Die Staatskasse ist an die Ausübung des Wahlrechts des Rechtsanwaltes, ob er die Anrechnung nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG auf die Geschäfts- oder die Verfahrensgebühr vornimmt, gebunden.
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Augsburg vom 25.02.2022, S 1 SF 2/22 E, wird zurückgewiesen.
G r ü n d e :
I.
Die Beteiligten streiten über die Höhe der aus der Staatskasse zu erstattenden Rechtsanwaltsvergütung. Streitig ist die Höhe der Verfahrensgebühr sowie ob und in welcher Höhe eine Anrechnung nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG zu erfolgen hat.
Die Erinnerungsführerin und Beschwerdeführerin (im Folgenden: Bf) erhob für die Kläger zu 1) bis 5) am 25.04.2019 Klage zum Sozialgericht Augsburg (SG) und beantragte die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH). Streitig zwischen den Klägern und dem Beklagten waren höhere Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) wegen Umgangskosten (Az. S 8 AS 525/19).
Mit Beschluss vom 19.07.2019 bewilligte das Sozialgericht allen fünf Klägern Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der Bf. In der mündlichen Verhandlung vom 25.07.2019 schlossen sodann die Kläger und der Beklagte einen Vergleich, mit dem sich der Beklagte auch bereit erklärte, 1/4 der außergerichtlichen Kosten der Kläger zu tragen. In dem Termin war die Bf nicht anwesend.
Am 29.09.2019 beantragte die Bf, die von dem Beklagten zu erstattenden Kosten entsprechend der Quote von 1/4 insgesamt auf 431,18 Euro festzusetzen. Die Kostenbeamtin setzte abweichend vom Antrag Kosten in Höhe von lediglich 116,03 Euro fest (Kostenfestsetzungsbeschluss vom 09.07.2021), ohne den Mehrvertretungszuschlag nach Nr. 1008 VV RVG zu berücksichtigen. Zudem sei lediglich eine Verfahrensgebühr in Höhe von 200,- Euro und nicht - wie beantragt - in Höhe von 360,00 Euro angemessen.
Auf die dagegen eingelegte Erinnerung setzte das SG mit Beschluss vom 27.08.2021, S 6 SF 123/21 E, die vom Beklagten zu erstattenden Kosten auf 294,53 Euro fest. Insgesamt errechne sich nämlich für das Widerspruchsverfahren und für das Klageverfahren ein Erstattungsbetrag in Höhe von 1.178,10 Euro (Gebührenanspruch für das Widerspruchsverfahren: 809, 20 Euro und für das Klageverfahren: 368,90 Euro), wovon der Beklagte 1/4 zu tragen habe. Dass für das Klageverfahren ein Erstattungsanspruch in Höhe von 368,90 Euro entstanden sei, ergäbe sich daraus, dass die Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV RVG in Höhe von 200,00 Euro angefallen sei, hiervon seien nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG 150,00 Euro entsprechend dem Vergütungsantrag der Bf vom 29.09.2019 abzusetzen. Weiter angefallen seien der Erhöhungstatbestand nach Nr. 1008 VV RVG in Höhe von 240,00 Euro sowie die Auslagenpauschale nach Nr. 7002 VV RVG und die Umsatzsteuer.
Ebenfalls am 29.09.2019 beantragte die Bf, die vom Erinnerungsgegner und Beschwerdegegner (im Folgenden: Bg) zu erstattenden Kosten im Verfahren Az. S 8 AS 525/19 auf 724,71 Euro festzusetzen wie folgt:
Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV RVG |
|
360,00 Euro |
Erhöhungsgebühr Nr. 1008 VV RVG |
|
432,00 Euro |
Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG |
|
20,00 Euro |
Zwischensumme |
|
812,00 Euro |
abzgl. 25 % |
|
609,00 Euro |
Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG |
|
115,71 Euro |
Gesamt |
|
724,71 Euro
|
Die zuständige Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle setzt die Vergütung mit Vergütungsfestsetzungsbeschluss vom 03.01.2022 auf 276,68 Euro fest:
Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV RVG |
|
200,00 Euro |
Erhöhungstatbestand Nr. 1008 VV RVG |
|
240,00 Euro |
Anrechnung Vorb. 3 Abs. 4 VV RVG |
|
150,00 Euro |
Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG |
|
20,00 Euro |
Zwischensumme |
|
310,00 Euro |
Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG |
|
58,90 Euro |
Gesamt |
|
368,90 Euro |
abzgl. Quote ¾ laut Vergleich |
|
276,68 Euro
|
Die Festsetzung erfolge entsprechend dem Beschluss vom 27.08.2021 im Erinnerungsverfahren Az. S 6 SF 123/21 E. Auf die dortige Begründung werde verwiesen.
