Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 24. März 2021 wird hinsichtlich der Ablehnung des Erlasses einer einstweiligen Anordnung zurückgewiesen.
Auf die Beschwerde des Antragstellers gegen die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe vor dem Sozialgericht wird der Beschluss des Sozialgerichts vom 24. März 2021 geändert und dem Antragsteller Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung der Rechtsanwält*innen, K-M-Straße ,
Dem Antragsteller wird zudem für das Beschwerdeverfahren vor dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und Rechtsanwält*innen, K-M-Straße , Berlin beigeordnet.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt von dem Antragsgegner im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Der 1993 geborene Antragsteller ist polnischer Staatsbürger und leidet an Schizophrenie. Nach eigenen Angaben ist er seit 2012 in Berlin gemeldet, kann aber nur eine Meldebescheinigung vom 16. Februar 2017 vorlegen. Er behauptet, mehrere Arbeitsverhältnisse in Deutschland ausgeübt zu haben mit einer Gesamtdauer von über einem Jahr. Für die Beendigung dieser Arbeitsverhältnisse kann er keine Bescheinigungen der Bundesagentur für Arbeit über die unfreiwillige Beendigung vorlegen und auch keine Kündigungsschreiben, bis auf eines. Wegen seiner Erkrankung befinde er sich seit 2015 in ärztlicher Behandlung in Berlin und habe auch Krankenhausaufenthalte hinter sich. Er stehe im ständigen Kontakt mit seiner in Berlin lebenden Tante. Im Frühjahr 2020 habe er sich kurzzeitig in der JVA Plötzensee befunden.
Den Leistungsantrag des Antragstellers für den Zeitraum vom 1. Oktober 2020 bis zum 31. März 2021 lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 19. November 2020 ab und wies den Widerspruch hiergegen mit Widerspruchsbescheid vom 3. Februar 2021 zurück. Der Antragsteller seiner § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen, weil er sich lediglich zum Zwecke der Arbeitssuche in Deutschland aufhalte.
Hiergegen hat der anwaltlich vertretene Antragsteller Klage bei dem Sozialgericht Berlin eingelegt und am 23. Februar 2021 im Wege der einstweiligen Anordnung die Verpflichtung des Antragsgegners zur vorläufigen Leistungserbringung beantragt. Außerdem hat er Prozesskostenhilfe für das Verfahren vor dem Sozialgericht beantragt. Er ist der Ansicht, es bestehe aufgrund von Beschäftigungen mit mehr als einem Jahr ein fortwirkendes Freizügigkeitsrecht nach § 2 Abs. 3 Nr. 2 Freizügigkeitsgesetz/EU. Die kurzzeitigen Beschäftigungen seien zusammenzurechnen. Außerdem bestehe ein Leistungsanspruch nach § 7 Abs. 1 S. 4 SGB II, da er sich länger als fünf Jahre in der Bundesrepublik Deutschland aufhalte. Der Nachweis dieses Zeitraumes durch Meldebescheinigungen sei nicht erforderlich.
