L 9 KR 234/18

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 81 KR 1383/17
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 KR 234/18
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Mit der vorbehaltlosen Zahlung von Rechnungen für Leistungen der häuslichen Krankenpflege durch den Träger der Sozial- oder Jugendhilfe erlischt der Zahlungsanspruch des Pflegedienstes gegen einen Versicherten. Versicherte können den möglichen Erstattungsanspruch des Trägers der Sozial- oder Jugendhilfe nicht stellvertretend für den Träger gegenüber der Krankenkasse gemäß § 13 Abs. 3 SGB V verfolgen. Ein Rückgriff des Trägers der Sozial- oder Jugendhilfe auf den Versicherten ist regelmäßig unzulässig.

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 1. August 2018 (S 72 KR 91/16) wird als unzulässig verworfen, soweit es den Zeitraum 1. Oktober 2015 bis 31. Dezember 2015 betrifft. Im Übrigen wird die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 1. August 2018 (S 72 KR 91/16) zurückgewiesen.

 

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 28. Juni 2018 (S 81 KR 1383/17) wird zurückgewiesen.

 

Außergerichtliche Kosten sind auch für die Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

 

Die Beteiligten streiten über die Begleichung der Kosten häuslicher Krankenpflege in Höhe von insgesamt 86.946,48 Euro für die Zeit von 21. Mai 2015 bis einschließlich Dezember 2015 sowie in Höhe von 357.851,43 Euro für die Zeit von April 2016 bis einschließlich Juni 2017.

 

Der Kläger ist am 25. Juli 2013 geboren und war bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Er leidet als frühgeborenes Kind (25 + 1 Schwangerschaftswoche mit einem Geburtsgewicht von 890 Gramm) unter einem Ultrakurzdarmsyndrom nach schwerer nekrotisierender Enterokolitis mit Verlust von ca. 80 Prozent des Dünndarms und Dickdarms. Er war auf die parenterale Nährstoffzufuhr über einen Venen-Katheter (Broviak-Katheter) angewiesen und hatte einen künstlichen Darmausgang (Ileostoma). Er litt des weiteren an einer globalen Entwicklungsretardierung mit Verdacht auf ADHS und war mit einem Pulsoximeter (Sauerstoffmessgerät) wegen Sättigungsabfällen und auffälligem Polysomnographiebefund versorgt. Der Einsatz des Venen-Katheters (Broviac-Katheter) erforderte, auch aufgrund von eigenen Manipulationen des Klägers als Kleinkind in der Vergangenheit, diverse stationäre Krankenhausaufenthalte. Der Kläger stand unter Vormundschaft (§ 1791b Bürgerliches Gesetzbuch - BGB) des Bezirksamtes Mitte von Berlin (Bescheinigung des Amtsgerichts Pankow/Weißensee vom 27. August 2013), ab dem 9. Oktober 2015 beschränkt auf die Bereiche Gesundheitssorge und die Befugnis, für den Kläger Anträge nach den Sozialgesetzbüchern zu stellen und das Kind gegenüber den zuständigen Institutionen und Gerichten zu vertreten.

 

Der Kläger wurde seit Ende 2013 im Umfang von 24 Stunden täglich durch den „Kinder-Intensivpflegedienst “ betreut, in deren Einrichtung (Wohngemeinschaft) er sich aufhielt. Er erhielt spezielle Beobachtung und pflegerische Betreuung, auch um Manipulationen an dem Katheter bzw. dem Ileostoma zu verhindern. Der Pflegedienst (Beigeladene zu 2) stellte dafür Leistungen gemäß Ziffer 24 der Anlage zur Häusliche Krankenpflege-Richtlinie - HKP-RL in der Fassung vom 17. September 2009, in der Fassung vom 17. Juli 2014, veröffentlicht im Bundesanzeiger BAnz AT 06.10.2014 B2 vom 6. Oktober 2014 in Kraft getreten am    7. Oktober 2014) in Rechnung. Zwischen dem Kläger, vertreten durch den Amtsvormund, und dem beigeladenen Pflegedienst wurde am 24. November 2013 ein Vertrag über ambulante pflegerische Leistungen geschlossen, in dem sich der Kläger dazu verpflichtet hat, die nicht bewilligten, aber aufgrund ärztlicher Anordnung in Anspruch genommenen Leistungen des Pflegedienstes auf der Grundlage der mit den gesetzlichen Krankenkassen jeweils vereinbarten vertraglichen Vergütungen selbst zu bezahlen.

Der Kläger erhielt bis 31. Mai 2015 Leistungen der Pflegeversicherung in Höhe der Pflegestufe II, ab dem 01. Juni 2015 bewilligte die Pflegekasse Leistungen der Pflegestufe I, da der Hilfebedarf im Bereich der Ernährung entfallen sei (Bescheid vom 11. Mai 2015 und nachfolgendes MDK-Pflegegutachten vom 3. Juni 2016).

 

Der Kläger erhielt vom Beigeladenen zu 1). - konkret dem „Jugendamt/Eingliederungshilfe“ - für den Zeitraum vom 1. Januar 2015 bis zum           31. Dezember 2017 die Kosten für die stationäre Unterbringung in der Einrichtung der Beigeladenen zu 2) gemäß Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) in Gestalt der Unterbringung, Verpflegung, Investitionskosten und Hygieneartikel (Bescheide vom 25. Februar 2015 und 18. Januar 2016, 30. Juni 2016).

