L 4 R 487/21 B ER

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 4 R 806/21 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 4 R 487/21 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

1. Bei Rentnern, die in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert sind, ist der Rentenversicherungsträger für die Entscheidung über die Tragung und die Höhe der Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung aus der Rente sachlich zuständig. Dasselbe gilt für die Nacherhebung rückständiger Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung (Anschluss an BSG, Urteil vom 31.03.2017 - B 12 R 6/14 R - juris Rn. 24) und gemäß § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 11 SGB XI für die Beitragspflicht in der sozialen Pflegeversicherung. Hierin liegt zugleich eine Entscheidung über die Anforderung von Beiträgen i.S.d. § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG.

2. Hebt der Rentenversicherungsträger zugleich die Gewährung von Zuschüssen zur freiwilligen gesetzlichen Krankenversicherung auf und fordert die Erstattung von zuvor ausgezahlten Zuschüssen, entfällt die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs oder einer Anfechtungsklage gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG i.V.m. § 108 Abs. 2 Satz 4 SGB VI.

     
   
 

 

  1. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dresden vom 23. September 2021 wird zurückgewiesen.
  2. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

 

 

 

 

 

Gründe

 

I.

 

Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist zwischen den Beteiligten die Höhe des der Antragstellerin von der Antragsgegnerin zu leistenden Zahlbetrages streitig sowie die Erstattung von Zuschüssen und Nachentrichtung von Beiträgen zur Krankenversicherung seit 1.4.2017.

 

Die 1952 geborene, geschiedene Antragstellerin bezog seit 1.12.2013 Altersrente für schwerbehinderte Menschen mit einem Zahlbetrag zunächst in Höhe von 493,62 €.

 

Am 14.7.2017 beantragte die Antragstellerin bei der Antragsgegnerin einen Zuschuss zur Krankenversicherung für freiwillig Versicherte (§ 106 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch [SGB VI]). Daraufhin gewährte ihr die Antragsgegnerin monatliche Beitragszuschüsse zu einem freiwilligen Krankenversicherungsverhältnis und berechnete mit Rentenbescheiden vom 14.7.2017, 21.6.2018, 1.12.2018, 21.1.2019, 16.2.2019 und 24.4.2019 die Rente der Antragstellerin jeweils neu. Zuletzt belief sich ausweislich des Bescheides zur Rentenanpassung zum 1.7.2021 die monatliche Rente auf 831,38 € zuzüglich eines Zuschusses zur freiwilligen Krankenversicherung in Höhe von 66,74 €, so dass sich der monatliche Zahlbetrag ab 1.7.2021 auf 898,38 € erhöhte.

 

Erstmals am 25.11.2020 unterrichtete die zuständige Krankenkasse, die  Z....  BKK, die Antragsgegnerin, dass für die Antragstellerin seit dem 1.4.2017 eine Pflichtversicherung in der Krankenversicherung der Rentner bestehe; eine vorherige maschinelle Meldung war mehrfach fehlgeschlagen.

 

Daraufhin berechnete die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 3.8.2021 die Altersrente der Antragstellerin mit Wirkung ab 1.4.2017 u.a. wegen der Änderung des Krankenversicherungsverhältnisses neu. Ab 1.8.2021 errechnete sich eine monatliche Rente von 831,64 € abzüglich des Beitragsanteils der Antragstellerin zur gesetzlichen Krankenversicherung von 60,71 €, des Zusatzbeitrages von 6,03 € und des Beitragsanteils zur sozialen Pflegeversicherung von 25,37 €, so dass sich ein monatlicher Zahlbetrag in Höhe von nunmehr 739,53 € ergab. Zugleich bezifferte die Antragsgegnerin für die Zeit vom 1.4.2017 bis 31.7.2021 eine Überzahlung von 7.321,06 €. Der überzahlte Betrag sei spätestens innerhalb eines Monats zu überweisen. Den Bescheid über die Bewilligung des Zuschusses zur Krankenversicherung hob die Antragsgegnerin für die Zeit ab dem 01.04.2017 auf. Der infolge der Bescheidaufhebung zu Unrecht gezahlte Zuschuss in Höhe von Insgesamt 3.026,35 € sei nach § 50 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zu erstatten. Sofern die Antragstellerin für die genannten Zeiten gegenüber ihrer Krankenkasse einen Anspruch auf Erstattung zu Unrecht gezahlter Beiträge habe, könne sie den dortigen Erstattungsbetrag mit dem o.g. Betrag verrechnen. Deshalb sei die Krankenkasse insoweit um Mitteilung gebeten worden. Darüber hinaus seien ab dem Beginn der Pflichtmitgliedschaft aus der Rente Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung und zur sozialen Pflegeversicherung zu zahlen. Diese Beitragspflicht bestehe kraft Gesetzes und unabhängig von der Kenntnis. Die rückständigen Beiträge für die Zeit vom1.4.2017 bis 31.7.2021 beliefen sich auf 4.294,71 €. Es sei beabsichtigt, ab dem nächstmöglichen Zeitpunkt mit dem Einbehalt der rückständigen Beiträge in Höhe der Hälfte der laufenden Rentenzahlung zu beginnen.

