Finden gehörlose Versicherte zeitnah keine Psychotherapeutin, die in der Lage ist, eine Psychotherapie in Deutscher Gebärdensprache durchzuführen, haben sie auch unter dem Gesichtspunkt des Systemversagens keinen Anspruch darauf, die Behandlung bei Therapeut*innen durchzuführen, die nur eine Erlaubnis zur berufsmäßigen Ausübung der Heilkunde zur Psychotherapie nach dem Heilpraktikergesetz besitzen.
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 18. Juni 2020 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Kostenerstattung für eine psychotherapeutische Behandlung bei einer Heilpraktikerin.
Die Klägerin ist 1956 geboren und versichertes Mitglied der Beklagten. Sie ist prälingual gehörlos (ICD 10 GM 2020: H91.3 - Taubstummheit, anderenorts nicht klassifiziert) und beherrscht die Deutsche Gebärdensprache (DGS). Sie hat einen Grad der Behinderung von 100, Merkzeichen GL und RF.
Die Klägerin war vom 12. Juli 2018 bis zum 16. August 2018 in einer stationären Rehabilitation mit den Diagnosen Reaktion auf schwere Belastung und rezidivierendes Wirbelsäulensyndrom. Aus dieser wurde sie arbeitsfähig entlassen. Der Rehabilitationsentlassungsbericht empfahl u.a. eine begleitende ambulante Psychotherapie bei einem gebärdensprachkompetenten Therapeuten oder unter Hinzuziehung eines Gebärdensprachdolmetschers. Mit Schreiben vom 18. Oktober 2018 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Übernahme der Kosten für eine Psychotherapie bei der Therapeutin für Psychotherapie , gerichtet auf vier probatorische Sitzungen. Die Therapeutin besitzt die Erlaubnis zur berufsmäßigen Ausübung der Heilkunde zur Psychotherapie nach dem Heilpraktikergesetz. Gemäß einer Notwendigkeitsbescheinigung der Fachärztin für Allgemeinmedizin sei für die Klägerin ein kurzfristiger Beginn der Behandlung dringend erforderlich, die Wartezeit von mehr als ein Monat sei der Patientin nicht zuzumuten. Die Therapeutin wandte sich mit einem begleitenden Schreiben an die Beklagte und führte aus, die Klägerin habe sie am 18. Oktober 2018 aufgesucht und in der weiteren Sitzung am 25. Oktober 2018 von einer schweren seelischen Notlage berichtet. Nach den zwei Sitzungen sei deutlich geworden, dass eine Indikation für eine „tiefen Psycho 3“ gegeben sei.
Mit Bescheid vom 30. Oktober 2018 lehnte die Beklagte die Übernahme der Kosten für die ambulante Psychotherapie ab. Die Therapeutin erfülle nicht die Voraussetzungen, die für eine Kostenübernahme einer ambulanten Psychotherapie vorlägen. So mangele es an der Approbation für ärztliche Psychotherapie, psychologische Psychotherapie oder Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie. Es läge im Übrigen weder eine Genehmigung von der Kassenärztlichen Vereinigung für die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie vor noch ein Fachkundenachweis für eines der drei Richtlinien-Verfahren der Psychotherapie. Darüber hinaus gehörten Heilpraktiker nicht zu den Berufsgruppen, die ihre Behandlung mit den gesetzlichen Krankenkassen abrechnen könnten.
Die Klägerin erhob Widerspruch und berief sich darauf, dass die Suche nach einer Therapeutin, die die Gebärdensprache beherrsche und eine Kassenzulassung habe, bisher erfolglos geblieben seien. Frau K sei insoweit Gebärdensprache-kompetent und die Therapie könne sofort beginnen. Sie habe sich an die von der Beklagten genannte Terminservicestelle gewandt und habe auch eine Therapeutenliste mit fünf Praxisadressen erhalten, die Psychotherapie im Gebärdensprache anböten. Allerdings arbeiteten viele von den dort aufgeführten Therapeuten/Therapeutinnen entweder nicht mehr mit gehörlosen Menschen oder praktizierten nicht mehr. Sie versuche nunmehr seit September 2018 eine Therapeutin zu finden.
Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 18. Juni 2019 zurück.
Die Klägerin hat am 11. Juli 2019 Klage zum Sozialgericht Berlin erhoben, außerdem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt, gerichtet auf vorläufige Übernahme der Kosten für eine Psychotherapie bei Frau K. Zwar sei diese nicht zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen, es seien aber keine alternativen Behandlungsmöglichkeiten vorhanden. Die über die Psychotherapeutenkammer erhältliche Liste der Psychotherapeut*innen mit Gebärdensprachkompetenz sei veraltet, teilweise nähmen die dort Gelisteten auch keine neuen Patienten/Patientinnen mehr auf oder arbeiteten nur mit Kindern und Jugendlichen. Es bestehe eine dringende Bedarfslage und eine Versorgungslücke. Die Beklagte habe deshalb die Kosten der gewünschten Behandlung bei Frau im Wege der Kostenerstattung zu tragen. Versicherte wie die Klägerin dürften in so einem Fall auch privatärztliche Behandlungen in Anspruch nehmen. Frau besitze bereits seit 1999 die Erlaubnis zur berufsmäßigen Ausübung der Heilkunde zur Psychotherapie nach dem Heilpraktikergesetz und habe sich weitergebildet im Bereich der Tiefenpsychologie. Die Klägerin könne nicht auf eine Therapie mit Gebärdendolmetscher*in verwiesen werden, da die Kommunikation bei der Therapie im Vordergrund stehe und unmittelbarer Blickkontakt zur Therapeutin erforderlich sei. Das sei aber bei Einsatz von Gebärdendolmetschern nicht möglich. Außerdem müsse ein Vertrauensverhältnis auch zu Dolmetscher*innen aufgebaut werden. Der Auffassung des Bundessozialgerichts vom 13. Dezember 2016 (Az.: B 1 KR 4/16 R), wonach auch bei einem Systemversagen kein Anspruch auf Behandlung durch nicht approbierte psychotherapeutisch tätige Behandler*innen bestehe, könne unter Berücksichtigung des konkreten Bedarfs an Behandlung und einer fehlenden Therapiealternative nicht gefolgt werden. Dies gelte vor allem deshalb, weil das Bundessozialgericht einen Anspruch gegen die Krankenkasse auf Finanzierung eines Dolmetschers verneint habe (Urteil vom 10. Mai 1995 – 1 RK 20/94). Wäre die Klägerin auf eine Behandlung ohne Dolmetscher verwiesen, bestünde eine Ungleichbehandlung mit Versicherten ohne Hörbehinderung.
Das Sozialgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt (Beschluss vom 30. Juli 2019 – S 182 KR 1534/19 ER).
Mit Gerichtsbescheid vom 18. Juni 2020 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Soweit die Klage nicht bereits unzulässig sei, weil die Klägerin ihren Kostenerstattungsanspruch trotz entsprechender gerichtlicher Aufforderung nicht beziffert habe, sei sie jedenfalls unbegründet. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Erstattung von Kosten bzw. Freistellung von Kosten für die psychotherapeutische Behandlung bei Frau . Gemäß § 28 Abs. 3 SGB V werde die psychotherapeutische Behandlung einer Krankheit als Sachleistung der Krankenkasse durch psychologische Psychotherapeuten sowie Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten erbracht, soweit sie zur psychotherapeutischen Behandlung zugelassen seien, sowie auch durch Vertragsärzte. Diese Voraussetzung sei im Fall der Klägerin nicht erfüllt. Die Heilpraktikerin sei keine Psychotherapeutin. Sie verfüge nicht über eine entsprechende Approbation. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei diese aber zentraler Bestandteil des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung und damit zwingende Voraussetzung. Der Nachweis der Approbation diene dem Zweck, eine psychotherapeutische Grundqualifikation nach den Regeln des Berufsrechts nachzuweisen. Es handele sich hierbei um eine Voraussetzung des öffentlich-rechtlichen Berufsrechts, die dazu diene, alle Patient*innen vor fachlich oder persönlich ungeeignet Behandler*innen zu schützen und möglichen daraus folgenden Gefahren für ihre Gesundheit vorzubeugen und die finanziellen Mittel der Kostenträger zu schützen. Irrelevant sei, dass Frau die Gebärdensprache beherrsche, denn selbst im Falle einer Versorgungslücke komme eine Behandlung durch Heilpraktiker*innen ohne Approbation nicht in Betracht. Es könne in Anbetracht dessen auch offenbleiben, ob im Fall der Klägerin ein Systemversagen bestehe. Aus der Tatsache, dass gesetzliche Krankenkassen gegebenenfalls für andere Versicherte die Kosten für eine solche Behandlung aufbrächten, folge kein Anspruch gerade der Klägerin. Art. 3 des Grundgesetzes gebiete insoweit keine Gleichbehandlung im Unrecht. Auf zwei anderslautende Entscheidungen des Sozialgerichts Berlin (Urteil vom 8. Mai 2013, S 28 KR 1551/11 sowie Beschluss vom 22. Juli 2019, S 73 KR 1408/19 ER) könne sich die Klägerin nicht berufen. Diese stünden nicht im Einklang mit der bereits benannten klaren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts.