 

Für den Kläger wurde für den Zeitraum vom 1. April 2015 bis 31. Dezember 2015 mit ärztlichen Verordnungen der behandelnden Kinderärzte vom 11. März 2015, 10. Juni 2015 und 9. September 2015 häusliche Krankenpflege in Gestalt der Behandlungspflege, konkret Zuckermessung, Injektionen, Medikamentengabe sowie der speziellen Krankenbeobachtung (Monitoring) im Hinblick auf die erhöhte Aspirationsgefahr (= das Eindringen von flüssigen oder festen Stoffen in die Atemwege während der Einatmung), die parenterale Ernährung, eine Elektrolytentgleisung bzw. zum Eingreifen in Notfallsituationen im Umfang von 24 Stunden täglich für die Zeit ab dem 1. April 2015 bis zum 31. Dezember 2015 verordnet. Für den Zeitraum vom April 2016 bis Juni 2017 liegen entsprechende ärztliche Verordnungen vom 10. März 2016, 30. Mai 2016, 18. August 2016, 22. September 2016 sowie für die Zeit vom 1. Januar 2017 bis 30. Juni 2017 eine Verordnung ohne Datum vor. Die Kinderärzte hielten ausweislich mehrerer Atteste eine 24-stündige Krankenbeobachtung u.a. zur Sicherstellung der verordneten Therapie und um den Eintritt lebensbedrohlicher Situationen zu verhindern für notwendig, zu denen es in der Vergangenheit bereits gekommen sei.

 

Nachdem die Beklagte die Krankenpflege zuvor in dem verordneten Umfang (24-Stunden spezielle Krankenbeobachtung) bewilligt hatte, bewilligte sie auf den Antrag des Klägers auf weitere Genehmigung der häuslichen Krankenpflege vom 23. März 2015 für den Zeitraum vom 1. April 2015 bis zum 30. Juni 2015 (unter Übersendung der ärztlichen Verordnung vom 11. März 2015) lediglich für den Zeitraum vom 1. April 2015 bis zum 20. Mai 2015 die beantragte Leistung unter Berücksichtigung der Leistungen der Pflegeversicherung im Umfang von 21,37 Stunden pro Tag; Für den Anschlusszeitraum ab dem 21. Mai 2015 erfolgte dagegen keine Bewilligung. Zur Begründung führte die Beklagte aus: Die Voraussetzungen für die spezielle Krankenbeobachtung seien nicht mehr gegeben. Ab dem 21. Mai 2015 könne sie sich an diesen Kosten daher nicht mehr beteiligen. Denn der MDK sei in seiner aktuellen Stellungnahme zu dem Ergebnis gelangt, dass bei dem Kläger zwar unstreitig ein hoher pflegerischer Versorgungsaufwand in Gestalt der kontinuierlichen Betreuung und Beaufsichtigung bestehe, aber keine Notwendigkeit der speziellen Krankenbeobachtung. Nach Einschätzung des MDK sei die Voraussetzung, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit eine sofortige ärztliche/pflegerische Intervention bei lebensbedrohlichen Situationen erforderlich sei, nicht gegeben (so das MDK-Gutachten vom 11. Mai 2015). Bei medizinischer Notwendigkeit könnte der Kläger Leistungen der allgemeinen häuslichen Krankenpflege wie z.B. die Medikamentengabe und Infusion beantragen (Bescheid vom 13. Mai 2015).

 

Der Kläger erhob gegen den Bescheid vom 13. Mai 2015 und die Ablehnung der häuslichen Krankenpflege ab dem 21. Mai 2015 Widerspruch. An seinem schweren Krankheitsbild habe sich nichts geändert. Die Nahrungsversorgung erfolge weiterhin über den Broviac-Katheter, wenn auch nunmehr ein oraler Nahrungsaufbau betrieben werde, um eine Entwöhnung von dem Katheter in die Wege zu leiten. Um eine eventuell entstehende Entzündung an der Eintrittsstelle des Katheters rechtzeitig erkennen und medizinisch versorgen zu können, verstehe sich von selbst, dass eine 24-stündige Krankenbeobachtung stattfinden müsse. Beim Ess-Training komme es weiterhin zum Verschlucken, sodass die dauernde Kontrolle und ein Eingreifen seitens des Pflegepersonals zum Abwenden von Notfallsituationen zwingend erforderlich sei. Nicht zu vergessen sei das Handling und die Pflege des Ileostoma, um auch hier Infektionen und Schäden der Eintrittsstelle sowie der umliegenden Hautareale zu verhindern. Gemäß einer beigefügten Stellungnahme des Vivantes Klinikums vom     15. Mai 2015 seien die intensiv geschulte Pflege, Verbandswechsel und Beobachtung für den zentralen Venenkatheter und das Ileostoma erforderlich. Der Kläger sei ein umtriebiges und lebhaftes Kind und benötige daher zur Vermeidung einer Dislokation (= Verschiebung oder Lageveränderung) des zentralen Katheters unbedingt eine 1:1- Betreuung über 24 Stunden. Des Weiteren benötige er eine 24-stündige Monitorüberwachung, da es im Rahmen von Aspirationen bereits zur Zyanose (= bläuliche Verfärbung der Haut aufgrund von Sauerstoffmangel im Blut) und Atembehinderung gekommen sei. Bei ähnlichen Ereignissen sei ein geschultes Handeln bis zur Reanimation erforderlich.

 

Die Beigeladene zu 2) erbrachte für den Kläger auch für die Zeit ab dem 21. Mai 2015 eine 24-Stunden-Krankenbeobachtung und stellte diese bis September 2015 der Beklagten in Rechnung (vgl. Leistungsnachweis und Rechnung jeweils vom 1. Juni 2015 für Mai 2015). Diese berief sich auf ihren ablehnenden Bescheid und teilte dem Pflegedienst mit, er sei nicht abrechnungsberechtigt.

 

Die Beklagte lehnte dem Kläger gegenüber auch die weitere Kostenübernahme für die Zeit ab dem 1. Juli 2015 bis 31. Dezember 2015 mit Bescheiden vom 16. Juni 2015 sowie vom 31. Juli 2015 und 27. August 2015, 6. Oktober 2015, 11. November 2015 ab. Der Kläger erhob jeweils Widerspruch. Die Beigeladene zu 2) übersandte der Beklagten fortlaufend bis November 2015 die monatlichen Rechnungen für die erbrachten Leistungen der häuslichen Krankenpflege. Ab diesem Zeitpunkt übersandte sie die Rechnungen an den Beigeladenen zu 1).

