ihres Behindertenstatus. Sie bezog sich auf psychische und orthopädische Leiden und einen Diabetes und stellte mit Schreiben vom 24. September 2020 klar, dass es um die rückwirkende Feststellung ab Oktober/November 2019 gehe. Der Beklagte holte bei der Klägerin eine Auskunft über ihren Diabetes und ärztliche Auskünfte bei dem Orthopäden Dr. W, bei dem Neurologen und Psychiater Dr. I und bei dem Allgemeinmediziner O sowie eine gutachtliche Stellungnahme bei Dr. V ein und stellte mit Bescheid vom 9. November 2020 den GdB mit Wirkung ab dem 1. Oktober 2019 mit 20 fest wegen einer psychischen Störung, einer Funktionsstörung der Wirbelsäule und einer Funktionsstörung beider Schultergelenke, die er jeweils mit Einzel-GdB von 20 bewertete. Die Klägerin legte hiergegen Widerspruch ein und zur Begründung medizinische Unterlagen vor. Der Beklagte holte im Widerspruchsverfahren einen weiteren Befundbericht bei dem Psychiater Dr. I, eine gutachtliche Stellungnahme bei Dr. B (Einschätzung GdB 20) sowie eine Entscheidung von Frau S- (Einschätzung GdB 30) ein. Mit Widerspruchsbescheid vom 26. März 2021 stellte der Beklagte den GdB mit Wirkung ab dem 1. Oktober 2019 mit 30 fest, wies den Widerspruch im Übrigen aber zurück. Der Beklagte folgte demnach Frau S-, ging von denselben Funktionsbeeinträchtigungen und Einzel-GdB aus, bildete hieraus aber einen höheren Gesamt-GdB.
Hiergegen hat die Klägerin am 28. April 2021 Klage erhoben.
Das Sozialgericht hat die Beteiligten mit gerichtlichem Schreiben vom 29. Juni 2021 darüber in Kenntnis gesetzt, dass erwogen werde, das vorliegende Verfahren gemäß § 131 Abs. 5 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zur weiteren Sachaufklärung an den Beklagten zurückzuverweisen. Die Beteiligten sind dem jeweils entgegengetreten.
Durch Urteil vom 26. August 2021 hat das Sozialgericht den Bescheid des Beklagten vom 9. November 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. März 2021 aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung über den Erstfeststellungsantrag der Klägerin für die Zeit ab dem 1. Oktober 2019 an den Beklagten zurückverwiesen. Die Klage sei als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage statthaft und im Sinne der teilweisen Aufhebung der angefochtenen Bescheide unter Zurückverweisung der angegriffenen Entscheidung an den Beklagten zur neuerlichen Prüfung und nochmaligen Sachentscheidung auch begründet. Soweit der Klageantrag darüber hinaus auf ein zusprechendes Verpflichtungsurteil gerichtet sei, habe es keiner Klageabweisung im Übrigen bedurft. Denn der Streitgegenstand sei vorliegend auf den Anfechtungsteil beschränkt, da die Voraussetzungen für eine Entscheidung nach § 131 Abs. 5 SGG vorliegen würden. Der angefochtene Bescheid sei aufzuheben und die Sache zur erneuten Prüfung und Entscheidung an den Beklagten zurückzuverweisen. Einer ausdrücklichen Verpflichtung des Beklagten zur erneuten Verbescheidung habe es nicht bedurft, denn aus der Aufhebung der angefochtenen Bescheide folge bereits kraft Gesetzes, dass der Beklagte über den Feststellungsantrag der Klägerin erneut zu entscheiden habe.
