L 7 KA 24/18

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
7
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 83 KA 503/15
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 7 KA 24/18
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 9. Mai 2018 wird zurückgewiesen.

 

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

 

 

Die Klägerin begehrt für das Quartal II/13 höheres Honorar in Höhe von 72.868,01 Euro im Wege einer Ausnahme von der Honorarabstaffelung nach § 11 des Honorarverteilungsmaßstabes (HVM).

 

Die Klägerin, bestehend aus der Fachärztin für diagnostische Radiologie Dr. K und dem Facharzt für diagnostische Radiologie Dr. H, nimmt als Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) seit 1. Oktober 2011 im Verwaltungsbezirk C an der vertragsärztlichen Versorgung teil.

 

Die Praxisräume und Geräte der BAG wurden ab dem Quartal II/12 von dem Facharzt für diagnostische Radiologie R H im Rahmen einer Praxisgemeinschaft mitgenutzt (Untermietvertrag über Geschäftsräume und Praxisgemeinschaftsvertrag vom 7. Juni 2012.  Der Arzt H erbrachte im Wesentlichen Leistungen im Rahmen des Qualitätsgebundenen Zusatzvolumens (QZV) Nr. 10 (CT), des QZV Nr. 28 (kurative Mammographie), des QZV Nr. 62 (Teilradiologie) und der dem Regelleistungsvolumen (RLV) unterfallenden Konsiliarpauschalen.

 

Die Praxisgemeinschaft endete – nach dem Vorbringen der Klägerin aufgrund von erheblichen Zahlungsrückständen des Arztes H – zum 31. Dezember 2012; danach war der Arzt H nicht mehr am Praxisstandort der Klägerin tätig.

 

Seinen Vertragsarztsitz verlegte der Arzt H erst zum 1. November 2013 vom Sitz der Klägerin in die Fstraße . Für das Quartal II/13 rechnete er gegenüber der Beklagten nur in einer ausgelagerten Praxisstätte erbrachte Leistungen ab (B, Rstraße , 4,62 km Luftlinie von der Praxis der Klägerin entfernt; Abrechnungsgenehmigung vom 27. Februar 2013 für in der ausgelagerten Praxisstätte erbrachte MRT-Leistungen).

 

Die Behandlungszahlen der Klägerin entwickelten sich in den Quartalen I/12, II/12, I/13 und II/13 wie folgt:

 

 

Quartal

 

RLV-Fälle

 

QZV Nr. 10 (CT)

QZV Nr. 28 (kurative Mammographie)

 

QZV Nr. 62 (Teilradiologie)

I/12

4.195

783

414

1.289

II/12

(gleichzeitig Tätigkeit H in Praxisgemeinschaft)

3.093

442

280

667

I/13

3.944

800

372

1.194

II/13

3.973

709

361

1.133

 

 

Im Vergleich zur Arztgruppe der Radiologen entwickelten sich die Fallzahlen der Klägerin wie folgt:

 

 

Quartal

 

Dr. H

 

Dr. K

Durchschnitt der Arztgruppe

 

II/11

2.290,96

2.219,04

1.177,45

II/12

(gleichzeitig Tätigkeit H in Praxisgemeinschaft)

943,69

2.149,31

1.188,09

II/13

1.260,26

2.510,74

1.194,40

 

 

Das Gesamthonorar der Klägerin einschließlich Nachvergütungen entwickelte sich in den Quartalen I/12 bis II/13 wie folgt:

 

I/12     349.156,09 Euro

II/12:   282.912,61 Euro

III/12:  320.463,49 Euro

IV/12:  307.569,04 Euro

I/13:    323.681,00 Euro

II/13:   291.274,68 Euro

 

Mit bestandskräftigem Bescheid vom 4. März 2013 wies die Beklagte der Klägerin für das Quartal II/13 ein RLV/QZV in Höhe von 231.058,16 Euro zu (3.093 RLV-Fälle).

