L 9 KR 112/19

Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Neuruppin (BRB)
Aktenzeichen
S 9 KR 140/18
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 KR 112/19
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Entscheiden sich Versicherte im laufenden Berufungsverfahren für die Anschaffung einer anderen als der ursprünglich gewählten Hörgeräteversorgung, weil diese nicht mehr verfügbar ist, wird ein neuer Bescheid der Krankenkasse über diese Versorgung nur dann Gegenstand des Verfahrens, wenn es sich um ein Nachfolgegerät und nicht ein gänzlich anderes handelt.

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Neuruppin vom 6. März 2019 wird zurückgewiesen.

 

Die Klage gegen den Bescheid vom 23. Oktober und 25. Oktober 2019 wird abgewiesen.

 

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Verfahren vor dem Landessozialgericht nicht zu erstatten.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand:

 

 

Die Klägerin begehrt die Kostenerstattung für die Anschaffung eines Hörgerätes.

 

Die 1978 geborene Klägerin ist versichertes Mitglied der Beklagten. Sie leidet unter einer Schwerhörigkeit. Die Klägerin beantragte mit Schreiben vom 29. März 2017 nach einer mehrwöchigen vergleichenden Anpassung die Übernahme der Kosten für die Hörgeräte N Moxi Fit 800 prunkvolles Platin (P 6). Unter den getesteten Modellen sei auch ein aufzahlungsfreies gewesen, mit diesem sei jedoch kein ausreichendes Sprachverstehen in Gruppen und größeren Räumen möglich gewesen. Ausweislich dem beigefügten Anpass- und Abschlussbericht vom 28. März 2017 erzielte das gewählte Hörgerät im Test Freifeld unter Nutzschall ein Sprachverstehen von 100 % und unter Störschall (60 dB) von 80 %, das daneben getestete aufzahlungsfreie Gerät Novasense Geneve HdO Power Quarzsand erzielte ein Sprachverstehen von 100 % im Freifeld unter Nutzschall und 65 % unter Störschall (60 dB).

 

Gemäß dem Kostenvoranschlag (Nr.: 196832) für das N Moxi Fit 800 prunkvolles Platin ergab sich ein Gesamtbetrag der Versorgung in Höhe von 3.646,00 Euro, für die Krankenkasse ein Anteil in Höhe von 1.534 Euro, abzüglich der Zuzahlung von 20,00 Euro noch von 1.514 Euro sowie ein Kundenanteil von 2.112,00 Euro.

 

Nach einem weiteren Anpass- und Abschlussbericht vom 28. März 2017 wurden folgende Hörgeräte wie folgt getestet:

Hörgerät

Aufzahlungsfrei

Freifeld: Nutzschall (65 dB)

Freifeld:

Nutzschall (65 dB)

Störschall (60 dB)

N Moxi Fit Pro brennender Bernstein

 

100 %

75 %

Novasense Geneve HdO Power Quarzsand

x

100 %

65 %

 

Der beigefügte Kostenvoranschlag Nr. 196835 berechnete für das Hörgerätesystem N Moxi Fit Pro brennender Bernstein einen Gesamtbetrag in Höhe von 5.545 Euro, abzüglich des Kassenanteils von 1.534 Euro einen Kundenanteil in Höhe von 4.011,00 Euro.

 

Mit Bescheid vom 7. April 2017 teilte die Beklagte der Klägerin mit, die von dem Hörgeräteakustik Unternehmen GEERS Hörakustik AG & Co KG angebotene aufzahlungsfreie Versorgung erfülle die im Vertrag zwischen dem Verband der Ersatzkassen und der Bundesinnung der Hörgeräteakustiker (biha) vereinbarte aufzahlungsfreie Versorgung nicht. Eine Genehmigung könne aktuell nicht erfolgen. Es habe eine neue Testung mit aufzahlungsfreien Hörgeräten stattzufinden, die Klägerin möge danach einen geänderten Kostenvoranschlag zur Prüfung einreichen.