Nach § 131 Abs. 5 Satz 1 SGG könne das Gericht, wenn es eine weitere Sachaufklärung für erforderlich halte, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich seien und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich sei. Eine Entscheidung nach Satz 1 könne gemäß § 131 Abs. 5 Satz 5 SGG nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen. Vor einer Entscheidung nach § 131 Abs. 5 SGG seien die Beteiligten hierzu zu hören. Der Anwendungsbereich des § 131 Abs. 5 Satz 1 SGG sei eröffnet. Insoweit erweitere § 131 Abs. 5 Satz 2 SGG den Anwendungsbereich des Satzes 1 auf Klagen auf Verurteilung zum Erlass eines Verwaltungsaktes. Die formellen Voraussetzungen für die Zurückverweisung würden vorliegen. Die Schwerbehindertenakte sei am 17. Mai 2021 beim Sozialgericht eingegangen. Damit sei die Sechsmonatsfrist gewahrt. Bei den materiellen Voraussetzungen sei nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu berücksichtigen, dass es sich bei § 131 Abs. 5 SGG um eine Vorschrift mit Ausnahmecharakter handele, so dass die Tatbestandsvoraussetzungen eng auszulegen und auf besonders gelagerte Fälle beschränkt seien. § 131 Abs. 5 SGG begründe eine Ausnahme von der Verpflichtung der Gerichte, die bei ihnen anliegenden Sachen grundsätzlich selbst spruchreif zu machen. Sie soll den Gerichten im Interesse einer zügigen Erledigung des Rechtsstreits die eigentlich der Behörde obliegende zeit- und kostenintensive Sachverhaltsaufklärung ersparen und einer sachwidrigen Aufwandsverlagerung entgegenwirken, wenn die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich seien und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich sei. § 131 Abs. 5 SGG ziele darauf ab, einer Verlagerung der Amtsermittlungspflicht der Behörde nach § 20 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) in das gerichtliche Verfahren entgegenzuwirken. Die Vorschrift diene nicht dazu, dem jeweils vorherigen Entscheidungsträger das eigene Verständnis von ausreichender Sachverhaltsaufklärung als verbindlich vorzuschreiben, sondern in Ausnahmefällen bei Unterschreitung der an eine Sachaufklärung zu stellenden Mindestanforderungen eine erneute Entscheidung des vorhergehenden Entscheidungsträgers nach weiteren Ermittlungen zu erwirken. Grundsätzlich soll nur ein der Behörde unterlaufener und den Sachverhalt betreffender Aufklärungsmangel und demzufolge eine sachwidrige Aufwandsverlagerung auf die Gerichte zur Zurückverweisung berechtigen. Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung eines Aufklärungsmangels sei regelmäßig der Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung, da die Behörde spätere Entwicklungen bei ihrer Entscheidungsfindung nicht berücksichtigen könne. Nach diesen Maßgaben habe zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides ein Aufklärungsmangel vorgelegen, der die Kammer bei pflichtgemäßer Ausübung ihres Ermessens berechtige, die Sache an den Beklagten zurückzuverweisen.
Für die Entscheidung in der Sache sei eine weitere Sachaufklärung erforderlich. Die insoweit erforderlichen Ermittlungen würden sich vorliegend als erheblich darstellen. Für die Höhe des GdB seien alle vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen und deren Einzelbewertung maßgeblich. Zu deren Aufklärung habe sich der Beklagte vorliegend darauf beschränkt, Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte einzuholen und diese durch seinen versorgungsärztlichen Dienst auswerten zu lassen. Teilweise werde angenommen, dass diese Ermittlungen „vom Schreibtisch aus“ speziell in dem durch medizinische Fragen geprägten Gebiet des Schwerbehindertenrechts in der Regel nicht ausreichend seien. Es könne dahinstehen, ob bereits aus diesem Grund ein Aufklärungsmangel anzunehmen sei. Denn jedenfalls würden die vom Beklagten vorgenommenen Ermittlungen in dem konkreten Fall der Klägerin eine Bewertung der Einzel-GdB und des hieraus zu bildenden Gesamt-GdB nicht zulassen. Dabei sei insbesondere die bisherige Sachverhaltsaufklärung zu den orthopädischen und psychischen Leiden der Klägerin grob unzureichend.
Nach einem ärztlichen Entlassungsbericht vom 27. Juli 2018 klage die Klägerin seit Jahrzehnten über Beschwerden des Bewegungsapparates insbesondere im Bereich der Lenden- und Halswirbelsäule, wobei zum Zeitpunkt der Reha-Behandlung thorakale Beschwerden sowie eine Bewegungseinschränkung im Bereich der rechten Schulter nach subkapitaler Humerusfraktur vorrangig gewesen seien. Nach eingehender Erörterung der Diagnosen hat das Sozialgericht hierzu ausgeführt, dass sich anhand der dem Beklagten vorliegenden medizinischen Unterlagen nicht beurteilen lasse, welche Funktionsstörungen aus dem Wirbelsäulenschaden resultierten. Insoweit fehle es vorliegend insbesondere an einer fachärztlichen Befunderhebung der Bewegungseinschränkungen unter Anwendung der Neutral-Null-Methode. Bei dieser Sachlage sei unklar, auf welcher Grundlage die ärztlichen Berater des Beklagten zu der Einschätzung gelangt seien, die Funktionsstörung der Wirbelsäule sei mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten. Angesichts der von der Klägerin konsistent geschilderten erheblichen Rumpfbeschwerden und der Ausführungen des behandelnden Orthopäden Dr. W hätte sich der Beklagte zu einer weiteren Aufklärung gedrängt fühlen müssen, dies entweder durch eine versorgungsärztliche Untersuchung der Klägerin oder durch Einholung eines orthopädischen Sachverständigengutachtens.
