Die Frage, wie die Kostenabgrenzung zwischen Krankenkasse und Pflegekasse bei gleichzeitiger Erbringung von medizinischer Behandlungspflege und körperbezogenen Pflegemaßnahmen durch dieselbe Pflegekraft und Abrechnung nach Leistungskomplexen vorzunehmen ist, lässt sich im einstweiligen Anordnungsverfahren nicht abschließend klären. Denkbar sind 3 Lösungsansätze, nämlich a) man halbiert die den nicht verrichtungsbezogenen Behandlungspflegemaßnahmen entsprechenden Leistungskomplexen zugeordneten Beträge und multipliziert diese mit dem dem jeweiligen Pflegegrad zugeordneten Zeitanteil aus den Kostenabgrenzungs-Richtlinien, b) man multipliziert den in den Kostenabgrenzungs-Richtlinien vorgegebenen Zeitaufwand mit einem (gegriffenen) Stundensatz, c) man berücksichtigt die Kostenabgrenzungs-Richtlinien lediglich zur Berechnung der von der Krankenkasse für die Behandlungspflege zu tragenden Kosten, d.h. man zieht von den verordneten Stunden Behandlungspflege die in den Richtlinien festgesetzten Minuten ab und legt für die Berechnung der Kosten der Pflege, auch der Grundpflege, den vollen für die Berechnung der Leistungskomplexe vereinbarten Preis zugrunde.
Auf die Anschlussbeschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 16. Juli 2021 insoweit geändert, als der Antragsgegner dem Antragsteller für die Monate mit 30 Tagen lediglich je 543,00 € (statt je 627,60 €) zuzüglich der tatsächlichen Kosten für die hauswirtschaftliche Versorgung vorläufig zu zahlen hat.
Im Übrigen wird die Anschlussbeschwerde des Antragsgegners zurückgewiesen.
Die Beschwerde des Antragstellers wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten. Die Kostenentscheidung des Sozialgerichts bleibt unberührt.
Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung ab dem 20. Oktober 2021 bewilligt und Rechtsanwältin M G, Dstraße, B beigeordnet.
Gründe
I.
Es handelt sich um eine Beschwerde des Antragstellers und eine Anschlussbeschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 16. Juli 2021, mit dem dieses den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet hat, dem Antragsteller vorläufig ab Januar 2021 bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache Hilfe zur Pflege in Höhe von 627,60 € monatlich zuzüglich der tatsächlichen Aufwendungen für die hauswirtschaftliche Versorgung zu gewähren und den darüberhinausgehenden Antrag, die gesamten durch Einkommen und Leistungen der Pflegekasse ungedeckten Kosten zu übernehmen, abgelehnt hat.
Der 1967 geborene Antragsteller leidet an einem frühkindlichen Hirnschaden. Für ihn sind vom Versorgungsamt Frankfurt (Oder) ein Grad der Behinderung von 100 und die Merkzeichen B (Notwendigkeit ständiger Begleitung), G (erheblich gehbehindert), H (Hilflosigkeit) und RF (Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht) festgestellt. Er steht unter Betreuung seiner Mutter und seines Bruders. Er bezieht von der Deutschen Rentenversicherung (DRV) Berlin-Brandenburg eine Rente wegen Erwerbsminderung, die ab Juli 2019 212,39 € monatlich betrug. Weiter bezieht er Kindergeld jeweils in gesetzlicher Höhe. Weitere Einkünfte erzielt er nicht. Aktuell bezieht er vom Antragsgegner keine Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, weil ein Vermögen von ca. 10.000 € vorhanden war. Einen Teil dieses Geldes hat er inzwischen für die Begleichung von Investitionskosten der Beigeladenen zu 3) verwendet.
Für den Antragsteller war bis Ende Mai 2019 der Pflegegrad 2 festgestellt. Im März 2019 befand er sich in stationärer Behandlung im Klinikum B wegen eines Status epilepticus nach operativer Behandlung eines Meningeoms mit Aspirationspneumonie. In deren Folge war am 12. Juni 2019 eine Tracheostoma-Versorgung erforderlich. Seitdem ist der Antragsteller bettlägerig und kaum ansprechbar. Es wurde eine PEG [Perkutane endoskopische Gastrostomie] angelegt, über die Nahrung und Flüssigkeit zugeführt wurde und wird; weiter ein transurethraler Katheter bei vollständiger Harn- und Stuhlinkontinenz. Seit März 2021 konnte eine Sondennahrung am Tag durch die Aufnahme breiiger Nahrung ersetzt werden. Auf Grund des Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 16. Juli 2019 wurde ihm ab dem 1. Juni 2019 der Pflegegrad 5 zuerkannt. Er wohnt in einer ambulant betreuten Wohngruppe mit mindestens zwei weiteren pflegebedürftigen Personen in der P in W. Die Pflege erfolgt durch die Beigeladene zu 3), der A GmbH, mit der er einen Pflegevertrag abgeschlossen hat. Die Beigeladene zu 3) hat einen Vertrag mit der Beigeladenen zu 1), der AOK Nordost als Krankenkasse, gemäß § 132a Abs. 4 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) über die Versorgung mit häuslicher Krankenpflege für die Leistungen mit hohem intensiven behandlungspflegerischem Aufwand für die Mitgliedsdienste des bpa [Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste e.V.] geschlossen. Die Berechnung erfolgt nach Einzelleistungskomplexen. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 448 der Gerichtsakten verwiesen. Weiter hat die Beigeladene zu 3) einen Vertrag gemäß § 89 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) mit (u.a.) der Beigeladenen zu 2), der AOK Nordost als Pflegekasse, geschlossen. Ein Vertrag gemäß § 75 SGB XII zwischen der Beigeladenen zu 3) und dem Antragsgegner besteht nicht.