 

Die Klägerin reichte am 23. April 2017 zwei weitere Anpass- und Abschlussberichte (vom 19. April 2017) ein. Es wurden wiederum die Hörgeräte N Moxi Fit Pro brennender Bernstein und N Moxi Fit 800 prunkvolles Platin (P6) im Vergleich zu Novasense Geneve HdO Power quarzsand getestet und folgende Werte im Sprachverstehen erzielt:

 

Hörgerät

Aufzahlungsfrei

Freifeld: Nutzschall (65 dB)

Freifeld:

Nutzschall (65 dB)

Störschall (60 dB)

N Moxi Fit Pro brennender Bernstein

 

100 %

75 %

N Moxi Fit 800 prunkvolles Platin

 

100 %

75 %

Novasense Geneve HdO Power Quarzsand

x

100 %

70 %

 

Beigefügt war erneut der bekannte Kostenvoranschlag Nr. 196832 für Moxi Fit 800 prunkvolles Platin vom 28. März 2017

Mit Bescheid vom 5. Mai 2017 beteiligte sich die Beklagte an dem Hörgerät „N Moxi Fit Pro xP RIC Hörer“ in Höhe von 833,50 Euro (rechts) sowie 680,50 Euro (links), die weiteren Aufwendungen in Höhe von jeweils 1.823 Euro könnten von der Beklagten nicht in vollem Umfang übernommen werden; Der Eigenanteil der Klägerin belaufe sich auf 979,50 Euro (rechts) und 1.132,50 Euro (links, Bl. 21- 24 VA).

 

Die Klägerin erhob Widerspruch (22. Mai 2017). Sie sei auf die Versorgung mit N Moxi Fit 800 prunkvolles Platin (P6) angewiesen. Im Störgeräusch, in größeren Gruppen und bei der Pflege ihres Sohnes W W (Pflegegrad 3) sei ihr kein ausreichendes Sprachverständnis möglich. Dies habe eine vergleichende Testung mit dem aufzahlungsfreien Hörgerätmodell ergeben. Der Sohn habe die unheilbare Erkrankung Mukoviszidose und sei häufiger in auch stationärer Behandlung und müsse dann einen Mundschutz tragen. Mit dem aufzahlungsfeien Gerät sei ein ausreichendes Sprachverständnis in dieser Situation nicht erzielbar gewesen. Die Hörgeräteversorgung N Moxi Fit Pro (Kundenanteil: 4.011,00 Euro) gehöre nicht zum Streitgegenstand, sondern das Gerät N Moxi Fit 800, für welche der Akustiker in seinem Kostenvoranschlag vom 28. März 2017 einen Gesamtbetrag „Kundenanteil“ in Höhe von 2.112,00 Euro angegeben habe. Sie übersandte einen aktualisierten Anpass- und Abschlussbericht vom 15. August 2017 für das begehrte Hörgerätesystem und das aufzahlungsfreie System Novasense Geneve HdO quarzsand. Die Beklagte habe keine ordnungsgemäße Einzelfallprüfung vorgenommen, da sie in ihrem Bewilligungsbescheid eine sehr teure Hörgeräteversorgung bezeichne, welche die Klägerin gar nicht beantragt habe. Außerdem sei das Antragsschreiben der Klägerin vom 29. März 2017 nach dem Eingangsstempel der Beklagten am 3. April 2017 bei dieser eingegangen, aber erst am 5. Mai 2017 sei die Bewilligung erfolgt, so dass die dreiwöchige Frist des § 13 Abs. 3a SGB V abgelaufen sei. Zudem sei sie als Fachassistentin der Agentur für Arbeit im Bereich des direkten persönlichen Kundenverkehrs an zwei bis drei Tagen die Woche tätig. Die aufzahlungsfreie Hörgeräteversorgung sei nicht ausreichend gewesen, um ein gutes Sprachverstehen hervorzubringen, die zwischenzeitlich ebenfalls getestete Versorgung mit Hörgeräten der Marke „Selectic“ ebenfalls nicht. Mit Widerspruchsbescheid vom 6. Juni 2018 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

 

Die Klägerin hat am 19. Juni 2018 Klage zum Sozialgericht Neuruppin erhoben. Das begehrte Modell N Moxi Fit 800 sei nicht mehr erhältlich, sie habe nunmehr die Hörgeräteversorgung Phonak Audeo M 90 R getestet, welche ebenfalls zum Ausgleich der Hörbehinderung geeignet sei. Sie hat einen Kostenvoranschlag für dieses System mit einem Preis von 5.889 Euro und einem Eigenanteil in Höhe von 4.551 Euro eingereicht.

 

Mit Gerichtsbescheid vom 6. März 2019 hat das Sozialgericht die Klage, gerichtet auf die Verpflichtung der Beklagten zur vollen Kostenübernahme für die von ihr benötigte Hörgeräteversorgung, abgewiesen. Die Klage sei nicht mehr zulässig. Es bestehe kein Rechtsschutzbedürfnis mehr hinsichtlich des Hörgerätesystems N Moxi Fit 800 prunkvolles Platin (P6), da diese Geräte nicht mehr erhältlich seien. Soweit die Klägerin die Versorgung mit dem Nachfolgemodell begehre, habe die Beklagte dazu keine Entscheidung getroffen.

