Die Entscheidungsfrist des § 13 Abs. 3a S. 1 SGB V beginnt frühestens an dem Tag zu laufen, an dem die materiell-rechtliche Norm auf die der Antragsteller sein Leistungsbegehren stützt, in Kraft tritt.
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Versorgung des Klägers mit Medizinal-Cannabis sowie um die Erstattung von Aufwendungen zum Erwerb von Cannabisprodukten.
Der im Jahr 1990 geborene Kläger ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Am 28. Februar 2017 stellte die Betreuerin des Klägers für diesen einen Antrag auf Kostenübernahme für „verordnete Cannabisblüten/Zustimmung Therapie“. Sie führte aus, dass der Kläger Schmerzpatient sei. Im Jahr 2015 sei bei ihm die Diagnose Fibromyalgie gestellt worden. Er sei durch die Schmerzen stark eingeschränkt und behandele diese derzeit selbst und mit Erfolg mit Cannabis. Ab März 2017 trete ein neues Gesetz in Kraft, welches ermögliche, Cannabisblüten per Rezept in der Apotheke zu beziehen. Der Schmerzarzt des Klägers sowie seine Hausärztin befürworteten diese Medikation. Damit der Schmerztherapeut ein Rezept für Cannabisblüten ausstelle, werde die Zustimmung zur kontrollierten Behandlung mit Cannabis durch die Beklagte benötigt.
Mit Schreiben vom 3. März 2017 bat die Beklagte für eine Untersuchung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) um ergänzende Unterlagen und Informationen, warum im Fall des Klägers keine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung zur Anwendung kommen könne und welches Präparat genau zum Einsatz kommen solle. Ferner informierte sie darüber, dass das Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften (Cannabis) noch nicht in Kraft getreten sei. Sie wies darauf hin, dass die Entscheidungsfrist nach dem Antrag fünf Wochen betrage. Da noch Unterlagen fehlten, sei diese Frist außer Kraft gesetzt.
Am 17. März 2017 sprach der Kläger persönlich bei der Beklagten vor und reichte ein Rezept seines behandelnden Anästhesiologen und Schmerztherapeuten Dr. G vom selben Tag über die Verordnung von Sativex® drei mal zwei Sprühstöße sowie Cannabisblüten Pedianios 14/1 (NRF 22.12) 50g 2x tgl. 100mg ein. Dem fügte er den Therapievertrag vom selben Tag bei. In diesem wurden als Dauerdiagnosen eine Fibromyalgie an mehreren Lokalisationen, eine gastroösophageale Refluxkrankheit mit Ösophagitis, eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, eine Störung des Sozialverhaltens mit depressiver Störung, sonstige cannabinoidbedingte psychische und Verhaltensstörungen und eine chronische Gastritis, nicht näher bezeichnet, angegeben. Als Therapieziele wurden eine Schmerzlinderung von derzeit 9 auf 5-6 der numerischen Analogskala, ein strukturierter Tagesablauf, eine Reduktion auf 2-4 mal Cannabiseinnahme und eine Konditionierung angegeben.
Weiter beigefügt wurde ein Krankenhausentlassungsbericht des I Krankenhauses B für eine stationäre Behandlung des Klägers vom 29. September bis 07. Oktober 2015. Dort wurden die Diagnosen eines Fibromyalgiesyndroms, eines Zustandes nach Pneumonie links im Jahr 2014, einer Reflux-Ösophagitis und anamnestisch von rezidivierenden Harnwegsinfekten gestellt. Eine entzündlich-rheumatologische Grunderkrankung wurde von den behandelnden Ärzten ausgeschlossen.
Ferner wurde ein Attest der behandelnden Allgemeinmedizinerin Frau L vom 27. Februar 2017 eingereicht, welche bestätigte, dass mehrere Behandlungsversuche mit Schmerzmitteln wie Novalminsulfon, Sympal, Diclofenac und Ibuprofen bei der Schmerztherapie keinen wesentlichen Erfolg erbracht hätten. Auch Tramal und Tilidin hätten nicht lange vorgehalten. Ein Krankenhausaufenthalt in B mit physiotherapeutischer Behandlung und Ergotherapie habe die Schmerzen nicht gebessert, so dass eine Therapie mit Cannabis durchaus zu erwägen wäre.
Am 06. April 2017 erstellte der Medizinische Dienst der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg (MDK) auf Veranlassung der Beklagten ein sozialmedizinisches Gutachten zu der Frage der beantragten Kostenübernahme. Der MDK stellte fest, dass der Kläger an Fibromyalgie erkrankt sei. Ferner bestehe eine Cannabisabhängigkeit. Eine schwerwiegende Krankheit im Sinne des § 31 Abs. 6 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) liege bei ihm nicht vor. Vertragsärztliche Behandlungsoptionen seien noch nicht zum Einsatz gekommen. Für die Behandlung einer Fibromyalgie stünden Antidepressiva und eine kombinierte Anwendung von psychotherapeutischen und körperlich aktivierenden Verfahren im Vordergrund. Bei Vorliegen einer cannaboidbedingten psychischen Verhaltensstörung sei der Einsatz von Cannabis kontraindiziert. Wegen der Cannabisabhängigkeit des Klägers stehe eine Entzugsbehandlung im Vordergrund.
Mit Bescheid vom 10. April 2017 teilte die Beklagte der Betreuerin des Klägers den wesentlichen Inhalt des vorgenannten MDK-Gutachtens mit und teilte ferner mit, dass eine Kostenübernahme für das beantragte Arzneimittel Sativex® sowie für Cannabisblüten ausgeschlossen sei.
Mit Fax vom 13. April 2017 (VA 22) legte die Betreuerin des Klägers gegen diese Entscheidung Widerspruch ein. Diesen begründete der Kläger dahingehend, dass die im MDK-Gutachten als vorrangig dargestellten vertragsärztlichen Behandlungsmethoden nur eine mäßige Evidenz entsprechend der S3-Leitlinie aufwiesen, so dass es für die Behandlung einer Fibromyalgie derzeit keinen allgemeinen, starken Evidenzansatz gebe. Angesichts dessen sei eine gut vertragene Behandlung mit Cannabis, die jedenfalls symptomatisch wirke, durchaus eine Option, die ärztlicherseits nachvollziehbar gewählt worden sei. Betrachte man seine Situation, so sei diese durch die von der Fibromyalgie verursachten Schmerzen sowohl in der Tagesgestaltung als auch in der Lebensqualität in erheblichem Maße geprägt. Bei kälteren Witterungsbedingungen könne er vielfach längere Wegstrecken nicht zurücklegen. Er sei überhaupt nicht in der Lage, sich in solchen Verhältnissen körperlich zu betätigen. Gleichzeitig sei seine Leistungsfähigkeit stark eingeschränkt. Zudem sei seine Lebenssituation durch schwere Panikattacken geprägt. Angesichts dieses seine ganze Person erfassenden Krankheitsbildes sei durchaus von einer schwerwiegenden Erkrankung, welche die Lebensqualität in erheblichem Maße beeinträchtige, auszugehen. Die Ablehnungsentscheidung berücksichtige ferner nicht, dass die Genehmigung der ersten Verordnung von Cannabis nur ausnahmsweise abgelehnt werden dürfe, da grundsätzlich die Therapiehoheit des behandelnden Arztes respektiert werden müsse. Der Widerspruchsbegründung waren weitere Atteste der behandelnden Ärztin Frau L und Dr. G beigefügt (VA 30-34).