 

Hiergegen legte die Antragstellerin mit Schreiben vom 13.8.2021 bei der Antragsgegnerin Widerspruch ein. Die Antragsgegnerin habe kein Einverständnis der Antragstellerin zu den Änderungen eingeholt. Über den Widerspruch ist – soweit ersichtlich - bislang nicht entschieden worden.

 

Die Antragstellerin hat am 17.8.2021 beim Sozialgericht Dresden einstweiligen Rechtsschutz beantragt, weil die Antragsgegnerin ohne ihr Einverständnis den Versicherungsmodus abgeändert und eine Rückforderung erhoben habe. Ihre zuständige Krankenkasse sei in den vergangenen vier Jahren mit Gerichtsvollziehern und Gerichtskosten mit utopischen Forderungen gegen sie vorgegangen. Es liege eine barbarische, willkürliche Rentenkürzung vor.

 

Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 23.9.2021 den Antrag abgelehnt. Das Begehren der Antragstellerin sei mangels konkret gefasster Anträge auszulegen. Sie verfolge das Ziel, vorläufig über den 31.07.2021 hinaus Altersrente in ursprünglicher Höhe von 898,38 € von der Antragsgegnerin zu erhalten und die Forderung der Antragsgegnerin in Höhe von 7.321,0 € vorläufig nicht erstatten zu müssen. Ein Rechtschutzbedürfnis sei vorliegend nicht gegeben, da der Widerspruch vom 13.8.2021 aufschiebende Wirkung entfalte. Ein Ausnahmetatbestand gemäß § 86a Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liege nicht vor. Erstattungs- und Rückzahlungsforderungen der Leistungsträger stellten keine Abgaben im Sinne des § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG dar. Es bestünden – abgesehen von dem angegriffenen Rentenbescheid – keine Anhaltspunkte dafür, dass die Antragsgegnerin den erlassenen Bescheid vollzogen habe bzw. vollziehen wolle. Aus dem Schreiben der Antragsgegnerin vom 20.8.2021 ergebe sich vielmehr, dass die Antragstellerin zunächst zur Aufrechnung der überzahlten Eigenanteile angehört habe und eine Entscheidung über die Rückforderung der Überzahlung noch gar nicht getroffen worden sei. Darüber hinaus sei zunächst eine Anfrage bei der Krankenkasse gestellt worden.

 

Gegen den ihr am 27.09 2021 zugestellten Beschluss richtet sich die am 15.10.2021 eingegangene Beschwerde der Antragstellerin, mit der sie ihr Begehren im Wesentlichen mit gleicher Begründung weiterverfolgt. Die Rentenkürzung stelle eine unbillige Härte dar. Die Rückforderung sei frei erfunden. Sie brauche die Rente zum Überleben. Die Preise für Lebensmittel und Energie seien inflationell gestiegen. Sie sei schwer krank. Dies halte kein Mensch aus. Sie werde seit Jahren politisch und wirtschaftlich diskriminiert. Sie beantrage daher die sofortige Weiterzahlung der ursprünglich mit Bescheid vom Juli 2021 angewiesenen Rente von 898,00 € und die Streichung der 7.400,00 € Rückforderung.