Hiergegen hat die Bf Erinnerung eingelegt. Zur Höhe der Verfahrensgebühr führte sie aus, die Berücksichtigung der unterdurchschnittlichen Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Kläger dürfe nicht berücksichtigt werden. Die Angelegenheit sei für die Kläger infolge des geringen Einkommens von überdurchschnittlicher Bedeutung gewesen. Umfang und Schwierigkeit seien durchschnittlich gewesen. Die Synergieeffekte würden laut eines Beschlusses des BayLSG vom 22.08.2012, L 15 SF 57/11 B E lediglich 20 % betragen, wobei sich dies noch im Toleranzrahmen bewegen würde. Ferner sei die Erhöhungsgebühr entstanden. Die Anrechnung in Höhe von 150,00 Euro habe nicht zu erfolgen.
Das SG hat die Erinnerung mit Beschluss vom 25.02.2022 zurückgewiesen. Entgegen der Ansicht der Bf sei kein höherer Kostenerstattungsanspruch gegenüber dem Bg entstanden. Für das Klageverfahren errechne sich ein Erstattungsanspruch in Höhe von 368,90 Euro. Insoweit werde von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen und auf den Beschluss des SG Augsburg vom 27.08.2021 - S 6 SF 123/21 E - verwiesen (§ 136 Abs. 3 SGG). Da die Bf gegenüber dem Beklagten 1/4 dieser Kosten entsprechend des Vergleichs vom 25.07.2019 geltend gemacht habe, habe nunmehr der Bg 3/4 dieser Kosten noch zu erstatten, also die von der Kostenbeamtin errechneten 276,68 Euro.
Mit ihrer am 14.03.2022 erhobenen Beschwerde verfolgt die Bf ihr Begehren auf Festsetzung einer höheren Verfahrensgebühr sowie dem Unterlassen einer Anrechnung weiter. Zur Begründung wird die bisherige Argumentation wiederholt.
Der Beschwerdegegner hatte Gelegenheit zur Stellungnahme.
Im Übrigen wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte dieses Verfahrens sowie des Erinnerungsverfahrens mit dem Az. S 1 SF 2/22 E und die beigezogene Akte des Sozialgerichts Augsburg mit dem Az. S 8 AS 525/19 verwiesen.
II.
Die Beschwerde der Beschwerdeführerin ist erfolglos.
1. Zuständig für die Entscheidung ist der Einzelrichter gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 iVm. § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG.
2. Zur Anwendung kommen im vorliegenden Fall die Regelungen des RVG in der ab dem 01.08.2013 bis 31.12.2020 geltenden Fassung gemäß dem Zweiten Gesetz zur Modernisierung des Kostenrechts (Zweites Kostenrechtsmodernisierungsgesetz - 2. KostRMoG) vom 23.07.2013 (BGBl S. 2586, 2681 ff.), denn der unbedingte Auftrag i.S.v. § 60 Abs. 1 RVG (idF des KostRÄG 2021, BGBl 2020 I S. 3229) ist der Bf nach dem 31.07.2013, aber vor dem 01.01.2021 erteilt worden.
3. Die Beschwerde ist zulässig.
Sie ist statthaft, da der Wert des Beschwerdegegenstands 200,00 Euro übersteigt (§ 56 Abs. 2 Satz 1 iVm. § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG). Die Beschwerde ist auch fristgerecht innerhalb der Zweiwochenfrist des § 56 Abs. 2 Satz 1 iVm. § 33 Abs. 3 Satz 3 RVG eingelegt worden.
