L 17 R 5/17

Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Frankfurt (Oder) (BRB)
Aktenzeichen
S 29 RA 329/15 WA
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 17 R 5/17
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Eine Prozessvollmacht kann auch durch die Benennung eines Rechtsanwalt im Prozesskostenhilfeantrag erteilt werden. Dies kann ausdrücklich oder konkludent geschehen. Die Beiordnung eines Rechtsanwaltes durch das Gericht als solche bewirkt keine Bevollmächtigung.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 23. November 2016 wird zurückgewiesen.

 

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

T a t b e s t a n d :

 

Der 1960 geborene Kläger beansprucht ausweislich seines vor dem Sozialgericht gestellten Antrags, seinen Versicherungsverlauf, der länger als sechs Jahre zurückliegt, verbindlich festzustellen.

 

Der in Polen lebende Kläger war sei dem 1. Dezember 1987 verheiratet. Nachdem die Eheleute längere Zeit in der Bundesrepublik Deutschland gelebt hatten, kehrte der Kläger am 2. Juni 2003 nach Polen zurück. Er trägt vor, seine Frau und seine Tochter seien von Februar 2003 bis zum August 2003 in P gewesen und sie seien in dieser Zeit noch ein „Ehepaar“ gewesen. Seine Ehefrau reiste sodann zusammen mit der gemeinsamen Tochter im Sommer 2003 in die Bundesrepublik aus. Der Kläger spricht in diesem Zusammenhang davon, seine Tochter sei „entführt“ worden.

 

Mit Urteil des Amtsgerichts (Familiengerichts) L vom 17. September 2008 wurde die Ehe geschieden, das Gericht setzte das Ehezeitende auf den 30. Juli 2006 fest. Der Versorgungsausgleich war von dem Verfahren abgetrennt worden.

 

Mit Bescheid vom 9. Februar 2010 stellte die Beklagte nach § 149 Abs. 5 SGB VI den Versicherungsverlauf verbindlich fest, und zwar für alle Zeiten, die länger als 6 Kalenderjahre zurücklagen, also die Zeiten bis zum 31. Dezember 2003. Dies gelte nicht, so der Bescheid, für ausländische Versicherungszeiten vom 2. Juni 2003 an, ebenso nicht für die polnische Zeit vom 1. Februar 2005 bis zum 30. Juni 2007, da hierfür keine Arbeitsbescheinigungen eingereicht worden seien.

 

Über den Versorgungsausgleich der früheren Eheleute entschied das Familiengericht mit Beschluss vom 25. März 2010. Im Zusammenhang mit der Scheidung und dem Versorgungsausgleich gab bzw. gibt es eine Fülle von Nachfolge- und Parallelverfahren. So zeigte der Kläger seine frühere Frau u. a. wegen Falschaussage im Zusammenhang mit der Ehescheidung bei der Staatsanwaltschaft an; über den Ausgang der Ermittlungen ist nichts bekannt.

 

Den gegen den Bescheid der Beklagten vom 9. Februar 2010 vom Kläger eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30. September 2010 zurück. Der Kläger habe am 2. Juni 2003 das Bundesgebiet verlassen und seinen ständigen Wohnsitz in Polen genommen. Beschäftigungszeiten dort fielen nicht unter die Regelung des SGB VI. Eine Anrechnung dieser Zeiten im deutschen Versicherungskonto könne nur erfolgen, soweit für einen Berechtigten ausländische Versicherungszeiten durch den zuständigen ausländischen Versicherungsträger bestätigt worden seien. Polnische Stellen hätten unter dem 23. Juli 2009 die Zeiten des Klägers (nur) bis einschließlich 16. August 1988 verbindlich festgestellt. Sie, die Beklagte, habe in dieser Hinsicht keine eigene Kompetenz und sei an die polnische Entscheidung gebunden. Für Zeiten ab dem 1. Februar 2005 habe der Kläger keine Unterlagen vorgelegt. Der angefochtene Bescheid stelle ausschließlich Sachverhalte fest, die bis zum 31. Dezember 2003 zurückgelegt worden seien; für alle späteren Zeiträume treffe der Bescheid keine Regelung.

