L 7 KA 26/21 B

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
7.
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 1 KA 71/20 WA
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 7 KA 26/21 B
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Beschwerde gegen die im Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 23. Juni 2021 enthaltene Streitwertfestsetzung wird zurückgewiesen.

 

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

 

I.

 

Die Klägerin erhob Klage zum Sozialgericht gegen einen Honorarbescheid der Beklagten, betreffend das Quartal I/2011 und gab den vorläufigen Streitwert mit    249,47 € an. Der Widerspruch betraf die sachlich-rechnerische Richtigstellung von sechs Behandlungsscheinen, betreffend sechs Notfallbehandlungen, die mit dem Kürzel MF9001 versehen waren. Streitig war zwischen den Beteiligten, ob insoweit ein Vergütungsanspruch für eine ambulante (Notfall-)Behandlung auch in dem Fall bestand, in dem die Patienten/Patientinnen nach der (Notfall-)Behandlung in einem anderen Krankenhaus stationär aufgenommen wurden. Mit Änderungsbescheid vom 14. Juli 2016 nahm die Beklagte Nachvergütungen u.a. auch für das streitgegenständliche Quartal in Höhe von 5.092,17 € hinsichtlich der Vergütung von Notfallbehandlungen vor (Leistungen nach den GOP 01210 [Notfallpauschale], 01212 [Zuschlag zur Notfallpauschale], 01216 [Notfallkonsultationspauschale II], 01218 [Notfallkonsultationspauschale III] EBM). Die Nachvergütung beruhte auf den Beschlüssen des Bewertungsausschusses in den Sitzungen 341, 344 und 354.

 

Mit weiterem Nachvergütungsbescheid für das streitgegenständliche Quartal (I/2011) vom 26. Februar 2021 gab die Beklagte dem Widerspruch der Klägerin schließlich statt und vergütete die sechs Behandlungsscheine gemäß dem Urteil des Bundessozialgerichts (B 6 KA 6/18 R) mit insgesamt 225,80 € nach, weil der sich an die Notfallbehandlung anschließende stationäre Aufenthalt in einem anderen Krankenhaus erfolgte.

 

Die Beteiligten erklärten den Rechtsstreit daraufhin übereinstimmend für erledigt und die Klägerin beantragte zuerst die Festsetzung eines Streitwerts in Höhe von        225,80 €, zuletzt aber in Höhe von 5.717,41 €. Wegen der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung müsse auch der Abhilfebescheid aus 2016 berücksichtigt werden.

 

Mit Beschluss vom 23. Juni 2021 setzte das Sozialgericht den Streitwert auf 225,80 € fest und begründete dies damit, dass die Klägerin ihre Klage mit der Vergütung von sechs Behandlungsfällen begründet habe. Zwar sei der Abhilfebescheid vom 14. Juli 2016 während des Klageverfahrens ergangen und habe eine Nachvergütung in Höhe von 5.092,17 € festgesetzt. Diese sei jedoch nicht Gegenstand des Verfahrens gewesen, sondern habe sich aus den Beschlüsse des Bewertungsausschusses über die Neubewertung von Leistungen der Notfallversorgung ergeben. Diese Nachvergütung sei daher bei Festsetzung des Streitwertes nicht einzubeziehen.

 

Die Klägerin hat gegen den ihr am 6. Juli 2021 zugestellten Beschluss am 9. Juli 2021 Beschwerde eingelegt. Es sei ohne Relevanz, ob der Bescheid über die Nachvergütung Gegenstand des Verfahrens geworden sei. Maßgebend sei die Einheitlichkeit der Kostenentscheidung. Leider verkenne dies das Landessozialgericht in dem Verfahren L 24 KA 32/21 B. Der Grundsatz ergebe sich aber u.a. aus dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 19. Oktober 2016 (B 14 AS 50/15 R). Eine außergerichtliche Kostenentscheidung nach § 63 SGB X habe die Beklagte verweigert.

 

Die Klägerin beantragt,

 

den Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 23. Juni 2021 zu ändern und den Streitwert auf 5.717,41 € festzusetzen.

