Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 14. Oktober 2020 wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin hat auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000,- € festgesetzt.
Gründe
I:
Die Beteiligten streiten über die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen eine Amtsenthebung.
Der Antragsteller war 2017 über die Liste „Barmer VersichertenGemeinschaft“ zum Mitglied des Verwaltungsrates der Antragsgegnerin gewählt worden, er wurde stellvertretender Sprecher dieser Fraktion.
Der Vorstand der Antragsgegnerin informierte den Verwaltungsrat in der Sitzung vom 16. März 2018 darüber, dass die Staatanwaltschaft Ermittlungen gegen Beschäftigte der Antragsgegnerin im Zusammenhang mit dem morbiditätsbedingten Risikostrukturausgleich aufgenommen habe. Diese Ermittlungen wurden auch in den Sitzungen des Verwaltungsrats vom 19. September 2018 und der Sitzung des Haupt- und Grundsatzausschusses des Verwaltungsrats vom 19. November 2019 thematisiert. Bezüglich des Protokolls der Sitzung vom 19. November 2019 regte der Antragsteller Korrekturen an, die in einer weiteren Sitzung am 13. Mai 2020 zum Teil aufgegriffen wurden und zu einer Änderung des Protokolls der Sitzung vom 19. November 2019 führten.
Mit Schreiben vom 10. Februar 2020 wandte sich der Antragsteller zusammen mit dem Sprecher der Fraktion „Barmer VersichertenGemeinschaft“, Herrn K W L, an die Staatsanwaltschaft Berlin. Unter Hinweis auf ihre Funktion im Verwaltungsrat beantragten sie die Einsicht in die Ermittlungsakten. Die Staatsanwaltschaft führe gegen Mitarbeiter der Antragsgegnerin Ermittlungsverfahren wegen Manipulationsverdacht. Die Akteneinsicht werde im Rahmen der dem Verwaltungsrat obliegenden Aufsichtspflicht benötigt um sicherzustellen, dass der Vorstand zutreffend informiert habe.
Der Verwaltungsrat der Antragsgegnerin hörte den Antragsteller mit Schreiben vom 14. Mai 2020 zu einer beabsichtigten Amtsenthebung wegen des an die Staatsanwaltschaft gerichteten Schreibens an. Das Präsidium des Verwaltungsrats habe nach externer Beratung entschieden, diese Frage auf die Tagesordnung der am 26. Juni 2020 stattfindenden nächsten Sitzung zu setzen.
Der Verwaltungsrat der Antragsgegnerin beschloss in nichtöffentlicher vertraulicher Sitzung am 26. Juni 2020 mehrheitlich, den Antragsteller (ebenso wie Herrn L) wegen groben Verstoßes gegen seine Amtspflichten seines Amtes als Verwaltungsratsmitglied zu entheben und die sofortige Vollziehung dieses Beschlusses anzuordnen.
Mit Bescheid vom 20. Juli 2020 teilte der Verwaltungsrat der Antragsgegnerin dem Antragsteller die über ihn gefassten Beschlüsse mit. Der Antragsteller habe gegen die Pflichten zur kollegialen Zusammenarbeit und gegenseitigen Information verstoßen. Durch sein unabgestimmtes Verhalten habe er sich Kontrollbefugnisse angemaßt, die nicht ihm, sondern lediglich dem Verwaltungsrat als Organ zustünden. Er habe sich gemeinsam mit Herrn L ohne vorherige Abstimmung mit dem Verwaltungsrat an die Staatsanwaltschaft Berlin gewandt und dort ein Recht auf Akteneinsicht reklamiert. Es sei aber zunächst eine Entscheidung des Verwaltungsrats dazu herbeizuführen gewesen, ob ein solcher Antrag auf Akteneinsicht überhaupt gestellt werden solle. Eine Rechtfertigung dieses Verhaltens ergebe sich weder aus dem in der Geschäftsordnung des Verwaltungsrats formulierten Frage- und Akteneinsichtsrecht, noch aus der die Aufgaben des Verwaltungsrats als Organ regelnden Vorschrift des § 197 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) oder dem in § 475 Strafprozessordnung (StPO) formulierten Akteneinsichtsrecht. Eine Amtspflichtverletzung liege auch darin, dass der Antragsteller den Verwaltungsrat nicht wenigstens im Nachhinein über das Akteneinsichtsgesuch informiert habe. Dazu habe im Rahmen einer am 3. April 2020 stattgefunden habenden Telefonkonferenz Gelegenheit bestanden. Es komme nicht darauf an, dass der Antragsteller keine vertraulichen Informationen an die Staatsanwaltschaft übermittelt habe. Denn der Verstoß gegen die Amtspflichten ergebe sich bereits aus dem nicht mit dem Verwaltungsrat abgestimmten Verhalten. Außerdem sei die Begründung des Akteneinsichtsgesuchs geeignet gewesen, bei der Staatsanwaltschaft Zweifel hervorzurufen, ob der Vorstand dem Verwaltungsrat relevante Informationen verschweige. Angesichts der mehreren groben Amtspflichtverletzungen sei die Amtsenthebung zwingend auszusprechen gewesen. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei geboten, weil das für eine weitere Zusammenarbeit unabdingbare Vertrauen der übrigen Verwaltungsratsmitglieder in die Integrität des Antragstellers nachhaltig gestört sei. Die Handlungsfähigkeit des Verwaltungsrats müsse wiederhergestellt werden. Der Antragsteller lasse jede Einsicht vermissen. Daraus ergebe sich eine Wiederholungs- und Nachahmungsgefahr, der durch die Anordnung der sofortigen Vollziehung entgegengetreten werde.
