Bei einem Vorbezug von Arbeitslosengeld aufgrund Teilzeitbeschäfti-gung und anschließender fiktiver Bemessung ist – in Fällen, in denen sich der Arbeitslose mit derselben Anzahl an Stunden zur Verfügung stellt, die er vorher Teilzeit gearbeitet hat – zunächst die Minderungs-regelung des § 151 Abs. 5 SGB III anzuwenden und erst danach die Vergleichsberechnung nach § 151 Abs. 4 SGB III durchzuführen.
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 2. Oktober 2020 und der Bescheid der Beklagten vom 12. August 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. August 2019 geändert und die Beklagte verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 16. Juli 2019 bis 7. Oktober 2019 Arbeitslosengeld nach einem unverminderten Bemessungsentgelt von 82,20 Euro zu gewähren.
Die Beklagte hat dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Höhe eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit vom 16. Juli 2019 bis 7. Oktober 2019.
Der 1960 geborene Kläger (verheiratet, kein Kind, Lohnsteuerklasse III) ist gelernter Heilerziehungspfleger und war nach eigenen Angaben seit 2002 mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 30 Stunden bei der SStiftung beschäftigt. Die durchschnittliche wöchentliche regelmäßige Arbeitszeit eines vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten betrug 40 Stunden. Der Kläger erzielte in der Zeit vom 1. April 2015 bis 31. März 2016 ein beitragspflichtiges Arbeitsentgelt von 30.084,73 Euro (täglich 82,20 Euro).
Nach einer ersten Kündigung seitens der Arbeitgeberin meldete sich der Kläger zum 5. April 2016, Eingang der Anzeige am 22. Dezember 2015, bei der Beklagten arbeitslos. Er stellte sich uneingeschränkt dem Arbeitsmarkt zur Verfügung. Die Beklagte gewährte dem Kläger ab 5. April 2016 Alg mit einem täglichen Leistungssatz von 37,10 Euro für eine Anspruchsdauer von 540 Tagen ausgehend von einem unverminderten Bemessungsentgelt von 82,20 Euro (Bescheid vom 13. April 2016). Der Alg-Bezug endete am 30. Juli 2018.
Mit arbeitsgerichtlichem Vergleich vom 11. November 2016 (Arbeitsgericht Berlin, ) einigten sich der Kläger und die SStiftung schließlich über ein Ende des Arbeitsverhältnisses zum 31. Dezember 2016. In der Zeit vom 16. Oktober bis 31. Oktober 2017 sowie in der Zeit vom 1. November bis 21. November 2017 übte der Kläger eine versicherungspflichtige Beschäftigung aus. In der Zeit vom 1. August bis 26. November 2018, 6. Dezember bis 31. Dezember 2018, 1. Januar bis 2. Mai 2019 und 3. Juni bis 14. Juli 2019 bezog er Krankengeld und vom 3. Mai 2019 bis 30. Mai 2019 Übergangsgeld.
Der Kläger meldete sich zum 16. Juli 2019 erneut bei der Beklagten persönlich arbeitslos und stellte sich dem Arbeitsmarkt mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 30 Stunden zur Verfügung. Mit Bescheid vom 12. August 2019 bewilligte die Beklagte dem Kläger ab 16. Juli 2019 Alg mit einem täglichen Leistungsbetrag von 30,67 Euro nach einem Bemessungsentgelt von 63,90 Euro. Dabei ging sie von einem (ungeminderten) fiktiven Bemessungsentgelt auf der Grundlage von Qualifikationsstufe 3 in Höhe von 83,07 Euro aus. Das Bemessungsentgelt vermindere sich entsprechend dem Verhältnis der dem Kläger aktuell möglichen Wochenstunden (30,00 Stunden) zu den früher geleisteten Stunden (39,00).
Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein. Eine Verminderung der Vermittlungsfähigkeit sei nicht gegeben. Er habe bei seiner Arbeitgeberin, der SStiftung, für die er im relevanten Zeitraum, aber auch die ganzen Jahre zuvor, tätig gewesen sei, nie eine andere Arbeitszeitregelung als über 30 Stunden in der Woche getroffen gehabt. Er stehe daher dem Arbeitsmarkt uneingeschränkt, wie im Bemessungszeitraum ausgewiesen, zur Verfügung.
