L 16 R 487/21

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 20 R 2047/19
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 16 R 487/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 2. August 2021 wird zurückgewiesen.

 

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

 

 

Die Klägerin begehrt höhere Regelaltersrente (RAR) unter Berücksichtigung von weiteren jeweils sechs Monaten Kindererziehungszeiten (insgesamt jeweils 36 Monate) für ihre 1983 (D) und 1988 (B) geborenen Söhne.

 

Mit Bescheid vom 8. Mai 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Juli 2019 bewilligte die Beklagte der  1953 geborenen Klägerin antragsgemäß RAR für die Zeit ab 1. Februar 2019. Dabei berücksichtigte sie Kindererziehungszeiten (KEZ) vom 1. Dezember 1983 bis 31. Mai 1986 (30 Monate) für D und vom 1. November 1988 bis 30. April 1991 (30 Monate) für B.

 

Mit Gerichtsbescheid vom 2. August 2021 hat das Sozialgericht (SG) die Klage, mit der die Klägerin eine Gleichbehandlung mit Müttern von seit 1992 geborenen Kindern begehrt, unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 10. Oktober 2018 (- B 13 R 34/17 R = SozR 4-2600 § 249 Nr 2) abgewiesen.

 

Mit der Berufung rügt die Klägerin, § 249 Abs. 1 Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) in der hier anwendbaren, ab 1. Januar 2019 geltenden Fassung (im Folgenden: neuer Fassung – nF -) verstoße gegen Verfassungsrecht, insbesondere gegen Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz (GG) iVm Art. 20 Abs. 1 und 3 GG. Die KEZ für vor und nach 1992 geborene Kinder müssten gleichgestellt und ihr deshalb eine höhere Altersrente zuerkannt werden. Sachliche Gründe für die Ungleichbehandlung seien nicht ersichtlich. Die fortbestehende Differenzierung nach dem Geburtsjahrgang der Kinder sei verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen, zumal die damit verbundenen Mehrkosten im Verhältnis zu den Gesamtausgaben der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) ohne Weiteres finanzierbar seien.

 

Die Klägerin beantragt,

 

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 2. August 2021 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 8. Mai 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Juli 2019 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab 1. Juni 2019 höhere Regelaltersrente unter Berücksichtigung weiterer zwölf Monate Beitragszeiten wegen Kindererziehung vom 1. Juni 1986 bis 30. November 1986 und vom 1. Mai 1991 bis 31. Oktober 1991 zu gewähren

 

Die Beklagte beantragt,

 

                        die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senat ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (vgl. §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz <SGG>).

 

Entscheidungsgründe

 

Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet.

 

Das SG hat die Klage zu Recht zurückgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 8. Mai 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Juli 2019 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die insoweit zulässig erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG) ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf höhere RAR unter Berücksichtigung von weiteren insgesamt zwölf Monaten KEZ. Die Beklagte hat die Rentenhöhe, die nur hinsichtlich des Umfangs der KEZ zwischen den Beteiligten im Streit steht (vgl zur Begrenzung des Streitgegenstandes  BSG, Urteil vom 16. Juni 2015 - B 13 R 27/13 R = SozR 4-5060 Art 6 § 4 Nr 3 – Rn 11; BSG, Urteil vom 28. Juni 2018 - B 5 R 12/17 R = SozR 4-2600 § 307d Nr 3 – Rn 11), richtig festgesetzt. Ein Anspruch auf höhere Rente ergibt sich auch nicht unmittelbar aus der Verfassung. Die Regelung des § 249 Abs. 1 SGB VI in der hier anwendbaren, seit 1. Januar 2019 geltenden Fassung von Art. 1 Nr. 10 Buchst a des Gesetzes vom 28. November 2018 (nF; BGBl I 2016) verstößt nicht gegen das GG.

 

Die Beklagte hat bei der Rentenhöhe zutreffend KEZ im Umfang von jeweils 30 Monaten für jedes der beiden Kinder berücksichtigt. Anzuwenden sind nach § 300 Abs. 1 SGB VI die Regelungen der §§ 56 SGB VI, 249 SGB VI nF. Danach werden für einen Elternteil gemäß § 56 Abs. 1 Satz  1 SGB VI grundsätzlich KEZ in den ersten drei Lebensjahren des Kindes - beginnend nach Ablauf des Monats der Geburt (§ 56 Abs. 5 Satz 1 SGB VI) - angerechnet. Abweichend davon endet die KEZ für - wie hier - vor dem 1. Januar 1992 geborene Kinder nach § 249 Abs. 1 SGB VI nF nunmehr 30 statt wie nach der zuvor geltenden Fassung 24 Kalendermonate nach Ablauf des Monats der Geburt.

