L 4 KR 30/18

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4.
1. Instanz
SG Neuruppin (BRB)
Aktenzeichen
S 9 KR 239/16
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 4 KR 30/18
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Es stellt kein Systemversagen dar, dass der Gemeinsame Bundesausschuss im Jahre 2016 noch kein Beratungsverfahren nach § 135 Abs. 1 SGB V zum Einsatz der optischen Kohärenztomografie (OCT) bei posteriorer Uveitis durchgeführt hatte.

 

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 8. Januar 2014 wird zurückgewiesen.

 

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

Tatbestand

 

 

 

Die Beteiligten streiten um die Erstattung der Kosten für eine optische Kohärenztomografie (OCT) i.H.v. 84,87 €.

 

Die OCT ist ein nicht-invasives bildgebendes Verfahren, mit dem Netzhautstrukturen, ähnlich wie in einem histologischen Schnitt, hochauflösend abgebildet werden können. Die OCT erzeugt zwei- und dreidimensionale Aufnahmen, die eine objektive und quantitative Beurteilung der Netzhaut, insbesondere der intra- und subretinalen Strukturen wie zum Beispiel Flüssigkeitsansammlungen, Narbenprozesse und Veränderungen der Netzhautdicke, zulassen.

 

Die Beklagte und weitere Ersatzkassen hatten mit Wirkung zum 1. Juli 2008 einen „Rahmenvertrag zur Behandlung der feuchten, altersabhängigen Makuladegeneration (AMD) mittels intravitrealer operativer Eingabe von VEGF-Hemmern“ mit dem Bundesverband Deutscher Ophthalmochirugen (BDOC) geschlossen, der später für die Beklagte auf folgende Indikationen erweitert wurde:

– diabetisches Makulaödem

– Makulaödem nach retinalen Venenverschlüssen

– choroidale Neovaskularisation (CNV) bei pathologischer Myopie.

Hierfür seien – so § 2 der Vertragsergänzung – ausschließlich die Arzneimittel Lucentis (Wirkstoff Ranibizumab), Aflibercept (Wirkstoff Eylea) und Odurzet (Dexamethason) indikationsbezogen zugelassen.

 

Der  2020 verstorbene Ehemann der Klägerin (im Folgenden: der Versicherte) war bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Er litt am linken Auge an einer feuchten Makulopathie bzw. einem Makulaödem bei posteriorer Uveitis. Die Beklagte übernahm ab Januar 2013 wiederholt die Kosten für die intravitreale Injektion des Arzneimittels Lucentis einschließlich begleitender augenärztlicher Untersuchungen. Außerdem übernahm sie die Kosten für ab April 2012 in mehrmonatigen Abständen durchgeführte und nach § 6 der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) entsprechend abgerechnete OCT. Mit Schreiben vom 22. April 2015 wies die Beklagte den Versicherten darauf hin, dass es sich bei der OCT nicht um eine anerkannte Kassenleistung handele und die Kosten hierfür letztmalig erstattet würden.

 

Am 14. April 2016 beantragte der Versicherte erneut die Kostenübernahme für eine OCT. Beigefügt war eine Stellungnahme einer Klinik für Augenheilkunde vom 1. Dezember 2015, wonach die OCT im Rahmen einer intravitrealen ophthalmologischen Medikamenteneingabe (IVOM) erforderlich und für den 17. Mai 2016 vorgesehen sei; alle anderen zur Verfügung stehenden vertraglichen Untersuchung- und Behandlungsmethoden seien durchgeführt worden, sie könnten „die Information einer OCT-Untersuchung nicht ersetzen“. Diesen Antrag lehnte die Beklagte ab, weil der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA), der Beigeladene zu 1, für die OCT keine Empfehlung ausgesprochen habe und der Ausnahmefall einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung i.S.v. § 2 Abs. 1a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) nicht vorliege (Bescheid vom 22. April 2016, Widerspruchsbescheid vom 16. Juni 2016).

Auf der Grundlage einer vertraglichen Vereinbarung zwischen dem Versicherten und dem D-Klinikum N vom 15. Juli 2016 wurde am selben Tag dort eine OCT durchgeführt. Den hierfür unter dem 21. September 2016 in Rechnung gestellten Betrag von 84,87 € beglich der Versicherte.

