B 2 U 12/20 R

Land
Bundesrepublik Deutschland
Sozialgericht
Bundessozialgericht
Sachgebiet
Unfallversicherung
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 16 U 31/16
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 4 U 619/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 12/20 R
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Gemeinnützige Körperschaften, die körperschaftsteuerpflichtige wirtschaftliche Geschäftsbetriebe unterhalten, sind insofern aufgrund des steuerakzessorischen Regelungskonzepts auch zum Lastenausgleich und zur Lastenverteilung in der gesetzlichen Unfallversicherung heranzuziehen.

2. Auch für den Erlass ausschließlich begünstigender Abgabenbefreiungsbescheide benötigen die Unfallversicherungsträger eine besondere gesetzliche Ermächtigung.

 

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 31. Juli 2020 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens.

Der Streitwert wird für das Revisionsverfahren auf 5000 Euro festgesetzt.

 

G r ü n d e :

I

 

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte die Freistellung des Klägers von den Anteilen zum Lastenausgleich und zur Lastenverteilung aufheben durfte und ihn über den 31.12.2013 hinaus von diesen Anteilen befreien muss.

 

2

Der Kläger betreibt einen Fußballverein. Nach seiner Neugründung im Jahr 2010 unterhielt er eine Erste Herrenmannschaft, eine Kinder- und Jugendabteilung sowie ein Bistro. Die Erste Herrenmannschaft spielte zunächst in der NRW-Liga und nach ihrem Aufstieg ab 2012/13 in der Regionalliga West. Das Finanzamt bescheinigte dem Kläger am 29.7.2010 zunächst insgesamt ‑ aber nur vorläufig ‑ die Gemeinnützigkeit, längstens 18 Monate ab Ausstellungsdatum. Aufgrund dessen befreite ihn die Beklagte von der Zahlung der Anteile zum Lastenausgleich sowie zur Lastenverteilung (Bescheid vom 9.8.2011) und setzte Beiträge für die Umlagejahre 2011 bis 2013 ohne diese Anteile fest (Beitragsbescheide vom 20.4.2012, 22.4.2013 und 22.4.2014).

 

3

Nachdem das Finanzamt dem Kläger für 2011 unter Berücksichtigung eines Freibetrags einen (Null‑)Bescheid über Körperschaftsteuer und Solidaritätszuschlag erteilt hatte, hob die Beklagte ihren Bescheid vom 9.8.2011 mit Wirkung ab 2014 auf und lehnte es zugleich ab, ihn über den 31.12.2013 hinaus von den Anteilen zum Lastenausgleich und zur Lastenverteilung zu befreien (Bescheid vom 12.11.2014; Widerspruchsbescheid vom 15.1.2016). Das SG hat die Klage abgewiesen, weil der Kläger einen grundsätzlich körperschaftsteuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb unterhalte und § 180 Abs 2 SGB VII insoweit nicht anwendbar sei (Urteil vom 12.4.2018). Die Berufung des Klägers hat das LSG zurückgewiesen (Urteil vom 31.7.2020): Nach Erlass des Körperschaftsteuerbescheids für 2011 im Jahr 2013 sowie nach Ablauf der Gültigkeitsdauer der vorläufigen Bescheinigung des Finanzamts sei die Freistellung wegen einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse aufzuheben. Die Befreiung gemeinnütziger Einrichtungen hänge von deren steuerrechtlichen Einordnung ab, weil das Unfallversicherungsrecht keinen eigenständigen Begriff der Gemeinnützigkeit kenne.

 

4

Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung materiellen Rechts (§ 180 Abs 2 SGB VII). Das SGB VII regele im Unterschied zum Steuerrecht die Gemeinnützigkeit einer Einrichtung nur einheitlich und enthalte an keiner Stelle eine Rückausnahme für die wirtschaftlichen Geschäftsbetriebe der Ersten Herrenmannschaft und des Bistros. Es sei deshalb nicht möglich, einen grundsätzlich gemeinnützigen Verein für abgrenzbare Abteilungen, die einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb führten, zu den Rentenlasten für Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten jenseits der Strukturlast heranzuziehen.