Frau L berichtete, dass der Kläger wegen Fibromyalgie mit witterungsabhängiger Verstärkung an Muskel-, Skelett- und Nervenschmerzen mit Beteiligung des Bindegewebes leide, so dass ihm keine schmerzfreie Gehstrecke möglich sei, Schlafstörungen mit Konzentrationsmängeln und Reizbarkeit aufträten und dadurch bedingt auch psychosoziale Probleme im Umgang mit der Umwelt entstünden. Außerdem sei eine Migräne bekannt, welche einen zusätzlichen Stressfaktor darstelle. Durch diese Faktoren würden Schwierigkeiten bei der Gestaltung eines normalen Tagesablaufs, der Motivation zur Problembewältigung und beim Aufbau von normalen sozialen Strukturen bestehen. Diese Problematik bestehe schon seit Kindertagen. Der Kläger sei zurzeit bemüht, im Rahmen einer Einzelfallhilfe mit gesetzlichem Betreuer und im betreuten Wohnen Halt zu finden. Leider habe er bisher noch keinen Termin für eine Psychotherapie bekommen können.
Dr. G nannte seinerseits als cannaboides Medizinalprodukt nur noch Sativex®, welches drei mal täglich mit ein bis drei Sprühstößen zur Anwendung kommen solle. Damit solle vorrangig die Fibromyalgie an mehreren Lokalisationen und die chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren behandelt werden. Ziel der Behandlung sei eine Verlangsamung der Krankheitsprogression, eine Reduktion beziehungsweise Vermeidung der starken Nebenwirkungen der bisherigen Medikation, eine Reduktion beziehungsweise Vermeidung von Sturzgefahr, der Erhalt beziehungsweise die Wiederherstellung der Selbstversorgung im häuslichen Milieu, ein multisymptomatischer Therapieansatz zur Reduktion von Schmerzen und Angst, Stresssenkung, Regulation von Muskeltonus sowie eine Schmerzlinderung in Ruhe und Bewegung auf einem akzeptablen Niveau zur Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit, psychischen Belastbarkeit, vermehrte Aktivität trotz gleicher Schmerzen, bessere Schlafqualität, schnellere Schmerzremissionen und ein bedingtes Gesundsein in Erleben und Verhalten sowie eine berufliche und soziale Stabilisierung. Die Therapie mit Cannabinoiden solle dem Kläger ermöglichen, in eine leitliniengerechte Schmerztherapie einzusteigen und sich überhaupt wieder in regelmäßige ärztliche Behandlung zu begeben. Gegebenenfalls wäre eine multimodale stationäre Schmerztherapie dem vorzusetzen.
Bei dem Kläger bestehe ein hoher Leidensdruck. Die Behandlung mit Sativex® sei notwendig, weil zur Therapie im konkreten Fall nach seiner Erfahrung keine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung zur Verfügung stehe, beziehungsweise diese mit unzumutbaren Nebenwirkungen behaftet sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 11. September 2017 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 10. April 2017 als unbegründet zurück. Zur Begründung wurde ergänzend ausgeführt, dass psychotherapeutische Maßnahmen zur Behandlung der mitgeteilten Verhaltensstörungen bislang nicht zum Einsatz gekommen seien. Die Argumentation, dass der Kläger bislang keine passenden Therapeuten gefunden beziehungsweise keinen Termin erhalten habe, könne nicht nachvollzogen werden. Auch wenn die Behandlung durch Psychotherapeuten durchaus mit einer gewissen Wartezeit verbunden sein könne, sollte inzwischen eine Terminvereinbarung möglich gewesen sein. Ferner sei auch für den Widerspruchsausschuss nicht erkennbar, inwiefern durch die Anwendung von Cannabisblüten eine positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bei dem Kläger erreicht werden solle, wenn durch den mehrjährigen Konsum von Cannabis offensichtlich keine nachweisliche Besserung der Schmerzen eingetreten beziehungsweise hierdurch sogar eine Verhaltensstörung verursacht worden sei. Durch die bestehende Cannabisabhängigkeit sei eine therapeutische Anwendung kontraindiziert. Der Widerspruchsbescheid wurde dem Verfahrensbevollmächtigten am 12. September 2017 bekannt gegeben.
Am 12. Oktober 2017 hat die Betreuerin des Klägers für diesen gegen die vorgenannte Entscheidung Klage erhoben, mit dem ursprünglichen Begehren, die Beklagte zu verpflichten, die Kostenübernahme für Sativex® sowie Cannabisblüten zu gewähren. Zur Klagebegründung hat er ergänzend ausgeführt, dass seine Fibromyalgie von seinem behandelnden Neurologen, der auch Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie sei, mit dem Antidepressivum Duloxetin® behandelt worden sei. Er habe jedoch feststellen müssen, dass dieses Medikament nicht geholfen, sondern vielmehr Kopfschmerzen, Müdigkeit und Verwirrtheit zur Folge gehabt habe. Ein weiteres Experimentieren sei ihm nicht zumutbar. Daher sei die ärztlich verordnete Behandlung mit Cannabis in Kombination mit Sativex® die letzte Behandlungsoption. Soweit die Beklagte ihm einen Cannabismissbrauch vorwerfe und ausführe, dass auch dieser nicht zu einer Schmerzreduktion geführt habe, sei anzumerken, dass medizinischer Cannabis in standardisierter Form regelmäßig eingenommen sowie die Dosis unter ärztliche Aufsicht eingestellt werden müsse, um einen optimalen Erfolg zu erzielen.
Der Kläger hat der Klage einen Krankenhausentlassungsbericht der Charité B für seinen dortigen stationären Aufenthalt vom 28. September 2017 bis 1. Oktober 2017 beigefügt. Er ist dort wegen eines chronischen Schmerzsyndroms, mit der Differenzialdiagnose Fibromyalgie, behandelt worden. Die Medikation bei Aufnahme hat in 2 Gramm Marihuana mindestens am Tag bestanden. Der Kläger hat berichtet, dass er etwa 70 g Cannabis monatlich konsumiere und gerade versuche, welche Arten und welche Portionierung für ihn am geeignetsten seien. Durch den Konsum von Cannabis seien seine Beschwerden deutlich gebessert. Die behandelnden Ärzte der Charité haben in Zusammenschau der Befunde festgestellt, dass bei dem Kläger ein chronifiziertes Schmerzsyndrom bei zudem bestehender behandlungsbedürftiger psychiatrischer Grunderkrankung besteht. Die von dem Kläger als sehr wirksam eingeschätzte Therapie mit Marihuana sei kritisch zu evaluieren. Grundsätzlich bestehe eine Indikation zu einer multimodalen Schmerztherapie. Hierfür sei jedoch zunächst eine Cannabisabstinenz erforderlich. Es solle eine psychiatrische Vorstellung zur etwaigen Therapie einer gegebenenfalls bestehenden Suchtsymptomatik sowie der psychiatrischen Vorerkrankung erfolgen. Entsprechend werde eine ambulante oder stationäre psychiatrische Anbindung empfohlen.