 

Der Kläger hat am 14. Oktober 2010 Klage vor dem Sozialgericht Berlin erhoben, das sich in der Folge mühte, den genauen Streitgegenstand zu ermitteln. Der Rechtsanwalt, der den Kläger vor dem Familiengericht vertreten hatte, lehnte eine Beiordnung im Rahmen der Prozesskostenhilfe ab, das Gericht ordnete einen anderen Rechtsanwalt bei, der es später jedoch ablehnte, den Kläger weiter zu vertreten. Das Sozialgericht Berlin hat sodann den Rechtsstreit mit Beschluss vom 16. November 2012 an das örtlich zuständige Sozialgericht Frankfurt (Oder) verwiesen.

 

Nachdem am 17. Dezember 2013 das Sozialgericht Frankfurt (Oder) (erneut) Prozesskostenhilfe bewilligt und die von dem Kläger benannte (auch) polnischsprachige Rechtsanwältin O-M beigeordnet hatte, hat die beigeordnete Rechtsanwältin in der mündlichen Verhandlung vom 8. Oktober 2014 „den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt“ erklärt, nachdem sie verschiedene Anträge zur weiteren Bescheidung bei der Beklagten gestellt und diese sachliche Bescheidung zugesichert hatte. Im Anschluss ist die Klage nach richterlicher Verfügung ausgetragen worden.

 

Anfang Juni 2015 hat der Kläger beantragt, das Verfahren fortzuführen. Die beigeordnete Rechtsanwältin hat auf die Anfrage des Gerichts mitgeteilt, ihr sei keine schriftliche Vollmacht erteilt worden, sie habe aber mit dem Kläger telefonisch auch über die Möglichkeit einer prozessbeendenden Erklärung gesprochen. Darauf hat das Sozialgericht das Verfahren fortgesetzt.

 

Aufgrund einer in der mündlichen Verhandlung getroffenen Vereinbarung hat die Beklagte dem Kläger am 5. Februar 2016 eine Rentenauskunft erteilt. Die in Polen zurückgelegten Zeiten vom 1. Februar 2005 bis zum 31. Dezember 2014 hat sie hierbei vorläufig festgestellt, da entsprechende Bestätigungen aus Polen noch nicht vorlagen.

 

Der Kläger ist, soweit sich dies seinem Vorbringen entnehmen lässt, der Ansicht, der Versorgungsausgleich sei von seiner früheren Frau erschlichen worden, sie habe seinerzeit vor dem Familiengericht falsche Angaben gemacht. Vorliegend sei ein „Gerichtsbarkeitswechsel“ vorzunehmen. Mit Beschluss vom 3. März 2016 ist dem Kläger ein neuer Rechtsanwalt beigeordnet worden, der sodann eine Vollmacht zur Akte gereicht hat.

 

Der Kläger hat beantragt,

 

den Bescheid der Beklagten vom 9. Februar 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. September 2010 abzuändern und die Beklagte zu verpflichten, die in dem Versicherungsverlauf des Klägers enthaltenen Daten, die länger als 6 Jahre zurückliegen, verbindlich festzustellen.

 

Die Beklagte hat beantragt,

 

die Klage abzuweisen.