Mit Widerspruchsbescheid vom 30. August 2019 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 12. September 2019 Klage erhoben. Er habe wegen § 151 Abs. 4 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) Anspruch auf höheres Alg nach einem unverminderten Bemessungsentgelt von 83,07 Euro, hilfsweise von 82,20 Euro.
Am 8. Oktober 2019 hat der Kläger seine Arbeitszeiteinschränkung zurückgenommen. Mit Bescheid vom 27. Januar 2020 hat die Beklagte daraufhin dem Kläger ab 8. Oktober 2019 Alg nach einem unverminderten fiktiven Bemessungsentgelt von 83,07 Euro unter Zugrundelegung von Qualifikationsstufe 3 bewilligt.
Mit Urteil vom 2. Oktober 2020 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und die Berufung nicht zugelassen. Ein Anspruch auf Alg nach einem höheren Bemessungsentgelt als bereits zuerkannt bestehe nicht. Maßstab für den Günstigkeitsvergleich nach § 151 Abs. 4 SGB III seien die jeweiligen, an der vollen Verfügbarkeit bemessenen Entgelte. Danach sei das fiktive Bemessungsentgelt nach der Qualifikationsstufe 3 günstiger. Dass es im Fall einer Verfügbarkeitseinschränkung gemindert werden müsse, sei eindeutig vom Gesetz vorgegeben und die dazu von der Beklagten erstellte Berechnung nicht zu beanstanden. Vergliche man dieses Bemessungsentgelt (63,90 Euro) mit dem Entgelt von 82,20 Euro, wäre zwar letzterer Wert günstiger, mit Wiedereintritt in die volle Verfügbarkeit müsste es dann aber folgerichtig auch bei dieser – im Ergebnis für den Kläger ungünstigeren – Bemessung bleiben. Daraus sei ersichtlich, dass der Günstigkeitsvergleich nicht rein numerisch und abgelöst von der Verfügbarkeit durchzuführen sei.
Auf die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung hat der Senat mit Beschluss vom 18. Januar 2021 die Berufung zugelassen.
Zur Begründung seiner Berufung trägt der Kläger vor: Die Norm des § 151 Abs. 5 SGB III beruhe auf dem Entgeltersatzprinzip, nach dem der Arbeitslose nicht mehr Alg erhalten solle als das, was er mit einem bestimmten Leistungsvermögen oder einer Leistungsbereitschaft an Arbeitseinkommen erzielen würde. Mit der Regelung des § 151 Abs. 4 SGB III habe der Gesetzgeber die Bereitschaft von Arbeitslosen, Zwischenbeschäftigungen mit geringerem Arbeitsentgelt anzunehmen, stärken und bei Begründung eines neuen Anspruchs entstehende Nachteile ausschließen wollen. Dieser Zweck werde nur umfassend erreicht, wenn die Besitzstandsklausel des § 151 Abs. 4 SGB III umfassend verstanden werde, d.h. sich nicht nur auf den Vergütungs-, sondern auch auf den Zeitfaktor bei der Prüfung nach § 153 Abs. 5 SGB III beziehe. Nur so bestehe auch ein umfassender Anreiz, eine etwa gleich hoch vergütete Beschäftigung mit höherer Wochenarbeitszeit anzunehmen. Demgegenüber sei das Entgeltausfallprinzip als Rechtsgedanke des § 151 Abs. 5 SGB III gerade nicht berührt, wenn der bestandsgeschützte Anspruch auf einer Tätigkeit beruhe, deren Arbeitszeit derjenigen entspreche, für die Verfügbarkeit im Sinne des § 151 Abs. 5 SGB III erklärt werde bzw. bestehe.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 2. Oktober 2020 und den Bescheid der Beklagten vom 12. August 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. August 2019 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 16. Juli 2019 bis 7. Oktober 2019 Arbeitslosengeld nach einem unverminderten Bemessungsentgelt von 82,20 Euro zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist zur Begründung auf die Ausführungen in dem erstinstanzlichen Urteil.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung mit Schriftsätzen von 2. Februar 2021 und 12. März 2021 erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie den der Verwaltungsvorgänge der Beklagten.
Entscheidungsgründe
Der Senat darf gemäß § 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem die Beteiligten ihr Einverständnis damit erklärt haben.
Die Berufung ist zulässig und begründet.
