Die Degressionsregelung des § 85 Abs. 4b SGB V (a.F.) war Abrech-nungsjahr 2013, auch soweit sie die Oralchirurg*innen erfasste, nicht verfassungswidrig.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. Februar 2017 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen Degressionskürzungen für das Jahr 2013.
Sie ist als Fachärztin für Oralchirurgie zur vertragsärztlichen Versorgung in Berlin zugelassen. Sie rechnete im Jahr 2013 insgesamt zahnärztliche Leistungen im Umfang von 454.577 (degressionsrelevanten) Punkten ab.
Mit Bescheid vom 26. August 2014 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass die unter der Praxisnummer der Klägerin im Jahr 2013 abgerechneten Punkte die (für 2013 maßgebende) Degressionsgrenze von 262.500 Punkten überschritten hätten. Daraus ergebe sich für das Jahr 2013 eine Vergütungsminderung in Höhe von 48.855,71 Euro. Den dagegen erhobenen Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 10. November 2014 zurück.
Die Klägerin hat am 2. Dezember 2014 Klage zum Sozialgericht Berlin erhoben. Der Bescheid der Beklagten sei schon deswegen rechtswidrig, weil der Degressionsbetrag der Höhe nach nicht nachvollziehbar sei. Selbst wenn die angesetzten Zahlen als zutreffend angesehen würden, sei nicht nachvollziehbar, wie sich die Punktzahl im Einzelnen berechne. Außerdem sei § 85 Abs. 4b Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) nicht mit höherrangigem Recht vereinbar. Es liege ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz vor. Sowohl bei Oralchirurgen als auch bei Kieferorthopäden machten die von der Degression völlig unberührten Zahnersatzleistungen typischerweise nur einen verschwindend geringen Anteil an der Gesamtvergütung aus. Dies habe der Gesetzgeber jedoch allein für die Kieferorthopäden durch die Erhöhung der Degressionsstufen berücksichtigt. Die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 13. Oktober 2010 (B 6 KA 35/09 R) betreffe eine andere Ausgangslage. Sie berücksichtige die Besonderheiten der Lage einer oralchirurgischen Praxis in einem sozial schwachen Gebiet mit generell geringem Aufkommen von Privatpatienten nicht. Insbesondere aber stelle die vom BSG als Tatsache herangezogene Feststellung, dass die Gruppe der Zahnärzte mit der Zusatzbezeichnung Oralchirurgie in nennenswertem Umfang prothetische Leistungen erbrächten, eine nicht weiter ermittelte Vermutung dar. Diese Vermutung treffe nicht zu. Nahezu alle Praxen von Oralchirurgen, so auch die klägerische, erbrächten nur verschwindend gering eine Tätigkeit im Bereich des Zahnersatzes. Damit seien die Grenzen der zulässigen Typisierung deutlich überschritten und es liege ein Gleichheitsverstoß vor. Die Bestimmung verstoße zudem gegen Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz (GG). Es sei zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber nicht gegenläufige Pauschalierungen zugunsten einer Gruppe, nämlich derjenigen der Ärzte/Ärztinnen der Kieferchirurgie, zulasten einer anderen Gruppe, derjenigen der Oralchirurg*innen, vornehmen könne. Dies habe das BSG nicht bedacht.
Schließlich liege in Fällen wie bei der Klägerin eine unzumutbare Beeinträchtigung der Berufsfreiheit vor. Sie sei in Leistungsbereichen tätig, in denen anderen Zahnärzten/Zahnärztinnen aus verschiedenen Gründen eine Tätigkeit nicht möglich sei. Ihr Tätigkeitsfeld umfasse die allgemeine zahnärztliche Chirurgie einschließlich der Behandlung von Luxationen und Frakturen im Bereich der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (Kieferbruchbehandlung) sowie die entsprechende Diagnostik. Ebenso wie für Kieferorthopäden sei eine eigene Fachzahnarztausbildung vorgesehen. Sie behandle Patient*innen, die auf Überweisung anderer Zahnärzte kämen. Sämtliche sonstigen Leistungen (Prothetik) würden von den anderen Zahnärzten erbracht. Würde sie (auch) diese Leistungen anbieten, würden die Überweisungen ausbleiben. Sie könnte daher, selbst bei Akquise eigener Patient*innen, ihre Spezialisierung für Oralchirurgie nicht aufrechterhalten. Die hohe Anzahl an Osteotomien und Resektionen sei auf die Patientenschaft aus sozial schwachen Gebieten zurückzuführen, die sich in keiner Weise um ihre Mundgesundheit kümmerten. Es liege nicht nur eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung im Verhältnis zu Zahnärzt*innen der Kieferorthopädie vor, sondern gleichzeitig eine verfassungswidrige Gleichbehandlung mit den übrigen Vertragszahnärzt*innen. Trotz ihrer besseren Qualifikation habe sie eine geringere Vergütung als andere Vertragszahnärzt*innen.