Mit dem am 31. Juli 2020 bei dem Sozialgericht Berlin eingegangenen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz begehrt der Antragsteller die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 20. Juli 2020 eingelegten Widerspruchs vom 28. Juli 2020. Das Sozialgericht Berlin hat sich durch Beschluss v. 19. August 2020 für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Sozialgericht Potsdam verwiesen.
Das Sozialgericht Potsdam hat durch Beschluss vom 14. Oktober 2020 die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid vom 20. Juli 2020 angeordnet. Der Bescheid sei nicht offensichtlich rechtmäßig, so dass das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs überwiege. Es könne dahinstehen, ob die Amtsenthebung des Antragstellers bereits deswegen rechtswidrig sei, weil über sie nicht in öffentlicher Sitzung entschieden worden sei (dazu Hinweis auf Beschluss des LSG Hamburg v. 4. Juli 2013 – L 1 KR 39/13 B ER). Jedenfalls könne ein Mitglied des Verwaltungsrates nur bei einem schuldhaften groben Pflichtverstoß gegen seine Amtspflichten des Amtes enthoben werden, ohne dass vorliegend von einer solchen schweren Verletzung der Amtspflichten ausgegangen werden könne. Die Mitglieder der Selbstverwaltungsorgane hätten die Amtspflicht alles zu unterlassen, was die Körperschaft schädigen könne. Allerdings könne nicht jedes Verhalten eine Amtspflichtverletzung darstellen, welches der Mehrheit des Verwaltungsrates unerwünscht sei. Deswegen setzte eine Amtsenthebung voraus, dass eine ausdrücklich als Amtspflicht ausgewiesene Regelung verletzt worden sei (Hinweis auf Heberlein, VSSR 2008, S. 287). Ein solcher Verstoß liege indessen nicht vor. Die in der Geschäftsordnung des Verwaltungsrats (GO) formulierte Pflicht zur Information des Vorsitzenden des Verwaltungsrates und des Büros der Selbstverwaltung für den Fall einer Prüfung von Geschäfts- und Verwaltungsunterlagen der Antragsgegnerin sei nicht verletzt. Denn weder handele es sich bei den staatsanwaltlichen Ermittlungsakten um Geschäfts- oder Verwaltungsunterlagen der Antragsgegnerin, noch habe der Antragsteller bisher Einsicht in diese genommen. Zudem müsse die Information des Vorsitzenden des Verwaltungsrates bzw. des Büros der Selbstverwaltung nicht im Wege einer Vorabinformation erfolgen. Eine entsprechende Anwendung der Regelung verbiete sich, weil die Sachverhalte nicht vergleichbar seien. Der Antrag des Antragstellers bei der Staatsanwaltschaft betreffe gerade nicht das Innenverhältnis. Auch darüber hinaus sei keine grobe Verletzung der Amtspflichten erkennbar. Zwar sei die Kontrolle des Vorstands Aufgabe des Verwaltungsrats als Organ und obliege nicht den einzelnen Mitgliedern. Das verwehre dem Antragsteller aber nicht, Zweifeln an der Vollständigkeit der vom Vorstand weitergegebenen Informationen nachzugehen. Der Antrag auf Einsichtnahme in die Akten der Staatsanwaltschaft könne ein legitimes Mittel sein. Ob ein Akteneinsichtsrecht tatsächlich bestehe, ergebe sich aus der StPO. Das verbiete aber nicht das bloße Stellen eines Antrags. Der Antragsteller habe sich keine ihm nicht zustehende Befugnis angemaßt, er habe nicht im Namen des Verwaltungsrates gehandelt. Das ergebe sich auch nicht aus der Nutzung des offiziellen Briefkopfes oder den Hinweis auf das Amt des stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden und die Kontrollbefugnis des Verwaltungsrats. Der in dem Schreiben enthaltene Hinweis auf § 197 Abs. 1 Nr. 1a SGB V beinhalte ebenfalls keine Anmaßung von Befugnissen, da sich aus der Vorschrift ergebe, dass die Kontrollbefugnis nur dem Verwaltungsrat als Organ obliege. Eine Verpflichtung der Mitglieder des Verwaltungsrats zur unbedingten Loyalität gegenüber dem Vorstand ergebe sich nicht aus dem Gesetz, sie widerspreche auch der gesetzlichen Kontrollpflicht des Verwaltungsrats. Seine Verschwiegenheitspflicht habe der Antragsteller nicht verletzt, weil die Staatsanwaltschaft Kenntnisse von ihren eigenen Ermittlungen habe und insoweit keine Geheimnisse offenbart worden seien. Aus dem Vorwurf der Heimlichkeit ergebe sich ebenfalls keine Verletzung der Amtspflichten, da die GO keine entsprechenden Informationspflichten kenne. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass der Antrag auf Akteneinsicht dem Ansehen der Antragsgegnerin geschadet haben könnte. Unstimmigkeiten seien Bestandteil demokratischer Strukturen. Das Amt des Antragstellers stehe zudem unter dem Schutz des Art 33 Abs. 2 Grundgesetz (GG).
