Das Ausbleiben einer angekündigten Klagebegründung vermag begründete Zweifel an dem Willen, eine Klage weiterzuführen, hervorrufen.
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens werden nicht erstattet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d
Die Klägerin ist Mutter eines am . 2010 geborenen Kindes. Sie beantragte bei dem Beklagten die Verlängerung der Elternzeit. Mit Bescheid vom 15. März 2013 wurde dies abgelehnt, ihren Widerspruch wies der Beklagte zurück.
Am 30. Dezember 2014 hat die Klägerin Klage erhoben. Ausweislich der Klageschrift war die Begründung einem besonderen Schriftsatz vorbehalten. Nachdem die Klägerin mit der Eingangsverfügung um Begründung ihrer Klage innerhalb von vier Wochen gebeten worden war, ist sie am 31. März 2015 und nochmals am 29. April 2015 daran erinnert worden.
Am 18. Juni 2015 hat die Kammervorsitzende die Klägerin aufgefordert, das Verfahren zu betreiben und die Klage zu begründen. In dem am 20. Juni 2015 zugestellten Schreiben ist darauf hingewiesen worden, dass die Klage als zurückgenommen gilt, wenn die Klägerin das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht betreibt. Die entsprechende Verfügung ist von der Richterin mit vollem Namen unterschrieben, die Begleitverfügung mit Paraphe abgezeichnet worden. Die Klägerin reagierte darauf in der Folge nicht. Mit Abschlussverfügung vom 30. September 2015 ist das Verfahren sodann statistisch ausgetragen worden, worüber die Beteiligten informiert wurden.
Am 31. Dezember 2015 hat die Klägerin, wie sie schreibt, „die Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand“; beantragt, weiterer Sachvortrag folge. Das Gericht wertete dies als Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens. Nachdem es die Beteiligten zu einer möglichen Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört hatte, hat das Sozialgericht durch Gerichtsbescheid vom 30. September 2019 festgestellt, dass der Rechtsstreit durch Klagerücknahme erledigt sei. Die Klage gelte von Gesetzes wegen als zurückgenommen. Zum Zeitpunkt der Betreibensaufforderung vom 18. Juni 2015 habe es begründete Anhaltspunkte für den Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses bzw. des Sachbescheidungsinteresses der Klägerin gegeben. Anhaltspunkte für den Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses könnten sich aus einer Verletzung der prozessualen Mitwirkungspflichten ergeben. Trotz eigener Ankündigung habe die Klägerin die notwendige Klagebegründung nicht übersandt, ohnehin sei ihr Begehren und der konkrete Streitgegenstand des Verfahrens völlig unklar geblieben. Die Betreibensaufforderung sei auch formell ordnungsgemäß und hinreichend bestimmt gewesen. Der Gerichtsbescheid ist der Klägerin am 3. Januar 2020 zugestellt worden.
Am 2. Februar 2020 hat die Klägerin Berufung eingelegt. Die Begründung, hieß es, werde in einem gesonderten Schriftsatz erfolgen, weiterer Sachvortrag sei vorbehalten, eine weitere Begründung ist jedoch nicht erfolgt. Im Frühjahr 2020 hat die Klägerin mitgeteilt, ihr sei ein Betreuer bestellt worden. Diesem ist sodann geraten worden, die Berufung nicht mehr zu begründen, sondern sie vielmehr zurückzunehmen. Daraufhin hat dieser mitgeteilt, er sei bis zur Grenze der uneinsichtigen Selbstschädigung daran gebunden, dem Wunsch des Betreuten zu folgen. Aus diesem Grunde wolle er die Berufung nicht zurücknehmen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Neuruppin vom 30. September 2019 – S 36 EG 1/19 WA – aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hat sich zu der Berufung nicht geäußert.
Die Beteiligten haben am 15. Dezember 2020 erklärt, mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch den Berichterstatter einverstanden zu sein. Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen und des Sachverhalts im Übrigen wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
Das Gericht kann gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch den Berichterstatter entscheiden, die Beteiligten haben sich hiermit einverstanden erklärt.