 

5

Der Kläger beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 31. Juli 2020 und des Sozialgerichts Köln vom 12. April 2018 sowie den Bescheid der Beklagten vom 12. November 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Januar 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihn auch über den 31. Dezember 2013 hinaus von seinen Anteilen am Lastenausgleich und zur Lastenverteilung zu befreien.

 

6

Die Beklagte, die dem angefochtenen Urteil beipflichtet, beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.

 

II

 

7

Die Revision ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Das LSG hat die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des SG zu Recht zurückgewiesen. Denn er kann weder beanspruchen, dass die Verwaltungsakte in dem Bescheid vom 12.11.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.1.2016 (§ 95 SGG) gerichtlich aufgehoben werden, noch verlangen, dass die Beklagte zum Erlass der abgelehnten Befreiung verpflichtet wird. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Freistellung von den Anteilen zum Lastenausgleich und zur Lastenverteilung ab dem 1.1.2014. Dieses Ziel kann er weder mit der isolierten Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 Var 1 SGG) noch mit der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 Var 1 und 3 SGG) erreichen.

 

8

A. Der Bescheid vom 12.11.2014 enthält zwei belastende Verwaltungsakte (§ 31 Satz 1 SGB X), wie die Auslegung ergibt, die auch dem Revisionsgericht obliegt (Senatsurteil vom 16.3.2021 ‑ B 2 U 7/19 R ‑ BSGE 131, 297 = SozR 4‑5671 Anl 1 Nr 4115 Nr 1, RdNr 25; BSG Urteil vom 4.12.2014 ‑ B 5 RE 4/14 R ‑ juris RdNr 12 mwN): Mit dem ersten hat die Beklagte den ursprünglichen, begünstigenden Verwaltungsakt über die Befreiung des Klägers von der Zahlung der Anteile zum Lastenausgleich und zur Lastenverteilung in dem Bescheid vom 9.8.2011 aufgehoben, und zwar mit Wirkung vom 1.1.2014, wie der Widerspruchsbescheid vom 15.1.2016 klarstellt, und es mit dem zweiten Verwaltungsakt zugleich abgelehnt, ihn von der Zahlung der Anteile zum Lastenausgleich und zur Lastenverteilung über den 31.12.2013 hinaus zu befreien.

 

9

Im Revisionsverfahren begehrt er allein noch diese Befreiung über den 31.12.2013 hinaus, nachdem die Aufhebung der ursprünglichen Freistellung im Bescheid vom 9.8.2011 erst zum 1.1.2014 wirken sollte und die Verwaltungsakte über die Nichterhebung der Anteile zum Lastenausgleich und zur Lastenverteilung für die Umlagejahre 2011, 2012 und 2013 in den Beitragsbescheiden vom 20.4.2012, 22.4.2013 und 22.4.2014 für die Beteiligten in der Sache bindend geworden sind (§ 77 Halbsatz 1 SGG) und weder nach § 168 Abs 2 SGB VII noch nach §§ 45, 48 SGB X aufgehoben bzw zurückgenommen werden können (§ 77 Halbsatz 2 SGG). Soweit der Kläger im Berufungsverfahren nur noch beantragt hat, "den Ablehnungsbescheid … vom 12.11.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.01.2016 aufzuheben", hat er damit sein ursprüngliches Verpflichtungsbegehren, ihn "von dem berufsgenossenschaftlichen Ausgleichsverfahren gem. § 180 Abs. 2 SGB VII zu befreien", nicht aufgegeben. Der Senat hat daher im Revisionsverfahren über diesen erstinstanzlich erhobenen Anspruch mitzuentscheiden, ohne an die vermeintlich beschränkte Fassung der Anträge im Berufungsverfahren gebunden zu sein (§ 123 SGG). Soweit der Kläger im ersten Rechtszug noch verlangt hatte, "den Beitragsbescheid vom 23.06.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.01.2016" für das Umlagejahr 2014 "hinsichtlich der Anteile zum Lastenausgleich und zur Lastenverteilung aufzuheben", hat er dieses Begehren im Berufungsverfahren fallengelassen, nachdem ihn die Beklagte durch Teilrücknahme des Widerspruchsbescheids vom 15.1.2016 insofern klaglos (§ 78 Abs 1 Satz 1 SGG) gestellt hatte.

