L 7 KA 2/22 B

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
7.
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 1 KA 51/20 WA
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 7 KA 2/22 B
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Beschwerde gegen die im Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 16. Dezember 2021 enthaltene Streitwertfestsetzung wird zurückgewiesen.

 

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

 

 

Gründe

 

Die Streitwertbeschwerde der Klägerin, mit der sie beantragt,

 

den Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 16. Dezember 2021 zu ändern und den Streitwert auf 9.332,78 € festzusetzen,

 

hat keinen Erfolg.

 

1. Der Senat entscheidet über die Beschwerde in der Besetzung durch drei Berufsrichter/Berufsrichterinnen. Zwar bestimmt § 197a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 68 Abs. 1 Satz 5 in Verbindung mit § 66 Abs. 6 Satz 1 Gerichtskostengesetz (GKG), dass über die Beschwerde das Gericht durch eines seiner Mitglieder als Einzelrichter entscheidet. Diese Vorschrift ist allerdings auf solche Gerichte wie das Landessozialgericht, die eine generelle Entscheidung durch den Einzelrichter nach der jeweiligen Prozessordnung nicht kennen, nicht anwendbar (vgl. Beschluss des Senats vom 8. Juni 2020 – L 7 KA 14/20 B –, Rn. 1, juris sowie jüngst Beschluss vom 12. August 2021 – L 9 KR 175/21 B; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 8. Januar 2021 – L 26 KR 394/20 B ER; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14. Mai 2009, L 24 KR 33/09 R; Roos/Wahrendorf/Gutzler, SGG §  197a Rn. 34; a.A. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 6. Juli 2018, L 7 BA 1871/18 B, Rn. 15, juris; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 1. Juni 2017, L 5 KR 101/17 B; ausführlich zum Meinungsstand LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 16. Februar 2015, L 9 KA 7/14 B, jeweils juris; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/B. Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 155 Rn. 9d).

 

2. Die Beschwerde gegen die Streitwertfestsetzung ist zulässig. Nach § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 68 Abs. 1 Satz 1 GKG findet gegen den Beschluss, durch den der Wert für die Gerichtsgebühren festgesetzt worden ist (§ 63 Abs. 2 Satz 1 GKG), die Beschwerde statt, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200,00 Euro übersteigt. Dabei ist nicht auf die streitige Höhe des Streitwertes abzustellen, sondern auf die sich daraus ergebende Höhendifferenz der Gerichts- und Anwaltsgebühren (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 30. August 2016, L 6 SB 2664/16 B, juris; Zimmermann, in: Binz/Dörndorfer /Zimmermann, GKG/FamGKG/JVEG, 5. Aufl. 2021, § 68 Rn. 6; Laube, in: BeckOK Kostenrecht, 34. Edition, Stand 1.10.2021, § 68 GKG, Rn. 70).

 

Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Ausgehend von einem Streitwert nach der Einbeziehung der mit dem Bescheid vom 14. Juli 2016 erfolgten Nachvergütung (5.491,61 €) anstatt des vom Sozialgericht festgesetzten Streitwerts in Höhe von nur 3.814,32 € betrüge die einfache Gebühr nach der hier nach § 60 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) noch maßgeblichen bis Ende 2020 geltenden Fassung des § 13 RVG 558 € (bei dem höheren Streitwert von 9.332,78 € [5.491,61 € + 3.814,32 €]) statt nur 252 € (vgl. Anlage 2 zum RVG), so dass die Differenz mehr als 200,00 Euro beträgt.

 

Die Beschwerde der Klägerin ist auch im Übrigen zulässig. Der erstinstanzliche Rechtsstreit ist durch übereinstimmende Erledigungserklärung abgeschlossen. Das Sozialgericht hat schließlich der Beschwerde nicht abgeholfen. Gemäß § 68 Abs. 1 Satz 5 GKG i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 1 GKG hat das Gericht, das den Streitwert festgesetzt hat, der Beschwerde abzuhelfen, soweit es sie für zulässig und begründet hält; im Übrigen ist die Beschwerde unverzüglich dem Beschwerdegericht vorzulegen.