Mit Urteil vom 22. Februar 2017 hat das Sozialgericht im Einverständnis mit den Beteiligten im Wege des schriftlichen Verfahrens die Klage abgewiesen. Gemäß § 85 Abs. 4b Satz SGB V (in der Fassung vom 22. Dezember 2011, aufgehoben mit Wirkung vom 11. Mai 2019) verringere sich der Vergütungsanspruch ab einer Gesamtpunktmenge je Vertragszahnarzt aus vertragszahnärztlicher Behandlung einschließlich kieferorthopädischer Behandlung von 262.500 Punkten je Kalenderjahr für die weiteren vertragsärztlichen Behandlungen i.H.v. 20 %, ab einer Punktmenge von 337.500 Kalenderjahr um 30 % und ab einer Punktmenge von 412.500 je Kalenderjahr um 40 %. Für Kieferorthopäden verringere sich der Vergütungsanspruch dagegen erst ab einer Gesamtpunktemenge von 280.000 Punkten. Die Punktmengen umfassten alle vertragszahnärztlichen Leistungen im Sinne von § 73 Abs. 2 Nr. 2 SGB V. Die Regelung über die Degression sei entgegen der Auffassung der Klägerin mit höherrangigem Recht vereinbar. Das sei mehrfach obergerichtlich und höchstrichterlich bestätigt. Für die aktuell geltende Degressionsregelung habe das BSG explizit entschieden, dass sie für alle Zahnärzte/Zahnärztinnen mit Ausnahme der Kieferorthopäden gelten dürfe, ohne dass dies gegen Art. 3 Abs. 1 oder Art. 12 Abs. 1 verstoße (BSG, Urteil vom 13. Oktober 2010 – B 6 KA 35/09 R – juris Rn. 12). Auch die Kammer halte die Regelung für verfassungsgemäß und sehe daher auch in Anbetracht der Argumente der Klägerin keine Veranlassung, das Verfahren gemäß Art. 100 Abs. 1 GG auszusetzen. Aus ihrem Hinweis auf die Besonderheiten der Lage einer oralchirurgischen Praxis in einem sozial schwachen Gebiet und mit der nur beschränkten Möglichkeit, Privatpatient*innen zu akquirieren, folge keine andere Bewertung. Unabhängig davon, dass die Klägerin diesbezüglich keinerlei Zahlen vorgelegt habe, könne dieses Argument nicht zur Verfassungswidrigkeit führen. Das BSG habe ausdrücklich klargestellt, dass bei der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit solcher Regelungen eine generalisierende Betrachtung von deren Auswirkungen auf den betroffenen Berufszweig insgesamt zugrunde zulegen sei. Für den Vortrag, die Klägerin sei in besonderem Maße von Kürzungsmaßnahmen betroffen, fehlten jegliche nähere Ausführungen. Es handele sich um Behauptungen ins Blaue hinein, die keine weiteren Ermittlungspflichten für das Gericht begründen könnten. Es liege schließlich keine verfassungswidrige Gleichbehandlung der Oralchirurgen/Oralchirurginnen im Vergleich zu sonstigen Vertragszahnärzten/-ärztinnen oder eine Ungleichbehandlung zu den Kieferorthopäd*innen vor. Das BSG habe bereits 2006 angenommen, dass es zwar Oralchirurg*innen gebe, die keine Zahnersatzleistungen oder nur in sehr geringem Umfang erbrächten, dies sei aber nur eine kleine Minderheit. Der Senat des BSG habe in folgenden Entscheidungen keinen Anlass gesehen, von der Annahme abzuweichen, dass diese Gruppe – insoweit anders als die Kieferorthopäd*innen – in nennenswertem Umfang prothetische Leistungen erbrächten. Anlass zu der Annahme, dass sich dies in den letzten Jahren grundlegend geändert habe, bestehe auch für die Kammer nicht. Der Vortrag der Klägerin, in den Praxen der Oralchirurgie gebe es keine oder nur eine verschwindend geringe Tätigkeit im Bereich des Zahnersatzes, veranlasse die Kammer nicht zur Einholung eines Sachverständigengutachtens. Maßgebend sei, dass die Klägerin nicht einmal für ihre eigene Praxis entsprechende Zahlen vorgelegt habe.
Die Beklagte habe schließlich die Vorschriften über die Punktwertminderung zutreffend umgesetzt. Hinsichtlich der von der Klägerin monierten fehlenden Begründung des angefochtenen Bescheides sei zu beachten, dass es ausreichend sei, wenn sich der für die Berechnung maßgebliche Rechenvorgang aus dem Honorarverteilungsmaßstab ergebe. Diese Rechtsprechung sei auch auf die Degressionsbescheide zu übertragen. Gemessen daran habe die Beklagte die konkrete Zahl der insgesamt abgerechneten Punkte der Klägerin benannt und deutlich gemacht, um wie viel die Grenze von 262.500 Punkten überschritten worden sei. Zudem sei der Kürzungsbetrag genannt. Die Beklagte habe schließlich im Laufe des Gerichtsverfahrens die sog. „Quartalsabrechnung Restlastschriften“ vorgelegt. Unter Zuhilfenahme dieser Unterlagen sei der Degressionsbescheid nachvollziehbar. Während die Klägerin in den Quartalen I/ und II/2013 die Grenze noch nicht überschritten habe, weshalb für diese Quartalsabrechnung Restlastschriften auch nicht vorgelegt worden seien, habe sie im Quartal III/2013 noch 54.398 Punkte unter der Degressionsgrenze (262.500) abgerechnet und zu 100 % vergütet erhalten. Mit 73.905 weiteren Punkten habe sie die Grenze überschritten und eine Vergütung zu 80 % erfahren. Da die Punktwerte von Krankenkasse zu Krankenkasse unterschiedlich seien, habe die Beklagte für das Quartal, in dem die Degression erfolgt sei, einen Degressionskürzungsprozentsatz errechnet. Dadurch werde der Faktor beseitigt, dass es letztlich vom Zufall abhänge, welche Krankenkasse der Kostenträger der die Grenze überschreitenden Punkte sei. Es seien daher statt 54.398 Punkte zu 100 % und 73.905 Punkte nur zu 80 % zu vergüten, alle Punkte des Quartals mit 88,48 % vergütet worden. Der Anlage zum Bescheid sei auch zu entnehmen, wie die Beklagte den Degressionskürzungsprozentsatz errechnet habe. Ausgehend davon habe die Beklagte den Kürzungsbetrag für das Quartal III/2013 mit 13.307,19 € errechnet; für das Quartal IV/2013, in welchem auch die weiteren Degressionsstufen (konkret: 337.500 Punkte und 412.500 Punkte) von der Klägerin überschritten worden seien, errechne sich ein Kürzungsbetrag in Höhe von 35.548,52 Euro (insgesamt: 48.855,17 Euro).
Die Klägerin hat gegen das ihr am 2. März 2017 zugestellte Urteil am 17. März 2017 Berufung eingelegt. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts sei eine Sachentscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu der Frage, ob die Degressionsregelungen des § 85 SGB V verfassungsgemäß seien, bislang noch nicht erfolgt. Das Sozialgericht oder der Beklagte hätten spätestens auf Anregung der Klägerin ermitteln müssen, wie hoch typischerweise der Anteil an Zahnersatzleistungen an der Gesamtvergütung bei Oralchirurgen/-chirurginnen und Kieferorthopäden/-orthopädinnen sei. Die Klägerin verfüge nicht über die Mittel und Möglichkeiten, um zu belegen, dass ihre Berufsgruppe typischerweise allenfalls verschwindend geringe Anteile an Zahnersatzleistungen erbringe. Zumindest ein gerichtliches Sachverständigengutachten hätte die Möglichkeit, die Tätigkeitsverteilung beispielsweise bei den Berliner Oralchirurg*innen zu ermitteln, um ihren Vortrag zu bestätigen. In Berlin seien nach den Angaben der Beklagten zwischen 20 und 25 % der Oralchirurg*innen von der Degression betroffen. Damit liege keinesfalls nur ein Einzelfall vor. Dass die Klägerin selbst in besonderem Maße von der Problematik betroffen sei, könne sie als unstreitig ansehen, da auch die Beklagte die Zahlen ja kenne. Der Grund dafür, dass es bei der Klägerin 2017 zu einer massiven Reduktion der Punkte gekommen sei, habe in der Schwangerschaft und anschließenden Elternzeit gelegen. Die Klägerin habe ihren Praxissitz auch tatsächlich in einem sozial schwachen Gebiet und könne die Degression nicht durch einen gewichtigen Anteil an Privatpatient*innen ausgleichen. Der Kollege, der 2013 in der Praxisgemeinschaft mit der Klägerin praktiziert habe, könne nicht vergleichsweise herangezogen werden, denn dieser habe seinerzeit allgemein geringere Einnahmen gehabt infolge einer Erkrankung.