 

Mit Widerspruchsbescheid vom 16. Dezember 2015 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Kläger hat dagegen am 15. Januar 2016 Klage zum Sozialgericht Berlin erhoben (S 72 KR 91/16), mit der er die Verpflichtung der Beklagten zur Begleichung der Rechnungen des beigeladenen Pflegedienstes für die Zeit ab dem 1. Januar 2015 bis zum 30. September 2015 begehrt hat.

 

Für den Zeitraum ab dem 1. April 2016 bis zum 30. Juni 2017 lehnte die Beklagte mit Bescheiden vom 5. April 2016, 22. Juni 2016, 30. August 2016, 25. Oktober 2016,      30. Januar 2017 die Übernahme der Kosten der häuslichen Krankenpflege für den Kläger ab. Eine Kostenübernahme für den Zwischenzeitraum vom 1. Januar 2016 bis zum 31. März 2016 (ärztliche Verordnung vom 4. Dezember 2015) lehnte die Beklagte ab, weil die ärztliche Verordnung verspätet, nämlich erst am 4. August 2017, bei ihr eingereicht worden sei. Für den Zeitraum vom 1. April 2016 bis zum 30. Juni 2017 berechnete die beigeladene Pflegeeinrichtung Kosten für die erbrachte häusliche Krankenpflege in Höhe von insgesamt 357.851,43 Euro.

 

Der Kläger erhob auch gegen diese Ablehnungen für den Zeitraum ab dem 1. April 2017 Widerspruch. Diesen wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28. Juni 2017 zurück. Der Kläger hat gegen den Widerspruchsbescheid am 13. Juli 2017 insgesamt fünf Klagen zum Sozialgericht Berlin erhoben, die das Sozialgericht zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter dem Aktenzeichen S 81 KR 1383/17 verbunden hat.

 

Die beigeladene Kinderintensiv-Pflegeeinrichtung (Beigeladene zu 2) hat dem Beigeladenen zu 1) als Träger der Eingliederungshilfe anlässlich der (dauerhaften) Ablehnung durch die Beklagte zum einen die Kosten der Unterbringung und Verpflegung und Behandlungspflege ab dem 21. Mai 2015 in Rechnung gestellt und ihn zum anderen in seiner Eigenschaft als Vormund um Übernahme der Kosten für die spezielle Krankenbeobachtung gebeten (11. August 2015). Das Bezirksamt Mitte Berlin des Beigeladenen zu 1) hat als Vormund für den Kläger zunächst eine andere geeignete Einrichtung für ihn gesucht und nicht gefunden (v.a. wegen der unklaren Finanzierung einer 1:1 Betreuung/Beaufsichtigung) und dann dem ebenfalls beim Land Berlin (Bezirksamt Mitte) angesiedelten Jugendamt/Fallmanagement/Eingliederungshilfe die Rechnungen des beigeladenen Pflegedienstes geschickt, um eine Verlegung des Kindes aus seinem vertrauten Umfeld mit nahezu täglichen Besuchen des Kindsvaters zu verhindern.

 

Der Beigeladene zu 1) hat als Träger der Eingliederungshilfe die für die Behandlungspflege in Gestalt der speziellen Krankenbeobachtung von der Beigeladenen zu 2) an die Beklagte ausgestellten Rechnungen sowie eine Rechnung für den Zeitraum ab Mai 2015, ausgestellt an das Bezirksamt, bis einschließlich  30. November 2017 bezahlt. Dabei stellte die Beigeladene zu 2) für den Zeitraum ab Oktober 2015 die Rechnungen für die erbrachte 24-Stunden-Krankenpflege auf das Bezirksamt Berlin Mitte von Berlin Jugendamt, Eingliederungshilfe, aus und übersandte sie diesem monatlich.

 

Der Beigeladene zu 1) erklärte gegenüber dem Beigeladenen zu 2) mit Schreiben vom 30. September 2015, auf den Antrag des Klägers, Eingliederungshilfemaßnahmen gemäß §§ 61, 75 Abs. 5, 19 Abs. 3 SGB XII für den Zeitraum ab dem 1. September 2015 „bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens im Umfang von 24 Stunden pro Tag persönliche Assistenz nach Leistungskomplex 32 für 7 Tage pro Woche im Umfang eines Stundensatzes von 19,74 Euro sowie die Kosten der Unterkunft und Regelsatz“ zu übernehmen. Die persönliche Assistenz sei anzuwenden bei schwerer Körperbehinderung und besonderer Pflegebedürftigkeit und der Notwendigkeit ständiger Beaufsichtigung und Anwesenheit zur Sicherung nicht planbarer pflegerischer Bedarfe (Tag- und Nachtwache). Das ergänzende Schreiben vom  16. Oktober 2015 (Abteilung Jugend, Schule, Sport und Facility Management – Jugendamtsleitung) führte gegenüber der Beigeladenen zu 2) aus, für September 2015 habe der Beigeladene zu 1) den vollen Rechnungsbetrag des Pflegedienstes übernommen, das gelte auch ab Mai 2015, obwohl die Kostenansätze der Eingliederungshilfe nicht denjenigen der Krankenkassen entsprächen und eine Rechtsgrundlage im Rahmen der Eingliederungshilfe fehle. Die Erforderlichkeit der Leistungsgewährung 24/7 sei aber unstreitig. Am 25. November 2015 teilte der Beigeladene zu 1) – Jugendamt – der Beigeladenen zu 2) zur Erläuterung mit, die Kosten des Leistungskomplexes 32 der Eingliederungshilfe würden vom Jugendamt in Höhe von 19,74 Euro pro Stunde übernommen, über den Betrag hinaus könne kein Bescheid/Verwaltungsakt erlassen werden, dennoch habe das Jugendamt die darüber hinausgehende Rechnung der Beigeladenen zu 2) bis Oktober 2015 gezahlt. Mit Bescheiden vom 6. Juni 2016 und vom 8. Dezember 2016 hat der Beigeladene zu 1) dem Kläger die o.g. Leistungen der Eingliederungshilfe bzw. gemäß § 61 SGB XII für den Zeitraum vom 1. Januar 2017 bis 30. Juni 2017 und vom 1. Juli 2017 bis zum 31. Dezember 2017 in der Einrichtung der Beigeladenen zu 2) bewilligt (und die monatlichen Rechnungen für die häusliche Krankenpflege in voller Höhe beglichen).

