L 14 AL 103/20

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 120 AL 573/19
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 14 AL 103/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Es besteht kein Anspruch auf Zahlung einer Weiterbildungsprämie gemäß § 131a Abs. 3 Nr. 1 SGB III bei Bestehen des ersten Teils einer gestreckten Abschlussprüfung zur Kauffrau / zum Kaufmann für Bü-romanagement. 2. Der erste Teil einer gestreckten Abschlussprüfung stellt keine Zwi-schenprüfung im Sinne des § 131a Abs. 3 Nr. 1 SGB III dar.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 25. August 2020 wird zurückgewiesen.

 

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

 

Die Revision wird zugelassen.

 

 

 

Tatbestand

 

Die Klägerin begehrt die Gewährung einer Prämie von 1.000 Euro nach § 131a Abs. 3 Nr. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) für das Bestehen des ersten Teils einer sogenannten gestreckten Abschlussprüfung.

 

Die 1968 geborene Klägerin absolvierte vom 6. Februar 2017 bis 22. Januar 2019 eine von der Beklagten geförderte Maßnahme der beruflichen Weiterbildung: „Modulare Umschulung – Kauffrau für Büromanagement“ (Bildungsgutschein gemäß § 81 Abs. 4 SGB III vom 31. Januar 2017). Die Umschulung diente der Vorbereitung auf die Externenprüfung bei der Industrie- und Handelskammer Berlin (IHK) mit dem Abschluss „Kauffrau für Büromanagement“. Am 29. Oktober 2018 legte die Klägerin den ersten Teil, am 28. November 2018 den zweiten Teil der schriftlichen IHK-Prüfung ab. Am 22. Januar 2019 absolvierte sie erfolgreich die abschließende mündliche IHK-Prüfung.

 

Mit Schreiben vom 27. Januar 2019 beantragte die Klägerin bei der Beklagten unter Berufung auf die am 22. Januar 2019 erfolgreich bestandene Abschlussprüfung die Zahlung einer Prämie von insgesamt 2.500 Euro. Mit Bescheid vom 5. Februar 2019 gewährte die Beklagte der Klägerin für das Bestehen der Abschlussprüfung eine Prämie von 1.500 Euro. Eine (weitere) Prämie von 1.000 Euro könne nicht gewährt werden, da die Ausbildungsordnung keine Zwischenprüfung vorsehe. Den hiergegen eingelegten Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 8. Mai 2019 zurück. Die Bewilligung einer Prämie für eine Zwischenprüfung nach § 131a Abs. 3 Nr. 1 SGB III komme mangels Zwischenprüfung im Sinne dieser Vorschrift nicht in Betracht. Die Klägerin habe lediglich das Bestehen einer Abschlussprüfung — Externenprüfung der IHK Berlin — nachgewiesen, nicht das Bestehen einer Zwischenprüfung. Teilnehmende an Vorbereitungslehrgängen zur Externenprüfung könnten nur eine Prämie für das erfolgreiche Bestehen der Abschlussprüfung erhalten, auch wenn diese in zwei Teilen erfolge. Zwischenprüfungen könnten nur bei originären Umschulungen anfallen, nicht bei modularen Nachqualifizierungen, wie sie die Klägerin durchlaufen habe.

 

Am 24. Mai 2019 hat die Klägerin Klage erhoben. Eine Differenzierung zwischen Umschulung, modularer Umschulung oder anderem sei in § 131a Abs. 3 SGB III nicht vorgesehen. Die Ausbildungsordnung sehe eine gestreckte Abschlussprüfung vor, was die Beklagte nach ihren Durchführungshinweisen hätte berücksichtigen müssen. Das Bestehen des ersten Teils der Abschlussprüfung stehe der Zwischenprüfung im Sinne des § 131a Abs. 3 Nr. 1 SGB III gleich. 

 

Mit Urteil vom 25. August 2020 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Klägerin habe keinen Anspruch auf eine weitere Prämie von 1.000 Euro wegen einer Zwischenprüfung. Teil 1 der absolvierten Abschlussprüfung sei nicht als Zwischenprüfung im Sinne dieser Vorschrift zu verstehen. Die Kammer sehe sich vorrangig an den Wortlaut des § 131a Abs. 3 Nr. 1 SGB III gebunden. Eine Abschlussprüfung bzw. ein Teil einer Abschlussprüfung sei nach dem Wortsinn keine Zwischenprüfung. Für eine analoge Anwendung sei kein Raum. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gründe der Entscheidung Bezug genommen.