 

Mit Urteil vom 23. November 2016 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Klagerücknahme sei unwirksam, weil die Prozessbevollmächtigte keine Vollmacht gehabt habe. Sie habe es unterlassen, sich vom Kläger rechtsgeschäftlich bevollmächtigen zu lassen, weil sie irrtümlich gemeint habe, die Beiordnung durch das Gericht mache dies nicht erforderlich. Die Klage sei aber unbegründet. Für die Zeit ab dem             1. Januar 2004 fehle es bereits an einer anzugreifenden Ausgangsentscheidung. Die spätere Rentenauskunft mit Versicherungsverlauf vom 5. Februar 2016 habe nur informativen Charakter und stelle deshalb keinen Verwaltungsakt dar. Im Übrigen habe die Beklagte für die Zeit bis zum Dezember 2003 in der angegriffenen Kontenklärungsentscheidung keine weiteren Daten des Klägers zu speichern gehabt. Daten wie der Zeitpunkt der von dem Kläger behaupteten Entführung seines Kindes sowie das Datum der Trennung von seiner Ehefrau seien im Rentenversicherungsverlauf nicht zu speichern, sie seien nicht von Relevanz. Das Vorliegen einer Erziehungszeit i. S. d. § 56 SGB VI oder einer Berücksichtigungszeit i. S. d. § 57 SGB VI sei weder vorgetragen worden noch beantragt. Soweit sie für das familiengerichtliche Verfahren vor dem Amtsgericht L möglicherweise von Bedeutung gewesen seien, könne die Beweiserhebung im familiengerichtlichen Verfahren nicht in der Sozialgerichtsbarkeit nachgeholt werden, dies obliege allein dem Familiengericht. Ohnehin sei das Familiengericht nicht an den von der Beklagten übersandten Versicherungsverlauf gebunden, sondern habe, wenn auch die Zuarbeit der Beklagten von hoher Bedeutung sei, bei der Entscheidung über den Versorgungsausgleich und den Unterhalt eine eigene und eigenverantwortliche Entscheidung zu treffen.

 

Nur ergänzend weise die Kammer darauf hin, dass die im Versicherungsverlauf des Klägers gespeicherten Daten bis zum Dezember 2003 vollständig erschienen. Der Kläger, der angegeben hat, in diesem Zeitraum arbeitslos gewesen zu sein, habe sich seinerzeit in Polen aufgehalten und sich nicht in Deutschland arbeitslos gemeldet. Damit habe er dem deutschen Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung gestanden. Für das Vorliegen einer im Arbeitsamt in Polen gemeldeten Arbeitslosigkeit ab Juni 2003 fehle es an einem Nachweis, insbesondere an der Anerkennung dieser Zeit als einer in Polen nach dem dortigen Recht für die Rentenberechnung relevanten Zeit durch die polnische Sozialversicherungsanstalt (ZUS). Sobald die Entscheidung der ZUS vorliege, könne davon auszugehen sein, dass die Beklagte den Versicherungsverlauf des Klägers von Amts wegen ergänze. Das Urteil ist dem Kläger am 5. Dezember 2016 zugestellt worden.

 

Der Kläger hat persönlich am 2. Januar 2017 Berufung eingelegt. Durch das Vortäuschen von Vergleichsbereitschaft seiner Frau habe er, der Kläger, keine Chance gehabt. Seine Frau sei mit dem Kind wieder aus Polen weggefahren und erst später habe es sich herausgestellt, dass sie wieder nach Deutschland gereist sei. Auch die Beklagte habe das „gebrochene Familienrecht“ ausgenutzt. Er trägt erneut vor, seine frühere Frau, auch das Jugendamt der Stadt L, habe ein minderjähriges Kind „entführt“, zuerst aus Deutschland nach Polen, dann aus Polen nach Deutschland. Das ganze Versorgungsausgleichsverfahren sei außerordentlich nachteilig für ihn ausgegangen. Schreiben des Amtsgerichts seien nicht an seine Adresse in Polen gerichtet worden, sondern an seinen Arbeitgeber. Vor dem Amtsgericht sei es zu „unwahrhaftigen Aussagen“ gekommen, die Richterin sei seinerzeit befangen gewesen. Sowohl das Amtsgericht L als auch die Beklagte trügen die „Haftung“ dafür, dass es ihm nicht möglich gewesen sei, seine Rechte im Versorgungsausgleichsverfahren sachgerecht wahrzunehmen.