Der Antragsteller erhält Behandlungspflege gemäß Bescheiden der Beigeladenen zu 1) vom 3. April 2020 und 6. April 2021 auf Grund der Verordnungen von 24 Stunden an 7 Tagen pro Woche spezieller Krankenbeobachtung, Interventionsbereitschaft, Absaugen bei Bedarf, Trachealkanülen-Wechsel, Inhalation seiner Hausärztin, und zwar für die Zeit vom 1. April 2020 bis 31. März 2021 und 1. April 2021 bis 31. März 2022. Der Stundensatz (Leistungserbringung in Wohngemeinschaften) betrug ab dem 1. April 2021 16,42 €. Die Leistungen sind und waren zeitlich begrenzt auf 21 Stunden 39 Minuten täglich, wobei ein Zeitanteil von 141 Minuten = 2,35 Stunden abgezogen wird auf Grund der Richtlinien des GKV-Spitzenverbandes zur Kostenabgrenzung zwischen Kranken- und Pflegeversicherung bei Pflegebedürftigen, die einen besonders hohen Bedarf an behandlungspflegerischen Leistungen haben (Kostenabgrenzungs-Richtlinie) nach § 17 Abs. 1 b SGB XI vom 16. Dezember 2016.
Weiter bezieht der Antragsteller Sachleistungen von der Beigeladenen zu 2) in Höhe von 1.995,00 € monatlich (Bescheid vom 19. Juli 2019).
Den Antrag des Antragstellers auf Bewilligung von Leistungen der Hilfe zur Pflege vom 13. August 2019 lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 22. Oktober 2019 mit der Begründung ab, die Kosten seien durch die von der Beigeladenen zu 2) bei Pflegegrad 5 zu erbringende Leistung in Höhe von 1.995,00 € gedeckt. Es würden bei dem Antragsteller Leistungen der Grundpflege und der Behandlungspflege bzw. häuslichen Krankenpflege gleichzeitig erbracht. Nach dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 17. Juni 2010 (Az. B 3 KR 7/09 R), nach dem er, der Antragsgegner, hier vorgehe, habe die Pflegekasse die Kosten der Hälfte des Zeitaufwandes der „reinen“ Grundpflege zu tragen. Mit Änderung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs zum 1. Januar 2017 habe der GKV- [Gesetzliche Krankenversicherung] Spitzenverband eine Richtlinie zur Kostenabgrenzung zwischen Kranken- und Pflegeversicherung bei Pflegebedürftigen erlassen. Da die Begutachtung nicht mehr zeitorientiert und verrichtungsbezogen erfolge, werde der durch die Pflegeversicherung zu tragende Anteil mittels pauschaler Minutenwerte pro Pflegegrad festgelegt. Dieser betrage für Pflegegrad 5 141 Minuten. Die Übernahme erfolge auf Grundlage der festgelegten Vergütung der häuslichen Krankenpflege. Dem entsprechend errechneten sich im allgemeinen Fall die übersteigenden Pflegesachleistungen gemäß den §§ 61ff SGB XII. Im hier vorliegenden Fall entstehe kein Eigenanteil, der von der Hilfe zur Pflege gemäß den §§ 61ff SGB XII gedeckt werden müsste.
Zur Begründung seines Widerspruchs trug der Antragsteller vor, die von dem Antragsgegner im Ablehnungsbescheid vorgenommene Differenzrechnung auf der Grundlage der Kostenabgrenzungsrichtlinie werde bereits im Rahmen der Abrechnung gegenüber der gesetzlichen Krankenversicherung berücksichtigt. Die im Rahmen der Behandlungsicherungspflege (24 Stunden-Krankenbeobachtung, § 37 SGB V) pauschal abzusetzende Grundpflegezeit führe jedoch nicht zu einer Verringerung des Pflegebedarfs (Körperpflege, Sondenkost, Wohnungsreinigung etc.). Hinzu kämen die auf die Unterbringung in einer Einrichtung des betreuten Wohnens bezogenen Investitionskosten i.H.v. 7 % der veranschlagten Pflegesachleistungen, die gemäß § 82 Abs. 3 SGB XI vom Pflegebedürftigen zu tragen seien. Unter Berücksichtigung des durch die Pflegversicherung übernommenen Betrages ergebe sich ein Eigenanteil von ca. 1.700,00 €, den er auf Grund seiner mangelnden Leistungsfähigkeit nicht ausgleichen könne. Insoweit bestünde seit August 2019 eine Versorgungslücke i.H.v. 6.270,68 €.
Mit Widerspruchsbescheid vom 16. April 2020 wies der Antragsgegner den Widerspruch zurück. Hiergegen hat der Antragsteller am 18. Mai 2020 Klage bei dem Sozialgericht Frankfurt (Oder) erhoben, die unter dem Az. S 9 SO 51/20 anhängig ist.
Am 29. Januar 2021 hat der Antragsteller bei dem Sozialgericht Frankfurt (Oder) einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Die für ihn seit Juli 2019 aufgebrachten umfassenden Pflegesachleistungen seien teilweise ungedeckt und mittlerweile zu einem Betrag von mehr als 40.000,00 € kumuliert, so dass er Gefahr laufe, dass der ambulante Pflegedienst, also die Beigeladene zu 3), die Leistungen einstelle. Die von dem Antragsgegner im Ablehnungsbescheid vorgenommene Differenzrechnung auf der Grundlage der Kostenabgrenzungs-Richtlinie nach § 17 Abs. 1b SGB XI werde bereits im Rahmen der Abrechnung gegenüber der Beigeladenen zu 1), also der Krankenkasse, berücksichtigt. Von den tatsächlich erbrachten Pflegeleistungen im Umfang von 720 Stunden seien nur 649,5 Stunden gegenüber der Beigeladenen zu 1) abgerechnet worden. Die monatliche Abrechnung gegenüber der Beigeladenen zu 1) berücksichtige somit bereits die nach der Kostenabgrenzungs-Richtlinie pauschal abzusetzende Grundpflegezeit. Soweit die tatsächlich anfallenden Pflege- und sonstigen Betreuungskosten den von der Beigeladenen zu 2) zu tragenden Anteil überschritten, bestehe gemäß § 64b SGB XII ein Anspruch gegen den Antragsgegner auf Unterstützung. Er sei auf die umfassende pflegerische Versorgung im dargestellten Umfang durch die Beigeladene zu 3) dringend angewiesen und sehe sich nun der Gefahr der Kündigung des Pflegevertrages und des Verlustes einer adäquaten Betreuung ausgesetzt, da die Beigeladene zu 3) das Kostenrisiko auf Dauer nicht tragen könne. Der Anordnungsgrund liege mithin auf der Hand.