 

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 8. Januar 2018 abgewiesen und die Berufung zugelassen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass dem Versicherten ein Kostenerstattungsanspruch nicht zustehe. Eine positive Empfehlung des GBA habe zum Zeitpunkt der Durchführung der OCT nicht vorgelegen. Der Ausgang des beim GBA inzwischen anhängigen Beratungsverfahrens zur OCT sei für den Rechtsstreit irrelevant. Ein Systemversagen liege nicht vor; es sei nicht ersichtlich, dass ein früherer Antrag beim GBA aus sachwidrigen Gründen unterbliebene sei. Bei einem Makulaödem handele es sich nicht um eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende oder eine wertungsmäßig vergleichbare Krankheit.

 

Gegen dieses der Klägerseite am 2. Februar 2018 zugestellte Urteil richtet sich die am 7. Februar 2018 eingelegte Berufung.

 

Am 20. Dezember 2018 beschloss der GBA, seine Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung in Anlage I (Methoden, die als vertragsärztliche Leistungen zu Lasten der Krankenkassen erbracht werden dürfen) um die Leistung „Optische Kohärenztomographie (OCT) zur Diagnostik und Therapiesteuerung der neovaskulären altersbedingten Makuladegeneration (nAMD) und des Makulaödems im Rahmen der diabetischen Retinopathie (DMÖ)“ zu ergänzen. Der Beschluss trat am 23. März 2019 in Kraft.

 

Die Klägerseite begründete ihre Berufung wie folgt:

Um den Verlauf der die Sehschärfe mindernden Erkrankung und die erstmalige und weitere Notwendigkeit von Behandlungsmaßnahmen beurteilen zu können, sei jeweils zu Beginn und zum Ende einer Behandlung, in der Regel bestehend aus mehreren Injektionen in monatlichem Abstand, eine OCT erforderlich. Die OCT-Technik sei 1991 entwickelt worden, spätestens seit 2009 flächendeckend „in allen operierenden Augenarztpraxen“ vertreten und seit Jahren Bestandteil aller Empfehlungen der Fachgesellschaften. In der augenärztlichen Praxis könne heute auch bei der Behandlung einer posterioren Uveitis nicht mehr auf die Verlaufskontrolle mittels „SD-OCT-Untersuchung“ verzichtet werden, ohne den Vorwurf eines ärztlichen Behandlungsfehlers zu riskieren.

Die Überlegung der Gegenseite, die „kurzzeitige bzw. gelegentliche“ Behandlung würde keine hochauflösende Verlaufsbeurteilung erfordern und könne anhand des Visusverlaufes oder der funduskopischen Diagnostik gesteuert werden, sei fachlich nicht haltbar. Der international höchst anerkannte Prof. Dr. H habe dazu einmal erklärt, dass die Verlaufsbeobachtung per Visusverlauf oder Funduskopie die gleiche Qualität habe wie ein Lesen im Kaffeesatz.

Ein Systemversagen dürfte vorliegen, weil sich das Bewertungsverfahren beim GBA ausdrücklich nur auf die Grunderkrankungen einer altersbedingten feuchten Makuladegeneration (AMD) und einer diabetischen Retinopathie (DR) beziehe, es sich aber auch bei der posterioren Uveitis um eine weitverbreitete Augenerkrankung handele, für die bisher keinerlei Initiativen bekannt seien.