 

Gegen dieses ihr am 21. September 2020 zugestellte Urteil richtet sich die am 6. Oktober 2020 eingegangene Berufung der Klägerin, zu deren Begründung sie vorträgt: Der Gesetzgeber habe den ersten Teil der gestreckten Abschlussprüfung als Zwischenprüfung gewertet und eine Anpassung des Wortlauts nicht für nötig erachtet. Der erste Teil der gestreckten Abschlussprüfung sei daher als Zwischenprüfung im Sinne des § 131a SGB III zu werten. Insofern spreche gerade auch die Aufwertung der Zwischenprüfung als (erster) Teil der Abschlussprüfung für eine stärkere Berücksichtigung von Leistungen. Nicht die Abschlussprüfung werde aufgeteilt, sondern die Zwischenprüfung werde als eigenständig aufgewertet. Ferner habe das Sozialgericht die Bindungswirkung durch Verwaltungsvorschriften vernachlässigt. Sofern die rechtlichen Hinweise der Beklagten davon ausgingen, dass der erste Teil der gestreckten Abschlussprüfung als Zwischenprüfung zu werten sei, bestätige dies zum einen ihre Auffassung und zum anderen binde es die Verwaltung dahingehend, dass die Fälle einer gestreckten Abschlussprüfung gleich zu behandeln seien. Unerheblich sei, dass sie die Ausbildung in Modulen absolviert habe und aus diesem Grund der erste Teil der Abschlussprüfung erst später erfolgt sei. Diese Eigenart des von der Beklagten zertifizierten Bildungsträgers könne nicht dazu führen, dass entgegen der Intention von Gesetzgeber und den Hinweisen der Beklagten im Einzelfall diese Prämie nicht gezahlt werde, wobei die anderen Teilnehmenden die Prämie für eine Zwischenprüfung entsprechend den Durchführungshinweisen erhalten hätten. Auch sie habe – ebenso wie die anderen Teilnehmer – die zweijährige Ausbildung durchgehalten und solle nun wegen der zufälligen Anordnung der Module die vorgesehene Durchhalteprämie nicht erhalten. Dies sei gleichheitswidrig, zumal diese modularen Strukturen den Bedürfnissen der Beklagten im Hinblick auf den unterschiedlichen Beginn von Umschulungen im Laufe eines Jahres entgegenkomme, da Wartezeiten minimiert würden.

 

Die Klägerin beantragt,

 

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 25. August 2020 aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom 5. Februar 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Mai 2019 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an sie weitere 1.000 Euro zu zahlen.

 

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Im Ausbildungsberuf Kauffrau für Büromanagement fehle eine Regelung in bundes- oder landesrechtlichen Vorschriften über eine Zwischenprüfung. Nach dem Wortlaut des § 131a Abs. 3 Nr. 1 SGB III könne bei diesen Weiterbildungen kein Anspruch auf eine Prämie von 1.000 Euro bestehen. Zur weiteren Begründung werde auf die Ausführungen in dem erstinstanzlichen Urteil verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsvorgänge der Beklagten.

 

 

Entscheidungsgründe

 

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Urteil des Sozialgerichts sowie der Bescheid der Beklagten vom 5. Februar in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Mai 2019 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.

 

Die Klägerin hat – wie von der Beklagten auch bereits gewährt – lediglich Anspruch auf eine Weiterbildungsprämie gemäß § 131a Abs. 3 Nr. 2 SGB III nach Bestehen der Abschlussprüfung. Sie hat darüber hinaus keinen Anspruch auf eine (weitere) Weiterbildungsprämie in Höhe von 1.000 Euro gemäß § 131a Abs. 3 Nr. 1 SGB III nach Bestehen einer Zwischenprüfung.