Auch die Aufklärung der bei der Klägerin vorliegenden psychischen Erkrankung sei unzureichend. Der behandelnde Psychiater berichte insoweit von einer rezidivierenden depressiven Störung mittelgradiger Ausprägung. Allerdings finde sich in seinen Befundberichten kein aussagekräftiger psychopathologischer Befund. Relevante Feststellungen etwa zur Bewusstseinslage, zur Orientierung, zur Aufmerksamkeit, zur Gedächtnisleistung, zum formalen und inhaltlichen Denken sowie zur Affektivität fehlten. Allerdings würden die Ausführungen des Psychiaters durchaus in Richtung einer stärker behindernden Störung weisen. Hinzu komme, dass der behandelnde Hausarzt bei der Klägerin zuletzt die Verdachtsdiagnose Neurasthenie (Erschöpfungssyndrom, „Burnout“) gestellt habe. Für eine verlässliche Einschätzung des Schweregrades der psychischen Störung hätte auch auf psychiatrisch-neurologischem Fachgebiet eine eingehende fachärztliche Untersuchung der Klägerin erfolgen müssen. Soweit der versorgungsärztliche Dienst des Beklagten die Einstufung des psychischen Leidens als leichte vegetative Störung damit begründe, dass die psychotherapeutische Behandlung erst begonnen habe und der Verlauf abzuwarten bleibe, erscheine dies angesichts eines dokumentierten Behandlungsbeginn im Februar 2019 wenig überzeugend.
Die Aufklärung des Diabetes der Klägerin sei gleichfalls unzureichend. Aus dem Bericht des behandelnden Hausarztes ergebe sich ein deutlicher Anstieg des HbA1c-Wertes, was auf eine Verschlechterung der Einstellungsqualität hindeute. Hier wäre es angezeigt gewesen, die behandelnde Endokrinologin Dr. S um Auskunft zu bitten. Diese hätte auch zu den Folgen der erst im Juni 2020 erfolgten Thyreoidektomie befragt werden können. Dies sei jedoch unterblieben, so dass auch auf internistischem Fachgebiet weiterer Aufklärungsbedarf bestehe.
Die erforderliche Sachverhaltsaufklärung sei als erheblich anzusehen. Die Erheblichkeit könne sich aus Zeitdauer, Umfang und den personellen Möglichkeiten des Gerichts ergeben. Allein die Entstehung hoher Kosten könne allerdings die Zurückverweisung an die Verwaltung nicht mehr begründen, seitdem der Gesetzgeber in § 192 Abs. 4 SGG die Möglichkeit geschaffen habe, der Behörde ganz oder teilweise die Kosten des Gerichts aufzuerlegen, die durch eine unterlassene notwendige Ermittlung verursacht würden. Erheblich seien aber sämtliche Ermittlungsvorgänge, die im gerichtlichen Alltag erheblichen Aufwand verursachen würden. Von einem solchen erheblichen Aufwand sei hier auszugehen. Denn die Ermittlungen des Beklagten seien insbesondere auf orthopädischem und psychiatrischem Fachgebiet stark defizitär. Dahinstehen könne, ob die erforderlichen Ermittlungen bereits dann erheblich seien im Sinne von § 131 Abs. 5 SGG, wenn das Gericht mindestens ein medizinisches Sachverständigengutachten einholen müsse. Denn im vorliegenden Fall erfordere die Sachverhaltsaufklärung die Einholung mehrerer Gutachten nach ambulanter Untersuchung der Klägerin auf zumindest zwei, gegebenenfalls auch auf drei medizinischen Fachgebieten. Dies sei jedenfalls ausreichend, um von Ermittlungen auszugehen, die einen erheblichen Einsatz sachlicher und personeller Mittel erfordern würden. Dabei sei zu berücksichtigen, dass nach eigener Erfahrung der Kammer bereits die Suche nach einem geeigneten Sachverständigen mit nicht unerheblichem Aufwand verbunden sein könne. Außerdem generiere die Einholung von Gutachten gegebenenfalls weiteren Ermittlungsaufwand, etwa zur Einholung ergänzender Stellungnahmen oder eines im Einzelfall erforderlichen Obergutachtens. Dem Beklagten sei zuzugeben, dass die Einholung und Auswertung von medizinischen Sachverständigengutachten zu den richterlichen Aufgaben gehöre, die typischerweise mit der Betreuung eines medizinischen Sachgebietes verbunden seien. Richtig sei auch, dass gegenwärtig in Klageverfahren, die das Schwerbehindertenrecht betreffen würden, von Seiten des Gerichts regelhaft ein oder auch mehrere fachärztliche Sachverständigengutachten eingeholt würden. Dies sei allerdings auch dem Umstand geschuldet, dass der Beklagte seine Ermittlungstätigkeit in Schwerbehindertensachen ebenso regelhaft auf die Einholung von Befundberichten beschränke. Die Kammer teile jedoch die Auffassung des Beklagten, dass von einem erheblichen Mehraufwand nur dann ausgegangen werden könne, wenn dieser Aufwand nicht ohnehin, das heißt auch bei pflichtgemäßer Sachverhaltsaufklärung durch den Beklagten, entstünde. In diesem Zusammenhang weise der Beklagte allerdings selbst auf den hypothetischen Charakter und die Unsicherheiten einer solchen Vergleichsbetrachtung hin. Nach Auffassung der Kammer dürfte es regelmäßig zu einer Reduzierung des Ermittlungsaufwandes im Klageverfahren führen, wenn eine ambulante ärztliche Untersuchung bereits im Verwaltungsverfahren vorgenommen würde. Soweit der Beklagte hiergegen einwende, dass einer von der Behörde veranlassten Begutachtung oder Untersuchung als parteiliches Beweismittel keine befriedigende Wirkung zukommen dürfte, teile die Kammer dies nicht. Zwar sei es richtig, dass Partei- oder Verwaltungsgutachten vom Gericht nur im Wege des Urkundenbeweises und nicht wie ein gerichtliches Gutachten unmittelbar berücksichtigt und gewürdigt werden könnten. Es gebe jedoch keine Beweisregel, dass einem Verwaltungsgutachten stets, also unabhängig von seinem Inhalt und den hiergegen erhobenen Einwänden, ein geringerer Beweiswert zukomme als einem gerichtlichen Gutachten. Vielmehr sei es tatrichterliche Aufgabe, die Schlüssigkeit und Belastbarkeit der vom Beklagten mitgeteilten Untersuchungsergebnisse in jedem Einzelfall zu prüfen, wobei ein Verwaltungsgutachten dem Gericht gegebenenfalls auch als Entscheidungsgrundlage dienen könne.