 

Für das Quartal II/13 forderte die Klägerin Leistungen in Höhe von 320.166,09 Euro an. Mit Honorarbescheid vom 20. November 2013 sprach die Beklagte der Klägerin für dieses Quartal zunächst ein Gesamthonorar in Höhe von 261.307,50 Euro zu (Gesamthonorar Vorjahresquartal II/12: 282.912,61 Euro). Darin enthalten war auch eine sachlich-rechnerische Berichtigung in Zusammenhang mit der Beschäftigung eines Weiterbildungsassistenten (Honorarkürzung um 29.998,82 Euro). Die Überschreitung des RLV/QZV betrug 89.107,93 Euro; diesen Wert vergütete die Beklagte nur abgestaffelt mit dem Faktor 0,18225, woraus sich ein Zahlbetrag von 16.239,92 Euro ergab (Differenz: 72.868,01 Euro).

 

Mit ihrem dagegen eingelegten Widerspruch wandte die Klägerin sich zunächst nur gegen die Kürzung aufgrund der Beschäftigung eines Weiterbildungsassistenten. Mit Schriftsatz vom 13. Januar 2014, bei der Beklagten eingegangen am 21. Januar 2014, beantragte sie außerdem, ihr gemäß § 11 Satz 2 Nr. 4 des HVM II/13 eine Ausnahme von der Honorarabstaffelung zu gewähren; auch die über das Regelleistungsvolumen/qualifikationsgebundene Zusatzvolumen hinausgehenden Leistungen seien mit dem vollen Punktwert zu vergüten. Die Fallzahl sei im Aufsatzquartal II/12 wegen der Tätigkeit des Arztes H außerordentlich niedrig gewesen, was sich mit dessen Weggang zum 31. Dezember 2012 wieder geändert habe.

 

Mit Bescheid vom 12. Februar 2014 lehnte die Beklagte den „Antrag auf Anerkennung einer erhöhten Fallzahl“ für das Quartal II/13 ab. RLV/QZV-Anträge seien nach der geltenden Abrechnungsordnung spätestens einen Monat nach Bekanntgabe des jeweiligen Honorarbescheides zu stellen. Diese Frist sei versäumt, denn der Honorarbescheid II/13 gelte als am 23. November 2013 zugestellt.

 

(Auch) dagegen erhob die Klägerin Widerspruch und wies darauf hin, keinen Antrag auf Anerkennung einer höheren Fallzahl gestellt zu haben, sondern einen solchen auf Ausnahme von der Honorarabstaffelung. Das falle nicht der Fristbestimmung der Abrechnungsordnung.

 

Mit Teilabhilfebescheid vom 21. August 2014 änderte die Beklagte den Honorarfestsetzungsbescheid für das Quartal II/13 und berechnete die Honorarkürzung wegen der Beschäftigung eines Weiterbildungsassistenten neu; es ergebe sich eine Nachvergütung in Höhe von 2.089,94 Euro. Im Übrigen – im Hinblick auf die begehrte Ausnahme von der Honorarabstaffelung – half die Beklagte den Widersprüchen nicht ab.

 

Die Klägerin erklärte hierauf, an ihrem weiter gehenden Widerspruch sowohl im Hinblick auf die noch bestehende Honorarkürzung wegen der Beschäftigung eines Weiterbildungsassistenten festzuhalten als auch im Hinblick auf den Antrag auf Ausnahme von der Honorarabstaffelung.

 

Mit Widerspruchsbescheid vom 20. Januar 2015 hob die Beklagte die Honorarkürzung wegen der Beschäftigung eines Weiterbildungsassistenten ganz auf und wies die Widersprüche im Übrigen zurück. Die Voraussetzungen für eine Ausnahme von der Honorarabstaffelung nach § 11 Satz 2 Nr. 4 HVM seien nicht erfüllt. Es liege weder eine außergewöhnlich starke Erhöhung der Fallzahl noch eine besonders niedrige Fallzahl im Aufsatzquartal vor. Der Sicherstellungsbedarf mit radiologischen Leistungen sei auch nach der Beendigung der Praxisgemeinschaft mit dem Arzt H nicht gefährdet gewesen. Der Verwaltungsbezirk C weise mit 23,25 radiologischen Arztsitzen einen lokalen Versorgungsgrad von 184 Prozent auf; berlinweit betrage dieser 126,4 Prozent. Ein im Rahmen der Honorarfestsetzung zu berücksichtigender Härtefall liege nicht vor. Existenzgefährdung der Praxis und entsprechender Sicherstellungsbedarf seien nicht ersichtlich. Erstere mache die Klägerin gar nicht geltend. Gegenüber dem Vorjahresquartal II/12 (Gesamthonorar 282.912,61 Euro) ergebe sich nun sogar ein Honoraranstieg. Unabhängig davon sei der Antrag auf Gewährung einer Ausnahme von der Honorarabstaffelung nach § 11 Satz 2 Nr. 4 HVM gemäß § 11 Nr. 1 der Abrechnungsordnung verfristet.

