L 1 KR 425/14 KL

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 425/14 KL
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 1 KR 15/22 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Das berechtigte Interesse an baldiger Feststellung nach § 55 Abs. 1 SGG fehlt bei einer Feststellungsklage gegen eine untergesetzliche Norm, wenn die belastenden Regelungen aktuell nicht Anwendung finden und ungewiss ist, ob sie zu einem noch über ein Jahr in der Zukunft liegenden Zeitraum unverändert Geltung beanspruchen werden.

Die Klagen werden abgewiesen.

 

Die Klägerinnen haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

 

Im Streit ist die „Richtlinie über Maßnahmen zur Qualitätssicherung der Versorgung von Früh- und Reifgeborenen gemäß § 136 Abs. 1 Nr. 2 Sozialgesetzbuch SGB V in Verbindung mit § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 13 SGB V“ (Qualitätssicherungs-Richtlinie Früh- und Reifgeborene /QFR-RL; in der Fassung vom 20. September 2005 veröffentlicht im Bundesanzeiger 2005 [S. 15 684] in Kraft getreten am 1. Januar 2006, zuletzt wirksam geändert am 16. September 2021, veröffentlicht im Bundesanzeiger [BAnz AT 17.11.2021 B4] in Kraft getreten am 1. Dezember 2021). Die QFR-RL trug zum Zeitpunkt der Klageeinreichung noch die Bezeichnung „Richtlinie über Maßnahmen zur Qualitätssicherung der Versorgung von Früh- und Reifgeborenen gemäß § 137 Abs. 1 Nr. 2 SGB V in Verbindung mit § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 13 SGB V“.

 

Im Wesentlichen wenden sich die Klägerinnen gegen mit Wirkung ab 1. Januar 2014 neu festgesetzte Pflegepersonalschlüssel.

 

Der Beschluss des Beklagten vom 20. Juni 2013 änderte – unter Neufassung des Titels – die bisherige „Vereinbarung über Maßnahmen zur Qualitätssicherung der Versorgung von Früh- und Neugeborenen“ (zuletzt geändert am 20. August 2009 [BAnz AT 24.12.2009 V 195] ab.

 

In dieser Fassung sah er in der Anlage 2 unter I.2.2 folgendes vor:

 

I.2.2. Pflegerische Versorgung

Der Pflegedienst der neonatologischen Intensivstation der Einrichtung muss aus Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerinnen oder Gesundheits- und Kinderkrankenpflegern bestehen.

40 Prozent der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Pflegedienstes (bezogen auf Vollzeitäquivalente) müssen eine Fachweiterbildung im Bereich „Pädiatrische Intensivpflege“ gemäß der Empfehlung der Deutschen Krankenhausgesellschaft („DKG-Empfehlung zur Weiterbildung für Krankenpflegepersonen in der Intensivpflege“ vom 11. Mai 1998 oder „DKG-Empfehlung zur Weiterbildung von Gesundheits- und (Kinder-)Krankenpflegekräften für die pflegerischen Fachgebiete Intensivpflege, Funktionsdienste, Pflege in der Onkologie, Nephrologie und Psychiatrie“ vom 20. September 2011) oder einer gleichwertigen landesrechtlichen Regelung abgeschlossen haben. Die DKG gibt zur Gleichwertigkeit der einzelnen landesrechtlichen Regelungen jeweils eine Einschätzung ab. Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerinnen und Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger, die nicht über die oben genannte Fachweiterbildung verfügen, können bis zum 31. Dezember 2016 für die Berechnung des Anteils fachweitergebildeter Kräfte berücksichtigt werden, wenn sie über mindestens fünf Jahre Erfahrung in der Pädiatrischen Intensivpflege verfügen.

In jeder Schicht soll eine Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin oder ein Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger mit Fachweiterbildung im Bereich „Pädiatrische Intensivpflege“ eingesetzt werden.

Im neonatologischen Intensivtherapiebereich eines Perinatalzentrums Level 1 muss ab dem 1. Januar 2017 jederzeit mindestens ein Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger oder eine Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin je intensivtherapiepflichtigem Frühgeborenen verfügbar sein; bis zum 1. Januar 2017 kann das Krankenhaus unter zu begründenden Umständen davon abweichen.

Im neonatologischen Intensivüberwachungsbereich muss ab dem 1. Januar 2017 jederzeit mindestens ein Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger oder eine Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin je zwei intensivüberwachungspflichtigen Frühgeborenen verfügbar sein; bis zum 1. Januar 2017 kann das Krankenhaus unter zu begründenden Umständen davon abweichen.

Als Mindestanforderung gilt, dass das Perinatalzentrum qualifiziertes Personal (Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger oder Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerinnen – unabhängig von Fachweiterbildung bzw. spezieller Erfahrung) in ausreichender Zahl vorhalten muss, um den Pflegebedarf der tatsächlich intensivpflegerisch betreuten Früh- und Reifgeborenen zu decken.

Die Stationsleitung hat einen Leitungslehrgang absolviert.

 

Entsprechende Regelungen enthielt die Anlage 2 unter II. 2.2. für die Perinatalzentren Level 2.

 

Die Klägerinnen betreiben zugelassene Krankenhäuser. Sie stehen überwiegend in staatlicher oder kirchlicher Trägerschaft.

 

Am 6. November 2014 haben die Klägerinnen zu 1) bis 8) Klage beim hiesigen Gericht erhoben.

 

Mit Beschluss vom 15. Dezember 2016 (BAnz AT 01.03.2017 B1, in Kraft ab 2. März 2017) hat der Beklagte unter anderem Änderungen in der Anlage II in Nr. I. 2. 2 und II 2. 2 der QFR-RL vorgenommen:

 

Auf der neonatologischen Intensivstation eines Perinatalzentrums müssen danach ab dem 1. Januar 2017 jederzeit mindestens eine Kinderkrankenpflegerin oder -krankenpfleger je intensivtherapiepflichtigem Frühgeborenen mit einem Geburtsgewicht von unter 1500 Gramm verfügbar sein. Bei der Intensivüberwachung gilt ein Schlüssel von eins zu zwei. 40 beziehungsweise 30 Prozent der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Pflegedienstes müssen außerdem eine Fachweiterbildung im Bereich „Pädiatrische Intensivpflege“ abgeschlossen haben.