Das Sozialgericht Berlin hat mit Beschluss vom 24. März 2021 sowohl den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung als auch die Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Ein Anordnungsanspruch sei nicht glaubhaft gemacht. Der Antragsteller sei von Leistungen nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II ausgeschlossen, da außer einem Aufenthalt zur Arbeitssuche ein weiteres Aufenthaltsrecht nicht glaubhaft gemacht sei. Ein Aufenthaltsrecht aus § 2 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 Freizügigkeitsgesetz/EU liege nicht vor, weil der Antragsteller derzeit eine Erwerbstätigkeit nicht ausübe. Auch ein fortwirkendes Aufenthaltsrecht aus § 2 Abs. 3 S. 2 Freizügigkeitsgesetz/EU sei nicht glaubhaft gemacht, da es jedenfalls an einer hierzu erforderlichen Bescheinigung der zuständigen Agentur für Arbeit über die Unfreiwilligkeit der Arbeitslosigkeit fehle. Diese sei nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts konstitutive Bedingung für das Fortbestehen des Freizügigkeitsrechts. Keinesfalls reiche jedenfalls die bloße Behauptung des Antragstellers, die Beendigung der Arbeitsverhältnisse sei unfreiwillig gewesen, wenn nicht einmal Kündigungsschreiben vorgelegt werden könnten. Auch ein Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 3 Nr. 2 Freizügigkeitsgesetz/ EU liege nicht vor, weil zum einen eine Erwerbsminderung schon nicht glaubhaft gemacht wurde; denn trotz der Erkrankung, die jedenfalls seit 2015 in Deutschland behandelt wurde, habe er Erwerbstätigkeiten ausgeübt. Zum anderen sei eine bestehende Erwerbsminderung aufgrund der chronischen Erkrankung des Antragstellers jedenfalls nicht vorübergehend. Ein weiteres Aufenthaltsrecht aus § 4a Freizügigkeitsgesetz/EU sei ebenfalls nicht ersichtlich, da ein rechtmäßiger dauerhafter Aufenthalt in Deutschland von mindestens fünf Jahren nicht glaubhaft gemacht sei. Das erste erkennbare Arbeitsverhältnis datieren aus dem Jahre 2016 und erst ab diesem Zeitpunkt käme ein Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 Freizügigkeitsgesetz/EU in Betracht. Ein Leistungsanspruch nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II sei auch nicht glaubhaft gemacht, da zum gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet die Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde erforderlich sei. Eine solche liege aber zumindest für den Zeitraum November 2012 bis Februar 2017 nicht vor.
Gegen diesen Beschluss hat der anwaltlich vertretene Antragsteller am 12. April 2021 Beschwerde sowohl hinsichtlich der Ablehnung einer einstweiligen Anordnung als auch hinsichtlich der Ablehnung von Prozesskostenhilfe eingelegt und für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe beantragt.
Ergänzend zum erstinstanzlichen Vortrag hat er vorgetragen, er habe sich von 2012 bis Frühjahr 2019 und sodann wieder seit Frühjahr 2020 durchgehend in Berlin aufgehalten; dies könne seine Tante bestätigen. Von Frühjahr 2019 bis Herbst 2020 habe er zunächst im Odenwald gelebt und gearbeitet und anschließend aufgrund seiner psychischen Probleme auf der Straße. Er sei nach Köln gegangen, habe dort Drogen genommen und sei wegen dort begangener Ladendiebstähle fünf Monate in Untersuchungshaft gewesen. Nach seiner Entlassung sei er nach Berlin zurückgekehrt und sei wegen einer offenen Geldstrafe zur Verbüßung einer Ersatzfreiheitsstrafe inhaftiert worden. Den Sommer über habe er auf der Straße gelebt. Im Beschwerdeverfahren wurde eine als „Eidesstattliche Versicherung“ überschriebene schriftliche Erklärung des Antragstellers vom 31. März 2021 vorgelegt, nach der er in der Zeit von März 2019 bis Februar 2020 sich nicht in Berlin aufgehalten habe, sondern bei einem Kumpel im Odenwald, wo er auch gearbeitet habe. Mitte Juni (2019) sei er gekündigt worden und nach Köln gegangen, wo er auf der Straße gelebt habe und wegen Ladendiebstählen fünf Monate in Untersuchungshaft verbracht habe. Die Zeit in Köln sei schwierig gewesen und er könne sich an manches auch nicht mehr erinnern. Nach einem anschließenden Aufenthalt in der Psychiatrie sei er wieder nach Berlin gegangen. In einer weiteren als „Eidesstattliche Versicherung“ vorgelegten Erklärung der Tante vom 31. März 2021 hat diese erklärt, sie habe in den letzten fünf Jahren durchgehend Kontakt zu ihm und er sei zwischen 2017 und 2019 in Berlin gemeldet gewesen. Auch in dem Jahr, in dem er nicht in Berlin gelebt habe, habe sie per Messenger unter anderem Kontakt gehabt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsakte (Behelfsakte) des Antragsgegners Bezug genommen.
II.
Die Beschwerden des Antragstellers sind zulässig. Sie sind jedoch unbegründet soweit sie sich gegen die Ablehnung des Erlass einer einstweiligen Anordnung richten.
Nach § 86b Abs. 2 S. 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 S. 2 SGG). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt voraus, dass die Antragsteller das Bestehen eines zu sichernden Rechts (den so genannten Anordnungsanspruch) und die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung (den so genannten Anordnungsgrund) glaubhaft machen (§ 86 b Abs. 2 S. 4 SGG, § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung – ZPO).
