L 18 AS 312/22 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
18
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 202 AS 1306/22 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 AS 312/22 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 18. März 2022 wird zurückgewiesen.

 

Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

 

Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihrer Bevollmächtigten bewilligt.

 

 

 

Gründe

 

 

Die Beschwerde der 1994 in Bulgarien geborenen, seit Februar 2019 in Deutschland lebenden Antragstellerin ist nicht begründet. Der Antragsgegner war nicht im Wege einer gerichtlichen Regelungsanordnung iSv § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu verpflichten, für die Zeit ab 9. März 2022 (Antragseingang) für die Dauer von sechs Monaten, längstens bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache, der Antragstellerin, die die bulgarische Staatsangehörigkeit besitzt, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) im Rahmen der Bedarfsgemeinschaft mit ihrem nicht mit ihr verheirateten Partner M S (geb. 1994) und den gemeinsamen, am 1. Oktober 2017 und 8. April 2019 geborenen Kindern K Hund H  H, zu gewähren, die bereits im laufenden Leistungsbezug des Antragsgegners, zuletzt seit 1. März 2022, stehen. Es fehlt bereits an einem Anordnungsgrund für die begehrte gerichtliche Regelung.

 

Für etwaige Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung (KdUH) gilt dies schondeshalb, weil nicht ersichtlich ist, dass die Antragstellerin einer entsprechenden Mietzinsforderung für die im Rubrum bezeichnete Unterkunft ausgesetzt wären. Der vorgelegte Mietvertrag für die von der Antragstellerin und ihrer Familie bewohnte Unterkunft weist als Mieter der Wohnung H M (geb. 1974) auf, bei dem es sich augenscheinlich um den Vater des Lebensgefährten der Antragstellerin handelt, mit dem und dessen Ehefrau die Antragstellerin mit ihrer Familie zusammen lebt. Hinzu kommt, dass die tatsächlichen anteiligen KdUH iHv mtl 571,43 € (4/7 der Gesamtkosten) bereits iHv insgesamt 428,55 € vom Antragsgegner getragen werden (vgl Bescheid vom 9. Februar 2022), der auch den Eltern des Lebensgefährten anteilige KdUH-Leistungen erbringt.

 

Die Antragstellerin ist nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2b SGB II zudem von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen, weil ihr (allenfalls) ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche zusteht und sie sich nicht seit mindestens fünf Jahren im Bundesgebiet aufhält (vgl Rückausnahme in § 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II). Ein hier in Betracht zu ziehendes abgeleitetes Aufenthaltsrecht als Familienangehörige bzw nahestehende Person scheidet aus.

Zwar steht dem Partner der Antragstellerin als Arbeitnehmer ein Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) zu. Aus diesem Aufenthaltsrecht des Partners kann die mit ihrem Partner nicht verheiratete Antragstellerin nach § 3 Abs. 1 FreizügG/EU – anders als die gemeinsamen Kinder – kein Aufenthaltsrecht als Familienangehörige (vgl § 1 Abs. 2 Nr. 3 FreizügG/EU) ableiten. Als nahestehende Person iSv § 1 Abs. 2 Nr. 4c FreizügG/EU könnte ihr zwar nach Maßgabe des mWv 24. November 2020 durch Gesetz vom 12. November 2020 (BGBl I 2416) eingefügten § 3a Nr. 3 FreizügG/EU auf Antrag das Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet verliehen werden, wenn ihr Lebensgefährte mit ihr im Bundesgebiet nicht nur vorübergehend zusammen lebt, wovon derzeit mangels entgegenstehender Anhaltspunkte auszugehen ist. Ob hierzu eine individuell-konkrete Verwaltungsentscheidung erforderlich ist, bedarf keiner Beurteilung (vgl hierzu Hessisches Landessozialgericht <LSG>, Beschluss vom 29. Juli 2021 – L 6 AS 209/21 B ER – juris – Rn 135). Denn jedenfalls fehlt es an den Regelungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 4 Aufenthaltsgesetz (AufenthG), die nach § 11 Abs. 5 FreizügG/EU in den Fällen des § 3a FreizügG/EU entsprechend anzuwenden sind. Denn der Lebensunterhalt der Antragstellerin ist ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel gerade nicht gesichert (vgl § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG). Die Antragstellerin verfügt auch nicht über ein Daueraufenthaltsrecht nach fünfjährigem Aufenthalt in Deutschland (§ 4a Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU). Andere materielle Aufenthaltsrechte (als das zur Arbeitsuche) sind nicht ersichtlich. Insbesondere scheidet auch ein Aufenthaltsrecht aus Art. 10 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union aus (vgl hierzu Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 6. Oktober 2020 – C-181/19 – juris). Denn dies setzt voraus, dass ein Kind der Antragstellerin die Schule besucht. Ihre 2017 und 2019 geborenen Kinder sind jedoch noch nicht schulpflichtig.