Perinatalzentren, die diese Vorgaben nicht erfüllen haben, haben allerdings hiervon längstens bis zum 31. Dezember 2019 nach erfolgter Mitteilung abweichen können. Folge der Mitteilung ist die Einleitung eines „klärenden Dialogs“ mit dem Ziel des Abschlusses einer konkreten Zielvereinbarung auf Landesebene.

 

Diese Meldemöglichkeit für Perinatalzentren, die die Anforderungen an die pflegerische Versorgung auf ihrer Intensivstation nicht erfüllen, ist durch den weiteren Beschluss vom 16. Februar 2017 mit Inkrafttreten am 3. Mai 2017 (BAnz AT 02.05.2017 B2) in eine Verpflichtung umgewandelt worden, dies unter Angabe der konkreten Gründe unverzüglich mitzuteilen.

 

Mit Beschluss vom 18. Mai 2017, in Kraft getreten am 24. August 2017 (BAnz AT 23.08.2017 B1) hat der Beklagte „Vorgaben zur schichtbezogenen Dokumentation und Ausgestaltung des klärenden Dialogs“ aufgestellt, und dabei in den neuen § 8 und § 9 QFR-RL die Einzelheiten des „Klärenden Dialogs“ festgesetzt, insbesondere zur Zielvereinbarung und zur Vorgehensweise bei sich abzeichnender Nichterfüllung der Personalanforderungen (§ 8 Abs. 6 bis 9 QFR-RL).

 

Mit Schriftsatz vom 26. März 2019 sind die Klägerinnen zu 9) bis 12) der Klage beigetreten.

 

Nachdem der Beklagte bereits in einer Pressemitteilung am 20. Juni 2019 erklärt hatte, die Übergangsregelungen zu den Personalvorgaben zu verlängern, hat er mit Beschluss vom 19. September 2019 Änderungen in §§ 1, 6, 8, 10 und 11 sowie in der Anlage 2 verabschiedet, die zum 1. Januar 2020 in Kraft getreten sind (BAnz AT 20.12.2019 B7). Konkret ist ein neuer § 12 „Ausnahmetatbestände“ in die Richtlinie aufgenommen und ferner in § 13 eine neue Übergangsregelung eingeführt worden. Außerdem ist neben inhaltlicher Erweiterung des Kreises akzeptierter Pflegekräfte ein Abweichen nunmehr bis zum 31. Dezember 2021 erlaubt worden (jeweils neuer Abs. 12 der Anlage 2 Nr. I.2.2 und der Nr. II.2.2 QFR-RL).

 

Zum 1. Dezember 2021 sind Änderungen aufgrund des Beschlusses des Beklagten vom 16. September 2021 in Kraft getreten (BAnz AT 17.11.2021 B4). Dort ist zum einen die individuelle Frist, die bis zur Erfüllung der im klärenden Dialog definierten Ziele vereinbart werden kann, auf den 31. Dezember 2022 verlängert worden (§ 8 Abs. 6 der Richtlinie). Zum anderen ist auch in der Anlage II in Nr. I.2.2 Abs. 12 und II.2.2 Abs. 12 jeweils die Angabe „31. Dezember 2021“ durch die Angabe „31. Dezember 2022“ ersetzt worden.

 

Am 2. Dezember 2021 hat der Beklagte schließlich beschlossen, die daneben bestehenden Ausnahmen von Mindestanforderungen an das Personal aufgrund der Covid 19-Pandemie in § 12 Abs. 3 und 4 der QFR-RL bis zum 31. März 2022 zu verlängern.

 

Die aktuell geltende Richtlinie hat auszugsweise folgenden Wortlaut:

 

 

§ 12 Ausnahmetatbestände

(1) Die Krankenhäuser können von den Mindestanforderungen im Sinne von § 1 Absatz 2 und § 2 der Richtlinie in Verbindung mit Anlage 2 Nummer I.2.2 Absatz 5 und 6 und Nummer II.2.2 Absatz 5 und 6 abweichen:

1. bei krankheitsbedingten Personalausfällen, die über das übliche Maß (mehr als 15 Prozent des in der jeweiligen Schicht mindestens vorzuhaltenden Personals) hinausgehen oder

2. bei unvorhersehbarem Zugang von mehr als zwei Frühgeborenen mit einem Geburtsgewicht von unter 1500 g innerhalb einer Schicht.

Die Krankenhäuser haben die Mindestanforderungen unverzüglich, spätestens jedoch zu Beginn der nach Ablauf von 48 Stunden beginnenden Schicht wieder zu erfüllen.

(2) Die Krankenhäuser sind verpflichtet, das Vorliegen der Voraussetzungen eines Ausnahmetatbestandes nach Absatz 1 unverzüglich den zuständigen Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen nachzuweisen und in der Strukturabfrage anzugeben.

(3) Die Mindestanforderungen im Sinne von § 1 Absatz 2 und § 2 der Richtlinie in Verbindung mit Anlage 2 Nummer I.2.2 Absatz 2 bis 6 und Nummer II.2.2 Absatz 2 bis 6 finden bis zum 30. September 2021 keine Anwendung, wenn es als Folge von Pandemien, Epidemien oder vergleichbaren Ereignissen zu

1. kurzfristigen krankheits- oder quarantänebedingten in unabdingbaren Sonderfällen höchster Patientenauslastung eines Krankenhauses, die durch anderweitigen Personaleinsatz nicht anders abgefangen werden können, auch nothilfebedingten Personalausfällen oder

2. starken Erhöhungen der Patientenzahlen kommt, die in ihrem Ausmaß über das übliche Maß hinausgehen und einen flexiblen Personaleinsatz erfordern.

(4) Die Vorgaben zur Dokumentation in Anlage 2 Nummer I.2.2. Absatz 9 sowie Nummer II.2.2 Absatz 9 finden bis zum 30. September 2021 keine Anwendung.