 

10

B. Die begehrte Befreiung kann der Kläger nicht mit der isolierten Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 Var 1 SGG) erreichen. Denn mit der gerichtlichen Beseitigung der behördlichen Aufhebungsentscheidung in dem angefochtenen Bescheid vom 12.11.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.1.2016 würde die ursprüngliche Freistellung im Bescheid vom 9.8.2011 für Zeiträume ab dem 1.1.2014 nicht wiederaufleben. Der ursprüngliche Verwaltungsakt (Ausgangsverwaltungsakt bzw actus primus) über die Freistellung hat sich entweder durch Zeitablauf am 29.1.2012 erledigt, weil er ‑ konkludent ‑ auf die achtzehnmonatige Geltungsdauer der "Vorläufigen Bescheinigung" des Finanzamts vom 29.7.2010 befristet war, oder ist als vorläufige Regelung auf andere Weise durch Erlass des (ersten) Beitragsbescheids vom 20.4.2012 unwirksam geworden (§ 39 Abs 2 SGB X; vgl BSG Urteil vom 28.3.2019 ‑ B 10 LW 1/17 R ‑ BSGE 128, 1 = SozR 4‑5868 § 3 Nr 4, RdNr 13). Keinesfalls sollte dem Kläger die Freistellung vom Lastenausgleich und von der Lastenverteilung endgültig und dauerhaft für alle Zukunft gewährt werden.

 

11

Dies ergibt die Auslegung des Freistellungsbescheids vom 9.8.2011 unter Berücksichtigung der für Willenserklärungen maßgeblichen Grundsätze (§§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuchs <BGB>). Maßstab der Auslegung, die das Revisionsgericht ohne Bindung an die Vorinstanz selbstständig vornehmen kann, ist der "Empfängerhorizont" eines verständigen Beteiligten, der die Zusammenhänge berücksichtigt, welche die Behörde nach ihrem wirklichen Willen (§ 133 BGB) erkennbar in ihre Entscheidung einbezogen hat. Ausschlaggebend ist der objektive Sinngehalt der Erklärung nach dem objektivierten Empfängerverständnis. Zur Bestimmung des objektiven Regelungsgehalts eines Verwaltungsakts kommt es darauf an, wie Adressaten und Drittbetroffene ihn nach Treu und Glauben verstehen mussten oder durften. Unklarheiten gehen zu Lasten der Behörde (Senatsurteile vom 16.3.2021 ‑ B 2 U 7/19 R ‑ BSGE 131, 297 = SozR 4‑5671 Anl 1 Nr 4115 Nr 1, RdNr 13 und B 2 U 17/19 R ‑ zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen = juris RdNr 23, vom 17.12.2015 ‑ B 2 U 2/14 R ‑ SozR 4‑2400 § 27 Nr 7 RdNr 12 sowie vom 3.4.2014 ‑ B 2 U 25/12 R ‑ BSGE 115, 256 = SozR 4‑2700 § 136 Nr 6, RdNr 15, jeweils mwN). Zwar enthält der Wortlaut des Bescheids vom 9.8.2011 weder eine Nebenbestimmung im Sinne einer auflösenden Befristung (§ 32 Abs 2 Nr 1 SGB X) noch den ausdrücklichen Vorbehalt einer späteren abschließenden Entscheidung. Gleichwohl nimmt der hervorgehobene Entscheidungssatz mit den einleitenden Worten "aufgrund dessen" für den verständigen Adressaten des Verwaltungsakts hinreichend deutlich Bezug auf die "Vorläufige Bescheinigung", die dort als "Bescheid der Finanzverwaltung vom 29.07.2010" bezeichnet wird und die der Kläger zwecks "Freistellung" von den Umlagen zum Lastenausgleich und zur Lastenverteilung bei der Beklagten selbst eingereicht hatte. Damit knüpfte die Beklagte ‑ für ihn und auch für Dritte erkennbar ‑ sowohl an den Vorläufigkeitsvorbehalt als auch an die begrenzte Geltungsdauer der "Vorläufigen Bescheinigung" an, sodass der Vorbehalt bzw die Befristung Bestandteil der Befreiungsentscheidung geworden sind. Bei verständiger Würdigung aller Begleitumstände konnte der Kläger ‑ nach Treu und Glauben ‑ keinesfalls erwarten, dass ihn die Beklagte aufgrund einer auf 18 Monate befristeten, vorläufigen Bescheinigung des Finanzamts auf Dauer und endgültig von den Lastenausgleichs- und -verteilungsabgaben freistellt, ohne auf das Fehlen der Befreiungsvoraussetzungen oder einen (partiellen) Wegfall der Gemeinnützigkeit reagieren zu können. Denn die vorläufige Bescheinigung, die zwischenzeitlich durch die Feststellung der satzungsgemäßen Voraussetzungen gemäß § 60a Abgabenordnung (AO) abgelöst wurde (eingeführt zum 29.3.2013 durch Gesetz vom 21.3.2013, BGBl I 556), ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH kein Verwaltungsakt, sondern eine unverbindliche Rechtsauskunft (BFH Beschlüsse vom 11.6.2001 ‑ I B 30/01 ‑ juris RdNr 38, vom 12.5.2000 ‑ I B 1/99 ‑ juris RdNr 8, vom 23.9.1998 ‑ I B 82/98 ‑ BFHE 186, 433 und vom 7.5.1986 ‑ I B 58/85 ‑ BFHE 146, 392).