 

Ein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet folgt für die Antragstellerin auch nicht aus den für Nicht-EU-Ausländer geltenden Regelungen zum berechtigten Aufenthalt, dh dem AufenthG. Gemäß § 11 Abs. 14 Satz 1 FreizügG/EU finden die Vorschriften des AufenthG Anwendung, wenn sie eine günstigere Rechtsstellung als das FreizügG/EU vermitteln. Denn eine Unionsbürgerin kann sich darauf berufen, nicht schlechter behandelt werden zu dürfen als andere Ausländer. Dies folgt aus Art. 18 Abs. 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), wonach unbeschadet besonderer Bestimmungen der Verträge in ihrem Anwendungsbereich jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten ist. Allerdings enthält das AufenthG im Vergleich zum FreizügG/EU keine (günstigeren) Regelungen, die zu einem Aufenthalt berechtigen würden.

 

Soweit es die Herstellung oder Beibehaltung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft mit ihrem Lebensgefährten und Vater des gemeinsamen Kindes angeht, würde dies auch nach dem AufenthG kein Recht zum Aufenthalt begründen. Nach § 27 Abs. 1 AufenthG wird zwar eine Aufenthaltserlaubnis zur Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet für ausländische Familienangehörige (Familiennachzug) erteilt, um dem Schutz von Ehe und Familie gemäß Art. 6 Grundgesetz (GG) zu entsprechen. Gleiches gilt nur für die Lebenspartnerschaft (§ 27 Abs. 2 AufenthG). Mithin begründet die nichteheliche Lebensgemeinschaft kein Recht auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.

 

Die Beibehaltung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft stellt keinen begründeten Fall im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 3 AufenthG dar, in dem eine Aufenthaltserlaubnis auch für einen von diesem Gesetz nicht genannten Aufenthaltszweck erteilt werden könnte. Denn der Familiennachzug ist in §§ 27 ff AufenthG abschließend geregelt. Nichteheliche Lebensgemeinschaften sind von den ausdrücklichen Regelungen für den Familiennachzug gerade nicht erfasst, so dass die Anwendung von § 7 Abs. 1 Satz 3 AufenthG grundsätzlich gesperrt ist (vgl BSG, Urteil vom 30. Januar 2013 – B 4 AS 54/12 R – juris - Rn 33). Das weitere Zusammenleben mit ihren Kindern könnte der Antragstellerin nach den Regelungen des AufenthG ebenfalls kein Aufenthaltsrecht bzw eine Aufenthaltserlaubnis vermitteln. § 27 AufenthG kommt als Anspruchsgrundlage nicht in Betracht, weil die Vorschrift nur als Generalklausel zu verstehen ist, die durch die nachfolgenden Normen spezifiziert wird (vgl Tewocht in: Kluth/Heusch, BeckOK-Ausländerrecht, 30. Edition, Stand: 1. Juli 2021, § 27 AufenthG Rn 10). Insoweit wird nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG der Familiennachzug von Elternteilen zu ihren minderjährigen ledigen Kindern nur Eltern deutscher Kinder gewährt. Die Kinder der Antragstellerin haben aber die bulgarische Staatsbürgerschaft.

 