 

Die Klägerin hat gegen den ihr am 19. März 2019 zugestellten Gerichtsbescheid am 3. April 2019 Berufung eingelegt. Sie hat zunächst einen Kostenvoranschlag für das Hörsystem Audeo M50-R champagner (P5) vom 2. Oktober 2019 eingereicht. Die Beklagte hat dies als neuen Antrag gewertet und mit Bescheid vom 23. Oktober 2019 hierfür den Vertragspreis von 1.467 Euro gewährt und mit weiteren Bescheiden vom 25. Oktober 2019 die Bewilligung jeweils für das rechte und linke Ohr vorgenommen. Die Klägerin hat sich das o.g. Hörsystem am 2. März 2020 (Rechnungsstellung) selbst beschafft und dazu einen Ratenzahlungskreditvertrag aufgenommen. Der Eigenanteil hat sich auf 3.098 Euro belaufen. Zur Begründung ihrer Berufung führt die Klägerin aus: das Sozialgericht habe die Klage aus formalen Gründen abgewiesen, ohne zu den materiellen Voraussetzungen des eingeklagten Anspruchs Stellung zu nehmen. Die Beklagte sei gemäß § 14 SGB IX für die Hörgeräteversorgung umfassend zuständig geworden. Sie werde ihre Berufung nicht für erledigt erklären, weil sie sich für eine andere Versorgung als diejenige des Verwaltungsverfahrens entschieden habe.

 

 

 

 

Die Klägerin beantragt,

 

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Neuruppin vom 6. März 2019 aufzuheben, die Bescheide der Beklagten vom 7. April 2017, vom 5. Mai 2017, in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Juni 2018, den Bescheid vom 23. Oktober 2019 und vom 25. Oktober 2019 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, für die Hörgeräteversorgung Audeo M50-R gemäß Rechnung Nr. 54915865 vom 2. März 2020 die Klägerin von den Zahlungsverpflichtungen hinsichtlich des Eigenanteils freizustellen,

 

hilfsweise, den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht Neuruppin zurückzuverweisen.

 

Die Beklagte beantragt,

 

            die Berufung zurückzuweisen.

 

 

Die vorliegende Hörminderung habe mit aufzahlungsfreien Hörsystemen im Rahmen der Vertragspreise (unter Berücksichtigung von Messtoleranzen von bis zu 5 %) bestmöglich ausgeglichen werden können. Einer aufzahlungspflichtigen Versorgung bedürfe es nicht. Im Hinblick auf die schließlich angeschaffte Hörgeräteversorgung und den neuen Bescheid hierzu möge die Klägerin das Berufungsverfahren für erledigt erklären.

 

Der Senat hat am 12. Juni 2020 einen Vergleichsvorschlag unterbreitet.

 

Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen, der, soweit wesentlich, Gegenstand der Erörterung in der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung war.

 

 

 

 

 

 

 

Entscheidungsgründe:

 

 

A. Der Senat hat über die Berufung gemäß § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der Besetzung durch die Berichterstatterin und die ehrenamtlichen Richter/Richterinnen entschieden, weil das Sozialgericht über die Klage durch Gerichtsbescheid entschieden und der Senat durch Beschluss vom 28. Dezember 2020 die Berufung der Berichterstatterin zur Entscheidung zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern/Richterinnen übertragen hat.

 

B. Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.

 

Das Sozialgericht hat die Klage, gerichtet gegen die Bescheide der Beklagten vom 4. April 2017 und vom 5. Mai 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Juni 2018 zu Recht abgewiesen. Das Klagebegehren hat sich in der Sache erledigt. Die Beklagte hat mit den angefochtenen Bescheiden den Vertragspreis unter Zugrundelegung eines Hörsystems aus der Positionsnummer des GKV-Hilfsmittelverzeichnisses, dem auch das Hörsystem N Moxi Fit 800 zuletzt unterfiel (13.20.12.2613), bewilligt. Die Klägerin verfolgt ihr ursprüngliches Begehren, eine Versorgung mit diesem Hörsystem zu erlangen, nicht mehr weiter, dieses hat sich erledigt. Hinsichtlich ihres neuen Begehrens, eine Kostenübernahme bzw. Freistellung von den Kosten für das für das Hörsystem Audeo M50-R zu erhalten, hat die Beklagte nach erneuter Prüfung am 23. und 25. Oktober 2019 einen neuen Bescheid erlassen.