Gegen den ihr am 19. Oktober 2020 zugestellten Beschluss richtet sich die am 29. Oktober 2020 bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingegangene Beschwerde der Antragsgegnerin. Zu Unrecht habe das Sozialgericht einen Verstoß gegen konkret normierte und positiv formulierte Amtspflichten gefordert. Stattdessen sei auf Sinn und Zweck der einschlägigen Vorschriften abzustellen. Das Sozialgericht habe dem Verwaltungsratsmitglied eine Rechtsstellung von überschießender Intensität eingeräumt. Das Gesetz schreibe nur dem Vorsitzenden des Verwaltungsrats und dem Verwaltungsrat als Kollegialorgan eigene Rechte zu. Der Verwaltungsrat könne seine Rechte als Kollegialorgan nur gemeinschaftlich wahrnehmen, wenn nicht durch oder aufgrund Gesetzes etwas Anderes bestimmt sei. Dies stehe in Übereinstimmung mit den allgemein für Kollegialorgane geltenden Regeln, die zur Sicherung der Funktionsfähigkeit eine Kompetenzkonzentration bei dem Organ selbst vorsehen würden. Die Kontrollfunktion erfordere, dass das Kontrollorgan gegenüber den zu kontrollierenden Stellen geschlossen auftrete. Das werde aber nicht gewährleistet, wenn Mitglieder des Kontrollorgans ohne Zustimmung und gegen die Mehrheitsbeschlüsse des Kollegialorgans einzeln Ermittlungstätigkeiten aufnehmen würden. Entsprechendes gelte auch im insoweit vergleichbaren Recht der Aktiengesellschaften. Kontrollrechte seien dem Aufsichtsrat als Organ zugewiesen. Von diesen zu unterscheiden seien die den einzelnen Mitgliedern des Organs eingeräumten Rechte wie etwa das auf Teilnahme an den Sitzungen. Befugnisse über die inneren Grenzen hinaus würden stets dem Aufsichtsrat als Kollegialorgan zugeordnet. Falls sich ein Mitglied in seinen Befugnissen beschränkt fühle, müsse es eine Entscheidung des Kollegialorgans über die begehrte Maßnahme oder Handlung herbeiführen. Beispielsweise habe der BGH entschieden, dass ein Organmitglied nicht mehr im Wege der actio pro socio Klage erheben könne, wenn das Kollegialorgan über die Klageerhebung bereits negativ entschieden habe (Hinweis auf BGH v. 28. November 1988 – II ZR 57/88). Der Antragsteller habe zu keiner Zeit dem Verwaltungsrat zu erkennen gegeben, dass er die über zwei Beschäftigte der Antragsgegnerin geführten Ermittlungsakten einsehen wolle. Zusammenfassend könnten die dem Verwaltungsrat als Kollegialorgan übertragenen Aufgaben und Rechte nur dann einzeln durch die Mitglieder des Organs ausgeübt werden, wenn dies durch Gesetz oder Satzung ausdrücklich vorgesehen sei. Ein Verstoß gegen diese Aufgabenteilung beinhalte eine Zuwiderhandlung gegen die gesetzlich zugeordneten Kompetenzen und stelle sich somit als Amtspflichtverletzung dar. Das Sozialgericht habe verkannt, dass die Geschäftsordnung des Verwaltungsrates nicht vorsehe, dass seine Mitglieder bei der Staatsanwaltschaft einen Antrag auf Akteneinsicht stellen. Der Antrag auf Akteneinsicht sei eine nach außen gerichtete Handlung. Da schon bei nach innen gerichteten Ermittlungen eine Verständigung des Vorsitzenden des Verwaltungsrates vorgeschrieben sei, müsse dies erst recht bei nach außen gerichteten Ermittlungshandlungen gelten. Das Sozialgericht erkläre ein nicht abgestimmtes Vorgehen der Mitglieder des Verwaltungsrats für rechtmäßig, obwohl es offensichtlich nicht den Interessen der Krankenkasse entsprechen würde. Öffentlich-rechtliche Körperschaften müssten mit Ermittlungsbehörden vertrauensvoll, glaubwürdig und intern ineinandergreifend zusammenarbeiten können. Es sei den Beschuldigten der Ermittlungsverfahren nicht zuzumuten, bei maximal 30 Gesuchen von den einzelnen Mitgliedern des Verwaltungsrats jeweils abzuwägen, ob sie der Akteneinsicht zustimmen wollten oder nicht. Der Antragsteller habe sich die Befugnisse des Kontrollorgans angemaßt. Er sei gerade nicht als Privatperson aufgetreten, weil er als solche unter keinem denkbaren Gesichtspunkt Akteneinsicht erhalten hätte. Der Beschluss sei auch nicht deswegen rechtswidrig, weil er in nichtöffentlicher Sitzung gefasst worden sei. Ein Amtsenthebungsbeschluss sei eine personelle Angelegenheit, die nicht öffentlich zu beraten sei. Daran