Streitgegenstand sind neben dem angefochtenen Urteil der Bescheid der Beklagten vom 12. August 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. August 2019, soweit damit die Gewährung von Alg nach einem täglichen Bemessungsentgelt von 82,20 Euro bzw. mehr als 63,90 Euro für die Zeit vom 16. Juli 2019 bis 7. Oktober 2019 abgelehnt wurde, sowie der geltend gemachte Anspruch auf Gewährung höheren Alg unter Zugrundelegung eines täglichen Bemessungsentgelts von 82,20 Euro für den vorgenannten Zeitraum. Nicht Streitgegenstand sind das angefochtene Urteil und der angefochtene Bescheid insoweit, als damit die Gewährung von Alg nach einem Bemessungsentgelt von mehr als 82,20 Euro abgelehnt wurde. Insofern ist das Urteil des Sozialgerichts nicht mit der Berufung angegriffen worden. Nicht Streitgegenstand ist ferner der Bescheid der Beklagten vom 27. Januar 2020; er betrifft nicht den hier streitgegenständlichen Zeitraum.
Das Urteil des Sozialgerichts und der angefochtene Bescheid sind in dem tenorierten Umfang rechtswidrig und verletzen den Kläger insofern in seinen Rechten. Der Kläger hat Anspruch auf Gewährung von Alg unter Zugrundelegung eines täglichen Bemessungsentgelts von 82,20 Euro.
Der Kläger hat für den streitigen Zeitraum gemäß §§ 137 Abs. 1, 138 SGB III Anspruch auf Alg dem Grunde nach. Er war arbeitslos, hatte sich persönlich arbeitslos gemeldet und insbesondere auch die Anwartschaftszeit erfüllt. Gemäß § 142 Abs. 1 SGB III hat die Anwartschaftszeit erfüllt, wer in der Rahmenfrist (§ 143 SGB III) mindestens 12 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat. Gemäß § 143 Abs. 1 SGB III (in der Fassung vom 18. Dezember 2018) beträgt die Rahmenfrist 30 Monate und beginnt mit dem Tag vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Alg. Die Rahmenfrist umfasst vorliegend die Zeit vom 16. Januar 2017 bis 15. Juli 2019 Innerhalb dieses Zeitraums stand der Kläger mindestens 12 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis. So war der Kläger während seiner Beschäftigung vom 16. Oktober bis 31. Oktober 2017 und vom 1. November bis 21. November 2017 versicherungspflichtig in der Arbeitslosenversicherung (vgl. § 25 Abs. 1 SGB III). Auch die Zeit des Krankengeldbezugs und des Bezugs von Übergangsgeld begründet nach § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB III Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung.
Der Kläger hat im streitigen Zeitraum der Höhe nach Anspruch auf Alg unter Zugrundelegung eines täglichen Bemessungsentgelts von 82,20 Euro.
Gemäß § 151 Abs. 1 Satz 1 SGB III ist das Bemessungsentgelt das durchschnittlich auf einen Tag fallende beitragspflichtige Arbeitsentgelt, das die oder der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat. Nach 150 Abs. 1 SGB III umfasst der Bemessungszeitraum die bei Ausscheiden aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume der versicherungspflichtigen Beschäftigungen im Bemessungsrahmen (Satz 1). Der Bemessungsrahmen umfasst ein Jahr; er endet mit dem letzten Tag des letzten Versicherungspflichtverhältnisses vor der Entstehung des Anspruchs (Satz 2). Gemäß § 150 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB III wird der Bemesssungsrahmen auf zwei Jahre erweitert, wenn der Bemessungszeitraum weniger als 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt enthält. Vorliegend ist auf den zweijährigen Bemessungsrahmen im Sinne des § 150 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB III abzustellen. Denn der einjährige Bemessungsrahmen, der hier die Zeit vom 16. Juli 2018 bis 15. Juli 2019 umfasst, enthält weniger als 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt.
Nach § 152 Abs. 1 Satz 1 SGB III ist als Bemessungsentgelt ein fiktives Bemessungsentgelt zugrunde zu legen, wenn ein Bemessungszeitraum von mindestens 150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt innerhalb des auf zwei Jahre erweiterten Bemessungsrahmens nicht festgestellt werden kann. Die Voraussetzungen des § 152 Abs. 1 Satz 1 SGB III liegen vor. Innerhalb des zweijährigen Bemessungsrahmens, der hier die Zeit vom 16. Juli 2017 bis 15. Juli 2019 umfasst, hatte der Kläger lediglich für die Zeit vom 16. Oktober bis 31. Oktober 2017 sowie für die Zeit vom 1. November bis 21. November 2017 – und damit für weniger als 150 Tage – Anspruch auf Arbeitsentgelt.