 

Mit der am 12. Februar 2015 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Ziel einer Ausnahme von der Honorarabstaffelung im Quartal II/13 weiter. Das „Intermezzo H“, das unvorhergesehen früh beendet worden sei, dürfe nicht dazu führen, dass vertragsärztliche Leistungen in großem Umfang unvergütet blieben; man wolle so gestellt werden, als hätte es dieses Intermezzo nicht gegeben, denn das Honorarverteilungsrecht habe sich unternehmerischen Entscheidungen gegenüber neutral zu verhalten. Von einer exzessiven Leistungsmengenausweitung könne nicht die Rede sein, denn im streitigen Quartal II/13 hätten die RLV/QZV-Fallzahlen mit 3.973 sogar unter denjenigen des letzten Quartals vor Aufnahme der Tätigkeit des Arztes H gelegen (I/12, 4.195). Eine eigenverantwortliche Praxisausdehnung liege daher nicht vor. Die Ausnahmeregelung in § 11 HVM sehe im Gegensatz zur Auffassung der Beklagten keine Antragsfrist vor. Zudem erfülle die Klägerin die materiellen Voraussetzungen der Ausnahmeklausel in § 11 Satz 2 Nr. 4 HVM. Die Aufgabe der Arztpraxis H habe zu einer außergewöhnlichen Fallzahlerhöhung bei der Klägerin geführt. Damit erfülle die Klägerin auch die Voraussetzungen der Ausnahmeklausel in     § 11 Satz 2 Nr. 5 HVM; im Aufsatzquartal II/12 seien ihre Fallzahlen aus einem außergewöhnlichen Grund niedrig gewesen, denn der Arzt H habe ihr insoweit Patientengut abgenommen.

 

Die Beklagte ist dem entgegen getreten. Die konkrete Entwicklung von Fallzahlen und Vergütung beruhe allein auf unternehmerischen Entscheidungen der Klägerin; die Regelungen zur Ausnahme von der Fallwertabstaffelung dürften nicht dazu dienen, unternehmerische Entscheidungen im Nachhinein ungeschehen zu machen. Im Folgejahr 2014 habe der Klägerin wieder ein RLV/QZV-Budget auf der Basis höherer Fallzahlen zur Verfügung gestanden. Die Notwendigkeit der Fallwertabstaffelung folge daraus, dass die Fallzahlen der Klägerin durchweg und selbst im streitigen Quartal über dem Durchschnitt der Arztgruppe lägen; die Fallzahlüberschreitung sei kein nur temporäres Problem gewesen. Es sei für die Klägerin absehbar gewesen, dass es zu einer Budgetüberschreitung kommen würde, sollte die Praxisgemeinschaft nach kurzer Zeit wieder aufgelöst werden. Käme die Beklagte dem Begehren der Klägerin nach, begünstigte sie ein Wachstum über den Fachgruppendurchschnitt hinaus.