ändere die außerhalb des Gesetzeswortlauts stehende und gekünstelte Einordnung als wesentlicher Organisationsakt nichts. Bei der Abwägung der Interessen habe das Sozialgericht versäumt, die Aufrechterhaltung der Arbeitsfähigkeit des Verwaltungsrats zu berücksichtigen. Die Antragsgegnerin müsse das Verhalten des Antragstellers auch nicht deswegen hinnehmen, weil Meinungsverschiedenheiten, Unstimmigkeiten und Zweifel zur demokratischen Organisation der Selbstverwaltungsgremien gehören würden. Der Antragsteller habe selbst den demokratischen Raum verlassen, weil er die Entscheidung des Verwaltungsrats nicht respektiert habe. Schließlich lasse sich auch aus Art. 33 Abs. 2 GG kein Recht des Antragstellers auf freies Schalten und Walten ableiten. Zudem habe das LSG Nordrhein-Westfalen mit Beschluss vom 21. April 2021 – L 10 KR 873/20 B ER in dem parallelen Verfahren betreffend die Amtsenthebung von Herrn KW L die Anordnung der aufschiebenden Wirkung abgelehnt.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 14. Oktober 2010 aufzuheben und den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 20. Juli 2020 abzulehnen.
Der Antragsteller beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Der Antragsteller verteidigt den Beschluss des Sozialgerichts. Es gebe keine Rechtsgrundlage für die von der Antragsgegnerin behaupteten unbedingten Loyalitätspflicht. Das BSG halte entgegen der Darstellung der Antragsgegnerin nicht bei jedem Handeln gegen die Belange des Versicherungsträgers eine Amtspflichtverletzung für gegeben (Hinweis auf Entscheidungen des BSG v. 29. Juni 1979 – 8b RK 4/79 und 28. Januar 1998 – B 6 KA 71/96 B). Auch sei kein konkreter Schaden für die Antragsgegnerin belegt, der durch das in Frage stehende Verhalten eingetreten sein könnte. Die Rechtsauffassung, dass alle Handlungen des Verwaltungsrates nur durch das Kollegialorgan als solches erfolgen dürften, stehe im Widerspruch zu § 5 Abs. 2 der Satzung der Antragsgegnerin. Die Mitglieder des Verwaltungsrates seien nicht nur den Interessen der Sozialversicherungsträger, sondern auch den Versicherten verpflichtet. Wenn ein Mitglied des Verwaltungsrates eigene Rechte tatsächlich nur aus der Mitgliedschaft im Kollegialorgan ableiten könne, hätte dies zur Folge, dass ein Austausch mit Personen außerhalb des Verwaltungsrates nur mit ausdrücklicher Zustimmung des Verwaltungsrats erfolgen dürfe. Eine Informationspflicht gegenüber dem Kollegialorgan setze eine erfolgte Akteneinsicht voraus. Die Antragsgegnerin wolle ihrem Verwaltungsrat einen Freibrief zur Amtsenthebung missliebiger Mitglieder ausstellen. Maßgebend für eine Amtspflichtverletzung sei nicht das Fehlen einer ausdrücklichen Erlaubnis, sondern das Verbot einer Handlung. Das Gesuch auf Akteneinsicht sei von der StPO und anderen Normen gedeckt. Es sei auch keine Informationsasymmetrie entstanden, da er - der Antragsteller - keine Akteneinsicht erhalten und dem Verwaltungsrat damit keine Informationen vorenthalten habe. Die Mitglieder des Verwaltungsrats dürften eigene Ermittlungen anstellen. Eine übermäßige Belastung der Staatsanwaltschaft durch Akteneinsichtsgesuche sei nicht zu besorgen. Er – der Antragsteller – habe deutlich gemacht, dass er den Antrag auf Akteneinsicht als Mitglied des Verwaltungsrats und nicht für den Verwaltungsrat als Kollegialorgan gestellt habe. Eine Amtsanmaßung könne ihm damit gerade nicht vorgeworfen werden. Außerdem müsse Meinungsfreiheit auch gegenüber dem Verwaltungsrat möglich sein. Es bleibe unklar, gegen welchen Beschluss des Verwaltungsrates er – der Antragsteller – verstoßen haben solle, zumal er bereits im Verwaltungsrat seine Zweifel an ausreichender Information über das Ermittlungsverfahren geäußert habe. Die Bedenken seien dadurch bestätigt worden, dass die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen zu den Vorgängen nunmehr weiter ausgedehnt habe. Die Entscheidung des LSG Nordrhein-Westfalen vom 21. April 2021 sei rechtsfehlerhaft.
Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Antragsgegnerin verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Beratung gewesen sind.