 

3. Die Streitwertbeschwerde ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Festsetzung eines höheren Streitwertes.

 

Nach § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG ist in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit - soweit wie hier nichts anderes bestimmt ist - der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Maßgebend für die Streitwertbestimmung ist das dem Begehren zugrunde liegende wirtschaftliche Interesse des Klägers. Betrifft sein Antrag eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgeblich (§ 52 Abs. 3 GKG). Dabei ist für die Wertberechnung des gerichtlichen Streitwerts der Zeitpunkt des den (jeweiligen) Streitgegenstand einleitenden Antrags entscheidend, instanzeinleitend in diesem Sinne ist u.a. die Klage (Hartmann, Kostengesetze, 28. Aufl. 2008, § 40 Rn. 4). Bei unverändertem Streitgegenstand bleiben streitwerterhöhende bzw. streitwertmindernde Umstände, die erst nach diesem Zeitpunkt (also später) eintreten, unberücksichtigt. Nur wenn sich der Streitgegenstand selbst, z.B. durch Klageerhöhung oder Widerklageerhebung, ändert, ist für die Bewertung auf den Zeitpunkt der den „jeweiligen Streitgegenstand“ betreffenden neuen Antragstellung abzustellen (Binz/Dörndorfer/Zimmermann, GKG/FamGKG/JVEG 5. Aufl. 2021, GKG § 40 Rn. 1). Grundlage der Wertberechnung ist die Bedeutung der Sache, wie sie sich aufgrund des Klageantrags objektiv beurteilt ergibt. Die subjektiven Vorstellungen eines Klägers beeinflussen den Streitwert hingegen nicht (Binz/Dörndorfer/Zimmermann, GKG/FamGKG/JVEG, 5. Aufl. 2021, GKG § 52 Rn. 2/3).

 

Ausgehend davon hat die Klägerin keinen Anspruch darauf, dass die Festsetzung des Streitwerts unter Berücksichtigung der mit dem Änderungsbescheid vom 14. Juli 2016 erfolgten Nachvergütung, mithin in Höhe von insgesamt 9.332,78 € erfolgt. Maßgeblich ist im vorliegenden Fall die Erhebung der Klage vor dem Sozialgericht, d.h. der Eingang der Klageschrift am 12. Februar 2015. Hieran gemessen hat das Sozialgericht den Streitwert zutreffend ausgehend von einer mit der Klage geltend gemachten Vergütung von weiteren Behandlungsscheinen (BHS), abgerechnet mit dem Kürzel MF9001, für das Quartal 3/2011 festgestellt. Dies entspricht dem Wert der mit Widerspruch und Klage bis zu ihrer Erledigung geltend gemachten Vergütung, die mit dem Kürzel MF9001 von der Beklagten gekürzt und schließlich erst im Ergebnis des Klageverfahrens nachvergütet wurden.

 

Die Berichtigung im Honorarbescheid der Beklagten für das dritte Quartal 2011 um höchstens 145 Behandlungen blieb auch im Weiteren wertbestimmend, denn sie veränderte den Streitgegenstand nicht. Dabei wird der Streitgegenstand unter Berücksichtigung des dem Vorbringen zugrundeliegenden Lebenssachverhalts und durch den Antrag präzisiert (Schnapp/Wigge Vertragsarztrecht, § 21 Sozialgerichtliches Verfahren und Vertragsarztrecht Rn. 153, beck-online).