Die Klägerin hat gegen den ihr am 24. Juni 2020 zugestellten Gerichtsbescheid am 22. Juli 2020 Berufung eingelegt. Frau sei bei Behandlungsbeginn und auch heute noch die einzige Therapeutin, die in Gebärdensprache mit der Klägerin die notwendige Therapie erbringen könne. Eine Therapie mit Gebärdensprachendolmetscher(-in) sei nicht empfehlenswert. Die von der Terminservicestelle der Kassenärztlichen Vereinigung benannten alternativen Therapeut*innen praktizierten teilweise nicht mehr oder hätten erst im September 2019 neue Patient*innen angenommen (so Frau S). Den Einsatz einer Gebärdendolmetscherin lehne die Klägerin ab (wäre bei Frau Dr. Anötig). Auch Frau K sei auf der genannten KV-Liste geführt worden, sie sei Psychotherapeutin, es fehle an einem Diplom und einem Kassensitz. Gleichzeitig bestehe eine strukturelle Unterversorgung mit Psychotherapie. Die Beklagte bewillige regelmäßig Kostenübernahme für Therapien für andere Patientinnen bei Frau K. Außerdem sei die Behindertenkonvention zu beachten (Hinweis auf § 42 SGB IX).
Sie bezieht sich auf die am 10. April 2021 ausgestellte Rechnung von Frau mit Kosten in Höhe von 2.435,84 Euro.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 18. Juni 2020 sowie den Bescheid der Beklagten vom 30. Oktober 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Juli 2019 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Klägerin von den seit dem 18. Oktober 2018 für die Inanspruchnahme psychotherapeutischer Behandlung bei der Heilpraktikerin Ingrid entstandenen Kosten freizustellen und die Beklagte zu verpflichten, die Kosten für weitere Therapiesitzungen in tiefenpsychologisch fundierter Psychotherapie bei Frau dem Grunde nach zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Entscheidung des Sozialgerichts enthalte eine zutreffende rechtliche Würdigung des Sachverhaltes, die Berufungsbegründung hätte keinen neuen Entscheidung erheblichen Aspekte genannt.
Der Senat hat jeweils bei der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin sowie der Bundespsychotherapeutenkammer und der Psychotherapeutenkammer Berlin Anfragen zur Versorgung mit Leistung der Psychotherapie für gehörlose Versicherte und zu einer möglichen Versorgungslücke gestellt. Die Kassenärztliche Vereinigung Berlin hat drei registrierte Psychotherapeutinnen benannt, welche die Gebärdensprache beherrschen.
Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen, der, soweit wesentlich, Gegenstand der Erörterung in der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung war.
Entscheidungsgründe
A. Der Senat hat über die Berufung gemäß § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der Besetzung durch die Berichterstatterin und den ehrenamtlichen Richter sowie die ehrenamtliche Richterin entschieden, weil das Sozialgericht über die Klage durch Gerichtsbescheid entschieden und der Senat durch Beschluss vom 29. Oktober 2020 die Berufung der Berichterstatterin zur Entscheidung zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern/Richterinnen übertragen hat.