Der Antragsgegner hat vorgetragen, es fehle bereits an einem Anordnungsgrund. Insbesondere könne der von dem Antragsteller behauptete hohe Eigenanteil mit Blick auf die von der Beigeladenen zu 2) mit Bescheid vom 24. Juli 2019 gewährten Leistungen nicht nachvollzogen werden. Bezüglich der angeblichen ungedeckten Heimkosten i.H.v. 40.000,00 € sei er bislang jeglichen Nachweis schuldig geblieben.
Mit Beschluss vom 16. Juli 2021 hat das Sozialgericht den Antragsgegner verpflichtet, vorläufig dem Antragsteller ab Januar 2021 bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache Hilfe zur Pflege in Höhe eines monatlichen Betrages von 627,60 € zuzüglich der tatsächlichen Aufwendungen für die hauswirtschaftliche Versorgung zu gewähren. Im Übrigen hat es den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, das Bestehen eines Anordnungsanspruchs sei überwiegend wahrscheinlich, soweit das Gericht den Antragsgegner verpflichtet habe. Darüber hinaus sei das Bestehen eines Anordnungsanspruchs unwahrscheinlich. Die Auffassung des Antragsgegners, der Antragsteller erhalte von den Beigeladenen zu 1) und 2) bedarfsdeckende Leistungen, sei nach summarischer Prüfung nicht zutreffend. Bei gleichzeitiger Erbringung von ambulanten Leistungen der Grundpflege bei Pflegebedürftigen wie dem Antragsteller, die zugleich einen besonders hohen Bedarf an behandlungspflegerischen Leistungen hätten und daher neben der häuslichen Pflegehilfe nach § 36 SGB XI Leistungen der häuslichen Krankenpflege nach § 37 Abs. 2 SGB V bezögen, stelle sich regelmäßig das Problem der Kostenabgrenzung der zu erbringenden Leistungen bei gleichzeitiger Leistungserbringung durch dieselbe Pflegefachkraft. Daran, dass die Grundpflege und die Behandlungspflege hier durch dieselbe Fachkraft erbracht werde, habe das Gericht keinen Zweifel. Nach der Rechtsprechung des BSG sei in diesen Fällen der gleichzeitigen Erbringung der Grundpflege und der Behandlungspflege durch eine Pflegekraft in der Weise vorzugehen, dass zunächst von dem im MDK-Gutachten festgestellten Gesamtumfang aller Hilfeleistungen bei der Grundpflege die von der Pflegekasse geschuldete „reine“ Grundpflege zu trennen und zeitlich zu erfassen sei; die hauswirtschaftliche Versorgung spiele nur eine Rolle, wenn sie auch von der Pflegefachkraft, auch nicht von einem Dritten erbracht werde. Der so ermittelte Zeitwert sei aber nicht vollständig, sondern nur zur Hälfte von dem Anspruch auf die ärztlich verordnete, rund um die Uhr erforderliche Behandlungspflege abzuziehen, weil während der Durchführung der Grundpflege weiterhin Behandlungspflege, auch als Krankenbeobachtung, stattfinde und beide Leistungsbereiche gleichrangig nebeneinanderstünden. Aus der Differenz zwischen dem verordneten zeitlichen Umfang der häuslichen Krankenpflege und der Hälfte des zeitlichen Umfangs der „reinen“ Grundpflege ergebe sich der zeitliche Umfang der häuslichen Krankenpflege, für den die Krankenkasse einzutreten habe. Die Pflegekasse habe die Kosten der Hälfte des Zeitaufwands der „reinen“ Grundpflege zu tragen, jedoch begrenzt auf den Höchstbetrag für die Sachleistungen der dem Versicherten zuerkannten Pflegestufe. Reiche der Höchstbetrag zur Abdeckung dieser Kosten nicht aus, habe der Hilfebedürftige den verbleibenden Rest aus eigenen Mitteln aufzubringen; notfalls sei die Sozialhilfe eintrittspflichtig.
Die Beigeladene zu 3) dürfe für die Erbringung der Grundpflege nur den Betrag abrechnen, der auf die Erbringung von 141 Minuten Grundpflege des Antragstellers täglich entfiele. Die darüber hinausgehend erbrachten Leistungen seien nach der Kostenabgrenzungs-Richtlinie durch die Leistungen der Beigeladenen zu 1) vollständig abgedeckt.
Problematisch sei im vorliegenden Fall die Bewertung des finanziellen Aufwandes für 141 Minuten Grundpflege. Die Nachfrage des Gerichts bei der Beigeladenen zu 3) habe ergeben, dass aus der monatlich durchgeführten Abrechnung der erbrachten grundpflegerischen Leistungen nach Leistungskomplexen der tatsächliche Zeitaufwand nicht habe ermittelt werden können. Das Gericht habe daher als Anhaltspunkt durch eine einschlägige Recherche im Internet einen Kostensatz von 36,00 € pro Stunde für die Erbringung der Grundpflege ermittelt. Die Ermittlung des tatsächlichen Stundensatzes bleibe dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.