Die Beklagte und andere große Krankenkassen hätten auf Bundes- und Länderebene diverse Verträge nach § 140a SGB V geschlossen, die die Versorgung der Versicherten mit die IVOM zum Gegenstand hätten. Hierzu bestehe aber kein Bedarf, weil diese Leistung seit dem 1. Oktober 2014 im einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) abgebildet seien. Um dennoch einen solchen Vertrag gegenüber der Aufsicht zu begründen, müsse der Vertrag auch Besonderheiten enthalten, die nicht zum üblichen Leistungsangebot gehörten wie z.B. die OCT. Der eigentliche Hintergrund dieser Verträge liege aber in einer ganz anderen Problematik, die nicht offen genannt werden könne, sodass die OCT eine Alibifunktion wahrnehme. Tatsächlich gehe es in diesen Verträgen vorrangig darum, eine Versorgung mit dem hierfür nicht zugelassenen Arzneimittel Avastin („Portionspreis“ ca. 40 €) anstelle des zugelassenen Arzneimittels Lucentis („Portionspreis“ rabattiert ca. 800 €) zu erreichen. Beide Mittel wirkten nachgewiesenermaßen gleich und es bestehe beim Einsatz von Avastin auch keinerlei erhöhtes Risiko. Vor diesem Hintergrund sei es nachvollziehbar, wenn „der im GBA federführende Verbraucherzentrale Bundesverband e.V.“ bereits im Oktober 2014 erklärt habe, einen entsprechenden Antrag zurückzustellen, um die regionalen Verträge nicht zu gefährden. In gleichem Sinne habe sich die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) in einem Schreiben vom 9. Januar 2017 an die 28. Kammer des Sozialgerichts (SG) Berlin geäußert.

Alle hier bekannten Verträge setzten die nAMD und das DMÖ mit dem retinalen Venenverschluss und der posterioren Uveitis gleich, wie die beigefügten Vertragsauszüge belegten. Bei den durch nAMD und DMÖ bedingten, d.h. etwa 80-90 % aller Netzhautödemen sei die OCT heute Kassenleistung. Bei den anderen Ursachen eines Netzhautödems übernehme die ganz große Mehrzahl der Krankenkassen die Kosten über einen Vertrag nach § 140a SGB V.

Es stelle sich die Frage, ob die Maßgaben des BSG für ein Systemversagen auch dann gälten, wenn eine im Jahr 2001 eingeführte Methode derartig verbreitet sei, dass sie aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken sei, aber gerade niemand ein Interesse habe, eine wissenschaftliche Studie durchführen zu lassen oder zu finanzieren. Auch dem GBA sei keine Studie bekannt geworden, die sich speziell mit der Nützlichkeit und Wirtschaftlichkeit der OCT befasst habe. Das BSG (Urteil vom 12. August 2009 – B 3 KR 10/07 R) habe auch hervorgehoben, dass ausnahmsweise ohne positive Empfehlung des GBA eine Behandlungsmethode zuzulassen wäre, falls dieser dem in § 135 Abs. 1 SGB V vorausgesetzten Auftrag nicht gerecht geworden sei, selbst für eine Aktualisierung der Richtlinie zu sorgen.

Aus der Begründung des GBA zu seinem Beschluss vom 20. Dezember 2018 sei erkennbar, dass dieser voraussichtlich sehr viel früher ergangen wäre, wenn er entsprechend früher eingeschaltet worden wäre. Weil sich der Beschluss bis auf zwei Überlegungen aus neuerer Zeit auf diverse schon vor Jahren veröffentlichte wissenschaftliche Untersuchungen, Empfehlungen von Fachgesellschaften usw. gründe, liege die Vermutung eines Systemversagens sehr nahe. Hierfür spreche auch, dass sich der GBA mit dem Krankheitsbild des Versicherten nie befasst habe. Zwar mögen für die OCT im Zusammenhang mit einer posterioren Uveitis randomisierte Doppelblindstudien nicht zur Verfügung stehen; dieser höchste Evidenzgrad sei jedoch auch für die nAMD und die DMÖ nicht erreicht worden, gleichwohl sei hier die OCT Kassenleistung geworden. Es stelle sich die Frage, warum nicht auch bei der posterioren Uveitis ein geringerer Evidenzgrad ausgereicht habe.

Es sei völlig unklar, worin die Beklagte eine gesetzliche Ermächtigung für die erfolgte Kostenübernahme gesehen habe, die sie heute nicht mehr erkennen könne. Dies dürfte während einer laufenden Behandlung unzulässig sein. Die Beklagte habe sich selbst gebunden und das nicht nur „versehentlich“ in einem Einzelfall. Es liege, wie schon im Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 28. Februar 2008 – B 1 KR 15/07 R – ausgeführt, für den gesamten Zeitraum eine einheitliche Behandlung vor.

 

Die Klägerin beantragt,

 

das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 8. Januar 2018 und dem Bescheid der Beklagten vom 22. April 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Juni 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an sie 84,87 € zu zahlen.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und beruft sich ergänzend auf das von ihr veranlasste Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg (Dr. von V) vom 11. August 2020.