 

12

Soweit damit die behördliche Aufhebung des Freistellungsbescheids ins Leere ging, kann deren gerichtliche Kassation weder zur Beseitigung eines etwaigen Rechtsscheins (vgl dazu BSG Urteil vom 23.8.2005 ‑ B 4 RA 21/04 R ‑ juris RdNr 39 f) noch zur Klarstellung verlangt werden. Der Kläger muss nicht befürchten, dass die Beklagte die ausgesprochene Aufhebung zukünftig zum Anlass nehmen könnte, die in den Beitragsbescheiden vom 20.4.2012, 22.4.2013 und 22.4.2014 für die Beitragsjahre 2011, 2012 und 2013 verfügte bestandskräftige Nichterhebung der Anteile zum Lastenausgleich und zur Lastenverteilung wieder in Frage zu stellen. Denn diese Abgabenverwaltungsakte mit negativem Inhalt sind bestandskräftig und können ‑ wie bereits ausgeführt ‑ weder zurückgenommen noch sonst aufgehoben werden. In dieser Situation verbleiben keine Unklarheiten oder Rechtsunsicherheiten, die eine gerichtliche Aufhebung des gegenstandslosen Verwaltungsakts beseitigen könnte. Damit fehlt zugleich die materielle Beschwer (dazu Bieresborn in Roos/Wahrendorf/Müller, SGG, 2. Aufl 2021, § 54 RdNr 129; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 54 RdNr 9) des Klägers, weil er durch Erlass des belastungs- und wirkungslosen Verwaltungsakts ‑ die ins Leere gehende Aufhebung ‑ nicht in eigenen Rechten verletzt ist.

 

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C. Die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist ebenfalls unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Befreiung von der Umlage zum Lastenausgleich und zur Lastenverteilung ab dem 1.1.2014. Denn dafür existiert keine Rechtsgrundlage (dazu I.). Dessen ungeachtet ist der Kläger auch nicht gemeinnützig, soweit er als körperschaftsteuerpflichtige wirtschaftliche Geschäftsbetriebe eine Erste Herrenmannschaft und ein Bistro betreibt (dazu II.).

