L 18 AS 984/21 B ER

Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
18
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 134 AS 4808/21 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 AS 984/21 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 7. August 2021 wird zurückgewiesen.

 

Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

 

 

 

 

 

 

Gründe

 

 

Die Beschwerde des Antragstellers, mit der er sein erstinstanzliches Begehren weiter verfolgt, den Antragsgegner im Wege einer gerichtlichen Regelungsanordnung iSv § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu verpflichten, ihm eine - vorläufige - Zusicherung zu den Aufwendungen der Wohnung F-Allee , . ,  B zu erteilen (lt Wohnungsangebot Bruttokaltmiete mtl 805,42 €, Heiz- und Warmwasserkosten mtl 57,94 €), ist nicht begründet.

 

Es besteht zwar, da ein Umzug bislang nicht erfolgt und auch noch kein Mietvertrag abgeschlossen worden ist, (noch) ein Rechtsschutzbedürfnis für die einstweilige Anordnung ungeachtet dessen, dass die damit erstrebte Zusicherung keine Anspruchsvoraussetzung für die Übernahme von Kosten der Unterkunft und Heizung (KdUH) iSv § 22 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) ist (vgl zu der gleichlautenden Vorgängerregelung in § 22 Abs. 2 SGB II in der bis 31. Dezember 2010 geltenden Fassung schon Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 7. November 2006 - B 7b AS 10/06 R = SozR 4-4200 § 22 Nr 2 - Rn 27). Denn der Zusicherung gemäß § 22 Abs. 4 SGB II, bei der es sich um einen Verwaltungsakt handelt (vgl BSG, Urteil vom 22. November 2011 - B 4 AS 219/10 R = SozR 4-4200 § 22 Nr 57 - Rn 11 mwN), kommt die Funktion zu, vor einem Umzug zu klären, ob die höheren KdUH übernommen werden. Die Regelung dient damit ua auch dem Schutz des Hilfebedürftigen vor den weitreichenden Konsequenzen einer etwaigen „Deckelung“ nach § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II (vgl BSG, Urteil vom 30. August 2010 - B 4 AS 10/10 R = SozR 4-4200 § 22 Nr 40 - Rn 17). Der Antragsteller bezieht sich auch auf ein konkretes Wohnungsangebot (vgl zu diesem Erfordernis etwa BSG, Urteil vom 25. April 2018 - B 14 AS 21/17 R = SozR 4-4200 § 22 Nr 95 - Rn 23).

 

Entgegen der Auffassung des Antragsgegners wäre mit seiner vorläufigen Verpflichtung auch keine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache verbunden. Die Hauptsache würde durch eine dem Begehren des Antragstellers entsprechende einstweilige Anordnung nach § 86b Abs. 2 SGG nicht vorweg genommen, da eine endgültige Klärung im Rahmen eines Hauptsacheverfahrens sowohl nachträglich möglich also auch zumutbar ist. Einem Hauptsacheverfahren nach erfolgtem Umzug zur speziellen Frage, ob die beantragte Zusicherung nach § 22 Abs. 4 SGB II zu Recht oder zu Unrecht abgelehnt wurde, fehlte jedenfalls im Hinblick auf die nicht vom Antragsgegner übernommenen tatsächlichen Aufwendungen für die neue Unterkunft nicht das Rechtsschutzbedürfnis (vgl BSG, Urteil vom 22. November 2011 - B 4 AS 219/10 R - Rn 12, anders möglicherweise bei bereits anhängigem sozialgerichtlichen Verfahren zur Höhe der KdUH BSG, Urteil vom 6. April 2011 - B 4 AS 5/10 R - juris - Rn 14f; vgl zum Ganzen auch Sächsisches Landessozialgericht <LSG>, Beschluss vom 15. Dezember 2020 - L 7 AS 245/20 B ER - juris). Ob die Erteilung der begehrten Zusicherung im Wege einer einstweiligen Anordnung schon deshalb nicht in Betracht kommt, weil im einstweiligen Rechtsschutzverfahren der SGB II-Leistungsträger zur Erteilung einer (endgültigen) Zusicherung iSv § 22 Abs. 4 SGB II in aller Regel nicht verpflichtet werden kann, sondern allenfalls zur vorläufigen Übernahme der tatsächlichen Kosten der Unterkunft, und zwar deshalb, weil die hier begehrte (grundsätzlich) "vorläufige Zusicherung" für einen Leistungsberechtigten letztlich nur dann von Nutzen ist, wenn sie auf Dauer Bindungswirkung entfaltet, bedarf keiner abschließenden Entscheidung (vgl etwa mit Hinweisen auf die Rspr weiterer Landessozialgerichte Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschluss vom 11. November 2020 - L 6 AS 153/20 B ER / L 6 AS 356/20 B PKH - juris - Rn 5).