 

§ 13 Übergangsregelung

Für die in Anlage 2 Nummer I.2.2 Absatz 5 und 6 sowie Nummer II.2.2 Absatz 5 und 6 geregelten Mindestanforderungen gelten die folgenden gestuften Übergangsregelungen:

1. In der Zeit vom 1. Januar 2020 bis zum 31. Dezember 2022 müssen die in Anlage 2 Nummer I.2.2 Absatz 5 und 6 sowie Nummer II.2.2 Absatz 5 und 6 geregelten Mindestanforderungen lediglich in Höhe von 90 Prozent von den Krankenhäusern erfüllt werden.

2. In der Zeit vom 1. Januar 2023 bis zum 31. Dezember 2023 müssen die in Anlage 2 Nummer I.2.2 Absatz 5 und 6 sowie Nummer II.2.2 Absatz 5 und 6 geregelten Mindestanforderungen lediglich in Höhe von 95 Prozent von den Krankenhäusern erfüllt werden.

3. Ab dem 1. Januar 2024 müssen die in Anlage 2 Nummer I.2.2 Absatz 5 und 6 sowie Nummer II.2.2 Absatz 5 und 6 geregelten Mindestanforderungen zu 100 Prozent von den Krankenhäusern erfüllt werden.

 

Anlage 2

 

I.2.2

(12) Perinatalzentren, die die Anforderungen an die pflegerische Versorgung in Nummer I.2.2 nach dem 1. Januar 2017 nicht erfüllen, teilen dies unter Angabe der Gründe dem G-BA unverzüglich mit. Sie dürfen nach erfolgter Meldung bis zum 31. Dezember 2022 von diesen Anforderungen abweichen.

(13) Mit diesen Krankenhäusern wird ein gesonderter, klärender Dialog gemäß § 8 geführt.

 

II.2.2

(12) Perinatalzentren, die die Anforderungen an die pflegerische Versorgung in Nummer II.2.2 nach dem 1. Januar 2017 nicht erfüllen, teilen dies unter Angabe der Gründe dem G-BA unverzüglich mit. Sie dürfen nach erfolgter Meldung bis zum 31. Dezember 2022 von diesen Anforderungen abweichen.

(13) Mit diesen Krankenhäusern wird ein gesonderter, klärender Dialog gemäß § 8 geführt.

 

Zur Klagebegründung haben die Klägerinnen ausgeführt, nichts dagegen zu haben, die Besetzungsstärke der Pflegekräfte in Neonatologischen Intensivstationen weiter zu erhöhen. Sie wehrten sich jedoch gegen eine unverhältnismäßige Überregulierung, welche eine Vorhersehbarkeit der geschaffenen Regelungen vermissen lasse und Rechtsunsicherheit produziere.

 

Die Klage sei als sogenannte Normenfeststellungsklage zulässig. Die streitgegenständlichen Strukturvorgaben verpflichteten sie normativ unmittelbar. Den Klägerinnen, die sämtlich zugelassene Plankrankenhäuser mit anerkannten Perinatalzentren Level 1 seien, sei nicht zuzumuten, die Einschränkung ihres Versorgungsauftrages und ihrer Teilnahmebefugnis erst nach einer Leistungserbringung im Einzelfall klären zu können. Sie beriefen sich auf §§ 108 i. V. m. 137 Abs. 1 SGB V (in der Fassung vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform der Strukturen der Krankenhausversorgung vom 10. Dezember 2015 - KHSG – [BGBl. I S. 2229] mit Wirkung vom 1. Dezember 2016; nachfolgend: SGB V alte Fassung = „SGB V a. F.“) als einfachrechtliche Normen und auf ihre durch Art. 3 Abs. 1, 12 Abs. 1 Grundgesetz (GG) verfassungsrechtlich geschützten Belange.

Die Klägerinnen zu 1), 2) und 7) hätten als Träger bzw. Gesellschafter Einrichtungen der Religionsgemeinschaften.

Für das Feststellungsinteresse müssten (nur) die Anforderungen an die gegenwärtige Betroffenheit erfüllt sein, welche das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) aufstelle (Bezugnahme auf BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 6. Oktober 2016 -1 BvR 292/16).

 

In den neonatologischen Intensivstationen könnten die Anforderungen aufgrund fehlenden Fachpersonals und zugleich wegen fehlender Finanzierung nicht erfüllt werden, wie dies auch eine repräsentative Befragung des Deutschen Krankenhausinstituts festgestellt habe.

 

Die streitgegenständlichen Regelungen verstießen nicht nur gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, sondern auch gegen den Grundsatz, dass Unmögliches nicht verlangt werden dürfe (ultra posse nemo obligatur). Das Problem der Kliniken, nämlich den durch die Pflegeschlüssel ausgelösten Mehrbedarf von mindestens 2500 Vollzeitstellen für ausgebildetes Kinderkrankenpflegepersonal, blende der Beklagte vollständig aus. Die Berichte zum „klärenden Dialog“ für 2019 belegten erneut die Unmöglichkeit einer Erfüllung der Vorgaben und eine massive Gefährdung der Versorgung. Aus der Stellungnahme der Bayerischen Krankenhausplanungsbehörde für den „Bericht über den klärenden Dialog“ vom 31. Januar 2018 ergebe sich, dass sich insbesondere in den Ballungsgebieten bereits Versorgungsengpässe bemerkbar machten, die dazu führten, dass eine nicht unbeachtliche Anzahl von Patienten von den Perinatalzentren abgelehnt bzw. verlegt werden müsste. In der Plenumssitzung des Beklagten am 20. Juni 2019 sei berichtet worden, dass Perinatalzentren trotz aktueller Übergangsregelung geschlossen hätten werden müssen bzw. Aufnahmesperren erfolgt seien. Ein Grund hierfür sei insbesondere, dass einige Versicherungsunternehmen ihre Deckungszusage bei Nichteinhaltung der grundsätzlich geltenden Pflegeschlüssel des Beklagten auch dann verneinten, wenn Krankenhausträger die Übergangslösung gewählt hätten und sich im sogenannten „klärenden Dialog“ befänden. Auch eine Simulationsstudie des RWI-Leibnitz-Instituts für Wirtschaftsforschung komme zu dem Ergebnis, dass die Vorgaben unrealistisch seien.