 

14

I. Für die erstrebte Befreiung sieht das Gesetz keine Befugnisnorm vor, wie dies § 31 SGB I erfordert. Danach dürfen Rechte und Pflichten in den Sozialleistungsbereichen des SGB nur begründet, festgestellt, geändert oder aufgehoben werden, soweit ein Gesetz es vorschreibt oder zulässt. Indem sich die Vorschrift ausdrücklich auf alle Bereiche erstreckt, die in den Besonderen Teilen des SGB geregelt sind, erfasst sie neben den sozialen Rechten im Leistungsverhältnis auch alle Versicherungs- und Beitragstatbestände im Deckungsverhältnis der Sozialversicherung (Lilge in ders/Gutzler, SGB I, 5. Aufl 2019, § 31 RdNr 32; Mrozynski, SGB I, 6. Aufl 2019, § 31 RdNr 14; Spellbrink in Kasseler Kommentar, SGB I, 115. EL Juli 2021, § 31 RdNr 9; Weselski in jurisPK-SGB I, Stand 15.3.2018, § 31 SGB I RdNr 17 f). Entgegen dem herkömmlichen Verständnis von der Geltung des Grundsatzes vom Vorbehalt des Gesetzes (Art 20 Abs 3 GG) nur im Bereich der Eingriffsverwaltung normiert § 31 SGB I für alle Sozialleistungsbereiche einen Totalvorbehalt (Senatsurteil vom 31.1.2012 ‑ B 2 U 1/11 R ‑ BSGE 110, 83 = SozR 4‑3250 § 17 Nr 3, RdNr 51; Lilge in ders/Gutzler, SGB I, 5. Aufl 2019, § 31 RdNr 6; Schnapp in Bochumer Kommentar, SGB I, 1979, § 31 RdNr 1; Weselski in jurisPK-SGB I, Stand 15.3.2018, § 31 SGB I RdNr 17; einschränkend Meißner/Timme in Krahmer/Trenk-Hinterberger, SGB I, 4. Aufl 2020, § 31 RdNr 2: "nähert sich"). Aufgrund dieser sozialrechtlichen Sonderregelung (vgl Senatsurteil vom 30.1.2020 ‑ B 2 U 2/18 R ‑ BSGE 130, 1 = SozR 4‑2700 § 8 Nr 70, RdNr 37) ist unerheblich, dass Behörden nach der Rechtsprechung des BVerwG (zB Urteile vom 1.10.1986 ‑ 8 C 53/85 ‑ NJW 1987, 969 ‑ "Unbedenklichkeitsbescheinigung" bzw "Negativattest", vom 29.3.1966 ‑ I C 19/65 ‑ BVerwGE 24, 23, 26 ff ‑ "Vorbescheid") und des BFH (zB Urteil vom 11.12.1984 ‑ VIII R 131/76 ‑ BFHE 142, 549 ‑ "tatsächliche Verständigung") für den Erlass eines gesetzlich nicht geregelten, aber ausschließlich begünstigend wirkenden Feststellungsbescheids mangels Eingriffswirkung keine besondere gesetzliche Ermächtigung benötigen, weil der allgemeine Vorbehalt des Gesetzes (Art 20 Abs 3 GG) für rein begünstigende feststellende Verwaltungsakte nicht gilt, die ausschließlich ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil bestätigen (sollen). Wegen des Totalvorbehalts ist für eine Selbstbindung (Art 3 Abs 1 GG) der Behörde aufgrund einer etwaigen ständigen verwaltungsseitigen Befreiungspraxis von vornherein kein Raum (vgl dazu BVerwG Urteil vom 1.10.1986 ‑ 8 C 53/85 ‑ NJW 1987, 969; Kracht, Feststellender Verwaltungsakt und konkretisierende Verfügung, 2002, S 296). Diese ist hier im Übrigen auch nicht festgestellt (§ 163 SGG). Aus einer einmaligen, vorläufigen bzw befristeten Befreiung in der Vergangenheit kann sich kein Anspruch auf zukünftige Befreiungsentscheidungen ergeben.

 