 

Der Beigeladene zu 1 bringt vor, die OCT bei posteriorer Uveitis sei nach wie vor eine neue Untersuchungsmethode und nicht Gegenstand seines Bewertungsverfahrens. Ein Systemversagen liege nicht vor. Die klägerseitig erwähnte Konsens-Leitlinie Nr. 24b der DOG und des BVA sei von der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF) nicht anerkannt; ob sie evidenzbasiert erstellt worden sei, sei nicht verifiziert war, da sowohl Quellenangaben als auch eine tabellarische Aufarbeitung der Quellenstudien fehlten. Die Klägerseite verkenne, dass für die Indikation „Makulaödem bei posteriorer Uveitis“ keinerlei einschlägige Evidenz, auch nicht auf geringerem Niveau, vorhanden sei, auf die sich eine positive Nutzenbewertungen stützen könnte; dies ergebe sich aus der beigefügten Recherche seiner Abteilung „Fachberatung Medizin“. Auch könne der Behauptung der Klägerseite, die Erkenntnisse aus einer OCT seien unabhängig von der Grunderkrankung immer gleich, nicht gefolgt werden.

 

Der Beigeladene zu 2 (der Spitzenverband Bund der Krankenkassen – GKV-Spitzen­ver­band) teilt im Wesentlichen die Auffassung des Beigeladenen zu 1.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, die dem Senat vorgelegen hat, Bezug genommen.

 

 

Entscheidungsgründe

 

 

Der Senat kann gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem alle Beteiligten diesem Vorgehen zugestimmt haben.

 

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die o.g. Bescheide der Beklagten sind im Ergebnis nicht zu beanstanden.

 

A. Streitgegenstand des Berufungsverfahrens sind neben dem Urteil des Sozialgerichts vom 8. Januar 2018 die Bescheide vom 22. April und 16. Juni 2016, durch die die Beklagte einen Anspruch des Versicherten auf Versorgung mit einer einzelnen OCT abgelehnt hat. Dieser (mögliche) Sachleistungsanspruch hat sich aufgrund der Selbstbeschaffung durch den Versicherten im Juli 2016 und Begleichung der Rechnung in einen (möglichen) Kostenerstattungsanspruch umgewandelt. Die Klägerseite verfolgt diesen Anspruch daher zutreffend im Wege einer kombinierten Anfechtungs- und (auf Zahlung gerichteten) Leistungsklage (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 07. Mai 2020 – B 3 KR 4/19 R –, juris, Rn. 13 f.).

 

Der Senat kann offen lassen, ob die Klägerin den (möglichen) Anspruch des Versicherten als seine Alleinerbin gemäß § 58 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) i.V.m. § 1922 Bürgerliches Gesetzbuch geltend macht oder im Wege der – gegenüber der Vererbung von Sozialleistungsansprüchen vorrangigen – Sonderrechtsnachfolge gem. § 56 SGB I. Diese erfasst zwar nach dem Wortlaut von § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB I nur fällige Ansprüche auf laufende Geldleistungen. Allerdings hat der 1. Senat des BSG (Beschluss vom 01. April 2019 – B 1 KR 1/19 B –, juris, Rn. 8) – ohne dass dem andere Senate des BSG bislang widersprochen hätten – als "laufende" Geldleistungen im Rechtssinne auch Kostenerstattungsansprüche nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V angesehen, wenn die beantragte Kostenerstattung – wie hier – für einen (ersten) Teil einer Gesamtbehandlung verlangt wird (zu Recht kritisch hierzu Groth, in: Schlegel/Voelzke, jurisPraxiskommentar-SGB I, 3.A., § 56 Rn. 17, m.w.N.). Diese Frage muss indes nicht entschieden werden, da die Berufung in beiden Fällen an einem fehlenden Primäranspruch des Versicherten (hierzu sogleich) scheitert.

 

B. Die Berufung bleibt ohne Erfolg. Das Sozialgericht ist mit der Beklagten zutreffend davon ausgegangen sind, dass der Versicherte im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) keinen Anspruch auf eine OCT hatte.