 

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Dresden vom 23.9.2021 aufzuheben sowie die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 3.8.2021 anzuordnen, insbesondere die Rente ungekürzt weiterzuzahlen.

 

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

 

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

 

Im Hauptsacheverfahren S 4 R 874/21 hat am 10.11.2021 am Sozialgericht ein Erörterungstermin stattgefunden, in dem die Antragsgegnerin mitgeteilt hat, dass bislang lediglich die gekürzte Rente in Höhe von 739,53 € gezahlt werde; eine Entscheidung über die Rückforderung sei bislang noch nicht getroffen worden.

 

Wegen der Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen, die vorlagen und Gegenstand der Entscheidungsfindung des Gerichts gewesen sind.

 

 

 

 

 

 

II.

 

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde (§§ 172, 173 SGG) ist zulässig, jedoch unbegründet.

 

Die Voraussetzungen für die von der Antragstellerin begehrte Anordnung der aufschiebenden Wirkung liegen nicht vor. Das Sozialgericht hat im Ergebnis zutreffend den Antrag abgelehnt.

 

Zutreffend hat das Sozialgericht ausgeführt, dass das Begehren der Antragstellerin sachgerecht auszulegen ist, nämlich danach, was die Antragsgegnerin in ihrem Bescheid vom 3.8.2021 inhaltlich verfügt hat. Zum einen wurde mit diesem Bescheid der Zahlbetrag der Rente, deren Höhe nach wie vor 831,64 € beträgt, nunmehr wegen der Beitragsanteile der Antragstellerin zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung auf 739,53 € monatlich gekürzt. Ferner hat die Antragsgegnerin gegenüber der Antragstellerin eine Erstattungsforderung in Höhe von 3.026,35 € wegen der fälschlichen Zahlungen von Zuschüssen zur freiwilligen Krankenversicherung für die Zeit von 1.4.2017 bis 31.7.2021 festgesetzt und außerdem rückständiger Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung für dieselbe Zeit in Höhe von 4.294,71 € nacherhoben. Gegen diese drei Verfügungen der Antragsgegnerin wendet sich die Antragstellerin.

 

Entgegen der Ansicht des Sozialgerichts liegt in Bezug auf alle drei Verfügungen der Antragsgegnerin hier ein Fall des § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 86a Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 4 SGG vor, weil der Widerspruch der Antragstellerin vom 13.8.2021 gegen den Rentenbescheid vom 3.8.2021 keine aufschiebende Wirkung hat.

 

Gemäß § 86a Abs. 1 SGG haben Widerspruch und Anfechtungsklage grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Dies gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Drittwirkung. Unter den Voraussetzungen des § 86a Abs. 2 SGG entfällt jedoch in dort normierten Ausnahmefällen die aufschiebende Wirkung, nämlich gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG bei Entscheidungen über Versicherungs‑, Beitrags- und Umlagepflichten sowie der Anforderung von Beiträgen, Umlagen und sonstigen öffentlichen Abgaben einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten und gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG in anderen durch Bundesgesetz vorgeschriebenen Fällen.

 

Soweit die Beklagte in dem angefochtenen Bescheid vom 3.8.2021 von der der Antragstellerin gewährten Rente Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung mit Wirkung ab 1.8.2021 einbehalten und zugleich die seit 01.04.2017 rückständigen Beiträge nacherhoben hat, handelt es sich um die Anforderung von Beiträgen i.S.d. § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG. Zwar hat die Antragsgegnerin damit nicht über die Versicherungspflicht der Antragstellerin in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung entschieden: Diese festzustellen ist originäre Zuständigkeit der Krankenkasse. Jedoch hat die Antragsgegnerin mit ihrem Bescheid die Beitragspflicht der Altersrente der Antragstellerin zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung, die Beitragshöhe und die Beitragstragung verbindlich festgestellt, wozu sie auch berechtigt war. Denn die Antragsgegnerin ist als Rentenversicherungsträger bei Rentnern wie der Antragstellerin, die in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert sind, für die Entscheidung über die Tragung und Höhe der Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung sachlich zuständig (vgl. BSG, Urteil vom 18.07.2007
B 12 R 21/06 R – juris Rn. 13 m.w.N.). Dasselbe gilt für die Nacherhebung der seit 1.4.2017 rückständigen Beiträge der Antragstellerin zur gesetzlichen Krankenversicherung der Rentner (vgl. BSG, Urteil vom 31.3.2017 – B 12 R 6/14 R – juris Rn. 24) und gemäß § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 11 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) für die Versicherungs- und Beitragspflicht in der sozialen Pflegeversicherung.