Der Antragsteller habe auch das Bestehen eines Anordnungsgrundes glaubhaft gemacht. Dem erheblich pflegebedürftigen und hilfebedürftigen Antragsteller drohten ohne den Erlass einer einstweiligen Anordnung wesentliche Nachteile. Konkret drohe ihm ohne den Erlass einer einstweiligen Anordnung der Verlust des Pflegeplatzes. Zwar sei dem Antragsgegner zuzugeben, dass die Beigeladene zu 3) bisher die ausstehenden Zahlungen weder angemahnt noch eine Kündigung des mit dem Antragsteller bestehenden Pflegevertrages angedroht habe. Jedoch seien in der Vergangenheit schon hohe Zahlungsrückstände eingetreten, die ohne den Erlass der vorliegenden einstweiligen Anordnung weiter ansteigen würden und die dann jederzeit zu einer kurzfristigen Kündigung durch die Beigeladene zu 3) führen könnten. Dies würde für den Antragsteller einen erheblichen Nachteil darstellen, da damit die rund um die Uhr erforderliche Grund- und Behandlungspflege nicht mehr sichergestellt wäre.
Das Gericht nehme trotz der laut Vortrag des Antragstellers aufgelaufenen Schulden in Höhe von rund 40.000 € seit Juli 2019 bis zum Zeitpunkt der Antragstellung im Januar 2021 keinen Nachholbedarf an, bei der eine Erstreckung auf vor der hiesigen Antragstellung liegende Zeiträume in Betracht käme. Zum einen sei das Gericht der Auffassung, dass Rückstände nicht in der genannten Höhe bestünden und zum anderen habe der Antragsteller auf seinem Konto einen Betrag von 8.000,00 €. Es sei ihm zuzumuten, vorläufig diesen Betrag einzusetzen für die Bezahlung der offenen Forderungen. Vor diesem Hintergrund mit einer sodann verbleibenden Restforderung von ca. 7.000,00 € und für die Zukunft vorläufig sichergestellter vollständiger Zahlung der rechtmäßigen Forderungen der Beigeladenen zu 3) gehe das Gericht davon aus, dass der Pflegeplatz des Antragstellers bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache gesichert sei.
Über die Investitionskosten sei im Hauptsacheverfahren zu entscheiden .
Gegen den dem Antragsteller am 26. Juli 2021 und dem Antragsgegner am 20. Juli 2021 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am 23. August 2021 und der Antragsgegner am 7. September 2021 (Anschluss-) Beschwerde eingelegt.
Der Antragsteller trägt zur Begründung vor, der Anordnungsanspruch ergebe sich aus § 64b Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII). Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits seien ausschließlich Pflegesachleistungen aufgrund bestehender Pflegebedürftigkeit (Grundpflege, Betreuung und hauswirtschaftliche Versorgung), deren vollständige Übernahme durch die Beigeladene zu 2) als Pflegeversicherung aufgrund der Deckelung der Pflegesachleistungsbeträge nicht gewährleistet sei. Die ärztlich verordnete Behandlungspflege werde vollständig durch die Beigeladene zu 1) als Krankenversicherung übernommen. Der mit der Beschwerde verfolgte Anspruch beziehe sich auf Pflegehilfe nach § 64b SGB XII und sei nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Norm ein Sachleistungsanspruch. Diesen habe der Sozialhilfeträger über Verträge mit Leistungserbringern im Sinne einer Sachleistungsverschaffung sicherzustellen. Dem Gebot der professionellen Leistungserbringung sei vorliegend in Person der Beigeladenen zu 3) Genüge getan, da zwischen ihr und den potentiellen Kostenträgern, einschließlich des Antragsgegners, entsprechende Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen für die Erbringung ambulanter Pflegeleistungen bestünden (§§ 75 ff. SGB XI bzw. SGB XII). Anders als § 36 SGB XI im Rahmen der gesetzlichen Pflegeversicherung enthalte § 64b SGB XII keine Deckelung durch Sachleistungsbeträge. Die Leistungen sei nach dem Willen des Gesetzgebers vielmehr bedarfsdeckend zu erbringen (Hinweis auf die Bundestagsdrucksache 18/9518, S. 93 ff.). Das Sozialgericht verkenne, dass mit dem Zweiten Pflegestärkungsgesetz eine Systemänderung stattgefunden habe und die Pflegebewertung zum 1. Januar 2017 von einer Minutenpflege auf ein Punktesystem umgestellt worden sei. Vor diesem Hintergrund sei der Hilfebedarf des Antragstellers nach dem neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff zu bestimmen, der sich gerade nicht mehr an Zeit- bzw. Minutenwerten, sondern Leistungskomplexen und ihnen zugeordneten Punktwerten orientiere. Soweit das Sozialgericht aus den Richtlinien des GKV-Spitzenverbandes zur Kostenabgrenzung die Notwendigkeit für eine nachträgliche Leistungsbegrenzung zu erkennen glaube, handele es rechtsfehlerhaft. Die zwischen den Kostenträgern getroffene Kostenabgrenzungs-Richtlinie bei gleichzeitiger Erbringung von Leistungen der Kranken- und Pflegeversicherung solle lediglich den Kostenausgleich zwischen Kranken- und Pflegeversicherung regeln. Sie enthalte aber keine Festlegung des nach § 64b SGB XII zugrunde zu legenden Pflegebedarfs oder begrenze diesen durch pauschale Grundpflegewerte. Der Pflegebedarf sei vielmehr konkret nach den Bedürfnissen des Leistungsberechtigten zu ermitteln. Dies ergebe sich bereits aus der Regelung des § 64b SGB XII, der eine völlig eigenständige Anspruchsgrundlage für die häusliche Pflegehilfe bei Pflegebedürftigkeit statuiere. Ob und in welchem Umfang Pflegeleistungen durch den Sozialhilfeträger zu gewähren seien, beurteile sich ausschließlich nach den Regelungen der §§ 61 ff SGB XII.