 

C. Die Klage, gerichtet gegen den neuen Bescheid vom 23. und 25. Oktober 2019 ist nicht zulässig. Es liegt insoweit eine unzulässige Klageänderung in der Berufungsinstanz vor. Die Klägerin hat am 16. März 2020 ihre vor dem Sozialgericht erhobene und dort bis zuletzt nicht geänderte Klage geändert. Vor dem Sozialgericht hatte sie am 11. September 2018 zwar mitgeteilt, das Gerät N Moxi Fit 800 sei nicht mehr erhältlich, das Nachfolgemodell sei das T Moxi Fit Pro xP RIC. Ihre Klage, gerichtet auf die Versorgung mit N Moxi Fit 800, hat sie aber nicht umgestellt. Erstmals im Berufungsverfahren begehrt sie nun die Erstattung von Kosten für das Hörsystem Phonak Audeo M50-R. Dieses hat sie sich am 2. März 2020, nach Einlegung der Berufung, selbst beschafft (Rechnungsstellung und Ratenzahlungsvereinbarung).

1. Die geänderte Klage ist weder nach § 153 Abs. 1 i.V.m. § 96 SGG noch nach § 99 SGG zulässig. Nach § 96 SGG wird ein neuer Verwaltungsakt nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. Der Bescheid vom 25. Oktober 2019 für das Hörsystem Audeo M50-R, der eine teilweise Kostenbeteiligung in Höhe des Vertragspreises bewilligt hat, ist nach Klageerhebung ergangen. Er ersetzt oder ändert die Bescheide vom 7. April 2017 und vom 5. Mai 2017 aber nicht. Die Beklagte änderte mit ihm weder den Tenor noch die Sachentscheidung der vorhergehenden Bescheide vom 4. April 2017 und vom 5. Mai 2017. Sie hat vielmehr auf der Basis der neu übersandten Anpass- und Abschlussberichte für dieses Hörsystem eine Versorgung (neu) geprüft und eine Kostenbeteiligung in Gestalt des Vertragspreises bewilligt, gleichzeitig eine höhere Kostenbeteiligung für das Hörsystem Audeo M50-R abgelehnt. Die Beklagte hat ein sachlich neues Begehren auf einen neuen Antrag hin geprüft und eine neue Regelung ohne Bezug zu den früheren Entscheidungen getroffen. Die Entscheidung ersetzt frühere Bescheide nicht, sie tritt nicht (ohne Zutun der Klägerin) an die Stelle einer früheren Regelung. Letztere erledigte sich in dem Moment, in dem die Klägerin eine Versorgung mit einem anderen Hilfsmittel begehrte.

 

2. Die neue Bewilligung nur in Höhe des Vertragspreises ist nicht nach § 99 SGG Gegenstand des Verfahrens vor dem Senat geworden. Nach § 99 Abs. 3 ist es nicht als eine Änderung der Klage anzusehen, wenn ohne Änderung des Klagegrunds

 

1.         die tatsächlichen oder rechtlichen Ausführungen ergänzt oder berichtigt werden,

 

2.         der Klageantrag in der Hauptsache oder in Bezug auf Nebenforderungen erweitert oder beschränkt wird,

 

3.         statt der ursprünglich geforderten Leistung wegen einer später eingetretenen Veränderung eine andere Leistung verlangt wird.

 