 

§ 131a Abs. 3 SGB III in der hier maßgebenden Fassung vom 1. August 2016 bestimmt:

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die an einer nach § 81 geförderten beruflichen Weiterbildung teilnehmen, die zu einem Abschluss in einem Ausbildungsberuf führt, für den nach bundes- oder landesrechtlichen Vorschriften eine Ausbildungsdauer von mindestens zwei Jahren festgelegt ist, erhalten folgende Prämien, wenn die Maßnahme vor Ablauf des 31. Dezember 2020 beginnt:

1.         nach Bestehen einer in diesen Vorschriften geregelten Zwischenprüfung eine Prämie von 1.000 Euro und

2.         nach Bestehen der Abschlussprüfung eine Prämie von 1.500 Euro.

 

Gemäß § 444a Abs. 2 SGB III muss die Weiterbildung nach dem 31. Juli 2016 begonnen haben.

 

Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.

 

Die Klägerin hat zwar als Arbeitnehmerin an einer nach § 81 SGB III von der Beklagten geförderten Weiterbildung teilgenommen, die ihr durch den Bildungsgutschein gemäß § 81 Abs. 4 SGB III bewilligt worden war. Für den Beruf des Kaufmanns bzw. der Kauffrau für Büromanagement ist zudem nach bundesrechtlichen Vorschriften (§ 2 Verordnung über die Berufungsausbildung zum Kaufmann für Büromanagement und zur Kauffrau für Büromanagement – BüroMKfAusbV – vom 11. Dezember 2013 in der Fassung vom 16. Juni 2014) eine Ausbildungsdauer von mindestens zwei Jahren vorgesehen. Dass die von der Klägerin durchlaufene Weiterbildungsmaßnahme nur knapp zwei Jahre dauerte, ist unerheblich. Nach § 131a Abs. 3 SGB III kommt es auf das Maßnahmeziel und nicht auf die Dauer der Maßnahme an (Böttiger, in Böttiger/Körtek/Schaumberg, SGB III, 3. Aufl. 2019, § 131a Rn. 12). Die Weiterbildung begann zudem nach dem 31. Juli 2016 und vor Ablauf des 31. Dezember 2020; denn sie begann am 6. Februar 2017 und endete am 22. Januar 2019.

 

Die Klägerin hat jedoch keine Zwischenprüfung im Sinne des § 131a Abs. 3 Nr. 1 SGB III bestanden, die in bundes- oder landesrechtlichen Vorschriften geregelt ist. Der von der Klägerin bestandene erste Teil der gestreckten Abschlussprüfung stellt keine solche Zwischenprüfung dar. 

 

Nach den bei Absolvierung der Weiterbildung (und aktuell weiter) geltenden, auf der Grundlage des § 6 Berufsbildungsgesetz (BBiG) erlassenen bundesrechtlichen Vorschriften für die Ausbildung zum Kaufmann/zur Kauffrau für Büromanagement war (und ist) eine Zwischenprüfung nicht vorgesehen. Maßgeblich sind insofern die Regelungen der Verordnung über die Erprobung abweichender Ausbildungs- und Prüfungsbestimmungen in der Büromanagementkaufleute-​Ausbildungsverordnung (BüroMKf­AusbVErprV) vom 11. Dezember 2013, die zum 1. August 2014 in Kraft getreten ist. Danach soll innerhalb einer Erprobungszeit, die ursprünglich zum 1. August 2020 enden sollte, im Mai 2020 jedoch bis zum 1. August 2025 verlängert wurde (vgl. § 9 BüroMKfAusbVErprV in der Fassung vom 29. Mai 2020), u.a. untersucht werden, ob die Durchführung der Abschlussprüfung in zwei zeitlich auseinanderfallenden Teilen die geeignete Prüfungsform für diesen Ausbildungsberuf ist (§ 1 Abs. 1 Satz 1 BüroMKf­AusbVErprV). § 1 Abs. 2 BüroMKfAusbVErprV regelt insofern ausdrücklich, dass §§ 6 bis 8 BüroMKfAusbV nicht anzuwenden sind. Eine Zwischenprüfung, wie sie § 6 BüroMKfAusbV vorsah, findet demnach innerhalb des Erprobungszeitraums nicht statt. Vorgesehen ist lediglich eine Abschlussprüfung, die aus zwei zeitlich auseinanderfallenden Teilen besteht (§ 2 Abs. 2 BüroMKfAusbVErprV). Dabei soll Teil 1 der Abschlussprüfung zur Mitte des zweiten Ausbildungsjahres (§ 3 Abs. 1 BüroMKfAusbVErprV) und Teil 2 der Abschlussprüfung am Ende der Berufsausbildung (§ 4 Abs. 1 BüroMKfAusbVErprV) stattfinden. Beide Prüfungsbereiche fließen in die Abschlussprüfung ein, wobei Teil 1 (= informationstechnisches Büromanagement) mit 25 % gewichtet wird (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3 Abs. 3 BüroMKfAusbVErprV).