 

Der Beklagte könne sich weiter nicht auf einen angeblich seit zehn Jahre geltenden Standard berufen. Die Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für pränatale Medizin vom 20. September 2005 – das so genannte Bauer-Papier – habe nur Empfehlungscharakter gehabt und zudem andere Versorgungsstufen vorausgesetzt.

 

§ 5 Abs. 3c letzter Satz Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) in der Fassung des Krankenhausstrukturgesetzes nehme ausdrücklich die hier streitgegenständlichen Pflegeschlüssel als die „zum 1.Januar 2014 in Kraft getretenen zusätzlichen Anforderungen der Qualitätssicherung-Richtlinie Früh- und Reifgeborene des Gemeinsamen Bundesausschusses“ in Bezug. In den Gesetzesmaterialien (BT-Drs. 18/5372 S. 65f) werde recht unverblümt darauf hingewiesen, dass durch die zusätzlichen Vorgaben zur Strukturqualität in der Richtlinie für die Versorgung von Früh- und Neugeborene eine Konzentration der Leistungserbringung auf bestimmte Krankenhäuser erreicht werden solle. Die Kompensation von Mehrkosten durch Personalaufstockungen laufe bis heute ins Leere. Die vom Gesetzgeber hierfür zwingend vorgesehenen Regelungen der Vertragspartner auf Bundesebene (§ 9 Abs. 1a Nr. 1 KHEntgG) lägen bislang nicht vor.

 

Die vom Beklagten berücksichtigten Studien seien nicht belastbar. Hingegen habe er ausweislich der Tragenden Gründe die Studie Tucker et al. (Lancet 2002) nicht berücksichtigt, wonach es gerade keinen Zusammenhang zwischen der risikoadjustierten Mortalität und der Personalbesetzung gebe. Auch sei die Studie von Sherenian et al. (2013) unberücksichtigt geblieben, wonach die meisten Frühgeborenenstationen in Großbritannien die Pflegeschlüssel-Empfehlungen der britischen Fachgesellschaft nicht erfüllten. Die vom Beklagten herangezogenen Studien böten keine Evidenz für die streitgegenständlichen Pflegeschlüssel. Dies habe auch die zum Beklagten gehörende Abteilung Fachberatung Medizin in ihrer Stellungnahme vom 30. Dezember 2012 (Anl. 16 der sogenannten Normsetzungsdokumentation) ausgeführt. Die Fachberatung Medizin habe in ihrer Stellungnahme die Studien von Sink und Hamilton mit deutlichen Worten in Zweifel gezogen. Die Studien von Hamilton und Rogowski machten zudem deutlich, dass es sich bei den britischen und US-amerikanischen Empfehlungen der jeweiligen Fachgesellschaften nicht um zwingende Mindeststandards handele, sondern um politische best-practice-Empfehlungen. Am Ende der Studie von Rogowski wiesen die Autoren zudem darauf hin, dass selbst in einigen der besten NICUs (NICU = „neonatal intensive care unit“) die Besetzung mit Pflegekräften nicht den Empfehlungen entspreche.

 

Die Normsetzungsbefugnis des Beklagten für die streitgegenständlichen Pflegeschlüssel sei spätestens durch Einführung des § 137i SGB V durch das Gesetz vom 17. Juli 2017 entfallen. Der Gesetzgeber habe die Regelung von Mindestvorgaben für die Pflegepersonalausstattung im stationären Bereich zum Zwecke einer einheitlichen abgestimmten Gesamtregelung alleine den Vertragsparteien nach § 137i Abs. 1 S. 1 SGB V zugewiesen. Auch die Ausnahmeregelung nach § 137i Abs. 1 S. 6 i. V. m. § 136 Abs. 2 S. 2 SGB V lasse es als zwingend erscheinen, die Regelung von Mindestpflegeschlüsseln (jedenfalls in pflegesensitiven Bereichen) im Übrigen exklusiv den Selbstverwaltungspartnern zu überlassen.

 

Zudem sei die Flut von Beschlüssen des Beklagten eine Zumutung für die Versorgungspraxis und demotiviere das ärztliche und pflegerische Personal, das teilweise monatlich mit neuen (Dokumentations-) Anforderungen konfrontiert werde, häufig auch rückwirkend.

 

Aufgrund Anl. 2 I/ II.2. 2 Abs. 7 der Richtlinie ergäbe sich ein kompletter Ausschluss eines Perinatalzentrums aus der Versorgung spätestens im Zuge der jährlichen „Pflegesatzverhandlungen“ sowie ein kompletter Wegfall der Vergütungsansprüche bei nur partieller Nichterfüllung. Die genannten überaus harten Sanktionen würden bereits dann ausgelöst, wenn a) der Umsetzungsgrad der strikten Pflegeschlüssel auf das Jahr betrachtet unter 95 % liege oder wenn b) der Personalschlüssel in mehr als zwei aufeinanderfolgenden Schichten nur einmal im Jahr nicht erfüllt sei. Wenn das Ausschlusskriterium b) vorliege, sei es unerheblich, ob das Perinatalzentrum im Übrigen einen Umsetzungsgrad von 95 % oder mehr nachweise. Nach der aktuellen Fassung der QFR-RL müssten die realitätsfernen Personalvorgaben ab 1. Januar 2023 zu 95% und ab 1. Januar 2024 zu 100% erfüllt sein.

Es werde vorsorglich klargestellt, dass mit der sprachlichen Zusammenfassung des Antrages keine Teilklagerücknahme erfolgen solle.

 

Die Klägerinnen beantragen:

 

Es wird festgestellt, dass der zur Qualitätssicherungs-Richtlinie Früh- und Reifgeborene ergangene Beschluss des Beklagten vom 20. Juni 2013, zuletzt geändert mit Beschluss des Beklagten vom 16. September 2021, rechtswidrig und somit nichtig ist, soweit die folgenden Regelungen betroffen sind:

 

Anlage 2

I.2.2

„(5) Auf der neonatologischen Intensivstation eines Perinatalzentrums Level 1 muss ab dem 1. Januar 2017 jederzeit mindestens ein Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger oder eine Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin je intensivtherapiepflichtigem Frühgeborenen mit einem Geburtsgewicht < 1500 g verfügbar sein.