Im Zeitraum vom 3. April 2018 bis 19. April 2018 hat sich der Kläger in stationärer schmerztherapeutischer Behandlung der Klinik Havelhöhe in Berlin befunden. Als Schmerzdiagnose ist eine chronische Schmerzstörung, als somatische Diagnose ein Fibromyalgie-Syndrom festgestellt worden. Als psychische Diagnosen haben die behandelnden Ärzte ein Abhängigkeitssyndrom für Cannabinoide, gegenwärtiger täglichen Gebrauch von Cannabisblüten bei Verschreibung auf Privatrezept 2017, in der Vorgeschichte: Psychische und Verhaltensstörung durch Cannaboide (Josefinum - Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie Augsburg, 2004), in der Vorgeschichte: Störung des Sozialverhaltens mit depressiver Störung (Josefinum - Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie Augsburg, 2004), verstärkte Aufmerksamkeit auf körperinterne Veränderungen und eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode, festgestellt. Ziel der multimodalen Therapien sei das Erlernen selbstwirksamer Strategien zur Schmerzminderung sowie eine Optimierung der medikamentösen Cannabistherapie gewesen. Mehrfach sei mit der Betreuerin und dem Kläger der Zusammenhang von seelischen Belastungsfaktoren sowohl aktuell als auch im geschichtlichen, Schmerzempfinden und Substanzabhängigkeit zur Förderung des Verständnisses für den Nutzen der Reduzierung von Cannabis zugunsten eines psychotherapeutischen Arbeitens an der psychischen Stabilisierung, Autonomie und Bewältigung von lebenspraktischen Aufgaben besprochen worden. Dieses habe schrittweise umgesetzt werden können, die Fortführung von ambulanten psychotherapeutischen Sitzungen werde jedoch dringend empfohlen.
Die damalige Prozessbevollmächtigte des Klägers reichte ergänzend einen Befundbericht des behandelnden Orthopäden Dr. J vom 20. Juni 2018 zur Untersuchung von Beschwerden des Klägers in der Hals- und Lendenwirbelsäule sowie im Bereich der Knie und Sprunggelenke, sowie einen Befundbericht des Radiologen Herrn K für ein 2-Phasenknochenszintigramm der Hände, Füße, Knie und des Ganzkörpers der Lendenwirbelsäule zur Gerichtsakte. Ferner wurde berichtet, dass der Kläger am 2. Oktober 2018 erstmalig eine Probesitzung bei der Psychotherapeutin Dr. S absolviert habe. Am 16. April 2019 erstellte der behandelnde Schmerztherapeut Dr. G ein weiteres Attest für den Kläger. Er bestätigte, dass der Kläger sich seit dem 5. August 2016 in seiner ambulanten Schmerzsprechstunde befinde. Die angesetzten Termine seien regelmäßig wahrgenommen worden, es bestehe eine gute Compliance. Als weitere Dauerdiagnosen führt Herr Dr. G zusätzlich auch Spannungskopfschmerzen und eine posttraumatische Belastungsstörung auf. Als Dauermedikamente seien 80 bis 100 Gramm medizinaler Cannabis als stabile Dosis seit Therapiebeginn verordnet worden. Wichtig sei, dass der Kläger seit zwei Jahren nicht mehr krank gewesen sei und seine Beschwerden durch den Medizinal-Cannabis zum Teil vergessen habe.
Am 30. April 2019 hat das Sozialgericht Berlin eine mündliche Verhandlung mit den Beteiligten durchgeführt. Der Kläger hat erklärt, dass er die Psychotherapie bei Frau Dr. S kurzfristig habe abbrechen müssen. Der Weg nach Potsdam sei zu weit gewesen. Er sei durch seine Gehbehinderung eingeschränkt. Seine als Beistand erschienene Sozialarbeiterin hat ergänzt, dass der Kläger für den Weg eineinhalb Stunden brauche.
Mit Urteil vom 30. April 2019 hat das Sozialgericht Berlin die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass nach seiner Auffassung allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechenden Leistungen zur Verfügung stünden. Der Kläger sei nicht im ausreichenden Umfang erfolglos psychotherapeutisch und mit Antidepressiva behandelt worden. Ferner fehle es an einer ärztlichen Therapieentscheidung. Der Kläger habe in der Folge nichts vorgebracht, was zu einer abweichenden rechtlichen Beurteilung führen könne. Dieses Urteil wurde dem damaligen Prozessbevollmächtigten des Klägers am 24. Mai 2019 zugestellt.
Am 20. Juni 2019 hat der Kläger gegen die vorgenannte Entscheidung Berufung eingelegt. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat die Berufung damit begründet, dass durch Ablauf der Genehmigungsfiktion zum 4. April 2017 eine Genehmigung der Cannabisverordnung bestehe. Der Einwand des angegriffenen Urteils, es liege keine Therapieentscheidung des verordnenden Arztes vor, gehe fehl. Eine Therapiehoheit des behandelnden Arztes gebe es nicht. Im Übrigen sei darauf hinzuweisen, dass bei ärztlich verordnetem und kontrolliertem Cannabiskonsum nie von einer Cannabisabhängigkeit gesprochen werden könne.
Auf den Hinweis des damaligen Berichterstatters vom 1. Juli 2020 zu der geänderten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts bezüglich der Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a SGB V hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers Nachweise für die Selbstbeschaffung von Cannabisblüten über holländische Apotheken sowie eingelöste Privatrezepte über Berliner Apotheken eingereicht. Der Wert der eingereichten Rezepte und Rechnungen beläuft sich insgesamt auf 15.303,54 Euro für den Zeitraum vom 17. März 2017 bis 26. Juni 2020. Mit Schriftsatz vom 31. August 2020 reichte der Prozessbevollmächtigte des Klägers ein weiteres Privatrezept vom 10. August 2020 sowie eine dazugehörige Rechnung einer holländischen Apotheke für Cannabisblüten im Wert von 600,00 Euro ein.
Der Kläger hat in dem am 17. März 2022 durchgeführten Verhandlungstermin vor dem Senat nicht mehr an seinem Begehren festgehalten, mit dem Medikament Sativex® versorgt zu werden.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 30. April 2019 und den Bescheid der Beklagten vom 10. April 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. September 2017 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Kläger mit Medizinal-Cannabisblüten mit einer Tagesdosis von mindestens 2,5 g zu versorgen sowie die entstandenen Kosten aus der Selbstversorgung mit Medizinal-Cannabisblüten in Höhe von 15.903,54 Euro zu erstatten.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hält die Entscheidung des Sozialgerichts Berlin für zutreffend. Eine Genehmigungsfiktion könne in Ermangelung eines fiktionsfähigen Antrages nicht eingetreten sei. Insbesondere fehle es in dem Antrag der Betreuerin des Kläger an der Benennung der Cannabissorte und der Dosierung.
Entscheidungsgründe
I.
Die gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist auch im Übrigen zulässig. Er verfolgt in zulässiger Weise eine Anfechtungs- und Leistungsklage im Sinne des § 54 Abs. 1 und 4 SGG. Insbesondere steht es dem Kläger frei, im Berufungsverfahren die Erstattung von Kosten des von ihm selbst beschafften Medizinal-Cannabis anstatt der Sachleistung für bereits erworbene Arzneimittel zu begehren. Gemäß § 99 Abs. 3 Nr. 3 SGG ist es nicht als eine Änderung der Klage anzusehen, wenn ohne Änderung des Klagegrundes statt der ursprünglich geforderten Leistung wegen einer später eingetretenen Veränderung eine andere Leistung verlangt wird. So liegt es – wie hier – bei der Umstellung eines Sachleistungsbegehrens auf einen Kostenerstattungsanspruch (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 26. Februar 2019, Aktenzeichen B 1 KR 24/18 R, Randnummer 8, zitiert nach JURIS).
II.
1.