 

Mit Urteil vom 9. Mai 2018 hat das Sozialgericht Berlin die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Klägerin könne keine Ausnahme von der Abstaffelung nach § 11 Satz 2 HVM beanspruchen. Zwar greife nicht die Frist des § 1 Nr. 11 der Abrechnungsordnung, denn bei dem Antrag nach § 11 HVM handele es sich nicht um einen „RLV/QZV-Antrag“. Allerdings seien die Voraussetzungen aus        § 11 HVM nicht erfüllt. Dessen Nr. 4 erfordere die „Aufgabe einer Zulassung eines Arztes“. Davon könne in Bezug auf den Arzt H aber nicht die Rede sein, denn er habe seine Zulassung nicht aufgegeben und im Quartal II/13 seinen Praxissitz sogar noch am Standort der Klägerin gehabt. Auch § 11 Nr. 5 HVM greife nicht, denn der Entschluss der Klägerin, im Aufsatzquartal Patienten an den Arzt H abzugeben, sei weder außergewöhnlich noch unverschuldet. Sofern man eine Praxisverlegung als weiteres Tatbestandsmerkmal anerkenne, greife dies ebenfalls nicht durch, denn zum einen habe der Arzt H seinen Praxissitz im streitigen Quartal noch nicht verlegt, zum anderen liege der neue Standort in der Rstraße weniger als 5 km von der Praxis der Klägerin entfernt. Insgesamt sei die Situation der Klägerin nicht mit den in § 11 HVM geregelten Konstellationen vergleichbar. Warum die Praxisgemeinschaft nach kurzer Zeit beendet worden sei, sei ohne Belang. Es dürfe nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Klägerin mit Gründung der Praxisgemeinschaft ihre Fallzahlen bewusst habe senken wollen. Ihr habe bewusst sein müssen, dass sinkende Fallzahlen in einem Aufsatzquartal zu einem geringeren Regelleistungsvolumen im Folgequartal führten; auch sei bekannt, dass Praxisgemeinschaften bisweilen scheiterten. Die Ausgangslage sei also in keiner Weise vergleichbar mit einer Situation, in der beispielsweise Ärzte die Patienten eines anderen Arztes in der Nachbarschaft ohne vorherige Kenntnis übernehmen müssten.

 

Gegen das ihr am 25. Mai 2018 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 21. Juni 2018 Berufung eingelegt. Zur Begründung führt sie im Wesentlichen an: Sie erfülle die formellen und materiellen Voraussetzungen für eine Ausnahmeregelung nach § 11 Satz 2 Nr. 4 HVM in entsprechender Anwendung. Die Norm enthalte nur Regelbeispiele und sei nicht als abschließend zu verstehen. Die Beklagte selbst stelle die Verlegung eines Praxissitzes der Aufgabe einer Zulassung gleich. Die faktische Einstellung der vertragsärztlichen Tätigkeit stehe der Aufgabe der Zulassung gleich und habe dieselben Auswirkungen; soweit der Arzt H an dem ausgelagerten Standort MRT-Leistungen erbracht habe, müsse dies außer Betracht bleiben, denn solche habe er zuvor nie am Standort der Klägerin erbracht. Soweit dem Arzt H, der ab 1. Januar 2013 überhaupt keine Sprechzeiten an seinem Praxissitz mehr angeboten habe, verschiedene vertragsärztliche Pflichtverstöße vorzuhalten seien, dürfe sich dies nicht zu Lasten der Klägerin auswirken. Dass die Abläufe auf eigene Entscheidungen der Klägerin zurückzuführen seien, hindere die Anwendung von § 11 Satz 2 HVM im Gegensatz zur Auffassung des Sozialgerichts nicht, denn, abgesehen von einem krankheitsbedingten Ausfall, seien die dort aufgeführten Alternativen plan- und kalkulierbar. Die außergewöhnliche Fallzahlerhöhung im streitigen Quartal sei darauf zurückzuführen, dass die Klägerin nun das zuvor von dem Arzt H mitversorgte Patientenaufkommen wieder alleine habe versorgen müssen; dieser habe die Tätigkeit an seinem Praxissitz schlicht eingestellt. Ohnehin habe man den Untermietvertrag über die Praxisräume und den Praxisgemeinschaftsvertrag zunächst auf den 31. Dezember 2012 befristet. Grundsätzlich müsse die Behandlung eines signifikant höheren Patientenaufkommens von vergütungsrechtlichen Sanktionen verschont bleiben. Schließlich sei die Honorarabstaffelung auch unverhältnismäßig, denn sie diene keinem legitimen Zweck, weil die Klägerin keinerlei Expansionstendenzen gezeigt habe. Die Fallzahlen der Klägerin im streitigen Quartal hätten sogar unter denjenigen des Quartals I/12 gelegen. Die Honorarverteilungsgerechtigkeit gebiete eine leistungsproportionale Vergütung.