 

Ausgehend davon hat die Klägerin möglicherweise ihr ursprünglich erhobenes Begehren bis zur Erledigung der Klage noch streitwerterhöhend geändert. Sie hat sich mit der Klageerhebung gegen den Widerspruchsbescheid vom 9. Januar 2015 gewandt, der Kürzungen nur für 23 Behandlungsscheine (BHS) nach dem Kürzel MF9001 aufrechterhalten hat. Schon mit Erhebung der Klage machte die Klägerin daher ohne Zweifel geltend, diese 23 Behandlungsscheine ohne Ansehung der Tatsache, ob die Patient/-innen im Anschluss der Notfallbehandlung stationär in einem anderen Krankenhaus aufgenommen wurden, (ambulant) vergütet zu erhalten. Ob ihre Klage bereits bei ihrer Erhebung insgesamt 145 Fälle, damit auch die weiteren 122 Behandlungsscheine (BHS) umfasste, die die Beklagte mit dem Bescheid vom 26. November 2021 nachvergütete oder insoweit im laufenden Klageverfahren eine streitwerterhöhende (zulässige) Klageänderung vorlag, weil ein neuer Lebenssachverhalt geltend gemacht wurde, der auch das wirtschaftliche Interesse der Klage veränderte, lässt der Senat offen (dazu gleich im Folgenden). Denn das Sozialgericht hat diese Nachvergütung bereits in seiner Streitwertbestimmung im vollen Umfang berücksichtigt, die Klägerin ist insoweit nicht beschwert.

 

Die Nachvergütung aufgrund des ebenfalls nach Klageerhebung ergangenen weiteren Änderungsbescheides vom 14. Juli 2016 hatte auf den Verfahrensgegenstand jedenfalls keinen (weiteren) Einfluss; vielmehr war diese nie Streitgegenstand, weil sie schlicht begünstigend wirkte und aufgrund anderen Sachzusammenhangs gewährt wurde. Es kann offen bleiben, ob es sich dabei um einen Fall des § 96 SGG handelte, der dazu führen würde, dass dieser Änderungsbescheid Gegenstand der Klage wurde, weil prozessual eine Klageänderung kraft Gesetzes eintrat (Klein in: juris-PK SGG, §  96 Rdnr. 43). Für die Anwendung von § 96 SGG spricht, dass der Änderungsbescheid vom 14. Juli 2016 nach seinem Verfügungssatz auch den das Quartal 3/2011 erfassenden Honorarbescheid ausdrücklich teilweise abänderte und zudem den Honoraranspruch für das mit der Klage streitbefangene Quartal erhöhte.

 

Damit hat sich aber der (prozessuale) Streitgegenstand in der Sache nicht verändert. Aus § 96 SGG allein folgt das zunächst nicht. Dieser bestimmt lediglich, welche Bescheide, die nach Klageerhebung ergangen sind, kraft Gesetzes zum Gegenstand des Verfahrens werden, jedoch nicht, ob sie auch den Streitwert erhöhen. Für den Streitwert ist maßgebend, ob (allein) kraft der Rechtsfolge des § 96 SGG auch stets der Streitgegenstand erweitert wird. Das ist im Ergebnis nicht der Fall. Nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen (ungeachtet der Besonderheiten des Sozialgerichtsgesetzes und der Verwaltungsgerichtsordnung) liegt eine den Streitgegenstand i.S. des § 40 Abs. 1 GKG berührende spätere Erweiterung des Klägerbegehrens nur dann vor, wenn neben dem den Rechtszug einleitenden Antrag und dem bisherigen Begehren ein neuer Antrag zusätzlich anhängig gemacht wird. In diesem Fall eröffnet der neue Antrag mit seiner Rechtshängigkeit den Rechtszug und ist deshalb bezogen auf diesen Zeitpunkt gesondert zu bewerten (BeckOK KostR/Schindler, 35. Ed. 1.10.2021, GKG § 40 Rdnr. 12, vgl. z.B. den Fall eines im Zuge einer Klageänderung nach § 91 Verwaltungsgerichtsordnung inhaltlich geänderten und nach § 40 GKG werterhöhenden Klagebegehrens: VGH Mannheim, Beschuss vom 17. Mai 2011 − 9 S 1167/11).