(6) Auf der neonatologischen Intensivstation muss ab dem 1. Januar 2017 jederzeit mindestens ein Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger oder eine Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin je zwei intensivüberwachungspflichtigen Frühgeborenen mit einem Geburtsgewicht < 1500 g verfügbar sein.“

II. 2.2

„(5) Auf der neonatologischen Intensivstation eines Perinatalzentrums Level 2 muss ab dem 1. Januar 2017 jederzeit mindestens ein Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger oder eine Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin je intensivtherapiepflichtigem Frühgeborenen mit einem Geburtsgewicht < 1500 g verfügbar sein.

(6) Auf der neonatologischen Intensivstation muss ab dem 1. Januar 2017 jederzeit mindestens ein Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger oder eine Gesundheits-und Kinderkrankenpflegerin je zwei intensivüberwachungspflichtigen Frühgeborenen mit einem Geburtsgewicht < 1500 g verfügbar sein.

 

Der Beklagte beantragt,

 

die Klage abzuweisen.

 

Er hat ausgeführt, die Vorgaben für die Personalausstattung seien seit vielen Jahren der durch eine nationale Leitlinie empfohlene wissenschaftliche Standard. Nach den „Empfehlungen für die strukturellen Voraussetzungen der Perinatalversorgung in Deutschland“ vom 20. September 2005 der Deutschen Gesellschaft für perinatale Medizin (DGPM) unter Beteiligung sämtlicher relevanter medizinischer Fachgesellschaften sei seit dem 1. Januar 2006 als medizinisch-wissenschaftlicher Standard im Intensivtherapie Bereich ein Pflegeschlüssel von 1 : 1 und im Überwachungsbereich ein Pflegeschlüssel von 2 : 1 sicherzustellen. Der aufgeführte Pflegeschlüssel von 3 : 1 pro Bett auf einer 24-Stunden-Basis entspreche im Wesentlichen bereits einem Pflegeschlüssel von 1 : 1, der im Rahmen des üblichen Dreischichtensystems den Einsatz von drei Pflegekräften erfordere. Dieser allgemein anerkannte medizinisch-wissenschaftliche Standard sei durch eine aktuelle S1-Leitlinie der DGPM (AWMF-Registernummer 087-001) inhaltlich nochmals konkretisiert und im Ergebnis vollumfänglich bestätigt worden. Zusätzliches Gewicht komme dieser Leitlinienempfehlung durch die Empfehlung der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention am Robert-Koch-Institut aus dem Jahr 2007 zu.

 

Unter Berücksichtigung der Einhaltung dieser Standards in den Level-1-Kliniken seien entsprechende Kosten der Personalausstattung über die Kalkulation bereits fester Bestandteil des DRG-Vergütungssystems in Höhe der Ist-Kosten geworden. Auch die streitgegenständlichen Vorgaben zur Weiterbildung seien vom Kostenansatz bereits vollständig im DRG-System abgebildet. Bereits in der zum 1. Januar 2006 in Kraft getretenen Vorläuferregelung „Vereinbarung über Maßnahmen zur Qualitätssicherung der Versorgung von Früh- und Neugeborenen“ vom 20. September 2005 sei durch den Beklagten vorgegeben worden, dass in den Level-1-Kliniken bei einem Anteil von mindestens 40 % der Pflegekräfte eine Fachweiterbildung im Bereich Pädiatrische Intensivpflege sicherzustellen sei. Übergangsweise könne bis zum 31. Dezember 2015 bzw. nach nochmaliger Verlängerung bis zum 31. Dezember 2016 eine entsprechende Anrechnung von Personal mit mindestens fünfjähriger Berufserfahren erfolgen. Demnach müsste erforderlicher Weiterbildungsbedarf zwingend in erheblichem Umfang spätestens in den Jahren zwischen 2010 bis 2013 angefallen sein. Dieser Bedarf sei als Teil der Kosten der medizinischen Infrastruktur (Aus-, Fort- und Weiterbildung) im Rahmen des DRG-Vergütungssystems in Höhe der Ist-Kosten vollständig abgebildet. Ein mit den vorliegenden Klagen verbundenes wirtschaftliches Interesse könne aus diesen Vorgaben nicht hergeleitet werden. Nach eigenen Angaben der Klägerin erfüllten diese bereits seit einem Zeitraum von 10 Jahren die geltenden Vorgaben für die Personalausstattung. Es fehlten konkrete Angaben für den vorgegebenen behaupteten sprunghaften Anstieg des Personalbedarfs. Diesen könnten die Klägerinnen ohne weiteres aufgrund der im Rahmen der jährlichen Budgetverhandlungen mit den Kostenträgern vorzulegenden Nachweise der Personalausstattung hier vorlegen.

 

Die Abteilung Fachberatung Medizin des Beklagten habe sämtliche von den Klägerinnen zitierten Studien bei ihrer Würdigung berücksichtigt, insbesondere auch diejenigen, die sich kritisch zum Zusammenhang zwischen Personalausstattung und Qualität äußerten. Sie komme zu dem Ergebnis, dass die Auswertung der Studien einen Zusammenhang zwischen der Anzahl und Qualifikation des Pflegepersonals und dem Versorgungsergebnis belege.

 

Rechtlicher Maßstab für die Bewertung der streitgegenständlichen Personalvorgaben zum Nachweis eines Zusammenhanges zwischen Anzahl und der Qualifikation des Pflegepersonals und der Ergebnisqualität sei nicht das Vorliegen einer Evidenz der höchsten Stufe im Sinne eines sogenannten Goldstandards. Vielmehr sei nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG; Urteil vom 18. Dezember 2012 – B1 KR 34/12 R) die nach wissenschaftlichen Maßstäben belegte Wahrscheinlichkeit für die Anerkennung eines Zusammenhangs zwischen Leistungsmenge und Ergebnisqualität auf den hier streitigen Nachweis des Zusammenhangs zwischen Anzahl und der Qualifikation des Pflegepersonals und der Ergebnisqualität zu übertragen. Diese Voraussetzungen lägen vor. Die streitgegenständlichen Personalvorgaben stellten ein ausgewogenes Gesamtsystem der angemessenen Steuerung der Ergebnisqualität dar.