15

Ein Gesetz, das eine Entscheidung über die Befreiung von der Umlage zum Lastenausgleich und zur Lastenverteilung durch feststellenden Verwaltungsakt iS des § 31 SGB I "vorschreibt oder zulässt", existiert nicht. Nach § 24 Abs 6 Satz 1 der Satzung der Beklagten vom 28.9.2011 werden die Beiträge für den Ausgleich unter den gewerblichen Berufsgenossenschaften nach §§ 176 ff SGB VII in der am 31.12.2007 geltenden Fassung (Lastenausgleich) und für Rentenaltlasten, die nach § 178 Abs 2 Nr 2 und Abs 3 Nr 2 SGB VII von den Berufsgenossenschaften gemeinsam getragen werden (Lastenverteilung), auf die Unternehmen ausschließlich nach den Arbeitsentgelten der Versicherten in den Unternehmen (bis zum in Abs 3 Satz 3 genannten Höchstbetrag) umgelegt. Die Entgeltsummen von Unternehmen ua gemeinnütziger Einrichtungen bleiben außer Betracht (§ 180 Abs 2, § 153 Abs 4 Satz 1 SGB VII, § 24 Abs 6 Satz 2 der Satzung). Damit ist ein Regel-Ausnahme-Verhältnis normiert: Lastenausgleich und Lastenverteilung werden in der Regel auf die (alle) Unternehmen umgelegt. Abweichend von diesem Grundsatz sind davon kleine Unternehmen durch eine Freibetragsregelung (§ 180 Abs 1 SGB VII) und besonders förderungswürdige Unternehmen (§ 180 Abs 2 SGB VII) kraft Gesetzes ausgenommen (sog materielle Ausnahmen, vgl dazu Reimer, Juristische Methodenlehre, 2020, RdNr 334). Eine Befugnis, das Vorliegen dieser materiellen Ausnahmen vorweg isoliert durch Verwaltungsakt (Befreiungs- bzw Freistellungsbescheid) festzustellen, enthält dieser Normkomplex nicht. Er bezieht grundsätzlich alle Unternehmer in das Überaltlastverfahren iS des § 178 Abs 2 und 3 SGB VII ein, ohne dass einzelne Unternehmer ‑ bei Erfüllung der Voraussetzungen des Ausnahmetatbestandes ‑ hiervon (auf Antrag) befreit werden können, wie dies sonst bei gesetzlichen Pflichten mit Befreiungs- bzw Freistellungsvorbehalt im Sozialrecht (vgl zB Versicherungsbefreiung nach § 5 Satz 1 Halbsatz 1 SGB VII, Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung nach § 8 SGB V, § 6 SGB VI) und anderen Rechtsbereichen (zB § 11 Abs 2 Wehrpflichtgesetz, § 4 Abs 1 Rundfunkbeitragsstaatsvertrag Nordrhein-Westfalen) der Fall ist. Die Rechtsfigur des "Gebots mit Befreiungsvorbehalt" liegt indes nur vor, wenn das Gesetz ein Gebot aufstellt oder eine Rechtspflicht statuiert und ein danach grundsätzlich Verpflichteter unter bestimmten Voraussetzungen in aller Regel auf Antrag (und selten von Amts wegen) ausnahmsweise entpflichtet, dh von der Pflicht befreit bzw dem Gebot freigestellt werden kann (Ermessen) oder muss (gebundene Entscheidung). Eine solche Fallkonstellation liegt hier indes nicht vor.

 

16

Es besteht aber auch kein Bedürfnis für eine Freistellungsentscheidung. Stattdessen hat die Beklagte im Rahmen des jeweiligen Verfahrens zur Beitragsfestsetzung, die gemäß § 152 Abs 1 Satz 1 SGB VII nach Ablauf des Kalenderjahres erfolgt, in dem die Beitragsansprüche dem Grunde nach entstanden sind, zu prüfen, ob Lastenausgleich und ‑verteilung gemäß § 180 Abs 2 SGB VII entfallen, weil die Einrichtung im abgelaufenen Kalenderjahr gemeinnützig war. Kann die Prüfung der Gemeinnützigkeit im Beitragsfestsetzungsverfahren nicht zeitnah abgeschlossen werden, weil für das betreffende Umlagejahr zB noch der Körperschaftsteuerbescheid der Finanzverwaltung aussteht oder weitere Ermittlungen erforderlich sind, muss die Beklagte ihre Entscheidung über die (Nicht‑)Heranziehung zum Lastenausgleich und zur Lastenverteilung bis zur Entscheidungsreife zurückstellen (Verbot des vorzeitigen Verfahrensabschlusses, vgl dazu BSG Urteile vom 16.3.2021 ‑ B 2 U 7/19 R ‑ BSGE 131, 297 = SozR 4‑5671 Anl 1 Nr 4115 Nr 1, RdNr 18 und B 2 U 17/19 R ‑ zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen = juris RdNr 28 und vom 28.3.2019 ‑ B 10 LW 1/17 R ‑ BSGE 128, 1 = SozR 4‑5868 § 3 Nr 4, RdNr 22 sowie vom 9.10.2012 ‑ B 5 R 8/12 R ‑ BSGE 112, 74 = SozR 4‑1300 § 45 Nr 10, RdNr 20 und vom 28.6.1990 ‑ 4 RA 57/89 ‑ BSGE 67, 104, 116 f = SozR 3‑1300 § 32 Nr 2 S 18).