 

Parallel suchte der Beigeladene zu 1) nach einer gemeinsamen Wohn- und Betreuungsmöglichkeit für den Kläger und seinen leiblichen Vater. Einen Erstattungsantrag für die Maßnahmen der Eingliederungshilfe in Gestalt der häuslichen Krankenpflege für 24 Stunden (§ 61 SGB XII) und der aufgewendeten Kosten hat der Beigeladene zu 1) allein für die Zeit ab dem 1. Januar 2017 fortlaufend bei der Beklagten gestellt (Antrag vom 25. September 2017).

 

Der Kläger ist zum 30. November 2017 mit seinem leiblichen Vater nach Rostock umgezogen und lebt dort in einer stationären Jugendhilfeeinrichtung. Zuständige Krankenkasse ist seither die AOK Berlin-Brandenburg („Nordost“).

 

Mit Gerichtsbescheid vom 1. August 2018 hat das Sozialgericht im Verfahren S 72 KR 91/16 die Klage betreffend den Zeitraum vom 1. Januar 2015 bis zum 30. September 2015 abgewiesen. Die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage sei für den Zeitraum vom 1. Januar 2015 bis zum 20. Mai 2015 bereits unzulässig. Die streitgegenständlichen Bescheide der Beklagten beträfen ausschließlich den Leistungszeitraum ab dem 21. Mai 2015. Die Klage bezüglich dieses Zeitraums sei unbegründet. Mit Gerichtsbescheid vom 28. Juni 2018 hat das Sozialgericht im Verfahren S 81 KR 1983/17 die Klage für den Zeitraum ab April 2016 bis Juni 2017 als unbegründet abgewiesen.

Beide Gerichtsbescheide haben zur Begründetheit der Klagen ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch auf Freistellung von den Kosten der häuslichen Krankenpflege. Rechtsgrundlage für einen Anspruch auf Freistellung von den Kosten sei § 13 Abs. 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Dieser erfordere, dass Versicherte einer rechtswirksamen Zahlungsverpflichtung ausgesetzt seien. Daran fehle es im Fall des Klägers für die geltend gemachten Zeiträume, in denen er Leistungen der häuslichen Krankenpflege von dem Beigeladenen zu 2) tatsächlich erhalten habe. Bereits aus den als Nachweis für die Kostenbelastung übersandten Rechnungen des beigeladenen Pflegedienstes für die Monate Mai bis September 2015 werde deutlich, dass der Kläger in dem Zeitraum keiner Zahlungsverpflichtung ausgesetzt sei. Keine der übersandten Rechnungen sei an den Kläger adressiert.

 

Ungeachtet dessen seien sämtliche aus der häuslichen Krankenpflege für die streitigen Zeiträume resultierenden Forderungen der Beigeladenen zu 2) vom Bezirksamt Berlin bereits beglichen worden und damit dem Kläger gegenüber erloschen. Die Übernahme der Kosten der Behandlungspflege sei erkennbar, wie es in dem Schreiben des Jugendamtes an die Beklagte vom 25. September 2017 angegeben worden sei, auf der Grundlage von §  61 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) erfolgt. Gegenüber dem beigeladenen Pflegedienst sei die Begleichung der Rechnungen im Rahmen eines Schuldbeitritts bewerkstelligt worden (Hinweis auf Bundessozialgericht, Urteil vom 18. November 2014 – B 8 SO 23/13 R Rdnr. 14). Mit der Begleichung der Rechnungen durch den Beigeladenen zu 1) sei auch im Verhältnis zwischen dem Kläger und dem Pflegedienst (der Beigeladenen zu 2) Erfüllung gemäß § 362 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) eingetreten. Einen insofern allenfalls denkbaren Anspruch auf Erstattung der Kosten des Bezirksamtes von Berlin könne der Kläger selbst nicht (für das Bezirksamt) gegen die Beklagte geltend machen. Eine Ausdehnung des Kostenerstattungsanspruchs bei einer Schadensverlagerung durch Kostenübernahme eines Dritten komme nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nur auf besonders eng mit dem Versicherten verbundene Familienmitglieder in Betracht, weil von diesen ein Eintreten für die Versicherten erwartet werde (Hinweis auf Bundessozialgericht, Urteil vom 16. September 2014 – B 3 KR 19/03 R Rdnr. 15). Auf den hier vorliegenden Fall der Übernahme der Kosten durch einen anderen Sozialleistungsträger seien diese Grundsätze schon deshalb nicht übertragbar, weil das Gesetz für den Fall, dass ein unzuständiger oder nur nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbringe, in den §§ 102 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) eigenständige Erstattungsansprüche vorsehe. Für eine entsprechende Anwendung des § 13 Abs. 3 SGB V sei kein Raum, zumal die genannten Erstattungsvorschriften gerade bezweckten, dass die Zuständigkeitsstreitigkeiten allein zwischen den Trägern der Sozialleistungen ausgetragen würden. Diese Wertung komme besonders in § 107 SGB X zum Ausdruck, wonach der Anspruch des Berechtigten gegenüber dem zur Leistung verpflichteten Träger als erfüllt gelte, soweit ein Erstattungsanspruch nach §§ 102 ff. SGB X bestehe. Für den Fall des Klägers bedeute dies: Wenn ihm tatsächlich ein Anspruch auf häusliche Krankenpflege in Gestalt der 24-Stunden-Krankenbeobachtung, die die Beigeladene zu 2) erbracht habe, gegen die Beklagte zugestanden habe, so sei dieser durch die Kostenübernahme seitens des Bezirksamtes (Beigeladener zu 1) erfüllt. Die Frage, ob und in welchem Umfang ein solcher Anspruch nach § 37 Abs. 2 SGB V (in der bis zum 28. Oktober 2020 geltenden Fassung) für den Kläger bestanden habe, sei allein im Erstattungsstreit zwischen dem Bezirksamt von Berlin und der Beklagten zu klären (Hinweis auf Bundessozialgericht, Urteil vom 25. Februar 2015 – B 3 KR 11/14 R). Auf die Frage, ob das Bezirksamt von Berlin unter keinen Umständen zuständig sei, komme es im Hinblick auf § 105 SGB X, der gerade den Erstattungsanspruch des unzuständigen Leistungsträgers regele, nicht an.