4. Die Beschwerde ist aber nicht begründet.
Die Bf hat keinen Anspruch auf eine höhere als die vom SG nach dem erhöhten Gebührenrahmen für angemessen erachtete Verfahrensgebühr von 440,- Euro. Das SG hat auch zu Recht hierauf eine Anrechnung nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG vorgenommen.
a) Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 RVG entstehen in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen - wie hier - das Gerichtskostengesetz (GKG) nicht anzuwenden ist, Betragsrahmengebühren, die dem im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalt aus der Staatskasse zu erstatten sind (§ 45 Abs. 1 RVG). Die Höhe der Vergütung errechnet sich nach dem Vergütungsverzeichnis der Anlage 1 zum RVG. Bei Rahmengebühren bestimmt nach § 14 Abs. 1 RVG der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen (Satz 1). Bei Rahmengebühren ist das Haftungsrisiko zu berücksichtigen (Satz 3). Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (Satz 4), wobei ihm ein Spielraum bzw. eine Toleranzgrenze von 20 % zusteht (BSG, Urteil vom 01.07.2009, B 4 AS 21/09 R, BSGE 104, 30-41; zur Berechnung der 20%-Toleranzgrenze vgl. Beschluss des Senats vom 24.03.2020, L 12 SF 271/16 E). Im Fall einer nicht verbindlichen, d.h. nicht der Billigkeit entsprechenden Bestimmung der Gebühr durch den Rechtsanwalt, wird die Gebühr im Vergütungsfestsetzungsverfahren bestimmt. Der gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 RVG zuständige Urkundsbeamte der Geschäftsstelle (Kostenbeamter), im Fall der Erinnerung das gemäß § 56 Abs. 1 RVG zuständige Gericht und im Fall der Beschwerde das Beschwerdegericht gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 RVG sind befugt und verpflichtet, die von dem Rechtsanwalt bestimmten Gebühren auf ihre Billigkeit hin zu überprüfen und bei Feststellung der Unbilligkeit die Gebühr selbst festzusetzen.
b) Unter Berücksichtigung dieser Kriterien ist die Gebührenbestimmung der Bf in Bezug auf die Verfahrensgebühr Nrn. 3102, 1008 VV RVG unbillig und war neu festzusetzen.
Mit der Verfahrensgebühr im Klage- bzw. Antragsverfahren wird der Aufwand für Besprechung und Beratung des Mandanten, das Anfordern und die Sichtung von beigezogenen und eingeholten Unterlagen, die Rechtsprechungs- und Literaturrecherche, der Schriftverkehr mit dem Mandanten und dem Gericht und alle Tätigkeiten, für die mangels entsprechender Gebührenvorschriften nicht eine besondere Gebühr angesetzt werden kann, vergütet. Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Landessozialgerichts ist die anwaltliche Tätigkeit in einem gerichtlichen Verfahren jedenfalls dann durchschnittlich umfangreich, wenn Klage erhoben, Akteneinsicht genommen, die Klage begründet und zu den (beispielsweise) medizinischen, sonstigen tatsächlichen oder auch rechtlichen Ermittlungen Stellung genommen wird (BayLSG, Beschluss vom 21.09.2016, L 15 SF 154/16 E).
Dies zugrunde gelegt ist der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit als weit unterdurchschnittlich zu werten. Zu berücksichtigen waren die im Klageverfahren geleisteten Tätigkeiten, die hier - neben Antragstellung und PKH-Beantragung - darin bestanden, die Klage einschließlich der Sachverhaltsdarstellung in fünf kurzen Sätzen, im Übrigen ohne rechtliche Ausführungen, zu begründen. Es folgte ein weiterer kurzer Schriftsatz, mit dem die Klage um einen Kläger erweitert werden sollte. Akteneinsicht erfolgte nicht, die Auseinandersetzung mit (medizinischen) Gutachten war nicht erforderlich. Im PKH-Verfahren wurden Unterlagen vorgelegt sowie an die Entscheidung über den PKH-Antrag erinnert. Eine Terminsvorbereitung war nicht notwendig, da die Bf nicht an der mündlichen Verhandlung teilgenommen hat. Am Vergleichsschluss bzw. der Vorbereitung des Vergleichs war die Bf nicht beteiligt.
Die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit wird als durchschnittlich beurteilt und im Übrigen auf die zutreffenden Ausführungen der Kostenrichterin im Beschluss vom 27.08.2021, S 6 SF 123/21 E, verwiesen, § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG.
