L 3 U 84/21

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3.
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 15 U 85/17
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 3 U 84/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

 

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 21. April 2021 aufgehoben.

 

Der Rechtsstreit wird an das Sozialgericht Cottbus zurückverwiesen.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

 

Tatbestand

 

Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Verletztenrente aufgrund eines vom Kläger am 16. April 2013 erlittenen Arbeitsunfalls.

 

Der 1978 geborene Kläger erlitt am 16. April 2013 einen Motorradunfall und wurde mittels Rettungswagen in die Notaufnahme eingeliefert. Der Durchgangsarzt Dr. N diagnostizierte nach seinem Bericht vom 17. April 2013 eine Thoraxprellung rechts, eine Schulterprellung rechts und eine Unterschenkelprellung links, die eine Arbeitsunfähigkeit bis zum 30. April 2013 bedinge. Es wurden Röntgenaufnahmen der HWS, des Thorax, des Hemithorax, der rechten Schulter und des linken Unterschenkels jeweils in zwei Ebenen gefertigt sowie eine Fast-Sonografie durchgeführt. Es fanden sich weder knöcherne Verletzungen noch freie Flüssigkeiten. Der Kläger gab Schmerzen im rechten Hemithorax und im linken Unterschenkel medial sowie einen Druckschmerz der rechten Schulter nach Schulterluxationen vor einigen Jahren an. Weiter ist im Bericht des Durchgangsarztes vermerkt, dass der Kläger, nachdem er vom Tod seines Vaters erfahren habe, nach Dienstschluss direkt in das Krankenhaus gefahren sei und auf dem Weg dorthin den Unfall erlitten habe. Nach der Unfallanzeige des Arbeitgebers sei der Unfall durch einen anderen Verkehrsteilnehmer verursacht worden, der die Vorfahrt nicht beachtet habe.

 

Am 29. April 2013 wurde durch das radiologische Versorgungszentrum M-L GbR ein MRT der rechten Schulter gefertigt, danach zeigte sich eine regelrechte Artikulation des Schultergelenkes und AC-Gelenkes. Zudem wurde eine ödematöse Signalreaktion um das AC-Gelenk und eine geringe ödematöse Signalreaktion um die coracoclaviculären Bänder ohne Rupturnachweis festgestellt und zum Ausschluss einer höhergradigen AC-Gelenksverletzung eine ergänzende „Wasserträgeraufnahme“ unter Belastung im Seitenvergleich empfohlen. Zudem wurde ein umschriebenes Ödem des distalen Musculus supraspinatus im  Sinne einer Zerrung festgestellt. Eine Rotatorenmanschettenruptur war nicht abgrenzbar. Außerdem fanden sich Metallartefakte im vorderen Glenoid durch Pins.

 

Im Nachschaubericht des Durchgangsarztes Dr. L vom 13. Mai 2013 wird eine AC-Gelenkssprengung Rockwood II.-III. Grades rechts diagnostiziert. Es bestünden Restschmerzen linkstibial sowie ein Druckschmerz des rechten AC-Gelenks. Die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit wurde bis zum 31. Mai 2013 angegeben. Im weiteren Bericht des Durchgangsarztes Prof. Dr. W vom 11. Juni 2013 wird die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit des Klägers bis zum 25. Juni 2013 angegeben. Prof. Dr. W stellte eine reizlose Schulter rechts ohne wesentliche Schwellung im Vergleich zur anderen Seite fest. Es bestand ein Druck- und Bewegungsschmerz über dem AC-Gelenk. Neurologische Ausfälle oder Instabilitäten bestanden nicht. Die Bewegung war deutlich eingeschränkt, es zeigte sich eine aktive Anteversion von 90° und eine aktive Abduktion ebenfalls von 90°. Passiv war das rechte Schultergelenk frei beweglich. Prof. Dr. W diagnostizierte eine Schultergelenkssprengung Tossy II rechts. In seinem Zwischenbericht vom 08. Juli 2013 gab er an, dass eine operative Behandlung durch Arthroskopie und offene Claviculateilresektion erfolgen solle und voraussichtlich eine Arbeitsunfähigkeit bis zum 19. Juli 2013 bestehe. Am 16. Juli 2013 berichtete Prof. Dr. W über die OP vom 11. Juli 2013. Bei der arthroskopischen Untersuchung des rechten Schultergelenks habe sich kein Anhalt für Unfallfolgen gezeigt, die Rotatorenmanschette habe keinen Defekt gezeigt. Bei Zustand nach arthroskopischer Labrum-Refixation sei eine SLAP I (Degeneration des superioren Labrums von anterior nach posterior) zu sehen. Die Läsion im AC-Gelenk sei auf den Unfall zurückzuführen.

