Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 20. Januar 2020 wird zurückgewiesen.
Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Höhe des bei dem Kläger festzustellenden Grades der Behinderung (GdB).
Den Antrag des 1960 geborenen Klägers vom 11. August 2017 auf Feststellung eines GdB lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 13. Dezember 2017 zunächst ab. Auf den Widerspruch des Klägers stellte er mit Widerspruchsbescheid vom 8. August 2018 bei ihm einen Gesamt-GdB von 20 fest. Dem legte er folgende Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde:
koronare Herzkrankheit mit Herzinfarktnarben (Einzel-GdB von 20).
Mit der Klage bei dem Sozialgericht Cottbus hat der Kläger einen GdB von 50 begehrt. Neben Befundberichten der den Kläger behandelnden Ärzte hat das Sozialgericht das Gutachten des Praktischen Arztes M vom 25. November 2019 eingeholt, der den Gesamt-GdB mit 20 bewertet hat. Als GdB-relevante Gesundheitsstörung hat der Sachverständige hierbei folgende Funktionsbeeinträchtigungen berücksichtigt:
- koronare Herzkrankheit, Zustand nach Gefäßprothesen, Bluthochdruck (Einzel-GdB von 20),
- depressive Störung (Einzel-GdB von 10 ab Mai 2018),
- Funktionsminderung des rechten Kniegelenks (Einzel-GdB von 10).
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 20. Januar 2020 abgewiesen. Zur Begründung hat es, dem Gutachten folgend, ausgeführt, die Vergabe eines höheren Gesamt-GdB als 20 sei nicht gerechtfertigt.
Mit der Berufung gegen die sozialgerichtliche Entscheidung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er hat vorgebracht, im Dezember 2019 einen zweiten Herzinfarkt erlitten zu haben.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung des Gutachtens des Facharztes für Innere Medizin Dr. G vom 17. September 2020. Nach Untersuchung des Klägers hat sich der Sachverständige für einen Gesamt-GdB von 30 ausgesprochen. Hierzu hat er folgende GdB-relevante Funktionsbeeinträchtigungen ermittelt:
- koronare Dreigefäßerkrankung mit wiederholter Stent-Versorgung und Herzinfarkten 2015 und 2019 mit aktuell nur leicht eingeschränkter Herzleistung (Einzel-GdB von 30),
- degenerative Wirbelsäulenveränderungen mit Bewegungsschmerz trotz medikamentöser Schmerztherapie (Einzel-GdB von 10),
- leichte Bewegungseinschränkung im Schulter-/Armgelenk beidseitig mit Bewegungsschmerz (Einzel-GdB von 10),
- leichte Bewegungseinschränkung bei Außenrotation in beiden Hüftgelenken mit Bewegungsschmerz (Einzel-GdB von 10),
- Senk-/Spreizfuß beidseitig (Einzel-GdB von 10).
Der Kläger hat sich gegen das Gutachten gewandt: Durch die ständigen witzig gemeinten Äußerungen des Sachverständigen über den sterbenden Kapitalismus und den Namen seines Prozessbevollmächtigten sei er verunsichert worden.
Der Senat hat den Sachverhalt weiter ermittelt: Im Gutachten vom 16. Juli 2021 hat der Internist Dr. St nach Untersuchung des Klägers den Gesamt-GdB mit 20 eingeschätzt. Er ist hierbei von folgenden Funktionsbeeinträchtigungen ausgegangen:
- koronare Herzkrankheit, leicht verminderte Herzmuskelfunktion, Zustand nach multiplen kardiologischen Eingriffen (Stentimplantationen) (Einzel-GdB von 20),
- depressive Reaktionslage (Einzel-GdB von 10),
- Funktionsstörung Kniegelenk rechts (Einzel-GdB von 10),
- Schulter-Arm-Syndrom links (Einzel-GdB von 10).
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 20. Januar 2020 aufzuheben sowie den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 13. Dezember 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. August 2018 zu verpflichten, bei ihm mit Wirkung ab dem 11. August 2017 einen Grad der Behinderung von mindestens 50 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält seine Entscheidung für zutreffend.
Dem Senat haben die Verwaltungsvorgänge des Beklagten vorgelegen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze, das Protokoll und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 20. Januar 2020 ist unbegründet.