II.
Der Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 14. Oktober 2020 hat keinen Erfolg. Mit Recht hat das Sozialgericht im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die aufschiebende Wirkung des von dem Antragsteller gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 20. Juli 2020 erhobenen Widerspruchs angeordnet.
Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG – kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Diese Vorschrift erfasst auch Gestaltungen, in denen die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage entfällt, weil die den Verwaltungsakt erlassene Stelle gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG seine sofortige Vollziehung angeordnet hat (Keller in Meyer-Ladewig, SGG, 13. Aufl., § 86b Rn. 5). So liegt es auch hier, selbst wenn der Verwaltungsrat der Antragsgegnerin in seinem Bescheid vom 20. Juli 2020 die Anordnung der sofortigen Vollziehung auf § 59 Abs. 3 Satz 2 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) gestützt hat. Nach dieser Norm kann ebenso wie nach § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG die sofortige Vollziehung durch eine besondere Entscheidung derjenigen Stelle angeordnet werden, welche den fraglichen Verwaltungsakt erlassen hat. § 59 Abs. 3 Satz 2 SGB IV ist damit eine mit § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG strukturell vergleichbare Regelung, die lediglich auf den Sonderfall einer Amtserhebung zugeschnitten ist.
Anzuordnen ist die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs in den Fällen des § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG jedenfalls, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides bestehen (Vgl. etwa Beschluss des LSG Schleswig-Holstein v. 25. Juni 2012 – L 5 KR 81/12 B ER – juris Rn 14). Dies ergibt sich aus einem Vergleich mit der Vorschrift des § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG. Im Übrigen gibt der Gesetzgeber in § 86b Abs. 1 SGG nicht ausdrücklich vor, nach welchen Maßstäben über die Anordnung, Aussetzung oder Wiederherstellung einer sofortigen Vollziehung zu entscheiden ist. Wenn der Gesetzgeber aber wie in den Fällen des § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG grundsätzlich die Möglichkeit der sofortigen Vollziehbarkeit einer Verwaltungsentscheidung anerkennt, nimmt er damit in Kauf, dass eine angefochtene Entscheidung wirksam bleibt, obwohl über ihre Rechtmäßigkeit noch nicht abschließend entschieden worden ist. Aber zumindest in den Fällen einer offensichtlichen Rechtswidrigkeit der Verwaltungsentscheidung muss die Vollziehung ausgesetzt werden, weil dann kein öffentliches Interesse an einer sofortigen Umsetzung der Entscheidung erkennbar ist. Zu unterbleiben hat die Aussetzung dagegen, wenn der gegen die Verwaltungsentscheidung eingelegte Rechtsbehelf offensichtlich aussichtslos ist. Dann gibt es nämlich keine Veranlassung, von dem vom Gesetzgeber für richtig gehaltenen Grundsatz abzuweichen. In den übrigen Fällen, in denen die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung nicht klar erkennbar ist, kommt es auf eine Interessenabwägung an (BT-Drs 11/3480, S. 54). Je geringer die Erfolgsaussichten in der Sache sind, desto mehr muss für den Betroffenen auf dem Spiel stehen, damit trotz bloßer Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer Maßnahme ungeachtet der vom Gesetzgeber zugelassenen sofortigen Vollziehung die aufschiebende Wirkung des eingelegten Rechtsbehelfs angeordnet werden kann (vgl. zum ganzen Keller in Meyer-Ladewig, SGG, 13. Aufl., § 86b Rn 12f mit weit. Nachw.). Hier indessen ist zusätzlich zu berücksichtigen, dass die sofortige Vollziehbarkeit des Beschlusses vom 20. Juli 2020 nicht unmittelbar auf einer Entscheidung des Gesetzgebers beruht, sondern Folge der erst vom Verwaltungsrat der Antragsgegnerin zusätzlich angeordneten sofortigen Vollziehung ist. Das Gesetz hat die sofortige Vollziehung einer Amtsenthebung in § 59 Abs. 3 Satz 2 SGB V als weitere besondere Entscheidung ausgestaltet, so dass deren Rechtmäßigkeit von zusätzlichen Voraussetzungen abhängt. Nach der Grundentscheidung des Gesetzgebers käme dem vom Antragsteller erhobenen Widerspruch aufschiebende Wirkung zu. Aus einem solchen besonderen Regel-Ausnahme-Verhältnis ergibt sich, dass im Zweifel das Interesse an der sofortigen Vollziehung der Verfügung zurückzustehen hat (vgl. Keller in Meyer-Ladewig, SGG, 13. Aufl., § 86b Rn 12d).
Bei Beachtung dieser Maßstäbe musste der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung Erfolg haben. Die mit dem Widerspruch angegriffene Amtsenthebung ist nicht offensichtlich rechtmäßig. Der Senat hält in der Hauptsache ein Obsiegen des Antragstellers eher für wahrscheinlich als ein Unterliegen. Auch ein besonderes Interesse an der sofortigen Vollziehung der Amtsenthebung ist nicht unzweifelhaft. Deswegen muss es in der Sache bei dem eigentlichen gesetzlichen Grundsatz verbleiben, wonach der Widerspruch des Antragstellers gegen die Ausschlussentscheidung aufschiebende Wirkung hat. Entsprechend war der Beschluss des Sozialgerichts zu bestätigen, in dem die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs angeordnet worden ist.