Die Aufhebung und Zurückverweisung zum Zwecke der Nachholung der erheblichen Ermittlungen sei unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten auch sachdienlich. Unter Berücksichtigung der strengen Maßstäbe, die nach der Rechtsprechung des BSG zu stellen seien, sei von der Sachdienlichkeit der Zurückverweisung nur auszugehen, wenn die Behörden nach ihrer personellen und sachlichen Ausstattung eine Sachverhaltsermittlung besser durchführen könnten als das Gericht und es auch unter übergeordneten Gesichtspunkten vernünftiger und sachgerechter sei, die Behörde tätig werden zu lassen. Als Ausnahmeregelung, die die Grundsätze des sozialgerichtlichen Verfahrens durchbreche und es dem Gericht im Einzelfall erlaube, von eigenen Ermittlungen abzusehen, sei § 131 Abs. 5 SGG grundsätzlich restriktiv auszulegen. Bei der Prüfung der Belange der Beteiligten sei zu berücksichtigen, dass dem Bedürfnis des Klägers nach einer abschließenden gerichtlichen Entscheidung insbesondere bei Verpflichtungsklagen und kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklagen eine besondere Bedeutung zukomme. Eine Zurückverweisung an die Verwaltung, die den Kläger mit der Gefahr einer Verzögerung des Rechtsstreits belaste, erscheine daher grundsätzlich erst gerechtfertigt, wenn die Behörde insgesamt oder zu einem wesentlichen Streitpunkt keine sachgerechten Ermittlungen angestellt habe und deshalb von einem eklatanten Ermittlungsdefizit auszugehen sei. Dies entspreche auch der aktuellen Rechtsprechung des BSG, wonach grundsätzlich erst eine sachwidrige Aufwandsverlagerung auf die Gerichte zur Zurückverweisung berechtigen solle. Diese Lesart des § 131 Abs. 5 SGG berücksichtige das Interesse des Klägers an einer schnellen Verfahrensbeendigung und die aus § 103 SGG folgende Ermittlungspflicht des Gerichts. Zugleich trage sie dem Umstand Rechnung, dass auch die personellen und sachlichen Kapazitäten der Versorgungsverwaltung beschränkt seien, worauf auch der Beklagte hingewiesen habe. Aus Sicht der Kammer dürften dabei allerdings die Anforderungen an die Sachdienlichkeit nicht überspannt werden. Auch wenn bei der Anwendung des §§ 131 Abs. 5 SGG aus den genannten Gründen Zurückhaltung geboten sei, müsse seine Funktion, eine Aufwandsverlagerung von der Verwaltung auf die Gerichte zu verhindern, erhalten bleiben. Dieser Zielsetzung habe der Gesetzgeber mit der Öffnung der Norm auf der Verpflichtungs- und Leistungsklagen nochmals Nachdruck verliehen. Nach diesen Maßgaben sei vorliegend auch von der Sachdienlichkeit der Zurückverweisung auszugehen. Insbesondere in Fällen wie dem vorliegenden, in denen Funktionsstörungen auf mehreren medizinischen Fachgebieten aufzuklären seien, sei zur Überzeugung der Kammer davon auszugehen, dass der Beklagte die hierfür erforderlichen Ermittlungen mit der Unterstützung seiner medizinischen Berater schneller und effizienter durchführen könne. Insoweit verweise die Kammer auf die Ausführungen des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg in dessen Urteil vom 25. April 2013 (L 13 SB 73/12). Das Sozialgericht hat das genannte Urteil auszugsweise wörtlich wiedergegeben. Es hat auf die Schwierigkeiten hingewiesen, einen geeigneten Sachverständigen, der neben den notwendigen fachärztlichen und sozialmedizinischen Fachkenntnissen auch über ausreichende zeitliche Kapazitäten verfüge, zu finden. Angesichts der starken Auslastung speziell auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet erfordere die Erteilung eines Gutachtenauftrags regelmäßig Anfragen bei mehreren Sachverständigen, oder Aufträge würden wegen Überlastung wieder zurückgereicht, was zum Teil zu erheblichen Verzögerungen führe. Soweit der Beklagte hiergegen einwende, dass sein versorgungsärztlicher Dienst in ähnlicher Weise belastet sei wie externe Gutachter, greife dies nicht durch. Denn das zentrale Argument, dass der Beklagte im Unterschied zum Gericht unmittelbar auf medizinischen Sachverstand in verschiedenen Fachbereichen zugreifen und so eine Konzentration der erforderlichen