Die Berufung ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, da der Bescheid der Beklagten vom 10. April 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. September 2017 rechtmäßig ist. Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine zukünftige Versorgung mit Medizinal-Cannabisblüten mit einer Tagesdosierung von mindestens 2,5 g sowie einem Vier-Wochenbedarf von 70 g gemäß den Dosierungsangaben seines behandelnden Arztes sowie auf Erstattung von 15.903,54 Euro für bisher aufgewandten Kosten zum Erwerb der ärztlich verordneten Cannabisblüten. Denn die Beklagte hat die Bewilligung der begehrten Leistung nicht zu Unrecht abgelehnt und der Kläger kann sich weder auf eine Genehmigungsfiktion berufen, noch liegen die Voraussetzungen für eine zukünftige Versorgung gemäß § 31 Abs. 6 SGB V vor. Der Senat konnte sich insbesondere nicht davon überzeugen, dass eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung für die beim Kläger bestehende Erkrankung nicht zur Verfügung steht beziehungsweise wegen zu erwartender Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes des Klägers nicht zur Anwendung kommen kann.
a.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erstattung von 15.903,54 Euro für bisher aufgewandte Kosten, welche er entsprechend den von ihm eingereichten Rechnungen von Apotheken in B und den Niederlanden sowie den dazu gehörenden Privatrezepten für den Erwerb der ihm verordneten getrockneten Medizinal-Cannabisblüten aufgewandt hat.
aa.
Ein Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 1 SGB V kommt bereits aus dem Grund nicht in Betracht, dass der Kläger nicht nach § 13 Abs. 2 SGB V die Kostenerstattung anstelle der Erbringung einer Sachleistung gewählt hat.
bb.
Ein Kostenerstattungsanspruch ergibt sich auch nicht aus § 13 Abs. 3 S. 1 SGB V. Gemäß dieser Norm hat die Krankenkasse die Kosten für selbstbeschaffte Leistungen in der Höhe zu erstatten, die dadurch entstanden sind, dass sie eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte, soweit die Leistung notwendig war.
Eine Unaufschiebbarkeit im Sinne der 1. Alternative des § 13 Abs. 3 S. 1 SGB V verlangt, dass die beantragte Leistung im Zeitpunkt ihrer tatsächlichen Erbringung so dringlich ist, dass aus medizinischer Sicht keine Möglichkeit eines nennenswerten Aufschubes mehr besteht, um vor der Beschaffung die Entscheidung der Krankenkasse abzuwarten. Ein Zuwarten darf dem Versicherten aus medizinischen Gründen nicht mehr zumutbar sein, weil der angestrebte Behandlungserfolg zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr eintreten kann oder zum Beispiel wegen der Intensität der Schmerzen ein auch nur vorübergehendes weiteres Zuwarten nicht mehr zuzumuten ist. Nach der Normstruktur des § 13 Abs. 3 S. 1 SGB V besteht diese Regelung in Abgrenzung zur 2. Alternative gerade, um Eilsituationen aufgrund der Unaufschiebbarkeit Rechnung zu tragen, bei denen der Versicherte die Entscheidung seiner Krankenkasse nicht mehr abwarten kann. Unaufschiebbar kann dabei auch eine zunächst nicht eilbedürftige Behandlung werden, wenn der Versicherte mit der Ausführung so lange wartet, bis die Leistung zwingend erbracht werden muss, um den mit ihr angestrebten Erfolg noch zu erreichen oder um sicherzustellen, dass er noch innerhalb eines therapeutischen Zeitfensters die benötigte Behandlung erhalten wird (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 8. September 2015, Aktenzeichen B 1 KR 14/14 R, Rn 15, zitiert nach JURIS; Schifferdecker in Kassler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, 117. Ergänzungslieferung Dezember 2021, zu § 13 SGB V, Rn 74ff. m.w.N.). Unaufschiebbar in diesem Sinne war die von dem Kläger begehrte Leistung nicht. Dem Kläger war das Zuwarten auf eine Entscheidung der Beklagten zumutbar, bevor er zur Selbstbeschaffung des von ihm begehrten Medizinal-Cannabis schritt. Es ist insbesondere nicht ersichtlich, dass ein Zuwarten auf die nach wenigen Wochen ergangene Entscheidung der Beklagten den Behandlungserfolg der von dem Kläger begehrten Cannabistherapie gefährdete. Etwas anderes wurde von dem Kläger auch nicht vorgetragen.
Der Kläger hat auch keinen auf § 13 Abs. 3 S. 1 2. Alternative SGB V gestützten Kostenerstattungsanspruch. Dieser Anspruch liegt nicht vor, da die Beklagte es nicht zu Unrecht abgelehnt hat, den Kläger mit Medizinal-Cannabisblüten gemäß den Dosierungsangaben seines behandelnden Arztes zu versorgen. Der Kostenerstattungsanspruch aus § 13 Abs. 3 SGB V reicht nicht weiter als ein entsprechender Naturalleistungsanspruch. Er setzt voraus, dass die selbst beschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (ständige Rechtsprechung, vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 17. Dezember 2019, Aktenzeichen B 1 KR 18/19 R, Rn. 8, zitiert nach JURIS; Schifferdecker, a.a.O., Rn 64 m.w.N.). Daran fehlt es, da dem Kläger gegenüber der Beklagten kein Anspruch auf die vorgenannte Sachleistung zusteht.
Nach § 27 Abs. 1 S. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst gemäß § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB V auch die in § 31 SGB V näher geregelte Versorgung mit Arzneimitteln. Gemäß § 31 Abs. 6 S. 1 SGB V haben Versicherte mit einer schwerwiegenden Erkrankung Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten in standarisierter Qualität und auf Versorgung mit Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol und Nabilon, wenn (1.) eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung (a) nicht zur Verfügung steht oder (b) im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung der behandelnden Vertragsärztin oder des behandelnden Vertragsarztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes der oder des Versicherten nicht zur Anwendung kommen kann und (2.) eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht. Die Leistung bedarf gemäß § 31 Abs. 6 S. 2 SGB V bei der ersten Verordnung für eine Versicherte oder einen Versicherten der nur in begründeten Ausnahmefällen abzulehnenden Genehmigung der Krankenkasse, die vor Beginn der Leistung zu erteilen ist.
Der Kläger hat am 28. Februar 2017 einen Antrag auf Kostenübernahme für verordnete Cannabisblüten / Zustimmung Therapie gestellt. Die vertragsärztliche Verordnung seines behandelnden Schmerztherapeuten vom 17. März 2017 hat der Kläger im Verlauf des Antragsverfahrens und damit in jedem Fall für die Entscheidung der Beklagten über die Genehmigung der Cannabistherapie rechtzeitig nachgereicht (vgl. Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Aktenzeichen L 9 KR 262/20, Rn 17-19 m.w.N., zitiert nach JURIS). Spätestens mit dem Vorliegen des Begleitschreibens zu Cannaboiden nach § 31 Abs. 6 SGB V des behandelnden Schmerztherapeuten vom 2. Juni 2017 lag auch eine begründete Einschätzung eines Vertragsarztes vor, der allerdings nur von einer subjektiven Alternativlosigkeit der Therapie sprach und die Stellungnahme nur für die Anwendung des Arzneimittels Sativex® erstellte.