B. Die Berufung der Klägerin ist zulässig, aber nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage als unbegründet abgewiesen, denn auch zur Überzeugung des Senats hat die Klägerin weder einen Anspruch auf Freistellung von den bereits aufgewendeten noch auf Übernahme der künftig anfallenden Kosten für die von Frau erbrachte psychotherapeutische Leistung.
Zur Begründung nimmt der Senat Bezug auf die erstinstanzliche Entscheidung, die alle wesentlichen Aspekte des Falles sorgfältig und überzeugend würdigt (§ 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Rechtsgrundlagen und geltende Maßstäbe werden unter Heranziehung der einschlägigen jüngeren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zutreffend dargestellt; der ausführlichen Einzelfallwürdigung schließt der Senat sich nach eigener Sachprüfung in jeder Hinsicht an. Zu ergänzen und zu betonen bleibt:
1. Der Senat ist bereits nicht überzeugt, dass im Fall der Klägerin ein Systemversagen in Gestalt einer Versorgungslücke für psychotherapeutische Leistungen vorliegt.
Dies gilt trotz der Tatsache, dass es für die Klägerin unzweifelhaft schwierig war und ist, eine Psychotherapie unter Einschluss einer Gebärdensprachkompetenz praktisch zu erhalten. Es ist dabei glaubhaft, dass die von der Terminservicestelle der Klägerin am 11. Dezember 2018 namentlich benannten Psychologischen Psychotherapeut*innen teilweise gar nicht mehr zur Verfügung standen (z.B. Frau I) und Wartezeiten hatten (Frau S G). Die Beklagte wurde im Termin zur mündlichen Verhandlung auf den Missstand aufmerksam gemacht, dass diese Liste wohl auch heute noch nicht mehr aktuell ist. Die Klägerin konnte und kann aber jede zugelassene Psychologische Psychotherapeutin in Anspruch nehmen. Wartezeiten sind dabei nicht unzumutbar und leider praktisch auch für nicht gehörlose Versicherte im Hinblick auf eine psychotherapeutische Versorgung keine Seltenheit, sondern nach Beobachtung des Senats eher die Regel. Im Fall einer während der Wartezeit eintretenden Verschlechterung oder eines krisenhaften Geschehens sind diese Versicherten dann auf eine stationäre Behandlung zu verweisen. Finden speziell Gehörlose praktisch zeitnah keine Psychotherapeut*in, die in der Lage ist mittels Gebärdensprache zu kommunizieren, müssen sie sich aber auch darauf verweisen lassen, eine Psychotherapie u.U. auch unter Hinzuziehung von Gebärdendolmetscher*innen in Anspruch zu nehmen. Deren Einsatz ist weder schlechthin untauglich noch unzumutbar. Es finden sich dazu bereits Veröffentlichungen, 1184 Studien und auch Erfahrungsberichte und Empfehlungen (vgl. „Psychotherapie für taube Patienten durch hörende Psychotherapeuten mittels Gebärdensprachdolmetscher – ein Systematisches Literaturreview zu Forschungsbefunden und Empfehlungen“, Gesundheitswesen 2020; 82: S. 180-187). Dem Senat ist bewusst, dass der Einsatz von Gebärdendolmetscher*innen die gehörlosen Patient*innen, die Dolmetschenden und die Therapeut*innen vor besondere Herausforderungen stellt und von allen Bereitschaft und Anstrengung und ggf. ein besonderes Vertrauensverhältnis erfordert. So beschreibt eine Psychotherapeutin z.B. als Erfahrung:
„Weiterhin ist mir aufgefallen, dass der Gehörlose und die Dolmetscherin eine starke Einheit bildeten, die Dolmetscherin ist ja das Sprachrohr des Patienten. Deshalb muss man als Therapeut sehr stark darauf achten, dass man auch zwischendurch den Blickkontakt auffängt, dass man sich nicht zu viel nebenbei notiert o. ä., damit der Patient mit beiden in Kontakt ist.“
(vgl. https://www.bdp-verband.de/aktuelles/2020/02/psychotherapeutische-behandlung-von-gehoerlosen.html, recherchiert am 14. April 2021).