Zutreffend ist das Sozialgericht von einem fiktiven Bemessungsentgelt unter Zugrundelegung der Qualifikationsstufe 3 (vgl. § 152 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB III) in Höhe von täglich 83,07 Euro ausgegangen. Denn die gültige Bezugsgröße (West) in der Sozialversicherung im Jahr 2019 betrug nach der Verordnung über maßgebende Rechengrößen der Sozialversicherung für 2019 vom 27. November 2018 (BGBl. I S. 2024) 37.380 Euro, 1/450 hiervon 83,07 Euro, wie von der Beklagten zugrunde gelegt. Maßgebend war auch die (allgemeine) Bezugsgröße nach § 18 Abs. 1 Viertes BuchSozialgesetzbuch (SGB IV) West (und nicht die für das Beitrittsgebiet geltende Bezugsgröße nach § 18 Abs. 2 SGB IV), obwohl der Kläger seinen Wohnort im Berliner Bezirk Treptow-Köpenick und damit im Beitrittsgebiet hatte. Bei der fiktiven Bemessung ist einheitlich – unabhängig vom Wohnort des Versicherten – die Bezugsgröße West zugrunde zu legen (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 26. November 2015 – B 11 AL 2/15 R –, juris Rn. 16; Schubert, in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB III, 2. Aufl. 2019, § 152 [Stand: 02.06.2020] Rn. 18).
Da der Kläger sich ab 16. Juli 2019 zunächst nur Teilzeit (für 30 Stunden wöchentlich) dem Arbeitsmarkt zur Verfügung gestellt hat, ist das Sozialgericht in Anwendung von § 151 Abs. 5 Satz 1 SGB III zutreffend von einer Verminderung des fiktiven Bemessungsentgelts ausgegangen. § 151 Abs. 5 SGB III bestimmt: Ist die oder der Arbeitslose nicht mehr bereit oder in der Lage, die im Bemessungszeitraum durchschnittliche auf eine Woche entfallende Zahl von Arbeitsstunden zu leisten, vermindert sich das Bemessungsentgelt für die Zeit der Einschränkung entsprechend dem Verhältnis der Zahl der durchschnittlichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitsstunden, die die oder der Arbeitslose künftig leisten kann oder will, zu der Zahl der durchschnittlich auf die Woche entfallenden Arbeitsstunden im Bemessungszeitraum (Satz 1). Bestimmt sich das Bemessungsentgelt nach § 152, ist insoweit die tarifliche regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit maßgebend, die bei Entstehung des Anspruchs für Angestellte im öffentlichen Dienst des Bundes gilt (Satz 3). Dies waren bei Entstehung des Anspruchs am 16. Juli 2019 gemäß § 6 Abs. 1a Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (in der Fassung vom 17. Juli 2017 – TVöD –) 39 Stunden. Ausgehend von diesen Grundsätzen hat die Beklagte das fiktive Bemessungsentgelt zu Recht von 83,07 Euro auf 63,90 Euro (83,07 Euro * 30/39) herabgesetzt.
Dieses verminderte Bemessungsentgelt von 63,90 Euro ist sodann gemäß § 151 Abs. 4 SGB III – entgegen der Ansicht des Sozialgerichts – mit dem Bemessungsentgelt aus dem Vorbezug zu vergleichen.
Gemäß § 151 Abs. 4 SGB III ist – haben Arbeitslose innerhalb der letzten zwei Jahre vor der Entstehung des Anspruchs Alg bezogen – Bemessungsentgelt mindestens das Entgelt, nach dem das Alg zuletzt bemessen worden ist. Es genügt, wenn in diesen zwei Jahren ein einziger Tag des Bezugs von Alg liegt (vgl. Rolfs, in Gagel, SGB II/SGB III, Stand: Februar 2021, § 151 SGB III, Rdnr. 35). Der Kläger hat innerhalb von zwei Jahren vor der Entstehung des Anspruchs Alg bezogen. Der Anspruch ist am 16. Juli 2019 entstanden; der Kläger hatte bis zum 30. Juli 2018 Alg bezogen. Der nach § 151 Abs. 4 SGB III vorzunehmende Vergleich ergibt, dass das Alg des Klägers nach dem Bemessungsentgelt aus dem Vorbezug zu bemessen ist. Denn dieses beträgt, wie dargelegt, 82,20 Euro und ist damit für den Kläger günstiger als das (fiktive) verminderte Bemessungsentgelt aus dem Bemessungszeitraum, das sich lediglich auf 63,90 Euro beläuft.