Bei dem Kläger besteht auch eine schwerwiegende Erkrankung im Sinne des § 31 Abs. 6 S. 1 SGB V. Der Begriff der schwerwiegenden Erkrankung wird in § 31 Abs. 6 SGB V vom Gesetzgeber nicht definiert. Dem Ausnahmecharakter der Vorschrift folgend ist von einer schwerwiegenden Erkrankung dann auszugehen, wenn es sich um eine lebensbedrohliche oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung handelt (vgl. Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 16. Oktober 2020, Aktenzeichen L 4 KR 813/19, Rn 40; Pitz in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Auflage, Stand Juni 2020, zu § 31 SGB V Rn 125 m.w.N.; Nolte in Kassler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, a.a.O., zu § 31 SGB V, Rn. 75d). Der Kläger leidet entsprechend den Bescheinigungen seiner behandelnden Ärzte an einer Fibromyalgie an mehreren Lokalisationen, einer gastroösophagealen Refluxkrankheit mit Ösophagitis, einer chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, einer Störung des Sozialverhaltens mit depressiver Störung, einem Abhängigkeitssyndrom für Cannaboide, sonstigen cannabinoidbedingten psychischen und Verhaltensstörungen, einer chronischen Gastritis, Spannungskopfschmerzen und einer posttraumatischen Belastungsstörung. Diese beim Kläger vorliegenden Erkrankungen beeinträchtigen dessen Lebensqualität auf Dauer und nachhaltig. Denn entsprechend den Mitteilungen der behandelnden Ärzte des Klägers, insbesondere dessen Hausärztin, führen diese Erkrankungen seit Jahren zu einer fortbestehenden Schmerzsymptomatik mit witterungsabhängiger Verstärkung, Schlafstörungen, Konzentrationsmängeln, Reizbarkeit und erheblichen psychosozialen Problemen im Umgang mit der Umwelt, der Regelung des eigenen Tagesablaufs, der Eigenmotivation zur Problembewältigung und dem Aufbau normaler Strukturen. Der Kläger hat deswegen im Rahmen der Einzelfallhilfe einen gesetzlichen Betreuer und wohnt im „Betreuten Wohnen“. Das belegt zur Überzeugung des Senats das Vorliegen von die Lebensqualität auf Dauer und nachhaltig beeinträchtigenden Erkrankungen.
Der Senat konnte sich aber nicht davon überzeugen, dass allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistungen für die beim Kläger bestehenden Erkrankungen im Sinne des § 31 Abs. 6 S. 1 Nr. 1a SGB V nicht zur Verfügung stehen. Es liegt auch keine ärztliche Einschätzung im Sinne des § 31 Abs. 6 S. 1 Nr. 1b SGB V vor, dass eine tatsächlich bestehende Alternativbehandlung nicht zur Anwendung kommen kann.
Die Voraussetzung des Fehlens einer Standardtherapie knüpft entsprechend der gesetzlichen Begründung an die Vorschrift des § 2 Abs. 1a SGB V an (vgl. BT-Drs. 18/8965, S. 24). Insoweit ist für die Beurteilung des Vorhandenseins einer dem medizinischen Standard entsprechenden Leistung auf die Grundsätze zur evidenzbasierten Medizin abzustellen. Die Tatbestandsvoraussetzung des Fehlens einer Standardtherapie ist nur dann erfüllt, wenn eine Standardtherapie tatsächlich nicht zur Verfügung steht oder sie der Versicherte nachgewiesenermaßen nicht verträgt (vgl. Pitz, a.a.O., § 31, Rn. 126 m.w.N.). Dabei ist weiter zu beachten, dass Voraussetzung für die Annahme, dass eine anerkannte Standardtherapie i.S.v. § 31 Abs. 6 S. 1 Nr. 1b SGB V nicht zur Anwendung kommen kann, ist, dass aufgrund individueller Umstände der Eintritt konkret zu erwartender Nebenwirkungen aufgezeigt wird, die aufgrund einer individuellen Abschätzung als unzumutbar anzusehen sind (vgl. Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 20. Dezember 2018, Aktenzeichen L 5 KR 125/18, Rn 34, zitiert nach JURIS).
Dieses zu Grunde gelegt, ist der Senat in Anschluss an die Einschätzung des MDK sowie der behandelnden Ärzte des Klägers während dessen stationären Aufenthalten an der Charité B und der Klinik H davon überzeugt, dass eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung i.S.v. § 31 Abs. 6 S. 1 Nr. 1a SGB V zur Behandlung der ihm vorliegenden Erkrankungen zur Verfügung steht, die auch zur Anwendung kommen kann (§ 31 Abs. 6 S. 1 Nr. 1b SGB V). Behandlungsziele sind entsprechend den Angaben des behandelnden Schmerztherapeuten Dr. G eine Verlangsamung der Krankheitsprogression, eine Reduktion beziehungsweise Vermeidung der die Lebensqualität des Klägers reduzierenden Medikation, eine Verringerung der Sturzgefahr, ein Erhalt beziehungsweise eine Wiederherstellung der Selbstversorgung im häuslichen Bereich, eine Schmerzlinderung in Ruhe und Bewegung, eine Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit und der psychischen Belastbarkeit, eine vermehrte Aktivität trotz gleicher Schmerzen, eine bessere Schlafqualität, eine schnellere Schmerzreduktion, ein bedingtes Gesundsein im Erleben und Verhalten sowie eine berufliche und soziale Stabilisierung. Als Ausgangspunkt für das Erreichen dieser Ziele steht entsprechend der Einschätzung des MDK sowie der Behandler des Klägers in der Charité und der Klinik H eine psychotherapeutische Behandlung, zumindest erst einmal in der Form einer konsequent durchgeführten ambulanten Psychotherapie zur Behandlung der Suchtproblematik und der durch Cannabiskonsum bedingten Verhaltensstörung zur Verfügung. Diese ärztliche Einschätzung ist für den Senat ohne Weiteres schlüssig, da bei dem Kläger durch seine Behandler ein Abhängigkeitssyndrom für Cannaboide mit psychischen und Verhaltensstörungen durch Cannaboide übereinstimmend festgestellt wurde. Die regelmäßige Einnahme von Cannabis durch den Kläger ist damit nicht nur Teil einer möglichen Therapie des Klägers, sondern entsprechend der Einschätzung der Ärzte der Charité wie auch der Ärzte der Klinik H mitursächlich für dessen Beschwerden. Die Ärzte der vorgenannten Kliniken empfehlen daher einen Cannabisentzug oder zumindest eine erhebliche Reduzierung des Cannabiskonsums, um eine anschließende multimodale Schmerztherapie zu ermöglichen. Dieser Ansatz deckt sich im Grundsatz auch mit dem zunächst gewählten Behandlungsansatz des Schmerztherapeuten Dr. G, da es nach dessen Behandlungsvertrag ein Ziel der Behandlung des Klägers war, dessen täglichen Cannabiskonsum zu senken. Ergänzend schlägt der MdK aus Sicht des Senats schlüssig eine körperliche Aktivierung des Klägers und eine Gabe von Antidepressiva zur Reduktion der Beschwerden und Verbesserung der Konditionierung vor. Dieses ist dem Kläger auch zumutbar. Das einmalige vergebliche Ausprobieren eines Antidepressivums spricht aus Sicht des Senats nicht dagegen, ein anderes Antidepressivum auszuprobieren, insbesondere wenn die Behandlung durch Arzneimittel in eine laufende psychiatrische und vor allem psychotherapeutische Behandlung eingebettet wird. Dieses zu Grunde gelegt, sind aus Sicht des Senats noch nicht alle erfolgversprechenden Standardtherapien ausgeschöpft, die im Fall des Klägers zur Verfügung stehen, um den Gesundheitszustand des Klägers zu bessern, insbesondere um durch psychotherapeutische Verfahren die Abhängigkeitssymptomatik des Klägers für Cannaboide zu überwinden, die weiteren psychischen Beschwerden des Klägers zu mildern und dadurch die Grundvoraussetzungen zu schaffen, um eine effektive multimodale Schmerztherapie durchzuführen. Der Umstand, dass der Kläger einer Standardbehandlung und insbesondere einer Reduktion des Cannabiskonsums mit dem Ziel des Ausschleichens des täglich konsumierten Cannabis skeptisch oder sogar ablehnend gegenüber steht, ändert nichts am objektiven Vorliegen von anwendbaren Standardtherapien. Insbesondere kann zur Überzeugung des Senats eine fehlende Compliance vor dem Hintergrund eines Abhängigkeitssyndroms des Versicherten nicht zum Fehlen oder zu mangelnden Erfolgsaussichten für einen Behandlungsansatz mit Standardtherapien führen.