Weil insofern an die Staatsangehörigkeit angeknüpft wird, ist in diesem Zusammenhang indes streitig, ob die Nichtgewährung einer Aufenthaltserlaubnis für einen sorgeberechtigten Unionsbürger für ein minderjähriges freizügigkeitsberechtigtes Kind mit Staatsbürgerschaft eines Mitgliedstaats, welches im Bundesgebiet lebt, eine Diskriminierung darstellt (für eine umfassende Gleichstellung mit einem deutschen Kind: LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 1. August 2017 – L 19 AS 1131/17 B ER – juris; Dienelt in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 11 FreizügG/EU Rn 33, 37; dagegen: LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22. Mai 2017 – L 31 AS 1000/17 B ER - juris; Hessisches LSG, Beschluss vom 21. August 2019 – L 7 AS 285/19 B ER – juris - Rn 45; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 9. Juni 2021 – L 34 AS 850/17 – juris – Rn 51; Hessisches LSG, Beschluss vom 29. Juli 2021 – L 6 AS 209/21 B ER – juris - Rn 140; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 16. November 2021 – L 2 AS 438/21 B ER – juris – Rn 50,51 mwN). Der erkennende Senat sieht insoweit keine unzulässige Diskriminierung durch die deutschen Vorschriften. Denn das Diskriminierungsverbot des Art. 18 AEUV gilt nicht absolut und ohne Ausnahmen, sondern lediglich „unbeschadet der besonderen Bestimmungen der Verträge“. Das allgemeine Diskriminierungsverbot aus Gründen der Staatsangehörigkeit wurde von den Mitgliedstaaten nur unter dem Vorbehalt der besonderen Bestimmungen in das Primärrecht aufgenommen. Würde es über diese Beschränkung hinaus auf sämtliche Fälle angewendet, würde die differenzierte Ausgestaltung, die die Mitgliedstaaten als Herren der Verträge an anderen Stellen vorgenommen haben, missachtet werden. Das allgemeine Diskriminierungsverbot ist danach mit einem Vorbehalt ausgestattet, wonach abweichende primär- und sekundärrechtliche Bestimmungen über die unterschiedliche Behandlung wegen der Staatsangehörigkeit möglich sind (Rossi in: Kluth/Heusch, BeckOK-Ausländerrecht, 30. Edition Stand: 1. April 2021, Art. 18 AEUV Rn 22).

 

Zu diesen besonderen Bestimmungen gehören unter anderem Art. 21 AEUV über die Freizügigkeit und den Aufenthalt der Unionsbürger im Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten – vorbehaltlich abweichender Regelungen – und die Art. 45, 49 und 56 AEUV, also die Vorschriften über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer, die Niederlassungsfreiheit und die Dienstleistungsfreiheit. Insbesondere auf der Einräumung der Freizügigkeit nach Art. 21 AEUV (ehemals Art. 18 EGV) beruhen die Regelungen der Unionsbürgerrichtlinie (Richtlinie 2004/38/EG vom 29. April 2004, Abl L 158, S 123). Die Unionsbürgerrichtlinie regelt im Einzelnen die Bedingungen, unter denen Unionsbürger und ihre Familienangehörigen ihr Recht auf Freizügigkeit innerhalb des Hoheitsgebiets der Mitgliedstaaten wahrnehmen können, das Recht dieser Personen auf Daueraufenthalt sowie die Beschränkungen dieser Rechte (vgl insbesondere Art. 24 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie, der eine ausdrückliche Ausnahme vom Diskriminierungsverbot enthält). Insofern bilden die Regelungen in Art. 7 der Unionsbürgerrichtlinie zum Daueraufenthaltsrecht auch für Familienangehörige – wozu die Antragstellerin gemäß Art. 2 Nr. 2 der Unionsbürgerrichtlinie nicht gehört – die Grundlage für die gleichwirkende deutsche Regelung in § 2 Abs. 2 Nr. 6 FreizügG/EU. Insofern enthält schon das Unionsrecht eine Begrenzung der Freizügigkeit. Auch das sonstige ausdifferenzierte Normprogramm der Unionsbürgerrichtlinie zu den Freizügigkeitsbegünstigten und das sie umsetzende nationale Recht würde durch eine Anwendung des § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG auf den Elternteil eines minderjährigen Unionsbürgers umgangen (vgl LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 9. Juni 2021 – L 34 AS 850/17 – juris - Rn 51). Im Übrigen finden die Nachzugsregelungen in § 28 Abs. 1 und 2 AufenthG ihre besondere Rechtfertigung gerade in dem Umstand, dass der Nachzug zu einem in Deutschland lebenden deutschen Staatsangehörigen erfolgt. Das Ziel ist daher die Familienzusammenführung in dem Heimatstaat, nicht in einem ausländischen Staat. Auf den Status eines deutschen Staatsangehörigen kann sich ein Unionsbürger daher jedenfalls insoweit nicht berufen. Eine Verletzung des Diskriminierungsverbots aus Gründen der Staatsangehörigkeit ist darin gerade nicht gegeben (Rossi in: Kluth/Heusch Ausländerrecht, 30. Edition Stand: 1. April 2021, Art. 18 AEUV Rn. 22).