 

Die Klägerin beantragt,

 

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 9. Mai 2018 aufzuheben sowie den Honorarfestsetzungsbescheid der Beklagten für das Quartal II/13 vom 20. November 2013 in der Fassung des Bescheides vom 12. Februar 2014 und des Teilabhilfebescheides vom 21. August 2014, diese in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Januar 2015 zu ändern und die Beklagte zu verpflichten, über die Vergütung der das RLV/QZV überschreitenden Leistungsmenge unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden,

 

hilfsweise die Revision zuzulassen.

 

Die Beklagte beantragt,

            die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Es könne kein Zweifel daran bestehen, dass die Voraussetzungen von § 11 Satz 2 Nr. 4 HVM nicht vorlägen; der Sachverhalt sei auch mit keiner der in dieser Vorschrift aufgeführten Tatbestandsalternativen vergleichbar. Insbesondere habe der Arzt H seine Zulassung nicht „aufgegeben“ im Sinne von § 11 Satz 2 Nr. 4 HVM, sondern seine Tätigkeit fortgesetzt am Standort Rstraße . Die Klägerin begehre hier nur einen Ausgleich für die nach dem Zerwürfnis mit dem Arzt H gestiegenen Fallzahlen in der eigenen Praxis; dafür müsse aber nicht die gesamte Vertragsärzteschaft einstehen. Erst Anfang 2014 habe die Beklagte überhaupt von der Beendigung der Praxisgemeinschaft erfahren, obwohl die Klägerin dem Arzt H wohl schon seit Anfang 2013 den Zutritt zu den Praxisräumen am Splatz  verwehrt habe. Es könne auch nicht die Rede davon sein, dass die Klägerin ab 1. Januar 2013 die Patienten des Arztes H „weiterbehandelt“ habe, denn ein Radiologe werde nur auf Überweisung tätig und verfüge über keinen festen, regelmäßig vorsprechenden  Patientenstamm. Die Beklagte hätte den Antrag der Klägerin auf Ausnahme von der Honorarabstaffelung auch nicht anders behandelt, wenn sich die Auflösung der Praxisgemeinschaft zum 31. Dezember 2012 einvernehmlich, transparent und ordnungsgemäß vollzogen hätte.

 

Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen, der, soweit wesentlich, Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung war.

           

 

Entscheidungsgründe

 

 

Die zulässige Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat für das Quartal II/13 keinen Anspruch auf Ausnahme von der Honorarabstaffelung.

 

Von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe sieht der Senat ab und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug auf die überzeugenden Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). 

 

Zu ergänzen und zu betonen bleibt angesichts der Begründung der Berufung:

 

Die Klägerin verfolgt ein Begehren, für das es in den Regelungen zur Honorarverteilung im Quartal II/13 keine Grundlage gibt und auch nicht geben muss.

 

1. § 11 Sätze 1 und 2 des auf § 87b Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) beruhenden Honorarverteilungsmaßstabes der Beklagten für das Quartal II/13 bestimmten:

 

            „§ 11 Kriterien zur Ausnahme von der Abstaffelung

 

Auf Antrag eines Arztes und nach Genehmigung durch die KV können Leistungen über das arzt-/praxisbezogene Regelleistungsvolumen hinaus mit den Preisen der regionalen Euro-Gebührenordnung vergütet werden. Ein Arzt kann einen Antrag stellen, wenn aufgrund

 

  1. urlaubs- und krankheitsbedingter Vertretung eines Arztes der eigenen Berufsausübungsgemeinschaft,
  2. urlaubs- und krankheitsbedingter Vertretung eines Arztes einer Arztpraxis in der näheren Umgebung der Arztpraxis,
  3. Aufgabe einer Zulassung oder genehmigten Tätigkeit eines Arztes der eigenen Berufsausübungsgemeinschaft,
  4. Aufgabe einer Zulassung oder genehmigten Tätigkeit eines Arztes einer Arztpraxis in der näheren Umgebung der Arztpraxis