 

In der von der Beklagten eingeholten beratungsärztlichen Stellungnahme vom 03. September 2013 äußerte Dr. R Zweifel daran, dass Folge des Unfalls vom 16. April 2013 eine Tossy-Verletzung gewesen sei. Das MRT äußere sich insoweit eindeutig. Die seitens des Radiologen angeregten Wasserträgeraufnahmen lägen nicht vor. Radiologisch oder MRT-morphologisch ließen sich unfallbedingte Verletzungsfolgen nicht nachweisen. Die Beklagte bat die Durchgangsärzte Dr. F, Dr. L und Prof. Dr. W hierzu um Stellungnahme. Dr. F schloss sich, da die AC-Gelenkssprengung röntgenmorphologisch nicht nachgewiesen worden sei, der Einschätzung des Dr. R an, regte jedoch an, die Möglichkeit eines posttraumatischen Impingement nach Distorsion oder Prellung zu überdenken. Prof. Dr. W blieb bei seiner Einschätzung der unfallabhängigen AC-Gelenksverletzung. Der Beratungsarzt blieb bei seiner Einschätzung, dass allenfalls eine Arbeitsunfähigkeit von bis zu vier Wochen gerechtfertigt sei.

 

Mit Bescheid vom 07. November 2013 lehnte die Beklagte die Übernahme weiterer Behandlungen des Klägers ab, da ab dem 14. Mai 2013 kein Ursachenzusammenhang mehr zwischen dem Unfall und der Arbeitsunfähigkeit sowie der Behandlungsbedürftigkeit bestehe. Zudem setzte sie die Krankenkasse des Klägers, die bisher in ihrem Auftrag seit dem 29. Mai 2013 Verletztengeld gezahlt hatte, mit Schreiben vom 07. und 15. November 2013 hiervon in Kenntnis

 

Mit seinem hiergegen gerichteten Widerspruch machte der Kläger geltend, dass die Arbeitsunfähigkeit weiter unfallbedingt sei.

 

In einer von dem Haftpflichtversicherer des Unfallgegners eingeholten beratungsärztlichen Stellungnahme vom 27. September 2013 kam Dr. V (Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, Physikalische Therapie, Sportmedizin, Chirotherapie und Sozialmedizin) zu dem Ergebnis, dass eine Tossy II-Verletzung (Zusammenhangstrennung der coracoacromialen Bänder) durch den Unfall nicht ausreichend belegt sei; die entsprechende Diagnosestellung sei nicht nachvollziehbar.

 

Die Beklagte holte Befundberichte der den Kläger behandelnden Ärzte sowie ein Vorerkrankungsverzeichnis in Bezug auf Schulterverletzungen ein und zog ein Gutachten der Rentenversicherung sowie einen Entlassungsbericht zu einer Rehabilitationsbehandlung zu einem Vorschaden an der rechten Schulter aus dem Jahr 2001/2002 bei. Daraus ergab sich neben der im Juli 2000 arthroskopisch durgeführten Labrumrefixation u. a. auch eine Arbeitsunfähigkeit im September 2003 wegen einer Frozen Shoulder (adhäsive Gelenkkapselentzündung). Am 28. November 2013 erfolgte eine erneute Operation an der rechten Schulter. Das von Dr. B nach Untersuchung des Klägers eingeholte Zusammenhangsgutachten vom 04. März 2014 geht von einer Tossy II-Verletzung mit begleitender posttraumatischer Bewegungseinschränkung im Sinne eines posttraumatischen Impingementsyndroms und einem Zusammenhang mit dem Unfall aus. Er sah aktuell noch eine Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit des Klägers. Der Beratungsarzt Dr. R trat dem mit seiner Stellungnahme vom 06. Juni 2014 wiederum entgegen. Er meinte, mit der nun vorliegenden Wasserträgeraufnahme (Röntgenbild vom 13. Mai 2013), sei eine Tossy II-Verletzung jetzt zwar nachgewiesen, sie müsse aber nicht unfallbedingt sein.