 

Aus § 36 AufenthG folgt ebenfalls kein Anspruch auf einen Aufenthalt der Antragstellerin im Bundesgebiet. Denn es hält sich, anders als von § 36 Abs. 1 AufenthG vorausgesetzt, bereits ein weiterer personensorgeberechtigter Elternteil im Bundesgebiet auf. Sonstigen Familienangehörigen eines Ausländers kann gemäß § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG zum Familiennachzug eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn es zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich ist. Allerdings gelten auch insoweit die allgemeinen Voraussetzungen für die Erteilung von Aufenthaltstiteln, insbesondere das Erfordernis eines gesicherten Lebensunterhalts, § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG. Dies ist, wie bereits ausgeführt, nicht der Fall.

 

Auch Art. 6 GG verlangt nicht die Annahme eines den Leistungsausschluss gem. § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II beseitigenden Aufenthaltsrechts. Diese Regelung vermittelt keinen eigenständigen Anspruch auf Einreise und Aufenthalt (vgl. Eichhorn in: Huber/Mantel, AufenthG, 3. Aufl. 2021, § 27 Rn. 2 u. 16; Dienelt in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, AufenthG § 27 Rn. 90). Zwar müssen Art. 6 GG und Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) bei der Prüfung, ob ein sorgeberechtigter Angehöriger eines minderjährigen, freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers über ein Aufenthaltsrecht verfügt, berücksichtigt werden (vgl BVerfG, Beschlüsse vom 4. Oktober 2019 – 1 BvR 1710/18 – juris - Rn 13 und vom 8. Juli 2020 – 1 BvR 932/20 – juris - Rn 15). Der Schutzbereich von Art. 6 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 4 GG kann berührt sein, wenn den Betroffenen ein familiäres Zusammenleben nur im Heimatland, nicht aber im Bundesgebiet ermöglicht wird (vgl BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 1987 – 2 BvR 1226/83 – juris - Rn 88 ff). Im Falle der Antragstellerin liegt aber keine unverhältnismäßige Beeinträchtigung der grundrechtlichen Gewährleistungen vor. Insbesondere sind keine besonderen Gründe zu erkennen, die ein – gemeinsames – Verlassen des Bundesgebietes mit dem Kind und ihrem Lebensgefährten unzumutbar machen würden. Die Familie hält sich erst seit Februar 2019 im Bundesgebiet auf. Die Kinder sind noch nicht schulpflichtig. Auch sonst sind keine rechtlich erheblichen gravierenden Beeinträchtigungen zu erkennen, die bei einer Herstellung des familiären Zusammenlebens im Heimatland drohen würden.

 

Spricht daher derzeit alles dafür, dass jedenfalls dem Anspruch der Antragstellerin auf Leistungen nach dem SGB II ein gesetzlicher Leistungsausschluss entgegensteht, weil sich ihr Aufenthaltsrecht derzeit allenfalls aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt und daher der – insoweit auch nach dem seit 29. Dezember 2016 geltenden Recht wirksame (vgl zur alten Rechtslage BSG, Urteile vom 3. Dezember 2015 - B 4 AS 59/13 R ua – juris; vgl auch seine Rspr bekräftigend BSG, Urteil vom 30. August 2017 - B 14 AS 31/16 R -) – Leistungsausschluss in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II in der derzeit geltenden Fassung zum Tragen kommt (jetzt ausdrücklich vom BSG bejaht, vgl Urteil vom 29. März 2022 – B 4 AS 2/21 R – zitiert nach Terminsbericht Nr 11/22), gälte dieser Vorbehalt des § 7 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB II – wie das BSG zur alten Rechtslage ebenfalls ausdrücklich klargestellt hat (vgl BSG aaO) – zwar nicht für Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch – Sozialhilfe – (SGB XII). Nunmehr hat das BSG (aaO) jedoch entschieden, dass auch der gleichlautende Leistungsausschluss in § 23 Abs. 3, 3a SGB XII in der seit 29. Dezember 2016 geltenden Fassung verfassungskonform ist. Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsauffassung an und sieht keinen Anlass mehr, aus verfassungsrechtlichen Gründen auch im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zum Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG), wonach im Lichte des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums gemäß Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) iVm dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 GG, das deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in Deutschland aufhalten, gleichermaßen zusteht, dem Grunde nach unverfügbar ist und das unmittelbar kraft Verfassungsrechts gebietet, dass ein Leistungsanspruch eingeräumt werden „muss“ (so ausdrücklich BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2012 – 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 – juris – Rn 62 mwN), eine Folgenabwägung vorzunehmen. Der Senat hält daher die hierzu bislang im Wege der Folgenabwägung erfolgte Rechtsprechung (vgl zuletzt Beschluss des erkennenden Senats vom 17. März 2022 – L 18 AS 232/22 B ER – juris) nicht mehr aufrecht. Denn anders als bei den vom AsylbLG erfassten Personen besteht bei Unionsbürgern und damit auch bei der Antragstellerin grundsätzlich kein Anlass, an der Zumutbarkeit ihrer Ausreise zu zweifeln (vgl BSG aaO). Anhaltspunkte, die dafür sprächen, dass es der Antragstellerin und ihrer Familie nicht zumutbar wäre, nach Bulgarien zurückzukehren, sind weder vorgetragen noch im Übrigen ersichtlich. Die Härtefallregelung in § 23 Abs. 3 Satz 6 SGB XII kommt daher ebenfalls nicht zum Tragen.