Weiterhin liegt auch keine begründete Einschätzung des behandelnden Vertragsarztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes des Versicherten im Sinne des § 31 Abs. 6 S. 1 Nr. 1b SGB V vor, weshalb die vorgenannte Standardtherapie nicht zur Anwendung kommen kann. Der Schmerztherapeut Dr. G begründet in seiner ärztlichen Stellungnahme vom 2. Juni 2017 den Beginn der Therapie mit Cannabis damit, dass der Kläger die nach den vorgenannten ärztlichen Stellungnahmen indizierte psychotherapeutische Behandlung nicht wahrgenommen habe, da er trotz mehrerer Kontaktversuche keinen Therapeuten gefunden habe. Eine multimodale Schmerztherapie wird von Dr. G durchaus als eine sinnvolle Behandlungsalternative eingeschätzt. Er spricht ferner in seinem Begleitschreiben zu Cannaboiden nach § 31 Abs. 6 SGB bei der Beantwortung der dortigen Frage zu 8.) von einer „subjektiven Alternativlosigkeit“ des Klägers, was im Umkehrschluss indiziert, dass es auch aus Sicht des behandelnden Schmerztherapeuten objektiv durchaus alternative Behandlungsmöglichkeiten gibt. Daher benennt er auch keine medizinischen Gründe für die Unanwendbarkeit des alternativen Behandlungsansatzes der Durchführung einer Psychotherapie und einer multimodalen Schmerztherapie. An die von Dr. G angegebenen nichtmedizinischen Gründe für das Fehlen einer alternativen Behandlungsmöglichkeit ist der Senat nicht gebunden (vgl. Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 27. April 2021, Aktenzeichen L 11 KR 2148/20, Rn 31, zitiert nach JURIS). Im Übrigen ist der Kläger, der nur einmal an einer probatorischen psychotherapeutischen Sitzung teilgenommen hat, den Nachweis schuldig geblieben, dass eine psychotherapeutische Behandlung nicht zu dem gewünschten Behandlungserfolg führt. Dabei wäre ihm die Fortführung der Psychotherapie auch bei der bisherigen Psychotherapeutin in Potsdam möglich gewesen, da die von dem Kläger wegen Bewegungsschmerzen als unzumutbar bezeichnete Anreise auch nicht wesentlich weiter oder schwieriger ist, als die Anreise zu seinem ebenfalls in P ansässigen Schmerztherapeuten, welche der Kläger regelmäßig absolviert. Alternativ hätte der Kläger sich, gegebenenfalls unter Inanspruchnahme der Terminservicestelle der Kassenärztliche Vereinigung Berlin, intensiv um eine wohnortnähere Psychotherapie bemühen können.
cc.
Der Kläger kann sich für die Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs schließlich auch nicht auf die Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a SGB V berufen. Gemäß § 13 Abs. 3a SGB V hat die Krankenkasse über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des MDK, eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten. Der Medizinische Dienst nimmt innerhalb von drei Wochen gutachtlich Stellung. Kann die Krankenkasse die vorgenannte Frist nach § 13 Abs. 3a S. 1 (oder S. 4 bezüglich eines zahnärztliches Gutachterverfahrens) SGB V nicht einhalten, teilt sie dieses gemäß § 13 Abs. 3a S. 5 SGB V den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit. § 13 Abs. 3a S. 6 SGB V gibt vor, dass, wenn keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes erfolgt, die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt gilt. Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist die Krankenkasse nach § 13 Abs. 3a S. 7 SGB V zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet.
Die Beklagte hat die Frist des § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V gewahrt. Sie hat den Kläger darauf hingewiesen, dass sie eine Begutachtung für notwendig erachtet und anschließend ein Gutachten des MDK eingeholt, so dass die Fünfwochenfrist des § 13 Abs. 3a S. 1 SGB V einschlägig ist. Diese Frist hat trotz Stellung eines hinreichend bestimmten Antrages des Klägers am 28. Februar 2017 erst am 10. März 2017 zu laufen begonnen, da erst ab diesem Zeitpunkt eine Rechtsgrundlage für das Begehren des Klägers existierte. Damit hat die Beklagte mit dem Bescheid vom 10. April 2017, welcher dem Kläger spätestens am 13. April 2017 bekannt gegeben wurde, innerhalb der vorgenannten Frist entschieden.
Die Entscheidungsfrist des § 13 Abs. 3a S. 1 SGB V beginnt grundsätzlich mit dem Eingang eines hinreichend bestimmten Leistungsantrages bei der gesetzlichen Krankenkasse (vgl. Helbig in jurisPK-SGB V, a.a.O., zu § 13 SGB V, Rn 101). Dieses ist damit zu begründen, dass eine Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a S. 6 SGB V nur dann eintreten kann, wenn der Antrag des Leistungsberechtigten auf die Gewährung einer Sachleistung im Sinne des § 33 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) hinreichend bestimmt ist. Dieses gilt auch vor dem Hintergrund, dass nach der geänderten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts bei Eintritt der Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a S. 6 SGB V kein Verwaltungsakt über die Gewährung der beantragten Sachleistung fingiert, sondern zu Gunsten des Antragstellers eine Rechtsposition sui generis geschaffen wird, auf Grund derer er unter der Voraussetzung des Fortbestehens der Gutgläubigkeit zum Zeitpunkt des jeweiligen Beschaffungsvorgangs das Recht erwirbt, sich die jeweilige Sachleistung selbst zu beschaffen und nach § 13 Abs. 3a S. 7 SGB V von der Krankenkasse Kostenerstattung zu verlangen (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 26. Mai 2020, Aktenzeichen B 1 KR 9/18, Rn 10ff.). Denn auch in diesem Fall muss auf Grund eines hinreichend bestimmten Antrages klar sein, dass und in welchem Umfang die Genehmigungsfiktion für die beantragte Leistung eintritt, wofür § 33 SGB X als Maßstab dient. Ein Verwaltungsakt ist im Sinne der vorgenannten Norm inhaltlich hinreichend bestimmt, wenn sein Adressat objektiv in der Lage ist, den Regelungsgehalt des Verfügungssatzes zu erkennen und der Verfügungssatz gegebenenfalls eine geeignete Grundlage für seine zwangsweise Durchsetzung bildet. So liegt es, wenn der Verfügungssatz in sich widerspruchsfrei ist und den Betroffenen bei Zugrundelegung der Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers in die Lage versetzt, sein Verhalten daran auszurichten. Die Anforderungen an die notwendige Bestimmtheit richten sich im Einzelnen nach den Besonderheiten des jeweils anzuwendenden materiellen Rechts (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 11. Juli 2017, Aktenzeichen B 1 KR 26/16 R, Rn 17, zitiert nach JURIS). Dabei dürfen die Voraussetzungen nicht überspannt werden. Dem Leistungsberechtigten sollen einfache Kriterien an die Hand gegeben werden, um erkennen zu können, ob die Genehmigung fingiert ist und er sich die beantragte Leistung selbst beschaffen kann (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 27. August 2019, Aktenzeichen B 1 KR 1/19 R, Rn 22, zitiert nach JURIS). Der Antrag ist daher auslegungsfähig. Er muss aber formal vollständig und „halbwegs schlüssig“ gestellt sein (vgl. Roller, Der krankenversicherungsrechtliche Anspruch auf Cannabis nach Genehmigungsfiktion in SGb 2020, S. 345).