 

Die Beklagte wies den hiergegen gerichteten Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 17. Juli 2014 zurück.

 

Gegen den Bescheid vom 07. November 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Juli 2014 erhob der Kläger Klage beim Sozialgericht Detmold (Aktenzeichen S 14 U 336/14), mit dem Antrag, die Beschwerden im rechten Schulter-/Armbereich als Folge des Arbeitsunfalls am 16. April 2013 anzuerkennen und ihm Leistungen im gesetzlichen Umfang zu gewähren, insbesondere Verletztengeld, Verletztenrente, Physiotherapie sowie Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben.  Der Kläger reichte dort ein durch den MDK W-L, Frau Dr. E, für die gesetzliche Krankenversicherung erstelltes Gutachten nach Untersuchung vom 09. Juli 2014 zur Dauer der Arbeitsunfähigkeit ein. Sie ging von einer auf Dauer bestehenden Arbeitsunfähigkeit und einer erheblichen Minderung der Erwerbsfähigkeit aus.

 

Im Rahmen des vor dem SG Detmold geführten Klageverfahrens S 14 U 336/14 wurde ein fachorthopädisches Sachverständigengutachten des Dr. K vom 29. Dezember 2015 eingeholt. Dr. K stellte fest, dass neben einer Schultergelenksprellung  eine Schultergelenksverletzung Typ Tossy II vorgelegen habe und mit großer Wahrscheinlichkeit unfallbedingt sei. Diese habe weder zu einer Atrophie der Schultergürtelmuskulatur noch zu einer posttraumatischen Schultersteife geführt. Das bestehende Impingementsyndrom mit nachfolgender Bewegungseinschränkung sei nicht posttraumatisch zum Unfall vom 16. April 2013, sondern mit großer Wahrscheinlichkeit Folge der bereits zuvor bestehenden degenerativen Veränderungen wie Tendinitis der langen Bizepssehne, Tendinitis Calcarea sowie Bursitis der rechten Schulter. Das SG Detmold holte ein weiteres Gutachten des Dr. B nach § 109 SGG vom 10. September 2016 ein. Auch Dr. B ging von einer AC-Gelenkssprengung als Folge des Unfalls aus und sah diese - wenn auch nicht zwingend indiziert – als Grund für die AC-Gelenksresektion an. Die schmerzbedingten und klinisch feststellbaren Bewegungseinschränkungen seien zumindest teilweise als Traumafolgen zu bewerten. Aus gutachterlicher Sicht bestehe nur ein geringer Zusammenhang zwischen den dokumentierten degenerativen Veränderungen und der Schwere der aktuellen Einschränkungen. Vielmehr bestehe der Verdacht auf eine schmerzhafte Aktivierung der degenerativen Veränderungen auf Grund des Unfalls.

 

Das SG Detmold wies die Beteiligten mit Schreiben vom 25. Januar 2017 darauf hin, dass der angegriffene Bescheid nach seinem Tenor lediglich eine Entscheidung über die Gewährung von Heilbehandlung beinhalte, weitere Leistungen, insbesondere die Gewährung von Verletztengeld und -rente seien daher nicht streitgegenständlich.

 

Der Kläger beantragte daraufhin mit Schreiben vom 31. Januar 2017 bei der Beklagten die Gewährung „alle(r) ihm auf Grund des Unfalls vom 16. April 2013 zustehenden Leistungen (insbesondere von Verletztengeld und Verletztenrente)“. Zwar seien bereits die Ausführungen im Widerspruchsbeschreiben nach dem Meistbegünstigungsgrundsatz entsprechend auszulegen und daher die Verletztenrente und das Verletztengeld ebenfalls Klagegegenstand. Die entsprechende Antragstellung im Verwaltungsverfahren erfolge dennoch noch einmal vorsorglich.