Die Bedeutung der Angelegenheit für die Auftraggeber war angesichts des Streitgegenstandes "Umgangskosten" leicht überdurchschnittlich. Bei der Beurteilung der Bedeutung der Angelegenheit ist auf die unmittelbare tatsächliche, ideelle, gesellschaftliche, wirtschaftliche oder rechtliche Bedeutung für den Auftraggeber, nicht aber für die Allgemeinheit abzustellen (vgl. BSG, Urteil vom 01.07.2009, B 4 AS 21/09 R, juris Rn. 37).
Hinzu treten die weit unterdurchschnittlichen Einkommensverhältnisse der Kläger, die auf den Bezug von Leistungen nach dem SGB II angewiesen sind. Dieser Umstand allein kann es rechtfertigen, eine Herabbemessung der Mittelgebühr vorzunehmen. Denn die Kriterien nach § 14 Abs 1 Satz 1 RVG stehen selbstständig und gleichwertig nebeneinander. Hierin ist auch keine "unzulässige Doppelberücksichtigung" zu sehen, zumal der Wortlaut des § 14 Abs 1 Satz 1 RVG die Einkommens- und Vermögensverhältnisse ausdrücklich als Bemessungskriterium aufführt (vgl. BSG, Urteil vom 01. Juli 2009 - B 4 AS 21/09 R -, juris, Rn 38). Ein besonderes Haftungsrisiko lag nicht vor.
Bei Abwägung aller Kriterien des § 14 RVG, insbesondere auch der Tatsache, dass allein unterdurchschnittliche Einkommens- und Vermögensverhältnisse die Herabbemessung der Mittelgebühr rechtfertigen können (vgl. BSG, Urteil vom 01.07.2009, a.a.O., juris Rn. 38), kommt dem konkreten Verfahren eine unterdurchschnittliche Bedeutung zu, so dass nur der Ansatz einer Gebühr von 200,00 Euro gerechtfertigt ist. Damit hat die Bf die Toleranzgrenze von bis zu 20% (BSG, Urteil vom 01.07.2009, B 4 AS 21/09 R, BSGE 104, 30-41; zur Berechnung der 20%-Toleranzgrenze vgl. Beschluss des Senats vom 24.3.2020, L 12 SF 271/16 E) beim Ansatz einer Gebühr von 300,00 Euro überschritten, sodass der Ansatz ihrer Gebühr unbillig ist und die Gebühr neu festzusetzen war. Synergieeffekte wurden bei der Bemessung der Gebührenhöhe nicht berücksichtigt und sind auch nicht ersichtlich.
Die Ausführungen der Bf, die "Erhöhungsgebühr" nach Nr. 1008 VV RVG sei entstanden, sind nicht verständlich. Zum einen handelt es sich bei der Erhöhung nach Nr. 1008 VV RVG nicht um eine eigenständige Gebühr, sondern es wird vielmehr lediglich der Mindest- und Höchstbetrag der entsprechenden Betragsrahmengebühr erhöht (Uhl in Toussaint, Kostenrecht, 51. Aufl. 2021, VV 1008 RVG Rn. 1, 10). Die Kostenbeamtin und ihr folgend die Kostenrichterin haben zum anderen den erhöhten Gebührenrahmen bereits berücksichtigt, indem sie bei vier weiteren Klägern eine Erhöhung der zunächst für zutreffend erachteten 200,00 Euro um 120 % vorgenommen haben und damit zu einer Verfahrensgebühr nach Nrn. 3102, 1008 VV RVG in Höhe von 440,- Euro gelangt sind. Die Ausführungen gehen daher ins Leere.
c) Hierauf hat das SG auch grundsätzlich zutreffend eine Anrechnung nach Vorb. 3 Abs. 4 VV RVG vorgenommen.
aa) Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG lautet: "Soweit wegen desselben Gegenstands eine Geschäftsgebühr nach Teil 2 entsteht, wird diese Gebühr zur Hälfte, bei Wertgebühren jedoch höchstens mit einem Gebührensatz von 0,75, auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens angerechnet. Bei Betragsrahmengebühren beträgt der Anrechnungsbetrag höchstens 175,00 Euro. Sind mehrere Gebühren entstanden, ist für die Anrechnung die zuletzt entstandene Gebühr maßgebend. Bei einer Betragsrahmengebühr ist nicht zu berücksichtigen, dass der Umfang der Tätigkeit im gerichtlichen Verfahren infolge der vorangegangenen Tätigkeit geringer ist. Bei einer wertabhängigen Gebühr erfolgt die Anrechnung nach dem Wert des Gegenstands, der auch Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens ist."