 

Der Antragstellerin steht schließlich auch kein Anspruch unter dem Gesichtspunkt zu, dass sie sich derzeit mangels Verlustfeststellung rechtmäßig in Deutschland aufhält. Das BVerfG hat zwar zu § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII ausgeführt, dass diese – dem § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II weitgehend gleichende – Vorschrift nicht ausdrücklich an die Feststellung des Nichtbestehens der Freizügigkeit, sondern nur an das Nichtbestehen eines Aufenthaltsrechts anknüpft. Der Wortlaut der Vorschrift lasse „nicht darauf schließen, dass der Leistungsausschluss vor der Bestandskraft der Feststellung des Nichtbestehens der Freizügigkeit gelten soll“ (vgl Beschluss vom 26. Februar 2020 – 1 BvL 1/20 – juris – Rn 12; in diesem Sinne einen Leistungsanspruch bereits nach dem SGB II trotz fehlenden materiellen Aufenthaltsrechts aus einem anderen Grund als dem der Arbeitsuche bejahend Hessisches LSG aaO Rn 165). Eine derartige „Verlustfeststellung“ liegt bei der Antragstellerin nicht vor. Der rechtmäßige Aufenthalt besteht daher, solange nicht ein Rechtsakt feststellt, dass die Antragstellerin als Unionsbürgerin nicht freizügigkeitsberechtigt ist (vgl BSG, Urteil vom 30. Januar 2013 – B 4 AS 54/12 R – juris – Rn 20). Ob die genannte Auslegung des BVerfG letztlich auch dazu führte, entgegen der Rechtsprechung des BSG schon den Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II im Falle der Antragstellerin als nicht anwendbar zu betrachten oder ob es insoweit einer materiellen Freizügigkeitsberechtigung aus einem anderen Grund als dem der Arbeitsuche, die nicht mit der Freizügigkeitsvermutung für Unionsbürger gleichzusetzen ist (vgl BSG, Urteil vom 30. August 2017 – B 14 AS 31/16 R – juris – Rn 23 mwN), bedarf, begegnet jedoch erheblichen Bedenken. Jedenfalls das BSG, dessen Rechtsprechung der erkennende Senat zugrunde legt, geht in ständiger Rspr davon aus, dass die generelle Freizügigkeitsvermutung für Unionsbürger weder einen Zugang zu Leistungen nach dem SGB II eröffnet noch dem Ausschluss von Leistungen nach dem SGB II entgegensteht (BSG aaO).

 

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

 

Dem Antrag auf Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren (vgl § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Zivilprozessordnung) war im Hinblick auf die nicht einheitliche Rechtsprechung der Landessozialgerichte zu der Frage, ob die Nichtgewährung einer Aufenthaltserlaubnis für einen sorgeberechtigten Unionsbürger für ein minderjähriges freizügigkeitsberechtigtes Kind mit Staatsbürgerschaft eines Mitgliedstaats, welches im Bundesgebiet lebt, eine Diskriminierung darstellt, zu entsprechen.

 

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG nicht mit der Beschwerde an das BSG anfechtbar.

 

 

Rechtskraft
Aus
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