 

Denn ungeachtet einer etwaigen Erforderlichkeit eines Umzugs des Antragstellers fehlt es jedenfalls an der Angemessenheit der KdUH für die avisierte Wohnung iSv § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II und damit an einem Anordnungsanspruch des Antragstellers. Gemäß § 22 Abs. 4 SGB II soll die leistungsberechtigte Person vor Abschluss eines Vertrages über eine neue Unterkunft die Zusicherung des für die neue Unterkunft örtlich zuständigen kommunalen Trägers zur Berücksichtigung der Aufwendungen für die neue Unterkunft einholen. Der kommunale Träger ist zur Zusicherung verpflichtet, wenn die Aufwendungen für die neue Unterkunft angemessen sind.

 

Nach § 22 Abs. 1 SGB II werden Bedarfe für KdUH in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind. Dass die Angemessenheit der KdUH der streitgegenständlichen Wohnung nicht festgestellt werden kann, hat bereits das Sozialgericht mit zutreffenden Gründen, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG), dargelegt. Die KdUH liegen auch bei Berücksichtigung eines Drei-Personen-Haushalts sogar noch deutlich oberhalb des Angemessenheitswerts nach § 12 Wohngeldgesetz zzgl eines Sicherheitszuschlags von 10 %.

 

Die Angemessenheit der KdUH folgt auch nicht aus dem im Zuge der Corona-Pandemie am 27. März 2020 in Kraft getretenen sogenannten Sozialschutz-Paket (Vereinfachtes Verfahren für den Zugang zu sozialer Sicherung aufgrund des Coronavirus SARS-CoV-2). § 67 Abs. 3 SGB II idF vom 9. Dezember 2020 setzt die Angemessenheitsgrenze nach § 22 Abs. 1 SGB II vorübergehend aus (derzeit bis 31. Dezember 2021). § 22 Abs. 1 SGB II ist für Bewilligungszeiträume, die in der Zeit vom 1. März 2020 bis zum 31. Dezember 2021 beginnen, mit der Maßgabe anzuwenden, dass die tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung für die Dauer von sechs Monaten als angemessen gelten.

 

§ 67 SGB II schafft ein vorübergehendes Sonderrecht, dass eine ganze Reihe zentraler Vorschriften des SGB II außer Kraft gesetzt bzw modifiziert hat und dementsprechend zu diesen Vorschriften in einem sachlichen Zusammenhang steht (vgl Groth in: Schlegel/Voelzke, jurisPK - SGB II, Stand 2020, § 67 Rn 6). Die Vorschrift dient dagegen nicht dazu, die allgemeinen Grundsätze des Grundsicherungsrechts krisenbedingt - im Sinne eines Sonderrechts der Pandemie - außer Kraft zu setzen (vgl LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 22. September 2020 - L 11 AS 415/20 B ER - juris). Modifiziert bzw vorübergehend außer Kraft gesetzt werden sollen nur die explizit in § 67 SGB II genannten Vorschriften. § 67 Abs. 3 Satz 1 verweist ausschließlich auf § 22 Abs. 1 (Satz 1) SGB II und nicht auf § 22 Abs. 4 SGB II. Die Vorschrift gilt daher nicht für die Zusicherung nach § 22 Abs. 4 SGB II (vgl schon Schleswig-Holsteinisches LSG aaO Rn 7; Schifferdecker, NZS 2021, 274). Ob die Vorschrift dann, wenn der Antragsteller ohne Zusicherung umziehen und um die Höhe der vom Antragsgegner zu tragenden KdUH gestritten würde, anwendbar wäre, bedarf hier keiner Beurteilung (bejahend LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 11. März 2021 - L 9 AS 233/21 ER-B - juris - Rn 9f; aA Schifferdecker, aaO). Im Ergebnis kann daher auch dahinstehen, ob die in Rede stehende Wohnung derzeit überhaupt noch verfügbar wäre.

 

Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

 

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das BSG angefochten werden (§ 177 SGG).

Rechtskraft
Aus
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