 

Die Beklagte stellt keinen Antrag und hält die Beschwerde für unbegründet. Der von der Klägerin begehrte Streitwert stehe in tatsächlicher Hinsicht im Widerspruch zum Inhalt ihres Klagebegehrens, den Wertangaben in der Klageschrift sowie ihrem Schriftsatz vom 26. Juli 2021. Die Klägerin habe ihren Widerspruch auf die Vergütung der sechs Behandlungsscheine der namentlich benannten Patienten/Patientinnen bezogen, die als ambulante Notfallbehandlungen in den Rettungsstellen abgerechnet worden seien, dies ergebe sich aus dem Berichtigungskürzel MF9001. Der Streitwert ergebe sich aus der aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache. § 96 Sozialgerichtsgesetz sei keine Wertvorschrift.

 

 

II.

 

Der Senat entscheidet über die Beschwerde in der Besetzung durch drei Berufsrichter/Berufsrichterinnen. Zwar bestimmt § 197a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 68 Abs. 1 Satz 5 in Verbindung mit § 66 Abs. 6 Satz 1 Gerichtskostengesetz (GKG), dass über die Beschwerde das Gericht durch eines seiner Mitglieder als Einzelrichter entscheidet. Diese Vorschrift ist allerdings auf solche Gerichte wie das Landessozialgericht, die eine generelle Entscheidung durch den Einzelrichter nach der jeweiligen Prozessordnung nicht kennen, nicht anwendbar (vgl. Beschluss des Senats vom 8. Juni 2020 – L 7 KA 14/20 B –, Rn. 1, juris sowie jüngst Beschluss vom 12. August 2021 – L 9 KR 175/21 B; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 8. Januar 2021 – L 26 KR 394/20 B ER; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14. Mai 2009, L 24 KR 33/09 R; Roos/Wahrendorf/Gutzler, SGG §  197a Rn. 34; a.A. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 6. Juli 2018, L 7 BA 1871/18 B, Rn. 15, juris; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 1. Juni 2017, L 5 KR 101/17 B; ausführlich zum Meinungsstand LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 16. Februar 2015, L 9 KA 7/14 B, jeweils juris; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/B. Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 155 Rn. 9d).

 

Die Beschwerde gegen die Streitwertfestsetzung ist zulässig. Nach § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 68 Abs. 1 Satz 1 GKG findet gegen den Beschluss, durch den der Wert für die Gerichtsgebühren festgesetzt worden ist (§ 63 Abs. 2 Satz 1 GKG), die Beschwerde statt, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200,00 Euro übersteigt. Dabei ist nicht auf die streitige Höhe des Streitwertes abzustellen, sondern auf die sich daraus ergebende Höhendifferenz der Gerichts- und Anwaltsgebühren (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 30. August 2016, L 6 SB 2664/16 B, juris; Zimmermann, in: Binz/Dörndorfer /Zimmermann, GKG/FamGKG/JVEG, 5. Aufl. 2021, § 68 Rn. 6; Laube, in: BeckOK Kostenrecht, 34. Edition, Stand 1.10.2021, § 68 GKG, Rn. 70).

 

Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Ausgehend von einem Streitwert nach der Einbeziehung der mit dem Bescheid vom 14. Juli 2016 erfolgten Nachvergütung (5.092,17 €) anstatt des vom Sozialgericht festgesetzten Streitwerts in Höhe von nur 225,80 € betrüge die einfache Gebühr nach der hier nach § 60 RVG noch maßgeblichen bis Ende 2020 geltenden Fassung des § 13 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) 460,20 € (bei dem höheren Streitwert von 5.317,97 € [5.092,17 € + 225,80 €]) statt nur 58,50 € (vgl. Anlage 2 zum RVG), so dass die Differenz mehr als 200,00 Euro beträgt.

