L 1 KR 275/21 B

Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 37 KR 346/17
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 275/21 B
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

Bei einer Beschwerde gegen einen Aussetzungsbeschluss hat das LSG die Rechtsauffassung des SG zu Grund zu legen.

Die Beschwerde des Klägers gegen den Aussetzungsbeschluss des Sozialgerichts Cottbus vom 27. Mai 2021 wird zurückgewiesen.

 

Gründe:

I.

Der Kläger wendet sich gegen einen Aussetzungsbeschluss.

Er ist bzw. war Berufskraftfahrer für LKW und leidet seit Jahren unter anderem an einer zu einer Herzschwäche führenden Kardiomyopathie. Er klagt seit Oktober 2017 beim Sozialgericht Cottbus (SG) auf Verpflichtung der beklagten Krankenkasse zur Gewährung von Krankengeld für die Zeit vom 6. Juni 2016 bis 30. Juni 2016.

Das SG hat im Rahmen seiner Sachaufklärungsbemühungen bei der für den Kläger zuständigen Fahrerlaubnisbehörde Auskünfte erbeten. Diese hat daraufhin im November 2020 ein Verwaltungsverfahren zur Überprüfung der Eignung des Klägers zum Führen von Kraftfahrzeugen eröffnet und den Kläger zur Vorlage eines ärztlichen Gutachtens aufgefordert.

 

Mit Beschluss vom 27. Mai 2021 hat das SG das Verfahren bis zum Abschluss dieses Verwaltungsverfahrens ausgesetzt.

 

Gegen diesen ihm am 25. Juni 2021 zugestellten Beschluss richtet sich die Beschwerde des Klägers vom 13. Juli 2021: Die Aussetzung sei nur vermeintlich notwendig. Das SG könne Einsicht in die Akten der Fahrerlaubnisbehörde nehmen. Die jetzige Prüfung dieser Stelle habe keinen Einfluss auf die Klärung des medizinischen Sachverhaltes in der Vergangenheit. Sie erleichtere deshalb weder dem SG die Arbeit, noch sei eine Sachverhaltsaufklärung zu erwarten. Die Aussetzung verzögere nur das bereits seit 2017 anhängige belastende Gerichtsverfahren.

 

Der Kläger beantragt,

 

den Beschluss des Sozialgerichts Cottbus vom 27. Mai 2021 aufzuheben.

 

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Beschwerde zurückzuweisen.

 

II.

 

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts zur Aussetzung des Verfahrens nach § 114 Abs. 2 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist zulässig, jedoch unbegründet. Der Senat weist sie aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück (§ 142 Abs. 1 Satz 3 SGG).

 

Das SG hat das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 114 Abs. 2 S. 1 SGG zu Recht bejaht.

Hängt die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses ab, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsstelle festzustellen ist, so kann das Gericht anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsstelle auszusetzen sei (§ 114 Abs. 2 S. 1 SGG). Eine Vorgreiflichkeit in diesem Sinne liegt nicht nur dann vor, wenn das angerufene Gericht gehindert ist, über die betreffende Vorfrage selbst zu entscheiden. Denn dann muss zwingend ausgesetzt werden. Die Vorschrift räumt dem Sozialgericht jedoch Ermessen ein. Ausreichend ist deshalb ein tatsächlicher Einfluss durch das andere Verfahren, zum Beispiel, weil hierdurch Grundlagen für die Beweiswürdigung zu erwarten sind. Das andere Verfahren muss eine zumindest teilweise präjudizielle Bedeutung haben (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16. Januar 2018 – L 20 SO 467/17 B –, juris-Rdnr. 12, Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. A. 2020 § 114 Rdnr. 2, Haupt/Wehrhahn in: Fichte/Jüttner, SGG, 3. Aufl. 2020, § 114 SGG, Rdnr. 4).

Das SG hat im angefochtenen Beschluss zutreffend ausgeführt, dass die Eignung des Klägers zum Führen von Kraftfahrzeugen, die hier aufgrund der Herzinsuffizienz als Folge der Kardiomyopathie des Klägers fraglich ist, durch die zuständige Verwaltungsbehörde, einer Verwaltungsstelle im Sinne des § 114 Abs. 2 S. 1 SGG aktuell geprüft wird, weil nach den bisherigen ärztlichen Befunden möglicherweise eine Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen nach Anlage 4 Nr. 4.4.2 oder 4.5.3 Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV) ausscheidet. Wie das SG weiter dargelegt hat, kommt der aktuellen medizinischen Klärung dieser Frage auch Bedeutung für die Vergangenheit zu, weil die Kardiomyopathie des Klägers nach dem bisherigen Akteninhalt und den eigenen Angaben schon seit längerem unverändert besteht. Dem Kläger steht Krankengeld für den streitgegenständlichen Zeitraum nicht zu, wenn er in den vergangenen drei Jahren bereits achtundsiebzig Wochen Krankengeld aufgrund seiner Herzschwäche erhalten hat, § 48 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V). Beide Beteiligten gehen hier übereinstimmend davon aus, dass es hierbei darauf ankommt, ob die Arbeitsunfähigkeit in der Zeit 2015 bis Mai 2016 nicht (auch) auf der Kardiomyophatie beruht hat.

 

Auch die Annahme des SG, dass ein Zusammenhang zwischen einer Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen aus medizinischem Grund und der Arbeitsunfähigkeit im Sinne des § 44 Abs. 1 S. 1 SGB V, besteht, ist tragfähig. Der Krankengeldanspruch erfordert, dass die Arbeitsunfähigkeit durch Krankheit verursacht wird. Bei einem Berufskraftfahrer kann dies bejaht werden, wenn die Krankheit zur Nichteignung führt, auch wenn ein Fahrverbot erst besteht, wenn die Fahrerlaubnis nach § 46 FeV entzogen wird.

Der Senat ist als Beschwerdegericht nicht zu einer Prüfung der materiell-rechtlichen Rechtsauffassung des SG befugt ist (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 23. Mai 2014 – L 4 KR 553/14 B –, juris-Rdnr 17 mit Bezugnahme auf Beschluss des hiesigen Senats vom 15. November 2012 - L 1 KR 421/12 B -, jeweils zu § 114 Abs. 3 SGG). Denn der Aussetzungsbeschluss ist Teil der Verfahrensführung durch das Gericht erster Instanz. Die Sachaufklärung als entscheidungsvorbereitende Prozessleitung unterliegt auch nach der Systematik des SGG (vgl. § 172 Abs. 2 SGG) vor Abschluss der ersten Instanz nicht der Kontrolle durch das Beschwerdegericht. Ob hiervon eine Ausnahme für den Fall einer unvertretbaren oder offenkundig rechtsirrigen Auffassung des SG zu machen ist, bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung.

 

Die Überprüfung der Ermessensentscheidung des SG ist aus dem selben Grund auf Ermessensfehler beschränkt.

Die Beschwerde könnte hier deshalb nur Erfolg haben, wenn der Ermessensfreiraum so reduziert wäre, dass eine Aussetzung zwingend ausscheidet (vgl. BSG, Beschluss vom 18. Oktober 2016 – B 1 KR 74/16 B –, Rdnr. 5 mit weit. Nachw. zum umgekehrten Fall eines Begehrens auf Aussetzung; Beschluss des Senats vom 15. November 2012, juris-Rdnr. 7; a. A. Keller, a. a. O. Rdnr. 14) oder Ermessen überhaupt nicht ausgeübt wurde (LSG Bayern, Beschluss vom 10. Januar 2017 – L 13 R 517/16 B –, juris-Rdnr. 13).

Ermessensfehler sind hier nicht ersichtlich. Das SG hat alle Argumente bei seiner ausdrücklichen Ermessensentscheidung berücksichtigt und abgewogen, also die lange Verfahrensdauer und deren Verlängerung, welche den Kläger belasten, dem zu erwartenden Vorteil einer verbesserten („substanziellen“) Sachaufklärung gegenübergestellt.

 

Eine Kostenentscheidung hatte nicht zu ergehen. Das Beschwerdeverfahren gegen den Aussetzungsbeschluss ist kein eigenes Verfahren oder ein eigener Verfahrensabschnitt, sondern nur ein Zwischenstreit im noch anhängigen Rechtsstreit (so bereits Beschluss des Senats vom 15. November, juris-Rdnr. 8 mit Bezugnahme auf LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 22. August 2006 – Az. L 8 AL 2352/06 B).

 

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 Sozialgerichtsgesetz).

Rechtskraft
Aus
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