 

Gleichzeitig hat der Kläger unter dem 28. Dezember 2016, bei dem Sozialgericht Frankfurt (Oder) eingegangen am 2. Januar 2017, die Vollmacht seines Prozessbevollmächtigten widerrufen und angeregt, der Anwalt solle, ebenso wie seine frühere beigeordnete Rechtsanwältin, keine Einkünfte „aus Staatskasse“ beziehen, beider Handeln sei schädlich für ihn gewesen, schädlich aber auch für das Bild vom Sozialgericht und der Beklagten.

 

Der Kläger beantragt seinem schriftlichen Vorbringen sinngemäß,

 

unter Änderung des Urteils des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 23. November 2016 den Bescheid der Beklagten vom 9. Februar 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. September 2010 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die in dem Versicherungsverlauf des Klägers enthaltenen Daten, die länger als 6 Kalenderjahre zurückliegen, verbindlich festzustellen.

 

Die Beklagte beantragt,

 

            die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie hat sich im Berufungsverfahren nicht weiter geäußert.

 

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen und des Sachverhalts im Übrigen wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge, die Gegenstand der Beratung waren.

 

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

 

Der Senat konnte gemäß § 153 Abs. 1, § 110 Abs. 1 Satz 2, § 126 Sozialgerichtsgesetz (SGG) trotz des Ausbleibens der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung entscheiden, weil sie in den ordnungsgemäß zugestellten Ladungen ausdrücklich auf diese Möglichkeit hingewiesen worden sind (§ 110 Abs. 1 Satz 2 SGG).

 

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 SGG) des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 23. November 2016 ist zulässig, insbesondere statthaft. Das Urteil ist eine rechtmittelfähige Entscheidung i. S. des § 143 SGG, auch wenn es, wie nachfolgend erläutert, nicht hätte ergehen dürfen.

 

Sie hat aber keinen Erfolg. Sachurteilsvoraussetzung einer Berufung ist, dass die Klage rechtshängig ist. Das ist hier nicht der Fall. Der Kläger hat die Klage schon am Sozialgericht wirksam zurückgenommen, so dass deren Rechtshängigkeit rückwirkend beseitigt worden ist. In der mündlichen Verhandlung vom 8. Oktober 2014 hat die Prozessbevollmächtigte des Klägers eine wirksame prozessbeendende Erklärung abgegeben.

 

Die Prozessbevollmächtigte, Rechtsanwältin O-M, war von dem Kläger wirksam bevollmächtigt worden (nachfolgend zu 1.), sie hat die Klage zurückgenommen (nachfolgend zu 2.). Das Sozialgericht hat das Verfahren später zu Unrecht durch Urteil entschieden, weil es gemeint hat, die Rücknahme sei unwirksam, weil von einem vollmachtlosen Vertreter erklärt; eine Vollmacht könne ausschließlich gegenüber dem Bevollmächtigten erteilt werden. Dies trifft indes nicht zu.

 

1. Rechtsanwältin O-M ist von dem Kläger wirksam bevollmächtigt gewesen. Der Kläger hat gegenüber dem Gericht die Vollmacht schriftlich erteilt.

 

Die Vollmachtserteilung kann sowohl gegenüber dem Anwalt, gegenüber dem Prozessgegner als auch gegenüber dem Gericht erklärt werden, denn gem. § 167 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) erfolgt die Erteilung der Vollmacht durch Erklärung gegenüber dem zu Bevollmächtigenden oder dem Dritten, dem gegenüber die Vertretung stattfinden soll.