Der Antragsteller, Beschwerdeführer und Anschlussbeschwerdegegner beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 16. Juli 2021 insoweit aufzuheben, als die vorläufigen Leistungen der häuslichen Pflegehilfe auf einen monatlichen Betrag von 627,60 € nebst hauswirtschaftlicher Versorgung beschränkt worden sind und den Antragsgegner umfassend zur Übernahme der häuslichen Pflege (außer der Investitionskosten) entsprechend den Abrechnungen der Beigeladenen zu 3) zu verpflichten
sowie
die Anschlussbeschwerde des Antragsgegners zurückzuweisen.
Der Antragsgegner, Beschwerdegegner und Anschlussbeschwerdeführer beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 16. Juli 2021 insoweit aufzuheben, als er verpflichtet worden ist, mehr als 176,49 € monatlich an Leistungen der Hilfe zur Pflege (ohne die Leistungen für die hauswirtschaftliche Versorgung) zu gewähren
sowie
die Beschwerde des Antragstellers zurückzuweisen.
Er hat sich zur Begründung auf den Inhalt des Verwaltungsvorgangs und seine erstinstanzlichen Stellungnahmen bezogen. Ergänzend hat er ausgeführt, dass dem erstinstanzlichen Gericht zuzugeben sei, dass eine Halbierung des Betrages von 141 Minuten nicht vom Wortlaut und der Begründung der Richtlinie gedeckt sei und daher nicht in Betracht komme. Insoweit gebe er seine ursprüngliche Ansicht auf. Anders verhalte es sich jedoch in Bezug auf den vom Gericht im Wege einer Recherche ermittelten Kostensatz von 36,00 € pro Stunde für die Erbringung der Grundpflege. Die tatsächlichen beiden Beträge seien aufgrund der mit den jeweiligen Leistungserbringern geschlossenen Vereinbarungen sehr unterschiedlich. Die Durchschnittskosten lägen bei 32,34 €. Demzufolge hätte der Antragsteller allenfalls einen Anspruch i.H.v. 220,61 € monatlich (31 Tage mal 2,21 Stunden mal 32,34 € gleich 2.215,61 € abzüglich der Pflegesachleistungen i.H.v. 1.995,00 €). Davon abzuziehen seien noch ca. 20 % für Kosteneinsparungen aufgrund des Wohnens in einer Intensivpflegewohngemeinschaft.
Die Beigeladenen zu 1) und 2) haben keine eigenen Anträge gestellt und sich zunächst vollumfänglich auf den erstinstanzlichen Beschluss bezogen. Im Termin zur Erörterung des Sachverhalts am 23. November 2021 hat die Vertreterin der Beigeladenen zu 1) und 2) erklärt, dass eine hälftige Kürzung der einzelnen Leistungskomplexe bei der Berechnung der Pflege nicht zu erfolgen habe. Früher habe es eine hälftige Kürzung gegeben, inzwischen, da nicht mehr nach Stunden berechnet werde, könne man dies nicht mehr vornehmen. Die Kürzung erfolge in Form der 141 Minuten bei Pflegegrad 5, die die Krankenkasse nicht zu übernehmen habe. Die Leistungskomplexe seien bei der Berechnung der Pflege in voller Höhe anzurechnen. Die Beigeladene zu 2) habe jedoch hier keine individuelle Berechnung vorgenommen, da bei Pflegegrad 5 immer der Höchstbetrag von 1.995,00 € erreicht werde.
Die Beigeladene zu 3) hat schriftlich nicht Stellung genommen.
Der Antragsteller hat auf den Vortrag des Antragsgegners erwidert, dass es keine „Recherche“ eines durchschnittlichen Kostenansatzes bedürfe. Die Vergütung erfolge auf der Grundlage von individuell zwischen Kostenträgern und Leistungserbringern verhandelten Verträgen. Auch zwischen den Beteiligten dieses Rechtsstreits seien Leistungsumfang und Vergütung vertraglich geregelt. Die Beigeladene zu 3) erbringe die Pflegeleistungen zugunsten des Antragstellers zur Deckung des unstreitig umfassenden Pflegebedarfs auf der Grundlage einer jährlich abgeschlossenen Vereinbarung gemäß § 89 SGB XI. Diese Vereinbarungen sähen die Vergütung nach Leistungskomplexen vor, denen ein bestimmter Punktwert und Preis bereits zugeordnet sei. Wenn die Beigeladene zu 3) die vereinbarten, nach Leistungskomplexen strukturierten Pflegeleistungen erbringe, so erwerbe sie gegen den jeweils eintrittspflichtigen Vertragspartner einen den jeweiligen Leistungskomplexen zugewiesenen Vergütungsanspruch.
Auf telefonische Anfrage der Berichterstatterin am 24. November 2021 hat das Referat Pflege des GKV-Spitzenverbandes mitgeteilt, dass die Problematik, wie die Kostenabgrenzung zwischen Krankenkasse und Pflegekasse gemäß der Kostenabgrenzungs-Richtlinie nach § 17 Abs. 1b SGB XI vom 16. Dezember 2016 vorgenommen werden könne, wenn die Kosten der Grundpflege nicht mit Stundensätzen, sondern anhand von Leistungskomplexen berechnet würden, dort bekannt sei. Insbesondere im Jahr 2018 hätten das Referat viele entsprechende Anfragen erreicht. Die Antwort sei, dass nach der Kostenabgrenzungs-Richtlinie eine Bestimmung der für die Grundpflege anfallenden Kosten nicht möglich sei. Das Referat habe deshalb den Anfragenden empfohlen, im Vertrag nach § 89 SGB XI Stundensätze zu vereinbaren. Viele Kassen seien dem nachgekommen.
Bezüglich der Investitionskosten hat der Antragsteller die Beschwerde mit Schriftsatz vom 9. Dezember 2021 zurückgenommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der eingereichten Schriftsätze der Beteiligten und den übrigen Akteninhalt verwiesen.
Die den Antragsteller betreffende Verwaltungsakte des Antragsgegners hat dem Senat vorgelegen und ist Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.
II.