In der erstinstanzlichen Entscheidung liege zumindest eine Verletzung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs und der Pflicht zur Ermittlung der erheblichen Tatsachen. Vorsorglich lege sie die abschließenden Leistungsstatistiken für die Jahre 2013-2016 vor. Daraus ergebe sich u.a., dass die Leistung der „Beratung eines Kranken“ bei der Klägerin um 105,89 % häufiger erbracht worden sei, damit mehr als doppelt so häufig wie im Durchschnitt aller KZV Zahnärzte/-ärztinnen. Ein weiteres Beispiel ergebe sich bei Betrachtung der Leistung „Röntgen bis zwei Aufnahmen“ (Rö2/A925a). Die bei der Klägerin insoweit angefallenen 432 Fälle entsprächen einem Anteil von 14,37 % der Patientenschaft aller KZV-Zahnärzte. Für das Verfahren ergäben sich daraus Schlussfolgerungen wie folgt: Im Jahr 2013 habe die Klägerin ausschließlich Leistungen vorgenommen, die dem Kapitel „Konservierende und chirurgische Leistungen und Röntgenleistungen“ zuzuordnen seien, keine Leistungen aus den Bereichen „Kieferbruch, Kiefergelenkserkrankungen“, „Kieferorthopädische Behandlungen“, „Parodontopathien“ und insbesondere auch keine „Versorgung mit Zahnersatz und Zahnkronen“ – mithin die von der Degression ausgenommenen Zahnersatzleistungen. Diese erbrächten für allgemeine Zahnärzte eine erhebliche Kompensation für die Einschränkungen der Vergütung im Bereich des § 85 SGB V. Von dieser Kompensation könne sie daher ebenso wenig profitieren wie Kieferorthopäden. Auch in den Jahren seit 2014 habe sich daran nichts geändert. Sie sei insoweit kein bloßer empirisch nicht relevanter Ausreißer, sondern dies sei ein für Oralchirurg*innen typisches Phänomen.
Der Gesetzgeber habe mit der ersatzlosen Streichung der streitgegenständlichen Regelung des § 85 Abs. 4b SGB V durch das Terminservice- und Versorgungsstärkungsgesetz (TSVG) vom 6. Mai 2019 bestätigt, dass mittlerweile eine sachliche Rechtfertigung für die Punktwertdegression fehle. Aus der Gesetzesbegründung ergebe sich der klare Wille, erhebliche Fehlanreize der Regelung zur Punktwertdegression für die Bereitschaft von Zahnärzt*innen, sich u.a. in strukturschwachen Gebieten niederzulassen, zu vermeiden. Außerdem weise der Gesetzgeber darauf hin, dass die Ausgabensteigerungen für vertragszahnärztliche Leistungen seit Jahren deutlich unterhalb des Niveaus der 1990er Jahren lägen. Ein zusätzlicher Beitrag der Vertragszahnärzt*innen zur Beitragsstabilisierung sei nicht länger geboten (BT-Drs. 19/6337, S. 104). Dieser Befund treffe bereits auch auf das streitgegenständliche Jahr zu. Im Fall des Erfolgs der Klage falle lediglich derjenige Umfang an höheren Ausgaben für die GKV an, der nach der aktuellen Rechtslage ohnehin wieder für alle vertragszahnärztlichen Praxen anzusetzen sei.
Die Klägerin beantragt, ein Sachverständigengutachten einzuholen zu den behaupteten Tatsachen,
- dass sowohl bei Oralchirurgen – insbesondere auch bei der Klägerin – wie auch bei Kieferorthopäden die von der für die streitgegenständliche Zeit angewandten streitgegenständlichen Degressionsregelung völlig unberührten Zahnersatzleistungen typischerweise nur einen verschwindend geringen Anteil an der Gesamtvergütung ausmachen,
- dass Oralchirurgen insoweit gegenüber allgemeinen Zahnärzten erheblich benachteiligt werden, da sie (jedenfalls typischerweise) gerade nicht Zahnersatzleistungen anbieten (können) und
- wie im Falle der Klägerin ist in nahezu allen Praxen von Oralchirurgen keine oder nur eine verschwindend geringe Tätigkeit im Bereich des Zahnersatzes vorhanden.
Es fehle schließlich nach wie vor eine hinreichende Begründung der angefochtenen Verfügungen, das Gericht könne diese nicht heilen. Ein Verweis auf die Homepage der Beklagten genüge dem nicht.
Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. Februar 2017 und der Bescheid der Beklagten vom 26. August 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. November 2014 werden aufgehoben.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Berufung zurückzuweisen
Das Urteil des Sozialgerichts verletze weder rechtliches Gehör noch den Grundsatz der Amtsermittlung. Die Klägerin habe keine neuen Tatsachen vorgetragen, die Ermittlungen von Amts wegen hätten anstoßen müssen. Im Hinblick auf die Rechtsprechung des BSG, welche eine Sonderstellung der Oralchirurgie nicht habe bestätigen können, sei nicht ersichtlich, dass sich die Situation seit der letzten BSG-Entscheidung oder speziell im Land Berlin geändert habe. Dabei spielten nach der Intention des Gesetzgebers Praxisbesonderheiten keine Rolle. Dass sich die Sicht des Gesetzgebers unlängst geändert habe, spiele für damalige Zeiträume keine Rolle, ungeachtet der Tatsache, dass aus der Gesetzesbegründung des TSVG nicht entnommen werden könne, seit wie vielen Jahren die Ausgabensteigerungen für vertragszahnärztliche Leistungen deutlich unterhalb des Niveaus der 1990er Jahre lägen. Zutreffend sei, dass Oralchirurg*innen oftmals auf Überweisung arbeiteten und zum Teil auch wenig oder gar keine Zahnersatzleistungen erbrächten. Dass sie aber 2013 auch Zahnersatzleistungen erbracht hätten, ergebe sich aus einer tabellarischen Übersicht, welche die Beklagte erstellt habe (Anlage 1 zum Schriftsatz vom 5. März 2021). Oralchirurg*innen, die wie die Klägerin keinerlei Zahnersatzleistungen abgerechnet hätten, seien in der Minderheit. Dass sich daraus kein allgemeines Problem ergebe, zeigten die weiteren Zahlen: von 70 oralchirurgischen Praxen seien lediglich 16 im Jahr 2013 von einer Degression betroffen gewesen. Würden nur die Einzelpraxen berücksichtigt, seien sieben betroffen gewesen. Diese Einzelpraxen hätten jeweils eine weit geringere Punktmenge erwirtschaftet als die Klägerin und somit auch erheblich geringere Kürzungsbeträge. Während die Klägerin eine Überschreitung von 192.000 Punkten aufgewiesen habe, hätte die Menge der Punktwertüberschreitungen in den sieben Einzelpraxen zwischen 122.000 Punkten und 3.000 Punkten gelegen. Noch im Quartal IV/2012 habe die Klägerin selbst eine erheblich geringere Anzahl an Behandlungsfällen gehabt. Im Jahr 2013 habe sie dann die Fallzahl verdoppelt. In den Jahren danach habe sich die Sachlage erneut geändert. Die Klägerin sei bis 2016 in weit geringerem Umfang von Degressionskürzungen betroffen gewesen, ab 2017 habe sie gar keine Kürzungen mehr gehabt, obwohl sie weiterhin keine Zahnersatzleistungen erbracht hätte. Sogar der Vergleich mit ihren eigenen Zahlen im Zeitraum vor und nach 2013 zeige, dass kein allgemeingültiges Problem der Berufsgruppe vorliege und ihre Abweichungen im eigenen Tätigkeits- und Abrechnungsverhalten begründet sein müssten. Die Behauptung, sie habe aufgrund des sozial schwachen Gebietes, in dem ihre Praxis liege, eine erhöhte Anzahl an Osteotomien vornehmen müssen, überzeuge nicht. Zwar hätte sie bestimmte Leistungen über dem Durchschnitt der Berliner Zahnärzt*innen erbracht. Zutreffend sei, dass ihre Praxis in B-M in einem Bezirk liege, für den eine vergleichsweise hohe soziale und gesundheitliche Belastung ausgewiesen gewesen sei. Letztlich besage das aber nichts, denn auch im Bezirk M gebe es diverse Strukturen und dementsprechend unterschiedliches Patientenklientel. Außerdem betreibe die Klägerin – auch nach eigenen Angaben – eine Überweiserpraxis, habe damit gerade nicht nur Patient*innen aus dem direkten Umfeld. Die Sichtung ihrer Patientenfälle im Jahr 2013 zeige, dass sie von insgesamt ca. 2.950 Patient*innen 1.072 aus dem Bereich B-M/M behandelt habe. Die übrigen hätten aus anderen Gebieten B gestammt (Übersicht in Anlage 3 zum Schriftsatz vom 5. März 2021). Im Übrigen sei im Hinblick auf die Behandlungen die Erhaltungswürdigkeit einzelner Zähne maßgeblich, dies werde durch die Behandler- und Überweiser*innen festgestellt. Auch hätten Osteotomien nichts mit der Frage zu tun, ob ein besonders sanierungsbedürftiges Gebiss vorliege. Eine Osteotomie sei die Entfernung verlagerter, retinierter Zähne. Auch eine Praxisbesonderheit im Vergleich zu vergleichbaren Praxen sei gerade nicht belegt: Im direkten Postleitzahlengebiet der Praxis der Klägerin seien lediglich zwei Praxen (Kieferorthopädie) mit Degressionskürzungen belastet gewesen, weitere Zahnärzte/Zahnärztinnen (Kieferorthopädie und Chirurg*innen) nicht. Im gesamten Bezirk Mseien von den dort ansässigen 17 oralchirurgischen sowie Mund-Kiefer-gesichtschirurgischen Ärzt*innen lediglich zwei (darunter die Klägerin und ein weiterer Oralchirurg) in der Degression gewesen. Bezeichnenderweise sei der mit der Klägerin 2013 in Praxisgemeinschaft tätige Mund-Kiefer-Gesichtschirurg/Oralchirurg nicht von Kürzungen betroffen, obwohl auch dieser ausschließlich chirurgische Leistungen erbracht habe. Das zeige, dass es sich nicht um ein Problem speziell von Oralchirurg*innen handele.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die ausgetauschten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Gerichts- und Verwaltungsakte Bezug genommen, die Gegenstand der Beratung des Senates gewesen ist.
Entscheidungsgründe
A. Der Senat durfte über die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, weil die Beteiligten hiermit einverstanden sind (§ 124 Abs. 2 i.V.m. § 153 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).
B. Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg. Das Sozialgericht hat ihr Begehren, höheres Honorar gänzlich ohne Berücksichtigung von Degressionen oder zumindest unter Zugrundelegung einer höheren degressionsfreien Punktmenge zu erhalten, zu Recht abgewiesen. Die in § 85 Abs. 4b Satz 1 SGB V a.F. je Vertragszahnarzt festgelegte degressionsfreie Gesamtpunktmenge und die einzelnen Degressionsstufen von 262.500 / 337.500 / 412.500 Punkten (mit Kürzungen der jeweiligen die Stufe überschreitenden Punktmengen um 20 % / 30 % / 40 %) sind auch auf Oralchirurgen anzuwenden. Dies gilt auch dann, wenn diese im Einzelfall - wie die Klägerin – nur in geringem Umfang prothetische Leistungen erbringen. Die Degressionsregelungen sind sowohl im Grundsatz recht- und verfassungsmäßig (1.), als auch in ihrer Anwendung gerade im Fall der Klägerin nicht zu beanstanden (2.). Berechnungsfehler der Beklagten zu Lasten der Klägerin sind nicht zu erkennen (3.).
1. Der Bescheid der Beklagten beruht auf der Degressionsregelung des § 85 Abs. 4b SGB V in ihrer bis zum 10. Mai 2019 insoweit in der Struktur seit dem 1. Januar 2004 unveränderten Ausgestaltung, zuletzt in der Fassung vom 22. November 2011.