Wird mit dem Antrag auf Prozesskostenhilfe bereits ein Antrag auf Beiordnung eines bestimmten Anwalts nach § 121 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) gestellt, kann deshalb die Benennung dieses Anwalts im Prozesskostenhilfeantrag gegenüber dem Gericht mit der Bitte um Beiordnung ausdrücklich oder schlüssig eine Vollmachtserteilung darstellen. Dies ist höchstrichterlich geklärt (Bundesgerichtshof [BGH], Urteil vom 18. November 2003 –XI ZR 332/02 -; Beschluss vom 12. Dezember 2001 - XII ZB 219/01 -; Bundesfinanzhof, Beschluss vom 30. März 2011 – X B 12/10 –, jeweils Juris; vgl. auch Bundessozialgericht [BSG], Beschluss vom 25. April 2001 – B 9 V 70/00 B –, SozR 3-1500 § 73 Nr 10; Schultzky, in: Zöller, Zivilprozessordnung, 33. Auflage 2020, § 121 Rn. 12; Althammer, in: Zöller, a. a. O., § 80 Rn. 5; Weth, in: Musielak/Voit, ZPO, 14. Auflage, § 80 Rn.9). Dass eine Vollmachterteilung auch durch schlüssiges Verhalten geschehen kann, ist für das sozialgerichtliche Verfahren ebenfalls anerkannt (vgl. B. Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, § 73 Rn. 73 m. N.).

 

Der Ansatz des Sozialgerichts, dass die Beiordnung nicht die Erteilung einer Prozessvollmacht ersetzt (B. Schmidt, in: Meyer-Ladewig u.a., § 73a Rn. 13e m. w. N.), steht dem nicht entgegen. Es trifft zu, dass die Anwaltsbeiordnung als solche keine Bevollmächtigung bewirkt, so dass nach einer Beiordnung eines vom Gericht ausgewählten Rechtsanwalts gem. § 121 Abs. 5 ZPO eine separate Vollmachterteilung durch die Partei erfolgen muss; die Beiordnung als solche begründet kein Vertretungsverhältnis zwischen dem beigeordneten Anwalt und der Partei.

 

Allerdings ist in keinem Fall auf die Beiordnung des Gerichts, sondern stets auf die Erklärung des Beteiligten, also des Vollmachtgebers, abzustellen. Soweit ausgeführt wird, eine Beiordnung ersetze nicht die Prozessvollmacht, meint dies den Fall der Beiordnung eines vom Gericht ausgewählten Rechtsanwalt (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Mai 1951 – IV ZR 83/50 –, BGHZ 2, 227). Die Entscheidung betraf ausdrücklich ein Gesuch um Bewilligung des „Armenrechts, in dem nicht um Beiordnung eines bestimmten Anwalts gebeten“ worden war, in einer solchen gerichtlichen Beiordnung liege keine Erteilung einer Vollmacht, was zutrifft. Auch das Bundessozialgericht misst der Beiordnung, wenn das Gericht den Rechtsanwalt ausgewählt hatte, keine vollmachtersetzende Funktion bei (vgl. BSG, Beschluss vom 16. Juli 2003 – B 13 RJ 83/02 B -, Juris).

Hier liegt der Fall aber anders. Der Kläger hat im Prozesskostenhilfeverfahren Frau Rechtsanwältin O-M benannt und ihr zugleich gegenüber dem Gericht ausdrücklich Vollmacht erteilt. Er hat also nicht nur eine im Rahmen der Prozesskostenhilfe beizuordnende Rechtsanwältin bezeichnet, was nach den Gesamtumständen als konkludente Vollmachterteilung hätte gewertet werden können, sondern hat in seinem handschriftlich abgefassten und von ihm persönlich unterschriebenen Schreiben an das Gericht vom 21. November 2013 ausdrücklich erklärt, er habe

 

„Frau S O - Rechtsanwältin aus P (Polen)“ als seine „Bevollmächtigte gewählt“.

 

Hierin ist eine ausdrücklich erteilte Bevollmächtigung zu sehen. Der Kläger hat der (später vom Gericht auch beigeordneten) Rechtsanwältin damit bereits Vollmacht i. S. des § 167 BGB erteilt. Die schriftliche Vollmacht, schon weil gegenüber dem Gericht erklärt, ist in der Gerichtsakte enthalten, sodass § 73 Abs. 6 SGG, wonach die Vollmacht schriftlich zu den Gerichtsakten zu reichen ist, ebenfalls Genüge getan ist; die Bestimmung regelt lediglich den Nachweis der Vollmacht (B. Schmidt, a. a. O., § 73 Rn. 62).