 

eine außergewöhnlich starke Erhöhung der Zahl der behandelten Versicherten vorliegt oder wenn durch

 

  1. einen außergewöhnlichen und/oder durch Arzt unverschuldeten Grund eine niedrige arztindividuelle Fallzahl im Aufsatzquartal abgerechnet wurde. Hierzu zählt z.B. Krankheit des Arztes.“

 

2. Es liegt auf der Hand, dass keine dieser Voraussetzungen erfüllt ist. Eine „Aufgabe der Zulassung“ seitens des Arztes H liegt unzweifelhaft nicht vor. Dieser Arzt, mit dem die Klägerin sich (nur) in Praxisgemeinschaft befand, nahm der Klägerin im hier maßgeblichen Aufsatzquartal II/12 eine messbare Anzahl von Behandlungsfällen ab, was bei dem Arzt Dr. H zu einem signifikanten Absinken der Fallzahlen führte (von 2.290,96 im Quartal II/11 auf 943,69 im Quartal II/12), während die Ärztin Dr. K durchweg Fallzahlen hatte, die in etwa das Doppelte des Durchschnitts der Arztgruppe ausmachten. Wie es zu dem Absinken der Fallzahlen bei Dr. H kam, ist dabei nicht entscheidend; es kann dies stets verschiedene Ursache haben, die im Wesentlichen in der Tätigkeit von wirtschaftlich konkurrierenden Vertragsärzten derselben Fachrichtung in der Umgebung der eigenen Arztpraxis begründet sind. So macht es keinen Unterschied, ob der Arzt H im Quartal II/12 eine Straße weiter, im selben Haus oder eben in Praxisgemeinschaft mit der Klägerin niedergelassen war. Eine Ausnahme von der Abstaffelung kann stets nur beansprucht werden, wenn ein Arzt der eigenen Berufsausübungsgemeinschaft oder einer Arztpraxis in der näheren Umgebung seine Zulassung aufgibt und es dadurch zu einer außergewöhnlich starken Erhöhung der Fallzahlen kommt. Die Beendigung einer Praxisgemeinschaft fällt nicht unter diese Tatbestände; vielmehr liegt eine Aufgabe der Zulassung nur vor, wenn der Versorgungsauftrag nicht mehr ausgeübt wird (vgl. Urteil des Senats vom 22. Dezember 2020, L 7 KA 45/16, zitiert nach juris, dort Rdnr. 47).

 

§ 11 Satz 2 Nrn. 3 und 4 HVM können auch nicht in entsprechender Anwendung auf den vorliegenden Sachverhalt ausgedehnt werden, denn der Auszug eines Praxisgemeinschaftspartners, der seine Tätigkeit in einer Entfernung von nur wenigen Kilometern fortsetzt, ist nicht im Ansatz vergleichbar mit der Aufgabe der Zulassung durch einen Arzt der eigenen Berufsausübungsgemeinschaft oder einen Arzt aus der näheren Umgebung der Arztpraxis.

 

3. Der Senat hat auch durchgreifende Zweifel, ob im Quartal II/13 überhaupt eine „außergewöhnlich starke Erhöhung der Zahl der behandelten Versicherten“ zu verzeichnen ist. Die BAG behandelte im Quartal II/13 insgesamt 3.771 Versicherte gegenüber 3.093 im Quartal II/12; zu verzeichnen ist eine Steigerung um etwa 22 Prozent.