Die form- und fristgerecht (§§143,144,151 SGG) eingelegte Berufung ist zulässig, Gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts, dass der Rechtsstreit als zurückgenommen gilt, ist das Rechtsmittel statthaft, das auch gegen eine Entscheidung in der Sache selbst einzulegen wäre.
Auf den Wert des Beschwerdegegenstandes kommt es dabei nicht an. Denn Gegenstand des Berufungsverfahrens ist allein die Frage, ob der Rechtsstreit durch Klagerücknahme beendet worden ist, und nicht zugleich der streitige prozessuale Anspruch, der mit Ablauf der in einer (rechtmäßigen) Betreibensaufforderung gesetzten Frist von Gesetzes wegen gerade erlischt (anders aber Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 19. März 2020 – B 4 AS 4/20 R –, Juris). Nur über dieses prozessuale Ereignis trifft die mit der Berufung angegriffene Entscheidung eine Aussage. Falls die Voraussetzungen einer fiktiven Klagerücknahme nicht vorliegen, ist die Entscheidung des Sozialgerichts aufzuheben; das Verfahren, weil nicht beendet, wird sodann vor dem Sozialgericht fortgesetzt, einer Zurückverweisung bedarf es nicht. Erst das dann ergehende Endurteil unterfällt ggf. den Beschränkungen des § 144 SGG.
Die Berufung ist aber unbegründet. Die Voraussetzungen des § 102 Abs. 2 SGG liegen vor. Das Sozialgericht hat zu Recht festgestellt, dass der Rechtsstreit durch Klagerücknahme als erledigt gilt.
Die Klage gilt als zurückgenommen, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht betreibt, § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG. Diese Bestimmung ist wegen ihres Ausnahmecharakters eng auszulegen. Die Anforderungen an das Verhalten eines Rechtsschutzsuchenden, mit dem dieser sein fortbestehendes Interesse an einer gerichtlichen Sachentscheidung zum Ausdruck bringen muss, dürfen nicht überzogen werden (vgl. etwa Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschlüsse vom 5. März 2019 - 2 BvR 12/19 -; und vom 18. März 2019 - 2 BvR 367/19 - und vom 27. Oktober 1998 - 2 BvR 2662/95 -, jeweils Juris). Nur eine rechtmäßige Betreibensaufforderung vermag die Rücknahme der Klage von Gesetzes wegen zu bewirken.
Die formellen Voraussetzungen einer Betreibensaufforderung nach § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG sind hier erfüllt. Sie ist vom der zuständigen Richterin verfügt und mit vollem Namen unterschrieben worden. Dies ergibt sich klar aus einem Vergleich mit der richterlichen Paraphe, mit der die Begleitverfügung abgezeichnet ist. Die Klägerin ist auf die Rechtsfolgen, die eintreten, falls sie der Aufforderung nicht innerhalb der gesetzten Frist nachkommt, hingewiesen worden und diese Betreibensaufforderung ist der Klägerin sodann zugestellt worden. Soweit nach höchstrichterlicher Rechtsprechung auch die zugestellte beglaubigte Abschrift der Betreibensaufforderung den vollen Namen des Richters enthalten muss, damit nach Außen unmissverständlich erkennbar ist, dass die Betreibensaufforderung von ihm stammt (BSG, Urteil vom 1. Juli 2010 – B 13 R 58/09 R –, BSGE 106, 254), ist dem vorliegend ebenfalls Genüge getan.
Im Zeitpunkt des Erlasses der Betreibensaufforderung lagen auch sachlich begründete Anhaltspunkte für den Wegfall des Rechtsschutzinteresses der Klägerin vor.
Hinreichend konkrete Zweifel an einem Fortbestand des Rechtsschutzinteresses können sich etwa aus dem fallbezogenen Verhalten des jeweiligen Klägers ergeben, ebenso aus einer Verletzung prozessualer Mitwirkungspflichten. Stets muss sich aber daraus der Schluss auf ableiten lassen, dass ein Kläger an der weiteren Verfolgung seines Begehrens nicht (mehr) interessiert ist. Ein sicherer, über begründete Zweifel am Fortbestand des Rechtsschutzinteresses hinausgehender Schluss ist jedoch nicht erforderlich (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. September 2012 - 1 BvR 2254/11 -, Juris).