 

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II. Aber selbst wenn man die Beklagte sowohl für befugt als auch für grundsätzlich verpflichtet hielte, Unternehmen vorab von den Anteilen zum Lastenausgleich und zur Lastenverteilung zu befreien, könnte der Kläger die Freistellung seines gesamten Unternehmens (Fußballverein) unter Einbeziehung der Ersten Herrenmannschaft und des Bistros nicht verlangen. Denn nach § 180 Abs 2 SGB VII bleiben lediglich die Entgeltsummen von gemeinnützigen Einrichtungen außer Betracht. Zu den gemeinnützigen Einrichtungen des Fußballvereins gehören zB der Kinder- und Jugendbereich, nicht jedoch die Einrichtungen der Ersten Herrenmannschaft und des Bistros, die steuerrechtlich jeweils wirtschaftliche Geschäftsbetriebe (§ 14 AO) sind. Der Kläger lässt unbeachtet, dass ein unfallversicherungsrechtliches Unternehmen mehrere "Einrichtungen" unterhalten kann und sich der Dispens von der Ausgleichspflicht nach dem Wortlaut des § 180 Abs 2 SGB VII nur auf die gemeinnützigen Teile (Betriebe, Verwaltungen, Einrichtungen, Tätigkeiten, vgl § 121 Abs 1 SGB VII) eines Unternehmens bezieht. Dagegen hat der Unternehmer für alle nichtgemeinnützigen Einrichtungen seines Unternehmens Anteile zum Lastenausgleich und zur Lastenverteilung zu entrichten; "Rückausnahmen" für den wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb der Ersten Herrenmannschaft und des Bistros, wie sie das Steuerrecht vorsieht, sind daher von vornherein entbehrlich. Folglich sind ‑ entgegen der Ansicht des Klägers ‑ gemeinnützige Unternehmen für abgrenzbare Abteilungen, die einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb führen, zu den Renten(alt)lasten iS des § 178 Abs 2 und 3 SGB VII heranzuziehen.

 

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Wie der Senat unter Berufung auf Wortlaut, Systematik, Entwicklungsgeschichte und dem Zweck der Norm bereits entschieden hat, enthält § 180 SGB VII keinen eigenständigen unfallversicherungsrechtlichen Begriff der Gemeinnützigkeit, sondern eine konkludente Verweisung auf die §§ 51 ff AO (BSG Urteile vom 15.5.2012 ‑ B 2 U 4/11 R ‑ BSGE 111, 24 = SozR 4‑2700 § 180 Nr 1, RdNr 29 ff und vom 13.8.2002 ‑ B 2 U 31/01 R ‑ SozR 3‑2700 § 180 Nr 1, jeweils zu § 180 Satz 3 Var 2 SGB VII aF; Ricke in Kasseler Kommentar, 115. EL Juli 2021, SGB VII, § 180 RdNr 4; vgl auch Rolfs/Witschen, NZS 2021, 503, 504, wonach "sich § 180 Abs 2 SGB VII begrifflich an die Regelungen der §§ 51 bis 68 AO anlehnt"). Hieran wird festgehalten.