Die Auffassung des Sozialgerichts – dass vorliegend zunächst gemäß § 151 Abs. 4 SGB III das unverminderte fiktive Bemessungsentgelt mit dem Bemessungsentgelt aus dem Vorbezug zu vergleichen ist und das fiktive Bemessungsentgelt erst danach gemäß § 151 Abs. 5 SGB III herabzusetzen ist – überzeugt nicht. Vielmehr ist in Fällen wie den vorliegenden einer Verminderung nach § 151 Abs. 5 Satz 1 und 3 SGB III aufgrund fiktiver Bemessung sowie vorangegangener Teilzeitarbeit das bereits nach § 151 Abs. 5 SGB III geminderte Bemessungsentgelt nach § 151 Abs. 4 SGB III mit dem Bemessungsentgelt aus dem Vorbezug zu vergleichen.
Jede andere Betrachtungsweise würde den durch § 151 Abs. 4 SGB III gewährleisteten Bestandschutz bei fiktiven Bemessungen und vorangegangener Teilzeitarbeit weitgehend aushöhlen. Auch greift bei fiktiven Bemessungen das Argument, die Reduzierung der Arbeitszeit solle nach der Konzeption des Gesetzgebers nicht ohne Konsequenzen bleiben (vgl. Jakob, in Heinz/Schmidt-De Caluwe/Scholz, SGB III, 7. Aufl. 2021, § 151 Rn. 72), nicht. In solchen Fällen ist nämlich ohnehin nur von einer fiktiven Arbeitszeit auszugehen, ohne dass diese Anzahl von Stunden tatsächlich je gearbeitet worden ist. Ein tatsächlich reduziertes Zurverfügungstellen gibt es in Fällen wie dem vorliegenden – in denen sich der Arbeitslose mit derselben Anzahl an Stunden zur Verfügung stellt, die er vorher in Teilzeit gearbeitet hat – nicht. Im Übrigen gewährleistet § 151 Abs. 4 SGB III allein Bestandschutz. Legte man der Alg-Berechnung das höhere fiktive Bemessungsentgelt zugrunde, bliebe völlig unberücksichtigt, dass der Versicherte ggf. überhaupt nicht Vollzeit arbeiten kann oder will. Eine solche Betrachtungsweise würde der Funktion des Alg, für die Zukunft das ausgefallene Arbeitsentgelt zu ersetzen, nicht gerecht.
Im Übrigen besteht kein einleuchtender Grund dafür, ein im Ergebnis günstigeres Bemessungsentgelt aus dem Vorbezug – unter Berufung auf eine fiktive Reduzierung einer fiktiven Arbeitszeit – nicht zu berücksichtigen, nur weil ein fiktives Bemessungsentgelt zunächst (aber nicht im Ergebnis) höher ist. Vielmehr spricht die gesetzliche Intention des § 151 Abs. 5 SGB III, wonach der Arbeitslose nicht mehr Alg erhalten soll und darf, als er an Arbeitseinkommen erzielte, wenn er in der Zeit der Arbeitslosigkeit in einem Beschäftigungsverhältnis stünde (vgl. BSG, Urteil vom 7. August 1979 – 7 RAr 45/78 –, juris Rn. 22), für die Einstellung des nach § 151 Abs. 5 SGB III verminderten Bemessungsentgeltes in die Vergleichsberechnung nach § 151 Abs. 4 SGB III. Denn ein Arbeitsloser erhält nicht mehr Alg, als er an Arbeitsentgelt in einem Beschäftigungsverhältnis erzielen könnte, wenn – wie hier – sowohl der Berechnung nach der Bestandsschutzregelung als auch der fiktiven Berechnung nach § 152 SGB III nur die Arbeitszeit zugrunde liegt, die der Arbeitslose in der Lage war und ist zu erbringen(vgl. Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 23. August 2012 – L 1 AL 98/11 –, juris Rn. 26).