Untersuchungen erreichen könne, werde hierdurch nicht entkräftet. Das Gericht sei demgegenüber darauf angewiesen, den medizinischen Sachverhalt „seriell“ aufzuklären durch konsekutiv eingeholte Gutachten. Das hiermit verbundene Risiko, dass Ermittlungsergebnisse auf einem Fachgebiet bis zum Abschluss der Ermittlungen gegebenenfalls bereits wieder überholt seien, werde durch die dem Beklagten eröffnete Möglichkeit einer „ärztlichen Gesamtschau“ vermieden. Auch wenn bei der vorliegenden Prüfung die Erfordernisse einer Massenverwaltung und die Grenzen der Leistungsfähigkeit des Beklagten in den Blick zu nehmen seien, böten fiskalische und personalwirtschaftliche Erwägungen keine Grundlage dafür, den Beklagten von seiner aus § 20 SGB X folgenden Pflicht zur sachgerechten Sachverhaltsermittlung zu entbinden und diese Aufgabe auf einen anderen Kostenträger zu übertragen. Aus Sicht der Kammer würden vorliegend auch übergeordnete Gesichtspunkte für eine Zurückverweisung an die Verwaltung streiten. Denn vorliegend sei von einem erheblichen Ermittlungsdefizit auszugehen.
Bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen sehe die Kammer die Zurückverweisung nach § 131 Abs. 5 SGG in Ausübung sachgerechten Ermessens auch als geboten an. Nach ihrer Auffassung überwiege vorliegend das öffentliche Interesse, dem Gericht eine zeit- und kostenaufwändige Sachaufklärung zu ersparen, für deren Durchführung die Verwaltung im vorliegenden Fall besser ausgestattet sei, gegenüber dem Interesse des Klägers an einer abschließenden gerichtlichen Entscheidung. Neben dem Schutz der Gerichte vor Überlastung streite für die Zurückverweisung auch das Interesse der Allgemeinheit an einer funktionierenden Verwaltung, die ihrer Pflicht zur sachgerechten Sachverhaltsaufklärung im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren ausreichend nachkomme.
Gegen das ihm am 10. September 2021 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 8. Oktober 2021 Berufung eingelegt. Er meint, die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 131 Abs. 5 Satz 1 SGG lägen nicht vor. Dabei sei zweifelhaft, dass hier wirklich zwei Gutachten erforderlich seien. Dass er es unterlassen habe, die behandelnde Endokrinologin anzuschreiben, treffe zu. Insoweit sei allerdings die Beiziehung eines Berichts ausreichend und ein gesondertes Gutachten nicht erforderlich. Der Beklagte könne nach seiner personellen und sachlichen Ausstattung die Sachverhaltsermittlung auch nicht schneller und effizienter durchführen als das Gericht. Der versorgungsmedizinische Dienst des Beklagten weise schon quantitativ keine höheren Kapazitäten auf als Gutachterkapazitäten auf dem freien Markt vorhanden seien. Insoweit sei auch beachtlich, dass der Beklagte 2020 weit über 60.000 Erst- und Änderungsanträge sowie Nachprüfungsverfahren und mehr als 12.000 Widerspruchsverfahren bearbeitet habe.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 26. August 2021 aufzuheben und die Sache an das Sozialgericht zurückzuverweisen.
Die Klägerin hat keinen Berufungsantrag gestellt, aber erklärt, sie gehe ebenfalls davon aus, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 131 Abs. 5 Satz 1 SGG nicht vorliegen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten, sowie den Verwaltungsvorgang des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Der Senat kann ohne mündliche Verhandlung durch den Berichterstatter entscheiden, weil die Beteiligten zu dieser Entscheidungsform ihr Einverständnis erklärt haben, § 124 Abs. 2 SGG i. V. m. § 155 Abs. 4 und Abs. 3 SGG.
Die zulässige Berufung des Beklagten ist im Sinne einer Aufhebung des angegriffenen Urteils und einer Zurückverweisung der Sache an das Sozialgericht auch begründet. Dabei weist der Senat darauf hin, dass die Entscheidung des Sozialgerichts sehr beachtlich und sorgfältig ist. Im Kern geht es vorliegend – wie meistens im Recht – um eine Wertung. Der Senat wertet anders als das Sozialgericht, was aber nichts an der hohen Qualität der Entscheidung des Sozialgerichts ändert.