Die (Anschluss-) Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 16. Juli 2021 ist zulässig, aber nur zu einem geringen Teil, nämlich soweit er nicht für die Monate mit 30 Tagen zur Zahlung eines anderen Betrages als für die Monate mit 31 Tagen verpflichtet wurde, begründet. Die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig, aber unbegründet. Der Beschluss des Sozialgerichts ist im Wesentlichen rechtmäßig.
Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis statthaft, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Voraussetzung hierfür ist regelmäßig, dass sowohl ein Anordnungsanspruch, d.h. ein materieller Leistungsanspruch, als auch ein Anordnungsgrund, d.h. eine Eilbedürftigkeit, gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) glaubhaft gemacht ist.
Die Beschwerde des Antragstellers ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die dem Antragsteller vorläufig zu gewährenden Leistungen im Wesentlichen zutreffend festgesetzt.
Rechtsgrundlage für den Anspruch des Antragstellers ist § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1b i.V.m. § 64b Abs. 1 Satz 1 SGB XII. Nach der zuletzt genannten Vorschrift haben Pflegebedürftige der Pflegegrade 2, 3, 4 oder 5 Anspruch auf körperbezogene Pflegemaßnahmen und pflegerische Betreuungsmaßnahmen sowie auf Hilfen bei der Haushaltsführung als Pflegesachleistung (häusliche Pflegehilfe), soweit die häusliche Pflege nach § 64 SGB XII nicht sichergestellt werden kann.
Der Antragsteller, dem von der Beigeladenen zu 2) der Pflegegrad 5 zuerkannt worden ist, bedarf aufgrund der unter I. genannten, bei ihm vorliegenden Erkrankungen und Behinderungen der häuslichen Pflege; diese kann auch nicht durch Personen, die dem Pflegebedürftigen nahestehen oder in Nachbarschaftshilfe übernommen werden.
Problematisch ist nach der Änderung des Pflegeversicherungsrechts zum 1. Januar 2017, wie in Fällen eines besonders hohen behandlungspflegerischen Bedarfs die Kostenabgrenzung zwischen medizinischer Behandlungspflege nach § 37 Abs. 2 SGB V und der körperbezogenen Pflegemaßnahmen im Sinne von § 36 SGB XI, sofern die Pflege, wie hier, durch dieselbe Pflegekraft erfolgt, vorzunehmen ist. Nach dem bis zum 31. Dezember 2016 geltenden Recht wurde in den Gutachten des MDK der Zeitaufwand der „reinen“ Grundpflege ausgewiesen. Dieser wird in den ab dem 1. Januar 2017 zu erstellenden Gutachten nicht mehr festgestellt. Zur Kostenabgrenzung hat der GKV-Spitzenverband am 16. Dezember 2016 gemäß § 17 Abs. 1b SGB XI die Kostenabgrenzungs-Richtlinien erlassen. Diese regeln jedoch nur den Zeitanteil zur Abgrenzung der von der Krankenkasse und der Pflegekasse jeweils zu tragenden Kosten, der sich bei Pflegegrad 5, wie hier, auf 141 Minuten = 2,35 Stunden beläuft. Keine Antwort geben die Kostenabgrenzungs-Richtlinien jedoch auf die Frage, wie in dem Fall, dass die Pflegeleistungen nach Leistungskomplexen und nicht nach einem Stundensatz abgerechnet werden, die von der Pflegekasse zu leistenden Beträge berechnet werden. Für die Pflegekasse stellt sich diese Frage in aller Regel nicht, weil die Kosten jedenfalls bei Pflegegrad 5 den Höchstbetrag von 1.995,00 € gemäß § 36 Abs. 3 Nr. 4 SGB XI übersteigen. Das Problem gewinnt daher erst bei der Berechnung der von dem Pflegebedürftigen bzw. im Fall seiner Hilfebedürftigkeit vom Sozialhilfeträger zu tragenden Kosten der Pflege Bedeutung. Zur Überzeugung des Senats kann die Berechnung der, wie hier, vom Sozialhilfeträger zu tragenden Kosten der Pflege nur entsprechend der Berechnung der von der Pflegekasse zu übernehmenden Kosten erfolgen, weil der Sozialhilfeträger nur die Kosten zu übernehmen hat, die die Pflegekasse auf Grund der Begrenzung des Leistungsbetrags, hier auf 1.995,00 €, nicht gewähren kann und muss. Der Senat sieht für das aufgezeigte Problem drei Lösungsmöglichkeiten:
- Man verfährt entsprechend dem Vorschlag von C M, ASR 2021, Seite 7, [Seite 13 bis 15] und halbiert die den nicht verrichtungsbezogenen Behandlungspflegemaßnahmen entsprechenden Leistungskomplexen zugeordneten Beträge und multipliziert diese mit dem dem jeweiligen Pflegegrad zugeordneten Zeitanteil aus den Kostenabgrenzungs-Richtlinien, bei Pflegegrad 5 also mit 2,35 Stunden. Für die hauswirtschaftliche Versorgung wären die vollen dem jeweiligen Leistungskomplex zugeordneten Beträge zu berücksichtigen.
- Man verfährt wie das Sozialgericht Frankfurt (Oder) in dem hier angefochtenen Beschluss vom 16. Juli 2021 und wie vom GKV-Spitzenverband im Prinzip vorgeschlagen, d.h. man multipliziert den in der Kostenabgrenzungs-Richtlinie vorgegebenen Zeitaufwand von 2,35 Stunden mit einem (gegriffenen) Kostensatz. Dabei dürfte der vom Sozialgericht zugrunde gelegte Kostensatz von 36,00 € zutreffend sein. Im Internet wird dieser als durchschnittlicher Satz für die Grundpflege angegeben. Hinzu kämen die Kosten für die hauswirtschaftliche Versorgung entsprechend den den Leistungskomplexen zugeordneten Preisen.