Dafür ist erforderlich, aber auch ausreichend, dass die tatsächlichen Voraussetzungen von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund zur Überzeugung des erkennenden Gerichts mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vorliegen (vgl. Bundessozialgericht –BSG-, Beschluss vom 8. August 2001, B 9 V 23/01 B, Rn. 5, zitiert nach juris). Auch im Beschwerdeverfahren sind grundsätzlich die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung maßgeblich (Hamburgisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 4. April 1990, Bs IV 8/90, zitiert nach juris).
Vorliegend hat das Sozialgericht Berlin den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz rechtsfehlerfrei abgelehnt.
Das Sozialgericht hat in seinem angegriffenen Beschluss vom 24. März 2021 zutreffend und umfangreich ausgeführt, dass der Antragsteller gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen ist, weil ein weiteres Aufenthaltsrecht nicht glaubhaft gemacht werden konnte. Insoweit wird gemäß § 142 Abs. 2 S. 3 SGG von einer weiteren Begründung abgesehen und auf die zutreffende Begründung des angegriffenen Beschlusses verwiesen.
Lediglich ergänzend weist der erkennende Senat darauf hin, dass auch nach seiner ständigen Rechtsprechung die Bescheinigung der Bundesagentur für Arbeit über die Unfreiwilligkeit der Arbeitslosigkeit Voraussetzung für das Fortbestehen eines Freizügigkeitsrechts nach § 2 Abs. 3 S. 2 Freizügigkeitsgesetz/EU ist und bei einem Leistungsanspruch nach § 7 Absatz 1 S. 2 SGB II ein gewöhnlicher Aufenthalt durch die Vorlage entsprechender Meldebescheinigungen notwendig ist (so zuletzt Beschluss vom 4. Mai 2020, L 31 AS 602/20 B ER, zitiert nach Juris).
Die im Beschwerdeverfahren vorgelegten Erklärungen des Antragstellers und seiner Tante können schon deshalb nicht zu einer anderen Einschätzung führen, weil sie die gesetzlich vorgesehenen Bescheinigungen (Meldebescheinigungen und Bescheinigungen der Agentur für Arbeit) nicht ersetzen können. Darüber hinaus wäre ein Kontakt der Tante mit dem Antragsteller über Messenger oder Telefon auch nicht geeignet, seinen tatsächlichen Aufenthaltsort glaubhaft zu machen.
Ob ein Antrag nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) Erfolg hätte, war im vorliegenden Verfahren nicht zu prüfen, weil eine Beiladung des Sozialleistungsträgers nach dem SGB XII erst in der Beschwerdeinstanz wegen der damit verbundenen Verzögerung des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens bei gleichzeitiger Entscheidungsreife der bisher allein geltend gemachten Ansprüche nicht in Betracht kam. Eine solche Verzögerung steht dem wesentlichen Gedanken der gebotenen Verfahrensbeschleunigung im einstweiligen Rechtsschutz entgegen. Soweit Ansprüche nach § 23 SGB XII gegen den Antragsgegner im hiesigen Verfahren erwähnt werden, sind diese schon deshalb nicht glaubhaft gemacht, weil der Antragsgegner nur für Ansprüche nach dem SGB II zuständig ist und Anträge zu Leistungen nach dem SGB XII trotz anwaltlicher Vertretung nicht einmal gestellt worden sind.
Die Beschwerde des Antragstellers ist allerdings erfolgreich, soweit sie sich gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe richtet.
Im Hinblick auf die von dem Sozialgericht in der angegriffenen Entscheidung umfangreich zitierte Rechtsprechung anderer Gerichte, die hierzu teilweise eine andere Rechtsansicht vertreten, war dem Antragsteller eine hinreichender Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung (§ 73a SGG in Verbindung mit § 114 der Zivilprozessordnung - ZPO) kaum abzusprechen. Dem entsprechend hatte die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren und auch für das Beschwerdeverfahren zu erfolgen.
Die Kostenentscheidung beruht bezüglich des Verfahrens auf einstweiligen Rechtsschutz auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG; hinsichtlich der Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe folgt die Entscheidung aus § 73a SGG in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).