 

Somit hat die Antragsgegnerin in ihrem Bescheid vom 3.8.2021 eine Entscheidung über die Anforderung von Beiträgen i.S.d. § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG getroffen. Denn der Begriff der Anforderung ist nicht nur auf die Geltendmachung einer Geldforderung zu beziehen. Vielmehr sind alle Verwaltungsakte betroffen, die zur Realisierung des behördlichen Anspruchs auf die Abgabe der Beiträge ergehen (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 86a Rn. 13a), also auch solche, die keine Zahlung vom Beitragspflichtigen fordern, sondern – wie hier – die geschuldeten Beiträge einbehalten und abführen.

 

Soweit die Antragsgegnerin im Bescheid vom 3.8.2021 zugleich die Erstattung der von ihr in der Zeit vom 1.4.2017 bis 31.7.2021 an die Antragstellerin ausgezahlten Zuschüsse zu deren freiwilliger gesetzlicher Krankenversicherung in Höhe von 3.026,35 € fordert, entfällt die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG. Denn gemäß § 108 Abs. 2 Satz 4 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen eine Entscheidung über die Aufhebung eines Bescheides nach § 108 Abs. 2 Satz 1 SGB VI und die Erstattung der erbrachten Leistungen nach § 50 Absatz 1 SGB X keine aufschiebende Wirkung.

 

Demzufolge ist der Antrag der Antragstellerin auszulegen als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs vom 13.8.2021 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 3.8.2021: Dieser bleibt ohne Erfolg.

 

Wie bereits ausgeführt, kann nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. In diesen Fällen entscheidet das Gericht über den Antrag nach summarischer Prüfung und Abwägung der widerstreitenden Interessen sowie Heranziehung der in § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG gegen die niedergelegten Grundsätze. Hiernach soll die Aussetzung der Vollziehung nur erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegend öffentlichen Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Da der Gesetzgeber in § 86a Abs. 2 SGG für bestimmte Konstellationen ein Regel-Ausnahme-Verhältnis statuiert, bedeutet dies, dass in diesen Fällen grundsätzlich das öffentliche Interesse an der Vollziehung Vorrang hat. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Verwaltungsentscheidung bestehen daher nur dann, wenn ein Erfolg des Rechtsbehelfs im Hauptsacheverfahren wahrscheinlicher ist als ein Misserfolg, da eine gerichtliche Entscheidung das genannte Regel-Ausnahme-Verhältnis und die darin liegende gesetzliche Risikoverteilung zu Lasten der Betroffenen unterliefe, wenn sie die Vollziehung bereits dann aussetzen würde, wenn der Erfolg des Rechtsbehelfs ebenso wahrscheinlich wie der Misserfolg wäre, der Ausgang des Hauptsacheverfahrens also offen ist (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 86a Rn. 27a). Eine unbillige Härte liegt vor, wenn dem Betroffenen durch die Vollziehung Nachteile entstehen, die über die eigentliche Zahlung hinausgehen und nicht oder nur schwer wiedergutgemacht werden können (Keller, a. a. O., § 86a Rn. 27b).

 

Eine unbillige Härte ist hier aus den von der Antragstellerin nur pauschal vorgetragenen Gründen (inflationär gestiegene Preise für Lebensmittel und Energie, Entzug der Existenzgrundlage etc.) nicht ersichtlich. Ein solch pauschaler Vortrag ist nicht geeignet, eine besondere Härte zu begründen.

 

Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides der Antragsgegnerin vom 3.8.2021 bestehen nach der gebotenen und ausreichenden summarischen Prüfung nicht.