 

Die in dem HVM der Beklagten gewählte Formulierung korrespondiert mit § 87b Abs. 2 Satz 3 SGB V a.F. Danach waren Abweichungen von der arztgruppenbezogenen Zuweisung eines RLV u.a. dann geboten, wenn eine „außergewöhnlich starke Erhöhung der Zahl der behandelten Versicherten“ zu beobachten war. Dem lag die Bewertung des Gesetzgebers zugrunde, dass in besonderen Konstellationen die Abstaffelungsregelungen für die einzelne Praxis zu unzumutbaren und unter Versorgungsgesichtspunkten nicht hinnehmbaren Verwerfungen führen können, etwa wenn wegen der kurzfristigen Schließung benachbarter Praxen die betroffene Praxis eine Vielzahl zusätzlicher Patienten annehmen und behandeln muss, weil diesen Patienten realisierbare alternative Versorgungsmöglichkeiten jedenfalls kurzfristig nicht zur Verfügung stehen. Das Bundessozialgericht hat insoweit angeführt, dass der Zulassungsausschuss die Punktzahlobergrenze einer Praxis anheben könne, wenn kurzfristig ein regionaler zusätzlicher Versorgungsbedarf bestanden hätte, der gegebenenfalls eine Sonderbedarfszulassung gerechtfertigt hätte (vgl. Urteil vom 28. August 2013, B 6 KA 43/12 Rzitiert nach juris, dort Rdnr. 18). Diesen Gedanken hat das Bundessozialgericht sinngemäß auf die Anpassung des RLV unter ähnlichen Voraussetzungen übertragen (vgl. Beschluss vom 21. März 2018, B 6 KA, 73/17 B, zitiert nach juris, dort Rdnr. 15); wann jedoch eine solche Konstellation vorliege, entziehe sich genereller Festlegung, weil insoweit alle Umstände des Einzelfalls maßgeblich seien.

 

Die Umstände des Einzelfalls zeichnen sich vorliegend dadurch aus, dass selbst im fallzahlschwächeren Quartal II/12 die durchschnittliche Fallzahl der beiden Mitglieder der BAG pro Kopf bei 1.546,50 lag, was den Durchschnitt der Arztgruppe um 358,41 bzw. rund 30 Prozent überstieg. Im streitigen Quartal II/13 lag die durchschnittliche Fallzahl der beiden Mitglieder der BAG pro Kopf bei 1.885,50, was den Durchschnitt der Arztgruppe um 691,10 bzw. rund 58 Prozent überstieg. Eine Ausnahme von der Abstaffelung würde daher Fallzahlsteigerungen weit über den Durchschnitt der eigenen Fachgruppe belohnen, was zweifellos nicht der Zweck von § 11 HVM sein kann.

 

Vor allem aber zeigt sich im Lichte der jeweils erzielten Gesamthonorare, dass eine Ausnahme von der Abstaffelung nicht geboten ist, um einem atypischen Fall Rechnung zu tragen und Honorarverteilungsgerechtigkeit herbeizuführen. Denn das Honorar der Klägerin bewegte sich mit 291.274,68 Euro im Quartal II/13 messbar über demjenigen des Quartals II/12 (282.912,61 Euro). Es sind insgesamt keine Verwerfungen zu beobachten, die eine Ausnahme von der Honorarabstaffelung über eine extensive Erweiterung der in § 11 HVM vorgesehenen Tatbestände im Sinne der Honorarverteilungsgerechtigkeit gebieten würden; für Existenzgefährdung oder Sicherstellungsbedarf ist nichts ersichtlich (vgl. Urteil des Senats vom 22. Dezember 2020, L 7 KA 45/16, zitiert nach juris, dort Rdnr. 58).

 

Letztlich spiegelt sich in der Entwicklung von Fallzahlen und Gesamthonorar im fraglichen Zeitraum nur die unternehmerische Entscheidung der Klägerin, einen nicht in die BAG eingebundenen ärztlichen Fachkollegen als Mitbewerber am Markt in eine Praxisgemeinschaft aufzunehmen, was im Falle der Auflösung der Praxisgemeinschaft unweigerlich Auswirkungen auf das Honorargefüge in der Folgezeit nach sich ziehen musste. Zu Recht weist die Beklagte darauf hin, dass diese unternehmerischen Entscheidungen nicht zu Lasten der Gemeinschaft aller Vertragsärzte gehen können.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreites.

 

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht § 160 Abs. 2 SGG.

 

 

Rechtskraft
Aus
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