 

I. Ein Kostenerstattungsanspruch kann sich vorliegend nur aus § 13 Abs. 3 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) ergeben. Nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V sind den Versicherten Kosten für selbst beschaffte Leistungen in entstandener Höhe zu erstatten, wenn eine Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat. Der Kostenerstattungsanspruch aus § 13 Abs. 3 Satz 1 (1. und 2. Alt.) SGB V reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch der Versicherten. Die Krankenkasse muss ihren Versicherten Aufwendungen für selbst beschaffte Leistungen nur erstatten, wenn sie (hierzu 1.) eigentlich als Sachleistungen zu erbringen gewesen wären oder (hierzu 2.) nur wegen eines Systemversagens nicht erbracht werden konnten (BSG, Urteil vom 8. September 2015 – B 1 KR 14/14 R –, juris, Rn. 17).

 

1. Ein (primärer) Sachleistungsanspruch des Versicherten, 2016 von der Beklagten mit einer OCT versorgt zu werden, bestand nicht.

 

a. Die OCT bei posteriorer Uveitis zählt(e) weder damals noch heute zum Katalog der ambulant von Krankenkassen zu erbringenden Leistungen. Es fehlt insoweit an der nach § 135 Abs. 1 SGB V dafür erforderlichen Anwendungsempfehlung durch den GBA.

 

Der Behandlungs- und Versorgungsanspruch der Versicherten unterliegt den sich aus § 2 Abs. 1 und § 12 Abs. 1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Er umfasst nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen, ggf. modifiziert durch die Grundsätze grundrechtsorientierter Auslegung nach § 2 Abs. 1a SGB V. Diese allgemeinen Vorgaben werden für den ambulanten Bereich durch § 135 SGB V konkretisiert. Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung sind gemäß § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V grundsätzlich nur dann von der Leistungspflicht der GKV umfasst, wenn zunächst der GBA in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V eine positive Empfehlung über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen der Methode abgegeben hat und der Bewertungsausschuss sie zudem zum Gegenstand des EBM gemacht hat. Durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 i.V.m. § 135 Abs. 1 SGB V wird nicht nur geregelt, unter welchen Voraussetzungen die zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Leistungserbringer (Ärzte, Zahnärzte usw.) neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu Lasten der Krankenkassen erbringen und abrechnen dürfen. Vielmehr wird durch diese Richtlinien auch der Umfang der den Versicherten von den Krankenkassen geschuldeten ambulanten Leistungen verbindlich festgelegt (BSG, Urteil vom 26. Mai 2020 – B 1 KR 21/19 R –, juris, Rn. 13, m.w.N.). Nach der gesetzlichen Konzeption kann ein negatives oder fehlendes Votum des GBA nicht durch eine hohe Verbreitung und/oder häufige Anwendung einer Methode überspielt werden.

 

Eine Empfehlung des GBA für die OCT bei posteriorer Uveitis lag im Jahre 2016 (und liegt bis heute) nicht vor.

 

b. Auch aus § 2 Abs. 1a SGB V ergab sich kein Anspruch des Versicherten auf Versorgung mit einer OCT. Nach dieser Vorschrift können Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung eine über den allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse hinausgehende Leistung beanspruchen, wenn für ihre Erkrankung eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht und eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Den für die Anwendung von § 2 Abs. 1a SGB V geforderten Schweregrad erreichte die Krankheit des Versicherten nicht. Zu Recht gehen die Beteiligten nicht davon aus, das durch eine posteriore Uveitis bedingte Makulaödem des Versicherten habe eine lebensbedrohliche oder vergleichbar schwerwiegende Krankheit dargestellt.

 

2. Entgegen der klägerischen Auffassung ließ sich ein Sachleistungsanspruch des Versicherten auf Versorgung mit einer OCT nicht auf ein Systemversagen stützen.

 

a. Ungeachtet des in § 135 Abs. 1 SGB V statuierten Verbots mit Erlaubnisvorbehalt kann eine Leistungspflicht der Krankenkasse ausnahmsweise dann bestehen, wenn die fehlende Anerkennung einer neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode darauf zurückzuführen ist, dass das Verfahren vor dem GBA trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wurde (sog. Systemversagen). Diese Durchbrechung beruht darauf, dass in solchen Fällen die in § 135 Abs. 1 SGB V vorausgesetzte Aktualisierung der Richtlinien rechtswidrig unterblieben ist und deshalb die Möglichkeit bestehen muss, das Anwendungsverbot erforderlichenfalls auf andere Weise zu überwinden (BSG, Urteil vom 26. Mai 2020 – B 1 KR 21/19 R –, juris, Rn. 17 f., m.w.N.).