 

Sowohl die Einbehaltung der von der Antragstellerin aus ihrer laufenden Rente zu entrichtenden monatlichen Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 92,11 € als auch die Nacherhebung der vom 1.4.2017 bis 31.7.2021 zu entrichtenden Beiträge in Höhe von 4.294,71 € ist voraussichtlich rechtmäßig.

 

Gemäß § 255 Abs. 1 SGB V sind Beiträge, die Versicherungspflichtige aus ihrer Rente nach § 228 Abs. 1 Satz 1 SGB V zu tragen haben, von den Trägern der Rentenversicherung bei der Zahlung der Rente einzubehalten und zusammen mit den von den Trägern der Rentenversicherung zu tragenden Beiträgen an die Deutsche Rentenversicherung Bund für die Krankenkassen mit Ausnahme der landwirtschaftlichen Krankenkasse zu zahlen. Nach Abs. 2 der Vorschrift ist für den Fall, dass bei der Zahlung der Rente die Einbehaltung von Beiträgen nach Abs. 1 unterblieben ist, die rückständigen Beiträge durch den Träger der Rentenversicherung aus der weiter zu zahlenden Rente einzubehalten. Die Vorschrift regelt die Zahlung der Krankenversicherungsbeiträge von Versicherungspflichtigen (nicht allein von versicherungspflichtigen Rentnern) aus der Rente der (inländischen) gesetzlichen Rentenversicherung und stellt hierfür aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung (keine Belastung der Krankenkassen mit dem Beitragseinzug; vgl. Gerlach in: Hauck/Noftz, SGB V, Stand April 2013, K § 255 Rn. 23; ferner Fischinger in: Berchtold/Huster/Rehborn, Kommentar zum Gesundheitsrecht, 1. Aufl. 2015, § 255 SGB V Rn. 3) ein eigenes Verwaltungsverfahren zur Verfügung. § 255 Abs. 1 Satz 1 SGB V bestimmt – abweichend von § 252 Satz 1 i.V.m. § 249a SGB V – als Grundsatz, dass (auch) der von den Rentnern zu tragende Beitragsanteil nicht von diesen, sondern von den (rentengewährenden) Rentenversicherungsträgern zu zahlen und von der Rente einzubehalten ist. Insoweit findet ein "Quellenabzug" statt, sodass rechtstechnisch die Beitragszahlung danach in der Weise geschieht, dass der Träger der Rentenversicherung in einem ersten Schritt die Rente "gekürzt" um den von dem Versicherten zu tragenden Krankenversicherungsbeitrag auszahlt und sodann zahlt er in einem zweiten Schritt den einbehaltenen Betrag – als eine Art Inkasso-Stelle für die Krankenkassen – an die Deutsche Rentenversicherung Bund (vgl. BSG, Urteil vom 31.3.2017 – B 12 R 6/14 R – juris Rn. 25 m.w.N.).

 

Soweit die Antragsgegnerin seit 1.8.2021 die laufenden Beiträge von der Rente der Antragstellerin abzieht und der Zahlbetrag dementsprechend um 92,11 € kürzt, sind Rechtsfehler dem Grunde nach und im Hinblick auf die berechnete Beitragshöhe von der Antragstellerin nicht dargetan und auch sonst nicht ersichtlich. Allein der Umstand, dass die Antragstellerin den an sich ausgezahlten Betrag für unzureichend hält, begründet keine Rechtswidrigkeit des Einbehalts. Falls die Rente in dieser Höhe nicht auskömmlich sein sollte, muss die Antragstellerin sich darauf verweisen lassen, ergänzende Grundsicherungsleistungen zu beantragen. Soweit die Antragstellerin sinngemäß geltend macht, sie habe geringere Beiträge zu entrichten, indem sie das Schreiben der  Z....  BKK vom 13.8.2021 vorlegt, wonach der Beitrag für ihre Kranken- und Pflegeversicherung 49,02 € monatlich betrage, versäumt sie mitzuteilen, welche Einkommensunterlagen Gegenstand dieser Festsetzung waren. Es liegt daher nahe, dass die Antragstellerin neben ihrer Rente über weitere Einkünfte verfügt, die ihrerseits der Beitragspflicht nach dem SGB V unterliegen. Dies kann sie allerdings nicht im vorliegenden Beschwerdeverfahren gegenüber der Antragsgegnerin geltend machen, die lediglich die aus der Rente zu entrichtenden Kranken-und Pflegeversicherungsbeiträge einbehält. Der Einbehalt der laufenden Beiträge seit 1.8.2021 führt jedenfalls dazu, dass für die Antragstellerin keine weiteren Betragsrückstände entstehen.