 

Der Kläger hat gegen den Gerichtsbescheid vom 28. Juni 2018 (S 81 KR 1383/17), der ihm am 28. Juni 2018 zugestellt wurde, am 25. Juli 2018 Berufung eingelegt. Gegen den Gerichtsbescheid vom 1. August 2018 (S 72 KR 91/16), ihm zugestellt am 22. August 2018, hat er am 10. September 2018 Berufung eingelegt, mit der er jeweils sein Begehren weiterverfolgt.

 

Bei ihm habe – als Kleinkind – keinerlei Krankheitseinsicht und Therapiekompetenz vorgelegen. Dadurch habe die Gefahr einer lebensgefährlichen Infektion des Katheters bestanden mit der Notwendigkeit eines sofortigen Eingreifens von medizinisch ausgebildetem Personal. Gemäß Ziffer 22 der Anlage zur HKP-RL sei bei Versorgung mit einem Katheter Behandlungspflege auch dann zu gewähren, wenn durch erhebliche Schädigung mentaler Funktionen bedingte gesundheitsgefährdende Handlungen des Patienten an der Katheteraustrittsstelle wirksam verhindert werden könnten. Da sich bei ihm innerhalb weniger Minuten lebensgefährliche Blutungen oder Infektionen hätten bilden können, habe eine Situation vorgelegen, die Ziffer 24 der HKP-RL (24-Stunden spezielle Krankenbeobachtung) entspreche. Im Übrigen sei er wegen Sättigungsabfällen mit einem Monitor überwacht worden. Die Annahme des Sozialgerichts, die Rechnungen des beigeladenen Pflegedienstes seien über die Eingliederungshilfe oder Hilfe zur Pflege beglichen worden, treffe nicht zu. Das Bezirksamt habe die Rechnungen vorläufig beglichen, damit der Kläger in der Einrichtung habe verbleiben können, es habe damit nicht die Schuld der Krankenkasse zum Erlöschen bringen wollen.

 

Der Kläger beantragt schriftsätzlich,

 

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 1. August 2018 mit dem Aktenzeichen S 72 KR 91/16 aufzuheben und die Rechnungen für die dem Kläger gegenüber erbrachten Leistungen der häuslichen Krankenpflege für 24 Stunden täglich an sieben Tagen in der Woche für den Zeitraum 21. Mai 2015 bis zum 31. Dezember 2015 zu erstatten,

 

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 25. Juni 2018 mit dem Aktenzeichen S 81 KR 1383/17 aufzuheben und die Rechnungen für die dem Kläger gegenüber erbrachten Leistungen der häuslichen Krankenpflege für 24 Stunden täglich an sieben Tagen in der Woche für den Zeitraum 1. April 2016 bis zum 30. Juni 2017 zu erstatten.

 

 

Die Beklagte beantragt in beiden Verfahren jeweils schriftsätzlich,

 

            die Berufung zurückzuweisen.

 

Eine Erstattung von Kosten könne nicht erfolgen, weil der Kläger keine Kosten habe.

Die Beigeladenen zu 1) und 2) stellen jeweils keinen Antrag.

 

Der Beigeladene zu 1) trägt vor, er habe die Kosten zur häuslichen Krankenpflege durch das Fallmanagement Eingliederungshilfe vorläufig übernommen bis das Widerspruchsverfahren abgeschlossen gewesen sei, um eine Kindeswohlgefährdung zu vermeiden. Ein Erstattungsanspruch an die Beklagte sei nicht gestellt worden, weil ein Widerspruchsverfahren gegen sie anhängig gewesen sei.

Die Beigeladene zu 2) ist wirtschaftlich inaktiv, sie wird von der Geschäftsführung der  GmbH vertreten. Diese GmbH hat zum 1. Juni 2019 auch den Geschäftsbetrieb der Beigeladenen zu 2) übernommen.

 

Der Senat hat im Verfahren unter dem früheren Aktenzeichen L 9 KR 284/18 am  3. Juli 2019 einen Erörterungstermin durchgeführt und die beiden Berufungsverfahren (L  28 KR 284/18 und L 9 KR 234/18) zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung zum Aktenzeichen L 9 KR 234/18 verbunden.

 

Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsvorgänge der Beklagten und des Beigeladenen zu 1) Bezug genommen, die, soweit wesentlich, Gegenstand der Erörterung in der geheimen Beratung und der Entscheidungsfindung waren.

 

Entscheidungsgründe

 

A. Der Senat durfte in der Besetzung mit der Berichterstatterin und zwei ehrenamtlichen Richterinnen bzw. Richtern entscheiden, denn die Ausgangsentscheidungen erfolgten durch Gerichtsbescheide und der Senat hat mit Beschluss vom 24. Juni 2021 die Berufungen auf die Berichterstatterin und die ehrenamtlichen Richter/Richterinnen übertragen (§ 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz – SGG). Der Senat durfte im Wege des schriftlichen Verfahrens entscheiden, weil alle Beteiligten dazu ihr Einverständnis erklärt haben (§ 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 SGG).