 

b. Dass der GBA bis zum Jahr 2016 keine positive Empfehlung zur OCT bei posteriorer Uveitis abgegeben hat, ist ebenso wenig Folge eines Systemmangels, wie die Tatsache, dass er hierzu noch nicht einmal ein Bewertungsverfahren eingeleitet hat. Die Befürwortung der Methode durch einen behandelnden Arzt bei Fehlen einer Richtlinie des GBA genügt dafür nicht. Es liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass eine Antragstellung zur Prüfung der Methode bis zur Behandlung der Klägerin hintertrieben, verhindert oder in einer den Krankenkassen oder dem GBA sonst zurechenbaren Weise unzulässig verzögert worden sein könnte.

 

Zutreffend weist der GBA darauf hin, dass sich die Antragsbefugnis der nach § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V Antragsberechtigten nicht zu einer Antragspflicht verdichtet hat. Die Anforderungen an Anträge zur Einleitung eines Methodenbewertungsverfahrens nach § 135 Abs. 1 SGB V ergeben sich aus der auf der Grundlage von § 91 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB V erlassenen Verfahrensordnung (VerfO) des GBA in der bis zum 23. August 2016 geltenden, hier aufgrund des Zeitpunkts der Selbstbeschaffung durch den Versicherten maßgeblichen Zeitpunkt (vgl. BSG, Urteil vom 19. Oktober 2004 – B 1 KR 27/02 R –, juris, Rn. 25; Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungs­recht/Schifferdecker, Stand: September 2021, § 13 SGB V, Rn. 64, 84, m.w.N.). Danach setzt gemäß § 4 Abs. 3 und 4 i.V.m. § 10 Abs. 2 des 2. Kap. der VerfO ein Antrag (und gemäß § 4 Abs. 5 dieser Regelung auch seine Annahme) aussagekräftige Beurteilungsunterlagen voraus. Solche Unterlagen wurden weder von der Klägerseite benannt noch sind sie anderweitig ersichtlich.

 

Aus der klägerseitig ins Feld geführten Leitlinie Nr. 24b der DOG und des BVA – die für sich in Anspruch nimmt, den Erkenntnisstand im August 2017 wiederzugeben – lassen sich keine Argumente für eine Antragspflicht ableiten. Hierbei lässt der Senat dahinstehen, inwiefern im Rahmen der Methodenbewertung überhaupt verwertbare Erkenntnisse aus einer ärztlichen Leitlinie gezogen werden können, die wie besagte Leitlinie von der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF) nicht anerkannt ist (vgl. https://augeninfo.de/leit/leit.php, recherchiert am 9. Februar 2022) bzw. die nicht den wissenschaftlichen Stand zu dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt – hier: der Selbstbeschaffung im Juli 2016 – wiedergeben will, sondern sich auf einen späteren Zeitpunkt bezieht. Inhaltlich ist dieser Leitlinie jedenfalls eine ausdrückliche Empfehlung zum Einsatz der OCT bei nicht-infektiöser Uveitis posterior gerade nicht zu entnehmen. Die Wirksamkeit der OCT bei einem Makulaödem und posteriorer Uveitis belegt sie gerade nicht in einer Weise, die die Wahrscheinlichkeit einer positiven Bewertung des Nutzens überwiegen lässt.

 

Im Übrigen ist die Behauptung der Klägerseite, die Erkenntnisse aus einer OCT seien unabhängig von der Grunderkrankung immer gleich, nicht stichhaltig. Denn wenn die OCT einerseits zur Diagnostik und andererseits (auch) zur Therapiesteuerung eingesetzt wird (Tragende Gründe zum Beschluss des GBA vom 20. Dezember 2018, S. 4 ff., www.g-ba.de, Navigation: Beschlüsse, Methodenbewertung (und zugehörige Qualitätssicherung), Ambulante Untersuchung und Behandlung, Richtlinie Methoden vertragsärztlicher Versorgung), hängt ihr medizinischer Nutzen zwangsläufig von der Indikation ab, in deren Zusammenhang sie Verwendung findet.