 

Auch das BBiG unterscheidet zwischen einer Zwischenprüfung und einer gestreckten Abschlussprüfung, wie sich aus § 48 BBiG ergibt. Nach dessen Absatz 1 Satz 1 ist während der Berufsausbildung zur Ermittlung des Ausbildungsstandes eine Zwischenprüfung entsprechend der Ausbildungsordnung durchzuführen. Sofern die Ausbildungsordnung vorsieht, dass die Abschlussprüfung in zwei zeitlich auseinander fallenden Teilen durchgeführt wird, findet Absatz 1 keine Anwendung (Abs. 2 der Vorschrift).

 

Eine erweiternde Auslegung des § 131a Abs. 3 Nr. 1 SGB III dahingehend, dass unter Zwischenprüfung auch der erste Teil einer Abschlussprüfung zu verstehen ist, scheidet aus. Der Gesetzeswortlaut ist insofern eindeutig und keiner Auslegung fähig. Der Wortlaut des Gesetzes ist nicht nur Ausgangspunkt, sondern auch Grenze jeder Auslegung (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 7. Oktober 2009 – B 11 AL 31/08 R –, juris Rn. 16). § 131a Abs. 3 Nr. 1 SGB III spricht allein von Zwischenprüfung. Auch in den bundesrechtlichen Vorschriften, auf die § 131a Abs. 3 SGB III Bezug nimmt, wird – wie dargelegt – eindeutig zwischen Zwischenprüfung und gestreckter Abschlussprüfung unterschieden. Ein Teil einer Abschlussprüfung kann daher vom Wortsinn her keine Zwischenprüfung sein (vgl. Landessozialgericht [LSG], Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 23. November 2020 – L 20 AL 53/19 –, juris Rn. 30; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 12. November 2019 – L 13 AL 142/19 –, juris Rn. 19). Insofern ist unerheblich, dass es in den Gesetzesmaterialien zu § 131a Abs. 3 SGB III (BR-​Drucks. 65/16 S. 24 f. und BT-​Drucks. 18/8042 S. 27) heißt: „Bei Ausbildungsberufen mit gestreckter Abschlussprüfung wird der erste Teil der Abschlussprüfung der Zwischenprüfung gleichgestellt.“ Sofern der Gesetzgeber den ersten Teil einer gestreckten Abschlussprüfung mit einer Zwischenprüfung gleichstellen wollte, hat dieser (subjektive) Wille des Gesetzgebers im Wortlaut des Gesetzes keinen Niederschlag gefunden. Insofern mag der demokratisch legitimierte Gesetzgeber das Gesetz ändern. Die Gerichte dürfen sich über den in der Norm zum Ausdruck kommenden objektivierten Willen des Gesetzgebers (vgl. BSG, Urteil vom 7. Mai 2019 – B 2 U 30/17 R –, juris Rn. 16) nicht hinwegsetzen.

 

Auch eine analoge Anwendung des § 131a Abs. 3 Nr. 1 SGB III auf den ersten Teil einer gestreckten Abschlussprüfung scheidet aus. Die Voraussetzungen einer Analogie liegen nicht vor.

 