 

Die Beschwerde der Antragstellerin ist auch im Übrigen zulässig. Der erstinstanzliche Rechtsstreit ist durch übereinstimmende Erledigungserklärung abgeschlossen. Das Sozialgericht hat schließlich der Beschwerde nicht abgeholfen. Gemäß § 68 Abs. 1 Satz 5 GKG i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 1 GKG hat das Gericht, das den Streitwert festgesetzt hat, der Beschwerde abzuhelfen, soweit es sie für zulässig und begründet hält; im Übrigen ist die Beschwerde unverzüglich dem Beschwerdegericht vorzulegen.

 

Die Streitwertbeschwerde ist jedoch unbegründet, denn die Streitwertfestsetzung ist der Höhe nach rechtlich nicht zu beanstanden. Nach § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG ist in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit - soweit wie hier nichts anderes bestimmt ist - der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Maßgebend für die Streitwertbestimmung ist das dem Begehren zugrunde liegende wirtschaftliche Interesse des Klägers. Betrifft sein Antrag eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgeblich (§ 52 Abs. 3 GKG). Maßgebend für die Wertberechnung des gerichtlichen (!) Streitwerts ist der Zeitpunkt des den (jeweiligen) Streitgegenstand einleitenden Antrags, instanzeinleitend in diesem Sinne ist u.a. die Klage (Hartmann, Kostengesetze, 28. Aufl. 2008, § 40 Rn. 4). Bei unverändertem Streitgegenstand bleiben streitwerterhöhende bzw. streitwertmindernde Umstände, die erst nach diesem Zeitpunkt (also später) eintreten, unberücksichtigt. Nur wenn sich der Streitgegenstand selbst, z.B. durch Klageerhöhung oder Widerklageerhebung, ändert, ist für die Bewertung auf den Zeitpunkt der den „jeweiligen Streitgegenstand“ betreffenden neuen Antragstellung abzustellen (Binz/Dörndorfer/Zimmermann, GKG/FamGKG/JVEG 5. Aufl. 2021, GKG § 40 Rn. 1).

 

Abzustellen ist somit im vorliegenden Fall auf die Erhebung der Klage vor dem Sozialgericht, mithin den Eingang der Klageschrift am 10. November 2015. Hieran gemessen hat das Sozialgericht den Streitwert zutreffend auf den Wert des mit der Klageschrift geltend gemachten Anspruchs, nämlich 225,80 €, festgesetzt. Dies entspricht dem Wert der mit Widerspruch und Klage bis zu ihrer Erledigung geltend gemachten sechs Behandlungsscheine, die mit dem Kürzel MF9001 von der Beklagten gekürzt und schließlich erst im Ergebnis des Klageverfahrens nachvergütet wurden. Der Senat lässt offen, ob der Streitwert nicht 249,47 € betragen müsste; in dieser Höhe hat die Klägerin den Streitwert mit Klageerhebung beziffert, so dass davon auszugehen sein könnte, dass dies der maßgebliche Wert der Sache bei Klageerhebung war. Darauf kommt es indessen nicht an, weil sich im Bereich 225,80 € bzw. 249,47 € kein Gebührensprung nach Anlage 2 zu § 34 GKG ereignet.

 

Die Berichtigung im Honorarbescheid der Beklagten für das erste Quartal 2011 um sechs Behandlungen blieb auch im Weiteren wertbestimmend, denn sie veränderte den Streitgegenstand nicht. Dabei wird der Streitgegenstand unter Berücksichtigung des dem Vorbringen zugrundeliegenden Lebenssachverhalts und durch den Antrag präzisiert (Schnapp/Wigge Vertragsarztrecht, § 21 Sozialgerichtliches Verfahren und Vertragsarztrecht Rn. 153, beck-online).