 

B. Die beiden Berufungen bleiben ohne Erfolg.

 

I. Die Berufung in dem Verfahren L 9 KR 284/18 ist nur teilweise, nämlich betreffend die Erstattung von Kosten für den Zeitraum vom 21. Mai 2015 bis zum 30. September 2015, zulässig, hingegen nicht für den Anschlusszeitraum ab dem 1. Oktober 2015 bis zum 31. Dezember 2015. Denn der Zeitraum ab dem 1. Oktober 2015 war nicht Gegenstand der erstinstanzlichen Entscheidung. Gemäß § 143 SGG ist die Berufung statthaft, wenn eine rechtsmittelfähige Entscheidung ergangen ist, damit entweder ein Urteil oder gemäß § 105 Abs. 3, 1. Halbsatz SGG ein Gerichtsbescheid. Eine solche Entscheidung liegt mit dem Gerichtsbescheid vom 1. August 2018 zwar vor. Allerdings wird der Kläger für den genannten Zeitraum ab dem 1. Oktober 2015 durch die Entscheidung nicht beschwert und hat insoweit kein Rechtsschutzinteresse für die Berufung. Eine Beschwer liegt nur vor, wenn die angefochtene Entscheidung einem Kläger etwas versagt, das er beantragt hatte (formelle Beschwer, vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/B. Schmidt, SGG, 13. Aufl., Vor § 143 Rdnr. 6). Der Kläger hat vor dem Sozialgericht (72. Kammer) allein beantragt, die Rechnungen für den Zeitraum vom 21. Mai 2015 bis zum 30. September 2015 für die Erbringung der häuslichen Krankenpflege zu begleichen und auch nur für diesen Zeitraum auf Aufforderung des Sozialgerichts hin eine Bezifferung in Höhe von 86.946,48 Euro vorgenommen (Schriftsätze an das Sozialgericht vom 23. Februar 2017 und vom 13. Juni 2018, nebst Rechnungen der Beigeladenen zu 2). Das Sozialgericht hat demgemäß nur über diesen Zeitraum und den Erstattungsbetrag in seinem Gerichtsbescheid entschieden. Für den Anschlusszeitraum lag weder ein entsprechender Klageantrag noch eine Bezifferung der Erstattungsforderung noch eine gerichtliche Entscheidung vor, die den Kläger beschweren könnte.

 

II. In der Sache hat das Sozialgericht Berlin mit den zwei Gerichtsbescheiden die Klagen des Klägers zu Recht abgewiesen. Er hat keinen Anspruch auf Begleichung der Rechnung der Beigeladenen zu 2) für den streitigen Zeitraum vom 21. Mai 2015 bis zum 30. September 2015 und für die Zeit vom April 2016 bis einschließlich Juni 2017. Dies gilt sowohl hinsichtlich einer Zahlung als auch einer Freistellung von Forderungen, so auch diese überhaupt von seinem Antrag („erstatten“) umfasst war, wovon der Senat zu seinen Gunsten im Wege der Meistbegünstigung ausgeht. Die Bescheide der Beklagten in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 16. Dezember 2015 und vom 28. Juni 2017 sind rechtmäßig und beschweren den Kläger nicht.

 

Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat Bezug auf die zutreffenden Gründe der erstinstanzlichen Entscheidungen (§ 153 Abs. 2 SGG). Zu ergänzen und zu betonen bleibt:

 

Anspruchsgrundlage für einen Kostenerstattungs- wie auch Kostenfreistellungsanspruch ist – wie das Sozialgericht in beiden Entscheidungen zutreffend erkannte – § 13 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) und nicht § 37 Abs. 4 SGB V. Zwar gibt § 37 Abs. 4 SGB V im Bereich häuslicher Krankenpflege im Rahmen seines Anwendungsbereichs einen im Verhältnis zu § 13 Abs. 3 SGB V weiteren ggf. auch spezielleren Kostenerstattungsanspruch, allerdings liegen die Voraussetzungen nicht vor. Zu seinem Anwendungsbereich formuliert § 37 Abs. 4 SGB V:

 

„Kann die Krankenkasse keine Kraft für die häusliche Krankenpflege stellen oder besteht Grund, davon abzusehen, sind den Versicherten die Kosten für eine selbstbeschaffte Kraft in angemessener Höhe zu erstatten.“

 

Während § 37 Abs. 4 SGB V damit den Fall regelt, dass die Krankenkasse grundsätzlich das Vorliegen der Voraussetzungen des Absatzes 1 oder 2 und damit ihre Leistungspflicht vor Inanspruchnahme der Krankenpflege anerkannt hat und die Sachleistungen aber nicht erbringt, z.B., weil es ihr nicht möglich ist, regelt § 13 Abs. 3 SGB V den Fall, dass die Kasse das Vorliegen der Voraussetzungen des § 37 Abs. 1 und 2 SGB V gegenüber Versicherten verneint und deshalb Leistungen ablehnt (Padé in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 37 SGB V (Stand: 09.11.2021), Rdnr. 94). Um einen solchen Fall handelt sich bei dem Kläger, denn die Beklagte hat mit den angefochtenen Entscheidungen fortgesetzt das Bestehen eines Anspruchs auf häusliche Krankenpflege im Umfang von 24 Stunden spezielle Krankenbeobachtung für den Kläger verneint.

 

Die Voraussetzungen für einen Anspruch nach § 13 Abs. 3 SGB V sind nicht erfüllt, denn der Kläger ist nicht mit Kosten belastet. Er verfolgt mit der Berufung sein Begehren weiter, wonach die Beklagte Forderungen der Beigeladenen zu 2), die diese für die erbrachten Leistungen in Rechnung stellte, begleicht, respektive die Rechnungen bezahlt oder ihn zumindest freistellt. Ein Zahlungsanspruch wie auch Freistellungsanspruch scheitert für den Zeitraum vom April 2016 bis Juni 2017 schon daran, dass die Beigeladene zu 2) ihre monatlichen Rechnungen über die Erbringung der häuslichen Krankenpflege nach Aktenlage allein an den Beigeladenen zu 1) adressierte und übersandte, damit weder an den Kläger noch an die Beklagte. Für einen Anspruch mangelt es daher bereits an einer Rechnungsstellung gerade an den Kläger.