Eine Analogie setzt eine planwidrige Regelungslücke und eine vergleichbare Interessenlage voraus. Ob eine planwidrige Regelungslücke vorliegt, ist vom Standpunkt des Gesetzes selbst, der ihm zu Grunde liegenden Regelungsabsicht, der mit ihm verfolgten Zwecke, also des gesetzgeberischen "Plans" im Wege der historischen und teleologischen Auslegung zu beurteilen (BSG, Urteil vom 27. Mai 2008 – B 2 U 21/07 R –, juris Rn. 17). Von einer vom Gericht auszufüllenden Regelungslücke ist nur in folgenden Konstellationen auszugehen: 1. Bei Schweigen des Gesetzes, weil es der Gesetzgeber der Rechtsprechung überlassen wollte, das Recht in Detailfragen zu finden. 2. Bei Schweigen des Gesetzes aufgrund eines Versehens oder Übersehens eines Tatbestandes. 3. Bei Veränderung der Lebensverhältnisse nach Erlass des Gesetzes, die der Gesetzgeber deshalb noch nicht berücksichtigen konnte (BSG, Urteil vom 7. Oktober 2009 – B 11 AL 31/08 R –, juris Rn. 19). Die hier allein in Betracht kommende zweite Konstellation liegt jedoch nicht vor (so im Ergebnis auch LSG Nordrhein-Westfalen, a.a.O., Rn. 33; LSG Baden-Württemberg, a.a.O, Rn. 20 ff.).

 

Ob der Gesetzgeber es aus Versehen unterlassen hat, für das Bestehen des ersten Teils einer gestreckten Abschlussprüfung eine Prämie zu regeln, ist zweifelhaft. Nach den Gesetzesmaterialien war ihm zumindest bewusst, dass es gestreckte Abschlussprüfungen gibt. Ein Versehen kann daher allenfalls insofern anzunehmen sein, als es der Gesetzgeber irrtümlich als selbstverständlich erachtet hat, dass auch der erste Teil der gestreckten Abschlussprüfung als Zwischenprüfung im Sinne des § 131a Abs. 3 Nr. 1 SGB III anzusehen ist, und deswegen eine ausdrückliche Regelung für entbehrlich gehalten hat (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, a.a.O., Rn. 34).

 

Jedenfalls lässt sich nicht feststellen, dass das Bestehen des ersten Teils einer gestreckten Abschlussprüfung nach dem Willen des Gesetzgebers in jedem Fall eine Prämie nach sich ziehen sollte. Wie bereits ausgeführt, kommt in den Gesetzesmaterialien (BR-​Drucks. und BT-​Drucks., a.a.O.) zwar zum Ausdruck, dass bei Ausbildungsberufen mit gestreckter Abschlussprüfung der erste Teil der Abschlussprüfung der Zwischenprüfung gleichgestellt wird. Auch sollte mit der Einführung von Erfolgsprämien für das Bestehen einer durch Gesetz oder Verordnung geregelten Zwischenprüfung und der Abschlussprüfung – generell – die „Motivation erhöht werden, eine von Agenturen für Arbeit geförderte abschlussbezogene berufliche Weiterbildung aufzunehmen, durchzuhalten und erfolgreich abzuschließen“ (BR-​Drucks. und BT-​Drucks., a.a.O.). Jedenfalls von dem in der Gesetzesbegründung beschriebenen Ziel, eine berufliche Weiterbildung aufzunehmen und erfolgreich abzuschließen, ist auch die von der Klägerin absolvierte Ausbildung erfasst, wobei der erfolgreiche Abschluss bereits durch die ihr bewilligte Prämie von 1.500 Euro honoriert wurde. Allerdings soll die Prämienzahlung neben der Lernbereitschaft auch das Durchhaltevermögen der Teilnehmenden honorieren (BR-​Drucks. und BT-​Drucks., a.a.O.). Dabei ging der Gesetzgeber ausdrücklich davon aus, dass die Teilnahme an einer "mehrjährigen", abschlussbezogenen Weiterbildung für erwachsene Teilnehmer und Teilnehmerinnen hohe Anforderungen an Motivation und Durchhaltevermögen stellt (vgl. BR-​Drucks. und BT-​Drucks., a.a.O.). Dass eine Gleichstellung mit Zwischenprüfungen auch bei der Teilnahme an nur kurzen Vorbereitungslehrgängen (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, a.a.O., Rn. 36) oder dann, wenn – wie hier – zwischen Teil 1 und Teil 2 der gestreckten Abschlussprüfung nur wenige Monate liegen, erfolgen soll, lässt sich der Gesetzesbegründung hingegen nicht entnehmen.