 

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Verfolgt der Gesetzgeber damit insoweit ein steuerakzessorisches Regelungskonzept, können die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung die steuerrechtlichen Feststellungen entweder selbst treffen oder die erforderlichen Informationen mittelbar dem Körperschaftsteuerbescheid entnehmen, der für das jeweilige Kalenderjahr maßgeblich ist (Höller in Hauck/Noftz, SGB VII, 02/14, K § 180 RdNr 6; vgl auch BSG Urteile vom 25.6.2020 ‑ B 10 EG 3/19 R ‑ BSGE 130, 237 = SozR 4‑7837 § 2c Nr 7, RdNr 28 ff und 9.10.2012 ‑ B 5 R 8/12 R ‑ BSGE 112, 74 = SozR 4‑1300 § 45 Nr 10, RdNr 20 zum Einkommensteuerbescheid). Die Finanzbehörden entscheiden im Rahmen der Veranlagung zur Körperschaftsteuer über die Steuerbefreiung wegen Gemeinnützigkeit für einen bestimmten Veranlagungszeitraum endgültig und inzident durch Steuerbescheid (§ 155 Abs 1 Satz 1 AO). Einen Steuerbescheid über die volle Freistellung von der Körperschaftsteuer (sog Freistellungsbescheid, § 155 Abs 1 Satz 3 AO) erhalten nur solche Körperschaften, die nach der Satzung und nach der tatsächlichen Geschäftsführung ausschließlich und unmittelbar gemeinnützigen Zwecken dienen (§ 5 Abs 1 Nr 9 Satz 1 Körperschaftsteuergesetz <KStG>). Unterhalten gemeinnützige Körperschaften einen oder mehrere steuerpflichtige Geschäftsbetriebe (§ 64 AO), wie der Kläger die Erste Herrenmannschaft und das Bistro, und besteht deshalb eine partielle Steuerpflicht (§ 5 Abs 1 Nr 9 Satz 2 KStG), so wird die Körperschaft in der Anlage zum Körperschaftsteuerbescheid nur "im Übrigen" von der Körperschaftsteuer befreit, wie dies vorliegend nach den bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) im Körperschaftsteuerbescheid 2011 vom 8.7.2013 auch geschehen ist. Dabei ist bedeutungslos, dass die Körperschaftsteuer ‑ wie hier wegen Unterschreitens der Freibeträge nach § 24 KStG ‑ auf 0 Euro (sog Nullbescheid) festgesetzt wurde (BFH Urteile vom 22.6.2016 ‑ V R 49/15 ‑ BFH/NV 2016, 1754, vom 27.11.2013 ‑ I R 17/12 ‑ BStBl II 2016, 68, vom 13.7.1994 ‑ I R 5/93 ‑ BStBl II 1995, 134 und vom 13.11.1996 ‑ I R 152/93 ‑ BStBl II 1998, 711, 715; Hüttemann in ders, Gemeinnützigkeitsrecht und Spendenrecht, 5. Aufl 2021, RdNr 7.36). Soweit daher eine partielle Steuerpflicht wirtschaftlicher Geschäftsbetriebe besteht, entsteht damit zugleich eine partielle Pflicht der entsprechenden Einrichtungen zum Lastenausgleich und zur Lastenverteilung.

 

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III. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO. Der Kläger führt den Rechtsstreit nicht als kostenrechtlich privilegierter Versicherter iS des § 183 SGG, sodass § 193 SGG keine Anwendung findet.

 

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IV. Der Streitwert für das Revisionsverfahren ist nach dem Regelstreitwert iHv 5000 Euro zu bemessen (§ 52 Abs 2 GKG). Die verbliebenen Anträge des Klägers sind iS des § 39 Abs 1 GKG auf das gleiche Interesse gerichtet, nämlich auf die Befreiung von den Anteilen zum Lastenausgleich und zur Lastenverteilung für die Zeit ab dem 1.1.2014. Eine weitergehende Bezifferung ist nicht mehr möglich, nachdem die Klage gegen den Beitragsbescheid vom 23.6.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.1.2016 für das Umlagejahr 2014 zurückgenommen wurde. Damit entfällt auch eine Anhebung nach § 52 Abs 3 Satz 2 GKG um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen. Seine Rechtsprechung, dass für das wirtschaftliche Interesse auf einen ggf vervielfachten Auffangstreitwert abzustellen ist, hat der Senat im Übrigen aufgegeben (BSG Beschluss vom 10.9.2020 ‑ B 2 U 93/20 B ‑ juris RdNr 5 mwN).

 

Rechtskraft
Aus
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