Rechtsgrundlage für diese Entscheidung ist § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGG. Hiernach kann das Landessozialgericht die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn dieses die Klage (zu Unrecht) abgewiesen hat, ohne in der Sache selbst zu entscheiden. Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift sind erfüllt (vgl. Urteil des Senats vom 19. April 2012 - L 11 SB 45/11 -; Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 17. Juni 2020 - L 3 SB 13/20 – mit umfassenden Nachweisen zum Meinungsstand – beide bei juris). Denn über ihren Wortlaut hinaus ist die Vorschrift nicht nur anzuwenden, wenn das Sozialgericht zu Unrecht bereits die Sachurteilsvoraussetzungen einer Klage verneint hat. Sie greift auch ein, wenn das Sozialgericht zwar in der Sache selbst entschieden hat, dies aber aus Gründen geschehen ist, die eine rechtliche Vorfrage betreffen und mit den eigentlichen Sachfragen nichts zu tun haben, so zum Beispiel, wenn es einen Verwaltungsakt zu Unrecht aus formellen Gründen aufgehoben, der Klage also stattgegeben hat, ohne zu den eigentlichen Fragen Stellung zu nehmen. So liegt der Fall hier. Denn das Sozialgericht hat – gestützt auf § 131 Abs. 5 SGG – zu Unrecht den Bescheid des Beklagten vom 9. November 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. März 2021 aufgehoben und die Sache an die Verwaltung zurückverwiesen, ohne eine eigentliche Sachprüfung vorzunehmen.
Nach § 131 Abs. 5 Satz 1 und 5 SGG kann das Sozialgericht binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, wenn es eine weitere Sachaufklärung für erforderlich hält, die noch erforderlichen Ermittlungen nach Art oder Umfang erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Wie sich aus § 131 Abs. 5 Satz 2, 1. Halbsatz SGG in der ab dem 1. Januar 2009 gültigen Fassung ergibt, gilt die vorgenannte Regelung auch für den hier gegebenen Fall der die Anfechtungsklage umschließenden Verpflichtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1, 2. Alternative SGG.
Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts sind die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Zurückverweisung an die Verwaltung, die durch den Senat in vollem Umfang zu prüfen sind, nicht erfüllt. Dies hat zur Folge, dass es vorliegend auf die in § 131 Abs. 5 Satz 1 SGG angeordnete Ermessensentscheidung („kann“) nicht ankommt und dementsprechend dahinstehen kann, ob die Ermessensentscheidung des Sozialgerichts nur eingeschränkt auf Ermessensfehler zu überprüfen ist oder ob auch insoweit eine volle Überprüfung (im Sinne einer eigenen Ermessensentscheidung des Berufungsgerichts) stattzufinden hat (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, 13. Auflage 2020, § 131, Rn. 20a).
Keine Bedenken bestehen hier gegen die Einhaltung der in § 131 Abs. 5 Satz 5 SGG geregelten Frist von sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht, weil die Akten am 17. Mai 2021 beim Sozialgericht eingegangen sind und dieses bereits am 26. August 2021 entschieden hat. Ferner ist hier objektiv eine weitere Sachaufklärung erforderlich. Denn die sich aus den Gesundheitsstörungen der Klägerin ergebenden Funktionsbeeinträchtigungen lassen sich aus den in den Akten befindlichen medizinischen Unterlagen aus den vom Sozialgericht ausführlich dargelegten Erwägungen nicht bestimmen.
Um den GdB exakt bestimmen zu können, ist die Einholung jedenfalls eines medizinischen Gutachtens, das zwingend auf einer körperlichen Untersuchung der Klägerin beruhen muss, erforderlich. Die noch erforderlichen Ermittlungen erweisen sich im Fall der Klägerin jedoch nicht als nach Art oder Umfang erheblich. Darüber hinaus stellt sich die Aufhebung unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten nicht als sachdienlich dar.