 

Um die Umsetzung der Mindestquoten von Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerinnen und -pflegern mit abgeschlossener Fachweiterbildung im Bereich „pädiatrische Intensivpflege“ zu gewährleisten, sei bereits am 17. September 2015 beschlossen worden, dass Kinderkrankenpflegepersonal mit ausreichender Berufserfahrung in der neonatologischen Intensivpflege unter bestimmten Bedingungen dauerhaft für die Erfüllung der Mindestquoten angerechnet werden könne. Die Praxis habe gezeigt, dass diese Anerkennung eine solide Ausgangsbasis schaffe, die Mindestquoten umzusetzen.

 

Um die bisher fehlende Transparenz zum Stand der Umsetzung der Vorgaben der QFR-RL herzustellen, sei neben der Ausgestaltung des Verfahrens der standardisierten Strukturabfrage auch eine zunächst bis zum 31. Dezember 2019 befristete Möglichkeit eröffnet worden, sich bei absehbaren Problemen mit der Erfüllung der Personalvorgaben unmittelbar an den Beklagten zu wenden. Der Zeitraum werde aber auch dafür genutzt, Perinatalzentren, denen eine Erfüllung der Personalanforderungen nicht möglich sei, dabei zu unterstützen, die Vorgaben schnellstmöglich umzusetzen. In diesem Zeitpunkt sei ihnen ein Abweichen jedoch nur dann gestattet, wenn sie sich beim Beklagten unter Angaben der konkreten Gründe meldeten und bei der schnellstmöglichen Erfüllung der Personalanforderungen der Richtlinie durch die verbindliche Festlegung konkreter Zielvereinbarungen begleiten ließen. Mit diesen Perinatalzentren werde ein sogenannter „klärender Dialog“ auf Landesebene unter Leitung des verantwortlichen Gremiums nach § 14 Abs. 1 S. 1 der QSKH-Richtlinie geführt. Die Weiterentwicklung der Richtlinie im Beschluss vom 15. Dezember 2016 ermögliche ein ausgewogenes Miteinander des Forderns und der Förderung sowie die notwendige Implementierung eines Systems zur Transparenz hinsichtlich des tatsächlichen Standes der Umsetzung der Personalvorgaben.

 

Die Einführung der Personaluntergrenzen im Sinne von § 137i SGB V bezwecke nicht, abschließend das Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitsgebot für die von den Krankenhäusern zu Lasten der Krankenkassen erbrachten Versorgungsleistungen zu konkretisieren. § 137i SGB V regele auch keine Qualitätssicherung im Sinne von verbindlichen Mindestanforderungen gemäß § 136 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB V i. V. m. § 137 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 SGB V. Vielmehr sei dies eine in § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 13 SGB V geregelte Kernkompetenz des Beklagten. Dieser normative Befund werde auch durch den Verweis in § 137i Abs. 1 S. 6 SGB V bestätigt. Danach blieben die vom Beklagten festzulegenden Mindestvorgaben zur Personalausstattung nach § 136 Abs. 2 S. 2 SGB V unberührt. Daraus folgten lediglich die inhaltliche Beschränkung der von § 137i SGB V umfassten Bereiche, für die Personaluntergrenzen festgelegt werden könnten. Diese inhaltliche Beschränkung des § 137i SGB V sei für den Gesetzgeber offensichtlich angezeigt gewesen, da für den Beklagten bereits nach § 136 Abs. 2 SGB V der Regelungsauftrag zur Festlegung von verbindlichen Mindestvorgaben zur Personalausstattung bestanden habe.

 

Der Senat hat die auf https://perinatalzentren.org veröffentlichten Daten in das Verfahren eingeführt.

 

Auf die von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze und Unterlagen wird ergänzend Bezug genommen.

 

 

 

Entscheidungsgründe

 

Den Klagen muss Erfolg versagt bleiben.

 

I. Sie sind bereits unzulässig.

 

1. Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg ist für sie erstinstanzlich zuständig aufgrund des § 29 Abs. 4 Nr. 3 Alt. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

 

Die Zulässigkeit der gemeinsamen Klage als subjektiver Klagehäufung ergibt sich aus § 74 SGG in Verbindung mit § 59 Zivilprozessordnung (ZPO). Die Klägerinnen werden aus demselben rechtlichen Grund – der angegriffenen QFR-RL – verpflichtet (§ 59 ZPO). §§ 56, 54 SGG sind erfüllt. 

 

2. Die Klagen sind zwar als (Normen-) Feststellungsklagen statthaft.

 

Streitgegenstand ist das jeweilige Begehren der Klägerinnen festgestellt zu erhalten, dass die im Klageantrag im Einzelnen bezeichneten Teile der QFR-RL unwirksam sind.

 

Die Rechtsschutzgarantie des Art 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) gebietet es, die Feststellungsklage gegen untergesetzliche Rechtsnormen als statthaft zuzulassen, wenn die Normbetroffenen ansonsten keinen effektiven Rechtsschutz erreichen können, etwa, weil ihnen nicht zuzumuten ist, Vollzugsakte zur Umsetzung der untergesetzlichen Norm abzuwarten oder die Wirkung der Norm ohne anfechtbare Vollzugsakte eintritt (ständige Rspr. des BSG, vgl. Urt. v. 18. Dezember 2012, Rdnr. 11 mit Rechtsprechungsnachweisen und Bezugnahme auf BVerfG, BVerfGE 115, 81, 92 f und 95 f).

 

Für die Mindestmengenregelungen in § 137 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB V a. F. ist die Zulässigkeit der Feststellungsklage aus diesem Grund durch das BSG bereits geklärt (zuletzt Urteil vom 17. November 2015 – B 1 KR 15/15 R – Rdnr. 9 mit weiteren Nachweisen).