 

c. Für ein Systemversagen ohne Bedeutung ist, ob und ggf. in welchem Umfang Krankenkassen die ihren Versicherten im Einzelfall verwehrte Leistung im Rahmen sog. Selektivverträge nach § 140a SGB V anbieten. Zwar ist nicht auszuschließen, dass eine Leistung zu Unrecht i.S.v. § 13 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 SGB V abgelehnt worden sein kann, wenn die Krankenkasse die konkret begehrte Leistung ihren Versicherten in anderen Regionen Deutschlands, etwa in anderen Bundesländern, aufgrund eines entsprechenden Selektivvertrags anbietet und nicht dort wohnende Versicherte nicht auf die Möglichkeit hinweist, die beantragte Leistung ggf. im Rahmen dieses Selektivvertrags zu dessen Bedingungen – somit u.U. nur durch die selektivvertraglich gebundenen Leistungserbringer – in Anspruch nehmen zu können. So lag der Fall hier aber nicht, weil der o.g. (Selektiv-)Vertrag der Beklagten mit dem BDOC das für den Kläger relevante Indikationsgebiet der posterioren Uveitis gerade nicht erfasste.

 

d. Ein Systemversagen lässt sich – entgegen der klägerischen Ansicht – auch nicht damit begründen, dass der GBA ein positives Votum für die OCT bei den Indikationen nAMD und DMÖ trotz fehlender wissenschaftlicher Erkenntnisse höchster Evidenz abgegeben habe, sodass dies auch bezüglich der Indikation der posterioren Uveitis möglich sei. Damit macht die Klägerseite in der Sache geltend, der GBA habe entgegen seinen eigenen Maßstäben, somit rechtswidrig, die OCT bei nAMD und DMÖ empfohlen. Eine Gleichstellung der OCT bei posteriorer Uveitis mit dieser Empfehlung liefe indes auf eine durch die Rechtsordnung ausgeschlossene "Gleichbehandlung im Unrecht" bzw. „Gleichheit im Unrecht“ hinaus (BVerfG, Beschluss vom 09. Oktober 2000 – 1 BvR 1627/95 –, Rn. 52; BSG, Beschluss vom 19. März 2020 – B 1 KR 89/18 B –, Rn. 17;  jeweils juris).

 

3. Die Beklagte war auch nicht zur Leistung verpflichtet, weil sie sich aufgrund vorangegangenen Verhaltens selbst gebunden hatte. Eine für einen längeren Zeitraum oder gar unbestimmte Dauer ausgesprochene vorherige Bewilligung hat sie gegenüber dem Versicherten zu keiner Zeit vorgenommen. Nach den dem Senat vorliegenden Schreiben an den Versicherten beschränkte die Beklagte ihre Leistungszusagen auf eine bestimmte Anzahl von Behandlungen und einen Leistungszeitraum, in dem klägerseitig in Bezug genommenen Bescheid vom 7. Januar 2013 etwa auf drei Behandlungen innerhalb längstens sechst Monaten. Hierbei – dies dürfte die Klägerseite übersehen haben – bezieht sich die Leistungsbewilligung der Beklagten nur auf die intravitreale Injektion von Lucentis, die Erbringung oder gar Kostenübernahme für eine OCT wird in diesem Bescheid nicht einmal erwähnt. Soweit die Beklagte also per Verwaltungsakt die Kostenübernahme für diese Form ärztlicher Injektionen erklärte, umfasste sie nicht zugleich auch die Kostenübernahme für OCT.

 

C. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 Abs. 1 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits. Die unter A. offen gelassene Frage, ob die Klägerin als Erbin oder Sonderrechtsnachfolgerin auftritt, muss auch hinsichtlich der Kosten keiner Klärung zugeführt werden. Da die Klägerin erst im Berufungsverfahren den Rechtsstreit fortgeführt hat, bleibt es für diesen Rechtszug nach § 183 Satz 2 SGG bei der Gerichtskostenfreiheit.

 

Die Revision wird nicht zugelassen, weil Gründe hierfür (§ 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.

Rechtskraft
Aus
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