Auch das Ausbleiben einer angekündigten Klagebegründung vermag begründete Zweifel an dem Willen, einen Prozess weiterzuführen, hervorzurufen, wenn dies trotz gerichtlicher Aufforderung unter Fristsetzung sowie nach weiteren Erinnerungen nicht erfolgt (ebenso Bundesverwaltungsgericht, Urteil v. 15. Januar 1991 - 9 C 96.89 -; Landessozialgericht [LSG] Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 27. Juli 2017 - L 29 AS 1328/17 B PKH -; Thüringer LSG, Urteil v. 1. Oktober 2019 - L 6 KR 1156/18 -, jeweils Juris; Burkiczak, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, § 102 SGG [Stand: 17.12.2020], Rn. 63 ff m. w. N.). Die Zweifel an dem Willen, die Klage zu betreiben, erwachsen in einem solchen Fall nicht aus der Verletzung einer gesetzlichen Pflicht - zur Klagebegründung ist ein Kläger nach § 92 Abs. 1 Sätze 3 und 4 SGG nur für den Regelfall verpflichtet -, sondern knüpfen an dem eigenen prozessualen Verhalten des Klägers an. Wird eine Klage, obwohl angekündigt, nicht begründet, ohne dass dies erklärt wird, kann nämlich daraus geschlussfolgert werden, dass ein Kläger in der Zwischenzeit seinen Willen geändert und möglicherweise das Interesse an einer Entscheidung verloren hat. Die Betreibensaufforderung dient der Klärung solcher aufgekommenen, berechtigten Zweifel.
Nach diesen Maßstäben bestanden im Zeitpunkt der Betreibensaufforderung am 17. Juni 2015 hinreichend konkreten Zweifel daran, ob die Klägerin ihre Klage weiterführen wollte. Sie hatte ihre Klage gar nicht begründet, nicht einmal mit wenigen Worten, sondern hatte die Begründung bei Erhebung ihrer Klage „wegen Zahlung des Erziehungsgeldes/Elterngeld“ ausdrücklich angekündigt und einem besonderen Schriftsatz vorbehalten. Schon mit Eingangsverfügung vom 5. Januar 2015 ist die Klägerin deshalb gebeten worden, innerhalb einer Frist von vier Wochen die Klage zu begründen, später ist sie dann mit Verfügungen vom 31. März 2015 und vom 29. April 2015 an die angekündigte Begründung ihrer Klage erinnert worden, allerdings ohne jeden Erfolg.
Angesichts der mehrfach wiederholten Anfragen hätte der Klägerin deutlich werden müssen, dass sie, nachdem sie selbst ausdrücklich eine Klagebegründung angekündigt hatte, sich zumindest äußern muss, um dem Eindruck entgegenzuwirken, sie sei an der Fortführung des Verfahrens nicht mehr interessiert. Die Klägerin hat aber innerhalb der mit der Betreibensaufforderung gesetzten Frist nicht einmal mitgeteilt, warum sie untätig bleibt. Dies gilt umso mehr, als die Klägerin wissen musste, dass sie das Gericht im Unklaren gelassen hat, was überhaupt das genaue Ziel der Klage „wegen Zahlung des Erziehungsgeldes/Elterngeld“ war. Auch unter rechtsschutzfreundlicher Würdigung aller erkennbaren Umstände wird der Gegenstand des Klagebegehrens aus der lediglich eine Zeile umfassenden Klageschrift nicht deutlich.
Weil die Fiktion der Klagerücknahme von Gesetzes wegen eintritt, kommt eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand nicht in Betracht, es sei denn, dass ein Fall höherer Gewalt vorliegt, also etwa bei Naturereignissen und anderen unabwendbaren Zufällen (vgl. Burkiczak, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, § 102 SGG [Stand: 17.12.2020] Rn. 82 m. w. N.). Dafür ist hier nicht einmal ansatzweise etwas ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Voraussetzung für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.