Für die Genehmigungsfiktion genügt es dabei, dass das Behandlungsziel klar ist. Dass hinsichtlich der Mittel zur Erfüllung der Leistungspflicht verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung stehen, beeinträchtigt den Charakter einer Leistung als vertretbare Handlung nicht. Das gilt ebenso, wenn der Leistungsberechtigte zur Konkretisierung der Behandlungsleistung auf die Beratung des behandelnden Arztes angewiesen ist (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 27. August 2019, a.a.O., Rn 17). In Übertragung dieser allgemeinen Ausführung auf die materiell-rechtliche Norm des § 31 Abs. 6 SGB V, genügt es für den Eintritt der Genehmigungsfiktion nicht, dass die Versorgung des Leistungsberechtigten mit Cannabis beantragt wird. Denn hierdurch wird das Behandlungsziel noch nicht klar genug bestimmt (vgl. Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 9. Oktober 2017, Aktenzeichen L 1 KR 338/17 B ER, Rn 37, zitiert nach JURIS, so auch Schifferdecker, a.a.O., Rn 118a). Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass eine Genehmigung der Krankenkasse fingiert werden soll und eine fingierte Genehmigung nicht weiter reichen kann, als die ausdrückliche Genehmigung der Krankenkasse. Bezogen auf die Norm des § 31 Abs. 6 SGB V bedeutet das, dass zumindest das Arzneimittel, der Wirkstoff beziehungsweise die Darreichungsform von Cannabis als Blüten oder Extrakt benannt wird (so zutreffend: Roller, a.a.O.). Diesen Anforderungen genügt der auslegungsfähige Antrag des Klägers vom 28. Februar 2017. Dieser bringt zum Ausdruck, dass der Kläger eine Versorgung mit Cannabis in Blütenform wünscht, welche er nach Einholung einer Verordnung seines behandelnden Schmerztherapeuten bei Vorliegen einer Fibromyalgie zur Schmerzreduktion konsumieren will. Das genügt, um die Darreichungsform und das Behandlungsziel hinreichend klar darzulegen. Im Fall des Eintritts einer Genehmigungsfiktion wüsste der Kläger, dass er sich vertragsärztlich Cannabis in Blütenform selbst verschaffen könnte, wobei die Bestimmung der Sorte und der Dosis im Rahmen der ärztlichen Behandlungshoheit und der gesetzlichen Vorgaben, insbesondere des Betäubungsmittelrechts, dem behandelnden Arzt überlassen bliebe. Eine Pflicht zur Angabe der konkreten Ausgestaltung der Therapie, insbesondere von Dosis und Cannabissorte durch den Antragssteller lässt sich der Norm des § 31 Abs. 6 SGB V nicht entnehmen (so auch Roller, a.a.O. und Pitz, a.a.O., Rn 129).
Jedoch ist der Senat der Überzeugung, dass die Frist des § 13 Abs. 3a SGB V auf Grund des Umstandes, dass die Norm des § 31 Abs. 6 SGB V erst zum 10. März 2017 eingeführt wurde, erst an diesem Tag zu laufen begonnen hat. Dieses ist darauf zurückzuführen, dass die Norm des § 31 Abs. 6 SGB V erst mit der Veröffentlichung des Gesetzes zur Änderung betäubungsrechtlicher und anderer Vorschriften vom 6. März 2017 im Bundesgesetzblatt am 9. März 2017 (BGBl. I 2017, S. 403) mit Wirkung zum 10. März 2017 in Kraft getreten ist. Eine Rückwirkung des § 31 Abs. 6 SGB V für die Zeit vor dem 10. März 2017 gibt es nicht. Nach dem maßgeblichen intertemporalen Recht ist eine Regelung, soweit keine abweichende Übergangsvorschrift existiert, nur auf solche Sachverhalte anwendbar, die sich vollständig nach Inkrafttreten des neuen Rechts verwirklicht haben (vgl. Bundessozialgericht, Urteile vom 27. August 2019, Aktenzeichen B 1 KR 14/19 R, Rn 10; vom 8. März 2016, Aktenzeichen B 1 KR 25/15 R, Rn 9; 22. Juni 2010, Aktenzeichen B 1 KR 29/09 R, Rn 9; und 19. September 2007, Aktenzeichen B 1 A 4/06 R, Rn 15, jeweils zitiert nach JURIS; Pitz, a.a.O., Rn 121). Eine gesetzliche Übergangsregelung, welche eine frühere Anwendbarkeit des § 31 Abs. 6 SGB V anordnet, gibt es nicht. Solange die gesetzliche Grundlage für den geltend gemachten Anspruch des Leistungsberechtigten nicht existiert, kann damit auch die Frist des § 13 Abs. 3a SGB V nicht zu laufen beginnen. Dieses ergibt sich auch aus dem Sinn und Zweck der Norm des § 13 Abs. 3a SGB V. Den gesetzlichen Krankenkassen werden durch die vorgenannte Norm kurze Fristen eingeräumt, um zügige Entscheidungen herbeizuführen mit der Folge einer Sanktionierung durch einen Kostenerstattungsanspruch, falls diese Entscheidungsfristen nicht eingehalten werden und der Leistungsberechtigte sich die beantragte Leistung in der gerechtfertigten Annahme, dass ihm diese zustehen kann, selbst beschaffen darf (vgl. Schifferdecker, a.a.O., Rn 112). Eine verzögerte Entscheidung eines Leistungsantrages liegt jedoch in jedem Fall so lange nicht vor, wie es an einer rechtliche Grundlage für die Entscheidung über den Antrag fehlt. Dieses resultiert zur Überzeugung des Senats im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts daraus, dass eine noch nicht in Kraft getretene Norm nach ihrem zeitlichen Geltungswillen das streitige Rechtsverhältnis noch nicht erfasst (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 27. August 2019, a.a.O.; Urteil vom 19. September 2007, a.a.O.; Urteil vom 11. Dezember 1990, Aktenzeichen 1 RR 2/88, Rn 14 und Urteil vom 27. Oktober 1976, Aktenzeichen 2 RU 127/74, Rn 29 m.w.N.) und damit keine Rechtsfolgen auslösen, also nicht zu einem Fristbeginn im Sinne des § 13 Abs. 3a SGB V führen kann. Für einen Fristbeginn nach § 13 Abs. 3a SGB V erst mit Inkrafttreten der Norm, auf die sich der Leistungsantrag stützt, spricht auch der auf gesetzliche Fristen nach § 26 SGB X anzuwendende Rechtsgedanke des § 206 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) (vgl. zur entsprechenden Anwendbarkeit der gesetzlichen Regelung zur Verjährung des BGB über die gesetzliche Verweisung des § 187 bis § 193 BGB hinausgehend: Mutschler in Kassler Kommentar, a.a.O., zu § 26 SGB X, Rn 7). Solange der Gesetzgeber keine Rechtsgrundlage für eine Entscheidung über einen Leistungsantrag eines Versicherten bereitstellt, ist die Krankenkasse auf Grund höherer Gewalt daran gehindert, diesen Antrag positiv zu entscheiden, da die begehrte Leistung bis zum Inkrafttreten der gesetzlichen Anspruchsgrundlage nicht zum Versorgungsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung gehört. Die vom Senat für zutreffend erachtete Auslegung der gesetzlichen Vorgaben zum Fristbeginn des § 13 Abs. 3a SGB V erst mit Inkrafttreten der eigentlichen gesetzlichen Anspruchsgrundlage für das Leistungsbegehren widerspricht auch nicht der gesetzlichen Intention, dem Leistungsberechtigten zügig Gewissheit darüber zu verschaffen, ob die Krankenkasse die Leistung gewährt oder ob er sich diese Leistung selbst verschaffen darf. Denn solange die rechtliche Grundlage für das beantragte Leistungsbegehren noch nicht existiert, weiß der Leistungsberechtigte, dass er noch keinen Leistungsanspruch haben kann und sich die Entscheidung der Krankenkasse über den – vorzeitig – gestellten Antrag entsprechend verzögern muss. Im Fall des Klägers war dieses entsprechend dem Antrag vom 28. Februar 2017 auch dessen Betreuerin bekannt, die zudem von der Beklagten mit dem Schreiben vom 3. März 2017 noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen wurde, dass es zum damaligen Zeitpunkt für das Begehren des Klägers noch keine Rechtsgrundlage gab.