§ 85 Abs. 4b Satz 1 SGB V bestimmte in Satz 1:
„Ab einer Gesamtpunktmenge je Vertragszahnarzt aus vertragszahnärztlicher Behandlung einschließlich der kieferorthopädischen Behandlung von 262 500 Punkten je Kalenderjahr verringert sich der Vergütungsanspruch für die weiteren vertragszahnärztlichen Behandlungen im Sinne des § 73 Abs. 2 Nr. 2 um 20 vom Hundert, ab einer Punktmenge von 337 500 je Kalenderjahr um 30 vom Hundert und ab einer Punktmenge von 412 500 je Kalenderjahr um 40 vom Hundert; für Kieferorthopäden verringert sich der Vergütungsanspruch für die weiteren vertragszahnärztlichen Behandlungen ab einer Gesamtpunktmenge von 280 000 Punkten je Kalenderjahr um 20 vom Hundert, ab einer Punktmenge von 360 000 Punkten je Kalenderjahr um 30 vom Hundert und ab einer Punktmenge von 440 000 Punkten je Kalenderjahr um 40 vom Hundert.“
Sätze 6 und 7 bestimmten ergänzend:
„Die Punktmengen umfassen alle vertragszahnärztlichen Leistungen im Sinne des § 73 Abs. 2 Nr. 2. In die Ermittlung der Punktmengen sind die Kostenerstattungen nach § 13 Abs. 2 einzubeziehen.“
Diese Regelungen sind – auch bezogen auf das Jahr 2013 – verfassungsgemäß. Das BSG und das BVerfG und auch der Senat haben für sie bereits wiederholt entschieden, dass sie mit Art. 12 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG sowie mit dem Rechtsstaatsprinzip vereinbar sind. Die Degressionsregelungen verfolgten wichtige Gemeinwohlbelange, nämlich Einsparungen bei Krankenkassen zu erreichen, damit deren Finanzierung zu erhalten, und Fehlentwicklungen bei der Qualität der zahnärztlichen Versorgung infolge von Qualitätsdefiziten bei übermäßiger Leistungserbringung zu vermeiden. Dabei darf der Gesetzgeber eine generalisierende Betrachtung der Auswirkungen auf den betroffenen Berufszweig anstellen (grundlegend BSGE 80, 223 sowie dazu BVerfG <Kammer> NJW 2000, 3413 und NVwZ-RR 2002, 802; BSG, Urteil vom 29. November 2006 – B 6 KA 23/06 R –, Rn. 11 ff.; Urteil vom 13. Oktober 2010 – B 6 KA 35/09 R Rn. 11 ff., jeweils juris). Die Festlegung der Degressionspunktzahl zum 1. Januar 2005 beruhte für die Vertragszahnärzte mit Ausnahme der Kieferorthopäden auf der Umstellung beim Zahnersatz auf befundbezogene Festzuschüsse. Diese bewirkten, dass die Zahnersatz-Leistungen außerhalb der Gesamtvergütungen honoriert werden und so nicht mehr in die Punktmengenberechnungen für die Degression eingingen (BT-Drs. 15/2710 S. 42). Es ergaben sich seither dadurch Vorteile für alle diejenigen, die Zahnersatzleistungen erbringen (BSG, Urteil vom 29. November 2006 – B 6 KA 23/06 R Rn. 15, juris).
Der Senat schließt sich der vom BSG im Jahr 2010 zuletzt geäußerten Auffassung zur Verfassungsmäßigkeit nach eigener Prüfung auch für 2013 an. Aus der Gesetzesänderung des Terminservice- und Versorgungsstärkungsgesetz (TSVG) vom 6. Mai 2019 ergibt sich keine (rückschauend) andere Bewertung. Der Gesetzgeber hat damit die Degressionsregelung in § 85 Abs. 4b SGB V ersatzlos aufgehoben, weil er einen Beitrag der Vertragszahnärztinnen und –ärzte zur Sicherung der Beitragsstabilität im Hinblick auf eine über einen längeren Zeitraum (Jahrzehnte) gesunkene Ausgabenentwicklung für nicht länger geboten hielt (BT-Drs. 19/6337, S. 104 – Zu Nummer 42). Rückschlüsse auf eine Sach- und/oder Rechtslage im Jahr 2013 können aus der zeitlich mit großem Abstand vorgenommenen Gesetzesänderung nicht gezogen werden. Schließlich zeigt bereits der Wortlaut der Begründung, wonach die Degressionsregelungen nicht mehr „länger“ für geboten gehalten wurden, dass es um eine Einschätzung für die Zukunft, nicht für die Vergangenheit geht. Der Gesetzgeber hat von seinem in der Rechtsprechung des BVerfG anerkannten weiten Gestaltungsermessen, die Finanzierung der Sozialversicherungssysteme auszugestalten, Gebrauch gemacht.
Zu ergänzen bleibt mit Blick auf die klägerischen Einwände: Die Degressionsregelungen verstoßen, auch soweit sie Oralchirug*innen 2013 erfassten, nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Dies gilt sowohl im Hinblick auf eine Gleichstellung mit den übrigen Vertragszahnärzt*innen als auch auf eine Ungleichbehandlung mit den Kieferorthopäd*innen.
a. Oralchirurgen werden im Rahmen der Terminologie des § 85 Abs. 4b SGB V a.F. den „Vertragszahnärzten“ zugeordnet und deshalb ebenso wie diese von den Degressionsregelungen erfasst (näher BSG, Urteil vom 29. November 2006 - B 6 KA 23/06 R, Rn. 19, juris). Art. 3 Abs. 1 GG fordert, wesentlich Gleiches gleich zu behandeln, während wesentlich Ungleiches ungleich behandelt werden kann. Eine Ungleichbehandlung ist damit vereinbar, wenn Unterschiede solcher Art und solchen Gewichts bestehen, dass sie die Ungleichbehandlung rechtfertigen können. Der Normgeber darf dabei pauschalieren, typisieren, schematisieren und generalisieren und besitzt insoweit eine weitgehende Gestaltungsfreiheit, ob und wie er unterschiedliche Gruppen behandelt (BSG, aaO, Rn. 16). Eine Gleichbehandlung ungleicher Sachverhalte ist nur dann rechtswidrig, wenn die tatsächliche Ungleichheit so groß ist, dass sie bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise nicht unberücksichtigt bleiben darf; der Spielraum des Gesetzgebers ist dabei weit bemessen (Urteil des Senats vom 20. Mai 2009 – L 7 KA 133/06 –, Rn. 27, juris unter Berufung auf BVerfGE 98, 365; 112, 368).
Gemessen daran durfte § 85 Abs. 4b SGB V – auch im Jahr 2013 – Zahnärzt*innen und Oralchirurg*innen hinsichtlich der Degression gleich behandeln. Der Gesetzgeber durfte (weiter) davon ausgehen, dass beide Gruppen Zahnersatz-Leistungen abrechnen, die nicht der Degression unterliegen. Diese Leistungen beeinflussen die Punktmengenberechnungen für die Degression deshalb nicht, weil für sie ein Festzuschuss gezahlt wird.
