L 18 AS 2267/18

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
18.
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 31 AS 1599/17
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 AS 2267/18
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

 

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 26. Oktober 2018 geändert. Die Klage wird in vollem Umfang abgewiesen.

 

Außergerichtliche Kosten sind im gesamten Verfahren nicht zu erstatten.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 

Streitig ist im Zugunstenverfahren nach § 44 Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) – die Höhe der zu erstattenden Rechtsanwaltsgebühren für ein isoliertes Vorverfahren wegen einer Mahngebühr.

 

Der seinerzeit im Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) stehende Kläger war von der Bundesagentur für Arbeit (BA) unter Verhängung einer Mahngebühr von 18,- € aufgefordert worden, innerhalb einer Woche einen Gesamtbetrag von 3.542,37 € zu zahlen, der seit dem 31. März 2014 fällig sei und aus Bescheiden des Beklagten, des für den Kläger zuständigen Jobcenters, vom 10. Februar 2014 resultiere. Bleibe die Zahlung aus, werde die mit weiteren Kosten verbundene zwangsweise Einziehung veranlasst (Schreiben vom 14. April 2014). Der Kläger erhob, vertreten durch seinen Bevollmächtigten, Widerspruch gegen die Erhebung der Mahngebühren und machte geltend, Erstattungsbescheide vom 10. Februar 2014 lägen ihm nicht vor (Schreiben vom 18. April 2014). Dem folgend hob die BA die Festsetzung der Mahngebühr auf und anerkannte dem Grunde nach die Übernahme der im Widerspruchsverfahren entstandenen Kosten, soweit sie notwendig waren und nachgewiesen würden (Abhilfebescheid vom 15. Juli 2014).

 

Während der Bevollmächtigte des Klägers im nachfolgenden Erstattungsverfahren unter Einbeziehung ua einer Geschäftsgebühr nach § 3 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) iVm Nr 2302 Vergütungsverzeichnis (VV) zum RVG iHv 300,- € Kosten von insgesamt 380,80 € geltend gemacht hatte (vgl Kostenrechnung vom 9. August 2014), anerkannte die BA unter Berücksichtigung einer Geschäftsgebühr von 50,- € einen Betrag von insgesamt 71,40 € als notwendige Aufwendungen. Die Erhebung lediglich einer Geschäftsgebühr von 50,- € (Mindestgebühr) sei angemessen. Die rechtliche Schwierigkeit und der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit seien als unterdurchschnittlich, die Bedeutung der Angelegenheit für den Kläger allenfalls als durchschnittlich zu bewerten (Kostenfestsetzungsbescheid vom 21. August 2014).

 

Im März 2016 beantragte der Kläger die Überprüfung des Kostenfestsetzungsbescheides vom 21. August 2014. Er machte nunmehr eine Geschäftsgebühr (nur) noch iHv 150,- € geltend. Der Widerspruch habe auch dazu gedient, die Vollstreckung aus der geltend gemachten Forderung einzuleiten. Mit Bescheid vom 8. Februar 2017 lehnte die BA den Antrag als unzulässig ab, weil es sich bei dem Erstattungsanspruch nach § 63 SGB X nicht um eine Sozialleistung iSv § 44 Abs. 1 SGB X handele. Auch § 44 Abs. 2 SGB X komme nicht zum Tragen, weil der Kostenerstattungsanspruch nach § 63 SGB X auf den Regelungen des RVG beruhe. Den Widerspruch des Klägers wies der Beklagte unter Bezugnahme auf § 90 SGB X zurück (Widerspruchsbescheid vom 15. Juni 2017).

 

Das Sozialgericht (SG) Cottbus hat auf die gegen die BA (Beklagte des erstinstanzlichen Verfahrens) und den Beklagten gerichtete Klage den Beklagten unter Abweisung der Klage im Übrigen entsprechend dem vom Kläger zuletzt gestellten Hilfsantrag verurteilt, unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide den Überprüfungsantrag „inhaltlich ermessensfehlerfrei“ zu bescheiden (Urteil vom 26. Oktober 2018). Zwar scheide ein Anspruch aus § 44 Abs. 1 SGB X aus, weil es sich bei dem Anspruch aus § 63 SGB X nicht um eine Sozialleistung iSv § 11 Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – (SGB I) handele. Gemäß § 44 Abs. 2 Satz 2 SGB X bestehe aber ein Anspruch des Klägers auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über seinen Kostenfestsetzungsantrag. Hier habe „die Beklagte“ indes gar kein Ermessen ausgeübt.

 

Mit der vom SG zugelassenen Berufung wendet sich der Beklagte gegen dieses Urteil. Auch der Hilfsantrag des Klägers sei nicht begründet.

 

Der Beklagte beantragt,

 

das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 26. Oktober 2018 zu ändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

 

Der Kläger beantragt nach seinem Vorbringen,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

 

Der Verwaltungsvorgang des Beklagten und die Gerichtsakte haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

 

Entscheidungsgründe

 

Die Berufung des Beklagten ist begründet. Dem Kläger steht der – im Hinblick auf die im Übrigen rechtskräftig erfolgte Klageabweisung durch das SG – allein noch streitgegenständliche Anspruch auf ermessensfehlerfreie Neubescheidung seines Antrags auf Überprüfung des Kostenfestsetzungsbescheides der BA vom 21. August 2014 jedenfalls gegenüber dem Beklagten nicht zu. Eine Verurteilung der BA (der Beklagten zu 1. des erstinstanzlichen Verfahrens) scheidet aus, weil gegen die insoweit klageabweisende Entscheidung des SG kein Rechtsmittel eingelegt worden ist und das Urteil insoweit in Rechtskraft erwachsen ist. Die BA ist auch nicht (mehr) Beteiligte des Berufungsverfahrens, da sie weder Berufungsklägerin noch Berufungsbeklagte und auch keine Beigeladene des Verfahrens ist (vgl § 69 Sozialgerichtsgesetz <SGG>).

 

Einzig in Betracht kommende Rechtsgrundlage für den allein noch streitigen Anspruch auf Neubescheidung des Antrags auf Überprüfung des Kostenfestsetzungsbescheides der BA vom 21. August 2014  ist § 44 Abs. 2 Satz 2 SGB X. Ein Rücknahmeanspruch aus § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X scheidet schon deshalb aus, weil es sich bei dem Kostenerstattungsanspruch aus § 63 SGB X nicht um eine Sozialleistung iSv § 11 SGB I handelt (vgl bereits zu einem Verzinsungsanspruch bzgl der nach § 63 SGB X zu erstattenden Aufwendungen Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 24. Juli 1986 – 7 RAr 86/84 – juris – Rn 24; Oberverwaltungsgericht <OVG> Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 6. August 2020 – OVG 6 M 35/20 – juris – Rn 3; Landessozialgericht <LSG> Baden-Württemberg, Urteil vom 30. Juni 2020 – L 11 KR 4539/18 – juris – Rn 23).

 

Nach § 44 Abs. 2 SGB X ist „im Übrigen“ ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen (Satz 1). Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden (Satz 2). Die Vorschrift ist anwendbar, soweit – wie hier – die Überprüfung eines Kostenfestsetzungsbescheides nach § 63 Abs. 3 SGB X begehrt wird. Der in § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X geregelte Anspruch auf Kostenerstattung wurzelt im SGB X. Daran ändert nichts, dass sich der Umfang der Erstattungsfähigkeit der Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts nach dem RVG richtet. Die Vorschriften des Ersten Kapitels des SGB X und damit auch § 44 SGB X gelten für die öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit der Behörden, die „nach diesem Gesetzbuch“ ausgeübt wird (§ 1 Abs. 1 SGB X). Insoweit reicht es aus, wenn der betreffende Bescheid eine von einem öffentlich-rechtlichen Leistungsträger zu bewirkende Handlung betrifft, die zwar keine Sozialleistung darstellt, die dieser Träger aber auf Grund seiner zum Sozialrecht gehörenden Aufgabenstellung nach dem SGB vorzunehmen hat. Weiter gehende Anforderungen, als dass es sich um einen rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsakt handeln muss, was auch dann der Fall ist, wenn – wie vorliegend – dem Antrag nicht in vollem Umfang entsprochen wurde (vgl etwa BSG, Urteil vom 28. September 1999 – B 2 U 32/98 R = SozR 3-2200 § 605 Nr 1 – Rn 28), stellt § 44 Abs. 2 SGB X nicht (vgl für einen Bescheid nach § 63 Abs. 2 SGB X OVG Berlin-Brandenburg aaO Rn 4; offen gelassen von LSG Baden-Württemberg aaO Rn 23).

 

Der Beklagte ist indes schon nicht passiv legitimiert für die begehrte Überprüfungsentscheidung. Es fehlt an der sachlichen Zuständigkeit für diesen Antrag. Die BA hat den zur Überprüfung gestellten Kostenfestsetzungsbescheid als Rechtsträgerin der die Vollstreckung für den Beklagten betreibenden Stelle verlautbart, weil ihre Behörde iSv § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X den Mahngebührenbescheid vom 14. April 2014 erlassen hatte und damit, soweit der Widerspruch erfolgreich war, die BA als für die Behörde zuständige Rechtsträgerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Auslagen zu erstatten hatte (vgl § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X; BSG, Urteil vom 9. März 2016 – B 14 AS 5/15 R = SozR 4-1300 § 63 Nr 24 – Rn 12; vgl auch BSG, Urteil vom 19. Juni 2012 – B 4 AS 142/11 R – juris – Rn 10: ist die „Behörde, die über den Widerspruch entschieden hat, auch für die Kostenentscheidung zuständig“). Dazu zählen auch die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts, wenn seine Zuziehung im Vorverfahren notwendig war (§ 63 Abs. 2 SGB X), was die BA mit dem Abhilfebescheid vom 15. Juli 2014 auch bindend (vgl § 77 SGG) anerkannt hat. Die Zuständigkeit der BA für die Kostenfestsetzung folgt aus § 63 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 SGB X.

 

Für das Überprüfungsverfahren nach § 44 Abs. 2 SGB X ergibt sich jedenfalls insoweit keine geänderte Zuständigkeit, insbesondere nicht die des Beklagten. Denn über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des zu überprüfenden Bescheides die zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist (§ 44 Abs. 3 SGB X). Zuständige Behörde für die Kostenfestsetzung nach § 63 SGB X war im Entscheidungszeitpunkt für das mit dem Zugunstenantrag verfolgte Begehren weiterhin die BA, die auch die entsprechende Verwaltungsentscheidung vom 8. Februar 2017 getroffen hat. Eine Zuständigkeitsänderung erfolgte auch nicht im Widerspruchsverfahren. Denn die Zuständigkeit beurteilt sich nach den für den jeweiligen Bereich geltenden allgemeinen Regeln (vgl BSG, Urteil vom 9. Juni 2011 – B 8 AY 1/10 R = SozR 4-1300 § 44 Nr 22 – Rn 10 mwN), hier also nach § 63 SGB X.

 

Aus § 90 SGB X folgt keine andere Beurteilung und insbesondere keine Zuständigkeit des Beklagten. Die BA ist für die hier in Rede stehende Kostenfestsetzung schon nicht Beauftragte iS dieser Vorschrift, der Beklagte nicht Auftraggeber. Vielmehr hat die BA als zuständige Trägerin iSv § 63 SGB X über die Kostenfestsetzung entschieden. Im Übrigen ist auch ein dahingehendes öffentlich-rechtliches Vertragsverhältnis zwischen dem Beklagten und der BA nicht ersichtlich. Keiner Entscheidung bedarf zudem, ob die Übertragung des Forderungseinzugs durch den Beklagten als gemeinsame Einrichtung (gE) nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr 2 SGB II  auf die BA als – einem der – Träger der gE in Ausfluss der Öffnungsklausel in § 44b Abs. 4 Satz 1 SGB II (vorgehend § 44b Abs. 4 SGB II, eingefügt durch Gesetz vom 3. August 2010 <BGBl I 1112>), die einen entsprechenden Beschluss der Trägerversammlung der gE iSv § 44c SGB II (vgl zu den inhaltlichen Anforderungen im Einzelnen BSG, Urteil vom 14. Februar 2018 – B 14 AS 12/17 R = SozR 4-4200 § 44c Nr 1) voraussetzt, vorliegend wirksam ist. Denn auch dies änderte nichts daran, dass die BA als zuständige Behörde iSv § 63 SGB X jedenfalls über die – hier allein im Zugunstenverfahren zur Überprüfung gestellte - Kostenfestsetzung entschieden hatte und damit nach § 44 Abs. 3 SGB X auch für das Überprüfungsverfahren zuständig war (zur Zuständigkeit des Jobcenters bei einer Widerspruchsentscheidung über eine Zahlungserinnerung der BA im Rahmen des Forderungseinzugs für ein Jobcenter hingegen LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 5. November 2020 – L 14 AL 4/20 – juris). Insoweit hat das SG die Klage jedoch rechtskräftig abgewiesen, so dass dahinstehen kann, ob die BA in dem Kostenfestsetzungsbescheid vom 21. August 2014 rechtswidrig zu niedrige Aufwendungen des Klägers für das Widerspruchsverfahren gegen den Mahngebührenbescheid vom 14. April 2014 festgesetzt hat.

 

Auf die Berufung des Beklagten war im Ergebnis dessen Verurteilung aufzuheben und die Klage (auch) insoweit abzuweisen. Auch eine isolierte Aufhebung des angefochtenen, vom Beklagten verlautbarten Widerspruchsbescheides kommt nicht in Betracht. Ein Rechtsschutzbedürfnis hierfür ist nicht ersichtlich, da der Beklagte zu der begehrten Neubescheidung nach § 44 Abs. 2 SGB X aus den dargelegten Gründen nicht verurteilt werden kann. Insoweit gilt nichts anderes als bei der Rücknahme eines belastenden Verwaltungsakts bei Eingreifen der Verfallklausel des § 44 Abs. 4 SGB X (vgl hierzu etwa BSG, Urteil vom 13. Februar 2014 – B 4 AS 19/13 R = SozR 4-1300 § 44 Nr 29 – Rn 16 mwN).

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

 

 

Rechtskraft
Aus
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