 

Soweit die Antragsgegnerin im Bescheid vom 3.8.2021 ihre Absicht angekündigt hat, mit dem Einbehalt der rückständigen Beiträge in Höhe der Hälfte der laufenden Rentenzahlung zu beginnen, ist aufgrund ihrer Ausführungen im vorliegenden Verfahren als auch im Erörterungstermin am 10.11.2021 beim Sozialgericht nicht erkennbar, dass diese Absicht in die Tat umgesetzt wird. Da die Antragsgegnerin ihren Bescheid insoweit tatsächlich nicht vollzieht, bedarf es keiner gerichtlichen Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin, um die Antragstellerin vor Vollzugsfolgen zu bewahren.

 

Inwieweit etwaige Erstattungsansprüche der Antragstellerin gegenüber ihrer Krankenkasse verrechnet werden können, muss der Entscheidung in der Hauptsache vorbehalten bleiben. Es wird ergänzend darauf hingewiesen, dass in einem Hauptsacheverfahren der für die Antragstellerin zuständige Krankenversicherungsträger gemäß § 75 Abs. 2 SGG notwendig beizuladen ist (BSG, Urteil vom 18.7.2007 – B 12 R 21/06 R – juris Rn. 13).

 

Auch im Hinblick auf die geforderte Erstattung der von der Antragsgegnerin vom 1.4.2017 bis 31.7.2021 zu Unrecht gezahlten Zuschüsse zur freiwilligen Krankenversicherung kann der Senat Rechtsfehler des Bescheides vom 3.8.2021 nicht erkennen.

 

Rechtsgrundlage für die Abänderung der vorangegangenen Rentenbescheide, in denen der Antragstellerin ein Zuschuss zu einer freiwilligen Krankenversicherung gewährt worden war, bildet § 108 Abs. 2 Satz 1 SGB VI. Sind danach die Anspruchsvoraussetzungen für den Zuschuss zu den Aufwendungen für die freiwillige gesetzliche Krankenversicherung entfallen, weil die Krankenkasse rückwirkend eine Pflichtmitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung festgestellt hat, ist der Bescheid über die Bewilligung des Zuschusses vom Beginn der Pflichtmitgliedschaft an aufzuheben. Nach § 108 Abs. 2 Satz 3 SGB VI sind dabei die Vorschriften zur Anhörung Beteiligter (§ 24 SGB X), die Vorschriften zur Rücknahme eines rechtswidrig begünstigten Verwaltungsaktes (§ 45 SGB X) und die Vorschriften zur Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung bei Änderung der Verhältnisse (§ 48 SGB X) nicht anzuwenden.

 

Nach der für die Antragsgegnerin verbindlichen Meldung der zuständigen Krankenkasse vom 25.11.2020 bestand für die Antragstellerin seit 1.4.2017 eine Pflichtmitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung. Damit waren ab diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen für den Zuschuss zu den Aufwendungen der Antragstellerin für eine freiwillige gesetzliche Krankenversicherung entfallen, so dass die Antragsgegnerin gemäß § 108 Abs. 2 Satz 1 SGB VI verpflichtet war, die Erstattung der gezahlten Zuschüsse von der Antragstellerin zu fordern. Ermessen ist insoweit nicht eröffnet.

 

Nach alledem liegen die Voraussetzungen für eine Entscheidung des Senats, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin anzuordnen, nicht vor, so dass die Beschwerde der Antragstellerin zurückzuweisen ist.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG.

 

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.

 

Rechtskraft
Aus
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