An die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Zurückverweisung an die Verwaltung sind strenge Anforderungen zu stellen, was sich nicht zuletzt aus dem Urteil des BSG vom 17. April 2007 (B 5 RJ 30/05 R – juris) sowie der Reaktion des Gesetzgebers auf dieses Urteil ergibt. Das BSG hat in der genannten Entscheidung, der noch § 131 Abs. 5 SGG in der bis zum 31. März 2008 geltenden Fassung zugrunde lag, darauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber, wolle er den Sozialgerichten ein effizientes Instrument zur Entlastung und Beschleunigung der Verfahren auch in kombinierten Anfechtungs- und Leistungssituationen bzw. Verpflichtungssituationen zur Verfügung stellen und eine unerwünschte Verlagerung der Ermittlungen in das Gerichtsverfahren verhindern, nicht nur den Anwendungsbereich ausdrücklich auch auf solche Klagen erstrecken, sondern zugleich auch von den strengen Voraussetzungen, wie sie § 131 Abs. 5 SGG in der bis zum 31. März 2008 maßgeblichen Fassung normiere, abrücken müsse. Anderenfalls habe die Vorschrift praktisch keinerlei Anwendungsbereich. Denn die Tatbestandsmerkmale der Norm seien nur dann erfüllt, wenn die Behörde nach personeller und sachlicher Ausstattung die für erheblich gehaltenen Ermittlungen besser bzw. schneller durchführen könne als das Gericht. Das sei jedenfalls dann nicht der Fall, wenn der Beklagte über keine anderen Aufklärungsmittel verfüge als das Gericht. Der Gesetzgeber hat entgegen diesem ausdrücklichen Hinweis des BSG mit der ab dem 1. April 2008 geltenden Fassung des § 131 Abs. 5 SGG an den ursprünglichen und damit strengen Voraussetzungen der Vorschrift festgehalten, indem er dessen Satz 1 lediglich um die Wörter „in den Fällen des § 54 Abs. 1 Satz 1 und 4“ ergänzt, die Vorschrift im Übrigen im Wortlaut nicht geändert hat. Er hat mit dieser Ergänzung zwar den Anwendungsbereich der Vorschrift grundsätzlich über reine Anfechtungssituationen hinaus auch auf kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklagen und Verpflichtungsklagen erweitert, in Ansehung des BSG-Urteils aber augenscheinlich in Kauf genommen, dass sich ein wesentlich breiterer Anwendungsbereich praktisch nicht eröffnet. Dies ist auch aus der Begründung des Gesetzentwurfs (vgl. BT-Drs. 16/7716, S. 21) zu schließen, in der unter ausdrücklicher Benennung des Urteils des BSG nur auf die Frage der Anwendbarkeit der Norm auf Anfechtungs- und Leistungsklagen und Verpflichtungsklagen eingegangen, jedoch weder der Auslegung des Tatbestandsmerkmals der Sachdienlichkeit im Urteil des BSG entgegengetreten noch die aufgeworfene Frage einer Lockerung der Voraussetzungen für die Verweisung angesprochen wurde. Auch mit dem – hier maßgeblichen – Zweiten Gesetz zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 21. Dezember 2008 hat der Gesetzgeber nur klarstellende Änderungen vorgenommen und damit erneut zu erkennen gegeben, dass er an den ursprünglichen und strengen Voraussetzungen festhält. Folgerichtig hat das BSG auch für die seit dem 1. Januar 2009 geltende Fassung des § 131 Abs. 5 SGG dessen Ausnahmecharakter bestätigt und betont, dass die Tatbestandsvoraussetzungen eng auszulegen und auf besonders gelagerte Fälle beschränkt seien (vgl. BSG, Urteil vom 13. Mai 2020 - B 6 KA 6/19 R – juris).
Dies zugrunde gelegt erweisen sich die erforderlichen Ermittlungen hier nicht als erheblich, wobei sich die Erheblichkeit aus Zeitdauer, Umfang sowie den sachlichen und personellen Möglichkeiten des Gerichts ergeben kann (Keller, a. a. O., Rn. 19). Gemessen an diesen Kriterien ist allein das Einholen eines medizinischen Sachverständigengutachtens für das Gericht regelmäßig nicht mit einem erheblichen Aufwand verbunden. Denn eine solche Ermittlungstätigkeit ist für die alltägliche Arbeit der Sozialgerichte geradezu typisch, weshalb sie auch in § 106 Abs. 3 Nr. 5 SGG beispielhaft aufgezählt ist (vgl. Urteil des Senats vom 19. April 2012 - L 11 SB 45/11 – juris). In Ausnahmefällen, zum Beispiel bei dem Erfordernis spezieller Ermittlungen unter Einsatz besonderer technischer oder anderer Hilfsmittel, auf die das Gericht nicht ohne weiteres zugreifen kann, kann dies möglicherweise anders zu beurteilen sein. Ein solcher Ausnahmefall ist hier indes nicht gegeben und zwar auch nicht, soweit das Sozialgericht von der Notwendigkeit der Einholung von (mindestens) zwei Sachverständigengutachten ausgeht. Der Ermittlungsaufwand ist nicht wesentlich höher als wenn nur ein Gutachten eingeholt wird, zumal die Beweisfragen regelmäßig dieselben sind. Zudem gehört auch die Einholung von mehr als einem Gutachten gleichsam zum „Tagesgeschäft“ im sozialgerichtlichen Verfahren, zumal bestimmte Krankheitskombinationen – etwa orthopädische Leiden und daneben bestehende psychische Leiden in Form einer Schmerzerkrankung – durchaus geläufig sind. Dass im Einzelfall bereits die Suche nach einem geeigneten Sachverständigen mit nicht unerheblichem Aufwand verbunden sein kann, ist richtig, stellt aber nicht den Regelfall dar. Der aus der Einholung von Gutachten gegebenenfalls folgende weitere Ermittlungsaufwand ist ebenfalls nicht zwingend und weicht zudem nicht vom typischen Aufgabenbereich der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit ab.