 

Ungeachtet dessen ist der Kläger aber auch aus materiellem Recht für den streitigen Gesamtzeitraum keiner Kostenlast i.S. des § 13 Abs. 3 SGB V aus den ihm von der Beigeladenen zu 2) tatsächlich erbrachten Pflegeleistungen ausgesetzt. Denn diese Leistungen wurden von dem Beigeladenen zu 1) bezahlt, eine mögliche vertragliche Forderung der Beigeladenen zu 2) gegenüber dem Kläger ist – wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat – erloschen (§ 362 Bürgerliches Gesetzbuch). Zwar bestimmte Ziff. 1, 4. Absatz des zwischen dem Kläger und der Beigeladenen zu 2) geschlossenen Vertrags über ambulante pflegerische Leistungen vom 14. November 2013, dass der Kläger die nicht bewilligten, ärztlich verordneten und von ihm in Anspruch genommenen Leistungen dem Pflegedienst selbst zu bezahlen hatte. Damit sollte er eine Art Ausfallhaftung übernehmen. Diese Vertragsgestaltung ist grundsätzlich zulässig, verstößt insbesondere nicht gegen § 32 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I), weil damit zum Nachteil des Klägers von Regelungen des SGB abgewichen worden sein könnte (dazu Bundessozialgericht, Urteil vom 18. November 2014 – B 8 SO 23/13 R Rdnr. 15 a.E.). Hier spricht aber bereits einiges dafür, dass der Beigeladene zu 1) die dem Kläger erbrachten Leistungen dem Kläger i.S. der Vertragsbestimmung sogar „bewilligte“ und schon deshalb keine vertragliche Forderung des Pflegedienstes gegenüber dem Kläger entstanden ist. Der Beigeladene zu 1) hat mit Bescheiden vom 30. September 2015 – adressiert an die Beigeladene zu 2) – sowie vom 30. Juni 2016 und 8. Dezember 2016 – letztere beiden adressiert an die Amtsvormundin des Klägers – diesem jeweils Eingliederungshilfe in Gestalt der 24-Stunden-Assistenz zum Leistungskomplex 32 für die Pflegeleistungen der Beigeladenen zu 2) bewilligt. Für den Zeitraum vom Mai 2015 bis September 2015 hat er die höheren abgerechneten Sätze der Beigeladenen zu 2) spätestens mit dem Bescheid vom 16. Oktober 2015 bewilligt, das spätere erläuternde Schreiben vom 25. November 2015 hat dies nicht zurückgenommen. Spätestens mit den einzelnen Zahlungen auf die Rechnungen liegt eine konkludente Bewilligung auch gegenüber dem Kläger in anderer Weise i.S. des § 33 Abs. 2 Satz 1 SGB X vor (vgl. Pattar in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl., § 33 SGB X (Stand: 01.12.2017), Rn. 89). Bei anderer Betrachtung hätte der Kläger in Höhe der Differenz zwischen den Stundensätzen der Eingliederungshilfe und den Pflegeleistungen Leistungen ohne Rechtsgrund erhalten. Selbst wenn aber damit keine Bewilligungsentscheidung in voller Höhe der abgerechneten Leistungen gegenüber dem Kläger erfolgte, ist der Beigeladene zu 1) für die vom Kläger in Anspruch genommenen Pflegeleistungen insgesamt gegenüber der Beigeladenen zu 2) der klägerischen Schuld beigetreten und hat auf die ab November 2015 allein an ihn andressierten Rechnungen auch Zahlungen in voller Höhe ohne Vorbehalt geleistet. Soweit der Beigeladene zu 1) sich demgegenüber im hiesigen Verfahren darauf beruft, er habe „nur vorläufig“ gezahlt, ist eine entsprechende einschränkende Zahlungsbestimmung dem Kläger oder der Beigeladenen zu 2) gegenüber zu keinem Zeitpunkt erfolgt. Vielmehr ging der Beigeladene zu 1) auch nach eigenen Vorstellungen davon aus, die Leistungen dem Kläger als Eingliederungshilfe – möglicherweise auch ohne Rechtsgrundlage – zu erbringen (vgl. den entsprechenden Vermerk in den Akten des Beigeladenen zu 1 vom 17. September 2017, wonach das Jugendamt/Fallmanagement der Eingliederungshilfe seit September 2015 die Kosten der Behandlungspflege zwischen 25.000 und 26.000 Euro monatlich übernehme). Ein möglicher Zahlungsanspruch aus dem privaten Pflegevertrag ist damit erloschen.

 