Das Sozialgericht hat die Klage mit der angefochtenen Entscheidung zu Recht abgewiesen. Der Bescheid des Beklagten vom 13. Dezember 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. August 2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Der Kläger kann nicht erfolgreich die Feststellung eines Gesamt-GdB von mehr als 20 beanspruchen.
Nach den §§ 2 Abs. 1, 69 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch in der bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung (SGB IX a.F.) bzw. nach § 152 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch in der am 1. Januar 2018 in Kraft getretenen Fassung (SGB IX n.F.) sind die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach Zehnergraden abgestuft zu bewerten. Hierbei sind die in der Anlage zur Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) festgelegten „Versorgungsmedizinischen Grundsätze“ (VMG) heranzuziehen.
Für die Funktionsbeeinträchtigungen im Funktionssystem Herz/Kreislauf beträgt der Einzel-GdB 20. Der großzügigen Einschätzung mit einem Einzel-GdB von 30 durch den Sachverständigen Dr. G schließt sich der Senat nicht an, weil sie nach den Vorgaben in B 9.1.1 VMG nicht zu rechtfertigen ist. Der Kläger leidet nach mehrfachen Stentimplantationen an einer koronaren Herzkrankheit. Allerdings haben die Sachverständigen – insoweit übereinstimmend – nur eine leicht verminderte Herzmuskelfunktion feststellen können. Im Hinblick darauf, dass der Kläger bei der letzten Ergometrie am 2. Dezember 2019 ohne Angina pectoris eine Belastung bis 75 W erreichen konnte, die Untersuchung nur wegen einer Schwindelsymptomatik abgebrochen wurde und sich keine signifikanten ST-Streckenveränderungen zeigten, ist der Einzel-GdB mit 20, d.h. am unteren Rand des Bewertungsrahmens, anzusetzen.
Die depressive Störung bedingt nach B 3.7 VMG einen Einzel-GdB von 10, da sie nach den gutachterlichen Feststellungen nur geringgradig ausgeprägt ist und keinesfalls an der Grenze zu stärker behindernden Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit steht.
Die degenerative Wirbelsäulenveränderungen mit Bewegungsschmerz sind nach B 18.9 VMG mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten.
Für das Impingementsyndrom der rechten Schulter ist bei einer Beweglichkeit im Schultergelenk von vorwärts/rückwärts bis über 135° und dem Fehlen von Muskelverschmächtigungen nach B 18.13 ein Einzel-GdB von weniger als 10 angemessen.
Im Bereich der unteren Extremitäten ist der Einzel-GdB mit 10 anzusetzen. Der Knorpelschaden des rechten Kniegelenks bei freier Beugung und Streckung, die leichte Bewegungseinschränkung der Außenrotation in beiden Hüftgelenken mit Bewegungsschmerz und die beiderseitige Fußfehlform in Form eines Senk-/Spreizfußes bedingen nur geringe Funktionseinschränkungen, die für dieses Funktionssystem nach B 18.14 VMG auch in der Gesamtschau nicht höher als mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten sind.
Die von dem Kläger gegenüber den gerichtlichen Sachverständigen vorgebrachten Ohrgeräusche bedingen keinen höheren Einzel-GdB als 10. Damit ist der Bewertungsrahmen des B 5.3 VMG ist für Ohrgeräusche ohne nennenswerte psychische Begleiterscheinungen (GdB von 0 bis 10) ausgeschöpft.
Liegen – wie hier – mehrere Beeinträchtigungen am Leben in der Gesellschaft vor, ist der GdB gemäß § 69 Abs. 3 SGB IX a.F. bzw. § 152 Abs. 3 SGB IX n.F. nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen. Nach A 3c VMG ist bei der Beurteilung des Gesamt-GdB von der Funktionsstörung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird.
Der Einzel-GdB von 20 für die Behinderungen des Klägers im Funktionssystem Herz/Kreislauf bildet auch den Gesamt-GdB. Die übrigen Funktionsbeeinträchtigungen des Klägers, die mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten sind, wirken sich nicht zusätzlich erhöhend aus. Denn nach A 3d ee VMG führen zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Sie berücksichtigt den Ausgang des Verfahrens.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.