Maßgeblich im Verhältnis zwischen der Staatskasse und dem Rechtsanwalt ist zudem § 15a Abs. 1 RVG (vgl. auch Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, RVG, 25. Aufl. 2021, § 15a, Rn. 11). § 15a Abs. 1 RVG bestimmt für den Fall, dass das Gesetz die Anrechnung einer Gebühr auf eine andere Gebühr vorsieht, der Rechtsanwalt beide Gebühren fordern kann, jedoch nicht mehr als den um den Anrechnungsbetrag verminderten Gesamtbetrag der beiden Gebühren. Die Anrechnung nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG bewirkt daher nach § 15a Abs. 1 RVG, dass der Rechtsanwalt sowohl die Verfahrensgebühr als auch die Geschäftsgebühr vom jeweiligen Schuldner in voller Höhe verlangen kann, insgesamt aber nicht mehr als den um den Anrechnungsbetrag verminderten Gesamtbetrag. Der Anwalt hat daher ein Wahlrecht, welche Gebühr er von wem verlangt, solange die geforderte Summe nicht den in Abs. 1 Halbsatz 2 genannten verminderten Gesamtbetrag überschreitet.
Die Staatskasse muss im Ergebnis keine Zahlungen erbringen, die über dem Gesamtbetrag der zu fordernden Gebühren liegen. Andererseits bedeutet es aber auch, dass das Wahlrecht des Rechtsanwalts, welche Gebühren er von welchem Gebührenschuldner fordert, ohne Einschränkungen besteht, solange er den Gesamtbetrag nicht übersteigt. Anders jedoch als § 15a Abs. 1 RVG für den Auftraggeber, der sich ausschließlich auf die Überschreitung des Gesamtbetrages berufen kann, enthält § 58 RVG für die Staatskasse eine echte Anrechnungsnorm. Insoweit ist für die Erstattung in sozialgerichtlichen Verfahren § 58 Abs. 2 RVG einschlägig. Hiernach gilt, dass Vorschüsse und Zahlungen, die der Rechtsanwalt vor oder nach der Beiordnung erhalten hat, zunächst auf die Vergütungen anzurechnen sind, für die ein Anspruch gegen die Staatskasse nicht oder nur unter den Voraussetzungen des § 50 RVG besteht. Eine Anrechnung der Geschäftsgebühr Nr. 2300 VV RVG auf die Verfahrensgebühr gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG kommt auch unter dem Rechtsgedanken des § 58 Abs. 2 RVG im Verhältnis zur Staatskasse nur dann und insoweit in Betracht, wenn ansonsten der Rechtsanwalt mehr als seine vollen Regelanwaltsgebühren erhalten würde (Beschluss des Senats vom 24.2.2020, L 12 SF 161/20; Hessisches LSG, Beschluss vom 17.6.2019, L 2 AS 241/18 B, juris; OLG Frankfurt, Beschluss vom 17. Oktober 2012, 14 W 88/12, NJW-RR 2013, 319 m.w.N.; Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, Kommentar RVG, 24. Auflage 2019, § 58 Rn. 33 ff.). Für die Staatskasse tritt daher bei regelgerechter Anrechnung gemäß § 58 Abs. 2 RVG das gleiche Gesamtergebnis ein, welches der Auftraggeber über § 15a Abs. 1 RVG erreicht.
bb) Für das Verfahren S 8 AS 525/19 beträgt der zutreffende verminderte Gesamtbetrag 925,00 Euro (660,00 Euro Geschäftsgebühr zuzüglich 440,00 Euro Verfahrensgebühr (jeweils einschließlich Erhöhungstatbestand nach Nr. 1008 VV RVG) ./. 175,00 Euro hälftiger Geschäftsgebühr). Diesen Betrag in Höhe von 925,- Euro kann die Bf in Bezug auf Geschäfts- und Verfahrensgebühr maximal von den Beteiligten, d.h. den Klägern, dem Beklagten und der Staatskasse verlangen.