Wie die Mindestmengenregelungen sind auch die Richtlinien zur Qualitätssicherung des § 137 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB V in der bis Ende 2015 geltenden Fassung (SGB V a. F.) außenwirksame Normen im Range untergesetzlichen Rechts in Gestalt von Richtlinien nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 13 SGB V (BSG, Urteil vom 1. Juli 2014 – B 1 KR 15/13 R – Rdnr. 14 zur Richtlinie über Maßnahmen zur Qualitätssicherung für die stationäre Versorgung bei der Indikation Bauchaortenaneurysma [= QBAA-RL]). Ihre Einhaltung ist unmittelbar Voraussetzung, um die Behandlung der Neugeborenen auf Kosten der gesetzlichen Krankenkasse vornehmen zu dürfen.

 

3. Soweit die Klägerinnen ihre Feststellungsklage auf die Vergangenheit bezogen wissen wollen, fehlt es aber an einem berechtigten Interesse an baldiger Feststellung (§ 55 Abs. 1 Hs. 2 SGG).

 

Seit März 2017 und bis zum maßgeblichen aktuellen Zeitpunkt gibt es für die Klägerinnen auch nach eigenem Vorbringen keine unzumutbaren Belastungen mehr, weil die Mindestpersonalvorgaben seit über vier Jahren suspendiert sind. Der Beklagte hat bereits mit Wirkung ab 2. März 2017 die Regelung in die QFR-RL eingeführt, dass die Perinatalzentren von den Mindestanforderungen abweichen können, wenn sie dies unter Angaben von Gründen melden. Aktuell ist dies in Absatz 12 der Anlage 2 Nr. I.2.2 und Nr. II 2.2 QFR-RL geregelt („Perinatalzentren, die die Anforderungen an die pflegerische Versorgung in Nummer I.2.2 nach dem 1. Januar 2017 nicht erfüllen, teilen dies unter Angabe der Gründe dem G-BA unverzüglich mit. Sie dürfen nach erfolgter Meldung bis zum 31. Dezember 2022 von diesen

Anforderungen abweichen.“).

 

Für Situationen nicht planbarer Krankheitsausfälle beim Personal und auch bei unerwarteten Zugängen von Frühchen ermöglichen zudem die §§12f QFR-RL auch abgesehen der (Corona-)Pandemiebedingten Engpässen vorübergehend Ausnahmen von den strikten Mindestpersonalvorgaben.

 

Aufgrund dieser veränderten Rechtslage haben die in Parallelverfahren klagenden Krankenhäuser Erledigung erklärt.

 

Ein Regressinteresse ist bezogen auf die Vergangenheit nicht ersichtlich. Es gibt keinen Vortrag, der einen Schaden der Klägerinnen begründen könnte. Diese haben auch nicht geäußert, ein Regressverfahren anstrengen oder Folgeansprüche geltend machen zu wollen.

 

Auch von einer Wiederholungsgefahr ist nicht auszugehen. Es fehlt jedenfalls am Erfordernis der denkbaren Wiederholung bei einer im wesentlichen unveränderten Sachlage:

 

Ein berechtigtes Interesse an der Feststellung unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr setzt die hinreichend bestimmte (konkrete) Gefahr voraus, dass unter im wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen ein gleichartiger Rechtsakt erfolgen wird (BSG, Urteil vom 20. Mai 1992 – 14a/6 RKa 29/89 –, juris-Rdnr. 14 mit Bezugnahme u. a. auf Bundesverwaltungsgericht [BVerwG] 1990, 360 Beschluss vom 16. Oktober 1989 – 7 B 108/89 –, juris-Rdnr. 5 jeweils zu erledigtem Verwaltungsakt).

 

Selbst wenn die Regelungen in §§ 12f QFR-RL nicht über den 31. Dezember 2022 hinaus verlängert werden sollten, hat sich und wird sich alleine aufgrund der verstrichenen Zeit und mittlerweile etlichen Jahren des „klärenden Dialogs“ die Situation geändert haben und wird sich auch weiter wandeln. Angesichts der zahlreichen Anpassungen der QFR-RL durch den Beklagten ist zudem nicht hinreichend sicher zu erwarten, dass dieser weitere notwendige Übergangsregelungen nicht mehr vornehmen wird. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass dieser weiterhin die Informationen, die ihm im Rahmen des „klärenden Dialogs“ zugeliefert werden, auswerten und die daraus gewonnenen Erkenntnisse berücksichtigen wird. Derzeit ist die Klage zur Verhinderung der nur möglicherweise drohenden künftigen Regelung auch unter dem Aspekt der Gewährung effektiven Rechtsschutzes verfrüht.

 

Dasselbe Ergebnis ergibt sich auch unter Heranziehung der Grundsätze, welche für Normenkontrollverfahren nach § 47 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) gelten. Nach § 47 Abs. 2 S. 1 VwGO ist ein solches Verfahren wie auch nach § 55a Abs. 2 SGG unter anderem zulässig, wenn der Antragsteller geltend machen kann, dass die Norm ihn „in absehbarer Zeit“ in seinen Rechten verletzen wird. Eine absehbare Zeit in diesem Sinne ist anzunehmen, wenn die Anwendung der Norm hinreichend wahrscheinlich ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 03. November 1993 - 7 NB 3.93 – juris-Rdnr. 7); das ist der Fall, wenn die Rechtsverletzung nach den gegebenen Umständen bereits vorausgesehen werden kann, weil die Rechtsverletzung mit hinreichender Gewissheit für so nahe Zukunft droht, dass ein vorsichtig und vernünftig Handelnder sich schon jetzt zur Antragstellung entschließen darf (vgl. Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 29. April 2014 – 1 S 1458/12 –, juris-Rdnr. 35; Kopp/Schenke, VwGO, 20. Aufl., 2020, § 47 Rdnr. 60). Eine solche Situation liegt hier nicht vor.

 

Für ihre gegenteilige Rechtsauffassung können sich die Klägerinnen auch nicht auf die Anforderungen an die Zulässigkeitsvoraussetzung einer Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Bundesverfassungsgerichtsgesetz berufen.