- Man berücksichtigt die Kostenabgrenzungs-Richtlinie lediglich zur Berechnung der von der Krankenkasse für die Behandlungspflege zu tragenden Kosten, d.h. man zieht von den verordneten 24 Stunden Behandlungspflege die in der Richtlinie festgesetzten 141 Minuten = 2,35 Stunden ab und legt für die Berechnung der Kosten der Pflege, auch der Grundpflege, den vollen für die Berechnung der Leistungskomplexe vereinbarten Preis zugrunde. Dabei ergäbe sich für die Grundpflege unter Zugrundelegung der in der geänderten Leistungsvereinbarung für den Antragsteller für die Zeit ab dem 1. März 2021 zugrunde gelegten Preisen, aber ohne die verrichtungsbezogenen Behandlungspflegemaßnahmen (wie Leistungskomplex 09, Sondenkost bei PEG) und unter Berücksichtigung der Kosten für die Hilfe bei Nahrungsaufnahme für die Monate mit 30 Tagen ein Betrag von je 1.551,77 € und für die Monate mit 31 Tagen ein Betrag von je 1.670,00 €, wobei die 1.995,00 €, die die Beigeladene zu 2) trägt, bereits abgezogen sind.
Für die Variante a) könnte sprechen, dass sie die Vorgaben des BSG in seinem Urteil vom 17. Juni 2010, Az. B 3 KR 7/09 R, dokumentiert in juris und in SozR 4-2500 § 37 Nr. 11 berücksichtigt und eine hälftige Kostenteilung auch für den Fall anbietet, dass keine Stundensätze vereinbart sind. Es ist jedoch völlig unklar, ob diese Lösung noch ein kostendeckendes Arbeiten für die Pflegedienste ermöglichen würde.
Für die Lösung b) streitet, dass sie am ehesten der vom BSG in dem genannten Urteil vom 17. Juni 2010 aufgezeigten Abgrenzung zwischen Behandlungspflege, die von der Krankenkasse zu übernehmen ist, und Grundpflege, die von der Pflegekasse bzw., soweit deren Leistungen nicht ausreichen, von dem Pflegebedürftigen selbst bzw., sofern er hilfebedürftig ist, von dem Sozialhilfeträger zu übernehmen sind, entspricht.
Für die Variante c) könnte sprechen, dass die Kostenabgrenzungs-Richtlinie für die Berechnung der Kosten der Pflege offensichtlich nicht geeignet ist, zumindest wenn Kosten für Leistungskomplexe vereinbart sind. Gerichte sind grundsätzlich an Richtlinien nicht gebunden, allerdings besteht nach der Rechtsprechung des BSG bezüglich der Richtlinien des GKV insoweit eine Bindung, als sie als verwaltungsinterne Gesetzeskonkretisierung durch den „Erstinterpreten des Rechtssatzes“ zur Vermeidung von Ungleichbehandlungen für die Gerichte beachtlich sind, soweit sie mit dem Gesetz vereinbar und - gemessen an allgemeinen Erfahrungssätzen und generellen Tatsachen - sachlich vertretbar sind (vgl. Roller in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XI, Stand 1. Oktober 2021, Rn. 58 unter Hinweis auf das Urteil des BSG vom 30. März 1993, Az. 4 RK 1/92). Man könnte vertreten, dass wegen der Ungeeignetheit der Kostenabgrenzungs-Richtlinie für die Berechnung der Pflegekosten diese als unbeachtlich angesehen und mangels einer anderen Regelung die vollen für die einzelnen berücksichtigungsfähigen Leistungskomplexe vorgesehenen Preise zu berücksichtigen seien.
Welchem der genannten Lösungsansätze in der Hauptsache zu folgen sein wird, kann im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht geklärt werden und dürfte letztlich vom BSG entschieden werden müssen. In einem solchen Fall ist eine Folgenabwägung vorzunehmen. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in seiner Entscheidung vom 12. Mai 2005 (Az. 1 BvR 569/05, dokumentiert in juris, weitere Fundstelle NVwZ 2005, 927 bis 929) ausgeführt, dass Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens stellt, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen könnten, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären (BVerfG, a.a.O., juris Rn. 24). Das BVerfG führt weiter aus: „Ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Auch in diesem Fall sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen. Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen. Dies gilt ganz besonders, wenn es um die Wahrung der Würde des Menschen geht. Eine Verletzung dieser grundgesetzlichen Gewährleistung, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert, haben die Gerichte zu verhindern“ (vgl. BVerfG, a.a.O., juris Rn. 26).
Diese Folgenabwägung nimmt der Senat dahingehend vor, dass die Variante b) als vorläufige Regelung vorzugswürdig ist. Dabei berücksichtigt der Senat auch die voraussichtlichen Erfolgsaussichten in der Hauptsache. Wie oben bereits angesprochen, ist bei der Variante a) nach Auffassung des Senats nicht sichergestellt, dass der Pflegedienst kostendeckend arbeiten kann. Nach den vorläufigen Berechnungen des Senats würde sich bei dieser Lösung für die Grundpflege kein über dem von der Pflegekasse zu erbringenden Höchstbetrag von 1.995,00 € liegender Betrag ergeben. Gleichzeitig würde sich auch ein deutlich niedrigerer Betrag ergeben als derjenige, der sich bei Berücksichtigung eines Stundensatzes ergeben würde. Da nach den Recherchen sowohl des Sozialgerichts als auch des erkennenden Senats jedoch ein Stundensatz von ca. 36,00 € angemessen ist, erscheint die Lösung a) nicht ausreichend, den Bedarf des Antragstellers sicherzustellen.