Rechtsgrundlage für die Amtsenthebung des Antragstellers durch den mit dem Widerspruch angegriffenen Bescheid ist § 59 Abs. 3 Satz 1 SGB IV. Nach dieser Vorschrift ist ein Mitglied eines Selbstverwaltungsorgans von seinem Amt zu entheben, wenn es in grober Weise gegen seine Amtspflichten verstoßen hat. Diese Vorschrift ist auf die Mitglieder des Verwaltungsrats der Antragsgegnerin anzuwenden. Die Antragsgegnerin ist eine Ersatzkasse, auf die § 35a Abs. 1 SGB IV Anwendung findet. Nach § 31 Abs. 3a SGB IV ist bei ihr abweichend von § 31 Abs. 1 SGB IV als Selbstverwaltungsorgan nicht eine Vertreterversammlung, sondern ein Verwaltungsrat zu bilden. Das dem Antragsgegner vorgeworfene Verhalten ist aber nicht eindeutig als grober Verstoß gegen die ihm obliegenden Amtspflichten zu werten. Auf die Frage, ob die Amtsenthebung bereits formell rechtswidrig war, weil über sie in nichtöffentlicher Sitzung entschieden worden ist, kommt es demnach nicht an.
Der Antragsteller hat zwar als Mitglied des Verwaltungsrats der Antragsgegnerin gegen seine Amtspflichten verstoßen, als er sich am 10. Februar 2020 zusammen mit seinem Fraktionskollegen Herrn L schriftlich an die Staatsanwaltschaft Berlin mit der Bitte um Akteneinsicht gewandt hat. Die Amtspflichten der Mitglieder von Selbstverwaltungsorganen von Sozialversicherungen ergeben sich aus dem gesetzlichen Auftrag der Versicherungsträger und der den Organmitgliedern im Rahmen der Selbstverwaltung eingeräumten Rechtsstellung (BSG v. 29. Juni 1979 – 8b RK 4/79 – juris Rn. 18). Insbesondere gibt es die Amtspflicht der Organmitglieder zum rechtmäßigen Handeln im Zusammenhang mit den ihnen übertragenen Aufgaben (Palsherm in jurisPK-SGB IV, 3. Aufl., § 59 Rn 25). Diese Amtspflicht hat der Antragsteller mit der Absendung des Schreibens vom 10. Februar 2020 an die Staatsanwaltschaft Berlin verletzt. Dieses Schreiben ist von dem Antragsteller nicht als Privatperson formuliert worden, sondern im Zusammenhang mit seinen Aufgaben als Verwaltungsratsmitglied. Das Schreiben weist ausdrücklich darauf hin, dass der Antragsteller stellvertretender Fraktionssprecher der größten Fraktion im Verwaltungsrat der Antragsgegnerin sei und dass die Akteneinsicht zur Wahrnehmung der dem Verwaltungsrat obliegenden Aufsichtspflicht über den Vorstand beantragt werde.
Mit dem Akteneinsichtsgesuch hat der Antragsteller die ihm obliegende Amtspflicht zu rechtmäßigem Handeln verletzt, weil nach § 35a SGB IV bei Ersatzkassen nur der Vorstand die Krankenkasse gerichtlich und außergerichtlich vertritt, soweit Gesetz und sonstiges für die Krankenkasse geltendes Recht nichts Abweichendes bestimmen. Entsprechend setzt die Rechtmäßigkeit des Auftretens des Antragstellers für die Antragsgegnerin gegenüber der Staatsanwaltschaft eine entsprechende Ermächtigung voraus. Weder aus dem Gesetz noch aus den Satzungen der Antragsgegnerin einschließlich der Geschäftsordnung des Verwaltungsrats ergibt sich aber, dass eine Fraktion des Verwaltungsrats oder ein einzelnes Mitglied des Verwaltungsrats nach außen hin mit eigenen Rechten und Pflichten ausgestattet wird und deswegen für sich selbst oder für die Antragsgegnerin handlungsfähig ist. Der gesetzliche Auftrag in § 197 SGB V erfasst den Verwaltungsrat als Organ und betrifft ihn in seinem Innenverhältnis zu den sonstigen Organen der Krankenkasse. Selbst wenn aus dieser Vorschrift für bestimmte Fälle eine Vertretungsbefugnis des Verwaltungsrats für die Krankenkasse auch nach außen hin folgen sollte, beträfe sie doch nur den Verwaltungsrat als Organ und nicht seine Fraktionen oder seine einzelnen Mitglieder. Die GO des Veraltungsrats der Antragsgegnerin regelt in ihren §§ 11 bis 15 die Stellung der Fraktionen und der Mitglieder des Verwaltungsrates. Diesen werden aber nur Rechtspositionen nach innen eingeräumt, wohingegen § 13 Abs. 2 GO ausdrücklich