L 18 AL 69/18

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
18.
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 62 AL 1279/16
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 AL 69/18
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 11. April 2018 wird zurückgewiesen.

 

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

            Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

 

Die Klägerin war in der Zeit vom 1. Mai 2015 bis 31. Dezember 2015 bei dem unter der Zusatzbezeichnung L auftretenden Bauunternehmer (Trockenbau) M J G (G) als Sekretärin beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis wurde mit Aufhebungsvertrag vom 20. Januar 2016 zum 31. Dezember 2015 beendet. Die Klägerin ging für die Zeit ab 1. Januar 2016 ein Arbeitsverhältnis mit der L B C GmbH (LBC), vertreten durch den in W (Polen) ansässigen Geschäftsführer L K (K), ein (Arbeitsvertrag vom 20. Januar 2016). Das Arbeitsverhältnis wurde einvernehmlich zum 29. Februar 2016 aufgehoben (Aufhebungsvertrag vom 23. Februar 2016). Die LBC ist eine mit Gesellschaftsvertrag vom 10. Dezember 2015 errichtete und seit dem 12. Januar 2016 im Handelsregister eingetragene Gesellschaft mit Geschäftsadresse in der M Chaussee  in  B, die Baulogistik, Hoch- und Tiefbau, Innenausbau, Straßenausbauarbeiten, Elektroarbeiten, Klempnerarbeiten sowie den Kauf und die Vermietung von Gebäuden sowie Containern (Wohncontainer) zum Gegenstand hat. Vom 1. März 2016 bis 15. April 2016 war die Klägerin erneut bei G beschäftigt, dessen Betrieb nach Auskunft aus dem Gewerberegister zum 31. März 2016 eingestellt wurde. Mit Beschluss des Amtsgerichts Charlottenburg vom 23. Mai 2016 - 36g IN 2382/16 - wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des G eröffnet.

 

Ab 16. April 2016 ging die Klägerin wiederum ein Beschäftigungsverhältnis mit der LBC ein (Arbeitsvertrag vom 11. April 2016). Mit Schreiben vom 23. Mai 2016 kündigte sie das Arbeitsverhältnis zum 31. Mai 2016 und führte aus: Sie habe das ihr laut Aufhebungsvertrag vom 23. Februar 2016 für Januar und Februar 2016 zustehende Gehalt in Höhe von (iHv) 3.230,- € nicht erhalten. Die LBC werde aufgefordert, für April 2016 das Gehalt iHv 675,- € brutto und Reisekosten iHv 600,- € sowie für Mai 2016 das Gehalt iHv 1.350 € brutto und Reisekosten iHv 600,- € zu zahlen.

 

Unter dem 31. Mai 2016 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Bewilligung von Insolvenzgeld. In dem sich auf die Beschäftigung bei G beziehenden Antrag gab sie an, sie habe erstmalig für April 2016 nach Einstellung der Betriebstätigkeit zum 31. März 2016 wegen Zahlungsunfähigkeit des G kein Arbeitsentgelt erhalten. Mit dem sich auf die Beschäftigung bei der LBC beziehenden Antrag erklärte sie, für die LBC sei am 31. Mai 2016 ein Insolvenzverfahren beantragt worden. Bei der LBC sei sie als Sekretärin beschäftigt gewesen. Am 4. Juli 2016 schloss die Klägerin im bzw. im Anschluss nach einem Sitzungstermin vor dem Arbeitsgericht (ArbG) Berlin (54 Ca 7245/16) mit der LBC, für die G aufgrund einer Vollmacht des K aufgetreten war, einen Vergleich auf Widerruf, mit dem sich die LBC unter Vereinbarung einer Ratenzahlung ab 20. September 2016 verpflichtete, zum Ausgleich der für die Zeit zum 1. Januar 2016 bis 29. Februar 2016 eingeklagten Entgeltforderungen einen Betrag iHv 3.230,- € zu zahlen und das Arbeitsverhältnis für die Kalendermonate Mai sowie anteilig im April 2016 ordnungsgemäß nachträglich auf der Grundlage eines Bruttomonatsgehaltes iHv. 1.950,- € (zunächst war ein Betrag iHv 2.925,- € angegeben worden) abzurechnen sowie sich den daraus ergebenden Nettobetrag unter Berücksichtigung etwaiger Forderungsübergänge zur Auszahlung zu bringen. Mit Schreiben vom 14. Juli 2016 übersandte die Klägerin der Beklagten das Protokoll der Sitzung des ArbG vom 4. Juli 2016 und merkte an, sie glaube nicht, dass sie Geld bekomme, da das Büro „beider Firmen“ seit 30. Juni 2016 nicht mehr existiere. G fliege Ende des Monats wegen Mietrückständen aus der Wohnung. Sie übersandte ferner eine E-Mail ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 16. Juni 2016, in der es u.a. heißt:

„Nach meinem Kenntnisstand besteht der Anspruch auf Insolvenzausfallgeld auch, wenn der Arbeitgeber seine Geschäftstätigkeit eingestellt hat. Dies dürfte hier der Fall sein. Argumentieren Sie beim AA, dass die GmbH nach der Eintragung ins HR gar keine Geschäftstätigkeit entfaltet hat.“

 

Mit dem der LBC öffentlich zugestellten Beschluss vom 19. Juli 2016 - 54 Ca 7245/16 stellte das ArbG Berlin unter Bezugnahme auf einen mit dem Widerruf des Vergleichs vom 4. Juli 2016 vorgelegten Vergleichsvorschlag der Klägerin vom 7. Juli 2016 das Zustandekommen eines Vergleichs fest, in dem das für die Abrechnung der Monate April und Mai 2016 maßgebliche Bruttomonatsgehalt nunmehr (nur noch) mit 1.350,-€ angegeben wurde. Neu eingefügt wurde eine Bestimmung, wonach die Beklagte sich zur Zahlung von 900,- € netto zum Ausgleich der Reisekosten für die Monate April und Mai 2016 verpflichtete; im Übrigen verblieb es bei den am 4. Juli 2016 getroffenen Bestimmungen.

 

Die Beklagte lehnte den die Beschäftigung bei der LBC betreffenden Insolvenzgeldantrag mit Bescheid vom 27. Juli 2016 ab und führte aus: Ein Insolvenzereignis habe bei diesem Unternehmen nicht festgestellt werden können. Im Widerspruchsverfahren trug die Klägerin vor: Beide Arbeitgeber hätten sich in Zahlungsschwierigkeiten befunden. Die LBC sei noch nicht voll geschäftstüchtig gewesen und hätte noch keine Arbeit aufgenommen. Beide Firmen hätten keinen Sitz mehr in Berlin. Alle Beteiligten befänden sich in Polen. Sie habe gearbeitet, aber kein Geld erhalten.

 

Die Beklagte wies den Widerspruch mit dem am 15. August 2016 abgesandten Widerspruchsbescheid vom selben Tag zurück und führte aus: Ein Insolvenzereignis sei nicht festzustellen, insbesondere nicht die vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit der LBC. Von der LBC sei kein Insolvenzantrag gestellt worden. Hinzu komme, dass die Arbeitsvertragsparteien vor dem ArbG einen Vergleich im Hinblick auf ausstehende Zahlungen von Arbeitsentgelt geschlossen hätten und die Klägerin somit einen vollstreckbaren Titel habe; von einer Betriebseinstellung bzw. einer Insolvenz der GmbH sei auch im arbeitsgerichtlichen Verfahren im Übrigen keine Rede gewesen. Mit Bescheid vom 16. August 2016 wurde der Klägerin Insolvenzgeld für die Zeit vom 1. April 2016 bis 15. April 2016 iHv 508,73 € bewilligt.

 

Die Klägerin hat am Montag, den 19. September 2016, Klage erhoben und vorgetragen: Wegen ihres Gehalts sei sie immer wieder vertröstet worden. Die monatliche Reisepauschale von 600,- € netto ab April 2016 sei mündlich vereinbart worden. Bis zum Ausscheiden am 31. Mai 2016 sei von der LBC kein Bauauftrag aufgeführt worden. G habe vorgehabt, die LBC, deren Minderheitsgesellschafter er gewesen sei, ab Herbst 2016 selbst zu übernehmen und die Betriebstätigkeit wiederaufzunehmen, weshalb er auch den arbeitsrechtlichen Rechtsstreit mit ihr habe gütlich beilegen wollen. Nicht zuletzt deshalb sei im Vergleich eine Ratenzahlung erst ab September 2016 vereinbart worden. Die LBC sei Ende 2015 mit einem Stammkapital iHv 25.000,- € gegründet worden mit dem Zweck, Bauaufträge durchzuführen und zu betreuen. Kurz nach ihrer Gründung habe sie eine Zusage für den Bau von zwei Einfamilienhäusern in Düsseldorf erhalten. Kurze Zeit danach sei über G ein weiterer Auftrag zum Bau von Produktions- und Lagerhallen in Hannover hereingeholt worden. Im Frühjahr 2016 habe sich die LBC auch am Bewerbungsverfahren des LAGESO Berlin für die Lieferung von Wohncontainern für Flüchtlinge beteiligt. Es sei hierbei um ein Auftragsvolumen von ca. 15.000.000,- € gegangen. Sie - die Klägerin - habe für diese Projekte die Korrespondenz geführt, die Buchführung vorbereitet und behördliche Angelegenheiten erledigt. Später habe sie erfahren, dass aus allen Projekten nichts geworden sei. Da es nicht gelungen sei, neue Bauaufträge zu besorgen, seien die Hauptinvestoren nicht bereit gewesen, Nachschusskapital zur Verfügung zu stellen. Etwa ab Mitte April habe die LBC ihre Verbindlichkeiten nicht bzw. nicht vollständig bedienen können.

 

Das Sozialgericht (SG) Berlin hat die Klage mit Urteil vom 11. April 2018 abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt: Die zulässige Klage sei unbegründet. Der Klägerin stehe der mit der Klage verfolgte Anspruch auf Insolvenzgeld für die Zeit vom 16. April 2016 bis 31. Mai 2016 nicht zu. Nach § 165 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - (SGB III) hätten Arbeitnehmer Anspruch auf Insolvenzgeld, wenn sie im Inland beschäftigt waren und beim Insolvenzereignis für die vorausgegangenen drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt hätten. Als Insolvenzereignis gelte gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 SGB III 1. die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers, 2. die Abweisung des Antrages auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse oder 3. die vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland, wenn ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht gestellt worden sei und ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht komme. Die Voraussetzungen der einzig in Betracht kommenden Konstellation nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB III lägen nicht vor.

 

Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter und trägt ergänzend vor: Das angegriffene Urteil lasse eine angemessene Begründung völlig vermissen. Es sei widersprüchlich, wenn die Beklagte im Widerspruchsbescheid behaupte, eine vollständige Einstellung der Betriebstätigkeit sei nicht festzustellen gewesen, und im erstinstanzlichen Verfahren dann vortrage, dass tatsächlich nie eine dem Betriebszweck dienende Tätigkeit ausgeübt worden sei. Es sei nicht ersichtlich, ob die Beklagte zum Bespiel etwaige Beitrags- und Steuerrückstände bei dem üblichen Einzugsstellen überhaupt erfragt gehabt habe. Hätte die Beklagte den Sachverhalt rechtkonform ermittelt, so hätte sie unter anderem in Erfahrung gebracht, dass der Arbeitgeber der Klägerin hinsichtlich des hier streitbefangenen Zeitraumes bei der Krankenkasse erhebliche Beitragsrückstände gehabt hätte, welche über den 31. Mai 2016 hinaus offenbar nicht beglichen worden seien. Dies sei ein weiteres Indiz für die zum 31. Mai 2016 vorliegende Masselosigkeit des Arbeitgebers der Klägerin. Zusammen mit weiteren Tatsachen bzw. Indizien (unter anderem Nichtzahlen von Gehalt, Mietschulden, Steuern usw.) begründe dies die Annahme, dass zum 31. Mai 2016 sehr wohl ein Insolvenzereignis nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB III vorgelegen habe. Für das Bewerbungsverfahren in Sachen Wohncontainer für Flüchtlinge seien umfangreiche Unterlagen erstellt und eingereicht worden (u. a. Modellentwürfe für Containerbau nebst detaillierter Preiskalkulation).

 

Die Klägerin beantragt,

 

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 11. April 2018 sowie den Bescheid der Beklagten vom 27. Juli 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. August 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin für die Zeit vom 16. April 2016 bis zum 31. Mai 2016 Insolvenzgeld zu gewähren.

 

Die Beklagte beantragt,

 

                        die Berufung zurückzuweisen.

 

Die Beklagte trägt vor: Der Tatbestand des § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB III setze voraus, das eine dem Betriebszweck dienende Tätigkeit aufgenommen und anschließend wieder vollständig beendet worden sei. Nach den Angaben des Prozessbevollmächtigten vom 16. Juni 2016 und den Angaben der Klägerin in ihrem Widerspruch vom 10. August 2016 sei davon auszugehen, dass die LBC überhaupt keine dem Betriebszweck dienende Geschäftstätigkeit entfaltet habe. Mithin habe auch keine Betriebstätigkeit wieder beendet werden können. Selbst wenn ein Insolvenzereignis hinsichtlich der LBC festgestellt werden könnte, sei gleichwohl die Höhe der der Klägerin entgangenen Ansprüche auf Arbeitsentgelt nicht erkennbar. Das arbeitsvertraglich vereinbarte Arbeitsentgelt von 1.350,00 € weiche von den im arbeitsgerichtlichen Vergleich vom 4. Juli 2016 festgelegten Ansprüchen und ebenso von den in der Klageschrift genannten Beträgen erheblich ab. Aus den arbeitsvertraglichen Vereinbarungen sei insbesondere nicht ersichtlich, dass die Klägerin auch Ansprüche auf eine Reisekostenpauschale gehabt habe, noch sei ersichtlich, dass die Klägerin dienstliche Reisen durchgeführt hätte, die diese Reisekostenpauschale gerechtfertigt hätte.

 

Der Senat hat G als Zeugen zur Betriebstätigkeit und zu den Vermögensverhältnissen der LBC vernommen. Wegen des Inhalts dieser Zeugenaussage wird auf die Anlage zum Sitzungsniederschrift der mündlichen Verhandlung vom 5. Mai 2021 verwiesen.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten nebst Beiheft (Kopien aus den Gerichtsakten 54 Ca 7245/16 - [ArbG Berlin] sowie die Verwaltungsakten der Beklagten (3 Vorgänge) verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

 

Entscheidungsgründe

 

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

 

Die erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4 Sozialgerichtsgesetz –SGG -; vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 9. Juni 2017 - B 11 AL 14/16 R - juris - Rn. 11) ist unbegründet. Das SG hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung von Insolvenzgeld nach dem SGB III für den streitgegenständlichen Zeitraum 16. April 2016 bis 31. Mai 2016. Der angefochtene Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 27. Juli 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. August 2016 ist nicht zu beanstanden.

 

Nach § 165 Abs. 1 Satz 1 iVm Satz 2 SGB III haben Arbeitnehmerinnen Anspruch auf Insolvenzgeld, wenn sie im Inland beschäftigt waren und bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen ihres Arbeitgebers (Nr. 1), Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse (Nr. 2) oder vollständiger Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland, wenn ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht gestellt worden ist und ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt (Nr. 3) für die vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben.

 

Ausgefallen ist Arbeitsentgelt iSd § 165 Abs. 1 Satz 1 SGB III, wenn es beim Eintritt des Insolvenzereignisses rückständig und durchsetzbar und dem Insolvenzgeldzeitraum zeitlich zuzuordnen ist. Die Klägerin hatte rückständige Arbeitsentgeltansprüche aus dem Arbeitsverhältnis mit der LBC für den streitbefangenen Zeitraum, welche allerdings höchstens in dem Umfang, wie sie im Vergleich vom 19. Juli 2016 zugestanden worden waren, bestanden haben können (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22. Januar 2020 - L 18 AL 120/18 -, juris).

 

Die weiteren Voraussetzungen für einen Anspruch der Klägerin auf Insolvenzgeld sind nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens zur Überzeugung des Senats indes nicht mit der erforderlichen Sicherheit festzustellen. Insofern begründet nicht jeder Ausfall von Arbeitsentgelt aufgrund vermeintlicher Zahlungsunfähigkeit einen solchen Anspruch, sondern nur die in § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 3 SGB III umschriebenen Insolvenzereignisse der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, der Ablehnung des Insolvenzantrags mangels Masse und der vollständigen Beendigung der Betriebstätigkeit wegen Vermögenslosigkeit. Im Hinblick auf das einzig in Betracht zu ziehende Insolvenzereignis des § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB III ist erforderlich, dass die dort genannten tatbestandlichen Voraussetzungen kumulativ vorliegen, also die vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit des Arbeitgebers im Inland, ein fehlender Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens und offensichtliche Masselosigkeit. Hier dürfte zwar feststehen, dass ein Insolvenzantrag für die LBC nicht gestellt worden ist. Es fehlen indes hinreichende Anhaltspunkte für eine vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit der LBC. Denn – wie die Beklagte zutreffend dargelegt hat – kann von einer Beendigung der Betriebstätigkeit begrifflich nur dann die Rede sein, wenn zuvor eine Betriebstätigkeit aufgenommen worden war.

 

Eine Aufnahme der Betriebstätigkeit liegt dann vor, wenn erstmals eine unmittelbar auf berufsmäßigen Erwerb gerichtete und der Gewinnerzielung dienende Handlung mit Außenwirkung vorgenommen wird oder wenn zumindest Vorbereitungshandlungen mit Außenwirkung vorliegen, die nach dem zugrundeliegenden Gesamtkonzept ernsthaft und unmittelbar auf die spätere Geschäftseröffnung ausgerichtet sind (vgl. zur Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12. Februar 2014 - L 18 AL 155/12 - juris Rn. 20 mwN). Am Vorliegen dieser Voraussetzungen bestehen nach den Angaben der Klägerin und des Zeugen erhebliche Zweifel. Bei der LBC handelte es sich zwar um eine seit 12. Januar 2016 ins Handelsregister eingetragene Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die nach den insoweit plausiblen Angaben des für sie aufgrund von Vollmachten des Geschäftsführers K agierenden G und der zeitweise bei ihr formal angestellten Klägerin zumindest bis 31. Mai 2016 über ein ihr von G überlassenes Büro verfügte. Unstreitig hat die LBC zu keinem Zeitpunkt Bauvorhaben durchgeführt oder Wohncontainer geliefert. Der Senat konnte sich auch nicht in vollem Umfang davon überzeugen, dass die von der Klägerin und dem Zeugen G für die angebliche Betriebstätigkeit der LBC benannten und letztlich gescheiterten Projekte, welche in der Zeit von Oktober 2015 bis zum Sommer 2016 unter Mitwirkung der Klägerin verfolgt worden sind (Bau einer Halle in Hannover bzw. Schwarmstedt, Lieferung von Wohncontainern für Flüchtlinge sowie der in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nicht mehr erinnerte Bau von zwei Einfamilienhäusern in Düsseldorf), von der LBC angestoßen und vorangetrieben worden sind. Aus den sich widersprechenden Angaben der Klägerin und des G ergibt sich kein klares Bild hinsichtlich der Frage, ob G die angeführten Projekte für die LBC oder für sein eigenes Bauunternehmen verfolgt hat. So hat die Klägerin behauptet, sie sei im Auftrag der LBC mit G nach Hannover zur Vertragsunterzeichnung gereist. Hingegen hat G angegeben, den Vertrag für das Hallenprojekt noch als Einzelunternehmer unterschrieben zu haben. Soweit G behauptet hat, das Hallenprojekt sei nachträglich von der LBC übernommen worden, gibt es hierfür - wie auch im Übrigen für die weiteren vorgeblichen Projekte - keinerlei Belege.

 

Lässt sich nach der Beweisaufnahme nicht zur vollen Überzeugung des Senats eine Aufnahme der Betriebstätigkeit der LBC feststellen, so kann der Senat auch keine vollständige Einstellung der Betriebstätigkeit dieser Gesellschaft feststellen. Insofern bestehen zwar Anhaltspunkte dafür, dass die LBC spätestens ab Juli 2016 nicht (mehr) über ein Büro verfügte und sich im Übrigen sämtliche von G verfolgten Geschäftsideen zerschlagen hatten mit der Folge, dass sich G im Juni 2016 arbeitsuchend gemeldet hatte. Allein aus diesen Umständen lässt sich indes nicht der Schuss ziehen, dass die LBC ihre - insoweit unterstellte - Betriebstätigkeit endgültig eingestellt hatte. Bei Abschluss des arbeitsgerichtlichen Vergleiches im Juli 2016 ging die Klägerin nach ihrem eigenen Bekunden davon aus, dass G anstrebte, die LBC im Herbst 2016 zu „übernehmen“, woraus sich auch die im Vergleich erfolgte Verständigung auf eine erst im September 2016 beginnende ratenweise Zahlung des ausstehenden Arbeitsentgelts erklärt. Zudem hat der Zeuge G im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat erklärt, er könne zwar aufgrund seines Rückzugs aus deren Geschäftsbetrieb im Juni 2016 nichts über weitere Projekte der LBC berichten, als Mitgesellschafter warte er aber weiterhin auf den Geschäftsabschluss der nach wie vor existierenden LBC. Diese schulde ihm noch Geld. Nach alledem erscheint es nicht ausgeschlossen, dass die LBC ihre vorgebliche Betriebstätigkeit über den 31. Mai 2016 hinaus weiterhin fortgeführt hat.

 

Der Senat kann schließlich auch nicht feststellen, dass die LBC am 31. Mai 2016 offensichtlich vermögenslos war, sodass eine Masseunzulänglichkeit vorlag. Für eine positive Beantwortung der Frage, ob zum Zeitpunkt der - hier unterstellten - Betriebseinstellung der LBC die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht gekommen war, genügt es zwar, wenn alle äußeren Tatsachen und insofern der Anschein für eine Masseunzulänglichkeit gesprochen haben. Es muss insoweit nicht letzte Klarheit darüber bestehen, ob eine den Kosten des Insolvenzverfahrens entsprechende Masse vorhanden ist oder nicht. Maßgeblich ist, ob sich aus äußeren Tatsachen für einen unvoreingenommenen Betrachter der Eindruck ergibt, dass ein Insolvenzverfahren mangels Masse nicht in Betracht kommt. Die Masselosigkeit muss dabei vor oder gleichzeitig mit der vollständigen Beendigung der Betriebstätigkeit eintreten; eine spätere Masselosigkeit ist nicht ausreichend (vgl. BSG, Urteil vom 4. März 1999 - B 11/10 AL 3/98 R -, juris). Dies kann der Fall sein, wenn unter Hinweis auf die Zahlungsunfähigkeit kein Arbeitsentgelt mehr gezahlt, die Betriebstätigkeit eingestellt und kein Insolvenzantrag gestellt wird (vgl. BSG, Urteil vom 23. November 1981 - 10/8b RAr 6/80 = SozR 4100 § 141b Nr. 21). Weitere Indizien können in zahlreichen arbeitsgerichtlichen Versäumnisurteilen auf Lohnzahlung, erfolglos gebliebenen Zwangsvollstreckungen, eidesstattlichen Versicherungen oder einer Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen gesehen werden. Dass ein Arbeitgeber Schulden in großer Höhe gemacht und sich abgesetzt hat, ohne sie zu begleichen, ist dagegen allein kein Grund für die Annahme einer offensichtlichen Masselosigkeit, da zwischen Zahlungsunwilligkeit und Zahlungsunfähigkeit zu unterscheiden ist (vgl. BSG, Urteil vom 22. September 1993 - 10 RAr 9/91 = SozR 3-4100 § 141b Nr. 7 - Rn. 27). Allein aus einer Zahlungsunwilligkeit kann nicht auf eine offensichtliche Masselosigkeit geschlossen werden. Kann nicht festgestellt werden, ob Zahlungsunfähigkeit oder (nur) Zahlungsunwilligkeit vorlagen, geht die Ungewissheit zu Lasten des Antragstellers. So liegt es hier. Als Indiz für eine Masselosigkeit lässt sich allenfalls die Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen feststellen. Indes hat die LBC eine Zahlungsunfähigkeit nie eingestanden und sie hat noch nicht einmal ihre Zahlungsunwilligkeit offen bekundet. Mit dem Abschluss des Vergleichs vom 19. Juli 2016 hat sie vielmehr den Eindruck erweckt, zahlungsfähig und -willig zu sein.

 

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.

 

Rechtskraft
Aus
Saved