L 1 KR 475/20 NZB

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1.
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 166 KR 127/20
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 475/20 NZB
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Berufung in dem Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. November 2020 wird zurückgewiesen.

 

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

 

Gründe:

 

Die gemäß § 145 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Berufung in dem Urteil des Sozialgerichts Berlin (SG) vom 20. November 2020 ist unbegründet. Denn weder ist die Berufung gegen das Urteil bereits kraft Gesetzes zulässig noch sind Zulassungsgründe nach § 144 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 SGG gegeben.

 

Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG bedarf die Berufung der Zulassung, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750,00 € nicht übersteigt. Dies gilt nach § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft.

Hier begehrt die Klägerin, im Jahr 2019 keine Zuzahlungen leisten zu müssen. Im Streit ist danach nur die Summe ihrer Zuzahlungen in diesem Jahr, 185,94 €. Die Berufung ist damit nach dem Gesetz grundsätzlich ausgeschlossen.

 

Die Berufung ist nicht nach § 144 Abs. 2 SGG zuzulassen. Nach § 144 Abs. 2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts (BSG), des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

 

Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtsache nur zu, wenn von der Entscheidung der Rechtssache erwartet werden kann, dass sie zur Erhaltung und Sicherung der Rechtseinheit und zur Fortbildung des Rechts beitragen wird. Dies wiederum ist nur dann der Fall, wenn es in einem Rechtsstreit um eine klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage geht, deren Entscheidung über den Einzelfall hinaus Bedeutung besitzt. Klärungsfähigkeit in diesem Sinne ist gegeben, wenn es auf die als grundsätzlich angesehene Rechtsfrage im konkreten Rechtsfall ankommt, sie also für den zu entscheidenden Streitfall rechtserheblich ist. Nicht klärungsbedürftig ist die Rechtsfrage, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, weil sie sich beispielsweise unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder sie bereits höchstrichterlich entschieden ist (vgl. Kummer, Der Zugang zur Berufungsinstanz nach neuem Recht, NZS 1993, S. 337 ff. [341] m. w. Nachw.).

 

Die Klägerin wendet sich grundsätzlich gegen die Bestimmungen zur Leistung von Zuzahlungen bis zur Belastungsgrenze nach § 62 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) und sieht in ihnen eine Diskriminierung schwerbehinderter Menschen. Auch das Abstellen auf die Bruttoeinnahmen mit der Begründung der Verwaltungsvereinfachung sei angesichts der heutigen Programmiermöglichkeiten nicht einleuchtend.

 

Es ist allerdings durch die obergerichtliche Rechtsprechung bereits entschieden, dass die von der Klägerin bemängelten Regelungen verfassungsgemäß sind und insbesondere nicht gegen das Sozialstaatsprinzip und gegen die Grundrechte verstoßen (Bundessozialgericht – BSG, Urt. vom 22. April 2008 -B 1 KR 18/07 R-, juris-Rdnr. 17). Dem Gesetzgeber ist es im Rahmen seines Gestaltungsspielraums grundsätzlich erlaubt, den Versicherten über den Beitrag hinaus zur Entlastung der Krankenkassen und zur Stärkung des Kostenbewusstseins in der Form von Zuzahlungen zu bestimmten Leistungen zu beteiligen, jedenfalls, soweit dies dem Einzelnen finanziell zugemutet werden kann (BSG, a. a. O. Rdnr. 18 mit Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts –BVerfG).

Damit scheidet auch ein Verstoß gegen das Gleichheitsgebot des Art. 3 Grundgesetz (GG) aus (so ausdrücklich zur Vorschrift des § 55 SGB V mit der Begrenzung der Kosten für Zahnersatz auf Festzuschüsse: BSG, Urteil vom 08. September 2015 – B 1 KR 22/14 R – Rdnr. 21).

 

Es ist schließlich auch bereits geklärt, dass der Gesetzgeber an die Bruttoeinnahmen anknüpfen kann. Im Sozialrecht wird nämlich grundsätzlich immer von den Bruttoeinnahmen ausgegangen (Bruttoprinzip, vgl. BSG, Urt. v. 4. September 2018 –B 12 KR 20/17 R Rdnr. 21), So werden Arbeitsentgelt, Renten und Versorgungsbezüge einheitlich mit ihrem Bruttobetrag der Beitragsberechnung zugrunde gelegt. Dies ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (BSG, Urteil vom 28. Januar 1999 – B 12 KR 24/98 R –, juris-Rdnr. 22 mit Bezugnahme auf BVerfG, B. vom 15. April 1986 -1 BvR 1304/85).

Die Berufung ist auch nicht wegen einer Abweichung von der Rechtsprechung eines Obergerichts zuzulassen (Zulassungsgrund nach § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG). Dieser Zulassungsgrund setzt nach der Rechtsprechung des BSG voraus, dass einerseits ein abstrakter Rechtssatz der angefochtenen Entscheidung und andererseits ein der Entscheidung eines Obergerichts zu entnehmender abstrakter Rechtssatz nicht übereinstimmen. Dabei muss das abweichende Gericht den mit der obergerichtlichen Rechtsprechung nicht übereinstimmenden Rechtssatz seiner Entscheidung zugrunde gelegt, insoweit eine die Entscheidung tragende Rechtsansicht entwickelt und damit der obergerichtlichen Rechtsprechung im Grundsätzlichen widersprochen haben (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, § 160 Rdnr. 13-14 m. w. Nachw.).

Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.

 

Schließlich ist die Berufung auch nicht wegen eines Verfahrensmangels (Zulassungsgrund § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG) zuzulassen. Ein Verfahrensmangel ist ein Verstoß gegen eine Rechtsvorschrift, die das sozialgerichtliche Verfahren regelt. Der geltend gemachte Mangel muss sich auf das Vorgehen des Gerichts auf dem Weg zum Urteil und nicht auf den sachlichen Inhalt des Urteils beziehen. Der Verfahrensmangel muss wesentlich sein, d. h. das angefochtene Urteil muss auf diesem Mangel beruhen können. Dies ist schon dann der Fall, wenn die Möglichkeit besteht, dass der Verfahrensmangel das Urteil beeinflusst hat, das Gericht also ohne diesen Verfahrensmangel zu einem für den Kläger günstigeren Urteil gekommen wäre. Dabei ist bei der Prüfung, ob ein Verfahrensmangel vorliegt, von der Rechtsauffassung des Gerichts auszugehen, dem der Verfahrensmangel unterstellt wird. Ein solcher möglicherweise erheblicher Verfahrensmangel auf dem Weg zum Urteil liegt hier aber nicht vor. Die Klägerin hat weder solche Gründe geltend gemacht noch sind Anhaltspunkte für deren Vorliegen auch nur im Ansatz ersichtlich.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Dieser Beschluss kann gemäß § 177 SGG nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden. Nach § 145 Abs. 4 Satz 5 SGG wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Landessozialgericht rechtskräftig.

Rechtskraft
Aus
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