Das Erlöschen einer Forderung eines Leistungserbringers durch Erfüllung steht einem Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 SGB V nicht per se entgegen. Es ist für die Frage der Kostenlast des Klägers aber entscheidend, dass hier die Zahlungen eines Dritten, nämlich des Beigeladenen zu 1) die Forderung des Pflegedienstes (Beigeladene zu 2) zum Erlöschen gebracht haben. Haben die Versicherten selbst (oder ihre Familienangehörigen) die Zahlung für die benötigten Sachleistungen vorgenommen, hat dies zunächst nur Auswirkungen auf die Frage, ob sie nach § 13 Abs. 3 SGB V einen Anspruch auf Zahlung/Freistellung oder auf Erstattung der aufgewendeten Kosten haben (KassKomm/Schifferdecker, 115. EL Juli 2021, SGB V § 13 Rn. 99/100, vgl. dazu auch die Ausführungen des Sozialgerichts in S 81 KR 1383/17). Sind Versicherte für die Leistung damit in Vorleistung gegangen, haben sie gegen die Krankenkasse einen Anspruch auf Erstattung ihrer Aufwendungen aus § 13 Abs. 3 SGB V, denn die Kostenlast hat sich „realisiert“ und ihr Vermögen ist geschmälert. Von dieser Sachlage geht § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V gerade in seinem Wortlaut „selbstbeschafft“ aus. Hat dagegen ein Dritter auf eine von einem Leistungserbringer erhobene Forderung für den Versicherten eine Zahlung geleistet oder ist der Schuld gemäß § 421 BGB beigetreten, so verbleibt beim Versicherten nur dann eine Kostenlast, wenn dieser aus der Zahlung oder dem Schuldbeitritt selbst einer Forderung des Dritten ausgesetzt ist, so z.B. im Fall eines Darlehens, welches der Dritte gewährte, anders aber z.B. bei einer Schenkung.

Ausgehend davon ist der Kläger keiner Forderung aus der vom Beigeladenen zu 1) an die Beigeladene zu 2) erfolgten Zahlung ausgesetzt, die er als „Kostenlast“ i.S. des §  13 Abs. 3 SGB V geltend machen könnte. Der Beigeladene zu 1) hat den Schuldbeitritt und die Zahlungen entweder als (unzuständiger) Träger der Sozialhilfe geleistet. In diesem Fall könnte ein Erstattungsanspruch gegen die Beklagte entstanden sein. Voraussetzung eines solchen Anspruchs wäre, dass dessen Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen und kein Ausschlussgrund eingreift. Der Beigeladene zu 1) müsste eine rechtmäßige Leistung als Nachrangiger [§ 104 SGB X], als Unzuständiger [§ 105 SGB X] oder Vorleistender [§ 102 SGB X]) erbracht haben und es dürfen keine Ausschlussgründe für den Erstattungsanspruch im Übrigen vorliegen. In diesem Fall schließen § 107 SGB X und §§ 102 ff. SGB X eine Kostenlast bei dem Kläger aus. Denn nach § 107 SGB X gilt die Leistung des Sozialhilfeträgers dem Kläger gegenüber als Leistung der Krankenkasse und bringen einen Leistungsanspruch nach dem SGB V zum Erlöschen. Das ist selbst dann der Fall, wenn der Erstattungsanspruch zwar zunächst entstanden ist, aber aufgrund des Ablaufs der Frist des § 111 SGB X für seine Geltendmachung später untergegangen ist oder andere Durchsetzungshindernisse bestehen. Bestand einmal ein Erstattungsanspruch, schließt bereits das einen „Rückgriff“ des Erstattungsberechtigten, hier des Beigeladenen zu 1), auf den Kläger wegen der aufgewendeten Kosten aus. Der Beigeladene zu 1) muss sich vielmehr an die Beklagte halten. Die Vorschriften über die Erstattung zwischen den Trägern von Sozialleistungen sind insoweit speziell und abschließend, Maßnahmen gegenüber dem Leistungsberechtigten sind ausgeschlossen (vgl. nur Roos in: Schütze, SGB X, 9. Aufl. vor § 102 Rn. 1 und 3, beck-online: „geschlossene Lösung“, „Es besteht kein Wahlrecht, auf den Erstattungsausgleich unter den Leistungsträgern zu verzichten und sich stattdessen an den Leistungsberechtigten zu halten“).

 

Selbst wenn die Voraussetzungen des Erstattungsanspruchs nicht vorliegen, kann der Beigeladene zu 1) sich für einen Ausgleich nicht an den Kläger halten. Denn selbst wenn es für die Zahlung der Kosten an die Beigeladenen zu 2) weder einen Bescheid gegenüber dem Kläger noch überhaupt eine Rechtsgrundlage geben sollte, folgt daraus keine Erstattungspflicht des Klägers gegenüber dem Beigeladenen zu 1). Zum einen spricht einiges dafür, dass auch in diesem Fall die Vorschriften über die Erstattung gemäß §§ 102 ff. SGB X Sperrwirkung entfalten. Zum anderen ist der Kläger durch die allgemeinen Verfahrensbestimmungen vor Rückgriffen geschützt. So wäre die Frist für eine Aufhebung von möglichen rechtswidrigen Bewilligungen gemäß § 45 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) verstrichen bzw. liegen die Voraussetzungen für eine Rücknahme nach Ablauf von zwei Jahren (§ 45 Abs. 3 Satz 1 SGB X) nach der Bekanntgabe der Bewilligungen bei dem Kläger erkennbar nicht vor (§ 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X). Außerdem ist der Kläger auch in dem Fall, in dem der Beigeladene zu 1) nur eine einfache Zahlung ohne Rechtsgrund geleistet hat, durch § 50 Abs. 2 Satz 2 SGB X i.V.m. § 45 SGB X vor einer Rückforderung geschützt, denn die materiellen Voraussetzungen hierfür lagen in seinem Fall ohne Zweifel nicht vor.

 

Mithin ist es ohne Belang, ob im Fall des Klägers die Bewilligung der Leistungen der Sozialhilfe als Eingliederungshilfe oder Hilfe zur Pflege für die Leistungen der häuslichen Krankenpflege nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch oder nach dem Recht der Jugendhilfe zu Recht erfolgte, insbesondere ihnen ggf. § 2 Abs. 2 SGB XII (Nachranggrundsatz) entgegenstand. Im Verfahren nicht zu klären war dementsprechend, ob der Kläger gegen die Beklagte überhaupt einen Anspruch auf die häusliche Krankenpflege im Umfang von 24 Stunden spezielle Krankenbeobachtung gemäß Ziffer 24 HKP-RL oder zumindest auf ambulant zu erbringende einzelne Leistungen der häuslichen Krankenpflege hatte (wie Medikamentengabe).

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

 

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).

 

 

Rechtskraft
Aus
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