bestimmt, dass den erforderlichen Schriftverkehr des Verwaltungsrats nach außen hin der Vorsitzende des Verwaltungsrats bzw. dessen Vertreter führen. Dagegen kann nicht erfolgreich eingewandt werden, dass der Antragsteller ausdrücklich nicht für den Verwaltungsrat als Organ aufgetreten ist und dass ein Antrag auf Akteneinsicht gem. § 475 StPO von Jedermann gestellt werden könne, über dessen Berechtigung dann die Staatsanwaltschaft entscheide. Der Antragsgegner ist gegenüber der Staatsanwaltschaft für die größte Fraktion des Verwaltungsrats oder zumindest als einzelnes Mitglied des Verwaltungsrats aufgetreten. Damit hat der Antragsteller zwar nicht seine Ermächtigung durch den Verwaltungsrat behauptet, sich aber als ein nach außen hin handlungsfähiges (Teil-)Organ der Antragstellerin dargestellt, obwohl diese Rechtsposition weder ihm noch der Fraktion zukommt, der er angehört. Darin liegt ein Verstoß gegen die ihn treffende Pflicht zum rechtmäßigen Handeln im Zusammenhang mit seinem Amt. Er ist gerade nicht als Privatperson bei der Staatsanwaltschaft aufgetreten, sondern wollte das Gewicht seines Amtes in die Waagschale werfen, um die von ihm für nötig angesehenen Informationen zu erlangen. Er war aber – wie ausgeführt – nicht berechtigt, nach außen hin für die Antragstellerin aufzutreten.
Zu Unrecht wirft die Antragsgegnerin dem Antragsteller dagegen vor, dass er mit seinem Auskunftsersuchen auch einer bereits gegenteilig getroffenen Entscheidung des Verwaltungsrats zuwider gehandelt habe. Nach dem Protokoll der Sitzung des Verwaltungsrates vom 26. Juni 2020 ist erst auf dieser Sitzung und damit nach dem Schreiben vom 10. Februar 2020 der Antrag abgelehnt worden, allen Mitgliedern des Verwaltungsrates Einsicht in die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten zu gewähren.
Indessen ist fraglich, ob in dem Schreiben vom 10. Februar 2020 auch ein grober Verstoß gegen die Amtspflichten lag, der erst die Grundlage einer Amtsenthebung sein kann. Die höchstrichterliche Rechtsprechung (BSG v. 29. Juni 1979 – 8b RK 4/79) hat den Begriff der groben Pflichtverletzung dahingehend konkretisiert, dass er nicht notwendig ein schuldhaftes Handeln voraussetze. Indessen ist nicht jede Pflichtverletzung schon als ein grober Verstoß anzusehen, der eine Amtsenthebung rechtfertigt. Zusätzlich hinzukommen muss, dass der Verstoß nach Art und Inhalt in seiner Auswirkung auf die Belange des Versicherungsträgers ein erhebliches Gewicht besitzt. Die Amtspflichtverletzung muss unter Inkaufnahme ihrer möglichen schädlichen Wirkungen und deren wirtschaftlichen Folgen für den Versicherungsträger erfolgt sein.
Weder aus dem mit dem Widerspruch angegriffene Bescheid noch aus dem sonstigen Akteninhalt lässt sich indessen erkennen, dass der dem Antragsteller vorzuwerfende Verstoß gravierende nachteilige Folgen für die Antragsgegnerin gehabt haben könnte. Soweit davon die Rede ist, dass bei der Staatsanwaltschaft durch den Antrag Zweifel an der Kooperationsbereitschaft der Antragsgegnerin bei der Aufklärung der im Raum stehenden Vorwürfe ausgelöst worden sein könnten, handelt es sich um bloße Vermutungen und die Formulierung von Möglichkeiten, denen kein greifbarer Tatsachenkern zugeordnet worden kann. Zwar muss der dem Versicherungsträger durch die Amtspflichtverletzung zugefügte Schaden nicht materieller Natur sein (Palsherm in jurisPK-SGB IV, 3. Aufl., § 59 Rn 25). Auch die Feststellung eines ideellen Schadens setzt aber mehr voraus als die abstrakte Gefahr, dass die Staatsanwaltschaft künftig misstrauischer als vorher ermitteln wird. Zu welchen konkreten Änderungen des Ermittlungsverhaltens der Staatsanwaltschaft es gekommen ist und inwieweit diese auf das von dem Antragsteller formulierte Akteneinsichtsgesuch zurückzuführen sind, wird in dem mit dem Widerspruch angegriffenen Bescheid nicht ausgeführt.