Zahnärzt*innen erbringen typischerweise in durchaus nennenswertem Umfang auch Zahnersatz-Leistungen. Zahnersatz beinhaltet festsitzenden Zahnersatz (Kronen, Teilkronen und Brücken), herausnehmbaren Zahnersatz (Teil-, Totalprothesen und Interimsprothesen) sowie kombinierten Zahnersatz (Kombination aus festsitzendem und herausnehmbarem Zahnersatz). Die Behandlung mit Zahnersatz umfasst auch implantatgestützten Zahnersatz. Zwischen 2005 und 2017 lag der Anteil der Zahnersatz-Leistungen am Gesamtleistungsvolumen der zahnärztlichen Behandlung konstant zwischen 20 und 30 % (vgl. KZBV-Jahrbuch 2018, Abb. 2.16, S. 42, www.kzbv.de). Die Gruppe der Oralchirurgen und -chirurginnen weist (auch im Jahr 2013) im Vergleich dazu typischerweise keine solchen Unterschiede auf, die es gebieten würden, sie hinsichtlich der Degression anders als die übrigen Zahnärzte zu behandeln. Zum einen sind Vertragszahnärzte mit der Zusatzbezeichnung Oralchirurgie berufs- und vertragszahnarztrechtlich berechtigt, Zahnersatz einzugliedern. Praktisch machen sie davon in unterschiedlichem Maße auch Gebrauch (dazu BSG, Urteil vom 13. Oktober 2010 - B 6 KA 35/09 R Rn. 19, juris). Dies wird bestätigt durch § 6 Abs. 1 des Bundesmantelvertrag-Zahnärzte (BMV-Z in der Fassung der letzten Änderung am 29. September 2020). Er berechtigt alle Vertragszahnärzt*innen, an der Erbringung der vertragszahnärztlichen Versorgung der Versicherten der Krankenkassen teilzunehmen. Die Praxen für Oralchirurgie sind davon nicht ausgenommen. Zum anderen verpflichtet sie die Berufsbezeichnung nicht, nur chirurgisch tätig zu sein. Eine einheitliche Praxisausrichtung von oralchirurgisch tätigen Zahnärzt*innen konnte das BSG noch im Jahr 2010 nicht feststellen. Anhaltspunkte dafür, dass danach bis zum maßgeblichen Abrechnungsjahr 2013 ein grundlegender und zahlenmäßig breiter Wandel in der Praxisausrichtung eingetreten ist, der die Typisierung nicht mehr rechtfertigt, bestehen für den Senat nicht. Auch die Klägerin behauptet ihn nicht. Sie behauptet lediglich, dass ihre Berufsgruppe verschwindend geringe Leistungen des Zahnersatzes erbringt. Sie benennt dazu weder Quellen noch eine repräsentative Anzahl von Praxen. Soweit sie von ihrer eigenen Praxisausrichtung auf andere schließt, ist der Ausschnitt nicht repräsentativ. Soweit sie Behandlungszahlen und Abrechnungsziffern für ihre Praxis für 2014 bis 2016 heranzieht, ist das für das streitige Abrechnungsjahr 2013 nicht relevant. Für die Frage, ob die Typisierungen weiter nachvollziehbar waren, kommt es nur auf den Zeitraum bis einschließlich 2013 an. Selbst wenn später relevante Änderungen in dem Praxiszuschnitt der gesamten Berufsgruppe eingetreten wären, welche die Typisierung als nicht mehr gerechtfertigt erscheinen ließen, könnten diese auf das streitige Jahr 2013 nicht zurückwirken.
Keine andere Beurteilung rechtfertigen die Erhebungen, welche die Beklagte in ihrem Schriftsatz vom 5. März 2021 in das Verfahren eingeführt hat. Die Beklagte hat für ihren Zuständigkeitsbereich mit Anlage 1 zu ihrem Schriftsatz anschaulich dargelegt, dass von 56 abrechnenden oralchirurgischen Praxen 46 auch tatsächlich Zahnersatzleistungen erbracht haben. Nur 10 Praxen erbrachten überhaupt keinen Zahnersatz, das entspricht knapp 18 %, damit weniger als 1/5. Es ergibt sich daraus ein Indiz, dass Oralchirurg*innen grundsätzlich auch Zahnersatz erbringen. Aus Anlage 1 ergibt sich zwar auch, dass Zahnersatz bei den oralchirurgischen Praxen in Berlin in 2013 einen nur kleinen Prozentsatz der Leistungen ausmachte, nämlich nur 3,73 % der Gesamtpunkte. Im Vergleich dazu betrug der prozentuale Anteil der Zahnersatzleistungen in allgemeinzahnärztlichen Praxen im gleichen Jahr 16,02 %. Daraus lässt sich aber nicht der Schluss ziehen, dass generell ein Großteil der oralchirurgischen Praxen im Vergleich zu Allgemeinzahnärzten signifikant weniger oder gar keine Zahnersatzleistungen erbringen. Selbst wenn das aber so wäre, so erforderte dies, gemessen an Art. 3 Abs. 1 GG, nur dann eine Sonderstellung bei den Degressionsregelungen, wenn die Ungleichheit so groß wäre, dass sie bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise nicht unberücksichtigt bleiben dürfte (dazu oben). Das wäre nur dann der Fall, wenn es Anhaltspunkte dafür gäbe, dass gerade Oralchirurgen/-chirurginnen im Vergleich zu den übrigen Vertragszahnärzten und -ärztinnen ungleich stärker von der Degressionsregelung betroffen sind, und das gerade weil sie typischerweise nur einen kleinen Teil an Zahnersatzleistungen erbringen. Davon ist der Senat aus mehreren Gründen nicht überzeugt. Gegen eine bereits seit 2013 breit angelegte Betroffenheit von Oralchirurg*innen (die kaum Zahnersatz erbringen) von den Degressionsregeln sprechen als Indiz die weiteren Erhebungen, die die Beklagte in ihrem Schriftsatz vom 5. März 2021 für dieses Jahr dargelegt hat. Von 70 oralchirurgischen Praxen in B waren 2013 lediglich 16 Praxen, also weniger als 1/4, überhaupt von einer Degression betroffen, und das in sehr unterschiedlichem Ausmaß (zwischen 122.000 Punkten und 3.000 Punkten Überschreitung der Punktgrenze). Die unterschiedliche Höhe der Degression zwischen den oralchirurgischen Praxen bei einem durchschnittlich geringen Anteil an Zahnersatzleistungen spricht dafür, dass die Gründe für die Überschreitung vielfältig sein können und möglicherweise auch in einer frei gewählten spezifischen (oralchirurgischen) Praxisausrichtung liegen (vgl. BSG, Urteil vom 29. November 2006 – B 6 KA 23/06 R, Rn. 20 und 24). Außerdem muss bei der Prüfung, ob eine spezifische Betroffenheit vorliegt, konsequenterweise berücksichtigt werden, dass Oralchirurg*innen typischerweise auch für gesetzlich Versicherte Leistungen erbringen, die diese als Selbstzahler vergüten und die die Ärzt*innen deshalb privatärztlich abrechnen. Dazu rechnet der Senat z.B. allgemeine vertragszahnärztliche Leistungen, die Versicherte bei Oralchirurg*innen unter Vollnarkose oder Lachgas vornehmen lassen wie auch implantologische Leistungen. Letztere zählen mittlerweile typischerweise zum Leistungsangebot oralchirurgischer Praxen. Mit Ausnahme der in § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V genannten Ausnahmeindikationen werden implantologische Leistungen aber im Wege der privatärztlichen Liquidation erbracht. Beide genannten Behandlungsfelder eröffnen Oralchirurg*innen – im Unterschied zu sonstigen Zahnärzt*innen – eine Kompensationsmöglichkeit, um die Vergütungsminderung durch Degression aufzufangen. Der Senat sieht sich im Hinblick auf diese Erwägungen nicht veranlasst, weitere Ermittlungen von Amts wegen zu der Frage einzuleiten, wieviele Zahnersatzleistungen Oralchirurg*innen typischerweise erbringen. Der Gesetzgeber war jedenfalls nicht gezwungen, für alle Oralchirurg*innen oder für eine Subgruppe von diesen, die nur wenig Zahnersatzleistungen erbringen, Sonderregelungen vorzusehen.