Auch systematische Erwägungen gebieten keine andere Betrachtungsweise. Zwar steht die Bestandsschutzregelung des § 151 Abs. 4 SGB III in der gesetzlichen Systematik vor der Regelung des § 151 Abs. 5 SGB III. Hieraus kann aber nicht gefolgert werden, § 151 Abs. 4 SGB III sei zwingend vor § 151 Abs. 5 SGB III anzuwenden. Mit Blick auf die Gesetzessystematik ließe sich genauso andersherum argumentieren, dass die allgemeine Grundregel (§ 151 Abs. 4 SGB III) vor der spezielleren Regelung (§ 151 Abs. 5 SGB III) im Gesetz steht. Vereinfachend: Abs. 4 bestimmt, dass verglichen wird, Abs. 5 bestimmt, was bzw. wie verglichen wird. Hinzu kommt, dass ohnehin fraglich ist, ob und inwieweit hier überhaupt auf systematische Erwägungen abgestellt werden kann. Denn beide Regelungen – die Bestandsschutzregelung des Abs. 4 und die Minderungsregelung des Abs. 5 – waren ohnehin nicht von Anfang an in derselben Vorschrift normiert. Die Minderung war bereits seit 1981 in § 112 Abs. 8 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) geregelt. Der Bestandsschutz (nunmehr in § 151 Abs. 4 SGB III geregelt) wurde erstmals in § 133 Abs. 1 SGB III in der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden alten Fassung - a.F. - (der Vorvorgängervorschrift zu § 151 Abs. 4 SGB III), gesetzlich normiert. Die Minderungsregelung des ehemaligen § 112 Abs. 8 AFG war fortan in Abs. 3 des neu geschaffenen § 133 SGB III a.F. verortet (vgl. BT-Drucks. 13/4931, S. 178). Erst ab diesem Zeitpunkt waren beide Regelungen in derselben Vorschrift (§ 133 SGB III a.F. mit „Sonderfälle des Bemessungsentgelts“ überschrieben) niedergelegt. Dabei lässt die Überschrift „Sonderfälle“ vermuten, dass sich der Gesetzgeber über das Verhältnis der beiden Regelungen zueinander möglicherweise überhaupt keine Gedanken gemacht hat, er vielmehr von zwei – nicht in Beziehung zueinander stehenden „Sonderfällen“ – ausgegangen ist.
Die Überlegung des Sozialgerichts – vergliche man das geminderte Bemessungsentgelt (63,90 Euro) mit dem Entgelt von 82,20 Euro, wäre zwar letzterer Wert günstiger, mit Wiedereintritt in die volle Verfügbarkeit müsste es dann aber folgerichtig auch bei dieser im Ergebnis für den Kläger ungünstigeren Bemessung bleiben – überzeugt demgegenüber nicht. Es ist kein Grund dafür ersichtlich, weshalb im Falle eines Wiedereintritts in die volle Verfügbarkeit nicht das fiktive Bemessungsentgelt nach erfolgter Vergleichsberechnung gemäß § 151 Abs. 4 SGB III als Berechnungsgrundlage des Alg-Anspruchs heranzuziehen sein sollte. Ein solcher Wechsel vom bestandgeschützten Bemessungsentgelt hin zum (fiktiven) Bemessungsentgelt im Bemessungszeitraum erschiene nur folgerichtig.
Der Senat war auch zur Verurteilung nur dem Grunde nach berechtigt. Gemäß § 130 Abs. 1 Satz 1 SGG kann zur Leistung nur dem Grunde nach verurteilt werden, wenn gemäß § 54 Abs. 4 oder 5 SGG eine Leistung in Geld begehrt wird, auf die ein Rechtsanspruch besteht. Von der grundsätzlichen Zulässigkeit eines solchen Grundurteils in einem Höhenstreit geht das Bundessozialgericht (Urteil vom 21. Juli 2009 – B 7 AL 23/08 –, juris Rn. 17 m.w.N.) in ständiger Rechtsprechung aus. Voraussetzung ist allerdings, dass zumindest mit Wahrscheinlichkeit feststehen muss, dass der Höhe nach ein Geldbetrag zu zahlen ist (vgl. Keller, in Meyer/Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 130 Rn. 2c f.), was hier zu bejahen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Rechtsstreits.
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) zugelassen.