Genauso wie beim Einsatz von Fremdsprachendolmetscher*innen gilt es ferner zu berücksichtigen, dass bei einer dolmetschergestützten Psychotherapie auch die
Person des beteiligten Dolmetschers für den psychodynamischen Verlauf von großer Bedeutung sein kann (so Haenel, https://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/pdf-Ordner/Psychotherapie/Dolmetscher.pdf, recherchiert am 14. April 2021).
Beide Aspekte machen es aber nicht schlechthin unzumutbar, die Behandlung mit Unterstützung von Gebärden-Dolmetscher*innen in Anspruch zu nehmen. So hält speziell im Fall der Klägerin der Rehabilitationsentlassungsbericht selbst, der die ambulante Psychotherapie für sie empfiehlt, auch die Versorgung mit einer Psychotherapie unter Einsatz einer Gebärdendolmetscherin für möglich (vgl. die Therapieempfehlung vor Nr. 5, Bl. 13 der Gerichtsakte).
Entgegen dem Vortrag der Klägerin stellt das Erfordernis, Dolmetscher*innen einzusetzen, auch keine (finanzielle) Ungleichbehandlung Gehörloser dar, weil sie die Kosten für den Dolmetschereinsatz selbst tragen müsste. Vielmehr besteht auch insoweit seit 2016 ein eigener Leistungsanspruch. Gemäß § 17 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) haben Menschen mit Hörbehinderungen das Recht, bei der Ausführung von Sozialleistungen, insbesondere auch bei ärztlichen Untersuchungen und Behandlungen, in Deutscher Gebärdensprache, mit lautsprachbegleitenden Gebärden oder über andere geeignete Kommunikationshilfen zu kommunizieren. Die für die Sozialleistung zuständigen Leistungsträger sind verpflichtet, die durch die Verwendung der Kommunikationshilfen entstehenden Kosten zu tragen.
Zu den ärztlichen Untersuchungen und Behandlungen gehört auch die psychotherapeutische Versorgung als eine Form der ausdrücklich genannten Behandlung. Auch der Begriff der Ausführung von Sozialleistungen ist umfassend zu verstehen und beinhaltet nicht allein das Verwaltungsverfahren bis zur Bewilligung, sondern insbesondere auch die Durchführung durch die eingebundenen Leistungserbringer. Eingeräumt wird primär ein Sachanspruch auf Verwendung von Deutscher Gebärdensprache, lautsprachbegleitenden Gebärden oder anderen Kommunikationsformen. Es besteht auch ein Kostenerstattungsanspruch, wenn die Leistungsträger den Sachanspruch nicht erfüllen und Betroffene entsprechende Kommunikationshilfen selbst beschaffen und ihnen hierdurch Kosten entstehen (BeckOK SozR/Merten, SGB I § 17 Rn. 14, 15). Daraus folgt für die Klägerin ein Anspruch gegenüber der Beklagten auf zur Verfügung Stellung der Dienstleistung oder Übernahme der Kosten einer Gebärdendolmetscher*in für die Inanspruchnahme der psychotherapeutischen Leistungen.
Selbst in dem Fall, in dem die Klägerin keine zur Versorgung gesetzlich Versicherter zugelassene Psychotherapeutin findet, die bereit war und ist, mittels Gebärdendolmetscher*in zu arbeiten, ist sie berechtigt, eine privatärztlich arbeitende Psychologische Psychotherapeutin in Anspruch zu nehmen. Es liegt dann ein Fall des Systemversagens vor, der einen Kostenerstattungs- oder Freistellungsanspruch gemäß § 13 Abs. 3 SGB V begründet.