 

Gemessen daran erfasste das Klagebegehren der Klägerin zu keinen Zeitpunkt im Widerspruchs- oder Klageverfahren eine Höherbewertung von EBM-Ziffern, die in den Behandlungsfällen abgerechnet wurden. Der Lebenssachverhalt wie auch der Klageantrag waren und blieben zu jeder Zeit bis zur Erledigungserklärung auf die Vergütung von BHS aus der Notfallbehandlung beschränkt (vgl. Beschluss des 24. Senats des LSG Berlin-Brandenburg vom 2. November 2021 - L 24 KA 32/21 B und Beschluss des erkennenden Senats vom 14. Januar 2022 - L 7 KA 26/21 B). Eine Berücksichtigung der mit dem Änderungsbescheid nachberechneten Nachvergütung in Höhe von 5.491,61 € für das Quartal 3/2011 im Rahmen des Streitwertes ist bereits deshalb ausgeschlossen.

 

Der Grundsatz der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung, auf den sich die Klägerin zuletzt beruft, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Der Grundsatz besagt lediglich, dass das Gericht mit seiner (instanzbeendenden) Kostenentscheidung auch über die Kosten des Widerspruchsverfahrens entscheiden muss und § 63 mit seiner selbständigen Kostenentscheidung deshalb nicht gilt. Dies hat jedoch keinerlei Einfluss auf die Wertbestimmung und den maßgeblichen Zeitpunkt für den gerichtlichen Streitwert nach den Bestimmungen des GKG.

 

4. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Festsetzung eines höheren Streitwerts in Höhe von zumindest 4.411,91 €. Diesen Wert hatte sie zwar bei Erhebung der Klage (also instanzeinleitend) angegeben. Das Sozialgericht war nach den gesetzlichen Maßstäben aber nicht gehalten, diese Angabe unkritisch und ohne eigene Prüfung für seine Festsetzung des Streitwerts zu übernehmen. Der angegebene Wert wurde von der Klägerin nicht näher erläutert. Objektiv ergab er sich zu keinem Zeitpunkt aus der Aktenlage. Die im Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 9. Januar 2015 behandelten 23 BHS ergaben eine (Nach-)Vergütung in Höhe von 800,68 €. Die mit Bescheid vom 26. November 2021 erfolgte Nachvergütung von weiteren 122 BHS ergab einen Wert in Höhe von (weiteren) 3.013,64 €, daraus ermittelte sich bei Addition der Werte nur ein Streitwert in Höhe von 3.814,32 € und nicht ein Betrag in Höhe von 4.411,97 €.

 

5. Die Klägerin hat auch keinen Erfolg, soweit sie mit ihrer Beschwerde geltend macht, der Streitwert müsse zumindest in Höhe von 3.841,17 € festgesetzt werden. Denn sie ist insoweit schon nicht beschwert. Zwischen dem Streitwert den das Sozialgericht festgesetzt hat (3.817,32 €) und dem begehrten Wert erfolgt kein Gebührensprung (nach Anlage 2 zum RVG 2021 tritt der Gebührensprung bei 4.000 € ein). Ungeachtet dessen ist der vom Sozialgericht festgesetzte (niedrigere) Streitwert nicht fehlerhaft, sondern zutreffend. Der von der Klägerin angegebene höhere Wert würde sich nur in dem Fall ergeben, in dem zusätzlich auch die mit dem Bescheid vom 9. Januar 2015 erfolgte weitere Nachvergütung für das Quartal 3/2011 für einen Behandlungsschein in Höhe von 26,85 € im Rahmen des Streitwerts berücksichtigt würde. Darauf hat die Klägerin aber keinen Anspruch, denn dieser Nachvergütungsbescheid ist zwar im Widerspruchsverfahren, aber noch vor Erhebung der Klage und damit des maßgeblichen instanzeinleitenden Antrags der Klägerin ergangen. Er wird im Widerspruchsbescheid auch berücksichtigt (vgl. dort S. 1 und 3).

 

Die Kostenentscheidung folgt aus § 68 Abs. 3 GKG, wonach das Verfahren gebührenfrei ist und Kosten nicht erstattet werden.

 

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 68 Abs. 1 Satz 4 in Verbindung mit § 66 Abs. 3 Satz 3, Abs. 4 Satz 1 GKG, entsprechend § 177 SGG).

Rechtskraft
Aus
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