 

Selbst wenn man jedoch zugunsten der Klägerin von einer planwidrigen Regelungslücke ausginge, fehlte es an einer vergleichbaren Interessenlage. Offenbleiben kann, ob generell eine vergleichbare Interessenlage besteht. Hierfür spricht, dass auch bei mehrjährigen Ausbildungen mit gestreckter Abschlussprüfung eine Durchhalteprämie nach etwa der Hälfte der Ausbildungszeit sinnvoll erscheint. Auch umfasst Teil 1 der gestreckten Abschlussprüfung vorliegend die Lerninhalte der (ehemaligen) Zwischenprüfung. Die Prüfungszeiten der (ehemaligen) Zwischenprüfung und der Abschlussprüfung Teil 1 sind mit 120 Minuten ebenfalls identisch (vgl. SG Berlin, Urteil vom 24. September 2020 – S 24 AS 9182/18 –, juris Rn. 34). Jedenfalls im konkreten Fall ist eine vergleichbare Interessenlage jedoch zu verneinen. Denn hier lagen zwischen dem ersten und dem letzten Teil der gestreckten Abschlussprüfung weniger als drei Monate. Einer Durchhalteprämie nach Ablegen des ersten Teils der Prüfung Ende Oktober 2018 bedurfte es nicht, da das Ende der Ausbildung bereits „in Sicht“ war. Die Interessenlage ist eine grundsätzlich andere als diejenige, die dem Regelungskonzept der hier maßgebenden Ausbildungsverordnung zugrunde liegt. Danach werden der erste Teil der Abschlussprüfung nach ca. anderthalb Jahren und der zweite Teil der Abschlussprüfung nach weiteren ca. anderthalb Jahren abgelegt. Dem ersten Teil der Abschlussprüfung kommt danach auch zeitlich eine Eigenständigkeit zu, die vorliegend – bei einem zeitlichen Abstand von weniger als drei Monaten zwischen dem ersten und letzten Teil der Abschlussprüfung – nicht gegeben ist.

 

Soweit nach dem BBiG der erste Teil der Abschlussprüfung die Zwischenprüfung als gleichwertig ersetzt und beide Prüfungsmodelle gleich zu bewerten sein mögen, rechtfertigt dies kein anderes Ergebnis. Das BBiG legt u.a. Regeln für die Berufsbildung fest und verfolgt einen gänzlich anderen Zweck als § 131a Abs. 3 SGB III (LSG Nordrhein-Westfalen, a.a.O., Rn. 40).

 

Aus den fachlichen Weisungen der Beklagten zur Förderung der beruflichen Weiterbildung zu § 131a SGB III (Stand: 20.04.2017) lässt sich der geltend gemachte Anspruch ebenfalls nicht mit Erfolg herleiten. Danach wird in Berufen mit gestreckter Abschlussprüfung der erste Teil der Abschlussprüfung der Zwischenprüfung gleichgestellt (vgl. Ziffer 2 Abs. 2, S. 29). Norminterpretierende Verwaltungsvorschriften zur Durchführung von Gesetzen, in denen – wie hier – das Recht nach Meinung der Verwaltung ausgelegt wird, sind nicht geeignet, die gesetzlichen Regelungen außer Kraft zu setzen; sie binden die Gerichte nicht (vgl. BSG, Urteil vom 30. September 2009 – B 9 VS 3/09 R –, juris Rn. 34 m.w.N.).

 

Auch der Einwand der Klägerin, anderen Teilnehmern derselben Maßnahme sei bei vergleichbaren Weiterbildungs- und Prüfungszeiten die Prämie nach § 131a Abs. Nr. 1 SGB III gezahlt worden ist, rechtfertigt kein anderes Ergebnis. Die Klägerin kann sich insofern nicht auf Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz i.V.m. einer möglicherweise anderen Verwaltungspraxis berufen. Eine Verwaltungspraxis, wonach auch für den ersten Teil einer gestreckten Abschlussprüfung eine Weiterbildungsprämie gewährt wird, entspricht – wie dargelegt – nicht der Gesetzeslage und ist rechtswidrig. Eine „Gleichheit im Unrecht“ gibt es nicht (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 17. Januar 1979 – 1 BvL 25/77 –, juris Rn. 59).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Rechtsstreits.

 

Die Revision wird im Hinblick auf das beim Bundessozialgericht anhängige Verfahren B 11 AL 2/21 R sowie weitere anhängige Verfahren beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg zu der gleichen bzw. ähnlichen Problematik wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) zugelassen.

 

 

 

Rechtskraft
Aus
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