 

§ 249 Abs. 1 SGB VI nF ist verfassungsgemäß. Der Senat ist insbesondere nicht von einer Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG iVm Art 6 Abs. 1 GG durch den Ausschluss der Klägerin von einer zusätzlichen Berücksichtigung ihrer Erziehungszeiten in der GRV überzeugt. Er sieht sich deshalb nicht veranlasst, das Verfahren nach Art. 100 Abs. 1 GG auszusetzen und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) einzuholen. Zur Begründung und zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat gemäß § 153 Abs. 2 SGG vollumfänglich auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Gerichtsbescheides und das dort im Einzelnen zitierte Urteil des BSG vom 10. Oktober 2018 (– B 13 R 34/17 R – aaO) Bezug, in dem das BSG ausführlich und zutreffend dargelegt hat, dass bereits die Regelung in § 249 Abs. 1 SGB VI in der bis 31. Dezember 2018 geltenden Fassung (aF), die lediglich die Berücksichtigung von 24 Monaten KEZ für vor dem 1. Januar 1992 geborene Kinder vorsah, verfassungskonform ist. Dem ist nichts hinzuzufügen, zumal die hier anwendbare Regelung eine weitere Angleichung bei der Berücksichtigung von KEZ im Vergleich zu vom 1. Januar 1992 an geborenen Kindern normiert.

 

Zu einer vollständigen Gleichstellung war der Gesetzgeber von Verfassungs wegen schon im Rahmen von § 249 Abs. 1 SGB VI aF nicht verpflichtet (vgl BSG aaO Rn 19 ff unter Bezugnahme auf die Rspr des BVerfG; vgl zu § 307d Abs. 1 Satz 3 SGB VI in der seit 1. Januar 2019 geltenden Fassung auch Landessozialgericht <LSG> Baden-Württemberg, Urteil vom 3. Februar 2021 – L 5 R 2151/20 – juris – Rn 28 ff; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18. Januar 2022 – L 9 R 303/21 – juris). Es liegt innerhalb seines weiten Gestaltungsspielraums, zur Erhaltung und Verbesserung der Funktions- und Leistungsfähigkeit des Systems der GRV auch den Höchstumfang der KEZ und damit die zukünftigen Finanzierungslasten, die aus der Schaffung weiterer langfristiger Leistungsansprüche resultieren, zu begrenzen. Soweit die Klägerin mit ihrer Berufung darauf verweist, dass die durch eine vollständige Angleichung der KEZ entstehenden Mehrausgaben im Vergleich zu den Gesamtausgaben der GRV (und – wie die Klägerin meint – auch im Vergleich zu der durch die Corona-Pandemie ohnehin erheblich gestiegenen Neuverschuldung des Bundes) so gering seien, dass der Gesetzgeber schon deshalb nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gehalten gewesen wäre, die Ungleichbehandlung „endlich“ zu beenden, geht dies schon im Ansatz fehl. Zwar mögen weitere Leistungen der GRV durch Erhöhung des Bundeszuschusses – wie bei den KEZ – durchaus, ggf auch im Wege einer weiteren Erhöhung der Verschuldung und der Mobilisierung zusätzlicher Haushaltsmittel, „finanzierbar“ sein. Dies führt indes nicht dazu, dass der (weite) Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers in solchen Fällen dahingehend eingeengt wäre, dass er aus verfassungsrechtlichen Gründen zur (höheren) Leistungsgewährung verpflichtet wäre, solange sachliche Gründe weiterhin für die gerügte Differenzierung streiten.

 

Das europarechtliche Diskriminierungsverbot, insbesondere aus Art. 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, auf das sich die Klägerin ebenfalls beruft, bietet insoweit keinen weitreichenderen Schutz als das Grundgesetz. Art. 157 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), wonach jeder Mitgliedstaat die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit sicherstellt, ist nicht anwendbar, weil sich der Begriff des „Entgelts“ nicht auf Sozialversicherungsleistungen erstreckt (vgl Erwägungsgründe 14 und 22 der Richtlinie 2006/54/EG, Amtsbl EU vom 26. Juli 2006 L 204/23). Zudem ist schon gar nicht ersichtlich, dass hier eine Ungleichbehandlung vorläge, die mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun hätte (vgl auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 3. Februar 2021 – L 5 R 2151/20 – Rn 33).

 

Eine Entscheidung zugunsten der Klägerin kann schließlich auch nicht unter Berücksichtigung der von der Klägerin mit Schreiben vom 13. Dezember 2021 eindrücklich dargelegten politischen Verfolgung als Lehrerin in der DDR und der sich daraus ergebenden negativen Folgen für ihr Berufsleben, welche auch nicht nach der Wiedervereinigung in vollem Umfang beseitigt wurden bzw werden konnten, getroffen werden. Das Gericht ist an die Gesetze gebunden. Für eine rentenrechtliche Kompensation der von der Klägerin nachvollziehbar geschilderten Nachteile besteht keine gesetzliche Grundlage.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

 

Rechtskraft
Aus
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