Ab welcher Anzahl einzuholender Gutachten von einem erheblichen Ermittlungsaufwand auszugehen ist, kann hier dahinstehen. Möglicherweise lässt sich dies auch nicht quantifizieren. Ohne dass es darauf vorliegend ankommt, sei aber angemerkt, dass mit steigender Zahl einzuholender Gutachten die Sachdienlichkeit einer Zurückverweisung insbesondere dann besonders kritisch zu hinterfragen ist, wenn die Behörde ihrerseits auf externe Gutachter zurückgreifen muss. Denn dann hat eine Zurückverweisung gegenüber eigenen Ermittlungen des Gerichts möglicherweise keinen Mehrwert.
Des Weiteren erweist sich die Zurückverweisung an die Verwaltung unter Berücksichtigung der Interessen der Beteiligten im vorliegenden Fall auch nicht als sachdienlich. Sachdienlichkeit ist anzunehmen, wenn die Behörde nach ihrer personellen und sachlichen Ausstattung die erforderlichen Ermittlungen inhaltlich besser und schneller durchführen kann als das Gericht und es auch unter übergeordneten Gesichtspunkten sachgerechter ist, die Behörde tätig werden zu lassen (vgl. Keller, a. a. O., Rn. 19a). Allerdings bedarf die Berücksichtigung der Belange der Beteiligten, die sich nach den Umständen des Einzelfalls richtet, bei Verpflichtungsklagen und kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklagen besonderer Prüfung, weil in diesem Fall das Bedürfnis des Klägers an einer baldigen abschließenden gerichtlichen Entscheidung stärker ist als bei einer reinen Anfechtungsklage. Übergeordnete Gesichtspunkte, die es rechtfertigen, dass der jeweilige Kläger bei Verpflichtungsklagen oder kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklagen mit der Verzögerung des Rechtsstreits belastet wird, setzen daher in der Regel ein gravierendes Ermittlungsdefizit voraus, das im Interesse der Allgemeinheit an einer funktionierenden Verwaltung nicht mehr hinnehmbar ist. Ein gravierendes Ermittlungsdefizit liegt vor, wenn die Behörde insgesamt oder zu einem wesentlichen Streitpunkt überhaupt keine eigene Sachverhaltsermittlung durchgeführt hat oder das Ermittlungsergebnis für die Beurteilung des Streitgegenstandes nicht verwertbar ist (Urteil des Senats vom 19. April 2012 – L 11 SB 45/11 – juris). Ein solcher Sachverhalt liegt hier jedoch nicht vor. Der Beklagte hat die Klägerin zwar nicht begutachten lassen. Er hat aber ärztliche Auskünfte eingeholt und sie versorgungsärztlich auswerten lassen. Diese Unterlagen reichen zwar aus den vom Sozialgericht sehr eingehend dargelegten Gründen nicht aus. Sie stellen jedoch wichtige Ermittlungsschritte auf dem Weg zur sachgerechten Entscheidung dar und sind deshalb nicht als gänzlich unverwertbar anzusehen. Hiervon abgesehen steht der Bejahung der Sachdienlichkeit auch entgegen, dass sich beide Beteiligte ausdrücklich gegen eine Zurückverweisung an die Verwaltung ausgesprochen haben.
Das Urteil des Sozialgerichts konnte also keinen Bestand haben. Im Rahmen der von ihm gemäß § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGG zu treffenden Ermessensentscheidung hat sich der Senat nicht veranlasst gesehen, die von erforderlichen weiteren Ermittlungen selbst durchzuführen und gestützt auf das Ergebnis dieser Ermittlungen eine eigene Sachentscheidung zu treffen. Vielmehr hat er die Sache an das Sozialgericht zurückverwiesen, weil er im Fall der Klägerin, in dem es noch zu keiner Begutachtung gekommen ist, dem Erhalt des Instanzenzuges den Vorrang gegenüber dem Interesse der Beteiligten an einer möglichst schnellen Sachentscheidung gegeben hat. Zudem ist der Rechtsstreit insgesamt erst seit dem 28. April 2021 bei den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit anhängig, was im Verhältnis zu anderen Rechtsstreiten, in denen ebenfalls medizinische Ermittlungen anzustellen sind, noch nicht als übermäßig langer Zeitraum anzusehen ist, der im Interesse der Verwirklichung der Rechtsschutzgarantie einer baldigen Entscheidung zugeführt werden müsste.
Eine Kostenentscheidung war durch den Senat nicht zu treffen. Sie ist der Entscheidung des Sozialgerichts vorbehalten (vgl. Keller, a. a. O., § 159, Rn. 5f).
Die Revision war nicht zuzulassen, weil ein Grund hierfür gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG nicht vorliegt.