In Betracht kommt vorliegend allein § 99 Abs. 3 Nr. 3 SGG, da die Kostenerstattung für ein erst im Gerichtsverfahren getestetes und während des Berufungsverfahrens von der Klägerin erworbenes anderes Hörsystem anstelle des zunächst begehrten erfolgen soll. Die Voraussetzungen des § 99 Abs. 3 Nr. 3 SGG liegen aber nicht vor. Die Regelung behandelt zwar einen Fall der klassischen Klageänderung, da der Klageantrag geändert wird, fingiert aber zugleich, dass dies keine Klageänderung sei. Der Sinn und Zweck besteht darin, einen weiteren, neuen Prozess zu vermeiden (BeckOGK/Bieresborn, 1.1.2021, SGG § 99 Rn. 61/62). Unter einer Änderung der Verhältnisse kann grundsätzlich jede Änderung der Sachlage nach Erhebung der Klage verstanden werden. Eine andere Leistung liegt nur dann vor, wenn diese nicht bereits konkludent Gegenstand des Verfahrens ist (BeckOGK/Bieresborn, 1.1.2021, SGG § 99 Rn. 61/62). Gemessen daran macht die Klägerin zwar statt der ursprünglich geforderten Leistung, nämlich die Versorgung mit dem System N Moxi Fit 800, nunmehr einen Kostenerstattungsanspruch für das System (Phonak) Audeo M50-R, geltend. Es liegt darin eine andere Leistung, ein anderer Gegenstand. Dabei stellt allein der Umstieg von einem Sachleistungsanspruch auf einen Kostenerstattungsanspruch für eine inzwischen selbst beschaffte Sach- oder Dienstleistung nach unbestrittener Auffassung stets eine zulässige Klageänderung i.S. des § 99 Abs. 1 Nr. 3 SGG dar (BSG, Urteil vom 20. März 2007 - B 2 U 38/05 R -, Rn. 12, juris). Die Klägerin begründet ihren Anspruch auf Kostenerstattung aber mit einer gänzlich anderen Primärleistung in Gestalt eines gänzlich anderen Hörsystems als das System N Moxi Fit 800. Nach Sinn und Zweck privilegiert § 99 Abs. 1 Nr. 3 SGG insoweit nicht jeden Austausch des begehrten Leistungsgegenstandes. Erfasst werden die Fälle, in denen wegen der Änderung der Umstände eine nunmehr andere Leistung begehrt wird und nicht diejenigen, in denen nur anlässlich einer solchen Änderung der Umstände etwas gänzlich Anderes, quasi ein aliud, begehrt wird (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 28. Februar 2013 - L 27 P 29/09, Rn. 13 f.). Das ergibt sich auch daraus, dass nach § 99 Abs. 3 vor Nr. 1 SGG der Klagegrund identisch sein muss, d.h., der maßgebende Lebenssachverhalt, aus dem die begehrte Rechtsfolge hergeleitet wird. Im Fall der Hörgeräteversorgung umfasst § 99 Abs. 1 Nr. 3 SGG daran gemessen den Fall, dass ein zunächst begehrtes Hörgerätesystem im Laufe des Gerichtsverfahrens vom Markt genommen und somit nicht mehr verfügbar ist und deshalb mit einer bereits anhängigen Klage die Versorgung mit einem Nachfolgemodell (oder ein entsprechender Kostenerstattungsanspruch) verfolgt wird. Das erfasst aber nicht ein gänzlich anderes Hörsystem als ein „aliud“. Die Änderung des Klagebegehrens beruht dann nicht allein auf der Änderung der Sachlage, nämlich der Nichtverfügbarkeit des ursprünglich gewollten Gegenstandes, sondern geht darüber hinaus. Für das neue Hörsystem wurde vor Klageerhebung kein Antrag gestellt, keine Regelung von der Beklagten getroffen, kein Vorverfahren und kein vorinstanzliches Verfahren durchgeführt. Die Einbeziehung in das laufende Verfahren ist dann auch i.d.R. nicht prozessökonomisch. Der behördlichen Entscheidung über das Hörsystem liegen neue Anpass- und Abschlussberichte zugrunde, die in erster Instanz nicht Gegenstand des Gerichtsverfahrens waren. Der Kostenerstattungsanspruch teilt insoweit das Schicksal des Primäranspruchs.

 

Einer Änderung der Klage und der Einbeziehung des neuen Bescheides vom 23. bzw. 25. Oktober 2019 hat die Beklagte nicht zugestimmt. Das Gericht hält sie aus Gründen der Prozessökonomie nicht für sachdienlich (§ 99 Abs. 1 SGG). Die bisherigen Erkenntnisse des Gerichtsverfahrens sind nicht verwertbar. Ein Vorverfahren wurde bislang nicht abgeschlossen, die Klage ist damit unzulässig.

 

Keine andere Beurteilung folgt aus § 14 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) als Norm des materiellen Rechts. Soweit die Klägerin geltend macht, die Beklagte hätte ihren Bedarf auch unter Berücksichtigung der beruflichen Erfordernisse (Kundenberaterin bei der Agentur für Arbeit) prüfen müssen, ändert das nichts an der prozessualen Ausgangssituation.

 

D. Der Hilfsantrag, gerichtet auf Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Sozialgericht, hat keinen Erfolg. Gemäß § 159 Abs. 1 SGG kann das Landessozialgericht durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn

 

1. dieses die Klage abgewiesen hat, ohne in der Sache selbst zu entscheiden,

2. das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet und auf Grund dieses Mangels eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist.

 

Allein in Betracht kommt hier ein Fall der Nr. 1; Hingegen liegt kein wesentlicher Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens vor, wegen dem eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist. Eine Zurückverweisung ist nicht prozessökonomisch, da die Klägerin nunmehr eine andere Leistung erstrebt, die zu keinem Zeitpunkt Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens war.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).

 

 

Rechtskraft
Aus
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