 

Mit Bescheid vom 10. April 2017 stellte die Beklagte fest, dass ein Anspruch auf Gewährung von Verletztengeld auf Grund des Unfalls vom 16. April 2013 für die Zeit vom 29. Mai 2013 bis zum 16. Juli 2013 bestehe. Ein Anspruch auf Verletztengeld für die Zeit nach dem 16. Juli 2013 wurde abgelehnt. Bei der zur Klärung der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit durchgeführten Arthroskopie hätten keine Traumafolgen mehr festgestellt werden können. Die unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit und daher auch der Anspruch auf Verletztengeld hätten daher mit der stationären Heilbehandlung am 16. Juli 2013 geendet. Mit weiterem Bescheid vom 19. April 2017 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente auf Grund des Unfalls ab, denn die Erwerbsfähigkeit sei über die 26. Woche nach dem Eintritt des Arbeitsunfalls bzw. nach dem Ende des Verletztengeldanspruches nicht um wenigstens 20% gemindert. Dabei berücksichtigte sie als unfallbedingte gesundheitliche Beeinträchtigungen eine Sprengung des Schultergelenks Typ Tossy II rechts ohne funktionelle Beeinträchtigung nach erlittenem Motorradunfall, eine folgenlos ausgeheilte Prellung der rechten Schulter und des Brustkorbs rechts sowie eine folgenlos ausgeheilte Prellung des linken Unterschenkels.

 

Der Kläger erhob mit Schreiben seiner Bevollmächtigten vom 24. April 2017 und 09. Mai 2017 Widerspruch gegen die beiden Bescheide.

 

In dem vor dem SG Detmold geführten Rechtsstreit S 14 U 336/14 vertrat die Prozessbevollmächtigte des Klägers die Auffassung, dass auch die Gewährung von Verletztengeld und -rente bereits Gegenstand des Verwaltungsverfahrens zum Bescheid vom 07. November 2013 gewesen und daher diese Ansprüche auch Streitgegenstand seien. 

 

Die Beklagte wies den Widerspruch gegen den das Verletztengeld nach dem 16. Juli 2013 ablehnenden Bescheid vom 10. April 2017 mit Widerspruchsbescheid vom 31. Mai 2017 zurück. Die hiergegen am 26. Juni 2017 erhobene Klage verwies das SG Detmold an das SG Cottbus, wo sie derzeit unter dem Aktenzeichen S 15 U 72/17 anhängig ist.

 

In der mündlichen Verhandlung vom 13. Juni 2017 vor dem SG Detmold schlossen die Beteiligten in dem Verfahren S 14 U 336/14 den folgenden gerichtlichen Vergleich:

 

  1. Die Beklagte erklärt sich, entsprechend auch der Regelung im Bescheid über die Ablehnung von Verletztenrente vom 19.04.2017, bereit, als weitere Folge des Arbeitsunfalls des Klägers vom 16.04.2013 eine Sprengung des Schultergelenkes Typ Tossy II rechts festzustellen.

 

  1. Der Bescheid vom 07.11.2013 wird im Übrigen zurückgenommen, als beklagtenseits hier eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit bis zum 13.05.2013 festgestellt wurde; nach Hinweisen des Gerichts sind die Beteiligten darüber einig, dass eine derartige Feststellung eine unzulässige Elementenfeststellung wäre, welche auch im Klageverfahren grundsätzlich nicht zulässig wäre.

 

  1. Die Beteiligten sind darüber einig, dass hinsichtlich der sich aus dem Unfall und der nunmehr als Unfallfolge anerkannten Schultergelenkssprengung ergebenden Leistungsansprüche die Verfahren hinsichtlich der Gewährung von Verletztengeld (Bescheid vom 10.04.2017) und Verletztenrente (Bescheid vom 19.04.2017) maßgeblich sind.

 

  1. Die Beteiligten sind darüber einig, dass hinsichtlich der Erstattungsfähigkeit der außergerichtlichen Kosten des Klägers eine Beschlussfassung des Gerichts gemäß § 193 SGG erfolgt.

 

  1. Die Beteiligten erklären den Rechtsstreit für erledigt.

 

Den Widerspruch gegen den die Verletztenrente ablehnenden Bescheid vom 19. April 2017 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23. August 2017 zurück. Unfallbedingte Folgen, die eine rentenberechtigende Minderung der Erwerbsfähigkeit rechtfertigen würden, lägen nicht vor. Sie folge nicht den Ausführungen des Gutachters Dr. B dahingehend, dass die Resektion des Schultereckgelenkes als Unfallfolge anzuerkennen sei.