2. Selbst wenn im Fall der Klägerin ein Systemversagen in Gestalt einer Versorgungslücke gerade darin liegen sollte, dass es 2018 und bis heute keine approbierten Psychotherapeut*innen gibt, die die Therapie mit Gebärdensprache anbieten, so berechtigt das Klägerin nicht, zur Schließung der Versorgungslücke die psychotherapeutischen Leistungen einer Heilpraktikerin in Anspruch zu nehmen. Die Aufwendungen für deren Leistungen können auch bei Systemversagen keinen Kostenerstattungsanspruch begründen. Das Sozialgericht hat insoweit zutreffend auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 13. Dezember 2016 (B 1 KR 4/16 R) verwiesen, wonach zwingende (Tatbestands-)Voraussetzung eines Anspruchs auf ärztliche und ihr gleichgestellte psychotherapeutische Krankenbehandlung als ein zentraler Bestandteil des Leistungskatalogs der GKV die Approbation der ärztlichen und der psychotherapeutischen Behandler*innen ist. Dies folge, so das BSG, schon aus dem Wortlaut des § 28 Abs. 3 SGB V, aber auch der Systematik und dem Zweck (aaO, Rn. 10 ff.). Selbst wenn eine Behandlung bei approbierten Behandler*innen nicht erreichbar ist, berechtigt das nicht dazu, auf nicht approbierte und somit nicht zur Leistungserbringung in der GKV zugelassene Leistungserbringer*innen auszuweichen. Auch im Fall des Systemversagens gilt ausnahmslos § 15 Abs. 1 SGB V, wonach nur Ärzte und Zahnärzte Leistungen der ärztlichen oder zahnärztlichen Behandlung in der gesetzlichen Krankenversicherung eigenständig erbringen dürfen. Zu den ärztlichen Behandlungen rechnet § 28 Abs. 3 SGB V auch die psychotherapeutische Behandlung einer Krankheit durch Psychologische Psychotherapeut*innen und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*innen (Psychotherapeut*innen), soweit sie zur psychotherapeutischen Behandlung zugelassen sind (Freudenberg in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 15 SGB V (Stand: 15.06.2020), Rn. 17).
Eine Ausnahme von diesem Arztvorbehalt ist für den Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 SGB V im Fall des Systemversagens nicht gerechtfertigt. Er geht nicht weiter als der Primäranspruch. Am Erfordernis der für die jeweilige Leistung zugelassenen Leistungserbringer*innen hat das Bundessozialgericht jüngst für die Leistung der Epilation von Barthaaren im Gesicht festgehalten. Mann-zu-Frau-Transsexuelle können die Entfernung der Barthaare nur als ärztliche Behandlung beanspruchen. Der Arztvorbehalt des § 15 SGB V schließt es deshalb aus, die begehrte Nadelepilation durch eigenverantwortlich behandelnde nichtärztliche Leistungserbringer im Fall des Systemversagens in Anspruch zu nehmen. Dies gilt auch dann, wenn Elektrologistinnen/Kosmetikerinnen über eine Erlaubnis nach dem Heilpraktikergesetz verfügen. Ein Systemversagen wegen einer sich hier aufdrängenden faktischen Versorgungslücke lässt den Arztvorbehalt als zwingende berufliche Mindestqualifikation nicht entfallen (Terminbericht des BSG Nr. 49/20 zu den Urteilen vom 17. Dezember 2020 - B 1 KR 4/20 R, B 1 KR 6/20 R, B 1 KR 19/20 R, B 1 KR 28/20 R, B 1 KR 21/20 R, B 1 KR 13/20 R).
Für die Erbringung einer psychotherapeutischen Leistung, die gemäß § 28 Abs. 3 SGB V den Psychotherapeuten vorbehalten ist, die gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 Psychotherapeutengesetz (PsychThG) approbiert sind, gilt nichts anderes. Selbst im Fall des Systemversagens erwerben Versicherte, die für die Leistung Heilpraktiker*innen in Anspruch nehmen, keinen Kostenerstattungsanspruch, weil sie keinen Anspruch auf die Psychotherapie als Sachleistung, erbracht durch Heilpraktikerinnen, haben können.