b. Der Gesetzgeber war nicht verpflichtet, die Oralchirurg*innen in 2013 aus dem Anwendungsbereich der Degressionsregelungen gänzlich auszunehmen. Soweit die Klägerin sich dazu auf eine Ungleichbehandlung mit Kieferorthopäd*innen bezieht, kann dies deshalb keine Ausnahme begründen, weil auch diese einer Grenze, nämlich gemäß § 85b Abs. 4 Satz 1, 2. Halbsatz SGB V, unterlagen. Selbst wenn aber die Gruppe der Kieferorthopäd*innen als Vergleichsgruppe im Hinblick auf ihre höheren Degressionsgrenzen gewählt wird, ist ihre Ungleichbehandlung im Vergleich zu den Oralchirurg*innen dadurch gerechtfertigt, dass diese Gruppe typischerweise keine Zahnersatzleistungen erbringt (BSG, Urteil vom 13. Oktober 2010 - B 6 KA 35/09 R Rn. 23, juris). Kosten für eine notwendige kieferorthopädische Behandlung werden von der Krankenkasse bei Versicherten zwischen dem 10. und 18. Lebensjahr übernommen; Die Kosten für eine kieferorthopädische Behandlung, die nach Beendigung des 18. Lebensjahres begonnen wird, übernimmt die gesetzliche Krankenkasse nur in wenigen Ausnahmefällen (bei näher definierten schweren Kieferanomalien, vgl. § 28 Abs. 2 Sätze 6 und 7 SGB V SGB V, Fahlbusch in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 29 SGB V [Stand: 15.06.2020], Rn. 4). Zahnersatzleistungen erbringen Kieferorthopäd*innen für ihre Versichertengruppe nur ausnahmsweise, auch wenn sie daran seitens der Zulassung und berufsrechtlich nicht gehindert sind (§ 29 Abs. 2 und § 31 Abs. 4 Berliner Heilberufekammergesetz [BlnHKG] vom 2. November 2018, § 6 Abs. 1 BMV-Z). Es liegen dem Senat keine tatsächlichen Nachweise dafür vor, dass Kieferorthopäd*innen neben den kieferorthopädischen Leistungen auch andere zahnärztliche Leistungen erbringen. Dies wird bestätigt durch die aktuelle Bedarfsplanungs-RL, an der sich der Gesetzgeber (weiter) orientieren darf (vgl. Bedarfsplanungs-RL Fassung 2019, allgemein: BSG, Urteil vom 29. November 2006 - B 6 KA 23/06 R, Rn. 21, juris).
2. Weder der allgemeine Gleichheitssatz noch die Honorarverteilungsgerechtigkeit als dessen besondere Ausprägung (i.V.m. Art. 12 GG) werden durch die Degressionsregelungen, soweit sie gerade die Klägerin im Jahr 2013 treffen, verletzt. Eine besondere Situation der Klägerin, die sie von anderen Fachärzt*innen für Oralchirurgie unterscheidet, hat sie nicht dargelegt. Die Klägerin macht dazu geltend, sie erbringe nur in verschwindend geringem Ausmaß zahnprothetische Leistungen, darüber hinaus habe sie ihre vertragszahnärztliche Praxis in einem sozial schwachen Gebiet und könne somit nur beschränkt Privatpatienten akquirieren.
a. Die Klägerin war zwar im Jahr 2013 besonders von den Degressionsregelungen betroffen. Dies wird bestätigt durch die Leistungsstatistik, die die Klägerin selbst für 2013 vorgelegt hat sowie die Übersicht, welche die Beklagte aufgrund der Abrechnungsdaten mit Anlage 2 zu ihrem Schriftsatz vom 5. März 2021 eingereicht hat. Aus beiden lässt sich ersehen, dass die Klägerin Leistungen, die der Degression unterfallen (u.a. chirurgische Leistungen wie die Osteotomie sowie Beratung eines Kranken) in 2013 in einem Umfang erbracht hat, der denjenigen des Durchschnitts der Vertragszahnärzte um mehr als das Doppelte überschritt. Das führt aber nicht dazu, sie von der Geltung der Degressionsregelungen auszunehmen. Es liegt zum einen im Wesen der (erlaubten) Typisierung, dass einzelne Praxen von Regelungen ungleich stärker betroffen werden. Dies rechtfertigt es nicht, sie als untypisch (Betroffene) von der Geltung der typisierenden Regelung auszunehmen. Die Degressionsregelungen kennen insoweit keine „Praxisbesonderheiten“. Dies gilt speziell für die Klägerin vor allem deshalb, weil sich aus den Abrechnungsdaten, welche die Beklagte ausgewertet hat, ergibt, dass die Klägerin im Jahr 2013 ihre Fallzahl im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt hat (von rund 400 auf 800). Die große Überschreitung der Degressionspunktgrenze beruhte mithin auf einer extremen Mengenausweitung der Klägerin im Jahr 2013, welcher das Instrument der Degression gerade entgegen wirken will. Sowohl im Zeitraum davor (IV/2012) als auch unmittelbar danach (ab 2014) war die Klägerin weit weniger von der Degressionskürzung betroffen, ab 2017 überhaupt nicht mehr. Diese Einschätzung wird durch einen „externen“ Vergleich bestätigt. Die 2013 in Berlin von Degressionskürzungen betroffenen 16 Praxen (darunter sieben Einzelpraxen) haben die Punktwertgrenze um weit weniger überschritten und folglich erheblich weniger Kürzungsbeträge als die Klägerin erhalten. Ein (äußerer) Grund für die Mengenausweitung der Klägerin im Jahr 2013 ist schließlich nicht erkennbar. Es ist somit nicht auszuschließen, dass sie auf einem selbst gewählten Tätigkeitsumfang und Schwerpunkt der Klägerin beruhten.