 

Hiergegen hat der Kläger am 06. September 2017 Klage vor dem SG Cottbus erhoben und beantragt, ihm eine Verletztenrente von mindestens 20% der Vollrente zu gewähren. Eine ausreichende objektiv nachvollziehbare Bewertung habe im Rahmen des Verwaltungsverfahrens bei der Beklagten bisher nicht stattgefunden.

 

Mit Schreiben vom 18. November 2020 hat der Vorsitzende der 15. Kammer den Kläger darauf hingewiesen, dass mit dem gerichtlichen Vergleich vor dem SG Detmold die Regelung getroffen worden sei, dass die Beklagte sich bereit erkläre, entsprechend auch der Regelung in dem Bescheid vom 19. April 2017 als weitere Folge des Arbeitsunfalls des Klägers vom 16. April 2013 eine Sprengung des Schultergelenks Typ Tossy II rechts festzustellen. In dem Bescheid vom 19. April 2017 sei als Unfallfolge eine Sprengung des Schultergelenks rechts Typ Tossy II ohne funktionelle Beeinträchtigung nach erlittenem Motorradunfall festgestellt worden. In dem geschlossenen Vergleich sei damit rechtskräftig festgestellt worden, dass eine Funktionsbeeinträchtigung der Schulter des Klägers auf Grund des Unfalls nicht vorliege. Die Feststellung einer unfallbedingten Minderung der Erwerbsfähigkeit sei damit nicht möglich. Es sei zwar in dem Vergleich außerdem vereinbart worden, dass hinsichtlich der sich aus dem Unfall ergebenden Leistungsansprüche die Verfahren hinsichtlich der Gewährung von Verletztengeld und -rente maßgeblich seien. Dies führe aber zu keiner anderen Auslegung des Vergleichs, denn die Aufnahme dieser Regelung sei aus prozessualen Gründen zwingend gewesen, weil der Bescheid vom 07. November 2013 zu diesen Streitgegenständen keine Regelung beinhaltet habe. 

 

Die Beteiligten haben einer solchen Auslegung des Vergleichs widersprochen.

 

Das SG Cottbus hat die Klage mit Urteil vom 21. April 2021 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die nach § 56 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) erforderliche Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von mindestens 20 vom Hundert nicht festgestellt werden könne. In dem vor dem SG Detmold geführten gerichtlichen Verfahren abgeschlossenen Vergleich sei rechtskräftig festgestellt worden, dass Funktionsbeeinträchtigungen an der Schulter des Klägers nicht vorliegen würden. Die unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit sei damit auf 0% festzustellen. Soweit die Beteiligten meinten, dass über die Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit im vorliegenden Verfahren entschieden werden könnte, würden sie den rechtlichen Prüfungsmaßstab verkennen. Die Frage, inwieweit die Erwerbsfähigkeit herabgesetzt sei, sei im Wesentlichen eine juristische Frage. Im Hinblick auf die dieser Bewertung zu Grunde zu legenden medizinisch festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen sei durch den Vergleich eine Entscheidung getroffen worden.

 

Der Kläger hat am 26. Mai 2021 gegen das seiner Prozessbevollmächtigten am 27. April 2021 zugestellte Urteil Berufung eingelegt. Das SG Cottbus gehe fehl in der Annahme, über die wesentliche Frage der Leistungsansprüche sei durch die Regelung in dem Vergleich vor dem SG Detmold entschieden worden. Unter Ziffer 3. des Vergleiches sei ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass hinsichtlich der Leistungsansprüche des Verletztengeldes und der Verletztenrente die Verfahren zu den Bescheiden vom 10. April 2017 und 19. April 2017 maßgeblich seien. Das SG Cottbus hätte daher weitere Ermittlungen von Amts wegen anstellen müssen. Entgegen der Auffassung der Beklagten habe über die 26. Woche nach Eintritt des Arbeitsunfalls noch eine Arbeitsunfähigkeit bestanden.

Der Kläger beantragt,

 

die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Cottbus vom 21. April 2021 und unter Abänderung ihres Bescheides vom 19. April 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. August 2017 zu verurteilen, ihm aufgrund der Folgen des Arbeitsunfalls vom 16. April 2013 eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 20 vom Hundert zu gewähren.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie ist der Auffassung, dass unfallbedingte Folgen im Bereich der rechten Schulter nicht mehr vorhanden seien. Die Verletzungen seien ebenso folgenlos ausgeheilt wie die im Bereich des Brustkorbes und des linken Unterschenkels, so dass eine rentenberechtigende Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht verblieben sein könne.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten zum vorliegenden Verfahren sowie auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, ergänzend Bezug genommen.