Keine andere Beurteilung folgt aus § 42 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX), auf den die Klägerin zuletzt verwiesen hat. Zum einen betrifft die Bestimmung ausweislich ihrer Überschrift und ihrem Inhalt nach Leistungen zur medizinischen Rehabilitation. Die kurative Kranken- bzw. Heilbehandlung ist auf den Zustand der Krankheit, die medizinische Rehabilitation auf den Zustand der Behinderung bzw. der drohenden Behinderung gerichtet. Ist das vorrangige Ziel der Behandlung die Heilung, Beseitigung oder Vermeidung einer Verschlimmerung einer Erkrankung, handelt es sich um Krankenbehandlung. Geht es dagegen um das Beseitigen, Vorbeugen, Verbessern oder Abwenden von wesentlichen Verschlechterungen von Fähigkeitsstörungen und Beeinträchtigungen als mögliche Folge von Krankheit, handelt es sich um medizinische Rehabilitation (Nellissen in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 3. Aufl., § 42 SGB IX (Stand: 27.07.2020), Rn. 24). Die Klägerin begehrt Kostenerstattung für psychotherapeutische Leistungen im Rahmen der Krankenbehandlung nach § 27, § 28 Abs. 3 SGB V. § 43 SGB IX, erklärt zwar die Ziele des § 42 Abs. 1 SGB IX auch bei Leistungen der Krankenbehandlung für entsprechend anwendbar. Aus diesen ergibt sich allerdings keine Ausweitung des Kreises der Leistungserbringer des SGB V auf die berufsrechtlich nicht zugelassenen. § 42 Abs. 3 Satz 1 SGB IX definiert schließlich als Bestandteil der Leistungen der medizinischen Rehabilitation auch psychologische Hilfen als Leistung, wenn diese im Einzelfall erforderlich sind. Erfasst sind davon nur begleitende Hilfen. Sie sollen helfen, Rehabilitationsleistungen (i.S. von § 42 Abs. 1 SGB IX) zu erreichen, sie können dagegen nicht an deren Stelle treten (Nellissen in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 3. Aufl., § 42 SGB IX (Stand: 27.07.2020), Rn. 88).
3. Es kann nach obigen Ausführungen offen bleiben, ob ein Freistellungsanspruch ab dem 18. Oktober 2018, wie ihn die Klägerin unter Bezugnahme auf die Rechnung Nr. 064/2021 von Frau (vom 10. April 2021) geltend macht, auch daran scheitert, dass die Klägerin insoweit keiner wirksamen zivilrechtlichen Forderung ausgesetzt ist. § 13 Abs. 3 SGB V begründet einen Kostenerstattungs- und Freistellungsanspruch nur dann, wenn Versicherten Kosten „entstanden“ sind. Der Anspruch setzt nach Wortlaut und Sinn der Vorschrift voraus, dass Versicherte einem Vergütungsanspruch des Leistungserbringers ausgesetzt sind. Dies setzt wiederum voraus, dass zwischen Versicherten und Leistungserbringern jeweils ein unbedingtes Verpflichtungsgeschäft zustande gekommen ist und der oder die Versicherte sich damit einer endgültigen rechtlichen Zahlungsverpflichtung ausgesetzt hat. Der Erstattungsanspruch kann dann - jedenfalls im Sinne der Freistellung - bestehen, wenn der Versicherte für die Behandlung etwas schuldet. Wenn jedoch kein Vergütungsanspruch des Leistungserbringers entstanden ist, steht dem Versicherten kein Erstattungs- oder Freistellungsanspruch zu. (BSG, Urteil vom 15. April 1997 – 1 RK 4/96 –, BSGE 80, 181-186, Rn. 13, juris; Helbig in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 13 SGB V (Stand: 30.03.2021), Rn. 69; Helbig in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 13 SGB V (Stand: 30.03.2021), Rn. 68/69 unter Bezugnahme auf ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts). Gemessen daran ist ein unbedingtes Verpflichtungsgeschäft, welches die Klägerin mit der Therapeutin eingegangen ist, zweifelhaft und für den Senat nicht zu klären. Nach eigenen Angaben der Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung wurde kein schriftlicher Behandlungsvertrag geschlossen, dem steht die Rechnung der Therapeutin, erstellt am 10. April 2021, gegenüber. Die näheren vertraglichen Vereinbarungen sind unbekannt, so auch die Frage, ob eine Kostentragung nur für den Fall vereinbart war, dass die Beklagte zur Tragung gerichtlich verpflichtet wird oder die Klägerin nur hilfsweise die Kosten schuldet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da der Senat nicht von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts abweicht (§ 160 Abs. 2 SGG).