 

Die Nachvergütung aufgrund des nach Klageerhebung ergangenen Änderungsbescheides vom 14. Juli 2016 hatte auf den Verfahrensgegenstand keinen Einfluss; vielmehr war sie nie Streitgegenstand, weil sie schlicht begünstigend wirkte und aufgrund anderen Sachzusammenhangs gewährt wurde. Es kann offen bleiben, ob es sich dabei um einen Fall des § 96 SGG handelte, der dazu führen würde, dass der Bescheid kraft Gesetzes Gegenstand der Klage wurde und prozessual eine Klageänderung kraft Gesetzes eintrat (Klein in: juris-PK SGG, § 96 Rdnr. 43). Für die Anwendung von § 96 SGG spricht, dass der Änderungsbescheid vom 14. Juli 2016 nach seinem Verfügungssatz auch den das Quartal I/2011 erfassenden Honorarbescheid ausdrücklich teilweise abänderte und zudem den Honoraranspruch für das mit der Klage streitbefangene Quartal erhöhte.

 

Damit hat sich aber der (prozessuale) Streitgegenstand in der Sache nicht verändert. Aus § 96 SGG allein folgt das zunächst nicht. Er bestimmt lediglich, welche Bescheide, die nach Klageerhebung ergangen sind, kraft Gesetzes zum Gegenstand des Verfahrens werden, jedoch nicht, ob sie den Streitwert erhöhen. Für den Streitwert ist maßgebend, ob (allein) kraft der Rechtsfolge des § 96 SGG auch stets der Streitgegenstand erweitert wird. Das ist im Ergebnis nicht der Fall. Nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen (ungeachtet der Besonderheiten der Sozialgerichtsgesetzes und Verwaltungsgerichtsordnung) liegt eine den Streitgegenstand i.S. des § 40 Abs. 1 GKG berührende spätere Erweiterung des Klägerbegehrens nur dann vor, wenn neben dem den Rechtszug einleitenden Antrag und dem bisherigen Begehren ein neuer Antrag zusätzlich anhängig gemacht. In diesem Fall eröffnet der neue Antrag mit seiner Rechtshängigkeit den Rechtszug und ist deshalb bezogen auf diesen Zeitpunkt gesondert zu bewerten (BeckOK KostR/Schindler, 35. Ed. 1.10.2021, GKG § 40 Rn. 12).

 

Ausgehend davon hat die Klägerin ihren ursprünglich erhobenen Antrag bis zur Erledigung der Klage nicht geändert und kein weiteres Begehren verfolgt. Sie machte auch nach Erlass des Änderungsbescheides vom Juli 2016 unverändert ihr ursprüngliches Begehren weiter geltend, die sechs Behandlungsscheine ohne Ansehung der Tatsache, ob die Patient/-innen im Anschluss der Notfallbehandlung stationär in einem anderen Krankenhaus aufgenommen wurden, (ambulant) vergütet zu erhalten. Das wirtschaftliche Interesse und der zugrundeliegende Lebenssachverhalt blieben unverändert (so auch Beschluss des 24. Senats des LSG Berlin-Brandenburg vom 2. November 2021 - L 24 KA 32/21 B; vgl. demgegenüber den Fall eines im Zuge einer Klageänderung nach § 91 Verwaltungsgerichtsordnung inhaltlich geänderten und nach § 40 GKG werterhöhenden Klagebegehrens: VGH Mannheim, Beschuss vom 17. Mai 2011 − 9 S 1167/11).

 

Der Grundsatz der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung, auf den sich die Klägerin zuletzt beruft, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Der Grundsatz besagt lediglich, dass das Gericht mit seiner (instanzbeendenden) Kostenentscheidung auch über die Kosten des Widerspruchsverfahrens entscheiden muss und § 63 mit seiner selbständigen Kostenentscheidung deshalb nicht gilt. Dies hat jedoch keinerlei Einfluss auf die Wertbestimmung und den maßgeblichen Zeitpunkt für den gerichtlichen Streitwert nach den Bestimmungen des GKG.

 

Die Kostenentscheidung folgt aus § 68 Abs. 3 GKG, wonach das Verfahren gebührenfrei ist und Kosten nicht erstattet werden.

 

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 68 Abs. 1 Satz 4 in Verbindung mit § 66 Abs. 3 Satz 3, Abs. 4 Satz 1 GKG, entsprechend § 177 SGG).

 

Rechtskraft
Aus
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