 

 

Entscheidungsgründe

 

 

I. Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Cottbus vom 21. April 2021 erweist sich als zulässig und im Sinne einer Aufhebung und Zurückverweisung als begründet.

 

Nach § 159 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Landessozialgericht durch Urteil die angefochtene erstinstanzliche Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn dieses die Klage abgewiesen hat, ohne in der Sache selbst zu entscheiden. Zwar hat das SG Cottbus die Klage nicht als unzulässig abgewiesen, sondern eine Entscheidung in der Sache getroffen. § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGG ist jedoch entsprechend anwendbar, wenn das SG zwar in der Sache selbst, aber aus Gründen, die das LSG nicht für zutreffend hält, die Klage abgewiesen und zu den eigentlichen Sachfragen nicht Stellung genommen hat, weil es in einer rechtlichen Vorfrage die Weiche falsch gestellt hat (BSG, Urteil vom 18. Februar 1981 – 3 RK 61/80 –, juris; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 159 Rn. 2b). Ein solcher Fall ist hier gegeben.

 

Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vom Hundert gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Nach § 56 Abs. 1 Satz 2 SGB VII besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente, wenn die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert ist und die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20 erreichen.

 

Das SG Cottbus hat in der angegriffenen Entscheidung die Frage des Vorliegens von Unfallfolgen, die zu einer Rentenberechtigung des Klägers führen könnten, nicht selbständig geprüft. Es hat sich insoweit an den zwischen den Beteiligten am 13. Juni 2017 vor dem SG Detmold geschlossenen Vergleich gebunden gesehen und - aus seiner Sicht zutreffend - weitere Ermittlungen unterlassen. Es ist in Auslegung dieses Vergleichs davon ausgegangen, dass als alleinige Unfallfolge eine vollständig ausgeheilte Tossy II- Verletzung des Schultergelenks rechts festgestellt worden sei. Eine solche Regelung lässt sich dem Vergleich nach sachgerechter Auslegung jedoch nicht entnehmen. Ein gerichtlicher Vergleich hat eine Doppelnatur, er ist sowohl öffentlich-rechtlicher Vertrag als auch Prozesshandlung (Hofmann in: Ory/Weth, jurisPK-ERV Band 3, 1. Aufl., § 101 SGG, Stand: 04. Januar 2021, Rn. 13) und entsprechend §§ 133, 157 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) auszulegen. Bei dessen Auslegung ist daher nicht nur allein der Wortlaut, sondern auch der bisherige Verfahrensablauf heranzuziehen. Eine sachgerechte Auslegung ergibt, dass durch den Vergleich eine Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung einer Schultergelenksverletzung Typ Tossy II - ohne die weitere Feststellung, dass diese folgenlos ausgeheilt sei – erfolgt ist.

 

Der Wortlaut des Vergleichs ist insoweit zwar offen. Die Formulierung, „entsprechend auch der Regelung im Bescheid über die Ablehnung von Verletztenrente vom 19.04.2017, (bereit), als weitere Folge des Arbeitsunfalls des Klägers vom 16.04.2013 eine Sprengung des Schultergelenkes Typ Tossy II rechts festzustellen“, kann dahingehend ausgelegt werden, dass die Sprengung des Schultergelenkes als unmittelbare Unfallfolge anerkannt werden soll, sie könnte aber auch dahingehend verstanden werden, dass auch der in dem Bescheid vom 19. April 2017 enthaltene Zusatz, dass diese folgenlos ausgeheilt sei, von der Feststellung mitumfasst sein soll.

Die weitere unter Ziffer 3. des Vergleichs getroffene Regelung nimmt ebenfalls auf die Schultergelenkssprengung Bezug, indem dort ausgeführt wird, dass sich die „aus der nunmehr als Unfallfolge anerkannten Schultergelenkssprengung“ ergebenden Leistungsansprüche in den weiteren Verwaltungsverfahren geprüft werden sollen. Auch in dieser Regelung ist nur von der Unfallfolge der „anerkannten Schultergelenkssprengung“ und nicht von deren Ausheilung die Rede. Dies könnte dafür sprechen, dass in Ziffer 1. allein die Schultergelenkssprengung anerkannt werden sollte.