Stattdessen stellt der Bescheid vom 20. Juli 2020 darauf ab, dass die dem Antragsgegner anzulastende Amtspflichtverletzung das für eine weitere konstruktive Zusammenarbeit erforderliche Vertrauen der übrigen Mitglieder des Verwaltungsrats zerrüttet habe. Gravierende negative Auswirkungen der in Rede stehenden Amtspflichtverletzung werden damit nicht in einer Beeinträchtigung der Position der Antragsgegnerin nach außen verortet, sondern für die interne Arbeitsfähigkeit des Gremiums gesehen. Der Senat ist zwar nicht der Auffassung, dass jegliche nur interne Folgen auslösende Amtspflichtverletzung nicht als grober Pflichtverstoß gewertet werden kann. So wäre beispielsweise die regelmäßige unentschuldigte Nichtteilnahme an den Sitzungen des Verwaltungsrats als grobe Amtspflichtverletzung anzusehen (Palsherm in jurisPK-SGB IV, 3. Aufl., § 59 Rn 25). Indessen besteht bei der Geltendmachung eines Vertrauensverlustes die Gefahr, dass er als Mittel der Mehrheit im Verwaltungsrat missbraucht wird, um aus sonstigen Gründen unliebsam gewordene Mitglieder des Verwaltungsrats ihres Amtes entheben zu können. Insoweit kann der Senat nicht unberücksichtigt lassen, dass der Amtsenthebungsbeschluss im Verwaltungsrat nicht einstimmig, sondern mit einer Mehrheit von einundzwanzig zu neun Stimmen gefasst worden ist.
Um der missbräuchlichen Geltendmachung eines Vertrauensverlusts entgegen zu wirken, erscheint es dem Senat angemessen, für den Vertrauensentzug einen konkreten Anlass zu fordern, der seinerseits die Amtsenthebung rechtfertigen können muss (vgl. Palsherm in jurisPK SGB IV, 3. Aufl., § 59 Rn 25 mit Fn 74). Allein die Formulierung eines Auskunftsersuchens an die Staatsanwaltschaft, das ohne konkrete Folgen geblieben ist, reicht dafür nicht aus. Der Senat unterscheidet sich insoweit zwar von der Rechtsauffassung des LSG Nordrhein-Westfalen in dessen Beschluss vom 21. April 2021 – L 10 KR 873/20 B ER. Er sieht sich aber in Übereinstimmung mit der übrigen zwischen den Beteiligten erörterten Rechtsprechung zur Amtsenthebung. So hat bereits das LSG Sachsen-Anhalt in seinem Beschluss v. 5. Januar 2005 – L 4 B 49/04 KR ER eine grobe Amtspflichtverletzung nicht allein daraus hergeleitet, dass gegen Zuständigkeitsvorschriften gehandelt worden ist, sondern auf die konkret drohende Gefahr das Eintritts von Handlungsunfähigkeit der dortigen Krankenkasse hingewiesen. Das BSG hat in seinem Urteil vom 29. Juni 1979 – 8b RK 4/79 darauf abgestellt, dass das dortige Mitglied des Selbstverwaltungsorgans einer Krankenkasse Mitgliedsverluste mit erheblichen Folgen für die Rentabilität und die Leistungsfähigkeit der Krankenkasse in Kauf genommen hatte.
Auch die von der Antragsgegnerin zitierten zivilgerichtlichen Entscheidungen zur Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern lassen erhebliche Unterschiede zu der vorliegenden Sachverhaltsgestaltung erkennen: So hat das OLG Frankfurt in seinem Beschluss vom 1. Oktober 2007 – 20 W 141/07 (FGPrax 2008, 118) ausgeführt, dass alleine die Anmaßung von nichtzustehenden Befugnissen nicht zwangsläufig ein Fehlverhalten beinhalte, das die sofortige Amtsenthebung rechtfertige. Für die in dieser Entscheidung auch erörterte Frage einer Wiederholungsgefahr weist der Senat darauf hin, dass nichts dafür ersichtlich ist, dass der Antragsteller nach Klärung der Rechtslage weiterhin Auskunftsersuchen unter Hinweise auf die Kontrollbefugnisse des Verwaltungsrats der Antragsgegnerin formulieren wird. Das LG Frankfurt in seinem Beschluss vom 14. Oktober 1986 – 3/11 T 29/85 (NJW 1987, 505) schließlich hat einen erheblichen Vertrauensverlust nicht nur wegen eines verheimlichten Auskunftsersuchens an das Bundeskartellamt, sondern insbesondere deswegen angenommen, weil sich das dortige Aufsichtsratsmitglied zum Sprachrohr dritter Personen gemacht hatte. Für eine vergleichbare Sachlage ist vorliegend nichts erkennbar.
Ist demnach bereits zweifelhaft, ob überhaupt ein erheblicher Vertrauensverlust vorliegt, erscheint erst recht zweifelhaft, ob der Vertrauensverlust so gravierend ist, dass er die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Amtsenthebung rechtfertigen könnte.
Nach alledem war die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Potsdam zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung.
Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 197a Abs. 1 SGG in Verbindung mit § 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz. Der Senat hat von einer Reduzierung des Streitwertes im Hinblick auf das Vorliegen eines Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes abgesehen. Angesichts der zeitlich begrenzten Amtsdauer der Mitglieder der Selbstverwaltungsorgane (§ 58 Abs. 2 SGB IV) hat die vorliegende Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz nahezu endgültige Wirkung, da nicht zu erwarten ist, dass es zeitnah zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache kommt.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden, § 177 SGG.