Würde man die Variante c) wählen, bestünde dagegen die Gefahr, dass erhebliche Beträge von dem Antragsgegner gezahlt würden, die nach rechtskräftiger Entscheidung in der Hauptsache zurückgezahlt werden müssten (vgl. zu einer entsprechenden Rückzahlungspflicht auch des Leistungserbringers Bundesgerichtshof, Urteil vom 31. März 2016, Az. III ZR 267/15, dokumentiert in juris und in NJW 2016, 2734). Problematisch bei Lösungsansatz c) ist insbesondere, dass hier die vom BSG in dem Urteil vom 17. Juni 2010 vorgegebene Halbierung des zeitlichen Umfangs der reinen Grundpflege im Verhältnis zu dem Pflegebedürftigen bzw. dem Sozialhilfeträger entfallen würde. Der Pflegebedürftige bzw. der Sozialhilfeträger hätte in diesem Verhältnis die vollen Kosten der Grundpflege zu übernehmen, d.h. es entfiele die Kostenreduzierung für die Grundpflege aufgrund der Tatsache, dass Behandlungspflege und Grundpflege zum Teil zusammenfallen, völlig.
Der Senat geht auch mit dem Sozialgericht davon aus, dass bei der vorläufigen Übernahme der Kosten im Sinne des Lösungsansatzes b) die Pflege des Antragstellers zunächst sichergestellt ist. Einen Teil seiner Schulden bei der Beigeladenen zu 3), und zwar bezüglich der Investitionskosten, hat der Antragsteller zwischenzeitlich in Höhe von insgesamt 5.350,36 € getilgt, wie sich aus dem zu dem Prozesskostenhilfeantrag eingereichten Kontoauszug vom 1. Dezember 2021 ergibt. Es ist davon auszugehen, dass auch keine wesentlichen weiteren Schulden bezüglich der Investitionskosten anfallen, da die Beigeladene zu 3) beantragen dürfte, mit dem Antragsgegner einen Vertrag gemäß § 75 SGB XII bezüglich der Investitionskosten abzuschließen, nachdem ihr ein entsprechender Hinweis in dem Erörterungstermin vor dem Senat am 23. November 2021 gegeben worden ist. Die Investitionskosten würden dann in Zukunft von dem Antragsgegner zu übernehmen sein. Weiter bezweifelt der Senat auch mit dem Sozialgericht, dass die entstandenen Schulden des Antragstellers bei der Beigeladenen zu 3) tatsächlich in der Höhe bestehen, wie sie von dem Antragsteller angegeben worden sind. Dagegen spricht bereits die Geltendmachung verrichtungsbezogene Behandlungspflege Leistungen in den bisher erstellten Rechnungen durch die Beigeladene zu 3). Dies wäre überdies nur dann der Fall, wenn tatsächlich der Lösungsansatz c) der zutreffende wäre, was, wie erläutert, fraglich ist. Aus den genannten Gründen hält der Senat auch den vom Sozialgericht gewählten Verpflichtungszeitraum für zutreffend, d.h., dass Leistungen von dem Antragsgegner erst ab dem Monat des Antragseingangs beim Sozialgericht zu zahlen sind. Dies hätte sich im Wege des Vergleichs anders regeln lassen und wäre insoweit auch sinnvoll gewesen, im Weg der einstweiligen Anordnung kann jedoch nur das unbedingt Notwendige zugesprochen werden.
Die vom Antragsgegner vorläufig zu erbringenden Leistungen errechnen sich, indem man die sich aus der Kostenabgrenzungs-Richtlinie ergebenden 2,35 Stunden Anteil der Pflege mit dem - gegriffenen - Stundenlohn i.H.v. 36,00 € multipliziert. Das ergibt einen Betrag von 84,60 €. Dieser multipliziert mit 30 Tagen ergibt einen Betrag von 2.538,00 €. Davon sind die 1.995,00 €, die die Pflegekasse trägt, abzuziehen, so dass sich ein Betrag von 543,00 € ergibt. Die Berechnung für die Monate mit 31 Tagen erfolgt, indem man den Betrag von 84,60 € mit 31 (Tagen) multipliziert, was 2.622,60 € ergibt. Abzüglich der 1.995,00 € Anteil der Pflegekasse errechnet sich ein Betrag von 627,60 €. Die Anschlussbeschwerde des Antragsgegners ist daher insoweit erfolgreich, als er zur Zahlung niedrigerer Beträge für die Monate mit 30 Monaten verpflichtet wird.
Soweit der Antragsgegner vorgetragen hat, der berücksichtigte Stundenlohn von 36,00 € sei zu hoch, folgt der Senat dem nicht. Der vom Sozialgericht zugrunde gelegte Kostensatz von 36,00 € dürfte zutreffend sein. Im Internet wird dieser als durchschnittlicher Satz für die Grundpflege angegeben. Weiter sieht der Senat hier auch keine Notwendigkeit, die 36,00 € um ca. 20 % aufgrund der Tatsache, dass der Antragsteller in einer Wohngemeinschaft gepflegt wird, zu reduzieren. Die Grundpflege ist am und für den Pflegebedürftigen selbst zu verrichten, Einsparungen wegen weiterer pflegebedürftiger Personen in der Wohngemeinschaft dürften daher nicht zu erwarten bzw. marginal sein.
Der Senat legt die Anschlussbeschwerde des Antragsgegners dahingehend aus, dass lediglich die Höhe des monatlichen Betrages, zu dessen Zahlung das Sozialgericht den Antragsgegner verpflichtet hat, angegriffen wird. Bezüglich des Verpflichtungszeitraums hat der Antragsgegner dagegen den Beschluss nicht angefochten. Im Übrigen hält auch der Senat den vom Sozialgericht gewählten Verpflichtungszeitraum für zutreffend.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG analog. Sie berücksichtigt, dass die Beigeladene zu 3) keinen Antrag gestellt hat, so dass ihr Kosten nicht zu erstatten sind.
Dem Antragsteller war Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung zu bewilligen, da die Rechtssache die gemäß § 73a SGG i.V.m. § 114 ZPO notwendige hinreichende Erfolgsaussicht aufwies und der Antragsteller nicht in der Lage ist, die Kosten der Prozessführung aufzubringen.
Gegen diesen Beschluss gibt es kein Rechtsmittel (§ 177 SGG).