 

Aus der für die Auslegung des Vergleichs nach § 133, 157 BGB ebenfalls maßgeblichen Sicht der Beteiligten spricht jedoch Überwiegendes dafür, dass eine folgenlose Ausheilung nicht Bestandteil der Feststellung nach Ziffer 1. des Vergleichs sein sollte. Eine vergleichsweise Regelung, wie sie das SG Cottbus angenommen hat, würde mit Blick auf den bisherigen Verfahrensablauf keinen Sinn ergeben. Eine Feststellung, dass Unfallfolge eine Sprengung des Schultergelenks Typ Tossy II rechts ohne funktionelle Beeinträchtigung ist, hätte für den Kläger keinen rechtlichen Vorteil gebracht. Diese Annahme hatte die Beklagte bereits ihrem im vorliegenden Verfahren angegriffenen Bescheid zur Gewährung von Verletztenrente zugrunde gelegt. Mit der Annahme der folgenlosen Ausheilung wäre, sowie das SG insoweit zu Recht ausgeführt hat, - zumindest ab dem Zeitpunkt des Abschlusses des Vergleichs – der Gewährung einer Verletztenrente die Grundlage entzogen. Dass die Beteiligten diese Folge erreichen wollten, ist aber nicht anzunehmen; Ziel der Beteiligten dürfte angesichts der in Ziffer 3. betroffenen Regelung vielmehr gewesen sein, das Verwaltungsverfahren in Bezug auf die Verletztenrente nicht nur mit Blick auf die Bewertung der Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit, sondern auch mit Blick auf die verbliebenen Unfallfolgen offenzuhalten. Davon geht selbst die Beklagte aus, wie sich aus ihrer Stellungnahme im erstinstanzlichen Verfahren vom 10. Februar 2021 ergibt. Darin geht die Beklagte nicht nur davon aus, dass im vorliegenden Verfahren zulässigerweise die Feststellung eines Rentenanspruchs erfolgen könne, sondern dass auch insoweit eine materielle Prüfung zu erfolgen habe. Auch in ihrer Berufungserwiderung zieht sich die Beklagte nicht auf eine Bindungswirkung des vor dem SG Detmold geschlossenen gerichtlichen Vergleichs zurück.

 

Das SG Cottbus hätte zudem selbst von seinem Standpunkt ausgehend, wonach die Schultergelenksverletzung aufgrund des insoweit geschlossenen Vergleichs folgenlos ausgeheilt ist, weitere Ermittlungen anstellen bzw. sich zur Frage verhalten müssen, ab welchem Zeitpunkt von einer Ausheilung auszugehen ist. Auch vom Standpunkt des SG Cottbus aus, wäre für den Zeitraum bis zum Abschluss des gerichtlichen Vergleichs am 13. Juni 2017 die Gewährung einer Verletztenrente aufgrund des Unfalls vom 13. April 2013 in Betracht zu ziehen gewesen.

 

Das Gericht hält eine Zurückverweisung des Rechtsstreits an das SG Cottbus für sachdienlich. Bei der insoweit zu treffenden Ermessensentscheidung hat es die dadurch eintretende zeitliche Verzögerung und die bereits erhebliche Dauer der Streitigkeiten um die Unfallfolgen und der sich daraus ergebende Leistungsansprüche berücksichtigt. In Anbetracht dessen, dass durch die Zurückverweisung eine Verzögerung von nur in etwa einem halben Jahr eintritt und dem Kläger andererseits durch ein Unterlassen der Zurückverweisung eine Tatsacheninstanz verloren gehen würde und zudem bei dem SG Cottbus bei der auch für den vorliegenden Rechtsstreit zuständigen 15. Kammer noch das Verfahren über die Gewährung von Verletztengeld (S 15 U 72/17) anhängig ist, dessen Ausgang gemäß § 72 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII für die Dauer einer zu gewährenden Verletztenrente von Bedeutung sein könnte, sprechen überwiegende Gründe für die Zurückverweisung.

 

Eine Kostenentscheidung war durch den Senat nicht zu treffen. Sie muss der Entscheidung des SG vorbehalten bleiben (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, Rn. 5f zu § 159).

 

Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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