Im vorliegenden Fall hat die Bf keinerlei Anrechnung vorgenommen und damit ihr Wahlrecht nicht ausgeübt. Die Anrechnung erfolgte jedoch im Kostenfestsetzungsverfahren Az. S 6 SF 123/21 E in der Weise, dass eine Anrechnung im Klageverfahren vorgenommen wurde. Dementsprechend findet auch im Vergütungsfestsetzungsverfahren eine Anrechnung im Klageverfahren statt.
Bei quotierter Kostenerstattung durch den Beklagten verbleibt dem Rechtsanwalt denknotwendig hinsichtlich der Geschäftsgebühr eine Vergütungslücke, die er nur seinem Mandanten gegenüber geltend machen kann. Denn die Geschäftsgebühr schuldet die Beklagte nur in Höhe der Quote, während gleichzeitig ein Anspruch auf Erstattung der Geschäftsgebühr gegenüber der Staatskasse nicht besteht. Dieser gegenüber kann der Rechtsanwalt nur die Kosten für das Klageverfahren abrechnen (vgl. hierzu auch Grundsatzbeschluss des Senats vom 24.02.2021, L 12 SF 161/20).
Nach der Rechtsprechung des BayLSG sind zudem Zahlungen auf die Geschäftsgebühr (Nr. 2302 VV RVG) für die Tätigkeit eines im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwaltes im Widerspruchsverfahren auf die Verfahrensgebühr (Nr. 3102 VV RVG) gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG, § 15a Abs. 1 RVG nur anzurechnen, wenn sie tatsächlich erfolgt sind, fiktive Anrechnungen erfolgen nicht (BayLSG, Beschluss vom 02.12.2015, Az. L 15 SF 133/15, LS 1, bestätigt durch Beschluss des Senats vom 24.02.2021, Az. L 12 KA 161/20). Zudem ist zu beachten, dass es einen gequotelten Anspruch aus der Prozesskostenhilfe nicht gibt, dieser vielmehr immer voll entsteht (vgl. auch hierzu Beschluss des Senats vom 24.02.2021, L 12 SF 161/20).
d) Für die Berechnung der aus der Staatskasse zu erstattenden Vergütung ergibt sich aus diesen Grundsätzen folgende Berechnung:
aa) Zunächst ist festzustellen, welche Abrechnung (netto) der Rechtsanwalt gegenüber dem Beklagten (tatsächlich) vorgenommen hat bzw. - wie hier - welche Kosten gegenüber dem Beklagten festgesetzt wurden. Nachdem sich aus den Akten nichts anderes ergibt, unterstellt der Senat, dass der Beklagte die festgesetzten Kosten auch erstattet hat.
Gegenüber dem Beklagten wurden mit Beschluss des SG vom 27.08.2021, S 6 SF 123/21 E, insgesamt 247,50 Euro netto (= 294,53 Euro brutto) festgesetzt. Dieser Betrag setzt sich (netto) zusammen aus 1/4 einer Geschäftsgebühr von 660,00 Euro (Nr. 2302, 1008 VV RVG) = 165,00 Euro (zuzüglich 1/4 der Auslagenpauschale = 5,00 Euro) und 1/4 der Verfahrensgebühr von 440,00 Euro (Nr. 3102, 1008 VV RVG) unter Anrechnung von 150,00 Euro = 72,50 Euro (zuzüglich 1/4 der Auslagenpauschale = 5,00 Euro).
Nach der Kostenfestsetzung entfallen damit auf das Vorverfahren 170,00 Euro und auf das Klageverfahren 77,50 Euro.
bb) Für die Berechnung der aus der Staatskasse zu erstattenden Vergütung ist sodann zu prüfen, welche Gebühren für das Klageverfahren angemessen sind.