b. Es ist nicht nachvollziehbar, dass gerade die räumliche Lage der Praxis der Klägerin für die hohe Zahl an degressionsrelevanten Leistungen verantwortlich ist und daraus eine besondere persönliche Betroffenheit der Klägerin folgt. So ist bereits zweifelhaft, ob von einer Lage in einem „sozial schwachen Gebiet“ tatsächlich ausgegangen werden kann. Zwar liegt der Praxisstandort in B M und somit – ausgehend vom Sozialatlas Berlin – in einem Bezirk mit vergleichsweise hoher sozialer und gesundheitlicher Belastung. Die Beklagte hat aber für die Lage der Klägerin zu Recht eingewandt, dass sich in direkter Nähe ihrer Praxis z.B. der „S“ als eine exklusive Lage befindet, welcher ebenfalls als Einzugsbereich angesehen werden muss. Darüber hinaus spricht die Tatsache, dass die Klägerin eine sog. „Überweiserpraxis“ betreibt, also auch nach eigenem Bekunden überwiegend auf Überweisung von Allgemeinzahnärzt*innen tätig wird, dagegen, dass schwerpunktmäßig das nähere räumliche Umfeld das Patientenklientel ihrer Praxis bestimmt. Dies wird bestätigt durch die Sichtung der Patientenfälle, welche die Beklagte für die klägerische Praxis und das streitige Jahr 2013 vorgenommen hat. Ausweislich der Anlage 3 zum Schriftsatz der Beklagten vom 5. März 2021 stammte nur rund 1/3 der Patient*innen aus dem Bereich B-M/M, der Rest dagegen aus anderen Bezirken Berlins. Diese Erhebung spricht deutlich dagegen, dass ein möglicherweise auch „sozial schwaches Umfeld“ mit einer strukturell schlechten Mundgesundheit das Leistungsspektrum der klägerischen Einzelpraxis bestimmte. Der noch im Schriftsatz vom 23. März 2021 bekräftigte Vortrag der Klägerin, dass ein gewichtiger Anteil an gesetzlich Versicherten von ihr behandelt wurde, ist zumindest für 2013 widerlegt. Auch die weiteren Erhebungen, die die Beklagte vorgenommen hat, tragen einen solchen Befund nicht, im Gegenteil. So war im direkten Postleitzahlengebiet der Klägerin und im Bezirk M von den dort ansässigen Oralchirurg*innen und anderen der Degression potentiell unterfallenden Praxen (Kieferorthopädie, MKG-Chirurgie) nur ein kleiner Bruchteil von Degressionskürzungen betroffen. Gegen den Vortrag, dass ein Patientenklientel mit regelmäßig besonders sanierungsbedürftigem Gebiss die Leistungserbringung der Klägerin bestimmte, spricht schließlich die beispielhaft von ihr häufig erbrachte Leistung Osteotomie. Bei dieser handelt es sich um die Entfernung verlagerter, retinierter (d.h. zurückgehaltener) Zähne, also z.B. Weißheitszähne. Diese sind gerade kein Ausdruck schlechter Mundhygiene, sondern eher anlagebedingt. Soweit die Klägerin dem zuletzt mit dem Hinweis begegnet ist, Osteotomie sei auch abrechenbar, wenn tief zerstörte Zähne entfernt würden, so hätte es an ihr gelegen, für 2013 anhand ihrer Abrechnungsdaten konkret zu belegen, dass die überwiegende Anzahl der von ihr erbrachten Osteotomien gerade in der Entfernung tief zerstörter Zähne bestand.
Dass die Klägerin aufgrund der Lage der Praxis gezwungen war, nur die degressionsrelevanten Leistungen zu erbringen, ist damit nicht belegt, sondern Ausdruck ihrer Praxisausrichtung. Soweit sie vorträgt, nur auf Überweisung tätig sein zu können, ist nicht erkennbar, dass sie deshalb gehindert war, Zahnersatzleistungen zu erbringen, sondern diese anderen Zahnärzt*innen überlassen musste. Es ist insoweit auch nicht nachvollziehbar, warum sie bei Akquise eigener Patient*innen ihre Spezialisierung für Oralchirurgie nicht aufrechterhalten kann. Vielmehr ist davon auszugehen, dass gerade im Hinblick auf ihre speziellen Fachkenntnisse und - fertigkeiten im Bereich der Oralchirurgie die übrigen Zahnärzt*innen Patient*innen an sie überwiesen haben und dies auch weiter getan hätten, selbst wenn sie auch Zahnersatzleistungen erbracht hätte.
c. Ein vor Art. 12 GG unzumutbarer Eingriff in die Berufsfreiheit der Klägerin durch die angegriffene Honorarkürzung im Wege der Degression liegt nicht vor. Soweit sie geltend macht, im Einzugsbereich der Praxis nur begrenzt Privatpatient*innen akquirieren zu können, hat sie nicht dargelegt, welchen Anteil ihres Gesamteinkommens sie unter Berücksichtigung der nicht über die Beklagte abgerechneten Honorare erzielt (z.B. für Leistungen an Privatpatienten oder für nicht bei der Kassenärztlichen Vereinigung geltend gemachte Leistungen, vgl. bereits Urteil des Senats vom 20. Mai 2009 – L 7 KA 133/06 –, Rn. 32, juris). Für die Frage, ob die Degressionsregelungen, gemessen am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG oder Art. 12 GG, das Einkommen aus zahnärztlicher Praxis Vertragsärztinnen (im Einzelfalle) unzumutbar betreffen, müssen aber die konkreten Einkommensverhältnisse unter Darlegung der Einnahmen aus vertragsärztlicher und sonstiger zahnärztlicher Tätigkeit dargestellt werden (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 12. Juli 2000 – 1 BvR 2260/97 –, Rn. 6, juris).
3. Die Beklagte hat im Fall der Klägerin von der Rechtsgrundlage zutreffend Gebrauch gemacht. Die Klägerin hat auch in der Berufung keine Fehler oder Unklarheiten in der Berechnung der streitgegenständlichen Honorarkürzung im Wege der Degression dargelegt. Das Sozialgericht hat, ausgehend von der abgerechneten Punktmenge, welche die Klägerin für das Jahr 2013 nicht bestritten hat, den Degressionskürzungsprozentsatz und die Kürzungssumme nachvollzogen. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat insoweit auf die Entscheidungsgründe des Sozialgerichts (Urteil S. 7/8) Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung.
Die Revision war nicht zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG).