1. Lediglich zukünftige Erwerbschancen, durch die sich noch kein wirtschaftlicher Vorteil realisiert hat, sind nicht geeignet, zur Unbilligkeit des festgesetzten Jahresarbeitsverdienstes im Sinne des § 87 SGB VII a. F. zu führen. 2. § 90 Abs. 1 SGB VII a. F. und § 90 Abs. 2 SGB VII a. F. stehen in keinerlei Stufenverhältnis zueinander. § 90 Abs. 2 SGB VII a. F. setzt allein voraus, dass der Versicherte zur Zeit des Versicherungsfalls das 30. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll abstrakt verhindert werden, dass für Berufsanfänger das typischerweise niedrigere Anfangsentgelt auf Dauer für die Berechnung von Geldleistungen herangezogen wird. 3. Arbeitslosigkeit zum Zeitpunkt des Versicherungsfalls schließt eine Anwendbarkeit des § 90 Abs. 2 SGB VII a. F. nicht aus. Ausreichend für Verdiensterhöhungen nach Maßgabe dieser Vorschrift ist das Vorliegen einer Gleichartigkeit zwischen dem dem Bezug von Arbeitslosengeld I zugrunde liegenden Beschäftigungsverhältnis und der beruflichen Tätigkeit zum Zeitpunkt der Vollendung des 30. Lebensjahres. 4. Für die Neufestsetzung des Jahresarbeitsverdienstes nach § 90 Abs. 2 SGB VII a. F. kommt es bei Auszubildenden auf die Ortsüblichkeit des Entgelts – und nicht auf einen ggf. bestehenden Tarifvertrag – an, wenn die Ausbildung nicht in einem tariflich anbindungsfähigen Unternehmen stattgefunden hat. Ortsüblich ist das Arbeitsentgelt, das am Beschäftigungsort durchschnittlich für die der Ausbildung entsprechende Tätigkeit gezahlt wird.
Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 26. August 2018 dahingehend abgeändert, dass der Überprüfungsbescheid vom 27. August 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09. Dezember 2015 abgeändert und die Beklagte verpflichtet wird, dem Kläger unter Abänderung der Bescheide vom 06. April 2010 und vom 02. Juli 2015 ab dem 01. August 2013 eine Verletztenrente nach einem Wert des Jahresarbeitsverdienstes von brutto 24.408,00 € zu gewähren.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers auch für das Berufungsverfahren. Im Übrigen haben die Beteiligten für das Berufungsverfahren einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig zwischen den Beteiligten ist - im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) - die Höhe des Jahresarbeitsverdienstes als Grundlage für die Berechnung der Verletztenrente des Klägers.
Der 1983 geborene Kläger absolvierte im Zeitraum von September 2000 bis zum Januar 2004 bei der Firma R GmbH eine Ausbildung zum Elektroinstallateur. Das sich daran anschließende befristete Arbeitsverhältnis bei seinem Ausbildungsbetrieb endete am 30. September 2004. Vom 01. Oktober 2004 bis zum 02. Januar 2005 war der Kläger erwerbslos und bezog Leistungen der Agentur für Arbeit. In der Zeit vom 03. Januar 2005 bis zum 30. September 2005 leistete er seinen Zivildienst beim D. Vom 29. August 2005 bis zum 18. Juli 2006 absolvierte der Kläger bei der Handwerkskammer Fin Vollzeit eine Fortbildung zum Elektrotechnikmeister, die er mit dem Bestehen der Meisterprüfung abschloss. In dieser Zeit erhielt er einen Wohnkostenzuschuss von monatlich 180,00 € sowie BAföG-Leistungen der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) in Höhe von monatlich 400,00 € als Darlehen in Form eines Bildungskredits. Am 19. Juli 2006 meldete sich der Kläger arbeitslos und bezog von der Bundesagentur für Arbeit Arbeitslosengeld in Höhe von 17,24 € täglich. Ausweislich eines Schreibens der Firma R vom 16. Dezember 2015 bestand für den Kläger bereits seit Juni 2006 eine Jobzusage dieser Firma als Elektrotechniker in leitender Position in Vollzeit ab dem 15. August 2006 zu einem monatlichen Bruttolohn von 2.034,00 € zuzüglich eines 13. Monatsgehalts.
Am 20. Juli 2006 erlitt der Kläger auf dem Weg zur Agentur für Arbeit in S, wo er einen Termin bei seiner Arbeitsvermittlerin hatte und eine sogenannte Sprinterprämie beantragen wollte, mit seinem Motorrad einen Unfall, den die Beklagte mit Bescheid vom 19. Juli 2007 als Arbeitsunfall anerkannte, wobei sie die nachstehenden Unfallfolgen feststellte: eingeschränkte Beweglichkeit im rechten Handgelenk, belastungsabhängige Schmerzen als Zustand nach knöchern konsolidierter distaler Radiusfraktur mit Abbruch des Prozessus styloideus mit deutlicher posttraumatischer Arthrose, ohne wesentliche Funktionseinschränkung verheilte Glenoidfraktur rechts, folgenlos ausgeheilte Fraktur der 10. Rippe rechts. Wegen dieser Unfallfolgen bewilligte die Beklagte dem Kläger eine Verletztenrente in der Zeit vom 11. Mai 2007 bis zum 30. Juni 2008 nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 20 vom Hundert als Gesamtvergütung. Dabei legte sie einen Mindestjahresarbeitsverdienst in Höhe von 60 vom Hundert der Bezugsgröße aus 2006 (24.780,00 €) gemäß § 85 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VII - (in der vom 01. Januar 2005 bis zum 31. Dezember 2020 geltenden Fassung <im Folgenden: alte Fassung, a. F.>), mithin 14.868,00 € (Zeitraum vom 11. Mai 2007 bis zum 30. Juni 2007), bzw. - unter Berücksichtigung eines Anpassungsfaktors von 1,0054 - ab dem 01. Juli 2007 einen Betrag von 14.948,29 € zugrunde.
Vom 14. Mai 2007 bis zum 30. April 2008 war der Kläger bei der Firma F GmbH & Co. KG, H(Sachsen)als Elektrotechniker tätig. Im Anschluss kam es ab dem 01. Mai 2008 zu einer Arbeitsaufnahme bei der Firma R, wobei zunächst ein Bruttomonatsgehalt in Höhe von 1.832,22 € vereinbart worden war. Mit Änderung zum Arbeitsvertrag vom 12. August 2008 erhielt der Kläger einen Bruttomonatslohn von 2.203,50 € zuzüglich eines 13. Monatsgehalts. Das Arbeitsverhältnis des Klägers als Elektromeister bei der Firma Rdauerte bis zum 30. September 2013.
Auf Antrag des Klägers vom 04. Mai 2008 gewährte ihm die Beklagte mit weiterem Bescheid vom 26. August 2008 weiterhin Verletztenrente als vorläufige Entschädigung ab dem 01. Juli 2008 nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 vom Hundert, mithin einen monatlichen Zahlbetrag von 167,92 €. Der diesem Bescheid zugrundeliegende Mindestjahresarbeitsverdienst entsprach demjenigen des vorangegangenen Bescheides vom 19. Juli 2007. Als Unfallfolgen wurden bei dieser Entscheidung berücksichtigt: radiologisch sichtbare Erweiterung des Gelenkspaltes zwischen dem Kahnbein und dem Mondbein, deutliche Knochenentkalkung im Handgelenksbereich, Bewegungseinschränkung im Handgelenksbereich in einem Umfang von insgesamt 90° bei Streckung, Beugung und Seitwärtsbewegung, leichte Schwellung im Bereich des rechten Handgelenks und der rechten Mittelhand, leichte Muskelverschmächtigung im Bereich des rechten Unterarms mit Kraftminderung beim Faustschluss, geringgradige Bewegungseinschränkung im Bereich des rechten Schultergelenks, insbesondere für die Seitwärtshebung und Auswärtsdrehung als Zustand nach knöchern konsolidiertem körperfernen Speichenbruch rechts mit Abriss des Griffelfortsatzes der Elle sowie knöchern konsolidierter Fraktur des rechten Schulterblattes.
Mit weiterem Bescheid vom 17. Juli 2009 entzog die Beklagte dem Kläger die Rente ab August 2009, da kein Anspruch auf Rente für unbestimmte Zeit bestehe. Nach einem von dem Kläger hiergegen mit Schreiben vom 21. Juli 2009 eingelegten Widerspruch, einer von der Beklagten eingeholten fachchirurgischen Stellungnahme nach Aktenlage des Arztes für Chirurgie und Unfallchirurgie Dr. M vom 05. September 2009, einer Begutachtung des Klägers aufgrund einer ambulanten Untersuchung am 08. Oktober 2009 durch den Arzt für Chirurgie und Unfallchirurgie D(Gutachten vom 01. November 2009) sowie einer fachärztlichen Stellungnahme des Unfallchirurgen K vom 19. Februar 2010 gewährte ihm die Beklagte mit Bescheid vom 06. April 2010 eine Verletztenrente ab dem 11. Mai 2007 nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30 vom Hundert bis auf weiteres. Der zugrundeliegende Mindestjahresarbeitsverdienst blieb unverändert.
Mit weiterem Bescheid vom 02. Juli 2015 bewilligte die Beklagte dem Kläger auf seinen Antrag hin eine Abfindung der Verletztenrente auf Lebenszeit nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30 vom Hundert und stellte die monatlichen Rentenzahlungen mit Ablauf des Monats Juli 2015 ein. Unter Zugrundelegung des genannten Mindestjahresarbeitsverdienstes belief sich der Betrag der Abfindung auf insgesamt 67.255,49 €.
Mit Schreiben vom 26. Juli 2015 stellte der Kläger bei der Beklagten einen Antrag auf Überprüfung des Jahresarbeitsverdienstes nach § 90 SGB VII.
Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 27. August 2015 ab. Zur Begründung trug sie vor, der Kläger habe sich zum Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls weder in einer Schul- noch in einer Berufsausbildung befunden. Vielmehr sei er arbeitslos gewesen, sodass eine Festsetzung des Jahresarbeitsverdienstes nach § 90 SGB VII (in der vom 01. Januar 1997 bis zum 31. Dezember 2020 geltenden Fassung <im Folgenden: alte Fassung, a. F.>) nicht in Betracht komme.
Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 03. September 2015 Widerspruch ein. Seiner Auffassung nach finde § 90 SGB VII a. F. ausweislich seines Wortlauts auch dann Anwendung, wenn bestimmte Altersstufen erreicht würden.
Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 09. Dezember 2015 zurück. Der Kläger habe sich zum Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls weder in Schul- noch in Berufsausbildung befunden, sondern sei seit dem 01. Oktober 2004 arbeitslos gewesen. Insofern finde die Vorschrift des § 90 Abs. 1 SGB VII a. F. in seinem Fall keine Anwendung. Genauso verhalte es sich mit Abs. 2 dieser Vorschrift. Im für die Berechnung des Jahresarbeitsverdienstes maßgeblichen Zeitraum vom 01. Juli 2005 bis zum 30. Juni 2006 habe der Kläger kein Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen erzielt, sondern Arbeitslosengeld bezogen. Da er zum Zeitpunkt des Versicherungsfalls in keinem Beschäftigungsverhältnis gestanden habe, habe auch kein Tarifvertrag für ihn gelten können. Somit habe der Rentenberechnung nur der Mindestjahresarbeitsverdienst gemäß § 85 Abs. 1 Nr. 2 SGB VII a. F. zugrunde gelegt werden können.
Am 22. Dezember 2015 hat der Kläger Klage vor dem Sozialgericht (SG) Frankfurt (Oder) erhoben. Zur Begründung hat er im Folgenden vorgetragen, er halte die Erstfestsetzung des Jahresarbeitsverdienstes in erheblichem Maße für unbillig. Zum Zeitpunkt des Unfalls habe er bereits eine Berufsausbildung zum Elektrotechniker erfolgreich absolviert gehabt und sei als angestellter Elektrotechniker in Vollzeit tätig gewesen. Diese Tätigkeiten habe er lediglich unterbrochen, um seinen Zivildienst abzuleisten und sich anschließend zum Meister ausbilden zu lassen. Daher habe er seinen Lebensstandard nur vorübergehend gesenkt. Bereits vor dem Unfall habe er einen Arbeitsvertrag geschlossen gehabt, wonach er in Kürze ein höheres Arbeitseinkommen verdient gehabt hätte. In den zwölf Monaten vor dem Unfallereignis sei er lediglich einen Tag zuvor arbeitslos gewesen.
Die Beklagte hat hierauf erwidert, bei der Festsetzung des Jahresarbeitsverdienstes sei darauf abzustellen, welche Beträge der Kläger im letzten Jahr vor dem Unfallereignis insgesamt als Einkommen erzielt habe. Außerhalb dieses Zeitraums sei Einkommen nicht zu berücksichtigen. Der bisher erreichte Lebensstandard des Klägers spiegele sich in der zugrunde gelegten Summe des Jahresarbeitsverdienstes. Es komme daher auch keine Festsetzung nach billigem Ermessen gemäß § 87 S. 1 SGB VII (in der vom 01. Januar 1997 bis zum 31. Dezember 2020 geltenden Fassung <im Folgenden: alte Fassung, a. F.>) in Betracht.
Das SG Frankfurt (Oder) hat am 05. Juli 2018 einen Erörterungstermin durchgeführt. Wegen des Inhalts wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.
Mit Gerichtsbescheid vom 26. August 2018 hat das SG Frankfurt (Oder) den Überprüfungsbescheid der Beklagten vom 27. August 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09. Dezember 2015 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, unter Abänderung ihrer Bescheide vom 06. April 2010 und 02. Juli 2015 die Verletztenrente des Klägers ab dem 01. Januar 2011 im Hinblick auf den der Verletztenrente zugrundeliegenden Wert des Jahresarbeitsverdienstes unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu berechnen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.
Zur Begründung seines Gerichtsbescheides hat das SG Frankfurt (Oder) ausgeführt, die Feststellungen der Beklagten seien insoweit zu beanstanden, als fehlerhaft nicht §§ 87, 90 Abs. 2, 91 SGB VII (jeweils in der vom 01. Januar 1997 bis zum 31. Dezember 2020 geltenden Fassung <im Folgenden: alte Fassung, a. F.>) angewandt und entsprechendes Ermessen ausgeübt worden sei. Auf eine Änderung der Bescheide vom 19. Juli 2007 und vom 26. August 2008 könne verzichtet werden, weil die Bescheide vom 06. April 2010 und vom 02. Juli 2015 den zugrundeliegenden maßgeblichen Jahresarbeitsverdienst für die Zeit ab dem 01. Januar 2011 abschließend bezeichneten und die vorangegangenen Bescheide insoweit ersetzten. Der hier streitige Leistungszeitraum beginne am 01. Januar 2011, da der Antrag nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) vom 26. Juli 2015 datiere und eine höhere Rente für höchstens vier Jahre vor dem Jahr der Antragstellung erfolgen könne. Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten habe die Feststellung des für die Verletztenrente des Klägers maßgeblichen Jahresarbeitsverdienstes nicht allein gemäß § 85 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB VII a. F., sondern ergänzend auf der Grundlage des § 87 SGB VII a. F. zu erfolgen. Danach werde ein nach der Regelung über den Mindestjahresarbeitsverdienst festgesetzter Jahresarbeitsverdienst nach billigem Ermessen im Rahmen von Mindest- und Höchstjahresarbeitsverdienst festgesetzt, wenn er in erheblichem Maße unbillig sei. Hierbei würden insbesondere die Fähigkeiten, die Ausbildung, die Lebensstellung und die Tätigkeit der Versicherten im Zeitpunkt des Versicherungsfalls berücksichtigt. Zum Zeitpunkt des Unfalls sei der Kläger bereits 23 Jahre, ausgebildeter Elektroinstallateur und Elektrotechnikmeister gewesen. Er habe nach einer dreimonatigen Zeit der Arbeitslosigkeit, die mehr als ein Jahr vor dem Unfallzeitpunkt bereits beendet gewesen sei, sowie nach Ableistung seines Zivildienstes seine Meisterausbildung begonnen. Diese sei zeitlich eng begrenzt gewesen und habe dem Ziel gedient, die Verdienstmöglichkeiten auf dem Markt der Elektroinstallateure zu verbessern, sich also langfristig einen gesicherten Lebensunterhalt zu verschaffen. Dies spiegele sich in der Jobzusage als Elektrotechniker in leitender Position in Vollzeit bei der Firma REs sei zur Überzeugung des Gerichts unbillig, davon auszugehen, dass ein Einkommen in Höhe eines Zivildienstsoldes bzw. von 0,00 € während einer zahlungspflichtigen Meisterausbildung, für die sich der Kläger nach eigenen Angaben sogar mit einem Bildungskredit über 20.000 € verschuldet habe, auf Dauer gesehen die Einkommenssituation des Klägers wiedergeben würde. Die Beklagte verkenne die abgelegte Meisterprüfung zwei Tage vor dem Unfall als wesentliche Änderung während des maßgeblichen Zeitraums der letzten zwölf Monate vor dem Unfallereignis. Es lägen daher besondere Umstände im Sinne eines in erheblichem Maße unbillig berechneten Jahresarbeitsverdienstes vor, die es rechtfertigten, die Festsetzung des maßgeblichen Jahresarbeitsverdienstes auf der Grundlage des § 87 SGB VII a. F. nach billigem Ermessen vorzunehmen. Lebensfremd erscheine die Auffassung, der Kläger habe sich in der Zeit seiner kostenpflichtigen Meisterausbildung in Vollzeit auf eine finanzielle Lebensgrundlage ohne Einkommen eingerichtet. Vielmehr habe es sich um eine berufliche Entscheidung des Klägers gehandelt, seine Einkommenschancen als Elektroinstallateur mit der Absolvierung der Meisterausbildung und Ablegung der Meisterprüfung zu erhöhen und zu diesem Zweck für einen mit seinem künftigen Berufsleben vergleichbar kurzen abgrenzbaren Zeitraum auf Arbeitseinkommen zu verzichten bzw. sich für diesen Ausbildungsabschnitt sogar zu verschulden. Der aus dem in den ersten Monaten des maßgeblichen Zeitraums nach § 82 SGB VII erzielte Zivildienstsold stelle ebenfalls keine geeignete Grundlage dar, von der auf eine Lebenssituation zu schließen wäre, auf die der Kläger sich bereits eingerichtet hätte. Es handele sich vielmehr um eine unterwertige Beschäftigung von kurzer Dauer, die ebenfalls die Annahme einer atypischen Fallgestaltung nach § 87 SGB VII a. F. rechtfertige. Die Beklagte sei nunmehr verpflichtet, den Jahresarbeitsverdienst des Klägers im Rahmen der §§ 82, 85 SGB VII (§ 85 SGB VII: a. F.) unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts sowie der Wertungskriterien des § 87 S. 2 SGB VII a. F. nach billigem Ermessen festzustellen. Im Rahmen ihres Ermessens werde die Beklagte insbesondere zu ermitteln haben, welche Einkünfte ein vollschichtig tätiger Elektrotechniker in leitender Position in der freien Wirtschaft am Anfang seines Berufslebens nach den entsprechenden Tarifverträgen zum damaligen Zeitpunkt habe erzielen können, wobei auch die konkrete Arbeitsmarktlage zu prüfen sein werde.
Darüber hinaus habe der Kläger gemäß § 90 Abs. 2 SGB VII a. F. einen Anspruch auf Gewährung einer höheren Verletztenrente auf der Grundlage seines Jahresarbeitsverdienstes nach dem Tarifvertrag für das Elektrohandwerk ab dem 05. Juli 2013, seinem 30. Geburtstag. Er sei ab diesem Tag fiktiv mindestens in die unterste Entgeltgruppe des Tarifvertrags Elektrohandwerk „Meister mit der Voraussetzung zur Eintragung in die Handwerksrolle, aber geringer Berufspraxis als Meister“ einzustufen. § 90 Abs. 2 SGB VII a. F. stelle eine eigenständige Anspruchsgrundlage dar, die von den Voraussetzungen des § 90 Abs. 1 SGB VII a. F. unabhängig sei. § 90 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VII a. F. ergänzten sich, indem jeweils die Neuberechnung maßgebend sei, die einen höheren Jahresarbeitsverdienst ergebe. § 90 Abs. 2 SGB VII a. F. gelte auch für im Zeitpunkt des Versicherungsfalls noch nicht 30- jährige Versicherte, die ihre Ausbildung abgeschlossen hätten. Maßgeblich sei ausschließlich das Lebensalter zum Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls. Unter Anwendung des § 90 Abs. 2 SGB VII a. F. sei vorliegend zum Zeitpunkt des Unfalls, also dem 20. Juli 2006, das tarifliche Entgelt eines Elektrotechnikmeisters zu ermitteln, der das 30. Lebensjahr noch nicht vollendet gehabt habe. Der Bescheid vom 27. August 2015 beruhe insoweit auf einer fehlerhaften Rechtsanwendung im Sinne von § 44 SGB X, weil die Beklagte verpflichtet gewesen sei, den Jahresarbeitsverdienst des Klägers mit Vollendung seines 30. Lebensjahres am 05. Juli 2013 neu festzustellen. Soweit der Kläger eine Auszahlung des Differenzbetrags nebst Zinsen begehrt habe, sei die Klage unbegründet. Die Beklagte habe bei der Feststellung des Jahresarbeitsverdienstes Ermessen auszuüben. Das Gericht dürfe seine Auffassung nicht an die Stelle des Ermessens der Verwaltungsbehörde setzen. Der Anspruch des Klägers beschränke sich hier auf den Erlass einer ermessensfehlerfreien Verwaltungsentscheidung zur Feststellung des Jahresarbeitsverdienstes.
Gegen den ihr am 19. September 2018 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Beklagte am 11. Oktober 2018 Berufung vor dem Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg eingelegt. Zur Begründung ihrer Berufung hat die Beklagte im Folgenden ausgeführt, die Feststellung des für die Verletztenrente des Klägers maßgeblichen Jahresarbeitsverdienstes habe neben § 85 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB VII a. F. nicht auch ergänzend auf der Grundlage des § 87 SGB VII a. F. zu erfolgen. Entgegen der durch das SG Frankfurt (Oder) vertretenen Rechtsauffassung sei die Zugrundelegung des Mindestjahresarbeitsverdienstes in vorliegender Fallkonstellation nicht „in erheblichem Maße unbillig“, wie es § 87 Abs. 1 SGB VII a. F. fordere. Ziel der Regelung in § 87 SGB VII a. F. sei es, den Jahresarbeitsverdienst als Grundlage der Rente so zu bemessen, dass der Lebensstandard gesichert werde, den der Versicherte zeitnah vor dem Versicherungsfall erreicht und auf den er sich eingerichtet habe. Der Kläger habe weder in dem zur Berechnung des Jahresarbeitsverdienstes maßgeblichen Jahreszeitraum vor dem Unfallereignis noch in der - grundsätzlich nicht zu berücksichtigenden – davorliegenden Zeit Einkünfte in einer Höhe erzielt, die eine Festsetzung des Mindestjahresarbeitsverdienstes als in erheblichem Maße unbillig erscheinen ließe. Etwaige in der Zukunft liegende Verdienstmöglichkeiten seien nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung nur ausnahmsweise in besonderen Einzelfällen zu berücksichtigen (Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 31. Oktober 1991 – 2 RU 61/90 -, Bayerisches LSG, Urteil vom 10. Januar 2012 – L 3 U 181/09 -). Eine solche Ausnahme liege hier nicht vor. Das Ablegen der Meisterprüfung wirke sich lediglich auf die Verdienstmöglichkeiten in der nach dem Berechnungszeitraum liegenden Zeit aus. Allein die Durchführung einer Weiterbildung mit dem Ziel, die eigenen Einkommenschancen zu steigern, rechtfertige nicht die Annahme, jemand habe sich bereits während dieser Phase auf den zwar angestrebten, jedoch noch nicht eingetretenen wirtschaftlichen Vorteil verlässlich einstellen dürfen.
Soweit das SG Frankfurt (Oder) die Anwendung des § 90 Abs. 2 SGB VII a. F. in der hiesigen Fallkonstellation bejaht habe, könne dem ebenfalls nicht gefolgt werden. Die Anwendung des § 90 Abs. 2 SGB VII a. F. knüpfe neben dem Lebensalter zum Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls an die zu diesem Zeitpunkt ausgeübte Tätigkeit an. Zum Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls sei der Kläger jedoch arbeitslos gemeldet gewesen. Ihrer Zweckbestimmung nach solle die Vorschrift des § 90 Abs. 2 SGB VII a. F. verhindern, dass für Berufsanfänger das typischerweise niedrigere Anfangsentgelt auf Dauer für die Berechnung von Geldleistungen herangezogen werde. Der Kläger sei jedoch zu dem maßgeblichen Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls weder Berufsanfänger gewesen noch habe er sich in Ausbildung befunden. Durch das Bayerische LSG sei in dem Urteil vom 12. Juni 2018 (Az. L 2 U 11/16) eine Anwendung des § 90 Abs. 2 SGB VII a. F. für den Fall eines während der Durchführung einer - mit monatlich 212,00 € vergüteten - Einstiegsqualifizierung erlittenen Arbeitsunfalls abgelehnt worden. Dies sei damit begründet worden, dass bei einer solchen Einstiegsqualifizierung der Ausbildungscharakter im Vordergrund stehe und sich die Tätigkeit eines Teilnehmers wesentlich von derjenigen eines abhängig beschäftigten Arbeitnehmers unterscheide. Zudem sei ein tarifvertragliches Entgelt für Teilnehmer der Einstiegsqualifizierung zum Zeitpunkt des Arbeitsunfalls des dortigen Klägers nicht ersichtlich. Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung könne man bei bestehender Arbeitslosigkeit zum Zeitpunkt des Unfallereignisses erst recht nicht zu einer Anwendbarkeit des § 90 Abs. 2 SGB VII a. F. gelangen.
Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 26. August 2018 (Az. S 10 U 148/15) abzuändern, soweit der Überprüfungsbescheid vom 27. August 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09. Dezember 2015 aufgehoben und sie verurteilt worden ist, unter Abänderung der Bescheide vom 06. April 2010 und 02. Juli 2015 die Verletztenrente des Klägers und Berufungsbeklagten ab dem 01. Januar 2011 im Hinblick auf den der Verletztenrente zugrundeliegenden Wert des Jahresarbeitsverdienstes unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu berechnen und die Klage insgesamt abzuweisen.
Der Kläger und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Die Beklagte verkenne, dass weder das Ableisten von Zivildienst noch das Absolvieren einer Meisterausbildung zu einer Lebenssituation führe, in der sich der Versicherte einrichte. Beide Tätigkeiten seien befristet und stellten nur eine berufliche Durchgangsstation dar. Zwar habe er im Zwölfmonatszeitraum vor dem Unfall kein eigenes Arbeitseinkommen erzielt, jedoch sei in diesem Zusammenhang der aufgrund des mündlichen Arbeitsvertrags vereinbarte Verdienst zu beachten. Auch wenn der geplante Eintritt erst für ca. drei Wochen nach dem Unfall geplant gewesen sei, habe es sich bei dem Verdienst um eine hinreichend konkretisierte Erwerbsaussicht gehandelt. Überdies stellten der Abschluss der Meisterausbildung und des an diesen anschließenden Arbeitsvertrags Umstände dar, die in die Billigkeitserwägungen gemäß § 87 S. 2 SGB VII a. F. einzubeziehen seien. Die Anwendbarkeit des §§ 90 Abs. 2 SGB VII a. F. setze entgegen der Annahme der Beklagten lediglich voraus, dass der Versicherte vor Vollendung seines 30. Lebensjahres einen Versicherungsfall erleide. Es sei höchstrichterlich geklärt, dass die Abs. 1 und 2 des § 90 SGB VII a. F. in keinem Stufenverhältnis zueinander stünden, sondern nebeneinander anzuwenden seien. Dabei sei jeweils die Vorschrift zugrunde zu legen, die nach Durchführung einer Vergleichsberechnung zu einem höheren Jahresarbeitsverdienst führe (BSG, Urteil vom 19. Dezember 2013 – B 2 U 5/13 R -). Voraussetzung für die Neufestsetzung nach § 90 Abs. 2 S. 1 SGB VII a. F. sei das Vorliegen einer gleichartigen Tätigkeit, wobei die Regelung sowohl Fälle, in denen noch überhaupt kein Arbeitsentgelt, als auch Fälle, in denen nur ein geringes Anfängerentgelt gezahlt worden sei, erfasse. Dies korrespondiere mit dem Schutzgedanken des § 90 Abs. 2 SGB VII a. F., der unbillige Härten für Versicherte vermeiden solle, die durch einen Unfall in jungem Alter in ihrer beruflichen Entwicklung beeinträchtigt worden seien. Eine zum Unfallzeitpunkt ausgeübte berufliche Tätigkeit sei somit nicht zu verlangen. Entsprechend sei für Versicherte, die sich zum Unfallzeitpunkt in einer Ausbildung oder einem Studium befunden hätten, bereits entschieden worden, dass als gleichartige Tätigkeit im Sinne von § 90 Abs. 2 SGB VII a. F. auch eine Tätigkeit anzusehen sei, auf die die zum Zeitpunkt des Arbeitsunfalls absolvierte Ausbildung abziele (Urteile des LSG Thüringen vom 10. Dezember 2015 – L 1 U 667/14 - und des LSG Bayern vom 18. Juni 2015 – L 2 U 440/11 - unter Bezugnahme auf das Urteil des BSG vom 19. Dezember 2013 – B 2 U 5/13 -). Das von der Beklagten genannte Urteil des Bayerischen LSG vom 12. Juni 2018 (L 2 U 11/16) sei auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar. Es gelte lediglich für den eng begrenzten Sonderfall einer Einstiegsqualifizierung. Denn dabei handele es sich gerade nicht um die Tätigkeit im Rahmen einer anerkannten Berufsausbildung. Eine solche stelle demgegenüber regelmäßig eine gleichartige Tätigkeit im Sinne des § 90 Abs. 2 SGB VII a. F. dar.
Der Senat hat am 12. September 2019 einen Erörterungstermin durchgeführt, in dem sich die Beteiligten mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung gemäß §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt haben. Wegen des weiteren Inhalts wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.
Weiterhin hat der Senat eine mit Schreiben vom 21. September 2020 erteilte Auskunft des Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Energie des Landes Brandenburg in Potsdam zu den tariflichen Regelungen für die Bezahlung eines Elektrotechnikmeisters im Land Brandenburg im Jahr 2006 eingeholt.
Mit Schreiben vom 03. November 2020 hat der Senat den Beteiligten die - mangels anwendbaren Tarifvertrags - im Tatsächlichen liegenden Schwierigkeiten bei der im Rahmen des § 90 Abs. 2 SGB VII a. F. durchzuführenden Ermittlung eines ortsüblichen monatlichen Bruttoentgelts für einen Elektrotechnikmeister mit keiner oder geringer Berufserfahrung in F zur Zeit des Unfalls vom 20. Juli 2006 aufgezeigt. Vor diesem Hintergrund haben die Beteiligten mit Schriftsätzen vom 19. November 2020 und vom 06. Januar 2021 (Kläger) bzw. vom 11. Dezember 2020 (Beklagte) die durch den Senat wie folgt vorformulierte Erklärung bestätigt: „Die Beteiligten sind sich einig, dass – soweit der Senat vorliegend die Vorschrift des § 90 Abs. 2 SGB VII a. F. für anwendbar erachtet, worüber streitig zu entscheiden ist – als ortsübliches Arbeitsentgelt für einen Elektrotechnikmeister in Fzur Zeit des Arbeitsunfalls vom 20. Juli 2006 der dem Kläger von der Firma Rmit Beginn der in Vollzeit geplanten Arbeitsaufnahme am 15. August 2006 in Aussicht gestellte monatliche Bruttoarbeitslohn von 2.034,00 €, mithin ein Jahresarbeitsverdienst von brutto 24.408,00 € zugrunde zu legen ist.“ Zugleich haben die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung gemäß §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG erneuert. Die Beklagte hat darüber hinaus für den Fall einer nicht ihrem Antrag entsprechenden Entscheidung die Zulassung der Revision beantragt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten. Die Akten lagen bei der Entscheidung vor.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte gemäß §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem sich die Beteiligten im Erörterungstermin vom 12. September 2019 hiermit einverstanden erklärt und dieses Einverständnis mit Schriftsätzen vom 11. Dezember 2020 (Beklagte) sowie vom 06. Januar 2021 (Kläger) erneuert haben.
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet, im Übrigen aber unbegründet. Der Gerichtsbescheid des SG Frankfurt (Oder) vom 26. August 2018 erweist sich als teilweise unzutreffend, so dass er abzuändern war. Die Beklagte hat es mit ihrem Überprüfungsbescheid vom 27. August 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09. Dezember 2015 zwar zurecht abgelehnt, dem Kläger unter Abänderung der bestandskräftigen Bescheide vom 06. April 2010 und 02. Juli 2015 eine im Hinblick auf den zugrundeliegenden Wert des Jahresarbeitsverdienstes höhere Verletztenrente unter Anwendung des § 87 SGB VII a. F. ab dem 01. Januar 2011 zu gewähren, hat ihm eine entsprechende Änderung aber im Hinblick auf die Regelung des § 90 Abs. 2 SGB VII a. F. ab dem 05. Juli 2013 zu Unrecht versagt.
Der Kläger verfolgt seinen Anspruch zulässigerweise mit der kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage sowie Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 1 und Abs. 4 SGG. Die Anfechtungsklage zielt ab auf die Aufhebung des Überprüfungsbescheides vom 27. August 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09. Dezember 2015, die Verpflichtungsklage auf die Aufhebung der bestandskräftigen Bescheide vom 06. April 2010 und 02. Juli 2015 sowie die Leistungsklage auf die Zahlung einer höheren Rente (vgl. BSG, Urteile vom 19. Dezember 2013 – B 2 U 17/12 R – und vom 11. April 2013 – B 2 U 34/11 R -, beide zitiert nach Juris).
Anspruchsgrundlage für das Begehren des Klägers ist § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X, wonach ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Die Beklagte ist gemäß den obigen Ausführungen teilweise von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen (§ 44 Abs. 1 S. 1 2. Alt. SGB X) und hat bei Erlass der Bescheide vom 06. April 2010 und 02. Juli 2015 das Recht teilweise unrichtig angewandt (§ 44 Abs. 1 S. 1 1. Alt. SGB X), wobei dies im Hinblick auf den Bescheid vom 06. April 2010 nur insoweit gilt, wie dieser Wirkung auch für die Zeit ab dem 05. Juli 2013 entfaltet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 27. August 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09. Dezember 2015 ist daher teilweise rechtswidrig und verletzt den Kläger teilweise in seinen Rechten, so dass er abzuändern war.
Der Kläger hat zwar einen Anspruch auf höhere Rente nach § 56 SGB VII unter Anwendung der Regelungen in § 90 Abs. 2 SGB VII a. F., nicht aber vor dem Hintergrund der Bestimmungen des § 87 SGB VII a. F.
Die Beklagte hat die Rente des Klägers zurecht nach dem Mindestjahresarbeitsverdienst berechnet und bewilligt. Der der Berechnung der Rente zugrunde gelegte Jahresarbeitsverdienst ist nicht gemäß § 87 S. 1 SGB VII a. F. in erheblichem Maße unbillig und ist deshalb nicht neu festzusetzen.
Der Jahresarbeitsverdienst ist zunächst nach der Regelberechnung des § 82 Abs. 1 SGB VII festzusetzen. Erst im Anschluss ist zu prüfen, ob der im Einzelfall berechnete Jahresarbeitsverdienst gemäß § 87 SGB VII a. F. in erheblichem Maße unbillig ist (vgl. BSG, Urteil vom 15. September 2011 – B 2 U 24/10 R -, Juris).
Der Jahresarbeitsverdienst ist gemäß § 82 SGB VII zutreffend festgesetzt worden. § 82 Abs. 1 S. 1 SGB VII definiert den Jahresarbeitsverdienst als den "Gesamtbetrag der Arbeitsentgelte (§ 14 des Vierten Buches) und Arbeitseinkommen (§ 15 des Vierten Buches) des Versicherten in den zwölf Kalendermonaten vor dem Monat, in dem der Versicherungsfall eingetreten ist." Hier belief sich das Arbeitsentgelt im Sinne von Einnahmen aus einer Beschäftigung (§ 82 Abs. 1 S. 1 SGB VII i. V. m. § 14 Abs. 1 S. 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch <SGB IV>) im maßgeblichen Zwölfmonatszeitraum vor dem Monat des Arbeitsunfalls vom 20. Juli 2006 auf einen geringeren Betrag als der Mindestjahresarbeitsverdienst. Die Beklagte hat daher in zutreffender und durch den Kläger insoweit nicht beanstandeter Weise der Rentenberechnung den Mindestjahresarbeitsverdienst gemäß § 85 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB VII a. F. - 60 vom Hundert der im Zeitpunkt des Versicherungsfalls maßgebenden Bezugsgröße aus 2006 von 24.780,00 €, mithin 14.868,00 € - zugrunde gelegt. Bei der Bezugsgröße handelt es sich um eine alljährlich neu im Verordnungswege (auf der Grundlage des § 18 SGB IV) festzulegende Berechnungsgröße, die in den alten Bundesländern höher ausfällt als in den neuen Bundesländern. Gemäß § 2 Abs. 2 Sozialversicherungs-Rechengrößenverordnung 2006 beträgt die Bezugsgröße (Ost) im Sinne des § 18 Abs. 2 SGB IV im – hier maßgeblichen - Jahr 2006 jährlich 24.780,00 €. Mit dem Mindestjahresarbeitsverdienstsoll eine Grundversorgung, vor allem durch Renten, sichergestellt werden für Versicherte, die im Jahr vor dem Versicherungsfall nur geringe oder gar keine Entgelte/Arbeitseinkommen bezogen haben (Ricke, in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, 110. EL Juli 2020, § 85 SGB VII, Rn. 2).
Der sich insofern ergebende Jahresarbeitsverdienst war auch nicht im Rahmen des § 87 SGB VII a. F. wegen erheblicher Unbilligkeit zu korrigieren. Nach der Vorschrift des § 87 Abs. 1 S. 1 SGB VII a. F. ist im Fall erheblicher Unbilligkeit eines nach der Regelberechnung gemäß § 82 SGB VII festgesetzten Jahresarbeitsverdienstes dieser nach billigem Ermessen im Rahmen von Mindest- und Höchstjahresarbeitsverdienst festzusetzen. Hierbei sind gemäß § 87 Abs. 1 S. 2 SGB VII a. F. insbesondere die Fähigkeiten, die Ausbildung, die Lebensstellung und die Tätigkeit der Versicherten im Zeitpunkt des Versicherungsfalls zu berücksichtigen Ob der berechnete Jahresarbeitsverdienst in erheblichem Maße unbillig ist, kann das Gericht in vollem Umfang selbst überprüfen, da insoweit die Auslegung und Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs in Frage steht; es besteht insoweit auch kein Beurteilungsspielraum des Unfallversicherungsträgers. Die Vorschrift des § 87 SGB VII a. F. betrifft atypische Fallgestaltungen, die zu einem billigen Ergebnis geführt werden sollen. Ziel der Regelung ist es, den Jahresarbeitsverdienst als Grundlage für die Rentenhöhe in der Weise zu bestimmen, dass der Lebensstandard gesichert wird, den der Versicherte zeitnah vor dem Versicherungsfall erreicht und auf den er sich eingerichtet hat (BSG, Urteile vom 15. September 2011 – B 2 U 24/10 R -, Rn. 24 und vom 30. Oktober 1991 – 2 RU 61/90 -, Rn. 19 ff., Bayerisches LSG, Urteil vom 10. Januar 2012 – L 3 U 181/09 -, Rn. 20 ff., jeweils zitiert nach Juris).
Unter Berücksichtigung dieser Bewertungsgesichtspunkte ist der von der Beklagten herangezogene Mindestjahresarbeitsverdienst nicht in erheblichem Maße unbillig. Der Kläger hatte vor dem Arbeitsunfall vom 20. Juli 2006 keinen höheren Lebensstandard erarbeitet als ihn der von der Beklagten herangezogene Mindestjahresarbeitsverdienst widerspiegelt. Er hatte im Zeitraum von September 2000 bis zum Januar 2004 bei der Firma R GmbH eine Ausbildung zum Elektroinstallateur absolviert, wobei das sich daran anschließende befristete Arbeitsverhältnis bei seinem Ausbildungsbetrieb am 30. September 2004 endete. Nach einer dreimonatigen Erwerbslosigkeit mit Bezug von Leistungen der Agentur für Arbeit und der Ableistung eines neunmonatigen Zivildienstes nahm der Kläger am 29. August 2005 in Vollzeit seine Fortbildung zum Elektrotechnikmeister bei der Handwerkskammer in F auf, die er am 18. Juli 2006 mit dem Bestehen der Meisterprüfung abschloss. In dieser Zeit erhielt er einen Wohnkostenzuschuss von monatlich 180,00 € sowie BAföG-Leistungen der KfW in Höhe von monatlich 400,00 € als Darlehen in Form eines Bildungskredits. Am 19. Juli 2006 meldete sich der Kläger arbeitslos und bezog von der Bundesagentur für Arbeit Arbeitslosengeld in Höhe von 17,24 € täglich. Durch diese vorgenannten Umstände bestimmte sich sein Lebensstandard zum Zeitpunkt des Eintritts des Arbeitsunfalls vom 20. Juli 2006. Ausweislich der Mitteilung der Firma R vom 16. Dezember 2015 über eine Zusage für eine Tätigkeit als Elektrotechniker in leitender Position sollte der Kläger erst ab dem 15. August 2006 – also rund einen Monat nach dem Arbeitsunfall – einen monatlichen Bruttolohn von 2.034,00 € beziehen und damit erst zukünftig über ein Gehalt verfügen, das sich gegenüber seinen vorherigen Einkommensverhältnissen deutlich abhob.
Darin unterscheidet sich der vorliegende Fall maßgeblich von demjenigen, der dem Urteil des Bayerischen LSG vom 10. Januar 2012 (L 3 U 181/09) zugrunde lag und in dem das Gericht den von der dortigen Beklagten gemäß § 82 SGB VII herangezogenen Jahresarbeitsverdienst als in erheblichem Maße unbillig angesehen hat. Während die dortige Klägerin bereits vor ihrem Unfall einen höheren Lebensstandard erarbeitet hatte als ihn der Jahresarbeitsverdienst des letzten Jahres widerspiegelte (sie war ursprünglich in Vollzeit beschäftigt und hatte zum Unfallzeitpunkt zur Fertigstellung ihrer Promotion ihre Arbeitszeit beim gleichen Arbeitgeber reduziert), liegen hier in Anbetracht der Jobzusage der Firma R lediglich zukünftige Verdienstmöglichkeiten vor, die sich in vergleichbarer Weise aber in der Vergangenheit noch zu keinem Zeitpunkt realisiert hatten. Die Durchführung einer Weiterbildung und das Ablegen einer Meisterprüfung wirkten sich hier lediglich auf künftige Erwerbschancen aus. Während seiner Weiterbildung zum Meister konnte sich der Kläger nicht verlässlich auf den von ihm zwar angestrebten, aber noch in keiner Weise realisierten wirtschaftlichen Vorteil einstellen. Besondere, die Unbilligkeit gemäß § 87 SGB VII a. F. begründende Umstände liegen nach alledem zur Überzeugung des Senats im Fall des Klägers nicht vor.
Der Kläger hat indes einen Anspruch auf Gewährung einer höheren Verletztenrente nach Maßgabe des § 90 Abs. 2 SGB VII a. F. Gemäß § 90 Abs. 2 S.1 SGB VII a. F. wird bei Versicherten, die zur Zeit des Versicherungsfalls das 30. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, wenn es für sie günstiger ist, der Jahresarbeitsverdienst jeweils nach dem Arbeitsentgelt neu festgesetzt, das zur Zeit des Versicherungsfalls für Personen mit gleichartiger Tätigkeit bei Erreichung eines bestimmten Berufsjahres oder bei Vollendung eines bestimmten Lebensjahres durch Tarifvertrag vorgesehen ist; besteht keine tarifliche Regelung, ist das Arbeitsentgelt maßgebend, das für derartige Tätigkeiten am Beschäftigungsort der Versicherten gilt.
§ 90 Abs. 2 SGB VII a. F. setzt allein und tatsächlich voraus, dass der Versicherte zur Zeit des Versicherungsfalls das 30. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte. Hingegen setzt die genannte Vorschrift schon von ihrem Wortlaut her nicht voraus, dass der Versicherte zur Zeit des Versicherungsfalls sich überhaupt in einer Schul- oder Berufsausbildung befindet. Maßgeblich ist ausschließlich das Lebensalter zum Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls. Folglich stehen die Absätze 1 und 2 des § 90 SGB VII a. F. auch nicht in einem Stufenverhältnis derart, dass Abs. 2 nur zur Anwendung kommen könnte, wenn die Voraussetzungen des Abs. 1 vorliegen. Vielmehr ergänzen sich die Neufeststellungen nach Abs. 1 und Abs. 2 des § 90 SGB VII a. F. so, dass jeweils die Vorschrift anzuwenden ist, die nach Durchführung einer Vergleichsberechnung zu einem höheren Jahresarbeitsverdienst führt. Ist eine Neuberechnung nach § 90 Abs. 1 S. 1 SGB VII a. F. nicht möglich, weil der Versicherte seine Ausbildung innerhalb der vorgeschriebenen Zeit absolviert hatte, so schließt dies eine Neuberechnung nach § 90 Abs. 2 SGB VII a. F. grundsätzlich nicht aus, zumal der Versicherte im Regelfall auch das 30. Lebensjahr noch nicht vollendet haben dürfte. Eine Sperrwirkung für eine Neufestsetzung des Jahresarbeitsverdienstes auch nach § 90 Abs. 2 SGB VII a. F. durch eine fristgemäß abgeschlossene Ausbildung oder ein fristgemäß beendetes Studium entspricht nicht Wortlaut und System des § 90 SGB VII a. F. (BSG, Urteil vom 19. Dezember 2013 – B 2 U 5/13 R -, Rn. 17 f.; LSG Thüringen, Urteil vom 10. Dezember 2015 – L 1 U 667/14 -, Rn. 20 ff. jeweils zitiert nach Juris, m. w. N.).
Nach der Zweckbestimmung des § 90 Abs. 2 SGB VII a. F. sollen Nachteile ausgeglichen und Härten vermieden werden, die für Versicherte entstehen, die in jungen Jahren, also vor Vollendung des 30. Lebensjahres, einen Versicherungsfall erleiden und deshalb im Jahr vor dem Unfall noch nicht das volle Arbeitsentgelt erzielt haben. Es soll verhindert werden, dass für Berufsanfänger das typischerweise niedrigere Anfangsentgelt auf Dauer für die Berechnung von Geldleistungen herangezogen wird. Im Ergebnis wird dieser Personenkreis also so gestellt, als ob der Versicherungsfall erst nach Abschluss der Berufsausbildung oder nach beruflicher Etablierung eingetreten wäre. Die Nachteile oder Härten müssen aber nicht konkret im Einzelfall vorliegen. Denn durch § 90 SGB VII a. F. ist der abstrakte Schadensausgleich, der sich nach dem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit und dem Jahresarbeitsverdienst bemisst, nicht durch eine konkrete Schadensberechnung ersetzt worden. Die Vorschrift bestimmt die eine der beiden Schadensbemessungsgrößen abweichend vom zeitlichen Bezugsrahmen des § 82 Abs. 1 SGB VII als maßgeblich. Wenn der Gesetzgeber mit der begrenzten Berücksichtigung einer Berufsentwicklung nach dem Unfall nicht zur konkreten Schadensberechnung übergegangen ist, so hat er in Kauf genommen, dass die günstigere Berechnung des Jahresarbeitsverdienstes nach § 90 SGB VII a. F. auch denjenigen Versicherten zugutekommt, die ihr Ausbildungsziel trotz der Folgen des Versicherungsfalls erreicht haben und ein entsprechendes Einkommen erzielen, also keinen wirtschaftlichen Schaden im konkreten Beruf erlitten haben (Schudmann, in Schlegel/Voelzke, Juris-Praxiskommentar SGB VII, Stand August 2020, § 90 a. F. Rn. 24, 25 und 72).
Die zum Zeitpunkt der Vollendung des 30. Lebensjahres bzw. aktuell bestehende Einkommenssituation des Klägers aufgrund seiner beruflichen Stellung ist daher ohne Belang für die Frage der Anwendbarkeit des § 90 Abs. 2 SGB VII a. F. und einen daraus resultierenden Anspruch auf Neufestsetzung des der Verletztenrente zugrundeliegenden Jahresarbeitsverdienstes.
Entgegen der Ansicht der Beklagten ist für eine Anwendbarkeit des § 90 Abs. 2 SGB VII a. F. ebenso ohne Belang, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Unfalls vom 20. Juli 2006 bei der Bundesagentur für Arbeit als arbeitslos gemeldet war. Dies ergibt sich nach Auffassung des Senats aus einer Gesamtschau der Rechtsprechung, die zu der Vorschrift des § 90 Abs. 2 SGB VII a. F. in Fallkonstellationen ergangen ist, in denen der Zeitpunkt des maßgeblichen Arbeitsunfalls – wie hier - außerhalb von Zeiten einer Beschäftigung oder Berufsausbildung lag und der sich der Senat nach eigener Prüfung insoweit anschließt. In dem Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 04. Februar 2013 (L 2 U 40/11) ist bei der Berechnung des Jahresarbeitsverdienstes nach § 90 Abs. 2 SGB VII a. F. im Ergebnis auf das Entgelt einer Angestellten mit abgeschlossener wissenschaftlicher Hochschulausbildung abgestellt worden, wobei sich der Arbeitsunfall dort während des Studiums an einer technischen Universität beim Hochschulsport ereignet hatte (vgl. Rn. 46 f. des genannten Urteils, zitiert nach Juris). In der hiergegen eingelegten Revision, über die das BSG mit Urteil vom 19. Dezember 2013 (B 2 U 5/13 R) entschieden hatte, bejahte das BSG die Anwendbarkeit des § 90 Abs. 2 SGB VII a. F. auf der Basis des tariflichen Entgelts für den Beruf der Versicherten nach ihrem fristgemäßen Abschluss des Studiums (vgl. Rn. 18 des genannten Urteils, zitiert nach Juris). Das Bayerische LSG setzte in seinem Urteil vom 18. Juni 2015 (L 2 U 440/11, Rn. 70 ff., zitiert nach Juris) unter Hinweis auf das Urteil des BSG vom 19. Dezember 2013 für die Neuberechnung des Jahresarbeitsverdienstes nach § 90 Abs. 2 SGB VII a. F. die bei Eintritt des Versicherungsfalls ausgeübte Ausbildungstätigkeit (z.B. als Schüler) einer späteren gleich (z.B. als Akademiker), sofern es sich bei der späteren Tätigkeit um diejenige handelt, auf die die zum Zeitpunkt des Versicherungsfalls absolvierte Ausbildung abzielt. In dem entschiedenen Fall (Versicherungsfall als Schülerin, nach Schulabschluss zunächst Banklehre, dann Studium der Betriebswirtschaftslehre) hat das LSG diese Voraussetzung aber nicht als erfüllt angesehen und folgerichtig eine Neuberechnung des Jahresarbeitsverdienstes nach § 90 Abs. 2 SGB VII a. F. auf der Grundlage des Entgelts für eine diplomierte Betriebswirtin abgelehnt. Wäre das Studium der Betriebswirtschaftslehre indes als Teil einer mehrstufigen Gesamtausbildung zu werten gewesen, wäre die Versicherte so zu stellen gewesen, als habe sie den Versicherungsfall als Betriebswirtin erlitten. Denn maßgeblich sind Verdiensterhöhungen, die für Personen mit gleichartiger Tätigkeit bei Vollendung eines bestimmten Lebensjahres oder Erreichen eines bestimmten Berufsjahres vorgesehen sind, wobei nicht nur Tätigkeiten zu berücksichtigen sind, die der Versicherte zum Zeitpunkt des Versicherungsfalls ausgeübt hat, sondern ggf. auch später ausgeübte Tätigkeiten. Ausreichend für die Feststellung einer vergleichbaren Tätigkeit ist eine Übereinstimmung in den wesentlichen Merkmalen der Tätigkeit (Becker, in Becker/Franke/Molkentin, SGB VII Kommentar, 5. Aufl, 2018, § 90 a. F. Rn. 12a).
Nach Auffassung des Senats steht die Arbeitslosigkeit des Klägers, die einen Tag vor dem Arbeitsunfall und nach erfolgreichem Abschluss der Meisterprüfung eingetreten ist, in einem untrennbaren Gesamtzusammenhang mit der Ausbildung zum Elektroinstallateur und der Fortbildung zum Elektrotechnikmeister, die es unter maßgeblicher Berücksichtigung der zuvor genannten Rechtsprechung als geboten erscheinen lässt, eine gleichartige Tätigkeit zu bejahen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass dem Kläger Leistungen der Bundesagentur für Arbeit gerade aus denjenigen Beiträgen gewährt werden, die er zuvor als sozialversicherungspflichtig beschäftigter Arbeitnehmer anteilig neben seinem Arbeitgeber finanziert hat. Zudem stand ihm bei Eintritt des Versicherungsfalls der Arbeitslosigkeit ein Rechtsanspruch auf Leistung nur dann zu, wenn er zuvor die gesetzlich geforderte Mindestzeit versichert war. Weiterhin richtet sich die Höhe des Arbeitslosengeldes grundsätzlich nach dem versicherungspflichtigen Bruttoarbeitsentgelt, welches der Arbeitslose im letzten Jahr vor der Entstehung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld durchschnittlich erzielt hat. Auch die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes ist an die Dauer der zuvor ausgeübten Beschäftigung gekoppelt (vgl. §§ 136 ff. Drittes Buch Sozialgesetzbuch <SGB III>). Damit steht das Arbeitslosengeld I – anders als etwa das Arbeitslosengeld II - in Abhängigkeit von und in Kontinuität zu der zuvor ausgeübten Beschäftigung, die die Annahme eines die Anwendbarkeit des § 90 Abs. 2 SGB VII a. F. auszulösenden Gesamtzusammenhangs rechtfertigt. Im Einklang mit den obigen Ausführungen findet sich auch in der Kommentarliteratur zu § 90 Abs. 2 SGB VII a. F. im Zusammenhang mit der Feststellung des maßgeblichen Tarifvertrags der Hinweis, dass die tatsächliche Aufnahme einer – der Ausbildung entsprechenden oder nicht entsprechenden – Tätigkeit zum maßgeblichen Zeitpunkt – also zum Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls – nicht erforderlich ist, Arbeitslosigkeit zum Beispiel also ohne Bedeutung ist (Ricke, in Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht SGB VII, 110. EL Stand Juli 2020, § 90 a. F. Rn. 20).
Dem steht – entgegen der Annahme der Beklagten - das Urteil des Bayerischen LSG vom 12. Juni 2018 – Az. L 2 U 11/16 - nicht entgegen. Wurde dort die Neuberechnung eines Jahresarbeitsverdienstes gemäß § 90 Abs. 2 SGB VII a. F. wegen Teilnahme an einer Einstiegsqualifizierung abgelehnt, so war dies dem dort vorliegenden besonderen Charakter der Einstiegsqualifizierung geschuldet. Diese bestand nicht etwa aus definierten Lehrbausteinen, sondern wurde je nach Verfügbarkeit recht freihändig zusammengesetzt, so dass im Ergebnis zwar eine eher schulische Ausbildung durch Teilnahme an verschiedenen Kursen angenommen werden konnte, nicht aber eine fachlich-betriebliche bzw. konkret berufsvorbereitende Ausbildung (vgl. Rn. 40 ff. und 146 f. des zuvor genannten Urteils, zitiert nach Juris).
Für die Neufestsetzung des Jahresarbeitsverdienstes gemäß § 90 Abs. 2 SGB VII a. F. hat die Beklagte nach Satz 1 dieser Vorschrift den im Zeitpunkt des Versicherungsfalls – also am 20. Juli 2006 - gültigen Tarifvertrag anzuwenden bzw. mangels tariflicher Regelung dasjenige Arbeitsentgelt, das für derartige Tätigkeiten am Beschäftigungsort der Versicherten gilt. Das Abstellen auf den Tarifvertrag enthält einepauschalierende Regelungum individuelle Zufälligkeiten im Rahmen des jeweiligen Beschäftigungsverhältnisses nach der Ausbildung mit unter Umständen auch gegebenen Feststellungsschwierigkeiten auszuschließen. Daher bleiben tarifliche Regelungen für besondere persönliche Leistungen oder Arbeitsbedingungen außer Betracht (Ricke, a. a. O., § 90 a. F. Rn. 20 m. w. N.).
Maßgeblich ist der für das Ausbildungsunternehmen seiner Art nach am Tag nach dem Ausbildungsende geltende Tarifvertrag, sei es ein Branchentarifvertrag, sei es ein berufsspezifischer für den Ausbildungsberuf. Auf den Tarifvertrag am Ort der ersten Tätigkeit abzustellen, besteht kein sachlicher Grund und wirft vermeidbare Probleme auf, wenn nach Ausbildungsende keine Tätigkeit aufgenommen wird oder erst unter Umständen erheblich später (zum Beispiel wegen Heirat, Arbeitslosigkeit, Studium). Das Ausbildungsunternehmen dagegen ist immer feststellbar. Hat die Ausbildung nicht in einem Unternehmen stattgefunden, wie zum Beispiel im Fall eines Studiums, fehlt es an einem tariflich anbindungsfähigen Unternehmen und damit einem maßgeblichen Tarifvertrag; dann gilt die Ortsüblichkeits-Regel (Ricke, a. a. O., § 90 a. F. Rn. 18 m. w. N.).
Der Kläger absolvierte ab dem 29. August 2005 in Vollzeit bei der Handwerkskammer Frankfurt (Oder) eine Fortbildung zum Elektrotechnikmeister, die er am 18. Juli 2006 mit dem Bestehen der Meisterprüfung abschloss. Seine Ausbildung hat damit nicht in einem Unternehmen stattgefunden, so dass es an einem tariflich anbindungsfähigen Unternehmen und damit an einem maßgeblichen Tarifvertrag fehlt und gemäß den obigen Ausführungen die Ortsüblichkeits-Regel greift.
Ortsüblich ist das Entgelt, das am Beschäftigungsort durchschnittlich für die der Ausbildung entsprechende Tätigkeit gezahlt wird. Zur Höhe sind Erhebungen bei einer repräsentativen, in der Regel aber verhältnismäßig geringen Zahl dem Ausbildungsunternehmen vergleichbarer Betriebe erforderlich; auch Auskünfte über Innungen, Kammern, Verbände usw. kommen in Betracht. Der maßgebliche Beschäftigungsort ist bei betrieblicher Ausbildung der des ausbildenden Betriebs oder Betriebsteils zur Zeit des Versicherungsfalls. Nach dem Regelungssinn steht außerbetriebliche Ausbildung, zum Beispiel Schulausbildung oder Studium, einer betrieblichen gleich, ist also auch nach der gesetzlich gewollten eindeutigen Bestimmbarkeit auf deren Ort abzustellen. Die äußeren Grenzen dieses Ortes sind seine Gemeindegrenzen. (Ricke, a. a. O., § 90 a. F. SGB VII Rn. 23, m. w. N.; vgl. auch BSG, Urteil vom 24. April 1975 – 8 RU 116/74 –, Juris).
Einen gewichtigen Anhaltspunkt für den ortsüblichen Jahresarbeitsverdienst eines Elektrotechnikmeisters im Land Brandenburg bzw. in F liefert nach Auffassung des Senats auch die Bestätigung der Firma Ritter S vom 16. Dezember 2015, wonach mit Beginn der in Vollzeit geplanten Arbeitsaufnahme am 15. August 2006 ein monatlicher Bruttoarbeitslohn von 2.034,00 € vorgesehen war. Dementsprechend haben sich die Beteiligten zur Vermeidung aufwändiger Ermittlungen einer Anregung des Senats folgend mit Schriftsätzen vom 19. November 2020 und vom 06. Januar 2021 (Kläger) bzw. vom 11. Dezember 2020 (Beklagte) darauf verständigt, dass als ortsübliches Arbeitsentgelt für einen Elektrotechnikmeister in F zur Zeit des Arbeitsunfalls vom 20. Juli 2006 der dem Kläger von der Firma R mit Beginn der in Vollzeit geplanten Arbeitsaufnahme am 15. August 2006 in Aussicht gestellte monatliche Bruttoarbeitslohn von 2.034,00 €, mithin ein Jahresarbeitsverdienst von brutto 24.408,00 € zugrunde zu legen ist. Der Senat legt das Ergebnis dieser Verständigung als hier im Rahmen des § 90 Abs. 2 SGB VII a. F. geltendes ortsübliches Arbeitsentgelt zugrunde.
Die Neufestsetzung gemäß § 90 Abs. 2 SGB VII a. F. und unter Zugrundelegung eines Jahresarbeitsverdienstes von brutto 24.408,00 € ist durch einen Bescheid wegen Änderung der Verhältnisse nach § 48 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 1 SGB X mit Wirkung ab dem Zeitpunkt dieser Änderung, also dem Erreichen des 30. Lebensjahres des Klägers am 05. Juli 2013 vorzunehmen. Die dadurch erhöhte Rente ist gemäß § 73 Abs. 1 SGB VII nach Ablauf des Monats zu leisten, in dem die Änderung wirksam geworden ist, mithin ab dem 01. August 2013.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG und trägt dem Ausgang des Verfahrens Rechnung.
Die Revision wird nicht zugelassen, da kein Fall des § 160 Abs. 2 SGG vorliegt. Die oben dargelegten unterschiedlichen Ergebnisse in der ober- und höchstgerichtlichen Rechtsprechung insbesondere zur Frage der Anwendbarkeit des § 90 Abs. 2 SGB VII a. F., aber auch zur Frage der Anwendbarkeit des § 87 SGB VII a. F., beruhen nicht auf einer abweichenden rechtlichen Wertung, sondern auf einer entscheidungserheblichen Verschiedenheit der jeweils zugrundeliegenden Sachverhalte, so dass insbesondere kein Fall des § 160 Abs. 2 Nr.1 bzw. Nr. 2 SGG gegeben ist.