 

Die Vollmacht ist vor der mündlichen Verhandlung am 8. Oktober 2014 auch nicht widerrufen worden. Die Rechtsanwältin hat in der mündlichen Verhandlung ausweislich des Protokolls der Verhandlung ausdrücklich erklärt, sie habe vor dem Termin mit dem Kläger gesprochen, dieser habe ihr per Fax noch Unterlagen für den Termin geschickt. Später hat sie erläutert, sie habe noch am Tage vor dem Verhandlungstermin mit dem Kläger telefoniert. Auch dies belegt, dass das Vertretungsverhältnis zwischen dem Kläger und Frau Rechtsanwältin O-M während der mündlichen Verhandlung bestanden und der Kläger seine Anwältin seinerzeit weiterhin als seine Bevollmächtigte angesehen hat. Selbst in seinem Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens vom 7. Juni 2015 bezeichnet er die Rechtsanwältin ausdrücklich als „meine bisherige Prozessbevollmächtigte“ und erklärt den „Ablauf“ der Vollmacht. „Ablaufen“ kann eine Vollmacht jedoch nur, wenn sie zuvor bestanden hat. In seinem späteren Schreiben vom 12. Juli 2015 wiederholt er, die Erklärungen der Anwältin seien erfolgt ohne Abstimmung mit ihm, dem „Vollmachtgeber“.

 

2. Die vom Kläger wirksam bevollmächtigte Anwältin hat in der mündlichen Verhandlung eine prozessbeendende Erklärung abgegeben. Die am 8. Oktober 2014 vom Gericht protokollierte, laut diktierte, vorgespielte und genehmigte Erklärung der Bevollmächtigten des Klägers,

 

            „Ich erkläre den Rechtsstreit für erledigt“,

 

ist als Klagerücknahme zu verstehen. Bei der Auslegung von Prozesserklärungen ist nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften, sondern es ist der in der Erklärung verkörperte wirkliche Wille anhand der erkennbaren Umstände zu ermitteln. Vorliegend sollte ersichtlich eine einseitige prozessbeendende Erklärung für den Kläger abgegeben werden.

 

Gründe, nach denen die Erklärung der Prozessbevollmächtigten prozessual unwirksam ist, liegen nicht vor. Das Gesetz ermächtigt in § 73 Abs. 6 Satz 7 SGG i. V. m. § 81 ZPO einen Prozessbevollmächtigten gesetzlich zu allen den Rechtsstreit betreffenden Prozesshandlungen, also auch zur Klagerücknahme. Dies gilt auch, wenn die im Innenverhältnis gezogenen Schranken überschritten werden (B. Schmidt, a. a. O., § 73 Rn. 71), wofür hier freilich ohnehin nichts spricht. Dass eine Interessenkollision oder ein Missbrauch der Vollmacht gegeben ist, scheidet ebenfalls offensichtlich aus. Das wäre insbesondere dann der Fall, wenn Vertreter und die Gegenseite bewusst zum Nachteil des Vertretenen zusammenwirken oder wenn der Missbrauch der Vertretungsmacht der Gegenseite bekannt ist oder wegen Evidenz des Missbrauchs ohne weitere Nachforschungen hätte bekannt sein müssen.

 

3. Da die Entscheidung an den Berufungsantrag gebunden ist, scheidet eine (klarstellende) Aufhebung des klageabweisenden Urteils des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) aus (anders, aber ohne Begründung: LSG Hamburg, Urteil vom 30. Januar 2019 – L 2 AL 45/18 –, juris). Unbeschadet dessen kann das aufgrund der wirksamen Rücknahme der Klage unzulässig ergangene Urteil des Sozialgerichts jedoch keine Rechtswirkungen entfalten.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Die Voraussetzung für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.

 

Rechtskraft
Aus
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