 

Eine solche setzt die Behauptung einer Verletzung in Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten voraus als gegenwärtige und unmittelbare Betroffenheit. Gegenwärtig ist die Betroffenheit, wenn die angegriffene Vorschrift auf die Rechtsstellung aktuell und nicht nur virtuell einwirkt, wenn die Norm ihre Adressaten mit Blick auf ihre künftig eintretenden Wirkungen zu später nicht mehr korrigierbaren Entscheidungen zwingt oder wenn klar abzusehen ist, dass und wie die Beschwerdeführer in der Zukunft von der Regelung betroffen sein werden (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 06. Oktober 2016 -1 BvR 292/16 -, Rdnr. 18 juris). Im vorliegenden Fall ist hingegen - wie ausgeführt - noch ungewiss, welche konkreten Anforderungen sich die Klägerinnen ab 01. Januar 2023 ausgesetzt sehen werden.

 

4. Bezogen auf die aktuelle Regelungslage fehlt es am Zulässigkeitserfordernis einer Klagebefugnis bzw. jedenfalls am Rechtsschutzbedürfnis.

 

Die Zulässigkeit einer gegen eine untergesetzliche Norm gerichteten Feststellungsklage setzt voraus, dass die Kläger geltend machen können, durch die Norm möglicherweise in eigenen Rechten verletzt zu sein. Zur Vermeidung einer Popularklage ist auch bei der Feststellungsklage der Rechtsgedanke des § 54 Abs.1 S. 2 SGG heranzuziehen. Daher müssen bei einer zulässigen Rechtsverfolgung "eigene" Rechte oder zumindest "eigenrechtlich geschützte Belange" betroffen sein. Dies ist zu verneinen, wenn dem Betroffenen das geltend gemachte Recht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zustehen kann, das heißt die Möglichkeit einer Verletzung seiner subjektiven Rechte also nicht gegeben ist (BSG, Urteil vom 10. September 2020 – B 3 KR 11/19 R –, Rdnr. 20 mit Bezugnahme u. a. auf Urteil vom 27. Oktober 2009 - B 1 KR 4/09 R - BSGE 105, 1, Rdnr. 14; ähnlich –als Erfordernis des Vorliegens eines Feststellungsinteresses im Sinne eines berechtigten Interesses an der baldigen Feststellung des Inhalts des Rechtsverhältnisses-, Urteil vom 26. November 2020 - B 14 AS 47/18 R -, BSGE 131, 106, Rdnr. 23).

 

Die Klägerinnen sind ursprünglich in diesem Sinne klagebefugt gewesen.

 

Es war zunächst nicht ausgeschlossen, dass die inkriminierten Regelungen zu Mindestanforderungen an Anzahl und Qualifikation insbesondere des Pflegepersonals der QFR-RL sie in eigenen Rechten aus § 108 SGB V sowie – soweit die Klägerinnen nicht ganz oder überwiegend in der Trägerschaft des Staates stehen – aus Art. 19 Abs. 3 GG i. V. m. Art. 12 GG verletzen.

 

Zwar betrifft die Klage nicht direkt das mit der Zulassung nach § 108 SGB V verbundenen Recht, Krankenhausleistungen zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen zu erbringen (vgl. BSG, Urteil vom 17. November 2015 – B 1 KR 15/15 R – Rdnr. 10 zur Mindestmengenregelung). Die Personalanforderungen stellen jedoch indirekt die Teilnahme an der Vertragsversorgung in Frage, da nach § 2 QFR-RL (Voraussetzung der Leistungserbringung) die Krankenhäuser die Anforderungen für die jeweilige Versorgungsstufe erfüllen müssen, um die entsprechenden Leistungen erbringen zu dürfen. Nach § 1 Abs. 2 S. 2 QFR-RL ist Regelungsgegenstand die verbindlichen Mindestanforderungen an die Versorgung von bestimmten Schwangeren und von Früh- und Reifgeborenen in nach § 108 SGB V zugelassenen Krankenhäusern (vgl. zu § 3 Abs. 1 QBAA-RL: BSG, Urteil vom 1. Juli 2014 Rdnr. 12).

 

Zum maßgeblichen aktuellen Zeitpunkt gibt es aber keine unzumutbaren Belastungen, weil die Mindestpersonalvorgaben wie ausgeführt seit über vier Jahren suspendiert sind.

 

Eine Rechtsverletzung aufgrund des Verwaltungs- und Kostenaufwands, der mit den Meldungen und den Anforderungen des „klärenden Dialog“ verbunden ist, behaupten die Klägerinnen selbst nicht und ist auch nicht ersichtlich. Im Übrigen könnte sich hierauf als Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit allenfalls die in kirchlicher bzw. freier Trägerschaft stehenden Klägerinnen aus Art. 19 III, Art. 12 I GG berufen, nicht hingegen die Krankenhäuser mit staatlichen Eigentümern.

 

Eine einfachgesetzliche Regelung, als Leistungserbringer bzw. zugelassenes Vertragskrankenhaus Krankenhausleistungen möglichst ohne Unkosten erbringen zu können, ist nicht ersichtlich. So folgt aus der Verpflichtung eines Krankenhauses, Versicherte und deren Familienangehörige im Rahmen seiner Aufgabenstellung und Leistungsfähigkeit zu behandeln, im Gegenzug (nur) das Recht auf Vergütung (§§ 108, 109 SGB; vgl. Bockholdt in: Hauck/Noftz SGB V, § 109 Rdnr. 143).

 

Es fehlte derzeit – die Klagebefugnis dahingestellt - aus demselben Grund jedenfalls am Rechtsschutzbedürfnis.

 

Ein Rechtsschutzbedürfnis ist nämlich zu verneinen, wenn die begehrte Entscheidung die rechtliche oder wirtschaftliche Stellung des Klägers nicht verbessern würde (Böttiger in: Fichte/Jüttner, SGG, 3. Aufl. 2020, § 54 SGG [Klagebegehren], Rdnr. 27b; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG,13. Aufl. 2020 vor § 51 Rdnr.16a mit Rechtsprechungsnachweisen).

 

Die Klägerinnen haben aktuell keinen Vorteil von der begehrten Feststellung. Dass die Suspensierungsvorschriften möglicherweise nicht noch einmal verlängert werden, begründet – wie ausgeführt - kein schutzwürdiges Interesse.

 

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 VwGO.

 

III. Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.

 

Rechtskraft
Aus
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