Vorliegend ist - anders als von der Bf beantragt - eine Verfahrensgebühr nach Nr. 3102, 1008 VV RVG in Höhe von 440,- Euro zutreffend, wobei hierauf eine Anrechnung nach Vorb. 3 Abs. 4 VV RVG in Höhe von 175,00 Euro zu erfolgen hat. Für eine Erhöhung der maximal anzurechnenden Gebühr von 175,00 Euro lässt das Gesetz keinen Raum. Die Regelung der Vorbemerkung 3 Abs. 4 Satz 2 VV RVG bestimmt insoweit eine eindeutige Höchstgrenze, welche einer Auslegung nicht zugänglich ist (vgl. Beschluss des Senats vom 24.02.2021, L 12 SF 161/20; LG Düsseldorf, Urteil vom 22.6.2007, 22 S 439/06). Hinzu kommt die Auslagenpauschale nach Nr. 7002 VV RVG. Auf das Klageverfahren hat der Beklagte 77,50 Euro gezahlt, weitere Teilzahlungen, insbesondere von den Klägern, sind laut Akteninhalt nicht erfolgt und auch von der Bf dem Gericht nicht angezeigt worden.
cc) Die aus der Staatskasse zu erstattende Vergütung wäre daher anhand der (angemessenen) Gebühren wie folgt zu berechnen:
Nrn. 3102, 1008 VV RVG |
440,00 Euro |
Anrechnung Vorb. 3 Abs. 4 VV RVG |
175,00 Euro |
Nr. 7002 VV RVG |
20,00 Euro |
Zwischensumme |
285,00 Euro |
Abzüglich vom Beklagten auf Klageverfahren gezahlt |
77,50 Euro |
Zwischensumme |
207,50 Euro |
Nr. 7008 VV RVG |
39,43 Euro |
Gesamt |
246,93 Euro |
dd) Die Richtigkeit dieser Rechnung wird durch folgende Kontrollrechnung (netto) bestätigt:
Die Regelanwaltsvergütung, d.h. die Vergütung, die der Rechtsanwalt zutreffenderweise gegen alle Beteiligten insgesamt geltend machen kann, beträgt - unter Berücksichtigung der Anrechnung im Klageverfahren - hier 965,00 Euro netto (660,00 Euro Nrn. 2300, 1008 VV RVG, 20,00 Euro Auslagenpauschale für das Vorverfahren = 680,00 Euro für das Vorverfahren und 440,00 Euro Nrn. 3102, 1008 VV RVG ./. 175,00 Euro Anrechnung = 265,00 Euro sowie 20,00 Euro Auslagenpauschale = 285,- Euro für das Klageverfahren).
Vom Beklagten hat die Bg hierauf insgesamt 247,50 Euro und aus der Staatskasse 207,50 Euro erhalten, mithin insgesamt 455 Euro.
Zur Regelanwaltsvergütung in Höhe von 965,00 Euro verbleibt eine "Vergütungslücke" von 510,00 Euro (davon 495,00 Euro Geschäftsgebühr und 15,00 Euro Auslagenpauschale für das Vorverfahren), die die Bf gegenüber den Klägern geltend machen muss (Quote 3/4). Denn hierfür hat weder der Beklagte (nur Quote 1/4) noch die Staatskasse (PKH nur für das Klageverfahren) einzustehen.
ee) Die der Bf gegenüber der im angefochtenen Beschluss festgesetzten Vergütung von 276,68 Euro an sich zustehende niedrigere Vergütung hat aber nicht zur Folge, dass diese im Beschwerdeverfahren festzusetzen war. Einer solchen Entscheidung steht das Verschlechterungsverbot (Verbot der reformatio in peius) entgegen, da nur die Bf Erinnerung und Beschwerde erhoben hat. Dem Verschlechterungsverbot kommt erhebliches verfahrensrechtliches Gewicht zu. Es stellt eine dem Rechtsmittelführer gewährte Rechtswohltat dar, die ihn davor schützt, auf sein eigenes Rechtsmittel hin in seinen Rechten über die mit der angegriffenen Entscheidung verbundene Beschwer hinaus weiter beeinträchtigt zu werden (BGH, Beschluss vom 18. Dezember 1985 - Ivb ZB 677/81 mwN). Es verbleibt daher zugunsten der Bf bei der Vergütungsfestsetzung in Höhe von 276,68 Euro
Deshalb war die Beschwerde zurückzuweisen.
5. Einer Entscheidung über die Kosten bedarf es nicht, weil das Verfahren über die Beschwerde gebührenfrei ist und Kosten nicht erstattet werden, § 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG.
6. Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 56 Abs. 2 Satz 1 iVm. § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).