Unter Zugrundelegung der Fristenregelung des § 26 Abs.1 SGB X in Verbindung mit § 187 Abs.1 BGB begann daher die Frist der Beklagten, über den Antrag des Klägers zu entscheiden, erst am 10. März 2017 mit dem Inkrafttreten der Norm des § 31 Abs. 6 SGB V zu laufen. Fristende war gemäß § 26 Abs. 1 SGB X in Verbindung mit § 188 Abs. 2 BGB am Dienstag, dem 14. April 2017. Da der streitgegenständliche Bescheid der Beklagten dem Kläger auf Grund dessen Widerspruchseinlegung am 13. April 2017 spätestens an diesem Tag bekannt gegeben wurde, ist die Entscheidungsfrist des § 13 Abs. 3a SGB V gewahrt.
b.
Der Kläger hat gemäß § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB V in Verbindung mit § 31 Abs. 6 S.1 SGB V auch keinen Anspruch auf eine laufende Versorgung mit ärztlich verordneten Cannabisblüten als Sachleistung. In Ermangelung der Ausschöpfung der zugelassenen Standardtherapien, insbesondere mangels Inanspruchnahme psychotherapeutischer Leistungen, steht ihm eine solcher Leistungsanspruch nicht zu. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die obigen Ausführungen des Senats unter dem Punkt 1a-bb Bezug genommen.
2.
Die Kostengrundentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Hauptsacheverfahrens.
3.
Die Revision wird gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen.
Für die über den konkreten Anwendungsfall des § 31 Abs. 6 SGB V hinausgehende Rechtsfrage, ob das Fehlen einer materiell-rechtlichen gesetzlichen Anspruchsgrundlage für das hinreichend bestimmte Leistungsbegehren des Antragstellers zum Zeitpunkt der Antragstellung dazu führt, dass die Entscheidungsfrist des § 13 Abs. 3a S. 1 SGB V erst mit dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der jeweiligen gesetzlichen Regelung zu laufen beginnt, fehlt es an höchstrichterlicher Rechtsprechung. Die bisher ergangene Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur zeitlichen Anwendbarkeit einer neu eingeführten gesetzlichen Regelung unter Anwendung der Grundsätze des intertemporalen Rechts betrifft keine Fälle einer Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a SGB V, sondern nur Fallkonstellationen, in denen die jeweilig neu geschaffene gesetzliche Anspruchsnorm als Anspruchsgrundlage direkt zur Anwendung kommen sollte. Insbesondere das Urteil des Bundessozialgerichts vom 27. August 2019 zum Aktenzeichen B 1 KR 14/19 R klärt nur die Frage der zeitlichen Anwendbarkeit des § 13 Abs. 3a SGB V ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der vorgenannten Norm. Eine höchstrichterliche Entscheidung über eine Verschiebung des Fristbeginns oder einer Hemmung der Entscheidungsfrist des § 13 Abs. 3a S.1 SGB V bei Fehlen einer gesetzlichen Anspruchsgrundlage für das Antragsbegehren zum Zeitpunkt der Antragstellung steht indes noch aus.
Auf die Entscheidung dieser Rechtsfrage kommt es auch an, da eine einmal eingetretene Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a S. 6 SGB V für die nach § 31 Abs. 6 SGB V beantragte Genehmigung von Cannabis grundsätzlich auch über die Ablehnungsentscheidung im Ausgangsverfahren hinaus bestehen kann. Das Recht zur Geltendmachung eines Kostenerstattungsanspruchs nach Selbstbeschaffung nach § 13 Abs. 3a S. 7 SGB V besteht bei Eintritt der Genehmigungsfiktion auch während des fortlaufenden Verwaltungs- und Klageverfahrens selbst bei einem objektiv fehlenden Leistungsanspruch so lange fort, wie der Versicherte im Zeitpunkt der jeweiligen Selbstbeschaffung bezüglich des fehlenden materiellen Leistungsanspruchs nicht zumindest grob fahrlässig ist. Eine solche grobe Fahrlässigkeit des Versicherten liegt nur dann vor, wenn sich dieser trotz erdrückender Sach- und Rechtslage einer besseren Erkenntnis verschließt, so dass auch eine ablehnende Entscheidung der Krankenkasse, auch wenn sie auf ein Gutachten des MDK gestützt ist, für sich gesehen noch nicht ohne Weiteres zu einer groben Fahrlässigkeit des Versicherten führt. Diese kann sich im jeweiligen Einzelfall vielmehr nur aus der Qualität der vorgebrachten fachlichen Argumente und ihrer Nachvollziehbarkeit für den Versicherten ergeben (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 26. Mai 2020, a.a.O. Rn 22ff.). Erst eine bestandskräftige oder rechtskräftige Ablehnung des Leistungsantrages würde zwingend zum Wegfall der Gutgläubigkeit des Versicherten führen, da dieser dann weiß, dass er sich die beantragte Leistung nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenkasse verschaffen kann (vgl. Bundessozialgericht, a.a.O., Rn 27; Schifferdecker, a.a.O., Rn 139). Da die streitgegenständliche Ablehnungsentscheidung der Beklagten vom 10. April 2017 bis heute nicht in Rechtskraft erwachsen ist, es bis heute an höchstrichterlicher Rechtsprechung zu den rechtlichen Tatbestandsvoraussetzungen des § 31 Abs. 6 SGB V fehlt und die angegriffene Entscheidung der Beklagten, des Sozialgerichts und die weiteren ärztlichen Einschätzungen keine aus Sicht des Klägers erdrückende Sachlage schaffen, kann dessen Gutgläubigkeit zum Zeitpunkt der jeweiligen Selbstbeschaffungen zur Überzeugung des Senats im Sinne der vorgenannten Bundessozialgerichtsrechtsprechung nicht ausgeschlossen werden, so dass es zur Entscheidung des Rechtstreites auf die Rechtsfrage des Fristbeginns nach § 13 Abs. 3a S. 1 SGB V bei Inkrafttreten der materiellen Anspruchsnorm erst nach Antragstellung ankommt.